-
Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
<< Zum vorherigen Beitrag
Nun saß sie also allein in der Dunkelheit, nur spärlich von oben durch das rasch schwindende Licht des regnerischen Tages beschienen. Aela war noch nicht lange fort und dennoch erschien es Vesana in ihrem düsteren Loch bereits wie eine Ewigkeit. Um sich wenigstens etwas von der erdrückenden Stille abzulenken, kratzte sie sich bereits die Reste des geronnenen Blutes in ihrer Nase heraus, die sich während ihres zweiten Sturzes noch nicht gelöst hatten. Aber auch das schaffte nur kurzweilige Abhilfe und machte obendrein den Weg für die abgestandene Luft der Umgebung noch freier, als er schon war. Der Schwall ekelerregender Fäulnis ließ sie einen Moment lang würgen, bevor sie sich von der Stärke des Geruchs überrumpelt wieder unter Kontrolle brachte.
Da es nichts half, sich in den Widrigkeiten ihrer Umgebung zu verlieren, rutschte Vesa stattdessen etwas näher an ihr Felleisen heran. Zunächst Köcher und entglaste, etwas verbogene Laterne beiseitelegend, fing sie kurz darauf an, im Gepäck herumzukramen und nach dem Beutel mit den zwei Steinsplittern von Solstheim zu suchen. Während sie sich durch ihre Sachen wühlte, vorbei an der Schlafunterlage und der Zeltplane, den medizinischen Utensilien, ihren Jagdmessern und dem Proviant, ärgerte sie sich nun erst richtig, dass sie ihr Seil nicht mitgenommen hatte. Wer sich in der Tundra des Fürstentums einigermaßen gut auskannte, wusste, dass es keine gefährlichen Spalten und Klippen gab, wie auch Solstheim. Es wäre also nur Ballast gewesen. Niemand hätte damit rechnen können, plötzlich in ein dunkles, stinkendes Loch zu fallen. Andererseits ärgerte sich die Kaiserliche umso mehr über ihre eigene Trägheit und die fast schon überhebliche Einschätzung ihrer und Aelas Kenntnisse der Gegend, die sie zuvor schon bei den Nord auf der Insel angeprangert hatte, weil sie deshalb nicht optimal für alle Möglichkeiten des Fehlschlags ausgestattet waren. Ihre Sorgfalt musste sich definitiv wieder verbessern – den Mangel nur auf ihr Vollmondleiden zu schieben, ließ sie sich selbst nicht gelten.
Wenigstens dehnte sich durch die geringfügigen Bewegungen ihres Körpers während der Suche im Tornister das Brennen und Pochen in ihrem linken Bein aus. Obwohl es ihr ein mühseliges Stöhnen entriss und sie sich vorübergehend auf die eigene Hand beißen musste, um es zu unterdrücken, sorgte es für freudig-aufgeregtes Springen ihres Herzens und nervöses Kribbeln im Bauch. Wie es schien, kehrte allmählich Gefühl in das zuvor knieabwärts völlig Taube Glied zurück. Es würde sich zwar erst noch zeigen, wie schwer verletzt es war, aber vielleicht klang das Brennen irgendwann auch wieder ab, so wie es im rechten Bein bereits etwas nachzulassen begann. Die überwiegende Ruhe und die nur langsamen, belastungslosen Bewegungen schienen das Trauma zu kurieren.
In dem Moment fand Vesana schließlich auch den kleinen Beutel mit den Steinsplittern und zog ihn heraus. Schon durch das Leder spürte sie die Wärme Felsstücke und das feuerrote Glühen strahlte für ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen fast schon wie der Sonnenaufgang eines wolkenlosen Tages. Die Augen im Schmerz abgewandt, tastete sie blind nach der Laterne und setzte sie sich auf den Schoß. Schnell und kräftig schlug sie anschließend die Steinsplitter gegeneinander und die zahlreich von ihnen fliegenden Funken trafen auch auf den Docht der Kerze. Schnell züngelte die kleine Flamme empor und brachte Licht ins nahe Dunkel.
Wie ein Wall trennte der Trümmer- und Erdhaufen, auf dem sie saß den nach links verschwindenden Teil des Tunnels vom rechtsseitig liegenden. Allerdings mehr wie ein Hindernis, denn eine echte Mauer, immerhin konnte er überwunden werden und machte ein Passieren des Ganges nicht unmöglich. Vesa selbst saß noch ziemlich nahe an der Kuppe des Walls mit dem Kopf auf Höhe der übrigen Tunneldecke. Auf dem glatten schwarz-braunen Stein, aus dem die Wände bestanden, wucherten gelegentlich dicke Moospolster, füllten vom Wasser ausgewaschene Fugen dickwulstig auf und gaben der Architektur eine seltsam vergammelte Optik. Das schwache, feuchte Glitzern der Oberflächen unterstrich diesen Eindruck.
Da inzwischen auch das Rauschen des Blutes in den Ohren der Jägerin abgeklungen war, wurde ihr beim Anblick der tristen Umgebung abermals bewusst, wie ruhig es eigentlich war. Sie hörte jeden einzelnen ihrer ruhigen Atemzüge und glaubte fast schon die Schläge ihres Herzens in der Brust zu vernehmen. Hinzu gesellte sich entferntes Tropfen von Wasser, das durch das Erdreich in das unterirdische Gemäuer sickerte und leise, aber regelmäßig durch die Finsternis außerhalb des Scheins ihrer Laterne hallte. Unruhig drehte sich ihr der Magen, verknoteten sich die Eingeweide in einem Anflug von schwereloser Leichtigkeit. Zwar hatte sie mit den Gefährten schon so manche Festungsruine durchstöbert, war einigen wirklich widerlichen Kreaturen begegnet, aber noch nie in einem antiken Hügelgrab gewesen – und schon gar nicht allein und verletzt. Vesana kannte die Geschichten über die rastlosen Wiedergänger, die in solchen Tunnelsystemen hausten und … Nein, sie sollte nicht darüber nachdenken, was sich der Volksmund so alles erzählte. Schon jetzt lief ihr ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinab und ihre Augen streiften unstet über alles, das von ihrer Kerze aus der Dunkelheit gerissen wurde. Jede weitere Sorge mochte sie wohl irgendwann in den Wahnsinn und die Paranoia treiben. Es waren nur ein paar Tage, die sie aushalten musste, das würde sie wohl schaffen sollen.
Stattdessen widmete sich die Kaiserliche ihren Beinen. Sich vorbeugend zog sie zunächst dem rechten den Stiefel aus und begann damit es von den Zehen bis zur Hüfte abzutasten. Vor allem an der Ferse und im Bereich der Gelenke sandten die Berührungen zwar heftigste Stiche aus, die heiß wie Nadeln durch ihre Muskeln fuhren, aber wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Lediglich der Blutmangel vom Hängen und der anschließende, nicht abgefederte Sturz hatten dem Glied zugesetzt – es würde sich aber erholen. Mit dem Schuhwerk wieder zugeschnürt über Fuß und Unterschenkel gestülpt, wandte sich Vesas Aufmerksamkeit der großen Unbekannten zu: Dem linken Bein.
Allein schon das Ausziehen des Stiefels ließ sie aufstöhnen und trieb ihr die Tränen in die Augen. Es kam ihr so vor, als ob nach der völligen Taubheit nun eine Übersensibilität in den Nerven einkehrte. Jede Erschütterung und Berührung hallte heiß pochend wider. Am Knöchel entdeckte die Jägerin auch schon das erste Übel: Die Druckstelle der dünnen Wurzel, an der sie vorher festhing. Ein dunkler, blau unterlaufener Striemen in der Breite von ein bis zwei Fingern zog sich einmal ringsum das Fußgelenk. Vorsichtig tastete sie zunächst an den Zehen und dem Mittelfuß entlang, um sicherzugehen, dass dort nichts gebrochen war. Danach nahm sie sich einen der übrig gebliebenen Pfeile und klemmte dessen Schaft zwischen ihre Zähne, bevor sie fortfuhr.
Als die erste Fingerkuppe die breite Druckstelle berührte, kniff sie die Augen zusammen und heulte gedämpft auf, bevor ihr die Tränen in die Augen schossen und es in Stöhnen überging. Ihre Kiefermuskulatur entwickelte in diesem Moment ungekannte Kraft und das Holz des Pfeiles knirschte. Aber es half nichts, sie musste fortfahren und tastete mit tränenverschwommener Sicht, ächzend und hin und wieder erneut in Jaulen verfallend weiter um ihren Knöchel herum. Nach einer kompletten Runde schien es ihr jedoch nicht, als ob etwas gebrochen wäre. Einzig und allein die Quetschung sorgte für den Schmerz es schien, als ob die Taubheit zuvor lediglich Produkt des Blutmangels gewesen war. Um das zu bestätigen, musste Vesa allerdings etwas tun, vor dem sie sich wohl nicht zu unrecht fürchtete: Den Fuß bewegen.
Vorsorglich klemmte sie sich einen zweiten Pfeilschafft zwischen die Zähne und packte anschließend an der Ferse und den Zehen an. Langsam begann sie damit, den Fuß hoch und runter zu neigen und schrie im nächsten Moment gellend auf. Die Pfeile fielen ihr aus dem Mund und völlig apathisch vom Schmerz rutschte sie zur Seite, der Kopf landete auf dem Tornister und zahllose kleinere Steinfragmente der Tunneldecke stachen ihr in die Seite. Doch all das war nichts im Vergleich zu der wallenden Woge des Feuers, die sich um ihren Fuß schloss wie das Maul eines hungrigen Wolfes. Tränen flossen ihr in Strömen aus den Augen und ihr ganzer Leib zitterte in der panikartigen Reflexreaktion ihres Leibes, der versuchte die Pein zu verarbeiten.
Der einzig klare Gedanke, der ihr in diesem Moment wenigstens etwas Halt gab, war die Erkenntnis, dass das Gelenk der Bewegung keinen Widerstand entgegengestellt hatte. Die Hoffnung, der Schmerz würde sich mit der Zeit von selbst legen und der Fuß erholen, gab ihr Kraft – wenn auch nur wenig in diesem Augenblick der Hilflosigkeit.
Zum nächsten Beitrag >>
Geändert von Bahaar (17.05.2014 um 20:52 Uhr)
Stichworte
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln