Ich sehe das zwiegespalten: Einerseits, um es mit Daens Worten zu sagen, mag ich Sexszenen, andererseits, um es mit Gendreks Worten zu sagen, gibt es viel, was sie für mich umgehend versauen kann. Gute Beispiele von FAIL sind für mich "Sex as reward" (ich sag nur The Witcher für PC, oder eben auch das, was Sykes beschreibt), inhaltsloser (!) Sex in einem Text, der sich sonst auf die Handlung fokussiert (man merkt schon, wenn der Autor einfach mal Sex beschreiben wollte), inhaltsschwerer Sex, der den Mittelweg zwischen "zu inhaltsschwer" und "zu viel Sex" nicht gebacken kriegt, und ohne Konkurrenz ganz vorn mit dabei, ein Bruch im Schreibstil. Wer ein ganzes Buch nüchtern angeht und dann plötzlich zu "sein pulsierender Schwanz" übergeht, macht imho eindeutig was falsch (und seltsamerweise, hab ich den Eindruck, passiert das ziemlich oft - jemand meinte mal, wir hätten kein ausreichend normatives Vokabular für Sex). Das hat natürlich nichts mit den Dialogen und ähnlichem zu tun; die Charaktere können so oft "FICK MICH DU ••••!" schreien, wie sie wollen, aber der Erzähler sollte konsistent bleiben.
Gendreks Punkt - die Frage, ob die Zielgruppe das will - ist echt gut, und geht glaub ich auch die Frage an, warum Sexszenen für viele Leute so schnell schiefgehen können. Das ist schließlich auch bei allen anderen Aspekten der Literatur interessant, aber bei Sex kommt eben dieses Intime, "peinliche" dazu. Sykes hat es sehr gut zusammengefasst:
Ich finde, das gilt tatsächlich nicht nur für Sex. Eine besonders emotionale Szene (etwa eine Aussprache mit den Eltern) kann denselben Effekt haben, ebenso schön wie "peinlich" zu sein, und wird nicht zuletzt deshalb oft mit einem Witz oder einer Unterbrechung beendet, einfach, um die Spannung wieder abzubauen.Zitat von Sam Sykes
Das heißt als Konsequenz: Wenn der Leser eine solche Szene nicht will, sei es jetzt Sex oder was anderweitig Intimes, kann das ernsthaft störend sein, ebenso wie eine Sexszene, die einem nicht gefällt. Ich finde aber, dass einen das, sofern man nicht ganz bewusst Hardcore-Sellout-Mainstream-Literatur schreibt, auf keinen Fall davon abhalten sollte, entsprechende Szenen einzubauen, sofern sie denn passen. Gute Literatur ist imho immer auch irgendwie aufrüttelnd, verwirrend, irgendwo subversiv, und da gehört sowas auch dazu. Ganz davon abgesehen, dass man es eh nicht jedem recht machen kann (speziell bei so einem Ding).
Auch interessant ist in dem Kontext Schattenläufers Kommentar zur Jugendliteratur, der imho einfach mal stimmt: Ich weiß noch genau, wie einerseits anziehend, andererseits aber auch abstoßend ich entsprechende Darstellungen immer fand. ^^ Die Szenen sind insofern oftmals "gut", dass sie sehr genau wissen, was sie tun - niemand schreibt Pornographie für Kinder, und bei bewusster Jugendliteratur (ich denke mal, hier ist nicht zuletzt "Bildungsliteratur" gemeint) gibt es auch immer entsprechende Hintergrundgedanken.
Ist aber auch ne dünne Linie.Zitat von Gendrek
Weil, wenn der Sex nicht zum Inhalt beiträgt (heißt, Konsequenzen & Charakterisierung), was bleibt dann noch außer dem Schauwert? Gegen den ich übrigens nicht habe; Sex funktioniert bekanntlich nicht nur bei kleinen Nerds.
Vielleicht ist es auch einfach ein kleiner Widerspruch, der sich nicht ganz auflösen lässt.
Zu vage vs. ausformuliert: Kommt drauf an. Wenn in einem Buch allgemein viel ausformuliert und ausgiebig beschrieben wird, kann (oder sollte?) man das auch bei Sex tun. Wenn das Buch auch sonst vage und fokussiert ist, kann eine detaillierte Sexszene total fehl am Platz sein. Das ist auch das, was ich oben mit "Sex in einem Text, der sich sonst auf die Handlung fokussiert" meinte - es muss eben passen. Ach ja, und wenn man bewusst einen Erotikaspekt haben will (und der auch zum Rest des Buchs passt), kann man sich natürlich austoben.
Noch ein Kommentar zum Schreibstil: Das "Lächerliche" an vielen "Schundheften" ist glaub ich immer der Versuch, die Einschränkungen der Konvention, der Moral hinter sich zu lassen. Und weil es immer so überdeutlich ist, wenn es jemand ein ganzes Buch lang versucht, dem Leser (der das Buch genau deshalb gekauft hat) klarzumachen, dass er nicht bloß hingabevoll etwas versucht, kann das fast nur schiefgehen.
@Owly: Ja, man muss bei Sykes' Text etwas Transferleistung betreiben, wobei gerade dieser Genreblick auch irgendwo interessant ist.
Mir ist auf Anhieb keiner eingefallen, aber ich hab keinen Zweifel, dass es in jüngerer Zeit da mehr als genug gibt. Schnitzler hat ein paar Sachen, die zwar nicht explizit werden, aber 100 Seiten lang um das Explizite herumtänzeln.Zitat von Schattenläufer
Allgemein wäre die Decadénce wohl ein guter Startpunkt, wenn man sowas sucht. Die mochten ja "ekligen Kram", hat mir die Uni beigebracht. ^^ Wenn du Coelho schon als Klassiker zählst - der hat auch einiges.