Im Keller war es stickig. Verständlich, wenn hier seit wahrscheinlich einigen Jahrzehnten niemand mehr drin war. Zum Glück funktionierte das Licht. Erstaunlich, wenn man mal darüber nachdachte. Um Handelsübliche Glühbirnen konnte es sich nicht handeln, die wären schon längst hinüber gewesen. Aber wenn das hier wirklich eine Art Forschungsstation war und so wie es aussah keine X-beliebige, sondern eine gut finanzierte - vielleicht sogar vom Militär - dann müsste es sich um besonders widerstandsfähige Birnen handeln ohne künstlicher Obsoleszenz. Künstliche Obsoleszenz. Darüber hatte er mal einen Aufsatz gehalten. Damals, in der Schule, als noch alles gut und das Leben einfach war. Sam lächelte leise in sich hinein. Der erste größere Fall von künstlicher Obsoleszenz war auch mit Glühbirnen gewesen. Die waren vor etwa hundert Jahren schon so gut, dass sie locker hundert Jahre hielten, was einige Birnen bis heute sogar bewiesen haben. Da gibt's ne ganz Berühmte in ner Feuerwehrstation, die schon seit deutlich über hundert Jahren durchgängig am leuchten ist. Also setzten sich die Glühbirnen-Oberbosse zusammen und heckten einen Plan aus, in dem sie sich alle einverstanden erklärten, die Birnen so zu manipulieren, dass sie nach einer festgesetzten Zeit kaputt gingen und neue gekauft werden mussten. Sam fand das damals hochinteressant. Wie seine Klassenkameraden, die ihm gebannt gelauscht hatten, ein seltenes Phänomen. Und wie banal kam ihm das ganze jetzt vor, nicht viel älter, aber doch reicher an Lebenserfahrung.
Auch wenn Sam es nicht als Bereicherung ansah, was er alles erleben und sehen musste.
Seinen Gedanken an vergangene Zeiten nachhängend schritt er den Raum einmal ab, konnte aber nichts außer dem großen Tank, einem Heizkessel und einer Menge an Rohren finden. Ein kurzer Blick in den Kessel verriet ihm, dass er noch gut zu einem Drittel gefüllt war. Bei der Größe das Tanks würde das für eine ganze Weile ausreichen. Vorausgesetzt, das Öl war nicht schlecht geworden. Kann Öl überhaupt schlecht werden? Aber darüber machte er sich nicht all zu große Sorgen. Er konnte daran eh nichts ändern, egal wie es nun war und wenn hier wirklich auf Qualität geachtet wurde, dann konnte er sich zumindest gut vorstellen, dass auch das Öl noch nutzbar war.
Also Verschluss wieder zu und ab nach oben.
Sam war sich nicht sicher, aber er glaubte vorhin etwas von Fabian gehört zu haben. Hatte er ihn doch bemerkt? Ach was, kann nicht sein. wahrscheinlich hat er mit jemand anderem gesprochen. Oben angekommen war das Haus jedoch leer, also zuckte Sam nur mit den Schultern und verließ das Haus wieder.
Als er gerade aus der Tür trat sah er noch, wie Ross und Rich laut redend im Haus gegenüber verschwanden. Dann ist das wohl auch abgedeckt. In dem Haus links ist Nova vorhin verschwunden, also auch Kriegsgebiet. Der Satz war nur halb scherzhaft gemeint. Irgendwie fand er die Dame gruselig. Er hatte nichts gegen Führungspersönlichkeiten, aber bei Nova war das doch etwas zu extrem für ihn. Und dann war da noch diese Szene... Denk an was anderes, denk an was anderes... Blumen! Blumen sind toll, sie blühen, riechen gut, stehen einfach in der Gegend herum und lassen ihre Hosen heru... Blumen! Sind! Toll!
Um sich abzulenken konzentrierte sich Sam auf seine Umgebung und eilte kurzerhand zurück nach rechts und verschwand im nächsten Haus und ging schnurstracks auf die Kellertreppe zu. 2B, 2B, 2B, Blumen riechen gut, Bienen holen da Hos.. äh, Honig, denk nicht an Hosen, Blumen gibt's in vielen schönen Farben, Blumen sind prächtig anzusehen, denke nicht an.. Nova!?
Wie angewurzelt blieb Sam auf der untersten Stufe stehen. Was er sah, verstörte ihn mehr, als er gedacht hätte. Ein düsterer Raum. Eine Frau, ganz alleine darin. Eingesperrt, gefangen. Ein panischer Ausdruck auf den Zügen, die Augen erschreckend groß, der Blick ins Leere gehend.
Dann riss Nova sich die Kopfhörer herunter und schmetterte sie mit solcher Gewalt gegen die Wand, das ein ungesundes knirschen zu hören war und die Erinnerung brach ab und verschwand. Doch die Frau verschwand nicht. Sie war nicht mehr dort, doch saß Nova in der gleichen verkrümmten Haltung da wie sie damals bei ihrer ersten Begegnung. Wobei man es genau betrachtet wohl nicht mal eine Begegnung nennen konnte... Diesmal ist es anders. Ich kann etwas tun!
Mit entschlossenem Blick und zerspringendem Herzen machte Sam einen vorsichtigen Schritt auf Nova zu.
"Alles.. in Ordnung..?"
Keine Reaktion. Würde ihr Körper nicht leicht zittern, hätte man meinen können, dass dort eine Tote hockte.
Sams Herz raste, seine Kehle war wie zugeschnürt. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung riss Sam seinen Fuß abermals vom Boden los und setzte ihn etwas weiter vorne wieder ab. Unsicher wiederholte er seine Frage.
"Alles.. in Ordnung..?
Kann.. ich dir helfen..?
Bitte..."
Das letzte Wort fast schon verzweifelt ausgesprochen, versagte ihm die Stimme. Er merkte, wie die Panik auch von ihm Besitz ergriff, wie sie langsam an ihm ermporkroch.
Er war jetzt mit ihr in einem Raum. Gefangen. Bewegungsunfähig. Handlungsunfähig. Machtlos.
Er bekam kaum noch Luft, erstickt versuchte er noch ein paar Worte zu formulieren, wollte ihr und auch ihm selber Mut zusprechen, sagen, dass alles wieder gut werden würde. Er öffnete den Mund.
"..."
Nichts. Nicht einmal ein Krächzen drang aus seiner Kehle.
Ein Wunsch. Er formte sich in ihm und wurde immer größer, bis er alles auszumachen schien. Er wollte sich neben Nova auf den Boden setzen und ihre Haltung nachahmen. Da hocken und ins Leere starren, wie er es bereits viele Stunden getan hatte.
Aber etwas hinderte ihn. Eine leise Stimme rief - nein, sie schrie, sie brüllte aus Leibeskräften. Undeutlich und aus weiter ferne schrie sie etwas.
"Du hast es versprochen!"
Es war nicht wie in den Geschichten und Filmen, der Bann war nicht plötzlich gebrochen. Aber langsam wurde sich Sam wieder seiner Umgebung bewusst und er erlangte zumindest rudimentäre Kontrolle über seinen Körper zurück.
Ruckhaft und stockend machte Sam noch 2 Schritte. langsam hob er seine Hand um Nova sanft an der Schulter zu berühren. Leichenblass und mit brüchiger Stimme konnte er nur noch ein Wort von sich geben.
"Helfen..."
Er hätte selbst nicht eindeutig sagen, was er damit meinte. Ob er selber Hilfe brauchte, oder ob er Nova helfen wollte.
Oder ihr...
Einige Augenblicke lang geschah nichts. Seine Hand lag auf Novas Schulter, berührte sie kaum, und er starrte sie an, hoffend und bangend.
Sein Gesichtsfeld fing langsam an an den Seiten auszufransen, lange würde er das nicht mehr aushalten.