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Ritter
Sein Sichtfeld wurde immer kleiner. Die Farben verblassten und wirkten selbst für einen schlecht ausgeleuchteten und eingestaubten Kellerraum verwaschen. Sein Atem wurde lauter, bis nur noch dieses Rasselnde Geräusch übrig blieb. Und ein tiefes und immer langsamer werdendes Bumm.. Bumm... Bumm.... bis es schien, als ob sein Herz stehen geblieben wäre.
Kaum noch etwas wahrnehmend sah Sam in mitten des grauen Schleiers, wie die Gestalt vor ihm ihren Kopf hob. Langsam, wie in einer Ewigkeit gefangen. Tränen rannen dem Gesicht hinab. Etwas rührte sich. Etwas in ihm sprang auf dieses Bild an. Eine Erinnerung. Eine, vergraben unter vielen. Auch wenn es eine traurige war, so gehörte sie doch zu seinen größten Schätzen, denn sie bedeutete Hoffnung. Aber wie er versucht hatte alles aus den letzten Wochen zu verdrängen, so war auch diese Erinnerung fast verloren gewesen.
Sie saß vor ihm. Er presste seine Stirn noch fester gegen das kühle, in blauer Farbe lackierte Holz. Er konnte sie nicht sehen, aber er wusste, dass sie da war. Nun endlich hatte er sie erreicht. Und er würde sie da heraus holen.
Sam legte seine Hand an die Tür.
"Morgen... Morgen wird alles vorbei sein.."
Fast beschwörend murmelte er diesen, seinen, tiefsten Wunsch. Er hob den Kopf an und drehte ihn zur Seite, um wieder auf den Bildschirm zu sehen, der sie an der Wand zusammengesunken zeigte. Eine Kette war an ihrem Handgelenk befestigt. Was Sam auf dem kleinen Schirm sah, war grausam. Nicht die Szene an sich, aber das Wissen, was auf sie wartete. Er wusste alles. Hatte alles gesehen und gelesen, Haarklein beschrieben. Wut kochte in ihm auf. Vermischt mit Hass, Mitleid und Genugtuung. Genugtuung, dass sein Plan gelingen würde, das er gelingen musste. Er hatte an alles gedacht, alles berücksichtigt...
sie regte sich. Hatte sie ihn gehört? Oder spürte sie, dass er da war?
Ihr Kopf hob sich langsam, dann blickte sie genau in die Kamera. Tränen, Flehen und... Hoffnung? in den Augen. Unendlich lange und doch weniger als ein Augenblick dauerte dieser Moment.
Dann war es vorbei. So heftig wie von einem unerwarteten Schlag wurde Sam in die Wirklichkeit gesogen, in das Hier und Jetzt. Und diesmal war es wirklich so, wie es immer in Büchern beschrieben stand.
Zwei Augen blickten ihn direkt an. Und sahen durch ihn hindurch. Er befand sich in einem Keller, doch war es ein anderer, nicht ganz so tief unter der Erde. Die Augen, die auf ihn gerichtet waren, vergaßen Tränen; die Pein war greifbar.
Panik stieg in Sam hoch, diesmal aber eine Panik ganz anderer Natur. Er hatte nur noch einen Gedanken: "Versprochen..."
Er musste halten, was er einst versprach, auch wenn es einer anderen Person galt, einer die er nie wieder sehen würde. Sein Versprechen würde sein Leben lang gelten, er würde alles dafür tun, selbst wenn es sein Leben kosten würde. Und das war kein plattes und hochgestochenes oder gar ehrenvolles Verhalten. Er wusste genau, was "sein Leben kosten" bedeutet. Und war schon seit langem bereit dafür, ersehnte es manchmal sogar. Und verachtete sich für seine Feigheit.
Aber was konnte er tun?
"Ich... ich will hier weg... bitte... ich will das nicht allein machen..."
Sam verstand kaum die Bedeutung der Worte, aber sein Unterbewusstsein konnte wohl die richtigen Schlüsse ziehen. Mit der linken Hand griff er unter ihre Beine und mit der rechten Umschlang er ihren Rücken. Nova war schwer, aber das spürte Sam kaum. Vollgepumpt mit Adrenalin und praktisch abgeschottet von seinem Schmerzzentrum hob er sie an wie ein Baby und lief mit schnellen Schritten die Treppe hoch.
Wo vorhin die Farben gefehlt hatten, so hatte er sie nun im Überfluss. Farben tanzten vor Sams Blickfeld, stachen ihm in die Augen, das grelle Licht aus den viel zu hellen Fenstern brannte sich in seinen Kopf. Tränen, die seit seiner Erinnerung im Keller unbemerkt seine Wangen hinab liefen, ließen sein Blickfeld verschwimmen.
Mit Nova auf dem Arm hastete Sam nach rechts in die offene Wohnung und legte sie behutsam auf das staubige Bett. Sie hatte sich beim Transport nach oben zusammengekauert und verließ die Embryonalhaltung auch auf dem Bett nicht, kugelte sich eher noch mehr zusammen. Völlig verkrampft und erschöpft drückte Sam einige Sekunden lang ihre Hand und suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, wie er ihr helfen konnte. Er ließ ihre Hand los, stürmte er aus der Wohnung, aus dem Haus und rief mit all seiner verbliebenen Kraft.
"NOVA... HILFE!"
Kaum mehr als ein flüstern drang aus seiner Kehle.
Dann brach er zusammen und sein Geist ergab sich der Schwärze.
Geändert von Eddy131 (03.06.2016 um 12:54 Uhr)
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