Lasst mich das nochmal etwas klarer formulieren: Für mich geht mit Kurtzman als ausführender Produzent und Autor so eine große Angst und weitreichende Befürchtungen einher, weil er bereits gezeigt hat, wie sehr er auf den Kanon pfeift. Wie schon gesagt hängt für mich viel davon ab, wie das äußere Setting der Serie aussieht (welche Zeitlinie und welche Zeit) UND wie dieses gehandhabt wird (!). Natürlich würde ich die alte Continuity unendlichfach bevorzugen, aber selbst wenn sie die verwenden, würde Kurtzmans Willkür als Damokles-Schwert noch immer darüber schweben, durch die jederzeit Schindluder getrieben und alles zu einem totalen Durcheinander umgekrempelt werden könnte, womit er dann nicht nur die neue, sondern auch die alte Timeline ruiniert hätte. Da bekommt einer der Typen nun erneut die Verantwortung, mit der er früher schon nicht angemessen umgegangen ist.

Das bezieht sich gar nicht so sehr auf Stilfragen und Details, sondern aufs große Ganze. Zukünftige Serien können ihr Ding drehen, ohne rückwärtsgewandt in ollen Kamellen zu schwelgen. Ich will nur nicht, dass diese Herkunft, diese Ursprünge, bewusst negiert werden. Der Franchise Respekt zollen, darunter verstehen Kurtzman, Orci & Co, immer mal wieder eine Anspielung einzubauen, wie bereits in den beiden Reboot-Filmen gesehen. Damit habe ich kein Problem, sofern es nicht so amateurhaft und aufdringlich-unverhohlen gehandhabt wird wie in Into Darkness. Was mir solche Sorgen bereitet ist vielmehr, dass sie nicht darunter verstehen, die lange und genial ausgestaltete bisherige Geschichte dieses fiktionalen Universums unangetastet zu lassen - diesbezüglich ist ihnen nichts heilig.
Zugegeben, Rick Berman mag neben anderen Fehlentscheidungen zu wenig getan haben, um diese Saga frisch und spannend zu halten. In den Filmen tat sich oft zu wenig, die fühlten sich manchmal an wie bessere TV-Episoden, doch selbst in den Serien, wo eigentlich mehr als genug Platz gewesen wäre, wurde Star Trek nur selten "durchgeschüttelt" mit weitreichenden Veränderungen. Letztere sollten zwar nicht ausgeschlossen werden, aber immerhin hatte das den Vorteil, dass diese fiktionale Welt so stark anwachsen und sich entwickeln konnte. Das wurde 2009 mit einem Mal geplättet (selbst wenn es irgendwo in einer anderen, ursprünglichen Zeitlinie noch vorhanden sein sollte, was unsicher und on-screen sagenhaft schlecht erklärt worden ist, spielte es bis jetzt keinerlei Rolle mehr). Auf der einen Seite ist die über Jahrzehnte liebgewonnene Next Generation (drei Serien und vier Filme) vorerst futsch. Andererseits werden ganze Planeten, von denen bereits tausende Geschichten stammen und von denen noch tausende weitere hätten kommen können, in aller Kürze als kleine, unwürdige Erfüllungshilfe-Plot-Devices von Orci und Kurtzman halbherzig zerstört (Vulcan und Romulus - ich will gar nicht verneinen, dass so etwas Großes an Umwältzungen in der Franchise möglich sein sollte, aber wenn man sowas macht, dann hätte es definitiv mindestens einen eigenen Kinofilm verdient, der sich hauptsächlich diesem Thema widmet, und keine schlappen 10 Minuten Screentime bzw. ein paar Nebensätze vom Bösewicht!).
Ich hoffe ihr versteht in diesem Zusammenhang mein großes Misstrauen. Warum sollte ich meine Aufmerksamkeit und Emotionen in die kommenden, neuen Charaktere investieren, wenn sie nicht auf die Geschichte zurückblicken (oder wir als Zuschauer diese in einem Prequel wenigstens antizipieren) können, die früher etabliert wurde? Das ist ein immenser Bonus, mit dem man auch inhaltlich viel anstellen kann. Viel wesentlicher allerdings noch: Egal ob Reboot-Timeline oder nicht, bei Kurtzman kann und wird es keine Garantie geben, dass er sowas wie 2009 nicht irgendwann einfach wiederholt. Anders ausgedrückt, wie man es auch dreht und wendet, so wie ich das verstehe, steht mit ihm als wichtigste Person der Entwicklung die Integrität der neuen Serie auf ganz wackligen Beinen.

Andererseits, und das muss ich unumwunden eingestehen, wäre ich äußerst positiv überrascht, wenn die Story der neuen Serie "bodenständig" bliebe bzw. sein eigenes Setting von Anfang bis Ende lebt, ohne vermehrt auf Veränderungen durch Zeitlinien-Bullshit zurückzugreifen oder die Ordnung in der Galaxis alle paar Episoden völlig zu wandeln. Wenn er das schafft, und dazu noch hauptsächlich den alten Kanon bedient und halbwegs sinnvoll erweitert, dann wäre das meiner Meinung nach sogar in gewisser Weise eine starke Wiedergutmachung für den narrativen Firlefanz von 2009.
Für mich wäre es in dem Fall ein wahrgewordener Traum, wenn sie nach dem vierten oder fünften Reboot-Film im Kino (genug Gelegenheit für ein zufriedenstellendes Finale) diesen "Ausflug" einstellen, als interessantes Gedankenspiel für sich stehen lassen und anschließend künftige Kinoabenteuer von der Crew und Konstellation dieser neuen TV-Serie bestreiten lassen würden (wie zuvor beschrieben, entweder in der alten Zeitlinie, oder aber so clever umschifft, dass man es deuten kann, wie man will). Denke, dafür würde sich Paramount erweichen lassen können, zumal Leute wie Chris Pine mit zunehmenden Jahren auch nicht billiger zu engagieren sein werden, ganz im Gegenteil. Hier böte ein TV-Cast einen günstiger zu realisierenden Neubeginn (wenn sie unbedingt wollen, ließe sich mit besonders guten Autoren sogar eine Art Staffelübergabe wie damals bei Generations einfädeln, auch wenn das wieder etwas von dem Parallelwelten-Hokuspokus bedeuten würde, den ich so verabscheue).

Bin wirklich gespannt, welche Strategie CBS damit verfolgen wird. Gespräche hinter den Kulissen zwischen den beiden Eigentümern der Rechte gibt es ja gewiss, aber ich denke doch, dass das Netzwerk sich durchaus gerne ein Stück weit von dem abgrenzen möchte, was Paramount gerade im Kino macht. Es wie angekündigt (zumindest in den USA) vorläufig ausschließlich über den eigenen Bezahl-Service "CBS All Access" zu veröffentlichen, ist ja schon ein ziemlicher Dick-Move dieses Vereins gegenüber der Zuschauerschaft und den Fans. Langfristiger Vorteil könnte dann eventuell sein, dass man nicht mehr so abhängig ist von veraltet berechneten Einschaltquoten (was bei Enterprise zu einem Riesenproblem wurde). Die folgende vage aber offizielle Inhaltsbeschreibung hört sich hingegen ganz gut an und weist immerhin auf ein Raumschiff als hauptsächlichen Schauplatz und Hintergrund der Serie hin:
"The brand-new Star Trek will introduce new characters seeking imaginative new worlds and new civilizations, while exploring the dramatic contemporary themes that have been a signature of the franchise since its inception in 1966."
Eine Kolonie-Welt als Setting (wie damals für Deep Space Nine angedacht) hätte ich zwar auch interessant gefunden, aber ich sehe ein, dass das zu unflexibel zum jetzigen Zeitpunkt wäre. Auch die Sache mit den völlig neuen Charakteren ist mir wichtig, da ich es noch immer als großen Fehler betrachte, dass die Reboot-Filme sich mit neu gecasteten und fast durch die Bank verschlimmbesserten klassischen Figuren beschäftigt, die wir längst kennen, ohne etwas wirklich Neues auf den Tisch zu bringen.


@Keaton: Was für ein schöner, treffender Vergleich *g*