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Provinzheld
Solstheim, südwestliches Inland
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Am nächsten Tag machte Vesana im sprichwörtlichen Sinne Meter. Sie kam gut voran. Nachdem sie noch einigen Proviant der Plünderer eingepackt und sich ihr Gold in den eigenen Geldbeutel gesteckt hatte, war sie am frühen Morgen aufgebrochen und legte Meile um Meile zurück. Inzwischen durchbrauch auch öfter einmal Leben die graue Aschedecke. Fichten und Tannen ragten zwischen verkohlten und abgebrochenen Artgenossen in den Himmel, hüllten sich aber dennoch in ein farbloses Trauergewand. Tiere sah die Jägerin mit Ausnahme der immer wieder aus ihren Verstecken davonspringenden Aschehüpfern keine. Zeichen von ehemaliger Besiedlung schienen in diesen Gebieten, wenn sie jemals existiert hatten, völlig verschwunden zu sein.
Sie begnügte sich damit, ein wachsames Auge auf ihre Umgebung zu haben, damit etwas wie am Abend zuvor nicht noch einmal passierte. Mittlerweile glaubte sie aber auch geistig vollends auf der Insel angekommen zu sein, so dass sie sich in jedem Fall auf alles kommende vorbereitet fühlte. Ihre starken Zweifel über den Erfolg ihrer Expedition, die sie zu Beginn in Himmelsrand und auf der Überfahrt nach Rabenfels noch geplagt hatten, verschwanden allmählich. Zwar drifteten ihre Gedanken nach wie vor phasenweise unkontrolliert zu allen, die sie zurücklassen musste, aber der Abstand ließ es sie leichter ertragen. Auch das ihr entgegengebrachte Verständnis für die Notwendigkeit ihres Ausflugs seitens ihrer Freunde im Zirkel der Gefährten half. Und obwohl es sie nicht vergessen machte, so nahm es ihr doch eine Last von den Schultern, die viel schwerer wog, als das Gepäck. Das Versprechen der Wiederkehr würde sie ohnehin halten.
Sich straffend und die Gedanken mit einem Schütteln des Kopfes verwerfend, richtete sie den Blick wieder gerade aus. Dabei entdeckte sie etwas, das ihr Interesse weckte. Die Kaiserliche änderte ihre Laufrichtung und stapfte auf einen umgestürzten Baum zu. Über ihm lagen die in Leder gehüllten Beine eines Mannes, der Oberkörper fand sich rücklings direkt dahinter. Übel zugerichtet von Kopf bis Fuß erkannte ihn Vesa schnell als einen der beiden verbliebenen Plünderer vom vergangenen Abend. Der zweite lehnte unweit entfernt ähnlich malträtiert an einem Baum. Tiefe, unregelmäßig ausgefranste und an den Rändern verkohlte Schnittwunden zierten ihre Leiber. Die zahlreichen Bissspuren und herausgerissenen Fleischbrocken zeugten von ihren Schändern nach dem Tod, dessen süßsaurer Duft allgegenwärtig zu sein schien. Ein selbstgefälliges, zufriedenes Schmunzeln umspielte ihre Lippen, während sie gleichzeitig die Nase rümpfte – glücklicherweise war ihr Geruchssinn vom beißenden Rauch in der Luft bereits abgestumpft, so dass es sich leichter ertragen ließ. Sie wusste doch, dass die beiden nicht zurückkommen und nur noch für kurze Zeit in der Wildnis überleben würden. Gleichzeitig fühlte sich Vesana aber auch darin bestärkt zu keinem Zeitpunkt unter freiem Himmel übernachten zu wollen.
Sie hockte sich neben den am Baum lehnenden Nord. Seine linke Gesichtshälfte war aufgerissen und an der Braue bis auf den Schädel abgenagt. „Geschieht euch beiden schon ganz recht“, flüsterte sie. „Kein anderes Ende wäre euch würdig gewesen.“ Mit den freien Fingerkuppen strich sie einige der tiefen, breiten Schnitte an seinem Oberkörper entlang. Sie kannte keine Waffen, die derartiges Werk vollbrachten und tierische Krallenspuren sahen in der Regel anders aus, andererseits kannte sie sich auch nicht in der Aschewüste aus und hatte seit ihrer Ankunft auf der Insel schon so manche Kuriosität entdeckt. Einige Krümel des verkohlten Fleisches zwischen den Fingern zerreibend, kam sie aus der Hocke hoch. Fakt war jedenfalls, dass sie den Tätern nur ungern begegnen wollte.
Als sich die Jägerin abwandte, trat sie dem elendig gestorbenen Nord mit der Stiefelspitze gegen die Schulter und ließ ihn Gesicht voran in die Asche fallen. „Mögen eure Götter euch beide auf ewig verdammen.“ Mit diesen Worten setzte sie ihre Reise fort. Die Plünderer verdienten weder die Gnade der Götter, noch die ihre. Sollten sie verrotten und dem nächsten Aasfresser als Futter dienen.
Sie nutzte die Zeit unterwegs hin und wieder für einige Schwungübungen mit dem neuerworbenen Schwert. Nichts weiter anstrengendes, aber sie wollte ein besseres Gefühl für die Klinge bekommen. Noch immer fand sie dessen Eigenschaften interessant. Die schwere Spitze ermöglichte es, mit weniger eigener Kraft heftige Schläge auszuteilen. Gleichzeitig kostete es ungleich mehr Energie, die Waffe erst einmal hoch über den Kopf zu bekommen, so wie sie es bislang gewohnt war, weil der vordere Teil stärker nach unten zog und die Balance der Klinge vom Heft weiter nach vorn verschob. Dennoch wog das Schwert insgesamt in etwa genauso viel, wie ihr bisheriges. Ihr gefiel es. Durch das Übergewicht zur Spitze hin musste sie längere Schwünge führen. Wenn sie schnelle Schläge hintereinander folgen lassen wollte, musste sie gleichzeitig selbst dynamischer sein und stärker mit der Waffe gehen. Da sie das jedoch bereits tat, würde sie diesbezüglich keinerlei Schwierigkeiten haben. Das einzige, an das sie sich wohl erst noch gewöhnen musste, war die Tatsache, dass sie für minimalen Kraftaufwand ihre Schläge mit dieser Waffe möglichst von unten, oder zumindest immer auf Körperhöhe, beginnen musste und nicht mehr von oben über dem Kopf, wie bisher.
Nachdem sie den Gleichgewichtspunkt des gekrümmten Schwertes mit dem Widerhaken etwas über eine Handlänge vor der Parierstange an der Klinge gefunden hatte, verstaute sie diese schließlich wieder an der Seite ihres Felleisens. Bald darauf brauchte sie auch wieder beide Hände. Ein steiler Abhang, überzogen von Baumstämmen, Geröll und – wenig überraschend – Asche. Ein schmaler Pfad wand sich diese Bergflanke entlang hinauf zu einer höher gelegenen Ebene, wie es schien. Mit den Händen zusätzlichen Halt suchend, arbeitete sich Vesana schrittweise hinauf. Einige schief stehende Fichten bogen sich über die Kante am oberen Ende. Eine Windböe rüttelte an ihren Ästen und Zweigen, die darauf liegende Asche löste sich und trieb der Kaiserlichen entgegen, als sie sich gerade auf halber Höhe befand. Im letzten Moment wandte sie den Kopf ab und hielt sich die Hand vor die Augen.
„Verfluchte Asche!“ Entnervt stöhnte sie, als der Strom der grauen Flocken nachließ und sie wieder vorankam. „Zum Kotzen.“ Oben auf einer nur seicht ansteigenden Ebene angekommen, fand sie sich nun im ersten richtigen Wald wieder. Die Zahl der lebenden Pflanzen überstieg die der toten. Ein erfrischender Anblick, der verriet, dass die Jägerin ihrem Ziel näher kam. Zwar würde es trotz aller Fortschritte am heutigen Tag noch drei bis vier weitere brauchen, aber wenigstens ließ sie bald die Wüste hinter sich. Ein Gedanke, der ihr Kraft gab.
Dennoch würde Vesana ihre Wanderung in Kürze beenden müssen. Die Sonne hatte ihren Zenit längst überschritten und neigte sich dem Horizont zu. Wollte sie noch ausreichend Zeit haben, um eine Bleibe für die Nacht zu finden oder herzurichten, musste sie bald mit der Suche beginnen. In einem besonders felsigen Gebiet tat die Jägerin dann auch eben das. Ihren Tornister an einen markanten Stein lehnend, nutzte sie die gewonnene Leichtfüßigkeit und kletterte über einen umgestürzten Baum auf einen besonders hohen Felsbrocken. Von dort aus verschaffte sie sich einen kurzen Überblick. Mit geübten Augen suchte sie nach Vorsprüngen oder Hohlräumen unter Steinen oder gefallenen Bäumen. Auf eine weitere Hütte zu hoffen, das hatte ihr der letzte Abend ausgetrieben.
Eine vielversprechende Kombination aus totem Holz und einigen Brocken entdeckte sie unweit von sich entfernt. Mit schnellen, präzise gesetzten Schritten kehrte Vesa zu ihrem Gepäck zurück und begab sich zu der erspähten Stelle. Zwischen den Stämmen und Felsen formte sich eine kleine Kammer, die nur bei näherem Hinsehen wirklich zu bemerken war. Ideal, wie sie fand. Bis zur beginnenden Dunkelheit verbrachte sie ihre Zeit damit das Lager herzurichten. Asche musste herausgeschaufelt werden, die größten Lücken zwischen den Stämmen dichtete Vesana noch mit einigen Zweigen anderer Bäume ab und bedeckte sie mit dem aus dem Innenraum gewonnenen grauen Mehl. Zum Schluss rollte sie ihre Schlafunterlege aus, kroch hinein und versperrte mit dem Tornister den Eingang. Es gab gerade genug Platz, dass sich die Jägerin drehen und etwas hochbeugen konnte.
Die vorherige Nacht war bereits recht kühl gewesen, nun noch weiter oben und wesentlich schlechter geschützt, würde es wohl recht kalt werden. Sie stellte sich darauf ein und deckte sich zu. Mit dem Verschwinden des letzten Lichts stieg dann auch ein wenig Nervosität in ihr auf. Es sollte sich bald zeigen, ob ihre Wahl der Unterkunft gut und ihre Anpassungen an dieser ausreichend waren.
Als die ersten tierischen Geräusche und furchtgebietendes Schnaufen von draußen erklangen, legte die Jägerin eine Hand um den Griff ihres Dolches. Gleichzeitig zog sie die Decke gegen die hereinziehende Kälte weiter hoch, bedeckte teilweise den Kopf und das Gesicht. Letzteres rieb sie tiefer in das weiche Fell ihrer Unterlage und schützte es zusätzlich mit der freien Hand. Durch die angezogenen Beine machte sie sich möglichst klein. So zusammengerollt schloss die Kaiserliche schließlich die Augen und versuchte über die Geräusche von außerhalb hinweg trotzdem etwas Schlaf zu finden. Unruhig, angespannt und die Sinne auf Alarmbereitschaft geschaltet, wollte es ihr jedoch nicht gleich gelingen.
Dennoch machte sie sich bald keine größeren Sorgen mehr. Die Geräusche von zuvor verstummten allmählich oder drangen jetzt von weiter entfernt zu ihr. Mittlerweile schien es auch relativ eindeutig zu sein, dass es sich bei den Verursachern um keine ihr bekannten Tiere handelte. Eher glaubte sie, es mit Aschenbrut zu tun zu haben, wenngleich es sich dabei mehr nur um ein Bauchgefühl handelte. Letztlich trieb die Müdigkeit Vesana in die Arme des traumlosen, kaum erfrischenden Schlafes.
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Geändert von Bahaar (10.05.2013 um 19:00 Uhr)
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