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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Für einige, quälend lange anhaltende Momente lag Vesana einfach Gesicht voran auf der Tischplatte. Ihre Nase pochte heiß und sandte schmerzende Stiche in ihren Kopf, als ob dieser nicht schon von sich aus genug von einem Gefühl des Hammers und Meißels geplagt war. Dünne Rinnsale ihres Blutes sickerten noch immer aus den Nasenöffnungen und tränkten das sonnengebleichte Holz des Tisches unter ihr. Zähflüssige Pampe rann ihr an den Seiten des Gesichtes, den Armen und Beinen hinab aus den verkleisterten Haaren und der schlammgetränkten Tunika. Ihr angeschlagenes Bein streckte sie unter dem Tisch aus, um die Muskeln zu entspannen und die heiß stichelnde, entkräftende Pein im Unterschenkel zu reduzieren. Aber es half nur bedingt. Die Hauptarbeit in der Schmerzlinderung übernahm dann doch der kalte, böige Wind – und der jagte ihr einen unangenehmen Schauer nach dem anderen über den Körper, ließ sie Zittern und verschaffte ihr eine waschechte Gänsehaut.
„Wir werden also auch in solchem Wetter üben?“, vernahm sie auf einmal die kräftige, irgendwie leicht vibrierende Stimme des blonden Nords von der Seite. Begleitet von einem müden Stöhnen drückte sich Vesa vom Tisch hoch und strich sich über das dreckstarrende Gesicht, um wenigstens einen Teil des Schmutzes abzustreifen. Inzwischen fiel nur noch aller paar Herzschläge mal ein kleiner Blutstropfen aus der Nase und auf ihre Tunika hinab, die komplett braun verfärbt war. Vom Beige der Wolle ließ sich nichts mehr erkennen.
Langsam wandte sie dem Auszubildenden ihr Gesicht zu. „Oder schlimmerem.“ Er lachte auf. Ein heller, heiterer Ton, der ihr kurz in den überempfindlichen Ohren stach.
„Dann mal viel Spaß“, brummte Athis und kratzte sich an der spitzen, grauen Nase.
„Den werden wir haben“, bestätigte die Kaiserliche und wandte sich ab, zog mit einem Fuß einen der Stühle an ihrem Tisch zurecht und legte schließlich beide Beine darauf ab. Die Augen geschlossen massierte sie ihre Schläfen und versuchte die Kopfschmerzen zu mildern. Aber so wirklich half es nicht, zumal mittlerweile auch das kalte Zittern ihres Körpers zu ihrer Verstärkung beitrug.
„Kopfschmerzen, huh?“, stellte der Nord das Offensichtliche fest.
„Ja“, gab sie zurück, die Gedanken in weiten Umlaufbahnen außerhalb ihrer Reichweite. Wenn er wüsste, was – und wer – ihr alles Kopfschmerzen bereitete, würde er wohl kaum noch mit ihr trainieren wollen.
Hinter ihr öffnete sich die Tür ins Innere Jorrvaskrs und schwere Schritte näherten sich ihr. Sie öffnete die Augen und sah gerade noch, wie Skjor einen Tonkrug und Tassen abstellte. Im Anschluss zog er sich einen Stuhl heran und goss eine dampfende, blassgrüne Flüssigkeit in die Gefäße. „Kräutertee“, erklärte er. „Besser als kaltes Wasser.“ Nickend pflichtete sie ihm bei und griff träge nach ihrem Tonbecher. Kribbelnd trat die Wärme durch die Gefäßwand und taute ihre taub gewordenen Finger auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Beine kaum noch spürte, weil sie so kalt geworden waren.
„Wie heißt Du eigentlich?“, fragte sie und pustete über ihre Tasse, die sie mit beiden Händen umklammert hielt. Trotz der Kälte in ihrer Nase und obwohl diese wohl ziemlich zugeschwollen war, nahm sie noch immer den kräftigen, würzigen Duft des Tees wahr.
„Ich?“, fragte der blonde Nord nach einem Moment des Zögerns zurück.
„Wer sonst?“ Sie nahm einen Schluck. „Scheiße!“, zischte sie, als sie sich die Zunge verbrannte. Einen Moment atmete Vesa wie ein Hund durch den Mund, um sie zu kühlen.
„Olen Tarik Wolfhammer, das ist mein Name.“
„Willkommen im wunderschönen Herbst von Weißlauf.“ Nach weiterem kontinuierlichen Pusten nahm die Kaiserliche einen neuerlichen Schluck, diesmal ohne sich zu verbrennen, aber sie schmeckte auch nicht mehr sonderlich viel von der Flüssigkeit. Den Ansatz von Bitterkeit nahm sie noch wahr, aber das war es auch schon.
„Wunderschön …“ Sie konnte das Kopfschütteln aus seinem Ton heraushören.
„Athis“, setzte sie an.
„Ja?“
„Was hast Du ihm bis jetzt beigebracht?“
„Ein bisschen Balance, den richtige Haltung des Schwertes. Ein paar einfache Schrittfolgen.“
„Ausdauerübungen?“
„Noch keine.“
Vesana legte den Kopf in den Nacken und schaute den Dunmer über die Schulter hinweg an, die Augenbrauen in Ungläubigkeit unterschiedlich weit angehoben. „Ernsthaft?“ Der Dunmer zog die Schultern hoch und hob abwehrend die Hände. Zwar konnte sie in seinen glutroten Augen im dunkelgrauen, spitzen Gesicht nicht lesen, aber es war offensichtlich, dass er sich keiner Schuld bewusst sein wollte.
„Er sieht kräftig genug aus und in den Kämpfen ist er unermüdlich.“ Die Jägerin hielt die Augen noch einen Moment auf den Elfen, dann wanderten sie langsam weiter zu Olen während sie die Augenbrauen wieder senkte. Der Nord zog ein eher hilfloses und fast schon furchtsames Gesicht, als würde er ahnen, was sie mit ihm vorhatte.
„Kommst Du an den Querbalken des Vordaches da vorne?“ Sie zeigte auf den nach Außen mit einigen Rundschilden verzierten, tragenden Balken oberhalb der Stufen zum Übungsplatz.
„Keine Ahnung.“
„Probier’s aus.“ Er stand auf und schritt langsam, leicht verunsichert vielleicht, auf die Konstruktion zu. Vesa folgte ihm mit den Augen und nahm unterdessen noch einen Schluck Tee. Skjor verfolgte das Geschehen mit ausdruckslosem Gesicht, aber sein intaktes Auge streifte sie kurz und für den Moment glaubte sie einen Anflug von Heiterkeit zu erkennen. Dann sah sie sein Gesicht jedoch nicht mehr. Olen erreichte in dem Moment das Ende der Terrasse und hüpfte reichlich ungelenk hin und her, um an den hoch über ihm schwebenden Balken zu gelangen.
„Ich komm‘ nicht ran“, meinte er nach einigen Versuchen.
„Benutz‘ den stützenden Balken“, gab sie ihm einen Hinweis und deutete auf die mittig platzierte, unterstützende Holzsäule.
„Wie?“ Mit großen, dunklen Augen wandte er sich an sie und hielt die Hände in einer offenen Geste der Hilflosigkeit auf Hüfthöhe.
„Sei kreativ.“ Skjor stützte den Kopf über den Unterarm auf den Tisch ab und rieb sich in Neugier mit dem Zeigefinger über die Kopfseite. Auf Athis Gesicht zeichneten sich die Kiefermuskeln ab, als er rat- und kommentarlos das Schauspiel beobachtete. Olen lief in der Zwischenzeit einige Runden um den senkrechten Balken und schaute immer einmal wieder hinauf zu seinem Ziel. Amüsiert verzog Vesana die Lippen zu einem Schmunzeln und goss sich neuen Tee in die Tasse. Von innen gewärmt, hatte sich zumindest auch das Zittern in ihrem Oberkörper etwas reduziert. Zwar waren die Beine noch immer taub, aber gedanklich nun auf den Nord konzentriert nahm sie das kalte Stechen nicht mehr allzu sehr wahr.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Der Hellste bist Du aber nicht“, spottete die Kaiserliche. Kurzerhand stellte sie ihre Tontasse auf dem Tisch ab und stand auf. Steif schüttelte sie die Beine aus und noch immer leicht humpelnd schritt sie hinüber zu Olen. Sie schob ihn beiseite und brachte sich direkt unter dem Querbalken am Fuße dessen Stütze in Position. Im nächsten Moment hakte sie die Hände an der ihr gegenüberliegenden Seite der quadratischen Holzsäule ein, die etwa den Durchmesser einer halben Unterarmlänge besaß. Schließlich stemmte sie erst den einen Fuß gegen das Holz, drückte ihn flach auf das Holz, schob sich weiter hoch, griff mit den Händen einzeln nach und setzte den nun in der Luft schwebenden zweiten Fuß oberhalb des anderen. Diesen gab sie wieder frei und verstärkte den Druck ihrer Glieder auf die raue Oberfläche. Immer im Wechsel arbeitete sie sich so nach oben bis sie den Querbalken mühelos zu fassen bekam und sich an diesen hängen konnte.
Ihre Füße baumelten nun etwa auf Halshöhe des Nords, der verblüfft von unten zu ihr hinaufblickte, der Mund leicht geöffnet und sich auf die Zunge beißend. Kurz darauf ließ sie sich auch schon wieder fallen und ging mit dem angeschlagenen Bein bis auf das Knie hinab, um den Sturz abzufangen. Zähneknirschend rang sie den entkräftenden Schmerz hinunter und stand träge auf. „So.“ Zugegeben, sie hatte eine derartige Übung selbst lange nicht mehr gemacht und die Fähigkeiten des Biests kamen ihr in Sachen Kraft nun etwas entgegen, aber an sich war es kein Kunststück – vor allem da der Stützbalken mit seinen groben Schnitzereien viel Auflagefläche und Kanten zum Festhalten bot.
Wieder stärker humpelnd kehrte Vesana zu ihrem Stuhl zurück und beobachtete Olen bei seinen neuerlichen Versuchen. Im vierten Anlauf schaffte er es schließlich bis nach oben. „Und nun?“, fragte er, während er dort hing, wie ein nasser Sack Reis.
„Komm erstmal wieder runter“, wies sie ihn an. Der Abstand zum Boden war dank seiner Größe nicht ganz so weit und so fing er sich mit nur leicht gebeugten Knien ab, ruderte jedoch trotzdem mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
„Also?“
„Jetzt rennst Du zehn Runden um Jorrvaskr und machst jedes Mal, wenn Du hier vorbei kommst, jeweils zwanzig Liegestütze und Rumpfbeugen dort auf dem Übungsplatz und fünf Klimmzüge an dem Balken. Da Du jetzt weißt, wie Du dort herankommst, sollte das kein Problem mehr darstellen“, erklärte sie. Das folgende, süffisante Grinsen auf den schmalen Lippen, verbarg sie hinter ihrer Teetasse, als sie trank. Die feinen Falten um ihre Augen würde er auf diese Entfernung nicht bemerken.
Athis fuhr mit dem Kopf zu ihr herum und so schwer sie es für gewöhnlich auch empfand, im Gesicht eines Dunmers zu lesen, das mühsam unterdrückte, seltene Lachen fiel sogar ihr auf. Skjor ballte die Faust vor dem Mund. Der aus ihrer Perspektive sichtbare Mundwinkel zog sich weit nach hinten. Dem blonden Nord am Ende der Terrasse stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. „Jetzt?“
„Ja, jetzt.“ Es dauerte noch einen Moment, bis er sich tatsächlich aufraffte, doch dann setzte sich Olen in Bewegung und legte zunächst einen eher lockeren Trab ein. Bevor er hinter der Ecke des Gildenhauses verschwinden konnte, rief sie ihm noch ein „Das geht schneller!“ hinterher.
„Ich dachte, ich sollte ihn im Moment noch ausbilden“, beklagte sich Athis über den Eingriff in sein Ausbildungskonzept als die Heiterkeit verflogen war.
„Das machst Du auch. Du bereitest ihn eben nur auf meine Ausbildung vor“, wiegelte Vesa ab und hob die Augen nicht einen Herzschlag lang von ihrer dampfenden Tasse. Skjor wandte sich unterdessen wieder ihr zu. Sein heiles Auge musterte sie eingehend. „Schau mich nicht so an! Du weißt genau von wem ich diese Übung habe.“
„Genau deswegen schaue ich Dich ja so an“, konterte er und sie bemerkte nun die feinen Falten in seinen Augenwinkeln.
„Moment“, unterbrach sie Athis von der Seite, „das ist Deine Übung, Skjor?“
„Natürlich.“
In dem Moment schoss Olen um die andere Ecke Jorrvaskars und hielt schließlich auf dem Übungsplatz an. Noch sahen die Liegestütze und Rumpfbeugen leicht und behände aus, aber er sah schnell genauso aus, wie Vesa – von Kopf bis Fuß einheitlich braun. Auch das Erklimmen des Balkens trotz nasser, matschverschmierter Stiefel schaffte er im zweiten Anlauf. Sie beobachtete ihn, während er sich mit dem Gesicht Richtung Platz hoch zog. „Das … ist … Schinderei“, presste er zwischen einzelnen Klimmzügen hervor.
„War das ein Meckern?“, ging Vesa augenblicklich darauf ein.
„N-nein“, entgegnete der Nord.
„Ich glaube schon. Das gibt fünf Runden extra.“
„W-was?!“
„Du hast mich schon verstanden.“
In der Art und Weise, wie er seinen kurzen Sturz abfing und anschließend wieder losrannte, erkannte die Kaiserliche seine Frustration. Regelrecht stampfend wie eines der Mammuts in der Tundra des Fürstentums nahm er die Stufen der Treppe bevor er wieder in einen flüssigeren Laufrhythmus hineinfand.
„Er hat schon Recht“, meinte Skjor.
„Das sagt der Richtige.“
„Ich sage ja nicht, dass es schlecht oder unsinnig ist.“ Sie schmunzelte und griff nach dem Tonkrug, stellte jedoch missmutig fest, dass dieser leer war. Fast augenblicklich schien ihr auch die Kälte wieder in den Leib zu kriechen und sie schüttelte sich unter einem heftigen Schauer, der ihr von den Schultern bis zu den Knien hinabrollte.
Nach der dritten Runde zeichnete sich bereits erste Erschöpfung in Olens Bewegungen ab. Seine Schritte kamen schneller aus dem Takt und er hielt sich ab und an den Brustkorb, als hätte er Seitenstechen. Den Rücken musste er immer wieder erkennbar bewusst durchdrücken bei den Liegestützen und mit den Rumpfbeugen brachte er auch länger zu. Nach den ersten beiden Klimmzügen schaffte er es kaum noch überhaupt einen rechten Winkel in die Ellbogen zu bekommen. Zum Fluchen oder Meckern fehlte ihm die Luft.
Als er wieder hinter dem Gildenhaus verschwand, erhob sich die Kaiserliche. „Zeit für ein Bad. Der Schlamm hatte jetzt genug Zeit einzuwirken.“
„Du gehst?“, fragte Athis nach.
„Natürlich. Du bildest ihn ja noch aus, also kannst Du auch darauf achten, dass er seine Übung richtig zu Ende führt.“ Der Dunmer antwortete nicht mehr, hatte aber zweifelsohne verstanden, dass es sich in keiner Weise um eine Bitte handelte. „Danke für den Tee, Skjor.“ Der Einäugige nickte, blieb aber sitzen. Scheinbar wollte er noch beobachten, wie sich Olen weiter schlug. Sie wandte sich ab, hob noch die Übungswaffen auf und ging zur Tür, hielt dort allerdings noch einmal kurz inne. „Athis.“
„Ja?“
„Schick‘ ihn im Anschluss zu Arcadia ein paar Tränke gegen einfache Krankheiten kaufen. Wir wollen ja nicht, dass er sich erkältet in diesem Wetter. Oh, und lass ihn in den nächsten Tagen noch ein paar Ausdauerübungen machen.“ Damit verschwand sie durch die Tür ins warme Innere der Halle der Gefährten.
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Geändert von Bahaar (21.03.2014 um 13:28 Uhr)
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