Ich würde hier ebenfalls mit "Jein" antworten, die Einschränkungen allerdings nicht in puncto "Sex", sondern ebenfalls bei der "Szenen"-Begrifflichkeit machen. Wenn ich den Satz gedanklich in Bilder umdichte - wozu mich der Ausdruck "Szene" ja verführt -, bin ich mir nicht sicher, ob ich lediglich ein Foto, eine Abfolge von Fotos oder tatsächliches Bewegtbild sehe, alle drei Varianten scheinen mir möglich. Selbst wenn es sich aber um Bewegtbild handelte - und ich verwende hier film-wissenschaftliche Analogien - wäre meine Definition eher "Sequenz", im Sinne einer ruhigeren, nur sanft oder leicht beweglichen Einstellung. Für eine ganze "Szene" fehlen mir doch die - geschnitten wirkenden - unterschiedlichen Justierung innerhalb des "Films".
tl;dr - Bewegtbild-Sex oder Sex-Sequenz ja, Sex-Szene eher nein.
Ansonsten ist das ganze ohnehin ein furchtbar interessantes Thema, auch wenn es mir jetzt schwer fällt, mitten in der Diskussion einen Ansatz zu finden. Ich werde einfach bestimmte Zitate nehmen und mich von diesen aus selbstständig bewegen, dabei vermutlich auch verlieren. ^^
Sex als Genre - davon ausgehend, dass es allein stehendes Genre ist und nicht innerhalb eine Genre-Verbindung existiert - hat für mich keinerlei Reiz. Das kann ich nicht näher erläutern, es ist einfach so. Jede erzählte Geschichte, die mich in irgendeiner Art und Weise unterhalten soll, muss eine Triebfeder haben. Sex oder Erotik reicht für mich als Triebfeder nicht aus. Objektiv hat Sex als Genre wahrscheinlich eine Daseinsberechtigung, auch wenn sie mir nicht ganz nachvollziehbar erscheint. Um an dieser Stelle Daens Vergleich zu verwenden...
Ähnlich sehe ich das auch, was mich vor die Frage stellt, ob ich Sex als Genre überhaupt "ernst" oder wahrnehmen kann. Wenn ich beispielsweise einen intensiven Shootout literarisch darstellen möchte, ist die gesamte Geschichte nicht dem Genre "Shootout" zuzuordnen, da es sich dabei lediglich um einen Bestandteil von Genres wie bspw "Action" oder "Western" handelt. Eine Sexszene oder auf andere Art und Weise schriftlich dargebotene Erotik ist für mich genau so wenig Genre, sondern eben Bestandteil von oder Stilmittel innerhalb von einer Geschichte, deren Genre zB "Liebe" (romantische, innige Sexszene), "Krimi" (Rape oÄ) oder sonstwas ist.
Möglicherweise vernachlässige ich beim Verfolgen dieses Gedankenganges, dass auch Erotik Triebfeder und füllendes Thema einer ganzen Geschichte sein kann. Ich für meinen Teil habe aber bislang noch keine Geschichte gelesen (oder gesehen), in der dies für mich der Fall war.
Das wiederum ist natürlich wesentlich schwieriger zu beantworten.
Ich könnte mich nun ewig mit der Frage auseinandersetzen, was eine gute Sexszene ausmacht. Einige Punkte wurden im Laufe der hier stattfindenden Diskussion ja auch genannt:
- Sie soll angemessen beschrieben sein. Alberne Metaphern, Analogien, bildhafte Vergleiche und Co. zerstören die Erotik und auch den Flow, wenn nach jedem dritten Wort eine dreißigsekündige Denkpause folgt, in der man überlegt, was der Autor mit der jeweiligen Textstelle hat ausdrücken wollen.
- Sie soll nicht mit dem Schreibstil des restlichen Buches brechen (es sei denn, dieser Stilbruch ist intentioniert)
- Sie soll kein Selbstzweck sein
- Sie soll mehr als nur Stilmittel sein
- uvm
Da erscheinen einige Punkte wichtiger, während andere vernachlässigbar wirken. Ich zum Beispiel finde Sex in der Kunst als Selbstzweck ganz fürchterlich und ärgere mich jedes Mal tierisch. Das geht soweit, dass ich schon fast aus Prinzip dazu neige, das Lesen eines Werkes abzubrechen, obwohl es mir ansonsten doch gefallen hat. Was wiederum ein intentionierter und was ein dilettantisch verursachter Stilbruch ist, weiß oft wohl nicht mal der Autor selbst. Und sämtliche Szenen sowohl dem Gesamtwerk der Geschichte als Stilmittel unterzuordnen und gleichzeitig auch für sich selbst stehen zu lassen, ist ohnehin die Mammut-Aufgabe eines jeden Texters, egal ob in Bezug auf Sex oder jedes andere Element.
Nun habe ich mit dem Thema als Lesender nur vage Erfahrungen, als Schreiberling doch mehr und vor allem bewusster.
Ich oute mich; ich spiele mit einer Freundin / Bekannten hin und wieder Chat-Rollenspiele, bei denen sie in die Rolle einer Protagonistin und ich in die Rolle eines Protagonisten schlüpft. Diese Hauptcharaktere streifen gemeinsam an einem losen von uns festgelegten Plot entlang durch eine von uns entworfene Welt, die sich an unterschiedlichste Genres (Endzeit, Sci-Fi, Superheroes) orientiert und dabei sowohl mit Genre-Klischees arbeitet als auch eigene Ideen einbringt. Vorkommende "NPCs" werden aufgeteilt oder gemeinsam gespielt. Die Idee ist, sich innerhalb dieser Welten nach beidseitiger Lust und Laune austoben zu können und eine angenehme Mischung aus kohärent erzählter Geschichte und Spaß im Moment zu erleben. Ich komme langsam zum Punkt: Die Charaktere erleben dabei - je nach Art der gebauten Welt und Geschichte - von Alltagssituationen bis zu Ausnahmesituationen alles.
Die essentiellen Phasen innerhalb der erzählten Geschichte werden logischerweise ausgespielt, wobei es völlig uns und dem Moment obliegt, was wir denn als akut essenziell betrachten. Jetzt bin ich da, wo ich sein sollte: Sofern wir beide Interesse daran haben und die Situation innerhalb des Plots es gerade erlaubt (also kein: "I'm SO sorry, that your brother died getting bit by that zombie still staring at us... wanna have some fun?"), gibt es auch detailliert ausgespielte Sex-Szenen. In diesem Fall liegt der Fokus gerade beim ersten (erotischen) Kontakt der Charaktere auf der Entwicklung, Alternierung und Förderung einer Beziehung, bestimmten Aspekten der gegenseitigen Vertrauensverhältnisse und anderen gesamtgeschichtlich relevanten Dingen, ABER natürlich auch und vor allem (who am I kidding?) um den Moment und die - teils unschuldige, teils nicht unschuldige - Lust am gemeinsamen Erleben der Erotik. In diesem Fall ist der Sex das, was er meiner Meinung nach in der Literatur eigentlich nicht sein sollte, was ich aber in diesem speziellen Fall wiederum in Ordnung finde, da ich mich während des Spielens nicht als Schriftsteller, sondern eher als Schauspieler fühle und die gespielten Szenen nicht den Zweck erfüllen sollen, irgendwann von irgendwem gelesen zu werden, sondern lediglich den eskapistischen Gedanken des Eintauchens in eine andere Welt vollenden.
Von da aus kann ich weiter gehen: Inzwischen haben wir nicht mehr nur eine grundsätzliche Begabung zum kreativen Schreiben, sondern ebenfalls einiges an Erfahrung, was das Ausspielen solcher Stellen angeht. Eigentlich klappt es gut, trotzdem erwische ich mich immer wieder dabei, dass es mir an Tagen, an denen das schwarze Loch meine Kreativität aufsaugt, schwer fällt, niedergeschriebenen Sex meinen eigenen Vorstellungen entsprechend gut, realistisch, sexy und ansprechend auszuformulieren, was ich zum Teil - Cipo hat das hier irgendwo angesprochen - darauf schiebe:
Das empfinde ich tatsächlich als ein großes Problem insbesondere der deutschen - aber auch zum Teil der englischen - Sprache, auch wenn Cipo Recht hat, wenn er sagt:
Sehe ich auch so, dennoch machen diverse Aussparungen im Erotik-Vokabular beider Sprachen - Deutsch mehr, Englisch weniger - einem Autor von Sex-Texten das Leben schwer. Leidenschaftliche, härtere, schmutzigere Szenen brauchen einen "Schwanz", während es nur um die "Erregung" geht, wenn es inniger, sanfter, romantischer zugeht. Und damit habe ich dann auch fast schon mein gesamtes Wissen über die verschiedenen Bezeichnungen des männlichen Geschlechtsteils abgegeben. Klar gibt es "Glied", "Penis" und Co, aber ich bin verdammt nochmal ein sehr infantiler, noch nicht ganz 24-jähriger Nerd, der blöd zu kichern anfängt, wenn er eben "Glied" oder "Penis" hört. Ich erinnere mich da gerne zurück an eine längst vergangene Zeit in der fünften oder sechsten Klasse, in der wir im Biologieunterricht eine ganze Schulstunde lang Begriffe für Penis und Scheide an die Tafel schrieben und selbst nach dem Pausenklingeln noch nicht fertig waren. Das war wirklich beeindruckend, es gab sicher bis zu 50 verschiedene Begriffe für die Private Parts von Mann und Frau, aber der deutlich überwiegende Großteil bestand eben nicht aus "Rawr"-, sondern aus "OLOLOLOLOL"-Begriffen.
Das selbe Problem gibt es im Übrigen auch, wenn es um die weibliche Brust geht. Ich finde Nippel super, aber das Wort "Nippel" möchte sich in meinen Ohren einfach nicht sinnlich anhören. Alternativen? Warze? Alter, ich möchte nicht an Warzen denken, wenn es um Nippel geht. Wer sich diese Begrifflichkeit ausgedacht hat, dem gehört 50 Shades of Grey vorgelesen - nein, ich möchte schöne, sinnliche oder wenigstens "geil" versaute Begriffe für das, was ich sinnlich oder geil versaut finde. "Knospe" ist da noch das einzige, was mich anspricht, aber wenn ich mehr Zeit an der "Knospe" verbringen will, wiederholt sich die "Knospe". Und ich bekomme Warzen vor Ärger über meinen eigenen grausigen Schreibstil.
Fazit: Es gibt so viele unterschiedliche Formen von Sex. Spontanen, ungezwungenen Sex, sehnsuchtsvollen Sex, verzweifelten Sex, schmutzigen Sex, Schmusesex, Sex, der Ecken und Kanten hat (© by Itaju) und so viel mehr. Aber es gibt so wenig Begriffe, um diese breite Spanne an Sex abzudecken. So bleibt einem schließlich fast nur, diese Dinge zu umschreiben. Und dann wirft man sich vor, man würde nicht direkt genug sein, nicht so prägnant schreiben, wie im Rest des Werks der Fall. Im Casual-Chat-Rollenspiel ist das zu verkraften, doch wenn ich mich auch innerhalb eines Romans mit gewünscht expliziten Szenen auseinandersetzen möchte, stoße ich in jedem Fall auf literarische Schwierigkeiten, die mir weder die nächste Actionszene, noch das geschwisterliche Heart-to-heart, noch irgendwas anderes in der Form bereitet.
PS: Ich halte deinen text, Itaju, im Gegensatz zu Daen auch für eine Sexszene, wenn sie natürlich auch nicht explizit ist. Und sie gefällt als Auszug, definitiv (auch wenn der Gesamtkontext natürlich fehlt).