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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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„Wie siehst Du denn aus?“, begrüßte sie Farkas zusammen mit einem Schwall warmer, im Vergleich zu draußen trockener Luft, und lachte gleich darauf lautstark los.
„Amüsiere Dich ruhig, nur zu“, gab Vesa zurück und kratzte sich etwas Dreck unter der Nase weg. Die dunklen, fast Schwarz erscheinenden Krümel unter ihrem Fingernagel verrieten, dass es noch Reste des Blutes waren, das noch kurz zuvor dort herausgetropft war.
„Was ist passiert?“, hakte der große, grauäugige Nord nach und kam ein paar Schritte auf sie zu. Eigentlich wollte er sich wohl gerade an die lange Tafel setzen, um ein spärliches Mittagessen aus Brot und Wurst zu sich zu nehmen, aber der dreckstarrende Anblick der Kaiserlichen musste wohl doch interessanter sein. Ihre leichten, knöchelhohen Lederstiefel waren völlig durchgeweicht und in mattes Braun gehüllt, an ihren Beinen zeichneten sich nur vereinzelt die Bahnen einiger Wassertropfen im Dreck ab, weil dort ihre Haut zum Vorschein kam. Farblich gab es keinen Unterschied mehr zwischen Gürtel und Tunika und die Haare verklumpten zu einer schweren, nassen Decke auf ihren Schultern. Die Blutreste in ihrem Gesicht und dort, wo die Tropfen sie weiter unten getroffen hatten, trugen wohl nicht gerade zu ihrem guten Aussehen bei.
„Skjor hat mich verhauen“, erklärte sie. Farkas lachte schallend, dass einige einfache Mitglieder der Gefährten, die im Halbdunkel auf der anderen Seite der Halle saßen, aufblickten.
„Komm, gib mir die da“, er zeigte auf die drei Holzschwerter und den Rundschild, „und geh zu Tilma. Die kann Dir bestimmt helfen mit Deinem … Aussehen.“
„Danke.“ Sie reichte ihm die Übungswaffen.
„Habe ich meinen Namen gehört?“ Die hagere, alte Nord rührte inzwischen wieder in einem Kessel über dem offenen Feuer am langen Ende der Halle. Vesana ging zu ihr hinüber.
„Ja. Haben wir noch irgendwo einen Bottich?“
„Wieso?“ Erst danach schaute sie wirklich auf, als eine Kanne Fleischbrühe im Topf gelandet war. „Ach herrje.“ Sie nahm eine Hand vor den Mund und stemmte die andere in die Hüfte. „Da wirst Du aber mehr als eine Wanne brauchen!“ Tilma verkniff sich ein Lachen, konnte aber nicht die tiefen Furchen um ihre Augen verbergen, die ihre Belustigung verkündeten. Vesa blieb neben dem Feuer stehen und wärmte ihre Glieder an den gierig um den Kessel züngelnden Flammen.
„Es muss kein heißes Wasser sein, Tilma, Hauptsache ich werde sauber.“
„Wenn Du nicht warten willst, bis alles festgetrocknet ist, bleibt Dir auch nichts anderes übrig, als kalt zu baden“, erwiderte die Alte mit dem faltigen, eingefallenen Gesicht. „Ich lass Dir einen Zuber ein. Der Eintopf braucht jetzt eh erst einmal Ruhe.“
„Danke. Ich hol‘ derweil einige Sachen zum Wechseln.“ Die Kaiserliche wollte sich zum Gehen wenden, aber die gute Hausmutter der Gefährten hielt sie auf.
„Hier oben steht noch Dein Tornister, das wollte ich Dir gestern schon sagen. Deine Kleidung ist gewaschen.“
„Ah, danke.“ Kurzerhand ließ sie sich von der Nord ihr Gepäck zeigen und brachte es im Anschluss nach unten. Dort angekommen hielt sie sich so weit wie möglich von ihrem Bett fern, um es nicht zu verdrecken und kippte den Inhalt des Felleisens auf den Boden. Bevor sie sich jedoch ein frisches Oberteil nehmen konnte, klopfte es an der nicht völlig geschlossenen Tür. Die Kaiserliche drehte sich um und entdeckte Aela. „Ja?“
„Wie wäre es, wenn wir nachher noch aufbrechen und die Tage um Vollmond außerhalb von Weißlauf verbringen?“ Wenn sie sich über den Anblick Vesanas wunderte, so ließ es sich die Nord nicht anmerken.
„Klingt gut. Lass mich nur schnell ein kurzes Bad nehmen und dann packe ich einige Sachen zusammen.“
„In Ordnung, nimm Dir nicht zu viel Zeit, sonst kommen wir heute nicht mehr weit.“
„Ich beeil mich.“ Nickend verschwand Aela wieder und Vesa griff sich kurzerhand eine andere, beige Tunika mit kurzen Ärmeln und stapfte zurück nach oben. In der Kammer hinter der Feuerstelle hatte Tilma bereits Wasser in einen Bottich gekippt. Schnell schloss die Kaiserliche die Tür hinter sich, streifte die starr werdende Kleidung vom Leib und schlüpfte ins kühle Nass. Es war nicht richtig kalt, aber auch nicht gerade warm. Den noch nicht wieder warm gewordenen Füßen und Beinen gefiel dies natürlich nicht gerade, aber es half nichts. Bereits nach wenigen Augenblicken zitternd winkelte Vesana die Beine an und rutschte mit dem Kopf unter die im Licht der nahen Kerzenlaternen glitzernde Oberfläche des Wassers.
Sofort legte es sich schützend auf ihre Ohren, blendete die platschenden Geräusche ihrer Bewegungen aus und überließ sie ihrem eigenen Herzschlag. Die Augen geschlossen massierte sie kurz die Schläfen und entwirrte anschließend ihr Haar. Es dauerte nicht lange, da trieben ihr die lockeren Strähnen wieder um das Gesicht und kitzelten auf der nackten Haut von Brust bis Stirn. Sogar die Kälte schien für einen Moment verflogen und die Gedanken verloren sich in der dunklen Stille. Ab und an entließ sie etwas Luft, um den Druck auf ihren Lungen zu reduzieren und noch einen Moment länger auszuharren.
Letztlich half jedoch auch das nicht mehr und Vesa sah sich gezwungen aufzutauchen. Tief Luft holend entspannte sie sich und streckte die Beine durch. Das kühle Nass schimmerte braun, als sie die Augen öffnete und an sich hinabschaute. Kraftvoll begann sie damit sich die Haut an den Gliedern abzureiben, um wenigstens den gröbsten Dreck loszuwerden. Wenigstens dauerte es nicht sehr lange und sie konnte nicht einmal mehr bis zum Grund des Bottichs sehen. Seufzend ließ sie sich zum Schluss zurücksinken, legte die Arme auf den Rand der Wanne, um nicht weiter unterzugehen und legte den Kopf in den Nacken. Die Haare hingen außerhalb und zogen schwer am Kopf. Leise tropfte das Wasser aus ihnen hinaus und wirkte wie ein Pendel vor den Augen.
Im Dämmerzustand mit nur halb geöffneten Augen, die gegen eine Wand aus groben, alten Holzplanken schauten, drifteten ihre Gedanken schnell ab. Abwesend befreite sie nun auch das Hirschkopfamulett vom Schmutz. Was hatte Kodlak gleich gesagt? „Es ist gewiss, dass er zurückkehren würde, wenn er es könnte. Reicht das nicht?“ Seine matte, raue Stimme hallte als Nebelecho in ihren Ohren wider. Wenn es doch nur so einfach wäre. Für gewöhnlich zweifelte sie nicht an dem Alten, aber es schien ihr nicht, als ob er die Tragweite völlig erfasste. Gut, es wäre ungerecht ihm das vorzuwerfen, immerhin wusste er auch bei Weitem nicht alles über sie, aber dennoch: Weise Sprüche halfen nicht. Darius war nicht nur einfach ihr Freund oder Geliebter gewesen. Für sie war er Familie. Ein Wort, das ihr gleichermaßen einen Stich ins Herz versetzte, wie es dieses zum Rasen brachte. Nach langen Jahren, die sie allein gewesen war – besser sich allein gefühlt hatte, denn daran hatte auch die Kämpfergilde in Bruma nichts ändern können – hatte er ihr das Gefühl gegeben, wieder einen Platz in der Welt zu haben. Natürlich war die Beziehung zu den Gefährten generell besser und intensiver, als zur Kämpfergilde, allerdings handelte es sich eher um enge Freunde. Aber ohne Darius … Ohne ihn war sie ein Niemand. Ein Kiesel in einem reißenden Fluss. Blind und orientierungslos. Wie konnte sie ihn also einfach loslassen? Oder gar vergessen? Was wäre das bloß für ein Verrat an ihm, so etwas zu tun?
Erst jetzt bemerkte sie das heftige Zittern ihres Oberkörpers und das Beben ihrer Lippen. Die Zehen taub und die Finger eiskalt. Das Unwohlsein im Bauch, wie als würde sie fallen, und der leichte Kopf, als hätte sie zu viel Wein getrunken, ließen Vesa jedoch daran zweifeln, ob das kühle Wasser Schuld an ihrem Zustand war. Trotzdem raffte sie sich auf, so schwer es ihr auch fiel. Sie wollte nicht schon wieder anfangen zu weinen, sich nicht wieder in Erinnerungen an Momente verlieren, die wohl nie wieder kommen würden. Mühsam hievte sie sich aus der Wanne und rutschte fast noch auf dem Steinboden aus mit ihren nassen Füßen.
Trotz ihrer Bemühungen mit hängenden Schultern und eingetrübtem Blick durchquerte sie den kleinen Raum und nahm sich das von Tilma zurechtgelegte Wolltuch. Die Bewegungen der Kaiserlichen verliefen wie in Zeitlupe vor ihren Augen, als sie sich nach und nach trockenrieb. Hin und her gerissen zwischen dem zentnerschweren Gefühl der Schuld und der Verantwortung und dem Wunsch es abzustreifen fiel es ihr schwer sich auch nur auf derart banale Handlungen zu konzentrieren. Der Wunsch, Darius nachzuspüren, zehrte immer an ihr. Das Gefühl, er könne noch am Leben sein. Und doch war es wohl nicht viel mehr als reines hoffnungsvolles, vergebliches Denken. Das erste Mal war er nur durch Zufall wieder aus den Fängen der Silbernen Hand freigekommen, noch dazu einer besonders militanten und aggressiven Zelle dieses Haufens räudiger Köter. Sein Glück zweimal herauszufordern musste wohl zwangsläufig in einem Fiasko enden.
Wütend grollend schlug Vesana die Faust gegen die nahe Wand. „Scheiße!“ Ruckartig zog sie die Hand zurück, rieb über die schmerzend pochenden Knöchel und ließ das Wolltuch fallen. Stille Perlen aus salzigem Wasser tropften ihr auf die Lippen. An sich konnte sie es dem sturen Kaiserlichen nicht einmal verübeln, dass er dieses Himmelfahrtskommando auf sich genommen hatte. Es ging schließlich um genau das, was sie verbunden hatte: Familie – oder besser das Nicht-mehr-Vorhandensein ihrer Familien. Sein Bruder, der einzige der von Darius Fleisch und Blut neben ihm selbst übrig war, gefangen von genau denen, die seine Familie in den Abgrund getrieben hatten. Wäre es um ihre Schwester gegangen, sie hätte genau wie Darius gehandelt – nur dass es wohl noch unwahrscheinlicher war, dass sie jemals wieder etwas von ihrer Schwester hören, geschweige denn sie sehen würde, als dass Darius plötzlich doch noch auf der Türschwelle stand. Und von ihrem Vater wollte sie gewiss nichts mehr hören. Er hatte den Rang eines Familienmitglieds vor vielen Jahren verwirkt und mochte von ihr aus in den tiefsten Höllen der daedrischen Ebenen verrotten und vergammeln, bis er schwarz wurde.
Völlig geistesabwesend war die Jägerin inzwischen über ihrem Handtuch zusammengesunken und lehnte an der Wand. Bei dem Gedanken an ihren leiblichen Vater spie sie aber unwillkürlich aus und schlug mit der Faust so kräftig gegen ihr eigenes Knie, dass es sich reflexartig durchstreckte und schmerzhaft knackte, während ihr der Zorn den Magen umdrehte und die Röte spürbar auf ihre Wangen trieb. Animalisch brummend trommelte sie mit den Fäusten gegen die Wand hinter sich bis ihnen jeglichen Gefühl entwich.
Nein, so konnte es nicht weitergehen. Noch von ihrer Wut angetrieben, stand Vesana auf und rieb sich trotzig die Haare trocken, während sie zu ihrer frischen Tunika lief. Sie konnte nicht ständig einen Nervenzusammenbruch erleiden, nur weil sie an Darius dachte. Wo sollte das noch hinführen? Sie konnte sich unmöglich die Blöße geben und aus Versehen von einem der anderen Mitglieder der Gefährten, oder schlimmer: Dem Auszubildenden, bei ihrem Trauerspiel beobachtet werden.
Barfuß, nur in die beige, einfache Tunika gehüllt, und die Haare mit dem Wolltuch verschlungen, verließ sie die Kammer und kehrte in die Haupthalle der Gefährten zurück. Tilma rührte im Topf herum und schaute zu ihr auf. „So siehst Du schon besser aus!“ Auch wenn sie sich nicht entsprechend fühlte, schenkte ihr die Kaiserliche ein zaghaftes Lächeln.
„Ich habe die schmutzige Wäsche direkt mit bei dem Zuber gelassen“, erklärte Vesa und räusperte sich im Anschluss. Ihre Stimme klang rau und etwas brüchig. Die alte Nord nickte und ließ sie nach unten gehen. Es wurde Zeit, sich aufbruchsfertig zu machen.
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Geändert von Bahaar (28.03.2014 um 14:57 Uhr)
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