Es geht praktisch mal wieder um Subversion und Moral in Videospielen. ^^
Zum Genocide Run und allem, was danach kommt: Ich musste sehr an Shadow of the Colossus denken. Wir erinnern uns, Shadow of the Colossus ist ein Spiel, in dem du dich schlecht fühlst, wenn du Titanen tötest, das aber am Ende des Tages hauptsächlich daraus besteht, Titanen zu töten. Hat vielen Leuten gefallen, andere fanden das Konzept dümmlich (Hint: Ich auch!

), weil man ein Spiel eigentlich nicht kauft oder anfängt, um es dann doch nicht zu spielen oder mittendrin abzubrechen, nur weil man die "richtige" moralische Handlungsweise bedienen will, die sich die Autoren ausgedacht haben; man wird also in ein künstliches schlechtes Gewissen gelockt, ohne dass man es vernünftig hätte verhindern können, ohne sich selbst ins Knie zu schießen. In diese spezifische Falle ist Undertale glücklicherweise NICHT gelaufen, denn man muss den Genocide-Run nicht spielen, um Undertale "richtig" zu erleben, man hat jederzeit eine Alternative, und man sieht ja auch am Thread hier, dass viele Leute auf die "böse" Variante verzichten. Das ist großartig. Das Pacifist Ending ist ein wirklich rundes, zufrieden stellendes Gesamtprodukt, ohne die Subversion aus dem Spiel zu entfernen. Schön. Also fette kudos dafür!
Allerdings hat Undertale zwischen seiner Konzeption und seiner Popularität ein total interessantes anderes "Problem", das in diese Richtung geht. "Problem" in Anführungszeichen, weil es verdammt nochmal trotzdem funktioniert.

(Dazu unten noch mal mehr.)
1. Undertale soll ganz eindeutig überraschen, und zwar nicht zuletzt dadurch, dass es Videospiel- und Rollenspiel-Tropen untergräbt. Es will die Handlungen des Spielers irgendwo bewerten und infrage stellen, und es zieht einen großen Reiz aus diesen Aspekten. (Wohlgemerkt: Definitiv nicht seinen einzigen Reiz!) Und ich würde behaupten, dass diese Aspekte von Undertale am besten funktionieren, wenn man das Spiel komplett (!) ohne Vorwissen anfängt, das über das Genre und die "bodenständigen" Vorteile hinausgeht. Also ohne Wissen um Herangehensweisen, um mehrfache Runs oder Routen, oder darum, dass es überhaupt Überraschungen enthält.
2. Es ist wirklich, WIRKLICH schwer, Undertale ohne Meta-Vorwissen zu beginnen. Es ist krass, von wie vielen Leute ich gleichzeitig gehört habe, dass ich mich bloß nicht spoilern lassen soll, und trotzdem schon viel zu viel über das Spiel erfahren habe; und sei es nur, warum sie es mögen. Das liegt natürlich auch an der Popularität. (Wohlgemerkt: Aber nicht nur!)
Und diese beiden Punkte zusammen sind echt schade. Das hat die ganze Erfahrung für mich ordentlich heruntergezogen. Weiß Gott nicht komplett, eben weil es auch andere Reize hat (Humor, Feeling, sogar Gameplay!) ... aber BOAH, was hätte mich das Spiel umgehauen, wenn ich nicht genau das erwartet hätte, was ich am Ende bekommen habe. O_ô So war ich bspw. eher genervt, als ich so melancholisch mit dem König kämpfen musste oder der Kram mit EXP und LOVE erklärt wurde, weil ... nun ja, das war für mich zwar eine Überraschung (ich bin echt schlecht darin, sowas vorauszusagen xD''), aber trotz allem konzeptuell seeehr berechenbar und selbstverständlich. Also, dass IRGENDSOWAS kommt, war durch den Buzz absolut klar.
Aber hätte man das irgendwie unterbinden machen können? Schwierig. kA, ob es geht, aber hier mal ein paar Gedanken.
Vielleicht müsste Undertale als "klassisches" Rollenspiel reizvoll genug sein. Wahrscheinlich ist es das auch, gerade mit den innovativen Elementen. Vielleicht hätte man es auch so vermarkten müssen. Selbst die Optik, die in den meisten anderen Kontexten jeden Versuch zerschlagen würde, so ein Spiel bei einer Zielgruppe unterzubringen, bietet sich hier ja total an, um die ganzen alten Nostalgiesäcke zu erreichen. Das ist aber nicht unbedingt passiert, denn Undertale wurde immer als das außergewöhnliche Spiel beworben, das es ist, was automatisch eine Meeeenge subversives Potenzial kaputtgemacht. Dazu kommen Tumblr und das Internet (tm), die gleich wieder ihre Spoiler-Elite auf den Plan gerufen haben. Das meine ich nicht mal negativ (es ist mehr als verständlich), aber es hat dieser Sache hier bestimmt nicht geholfen.
Vielleicht ist Undertale auch tatsächlich schon zu innovativ und interessant,
außerhalb dieser subversiven Aspekte. Es baut sozusagen nicht genügend "Standard" auf, den es untergraben könnte. Die Welt ist zu anders, als dass die Tropen da noch Platz finden würden, die es infrage stellt. Und das Gefühl hatte ich tatsächlich auch im Spiel, noch bevor ich über den ganzen Kram hier nachgedacht habe: Undertale tut gern mal so, als wäre es naheliegend, irgendwelche Monster umzubringen, aber sein wir ehrlich, eigentlich fühlt man sich von Anfang an schlecht dabei, GERADE auch, weil es mit Toriel loslegt. Undertale hat niemals die "Mord-Selbstverständlichkeit" eines klassischen RPGs, und deshalb kommt es irgendwie komisch, wenn es so tut, als sei der Spieler voll der potenzielle Massenmörder.
Ein gutes Gegenbeispiel ist da übrigens Spec Ops: The Line, das genau diese Schiene fährt: Möglichst bodenständig anfangen, bodenständig aussehen (bis hin zum Cover!), die "klassische" Zielgruppe erreichen ... und dann den Tisch umwerfen. Als Subversion funktioniert das wesentlich besser. Problem natürlich: Spec Ops ist kommerziell gescheitert, vielleicht auch, weil es so bland aussah, und es hatte natürlich nicht die Tumblr-gefährdete Zielgruppe, die ein RPG mit sich bringt. Also schwieriger Vergleich, zumal ein "vorerst bodenständiges" Undertale wie gesagt auch ein langweiligeres Spiel gewesen wäre, wahrscheinlich.
Also ja, schwierig.
Zumal es halt trotz allem wahnsinnig funktioniert hat, und das soll hier nicht untergehen. Ich finde es nur irgendwie voll interessant, dass ich immer noch kein "moralisches" Videospiel gespielt habe, das für mich wirklich gut funktioniert hat, und dass gerade die, die einen Fokus darauf legen, meistens eher so la-la-moralisch sind oder anderweitig versagen. Die besten Beispiele sind für mich ironischerweise immer noch welche, die das NICHT in die Spielmechanismen eingebunden haben, was aber eigentlich ein Armutszeugnis für die Devs dieser Welt ist. ^^ Dann wiederum stehen wir ja auch noch ganz am Anfang des Mediums.
Und was ich eigentlich sagen will ... Hört verdammt noch mal damit auf, den noch unbedarften Leuten zu sagen, dass das Spiel überraschend ist, euren Glauben an die Menschheit wiederhergestellt hat etc.