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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Nur sehr langsam gelang es Vesana wieder klarer zu denken. Die Pein im Fuß hinterließ gleichzeitig eine merkwürdige Gefühllosigkeit, die sie alles unterhalb des Knöchels nicht mehr spüren ließ. Ein Umstand, der es ihr erleichterte, das Glied zu Bewegen, solange die Erschütterungen gering blieben. Vorsichtig schob sie sich in eine sitzende Position hoch und lehnte sich gegen die eiskalte, klamme Wand hinter ihr. Mühsam hievte sie ihr Felleisen über die Beine und legte es anschließend unter das linke, um es angewinkelt etwas höher zu lagern. Jede Bewegung kostete sie erhebliche Überwindung. Noch immer von zittriger Panik erfüllt, fürchtete sich ihr Körper vor neuerlichen Schmerzenswogen – es schien, als wolle er ihr nicht völlig gehorchen, ließ sie träge werden.
Tief durchatmend, die Augen geschlossen und die Finger in die Jacke auf dem Bauch gekrallt, ruhte sie sich einen Moment lang aus. Sie zwang sich durch die Nase zu atmen, auch wenn sie noch immer schlechter Luft bekam und versuchte so ihr rasendes Herz und das Zittern in den Griff zu bekommen. Nicht nur der Schmerz machte ihr inzwischen zu schaffen. Je länger sie in diesem dunklen Loch hockte, wissend dass über ihr die Nacht hereinbrach, desto unruhiger wurde sie. Es war nicht, dass sie allein war, als vielmehr wo sie war und dass es keine Möglichkeit gab, sich selbst zu befreien. Auch wenn sie nicht am Fuß verletzt gewesen wäre, Vesa zweifelte an ihrer Fähigkeit hinausklettern zu können. Das rutschige Erdreich und die schmierigen Wurzeln boten kaum Halt und vermutlich würde sie einfach nur wieder hinunterfallen. Ohne Hilfe saß sie fest, einen anderen Weg durch die dunklen Gänge des Grabes zu suchen, kam nicht in Frage.
Bevor sie noch weiter in die Dunkelheit ihrer Lider starren und ihre eigenen Atemzüge vielfach widerhallend als fernes, bedrohliches Echo eines im Dunkeln liegenden Beobachters zu ihr zurückfallen konnte, öffnete sie lieber die Augen. Schnell einen Blick in alle Richtungen werfend musste sie aber feststellen, dass ihr ihre Sinne einfach nur Streiche spielten und das Rasseln in der zunehmend kühler erscheinenden, feuchten Luft einzig und allein ihren Lungen entsprang.
Wütend auf sich selbst, wischte die Kaiserliche ruppig das angetrocknete Salz von ihren Wangen und machte sich anschließend an ihrem Tornister zu schaffen. Nach kurzem, vorsichtigem Kramen zerrte sie einen der Verbände und eine Schatulle mit ihrer Heilsalbe hervor. Immerhin dafür fand sie wieder den Mut, auch wenn sie sich ansonsten am liebsten gar nicht mehr bewegt und zu atmen aufgehört hätte, damit keine Geräusche zu ihr zurückfallen konnten, die ihr Dinge vorgaukelten, die es nicht gab. Aber es half nichts. Sie musste sich erst einmal versorgen, bevor sie zur Ruhe kommen konnte. Wieder einen der Pfeile zwischen die Zähne geklemmt, begann die Jägerin damit ihre Salbe dick auf das fast schwarz unterlaufene Gewebe und darum herum aufzutragen. Ihr Heulen brach sich am Holzschafft und hallte nur als klägliches Wimmern durch den Tunnel, kam aber als finsteres Säuseln und Flüstern mit einiger Verzögerung zu ihr zurück.
Sie versuchte die eiskalten Schauer zu ignorieren, die ihr von der Schädelbasis bis zum Steiß den Rücken hinabrannen, aber das reflexartige Schütteln, das ihren Leib erfasste, machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Mühsam und in kleinen Schritten trug sie mehr von der Creme auf, bis irgendwann die halbe Schatulle auf ihrer Haut klebte und bereits einzuziehen begann. Für einen Moment ließ sie dies an der Luft geschehen, während sie die kleine Metallkiste zurück in ihr Felleisen packte. Danach begann sie damit den Verband abzurollen und ihn abwechselnd für besseren Halt um Knöchel und Mittelfuß zu wickeln. Es dauerte nicht lange, bis die schmerzlindernde Wirkung der Salbe eintrat und sich Vesana tatsächlich endlich etwas zu entspannen begann. Zwar fühlte sie sich noch immer wie eine Bogensehne, aber immerhin nicht mehr wie eine zum Schuss gespannte. Auch die panische Unruhe ließ wenigstens zeitweilig nach, während sie vorerst die Gedanken an ihre Umgebung verdrängte und die angenehme, heilende Wärme an ihrem Fuß genoss. Solange sie diesen still hielt, mochte das Gefühl vielleicht anhalten, aber erst einmal musste sie noch ihren Stiefel wieder darüber stülpen, sonst wären am nächsten Morgen auch die Zehen blau, obwohl sie sie nicht verletzt hatte.
Als auch das geschafft war, rutschte die Kaiserliche an den Fuß des Trümmerhaufens zum glatt gehauenen Steinboden hinunter und breitete im Sitzen ihre Schlafunterlage aus. So gegen den kalten, feuchten Boden abgeschirmt mochte sie zwar dennoch nicht gleich Schlaf finden, aber wenigstens etwas komfortabler sitzen oder liegen. Bequem platziert ließ es sich besser heilen. Ihre Anspannung wollte jedoch trotz dessen nicht weichen. Das tropfende Wasser halte lauter durch den Tunnel, der widerwärtig feuchte Modergeruch, der wie ein schweres Leichentuch zwischen den moosbewachsenen Steinen hing, schien stärker zu werden und zu allem Überfluss mischte sich noch die süße Note von Verwesung hinzu, die schon seit Jahrhunderten gefangen vom Fels hier festzustecken schien.
Zeit schien hier ohnehin keine Rolle mehr zu spielen. Die Dunkelheit begrüßte sie trotz der Laterne wie ein alter Freund in langer Umarmung, hielt sie fest und wollte sie nicht wieder freigeben. Wäre es doch wenigstens wirklich ein alter Freund gewesen. Das unangenehme Gefühl der Einsamkeit, das von dieser Umarmung ausging, ließ sie sich schütteln. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf und während sich ihr Magen in Schwerelosigkeit umdrehte, lauschte sie erneut in ihre Umgebung.
Nichts. Nur das seichte Säuseln eines schwachen Luftzuges, der von oben durch das Loch in den Gang hinabzuzog, die Fäulnis aufwirbelte und ihr penetranter in die Nase trieb. Von der plötzlichen Intensität des Geruchs, der ihr schwungvoll zugetragen wurde, überrumpelt, musste sie einen Moment lang würgen bis der Kloß in ihrem Hals wieder verschwand. „Verfluchte Scheiße“, zischte sie in die Finsternis und bereute es, als ihre Worte verzerrt zu einem leisen Krächzen zu ihr zurückkehrten.
Wie sollte sie ganze drei Tage hier ausharren, wenn sie schon jetzt begann, den Verstand zu verlieren? Jeder ihrer Atemzüge kam mit vielfachem Echo zurück, vom Grab und den hier hausenden Geistern zu einem kränklichen Ton des Todes verfälscht. Sie fühlte sich beobachtet und war doch allein mit sich selbst, als würden ihre eigenen Gedanken frei in der Luft schweben, bereit wie hungrige Wölfe sie anzufallen.
„Aela, beeil Dich“, flüsterte Vesa zu sich selbst. Mehr als zuvor ohnehin schon stellte die rothaarige Nord in diesem Moment das einzige Fünkchen Hoffnung dar, an das sich die Kaiserliche zu klammern vermochte. Klein und rutschig wie ein Stück Treibgut bot sie nur in Momenten der Ruhe Halt, in denen Vesana mit sich selbst beschäftigt war. Lenkte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich, rutschte sie ab und trieb haltlos umher. Wenn sie sich doch wenigstens bewegen und ihre Umgebung ein Stück weiter erkunden könnte, vielleicht würde sie dann feststellten, dass der Korridor nach wenigen Schritten an beiden Enden weiter eingestürzt war, aber so an ihren Platz gefesselt, blieb eine solche Vorstellung eine Insel im Nebel. Möglicherweise da, aber unauffindbar und nicht zu erreichen.
Leises Fiepen riss sie aus ihren düsteren Gedanken und trieb ihren Puls in die Höhe. Mittlerweile schmerzte die Brust von den vielen unregelmäßigen Schlägen und die Adern am Hals pulsierten unangenehm. Es klang wie eine Ratte, hallte durch den Gang und kehrte leiser und bösartiger zurück. Der Widerhall ließ es wie ein halbes Dutzend dieser Tiere klingen – hungrig und gierig. Es wurde lauter, aber kam es von oben oder aus dem Gang? Vesas Atmung ging stoßweise und sie zog den Dolch an ihrem Gürtel, hielt ihn mit der Klinge am Unterarm geführt vor die Brust und schaute sich um. Nichts rührte sich im Lichtkegel der Laterne.
Rieseln gesellte sich zum Fiepen, das beinahe mehr wie ein Quietschen klang, als würde Staub oder Dreck zu Boden fallen. Es drang von überall auf sie ein. Es hätte so gut links von ihr im Korridor sein können, wie auf der anderen Seite des Trümmerhaufens oder … das Loch! Das Quietschen schwoll in dem Moment zu einem vom Echo bestialisch verzerrten Kreischen an, als ihr dieser Gedanke kam. Aggressiv und schnell näherte es sich. Die Kaiserliche hielt den Dolch höher, wandte sich mehr zu dem Haufen zu ihrer Rechten um und lauerte zum Stoß bereit regungslos. Das flackernde Licht der Kerze warf bedrohlich tanzende Schatten, reichte kaum bis zum höchsten Punkt der Trümmer hinauf und hüllte ihre Umgebung in jenseitiges Zwielicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und Schweiß brach ihr an der Hand aus, die den Dolch hielt, ließ ihren Griff unstet und rutschig werden und zwang sie dazu, die Waffe mit beiden Händen zu packen.
Dann huschte etwas am Rand des Lichtscheins durch ihr Blickfeld. Irgendetwas landete mit feuchtem Knacken auf den Resten der Tunneldecke und das anhaltende, dröhnende Kreischen verstummte so plötzlich wie es begonnen hatte. Stille kehrte ein und Vesana wagte es nicht, sich auch nur eine Haaresbreite zu bewegen.
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Geändert von Bahaar (30.05.2014 um 20:54 Uhr)
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