Hironobu Sakaguchi + Akira Toriyama + Nobuo Uematsu = Meisterwerk par excellence?

Die Welt von Blue Dragon wird von diversen Katastrophen heimgesucht: von Monstern verursachte Erdbeben, giftiger Regen, Springfluten, im wahrsten Sinne des Wortes fleischfressende Pflanzen, Vereisung ganzer Ortschaften...
Bereits in den ersten Spielstunden wird deutlich, wer der Verursacher dieser Plagen ist, doch der genaue Grund für das Verhalten des alten Mannes Nene bleibt längere Zeit im Dunkeln – abgesehen natürlich vom üblichen "Ich bin der Obermacker, also hab ich ein Recht darauf die Welt zu zerstören, zu unterwerfen, auszubeuten, mit Zuckerwatte zu überhäufen etc." (Zutreffendes bitte ankreuzen).
Durch mysteriöse Umstände erhalten fünf junge Leute – z.T. unabhängig voneinander – Zugriff auf verschollen geglaubte Magie, was sich u.a. dahingehend äußert, dass sich ihre Schatten verselbständigen und die Gestalt diverser 'Tierwesen' annehmen.
Was liegt also näher als Nene das Handwerk zu legen?


Blue Dragon erfindet das Rad nicht wirklich neu – mir ging es im Gegenteil gegen Ende hin sogar so, dass ich die 'überraschenden' Enthüllungen im Großen und Ganzen bereits im Vorfeld geahnt habe (der Konsum unzähliger Bücher, Filme und Spiele führt unweigerlich dazu, dass man irgendwann JEDES erdenkliche Szenario im Kopf durchspielt ).
Aber das störte mich nicht die Bohne, denn das, was man als Spieler serviert bekommt, ist unterhaltsame und in sich stimmige RPG-Kost. Besonders angetan war ich von diversen Design- und Konzeptideen wie die Stadt der Wandbilder, das gruselige Horrordorf oder die Würfelwelten in der letzten Phase des Spiels (trotzdem hätte es davon ruhig noch mehr geben können).

Die Charaktere sind eigentlich durchweg sympathisch, auch wenn Manomaro stellenweise schon ein wenig nerven konnte und Shus Stimme in der deutschen Synchro für einen 16jährigen recht quietschig klang (dafür ging er in der englischen Sprachversion eindeutig zu sehr in den Keller). Stichwort deutsche Synchro: Meiner Meinung nach machten die Sprecher ihre Sache nicht schlecht (besonders Nene), sieht man mal davon ab, dass durch die Bank weg bei nahezu allen Leuten dann und wann unpassende Pausen und eine merkwürdige Betonung die Sätze bestimmten.

In Sachen Graphik kann man – speziell in Hinblick auf die Umgebung und die herrlich schrägen Monster – kaum meckern. Lediglich bei den Charaktern fiel leider auf, dass sie sich mit der Mimik z. T. stark zurückhielten, wodurch die Gesichter bisweilen sehr starr wirkten. (Vergleicht man spontan Blue Dragon mit dem älteren Dragon Quest VIII (PS2), muss man sich eingestehen, dass die Figuren bei letzerem eindeutig mehr Ausdruck in den Gesichtern zu bieten hatten.)

Die Idee, durch Antatschen von Steinen, Rohren, Trümmern etc. Bonusitems, Geld, EXP, Statusboni oder 'Nichtse' zu sammeln, war geil. Mit ein wenig Ausdauer konnte man so schon vorab seine Taschen ein wenig füllen oder darauf hinarbeiten in ferner Zukunft durch 'nichts' profitable Accessoires abzustauben.

Genauso cool fand ich die farbigen Barriern um manche Truhen und vor einigen Türen, für die man erst den passenden 'Schlüssel' finden musste, um an die verborgenen Schätze zu gelangen. Solche Motivationsspritzen mag ich total!

Und nicht zu verachten war selbstverständlich das Warp-System, durch das man relativ zeitsparend von A nach B kam. Über Teleportationszauber oder -geräte sollte meiner Meinung nach jedes Spiel verfügen – das senkt den Frustfaktor erheblich.

Pluspunkte sammelt Blue Dragon besonders bei der Handhabung der Kämpfe – und das in jeglicher Hinsicht. Das Kampfsystem selbst ist mehr als eingängig und intuitiv und bedarf keiner komplizierten Erklärung und / oder langen Eingewöhnungsphase.
Als nette 'Spielerei' kann man bereits im Dungeon respektive der Weltkarte versuchen, so viele Gegner wie möglich in eine Combo zu verwickeln, was sich in den eigentlichen Kämpfen durch temporäre Boni oder sogar sich untereinander beharkende Monster äußert.
Extrem angenehm empfand ich die Tatsache, dass man im Grunde genommen kaum zu leveln braucht, da bis auf wenige Ausnahmen die auf dem Weg mitgenommenen Feinde genügend EXP zur Verfügung stellen, um gut durch das Spiel zu kommen.
Zusätzlich dazu offeriert Blue Dragon ein gleichzeitig simples wie geradezu geniales Jobsystem, in dem jeder Charakter alle Fähigkeiten aller Jobs erlernen kann. Investiert man (ausgerüstet mit speziellen Accessoires) zusätzlich knapp drei Stunden auf der Insel der Kackschlangen, um SP zu farmen, hat man innerhalb kürzester Zeit eine Party mit erhöhter Magie- und physischer Abwehr (dank Barrierenmagier- und Beschützerfähigkeit), erhöhter Schnelligkeit und doppeltem Angriff (dank Henkerfähigkeit), zusätzlichen Fähigkeiten- und Zubehörfeldern (dank Alleskönnerfähigkeit) usw, usf. Entspannter kann man die Welt kaum retten!

Einzig mit den Mechat-Kämpfen kam ich nur schwer klar, was aber mal wieder an meinen mangelnden Reflexen lag. Immer diese Hektik!

Kurze Nebenbemerkung, weil ich gerade den Namen einer bestimmten Gegnerart erwähnte: Dass manche Japaner - und speziell Akira Toriyama – eine Vorliebe für gewisse ... Hinterlassenschaften haben, dürfte bekannt sein. Dennoch stieß mir die große Familie der lebenden ***haufen in Blue Dragon ein ums andere Mal ziemlich sauer auf. Muss man denn unbedingt solche Monster entwerfen (auch wenn sie zugegebenermaßen schon lustig schräg aussahen)? Auch der Witz mit dem Dinoboss, der nach zwei Runden einen Kompagnion 'produzierte', war – im wahrsten Sinne des Wortes – einfach nur ein Griff ins Klo.

Da war das – von mir und meiner Schwester spontan getaufte – 'Dorf der Beknackten' (= Kelaso) humortechnisch gesehen weit mehr meine Kragenweite: Mal ehrlich, ein Ort, in dem alle heiratsfähigen Mädchen von jetzt auf gleich Manomaro verfallen sind und den armen Kerl nonstop durch die Kante jagen? Wie geil ist das denn?! Ganz zu schweigen von der Verschwindibus-Oma, die mehrmals mitten im Gespräch plötzlich verschwand und in einem anderen Zimmer wieder auftauchte.

Ein weiterer, immer wiederkehrender Lacher war der Cameo-Auftritt von Toriyama als Gasmasken-Männchen Toripo. Diese schräge Musik! ("Torippo!")

Hinsichtlich der Musik ist Blue Dragon ein zweischneidiges Schwert. Manche Stücke erinnern an Final Fantasy 9 (z. B. "Ruins") oder andere FF-Teile, andere dagegen schrammeln mehr oder weniger vor sich hin. Den Vogel schießt allerdings das Bosstheme ab, das man schon als ... sehr speziell bezeichnen kann: Ich mag es immer noch nicht wirklich, aber bei jedem weiteren Hören frisst es sich tiefer in die Gehörgänge und lässt mich mitzucken. *schauder* Dafür rockt das Theme des Endbosses ("The Seal is broken") mit dem wunderbar stimmigen Namen (fast so toll wie 'Gewalt' in Dream Master ).

Als letzten kleinen Minuspunkt muss ich anmerken, dass mir zweimal Cutscenes flöten gegangen sind, weil ich beim Spielen unterbrochen wurde und sie anhalten wollte. Da es allerdings diese Funktion in Blue Dragon nicht gibt, wurden die Szenen automatisch übersprungen, was ich nicht so prickelnd fand...


Fazit:

Kann die eingangs gestellte Frage mit 'ja' beantwortet werden?

Ich persönlich würde Blue Dragon nicht per se als 'Meisterwerk' betiteln, aber das Spiel hat verdammt viel richtig und mir damit einen Heidenspaß gemacht: Story, Graphik und Musik waren an und für sich nicht übel, das Jobsystem in Verbindung mit den Kämpfen funktionierte 1A und das Maß an kleineren und größeren Nebenaufgaben war angenehm ausgewogen.

Wer Blue Dragon bisher noch nicht gespielt hat und sich von meiner Rezi zumindest ein klein wenig angesprochen fühlt, sollte dem Spiel definitiv eine Chance geben.