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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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„Wie lange dauerte Eure Reise an?“, wechselte der Justiziar das Thema.
„Ich bin vor inzwischen achteinhalb Wochen von Weißlauf aufgebrochen. Das können Euch die Mitglieder der Gefährten bestätigen“, antwortete Vesana wahrheitsgemäß.
„Hmhmm.“ Das Pergament füllte sich allmählich mit Schriftzeichen. „Was war der Grund für Eure Reise?“
„Private Gründe.“
„Zum Beispiel?“
Die Jägerin schloss für einen kurzen Moment die Augen, um durchzuatmen. Die Skepsis und Zweifel, die der Nord hinter seinen kühlen Formulierungen verbarg, stachen wie ein Dolch aus dem Schatten zu und versuchten sie zweifelsfrei aus der Ruhe zu bringen. „Gründe jener Art, die nichts mit meiner Verbindung zu diesem Mann“, sie nickte in Richtung Hrothluf ohne die Augen von Elgryr zu nehmen, „zu tun haben und Euch somit nichts angehen.“ Nur mit Mühe hielt sie den Zorn in ihrer Stimme in einem vertretbaren Rahmen, gleichzeitig fraßen sich aber auch Unsicherheit und Selbstzweifel in sie hinein. Der rohthaarige Nord auf der anderen Seite des Tisches war inzwischen noch stiller geworden, als es der Knebel in seinem Mund ohnehin schon provozierte. Die hauchdünnen Fältchen um seine Augen verrieten seine Zufriedenheit damit, die Kaiserliche unter den Fragen des Justiziars straucheln zu sehen.
Elgryr nahm ihre Antwort ohne ein Zucken schriftlich zur Kenntnis. „Wie lange wart Ihr vor dieser Reihe für die Gemeinschaft der Gefährten tätig?“
„Mehrere Jahre.“
„Und davor?“
„Für die Kämpfergilde in Bruma.“
„Gut.“ Mehr sagte er dazu nicht. Es konnte ebenso gut bedeuten, dass er sie für schuldig hielt, wie dass er sie unschuldig befand. „Wache, entfernt die Mundfessel dieses Mannes.“ Hrothluf holte erst einmal tief Luft und schien Speichel im ausgetrockneten Mund zu verteilen.
„Ihr habt gestanden, Skooma geschmuggelt zu haben, ist das richtig?“
„Dafür besteht scheinbar keine Notwendigkeit.“
„Erzählt nochmals, wie Ihr diese Frau“, der Justiziar nickte in Vesanas Richtung während er den Rothaarigen anschaute, „kennt.“ Ihr Magen drehte sich um und leichtes Zittern ergriff von ihr Besitz, das sie mit dem Wippen des linken Fußes abzuleiten versuchte.
„Wir sind seid einigen Jahren Geschäftspartner“, log Hrothluf in einer Ruhe, die ihn beängstigend glaubhaft erscheinen ließ. Kein Zucken, kein nervöses Tippen der Finger verriet, dass er so weit von der Wahrheit entfernt war, wie die Monde am Himmel hoch standen. „Wir sind uns irgendwann einmal in der hiesigen Taverne begegnet.“
„Weshalb wart Ihr in Windhelm?“
„Wir wollten uns dort treffen.“
„‚Wir‘ heißt …?“
„Meine Partnerin und ich.“ Alles in Vesa verlangte danach diesem elenden Lügner den Hals umzudrehen, ihn anzuschreien und zu quälen bis er langsam starb. Der Mund stand in Fassungslosigkeit kaum merklich leicht geöffnet und die Lippe zog sie unterbewusst linksseitig etwas hoch, so dass die spitzen Eckzähne aufblitzten. Die Finger krallten sich fester und ihr wurde allmählich übel. Von den Kopfschmerzen ganz zu schweigen.
„Wie wurde dieses Treffen vereinbart?“
„Sie schrieb mir einen Brief.“
„Diesen Brief?“ Der Justiziar winkte eine Wache mit dem erhobenen Zeigefinger zu sich und bekam einen Umschlag gereicht, aus dem er gleich darauf ein Stück Papier holte. „Trefft mich in einer Woche in der Taverne in Windhelm. Gezeichnet N.. Diesen Brief?“
„Ja, dieser.“
„Das ist“, platzte es aus Vesana unkontrolliert heraus, bevor sie sich wieder beherrschte, „schlicht nicht möglich.“
„Ich bat Euch nicht zu Wort.“
„Verzeiht.“
„Aber wo Ihr doch schon anfangt, so sagt, warum es nicht möglich sein soll.“
„Gjalund Salz-Weiser fährt lediglich alle paar Tage von Rabenfels nach Windhelm und er ist der einzige, der dies tut. Ich hätte einen Brief nur über sein Boot nach Himmelsrand senden können und von Windhelm hätte ein Bote übernehmen müssen. Der Brief wäre somit weit über eine Woche unterwegs bevor er diesen Mann dort erreicht hätte.“
„Nun, wir wissen nicht, ob Ihr wirklich auf Solstheim wart, oder?“ Sprachlos starrte Vesana zurück. Elgryr schien nicht das geringste Interesse daran zu haben, Ihr zu glauben. Hrothluf lächelte schmal und überlegen.
„Weshalb wollte diese Frau mit Euch nach Weißlauf?“, fragte er ohne weiter auf die Kaiserliche einzugehen den rothaarigen Nord.
„Das sagte sie mir nicht.“
„Und Ihr machtet es weshalb?“
„Wir sind Geschäftspartner, da macht man so etwas.“
„Hmhmm. Welchen Grund könnte sie gehabt haben, Euch zu verraten?“
„Das wüsste ich auch gern, denn ich habe keine Ahnung.“
„Gut.“ Der Justiziar legte die Feder neben dem Tintenfass ab und pustete über die letzten, frischen Zeichen auf dem Pergament vor ihm, bevor er es zusammenrollte und die Hände über ihm zusammenfaltete. Inzwischen knirschte Vesa wieder mit den Zähnen und rang mit den heftiger stechenden Kopfschmerzen. Sie raubten ihr mittlerweile die Fähigkeit, wirklich klar zu Denken und sich eine Lösungsstrategie zu überlegen. Doch dafür sollte zunächst keine Notwendigkeit mehr bestehen, denn Elgryr sprach weiter. „Wachen, führt diesen Mann zurück in seine Zelle und geleitet diese Frau nach draußen.“
„Was?!“, platzte es aus dem Nord heraus. Der Kaiserlichen fielen die ineinander verkrampften Hände auseinander und unkontrolliertes Zucken ob der Überraschung ergriff von ihrer linken Augenbraue Besitzt.
„Ganz recht. Ihr“, der Jutiziar schaute Hrothluf an, „wurdet mit dem Skooma festgenommen. Sie nicht. Es steht also einzig Aussage gegen Aussage, wobei sich ihre Geschichte schnell überprüfen lassen sollte. Sofern Ihr mir nicht benennt, an wen die Ware geliefert werden sollte, steht Eure Aussage folglich allein, was mir insgesamt wiederum keine andere Wahl lässt, als Eure ‚Partnerin‘ vorläufig wieder frei zu lassen – hier herrscht das Gesetz und nicht die Willkür jener, die es zu brechen gedenken.“ Damit erhob sich der edel gekleidete Nord, nahm die Pergamentrolle vom Tisch und verließ das Zimmer.
Die Gardisten, die an der Wand hinter dem Untersuchungsführenden des Jarls gestanden hatte hievten nun Hrothluf auf die Füße und schleiften in ebenfalls aus dem Raum. Er schien zu schockiert, als dass er sich zu wehren vermocht hätte. Das Rasseln seiner eisernen Fesseln verhallte bald in den Weiten des Kerkers. Noch immer in Schockstarre harrte Vesana als letzte der Verhörsteilnehmer am Tisch aus. Erst als die Wache, die ihren Helm abgesetzt hatte, den Dolch der Jägerin vor ihr auf dem Tisch ablegte, riss sich diese los. Geistesabwesend und durcheinander nahm sie sich ihre Waffe und stand auf. Schweigend und zu kaum mehr als einer Mischung aus Erleichterung, Wut und Verwunderung im Stande, trottete sie den Wachen hinterher. Ein Gedanke jagte den nächsten und es war ihr unmöglich zu sagen, wie viel der Unruhe tatsächlich auf das eben beendete Verhör zurückging und was nicht doch von Kopfschmerzen und Mondphase, oder der Wut auf ihre eigene Dummheit kam.
Egal was, erst an der frischen Luft gewann die Kaiserliche ihre Standfestigkeit zurück. Mit gestrafften Schultern und aufrecht wollte sie mit schnellen Schritten nach Jorrvaskr zurückkehren.
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Geändert von Bahaar (25.01.2014 um 14:54 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Mit straffen Schritten ließ sie die Drachenfeste hinter sich und stapfte die zahlreichen Stufen hinab zum Platz des Güldengrünbaums. Erst dort verlangsamte sie ihr Tempo und blieb bald darauf stehen, als sie die Traube von Leuten bemerkte, die sich am oberen Ende der Stiege zum Marktplatz versammelt hatte. Aufgeregt redeten die Menschen dort miteinander und reckten sich immer wieder in die Höhe um über die Köpfe derer zu spähen, die vor ihnen Standen. Noch immer wütend, dennoch auch neugierig geworden, näherte sich Vesana der Meute und schob sich an den Rand, um besser sehen zu können. Schnell klärte sich auf, warum sich so viele Leute hier zusammengefunden hatten.
In der Mitte des kleinen Platzes, der von zahlreichen Ständen, der Taverne und den Läden der Alchemistin und Belethors eingerahmt wurde, stand ein einfaches Holzgerüst mit erhobener Plattform und einer Balkenkonstruktion darüber. Von dem Querbalken baumelte ein dickes Seil, das sich am unteren Ende in eine Schlinge formte. Drei hochgewachsene Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten, standen auf dem Galgenbau. Ein sehr gepflegter Nord in feiner Kleidung, nicht so aufgeblasen wie Elgryr, aber doch hochwertig. Augenscheinlich ein Beauftragter des Jarls. Der nächste trug zu seiner groben Lederkleidung eine einfache Stoffmaske, die seinen Kopf verhüllte – der Henker. Und der Letzte im Bunde mit den Händen auf dem Rücken gefesselt, nun den kannte die Kaiserliche nur zu gut. Zweimal war er ihr inzwischen begegnet. Einmal hatte sie ihn entkommen lassen und ein weiteres Mal sträubte er sich gegen seine Verhaftung. Seine Erscheinung wirkte inzwischen durch und durch gebrochen. Die Schultern hängend, der Kopf gesenkt und die Leinenkleidung, die den Verurteilten im Kerker des Fürsten zugeteilt wurde, von oben bis unten verdreckt und zerschlissen. Leichtes Zittern hielt den Straßenräuber in festem Griff.
Wenigstens etwas Erfreuliches an diesem Tag, dessen Wetter sich inzwischen der Stimmung der Jägerin angepasst hatte und mit feucht-kühler Luft, sowie der Abwesenheit der Sonne aufwartete. Zwar vermochte es kaum, ihren Groll und die Lust, einen gewissen Nord seines Lebens zu berauben, zu besänftigen, doch wenigstens entlockte es ihren versteinerten Gesichtszügen vorrübergehend ein schiefes, gefälliges Lächeln. Der Mann in der guten Kleidung entrollte eine Schriftrolle und reckte sich der Menge entgegen. „Raindaal Wulfgar Bärenpranke, Ihr wurdet der folgenden Verbrechen für schuldig befunden“, rief er laut aus und hob anschließend kurz den Kopf, um über die Menge zu blicken. Diese grölte bereits. Eine Frau rief „Hängt Ihn endlich!“ von der Seite und andere stiegen ein. „Diebstahl!“, begann der Nord auf dem Podest die Liste. „Räuberei!“, setzte er fort und ließ jedes Mal einige Lidschläge Pause bevor er weiter aufzählte. „Mord in drei Fällen!“ Die Menge tobte. „Tod!“, riefen einige aus unterschiedlichen Richtungen. „Und Belästigung des Jarls!“, endete der Sprecher. Er senkte die Schriftrolle und blickte erneut über die versammelten Leute. „Ihr wurdet deshalb zum Tode durch den Strang verurteilt.“ Anschließend trat er etwas zu Seite und ließ den Henker den Verurteilten vorführen. „Habt Ihr letzte Worte, die Ihr uns mitteilen möchtet?“
„Ich habe niemanden getötet“, sprach er so leise, dass es Vesana nicht vernommen hätte, wären ihre Sinne nicht bereits überempfindlich geschärft.
„Was für eine Verschwendung letzter Worte“, spottete der gut gekleidete Nord, die Zuschauer stiegen in sein verhaltenes Lachen ein, und gab dem Henker per Handzeichen zu verstehen, dass er beginnen solle. Kraftvoll stieß er den Räuber nach hinten unter den Balken, legte ihm die Schlinge um den Hals und zog sie fest. Anschließend trat er zur Seite an einen Hebel und packte ihn mit beiden Händen.
Das Gesicht des Verurteilten nahm nun trauervolle, kreidebleiche Züge an. Es sah von dort, wo die Jägerin stand, so aus, als würde er weinen. Das Zittern verstärkte sich und hätte ihn der Strick nicht daran gehindert, er hätte sich wohl vorgebeugt und wäre auf die Knie gefallen. Doch viel mehr gab es von ihm auch nicht zu sehen. Nach einem Kopfnicken des Sprechers zog der Henker an dem Hebel und eine Klappe im Boden des Podestes, direkt unter den Füßen des Räubers, sprang auf. Der kümmerlich erscheinende Nord fiel nicht sehr tief in den Strick und baumelte mit den Knien auf der Höhe der Luke.
„Sein Genick ist nicht gebrochen!“ – „Ooh.“ – „Haha!“ Die Meute lachte ihn schallend aus, während sich das Blut im Kopf des Verurteilten staute und sein Gesicht rot anlaufen ließ. Die Beine stießen willkürlich in die Luft, als könnten sie so den Druck auf den Hals verringern. Der Todeskampf dauerte nicht lange. Bald hing er still und so schnell, wie sich die Menge versammelt hatte, löste sie sich wieder auf.
Inzwischen fröstelnd ob der kühlen Windstöße und der unangenehmen Luftfeuchte, die die Eindrücke aus dem Kerker frisch hielt, machte sich Vesana schließlich auf den Weg nach Jorrvaskr. Die Vorstellung, wie Hrothluf bald an einem eigenen Strick baumeln würde, ließ das bitter-süße Schmunzeln auf ihren Lippen noch einige Zeit vorhalten, aber als sie die Eingangstür zur Halle der Gefährten erreichte, war es verflogen und die reine Wut blieb in ihrer Brust zurück, wie glühende Kohlen.
„Da bist Du ja endlich!“, begrüßte sie sogleich Farkas, der mit seinem Bruder am zentralen Feuer der Halle saß und die sich gleichzeitig umgedreht hatten, als sie die Tür öffnete.
„Hier bin ich.“ Die Erleichterung auf den gezeichneten Gesichtern der ungleichen Nord verflog in der Dauer eines Herzschlages.
„Was ist passiert?“, wollte Vilkas wissen, doch hob die Kaiserliche abwehrend und ablehnend die Hände.
„Ist der Übungsplatz frei?“, stellte sie eine Gegenfrage, der Nord wirkte etwas irritiert und zog die Augenbraue hoch, nickte dann aber. „Schnapp Dir ein Schwert.“ Sie musste sich abreagieren, bevor sie auch nur ein Wort über die Vorfälle in der Drachenfeste verlor. Schnurstracks verschwand Vesa nach unten in ihr Zimmer und entledigte sich ihrer Sachen. Anstatt der zierlich-weiblichen, saphirblauen Tunika warf sie sich eine einfache in beige über und band sie mit einem Gürtel fest. Statt der Sandalen nahm sie sich festere Lederschuhe und die Haare zähmte sie in einem Pferdeschwanz, den sie mit einem Lederband festschnürte. So gekleidet ging sie zur Waffenkammer und traf dort mit Vilkas zusammen, der bereits am Tisch mit den Übungswaffen stand. Da er es besser wusste, unterließ er eine weitere Nachfrage. Seine Gefährtin würde von selbst zu sprechen beginnen, wenn sie sich dazu bereit fühlte. Aber dafür mussten sie erst einmal einige Schläge austauschen.
Ohne großes Überlegen nahm sich Vesana gleich zwei Übungsschwerter und wandte sich zum Gehen. Ihrem Kampfpartner schenkte sie ein knappes „Danke“ und wartete, bis er soweit war. Zwar hielt er bereits ein Schwert in der Hand, bei ihrer Waffenwahl griff er allerdings dann doch noch nach einem leichten Schild an der Wand und folgte ihr schließlich. Gemeinsam traten sie auf die Terrasse hinter der Halle der Gefährten, wo Farkas und Skjor, aber auch einige der übrigen Gefährten warteten. Aela kam hinter der Ecke des Hauses hervor und gesellte sich dazu. Offenbar hatte sich herumgesprochen, was gleich passieren würde. Es störte die Kaiserliche nicht. Sollten sie ruhig zuschauen.
Leichtfüßig, beinahe springend und auf die Zehenspitzen gestellt nahm die Kaiserliche die Stufen hinab zum Übungsplatz und rüttelte so gleich die Beinmuskulatur wach. Während sich die Schaulustigen an Pfeiler und Tische auf der Terrasse lehnten oder die Stühle zurechtrückten und sich setzten, brachten die beiden Kontrahenten einige Schrittlängen Abstand zwischen sich. Die Knie gebeugt, das Gewicht auf den Zehenspitzen und die Schwerter links und rechts der Hüfte lockend kreisend wartete die Jägerin darauf, dass ihr Gefährte ebenfalls das Zeichen gab, bereit zu sein. Lauernd wie ein hungriger Wolf, der seine Beute im Visier hat, und für den der richtige Moment wie ein Leuchtfeuer zum Angriff einlud, ging sie ohne auch nur einen Moment zu zögern direkt in den Angriff über als Vilkas den Schild ob und seine Waffe zum Stich bereit über dessen obere Kante hielt.
Seinen Gegenangriff aus der Deckung der Holzscheibe heraus lenkte die Kaiserliche mit einem Schlag des rechten Schwertes ab und drehte sich einmal um die eigene Achse um aus der Bewegung heraus mit dem Linken auf ihn einzudreschen. Er blockte mit dem Schild und der erste Abtausch endete damit, dass sie genau andersherum wieder auf Abstand gingen. Ihr Herzschlag hatte sich adrenalingeladen in den wenigen Augenblicken schmerzhaft beschleunigt und sie musste sich dazu zwingen, ruhig zu atmen. Ihrem Kumpan erging es nicht anders, wie sie an seinem leicht geöffneten Mund erkannte. „So. Vesa“, begann er zwischen den Atemzügen abgehackt zu sprechen. „Was genau-“, weiter kam er nicht, bevor die Kaiserliche wieder auf ihn zueilte.
Unter dem hoch angesetzten Stich des einen Schwertes drehte sie sich durch und hieb aus der Deckung ihres Körpers mit dem anderen tief. Der zweite Block kam hastig und unsauber geführt ob der hohen Geschwindigkeit, in der die Schläge folgten, und so taumelte Vilkas einen Schritt nach hinten und kam gar nicht dazu, einen Gegenangriff zu starten bevor die Jägerin ihre Drehung abrupt stoppte und mit dem nächsten Schritt in seine Richtung genau in die andere Richtung um die eigene Achse wirbelte. Beide Waffen gleichauf führend, musste der Nord sowohl hoch, wie auch tief die hölzernen Klingen abwehren. Dem auf Kopfhöhe entging er, indem er sich duckte. Den auf seinen Oberschenkel zielenden Hieb fing der Schild ab. Der ungebremste Schwung des oberen Schlages brachte die Kaiserliche aus dem Gleichgewicht und so strauchelte nun sie an ihrem Kontrahenten vorbei. Der brachiale Stopp ihrer zweiten Waffe verstärkte das Ungleichgewicht in ihrer Balance noch mehr und genau das nutzte Vilkas.
Nur knapp wich sie seinem Schildschlag aus und fing sein Schwert mit den gekreuzten ihren ab. So verkeilt hielten die Beiden vorrübergehend inne, bevor sie sich gegenseitig wegzustoßen versuchten und abermals Abstand nahmen. Sie keuchten und Schweiß rann ihnen trotz der frischen Luft in Strömen über die Haut. „Also“, setzte der Nord erneut an. „Was genau – ist in der – Drachen-feste – geschehen?“, fragte er.
„Hrothluf“, stieß sie aus und suchte fieberhaft eine Lücke in seiner Deckung. Der hohe Blutdruck, der in ihren Ohren rauschte und die Umgebungsgeräusche trotz ihrer Überempfindlichkeit übertünchte, brachte außerdem ihre Kopfschmerzen zum Anschwellen. Heftige Stiche durch die Schläfen ließen sie leise aufstöhnen und die Sicht einseitig kurzzeitig verschwimmen.
„Wie, Hrothluf?“, hakte Vilkas in der Zwischenzeit nach.
Von den Schmerzen im Schädel nur noch weiter aufgebracht, versuchte Vesana aber gleich darauf noch einen Angriff. „Er“, presste sie heraus, während sie einen Schlag gegen sein Knie führte. „Bezichtigt“, folgte mit dem nachgezogenen zweiten Schwert auf gleicher Höhe. „Mich“, sie rollte sich unter seinem Hieb auf die Brust hindurch ab. „Der“, noch im Aufstehen trat sie ihm von hinten in das rechte Knie. „Mittäterschaft!“ Vilkas sackte zusammen und ließ sich weiter nach rechts fallen, um die parallel geführten Schwerter, die auf seinen Hals zielten, mit dem Schild abzufangen und nach einer aus der Bewegung folgenden Rückwärtsrolle wieder auf die Füße zu kommen. Eine Pause hielt Einzug.
„Absurd!“
„Das sagte ich Elgryr auch.“
„Elgryr?“
„Der Justiziar des Jarls.“
„Aber?“
„Er scheint nicht überzeugt und ließ mich nur gehen, weil Hrothlufs Aussage allein steht, meine jedoch dank euch hier und Zeugen auf dem Weg überprüfbar ist.“
„Hmpf.“
Diesmal war es der Nord, der attackierte. Mit dem Schild frontal zustoßend sah sich die Kaiserliche gezwungen näher an die Außenmauer Weißlaufs auszuweichen, die ihre nötige Bewegungsfreiheit erheblich einschränkte. Den Hieb ihres Kontrahenten lenkte sie im letzten Moment am, doch baute sich Vilkas gleich darauf wieder vor ihr auf und streckte ihr den Schild entgegen. Bevor er ein weiteres Mal nach ihr zu schlagen vermochte trat sie nach hinten aus gegen die Wand, hieb gleichzeitig gegen seinen Kopf und zwang ihn das schützende Stück Holz zu heben. In dem Moment drückte sich die Jägerin von einem der groben Steine in der Stadtmauer ab und warf sich auf den über sein Haupt erhobenen Rundschild. Mit dem Rücken darüber rollend kam sie hinter dem Nord auf die Füße und brachte schnell einige Schrittlängen zwischen sie beide.
„Stehen denn Zeugen in Aussicht, die Hrothlufs Geschichte unterstützen?“
„Nicht, wenn er den Empfänger der Waren nicht preisgibt.“
„Mich wundert, dass der Justiziar überhaupt soweit mitgeht, seine Geschichte für möglicherweise wahr zu halten.“
„Hrothluf hat einen Brief.“
„Was für einen Brief?“
„Keine Ahnung, von wem – vielleicht sein Geschäftspartner, wie weiß. Er ist mit N. unterzeichnet und besagt, dass Hrothluf den Absender in einer Woche in Windhelm treffen soll“, berichtete die Kaiserliche.
„Und was hat das mit Dir zu tun?“
„Du weißt, wie ich mich auf Reisen nenne.“
„Oh.“ Für einen kurzen Moment erschlafften die Muskeln des Nords sichtbar, als er die Überraschung dieser Nachricht verdaute. Vesana nutzte diese Gelegenheit nicht, sondern ließ ihr Gespräch zunächst fortlaufen. „Und ich nehme an, er hat sich bereits eine ansonsten ganz gut passende Geschichte ausgedacht?“
„Das hat er in der Tat. Besonders, da er auf der Reise mehr Fragen gestellt hat, als ich zu ignorieren in der Lage war.“ Mit neuerlich aufquellender Wut und einem tiefen, animalischen Grollen in der Kehle ging sie abermals ohne Vorwarnung in den Angriff über. Erst sprang sie hoch und stach nach Vilkas. Der blockte, geriet jedoch ob der Wucht aus dem Gleichgewicht und taumelte. Nach der Landung wirbelte Vesa fast ausschließlich um die eigene Achse, dass die Umgebung zu einer einzigen Masse verschmolz. Umdrehung für Umdrehung prasselten ihre Holzklingen gegen Schild und Schwert ihres Freundes, der nicht einmal daran denken konnte, anzugreifen und in der Defensive festgenagelt war. Sie entließ den Zorn, der in ihr aufquoll, baute den Druck ab und befreite sich von der emotionalen Fessel, die sie seit der Befragung gefangen hielt. In diesem Sturm blieb nichts von der sonstigen Finesse und tänzerischen Eleganz, die die Jägerin normalerweise in ihre Kampfbewegungen legte und sich so geschickt an ihren Widersachern vorbeidrehte um von allen Richtungen anzugreifen. Lange ließ sich dieser Wirbelwind aus Hieben allerdings nicht aufrechterhalten, denn durch die zahlreichen einseitigen Drehungen setzte alsbald der Schwindel ein und sie taumelte vor ihrem Kontrahenten zurück. „Erinnere mich daran, Dich niemals wütend zu machen“, keuchte Vilkas nach Ende des Hagels und holte seinerseits zu einem hohen Hieb aus. Mit den gekreuzten Klingen fing Vesa ihn ab, musste jedoch auf ein Knie hinabgehen, um gleichzeitig noch das angeschlagene Gleichgewichtsempfinden zu kontern.
Als Folge gingen sie wieder auseinander, nur um im Anschluss gleichzeitig aufeinander los zu spurten. Mit der linken Waffe lenkte sie den Stich des Nords ab während sie mit der Rechten ihrerseits zustach und unglücklicherweise an der Hand des Mannes vorbei in den Griff an der Innenseite seines Schildes einfädelte. Die so verkeilten Kampfmittel ließen sie fallen und standen sich deshalb nur noch mit jeweils einer einfachen Holzklinge ausgestattet gegenüber. Die Kaiserliche, die mit beiden Händen gleichermaßen gut umzugehen vermochte und sogar ohne Probleme mit Links eine Feder führte, behielt ihre Waffe vorläufig in der Linken und hob sie hoch über den Kopf. Vilkas packte den Griff der seinen mit beiden Händen. Nun gleichstark bewaffnet lag der Vorteil auf seiner Seite und so nutzte er in auch aus. Vesa fand sich in der Defensive wieder und musste mehr parieren, als sie anzugreifen vermochte.
Beide wirbelten nun umeinander und tauschten ohne Unterlass Schläge und Paraden aus. Die Kaiserliche wechselte gelegentlich noch die Schwerthand und die Führungsrichtung ihrer Klinge, aber der trotz seiner vergleichsweise geringen Größe kräftigere Nord verfügte über die bessere Kraftausdauer, während sie sich zuvor bereits erheblich verausgabt hatte. Seine Schläge waren zwar gröber, aber dafür auch wesentlich kraftvoller und mehr als einmal musste sie im letzten Moment zu Seite wegtauchen, weil ihre Deckung aufbrach.
Abermals wechselte sie zur linken Hand und führte das Schwert am Unterarm entlang. Aus der Rechtsdrehung heraus schlug sie seine Klinge zur Seite und schob ihr Bein zwischen seine, den Fuß als Stolperfalle hinter den seinen stellend. Unglücklicherweise packte er sie in diesem Moment aus Reflex am freien Arm und zog sie mit sich, so dass sie auf ihm landete. Ihre Waffe saß an seiner Kehle als sie zum Liegen kamen, die Gesichter nah genug, dass sie seinen heißen Atem spürte. Die Rechte ruhte auf dem Boden neben seinem Kopf. Linksseitig über seinem Bein kniend, hielt sich das rechte lang gestreckt und unter seinem begraben. Für einen Moment blieben sie in der Überraschung regungslos und starrten sich an. Seine grauen Augen weit aufgerissen und das zerfurchte Gesicht mit dem stoppeligen Bart glitzerte vor Schweiß. „Gewonnen“, presste Vesana schließlich als erste hervor und wollte sich erheben, doch packte sie der Nord schnell und bestimmend am Arm.
„Nicht so voreilig“, sprach er nur und plötzlich spürte die Kaiserliche einen unangenehm spitzen Druck in der linken Flanke. Schnell wandte sie den Blick dorthin und bemerkte erst jetzt, dass ihr Kumpan sein Schwert im Fallen nochmal erhoben haben musste, denn die Spitze seiner Klinge wies von unten auf ihren Brustkorb. Überrumpelt richtete sie ihre Augen wieder auf das Gesicht des unter ihr liegenden Mannes. Der zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Unentschieden“, mahnte er und ließ ihren Arm los. Es wäre auch zu schön gewesen, endlich einmal gegen den Nord zu gewinnen.
Ein kurzes Schmunzeln stahl sich auf Vesas Lippen und sie ließ sich nach rechts neben Vilkas in den Dreck fallen. Schwer atmend blieben sie nebeneinander liegen und schauten in den Himmel. Die Wut war verflogen und räumte das Feld für eine Reihe anderer Gefühle, von denen sie nicht sicher zu sagen vermochte, ob sie ihr lieber waren. „Besser?“, wollte der Nord schließlich wissen.
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Geändert von Bahaar (01.02.2014 um 20:22 Uhr)
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General
Cyrodiil, Kaiserstadt, Revans Kammer; Marktbezirk; Talos-Platz-Bezirk
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Revan wachte erst am späten Vormittag des nächsten Tages auf. Der Wein hatte ihm einen tieferen Schlaf verschafft, wie er angenommen hatte. Schweigen betrachtete der Dunmer die kleine Kammer: Ein Bett, ein Schrank und ein Tisch mit 2 Stühlen. Im Schrank selbst befanden sich verschiedene Kleidungsstücke, die größtenteils arg in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auch war ein verborgenes Schloss in der Seitenwand, welches die Rückwand des Schrankes öffnete und einen sehr kleinen Raum dahinter offenbarte. In diesem Raum wurde die Ausrüstung und Beute gelagert, solange es nichts zu tun gab bzw. es keinen Käufer für die Beute gab. Auf einem der Stühle lag seine Kleidung, die er momentan trug. Auf dem Tisch selbst lagen Nadel und Faden, diverse Messer, eine Flasche mit Hochprozentigem und eine dicke Kerze gab bei bedarf Licht. Es ist nicht viel, aber diese Kammer ist mein zu Hause. Revan lebte seit 20 Jahren hier und in dieser Zeit erging es ihm besser wie vielen Anderen. Trotzdem war er der Überzeugung, dass er noch besser leben konnte als er es jetzt ohnehin schon tat. Dafür musste aber auch etwas getan werden und sie hatten ja wieder einen Auftrag. Einen sehr Heiklen, da sie dafür den Zorn der Thalmor auf sich ziehen würden, aber die Möglichkeit diesem Mer das Haus auszuräumen war sehr verlockend und versprach viel Gold. Der Dunmer blieb noch einen Moment sitzen, dann stand er auf. Wohin zuerst? Ich könnte dem Alten einen Besuch abstatten, oder ich sehe mir mal dieses Haus an und schaue was ich im Rest der Stadt so tut. Schnell entschied er sich für letztere Möglichkeit, da er meistens nur im Hafenviertel unterwegs war. Wenige Minuten später hatte er seine Kleidung angelegt und verließ die Kammer.
Auf der Straße empfing ihn das alltägliche Treiben der Kaiserstadt. Nach wenigen Schritten war er in der Menschenmenge untergetaucht und ging zielstrebig in den Marktbezirk. Die Masse an Menschen und Mer erschien in diesem Bezirk immer ein wenig erdrückend. Trotz verstärkter Präsenz der Wache konnte hier ein guter Taschendieb an einem einzigen Tag sehr viel verdienen. Allerdings war es immer ein Risiko. Zwar konnte man in der Masse gut verschwinden, wenn man allerdings entdeckt wurde, wiesen tausende Augen der Wache den Weg und dann hatte man keine Chance mehr. Revan war dieses Schauspiel sehr vertraut und er hatte es bis auf wenige Ausnahmen immer vermieden, hier irgendetwas zu stehlen. Nahrung an den Ständen zu stehlen war zwar nicht ganz so gefährlich, aber es war immer sicherer Geld in der Tasche zu haben, damit man zahlen konnte.
Die Tavernen waren alle überfüllt, daher stellte der Dunmer sein Frühstück selbst zusammen: Ein Laib Brot, ein Stück Salzkäse, ein Apfel und ein Bier ergaben ein sättigendes Mahl. Während er das letzte Stück Käse aß, überlegte Revan wie er am besten an Informationen über den Besitzer und seine Haus herankommen könnte. Einen Diener zu bestechen wäre eine Möglichkeit, allerdings bestand da das Risiko, das er später erwischt wurde und etwas über ihn ausplaudern würde. Meistens war das Bestechungsgeld auch nicht gerade niedrig, da viele Diener es vorzogen nach dem Einbruch möglichst weit Weg von ihrem Herren zu sein. Da der Herr hier aber sehr wahrscheinlich den Thalmor angehörte oder zumindest mit ihnen zusammenarbeitete, war die Bestechung der Diener nicht sehr vielversprechend. Einzige alternative wäre ein ehemaliger Diener, der gefeuert worden war. Aber es war nicht leicht solche Leute zu finden. Wenn man genug Zeit hatte und den Einbruch über Monate plante, konnte man solche Personen finden. Dem Tipp des Informanten zu Folge würde der Einbruch, so schätze Revan, innerhalb der nächsten 1 bis 2 Wochen stattfinden. In diesem Zeitraum brauchte man viel Glück oder einen Bettler der viel wusste und da war wieder die Frage ob er das nicht an andere Leute ausplaudern würde, die einem später an den Kragen wollen. Bei Altmern allgemein und Thalmor im speziellen konnte man nie vorsichtig genug sein. Gefahrloser war da das beobachten des Hauses um sich einen Überblick über die Größe und die Umgebung zu verschaffen und zu prüfen ob es einen Ausgang zur Kanalisation hatte. Wobei ein solcher Ausgang wahrscheinlich bewacht wurde. Es wäre immerhin ein Anfang. Den letzten Apfel verspeisend ging Revan in Richtung Talos-Platz-Bezirk. Dort sollte seine Arbeit beginnen.
Heute waren besonders viele Menschen in der Kaiserstadt unterwegs, daher benötigte der Dunmer mehr Zeit um den Talos-Platz zu erreichen. Dort angekommen sah er wie viele Neuankömmlinge erstaunt für ein paar Sekunden stehen blieben um die Statue in der Mitte des Platzes zu bestaunen. Der Drache war ein imposantes Bauwerk, den Dieb scherte das wenig. Er hatte diese Statue schon so oft gesehen, das er sie kaum noch beachtete. Trotzdem blieb auch er stehen, jedoch suchte er das Haus des Altmers. Nach wenigen Sekunden hatte er den Prunkbau gefunden, man konnte dieses Gebäude gar nicht übersehen, es stach aus den anderen Häusern am Platz hervor wie ein großes Juwel. Auf den ersten Blick erschien es sogar ein wenig unpassend, bei genauerer Betrachtung war es dann wiederum fast schon zu passend. Der Bau war angeblich, wie Revan einen reicheren Altmer einmal hatte sagen hören, im Stil der Ayleiden gehalten. Der Dunmer hatte nie eine ihrer Ruinen gesehen und außerdem fand er das Haus sehr protzig.
Der Palast, diese Bezeichnung war treffender, besaß 2 Stockwerke, einen Keller und umfasste etwa ein Viertel des gesamten Platzes. Die Außenmauer bestand aus Marmor und entlang der Fassade lief ein imposanter Bogengang mit prächtig verzierten Säulen. Dahinter lag im Schatten das große Eingangsportal und der Dieb glaubte sogar Verzierungen aus Gold zu sehen. Als ob es nicht hinreichend bekannt wäre, dass der Kerl Geld zum Scheißen hat. Langsam suchte Revan einen Weg durch die Masse an Menschen und Mer auf dem Platz um die Villa besser beobachten zu können. Während der Dieb nach einem guten Platz suchte wo ihn die Wachen nicht gleich verjagen würden oder jemand misstrauisch wurde, warf er immer wieder einen Blick auf das Gebäude. Einzelheiten der Verzierungen auf den Säulen wurde sichtbar, die Fenster waren nun besser sichtbar und das Eingangsportal besaß nicht nur Verzierungen aus Gold, es waren außerdem verschiedene Edelsteine in die Doppeltür eingelassen worden. Neben dem ganzen Prunk wurden nun auch 4 Wachen sichtbar, die alle vergoldete Elfenrüstungen trugen. Für weitere Einzelheiten reichte die Zeit nicht, da es keinen brauchbaren Platz gab an dem Revan hätte verweilen können ohne sofort aufzufallen. Da sie ohnehin nicht durch die Vordertür spazieren wollten, war das nicht so schlimm. Der Dieb schob sich weiter durch die Massen und umrundete den Talosplatz, ehe er in einer Seitengasse verschwand um den Rest der Villa begutachten zu können.
Die angrenzenden Gassen waren größer und breiter als im Rest der Stadt und konnten gut als eigene Straßen gelten. Somit war es nicht ohne weiteres möglich von einem Nebengebäude in die Villa einzudringen. Leider gab es auch keine Baugerüste die selbiges erleichtert hätten; weder an der Villa selbst noch an den angrenzenden Gebäuden. Selbst wenn es welche gäbe, würde der Altmer sie Nachts bewachen lassen. Die Seitenwände waren aus dem gleichen Material wie die Fassade und außer einigen prächtig verzierten Fenstern gab es nichts zu sehen. Die Fenster stellen auch keinen geeigneten Eingang dar. Dafür sieht man vom Platz noch zu viel und wahrscheinlich werden hier auch von ihm bezahlte Wachen patrouillieren; der kaiserlichen Wache traut er nicht......zu recht. Somit verblieb einzig die Rückseite der Villa als potenzieller überirdischer Einstieg. Der Dunmer wartete einen kurzen Moment um sich einer kleinen Gruppe von Boten und Dienern anzuschließen um wenigstens ein paar Blicke riskieren zu können ohne sofort entdeckt zu werden. Aber auch die Rückseite war keine Überraschung: Der Prunk setzte sich nahtlos fort, allerdings gab es hier auf beiden Stockwerken einen Bogengang. Der Garten war durch eine Mauer von der Straße getrennt, zusätzlich wuchsen verschiedene Sträucher und Bäume im Garten. Und natürlich standen auch hier Wachen. Das letzte was Revan erblicke bevor er in eine andere Menge von Menschen abtauchte und sich wieder von dem Garten entfernte, war ein Brunnen. Soviel zur Villa. Aber was will man erwarten? Wenn er wirklich die Geschäfte in der Unterwelt kontrollieren will, dann weiß er auf was er achten muss. Die Wachen stehen wahrscheinlich auf seiner persönlichen Gehaltsliste und folgen ihm wohl blind. Die Diener und Boten werden zu viel Angst haben. Jetzt blieb nur noch die Kanalisation als potenzieller Einstiegsweg. Aber das hatte noch ein wenig Zeit. Zuerst würde Revan der Taverne seines Vertrauens einen Besuch abstatten. Ihn hatte eine gewisse Unruhe ergriffen und seine Hände zitterten. Zeit für die tägliche Fütterung....
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Geändert von Skyter 21 (04.08.2014 um 19:27 Uhr)
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Unschlüssig und anstatt des erhofften Hochgefühls nach Abklingen der Wut eher in ein Loch aus Hilflosigkeit versunken, schwieg die Jägerin. Obwohl ihr Kampfpartner genau das getan hatte, was sie brauchte, brachte es nicht den gewünschten Effekt. Im Gegenteil, es erinnerte sie an Darius, an dem sie sich ebenfalls immer hatte austoben können und der nun fehlte. Das Gespräch in der Drachenfeste führte ihr schmerzhaft vor Augen, dass selbst ihre angesehene Familie der Gefährten sie nicht vor allem schützen konnte und ließ die Sehnsucht aufflammen, sich in die Geborgenheit zweier Arme zurückzuziehen, die ihr – obgleich keinesfalls wirklich zutreffend – glaubhaft das Gefühl vermittelten, die Welt könne ihr nichts anhaben. „Vesa?“ Vilkas wandte ihr das Gesicht zu, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte, doch hielt sie ihren Blick stur gen Himmel, um zu vermeiden, dass sich das Wasser in ihrem Auge als Träne verselbstständigte. Ganz zu schweigen davon, dass ihr ein größer werdender Kloß die Worte im Hals abschnürte.
„Lass uns“, setzte sie an, brach jedoch ab, als ihre Stimme versagte. Sie schluckte schwer und versuchte sie zurückzugewinnen. „Lass uns später reden“, war das einzige, das sie herausbrachte bevor sie sich aufsetzte, das Schwert ablegte und schließlich aufstand. Mit raschen Schritten verschwand sie um die Ecke des Gildenhauses. Ab dort außer Sicht vermochte sie die salzigen Perlen nicht länger zurückzuhalten, ließ sie über die verschwitzten, schmutzverklebten Wangen rinnen. Mit verschwimmender Sicht rannte sie zum vorderen Eingang der Halle und trat ein, hoffend, dass noch niemand von den Schaulustigen hineingegangen war. Sie hatte Glück, verkroch sich hastig in den Keller, knallte die Tür hinter sich ins Schloss und nahm in der hintersten Ecke ihres Zimmers Platz. Zwischen Nachttisch und den Wänden hockte sie sich ins Halbdunkel, zog die Beine an und schlang die Arme darum, während ihr die Tränen über die Wangen in den Mund flossen wie Regentropfen an einem Fenster. Die Lippen bebten unkontrolliert und der Rotz mischte sich mit dem Salzwasser, hinterließ einen bittersüßen Geschmack in ihrem Mund bevor sie den Kopf gegen die Knie presste und die Wässer der Trauer an ihren Beinen hinabliefen.
Bei allen Ebenen des Vergessens, hatte sich denn gar nichts geändert in den vergangenen Wochen? Sollte sie noch immer derart anfällig für den Schmerz des Verlustes sein, den sie schon so oft empfinden musste? War es denn nicht endlich an der Zeit die eigene Stärke wiederzufinden und Momente der scheinbaren Hilflosigkeit selbst durchzustehen? Scheinbar lautete die Antwort nein.
Unregelmäßiges Zucken erfasste sie, als Vesana das Schluchzen kaum noch zu unterdrücken vermochte. Zitternd löste sie sich von ihren Beinen und nahm mit kraftlosen Fingern das Hirschkopfamulett und strich über es. Vorsichtig wendete sie es hin und her. Lange blieben ihre eingetrübten Augen auf der Gravur eines frontalgesehenen Wolfskopfes haften, die sich auf der Rückseite des Schmuckstückes befand. Kurz darauf ließ sie es wieder los und vergrub das Gesicht in den flachen Händen als ihr das Luftholen schwerzufallen begann.
Eine unendlich lange Zeit, so erschien es der Kaiserlichen zumindest, harrte sie so aus. Schutzlos und den Wettern lokaler Politik, justizieller Willkür und den Lügen einzelner hilflos ausgesetzt fraß sich die Sehnsucht durch ihr Inneres und zehrte an ihrer Haut wie die Erinnerung an die sanfte Berührung warmer, willkommener Hände, die streichelnd ihren empfindlichen Leib hegten. Doch die Erwartung, die sie damit verband, blieb unerfüllt und so schluckte sie das Loch der Enttäuschung und Einsamkeit. Nur unter größten Anstrengungen schaffte sie es gegen die bleierne Schwere in ihren Gliedern anzukämpfen und sich zu dem Regal zu schleifen, in dem ihr Totem der Jagd stand. Wie eine Puppe nahm sie es in die Arme und presste es gegen ihre Brust, die sich nur noch rasselnd hob und senkte. Als könnte sie zurückbringen, was verloren war, streichelte die Jägerin seinen Kopf und presste die Augen zusammen, als würde sich so ihr Wunsch erfüllen, wenn sie nur fest genug daran glaubte.
In gewisser Weise funktionierte es.
„Denke daran: Nicht zu viel Kraft, langsam und gefühlvoll.“ Der Kaiserliche, der neben Vesana im saftig-grünen Gras saß nahm seine Hände von den ihren. Im Vergleich zu seinen wirkten ihre noch weitaus schlanker und feingliedriger, als sie es ohnehin schon waren – fast schon zerbrechlich, obwohl weit davon entfernt. Die sanfte Berührung kitzelte noch einen Moment lang weiter, bevor sie als Erinnerung der Haut verblasste. Eifrig nickend griff sie noch einmal nach, drückte das dicke Stück Eichenholz fester auf den Boden und setzte das scharfe, kurze Messer neu an die Rinde des Ausschnitts eines Astes. Linksseitig auf ihre Unterlippe beißend begann sie damit, die äußerste Schicht der toten Pflanze abzuschälen und das helle Innere freizulegen. „Sehr gut.“ Die ersten Teile der zähen Borke lösten sich von dem, das sie einst schützte.
Hoch konzentriert strich sich die Jägerin eine Strähne hinter ihr Ohr und setzte die Arbeit fort bis eine größere Fläche gänzlich von ihr befreit war. Eine kräftige Hand strich ihr während der vor allem für die Finger anstrengenden Arbeit zärtlich über den Rücken und blieb irgendwann in ihrem Nacken liegen, nur um dort an der Schädelbasis mit kaum wahrnehmbaren Druck ihren Kopf zu massieren. Von den wohligen Schauern aus dem Konzept gebracht und ihres geistigen Fokus beraubt, schloss Vesa die Augen und ließ ihre Hände zwischen die um das Aststück gespreizten Beine sinken. „Darius“, hauchte sie, „so werde ich doch nie fertig.“ Dennoch drückte sie sich genussvoll lächelnd nach hinten und seiner Hand entgegen bis sie den gesamten Arm ihres dicht neben ihr sitzenden Freundes auf ihrem Rücken spürte.
„Das scheint Dir ja gerade nicht viel auszumachen.“ Sie hörte das Schmunzeln aus der ebenfalls gedämpften, tiefen Stimme des Mannes und erschauderte, als ihr auch noch eine der inzwischen häufigeren Frühlingsbrisen über die Haut an den kaum verhüllten Beinen und Armen strich. „Aber Du hast Recht.“ Abrupt nahm Darius seinen Arm von ihr und rückte wenige Handbreit von ihr weg, um ihr mehr Platz zum Arbeiten zu geben. Überrumpelt und empört ob der Dreistigkeit schlug Vesana mit dem Handrücken nach links aus und traf den Kaiserlichen gegen die Brust bevor er ihren Arm abfangen konnte. Er lachte nur, weshalb sie ihm einen finsteren Blick mit zusammengezogenen Augenbrauen zuwarf und sich dann wieder ihrem Eichenast zuwandte. Allerdings ließ sich das aufbrandende Lachen in ihre Kehle kaum noch unterdrücken und so entließ sie die Luft nur schubweise zwischen den zusammengepressten Lippen. Das dabei erzeugte Geräusch schien der Komik der Situation jedoch eher noch zuträglich zu sein.
„Du bist ein doofer Hund, weißt Du das?“
„Ja, weiß ich doch.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, bei dem sie die fingerbreit getrimmten Haare seines gepflegten Bartes spürte, und der ihr seinen eher herben, aber dezenten Geruch von Bergkräutern in die Nase trug. So besänftigt und breit lächelnd widmete sich Vesa weiter dem Stück Holz, das irgendwann einmal – so hoffte sie zumindest – eine kleine, wolfsähnliche Figur werden sollte. Seit ihrem letzten Geburtstag brachte ihr Darius das Schnitzen bei und jetzt, etwas über ein halbes Jahr später, meinte er, dass sie zusammen ihr Totem der Jagd aus diesem noch eher plumpen Stück Holz ausarbeiten konnten.
Ein Weilchen weiterarbeitend beugte sich die Jägerin angestrengt über den Ast und befreite ihn weiter von seiner Rinde. Ihr langer Pferdeschwanz rutschte ihr dabei über die linke Schulter und ihr Geliebter hob ihn ihr schweigend zurück in den Rücken, damit er sie nicht behinderte. Allerdings ließ er ihm Anschluss seine Hand abermals auf ihr ruhen. „Gss!“ Kurz zuckend schüttelte Vesana sie von sich ab. Er lachte nur.
„Schon gut, schon gut.“ Die Finger verschwanden aus ihrem Nacken.
„Braver Darius. Brav.“
„Pff.“
Schließlich stand das Aststück nackt und seiner dunklen Hülle beraubt im Gras vor ihr. Die eigentliche Arbeit konnte beginnen. Allerdings merkte die Jägerin schon jetzt, dass ihre Finger nicht mehr allzu lange weitermachen würden. Sie schmerzten und fassten den Griff des Messers lockerer als zuvor. Daher ließ sie die Hände sinken und platzierte die scharfe Klinge neben dem Holz. „Mach‘ Du weiter“, forderte sie, verschränkte die Finger ineinander und versuchte sie durch greifende Bewegungen ein wenig zu lockern.
„Jetzt schon?“ Darius stupste sie neckend in die Seite.
„Ja.“ Seine Rechte wanderte ihr im Bereich der Lendenwirbelsäule quer über den Rücken und zwickte sie mehr kitzelnd als kneifend auf ihrem Weg. Sie wand sich mit abnehmendem Erfolg darunter weg und endete schließlich in der Umklammerung seines rechten Armes, die es seiner freien Hand ermöglichte sie am empfindlichen Bauch zu zwacken. Gackernd wie ein Huhn drehte und wendete sie sich, entkam seinen viel kräftigeren Armen jedoch nicht. „Hör auf!“ Er kam ihrer Bitte nicht nach und setzte seine Folter des Liebenden fort, auf dass ihr regelmäßig die Luft wegblieb. Wenn er sie zu etwas antreiben wollte, ärgerte er sie bis sie es nicht mehr aushielt und ihm Folge leistete. Dieses Mal hielt sie allerdings so lange aus, bis sich ihr die Möglichkeit bot, ihrerseits in einen Klammerangriff überzugehen.
Vesa wandte sich ihm zu und schlang erste die Arme um seinen Oberkörper und gleich im nächsten Augenblick auch noch die Beine, so dass sie Front an Front gegeneinandergedrückt saßen. Unglücklicherweise gereichte es eher ihrem Liebsten zum Vorteil, der sie nun mit beiden Händen gleichzeitig fröhlich lachend quer von einer Körperflanke über den Rücken zur anderen auskitzeln konnte. Um ein Quieken zu unterdrücken biss sie sich in den leichten Stoff seines Hemdes an der Schulter und krallte die Finger in seinen Rücken. „Au!“
„Entschul-hick-dige.“ Der Kaiserliche hörte auf und verfiel in einen Lachkrampf, gleichzeitig legte er aber auch seine Arme sanft um sie und drückte sie an sich. Sie spürte das Beben seines Leibes als wäre es ihr eigenes und nur ihr eigenes Zucken erinnerte sie daran, dass es das nicht war. „Toll!“ -hick- Darius lachte weiter. „Nicht -hick- komisch!“ Sie legte ihren Kopf in die Mulde zwischen seiner Schulter und Hals und boxte ihn in die Seite.
„Schon gut, schon gut!“ Er bekam selbst kaum Luft und musste erst einmal tief durchatmen. „Tut mir leid.“ Seine Hand wanderte hinauf zu ihrem Kopf und strich ihr durch die Haare, die sich in ihrem Gerangel aus dem Pferdeschwanz gelöst haben. Sie schloss die Augen und nestelte mit der Linken an Brust und Bauch des Mannes. -hick- Sie merkte, wie er nur zum Teil erfolgreich ein weiteres Lachen unterdrückte und strafte ihn sogleich mit einem eher zärtlichen Hieb gegen den Oberkörper. „Ich soll also weitermachen für Dich, ja?“
„Du hast es -hick- versprochen.“ Sie öffnete die Augen und sah an Darius hinab, von oben in den Ausschnitt des nicht gänzlich zugeknöpften Leinenhemdes hinein. Zielsicher griff ihre Hand hinein und holte das dort verborgen liegende Silberamulett heraus. Fast schon andächtig und so behutsam, als würde Vesana über seine Haut streicheln, drehte und wendete sie es zwischen ihren Fingern, strich über die Gravur auf der Rückseite und beobachtete die Lichtreflexionen, die sich auf der glattpolierten Oberfläche boten. -hick-
„Jetzt sofort?“, wollte Darius wissen und riss sie aus ihrem gedankenleeren Zustand. Behutsam stopfte sie den Talisman in Form eines Hirschkopfes, den ihr Geliebter einst von seinem Bruder bekommen hatte, zurück in sein Versteck an der Brust des Mannes und ließ ihre Hand dort ruhen.
„Hmmm.“ -hick- Sie gab ihm einen Kuss auf das freiliegende Schlüsselbein, schloss die Augen und vergrub den Kopf wieder in der dortigen Mulde. „Gleich.“ Er legte seinerseits das Haupt schief und auf ihrem ab, so dass sie das Schmunzeln auf seinen Lippen regelrecht spüren konnte, während er ihr weiter durchs Haar strich. -hick-
Es waren diese Momente gewesen, die Vesana das Gefühl gegeben hatten, dass ihre Welt doch in Ordnung war – dass sich die Dinge doch zum Guten wenden mochten. Fernab des schmutzigen Alltags auf den Straßen der Zivilisation, mitten in der Wildnis umgeben von nichts anderem als der unberührten Natur. Sie bot ihnen Schutz, verbarg sie vor neugierigen Blicken und war gleichzeitig die Spielwiese, auf der sie Triebe und Sehnsüchte ohne Hemmungen ausleben konnten.
All das sollte jedoch nicht mehr sein. Die inzwischen fast schwarz eingefärbte Figur, die sie in den Armen hielt, entglitt ihrem Griff und schlug dumpf auf dem kühlen Steinboden auf. Die Sicht zur Unkenntlichkeit verschwommen, die Lungen regelrecht nach Luft schnappend, als würden sie gegen den Unwillen zu atmen ankämpfen, und am ganzen Leib zitternd und schüttelnd, als würde sie erfrieren, fiel die Kaiserliche auf die Seite. Rasselnd rutschte das Amulett unter ihrer Tunika hervor, während Vesa die Hände vor das Gesicht schob und einfach liegen blieb.
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Geändert von Bahaar (07.02.2014 um 22:16 Uhr)
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Vesana rieb sich die salzverkrusteten, brennenden Augen. Der wenig erholsame, kurze Kummerschlaf auf dem kalten Steinboden ihres Zimmers endete abrupt mit einem neuerlichen Adrenalinschub, der sie kerzengerade hochschrecken ließ und dessen Ursache wohl in einem unangenehmen, aber bereits zur Unkenntlichkeit verblassten Traum lag. Ihr Herz schmerzte vom plötzlichen Galopp. Nun saß sie hier, allein und in so schrecklicher Verfassung, wie seit Langem nicht mehr. Verzweifelt versuchte die Kaiserliche die Spuren ihrer Trauer zu verwischen, doch sorgte das heftige Reiben nur dafür, dass ihre Augen noch mehr brannten und ein Teil des Salzes aus den getrockneten Tränen direkt in sie hineingelangte. „Scheiße!“ Sie schlug wütend und frustriert nach dem nahen Bett. Die Pein in den Fingerknöcheln lenkte sie wenigstens ab.
Kraft- und antriebslos ließ sie sich nach hinten gegen das Regal sinken und nahm die auf dem Fußboden liegende Wolfsfigur in die Hände. Behutsam ordnete sie die Trophäen an deren Hals und schließlich schob sie sie über die Schulter hinweg zurück in die dunkle Nische, in der sie zuvor gestanden hatte. Mühsam und träge erhob sich Vesa und schlurfte hinüber zu der kleinen Waschschüssel auf einer Kommode, in der sie immer etwas klares Wasser aufbewahrte – ob nun für die morgendliche Erfrischung, oder für Anlässe wie diesen spielte keine Rolle. Der Schwall des kalten Nasses beruhige in angenehmer Weise die gereizten und sicherlich unansehnlich geröteten Augen. Sie war froh, dass sie gerade keinen Spiegel griffbereit in der Nähe hatte, den eigenen Anblick in seinem kompletten Ausmaß und ihrer völligen Vernichtung hätte sie in diesem Augenblick nicht ertragen.
Von den eigenen Gefühlen im Duell geschlagen setzte sich die Jägerin auf die Bettkante, ließ die Schultern hängen und die Beine ausgestreckt. Mit leerem Blick starrte sie durch die Anrichte mit der Wasserschale hindurch und hoffte, dass sich ihr Anblick in der Zeit, in der sie hier ruhte, wenigstens etwas verbesserte, denn ewig konnte sie hier nicht bleiben. Irgendwann entschied sie sich dafür, das Zimmer wieder zu verlassen und frische Luft zu schnappen. Die Feuchtigkeit und Dunkelheit im Keller Jorrvaskrs würden ihr auf Dauer wohl noch weniger gut bekommen, als die Stille und das Alleinsein.
Vorsichtig, in der Hoffnung, dass sie noch niemand bemerkte, öffnete sie die Tür ihres Zimmers und spähte auf den Flur davor. Niemand zu sehen und so huschte sie hinaus. Aus dem Gemeinschaftsschlafraum drangen wie immer Stimmen, aber der Durchgang hinein war nur einen Spalt breit geöffnet und so würde sie auch von den Leuten dort keiner bemerken. Vesa empfand es als Segen, denn umso weniger ihrer Gefährten sie mit den restlichen Zeichen ihrer Schwäche im Gesicht sahen, desto wohler würde sie sich im Nachhinein fühlen. Langsam und leise stieg die Kaiserliche die Stufen in den großen Hauptsaal der Halle der Gefährten hinauf und blieb anschließend am Rand. Ein paar ihrer Kumpane saßen am langen Ende gegenüber in den Stühlen und unterhielten sich, aber sie schenkten der Umgebung sonst keine weitere Beachtung.
Erst auf der Terrasse wurde sie bemerkt, denn Vilkas und sein Bruder saßen dort an einem Tisch und beobachteten Athis bei seinem Kampf mit einem Nord, den Vesana nicht kannte. Der kleinere der beiden Männer unter dem Vordach wandte ihr den Kopf zu. Als er sie erkannte, senkten sich seine Augenbrauen und -winkel zu einem sorgenvollen Blick, der den sonst wachen, grauen Augen eine traurige Note verlieh. Für die Dauer eines Herzschlages schenkte sie dem Freund ein gequältes Lächeln, das kaum mehr erfasste als ihre Mundwinkel, und wandte sich dann von ihm ab. Langsam ging sie ans vordere Ende der Terrasse und lehnte sich seitlich gegen einen der Pfeiler des Daches. Inzwischen wusste sie den blonden Mann von der Größe Farkas‘ auch einzuordnen: Es musste sich um den Nord handeln, von dem Kodlak gesprochen hatte. Etwas weniger kräftig als Farkas, aber in etwa genauso alt. Sein schulterlanges, blondes Haar hatte er in einen Pferdeschwanz zurückgebunden und ein sauberer Vollbart stand ihm um den Mund. Auf seiner dunkelbraunen Hose zeichnete sich an zahlreichen Stellen der hellere Staub des Übungsplatzes ab und das beige Leinenhemd klebte vor Schweiß stehend eng an seinem Körper. Das Übungsschwert hielt er merklich verkrampft in der Hand und so wie er keuchte schienen die beiden schon länger gegeneinander zu kämpfen. Die für ein untrainiertes Auge fast unmöglich zu bemerkende Schiefstellung seines Oberkörpers verriet überdies, dass er wohl schon den einen oder anderen Hieb gegen die linke Körperhälfte eingesteckt hatte.
Allerdings war selbst das nicht Grund genug für die zahlreichen, teilweise gravierenden Fehler in Körperhaltung und Bewegungsablauf, die der Kaiserlichen nach und nach im Verlauf der weiteren Schlagabtausche auffielen. Den Schwerpunkt des Körpers hielt der Nord beispielsweise vor den Füßen anstatt genau über den Zehenspitzen, weil er sich zu weit vorbeugte. Das erschwerte ihm, auf Schläge aus bestimmten Richtungen zu reagieren, weil er zu lange brauchte, um sich wieder nach hinten zu lehnen oder gar nach hinten auszuweichen. Überhaupt, es schien, als wäre jede Faser seines Leibes wie eine Bogensehne überspannt. Schläge kamen abgehakt und ohne fließende Übergänge, was Zeit kostete – zu viel Zeit, wenn es darauf ankam und der Gegner diese Schwächen tatsächlich bemerkte.
So verwunderte es auch nicht, dass er von Athis dem Dunmer schließlich wieder von einem Schlag gegen das linke Bein und einem anschließenden Hieb mit dem Schwertknauf gegen die Brust zu Boden gestreckt wurde. Keuchend blieb er liegen. „Und, was denkst Du?“, fragte Farkas hinter ihr, vermutlich an seinen Bruder, weswegen sie es ignorierte. Vesana beobachtete unterdessen weiter die Szenerie, als sich der blonde Nord zurück auf die Füße hievte. „Vesa?“
„Ja?“, sie wandte den Kopf nur leicht und schaute über die Schulter.
„Was denkst Du?“
„Was meinst Du?“
„Von ihm“, er nickte zum Übungsplatz. „Dem Frischling.“ Sie schaute dem nächsten schnellen Schlagabtausch zu. Einige Schläge des wesentlich kleineren Spitzohrs vermochte der Nord zwar zu parieren, aber schließlich endete er abermals im Dreck.
„Potenzial ist da, aber noch ziemlich ungeschliffen.“
„Nimmst Du ihn?“, wollte nun Vilkas wissen. Eine gewisse Vorsicht schwang in seiner Stimme mit, als wolle er sie im Moment nicht zu stark in eine Richtung drängen.
Sie überlegte kurz. „Ja.“ Er machte sich besser als der letzte, den sie hatte, und schien sich auch einer ordentlichen Tracht Prügel nicht großartig zu stören. Zumindest rappelte er sich gerade wieder auf und hob erneut das Übungsschwert. Athis brach jedoch ab und ließ sie eine Pause einlegen. Auch er keuchte vor Anstrengung. „Bring ihm mal eine ordentliche Balance bei“, wie sie Athis an, als sie zur Terrasse hinüberkamen, um sich an einen der freien Tische zu setzen, „es sieht aus, als ob er sich ständig vor Dir auf die Knie werfen will.“ Farkas brach in schallendes Gelächter aus und Vesa stieß sich vom Pfeiler ab, um die Gefährten und den Auszubildenden sich selbst zu überlassen. Sie wollte sich erst einmal die Beine vertreten und entschied sich dazu hoch zu Himmelsschmiede zu gehen. Der Dunmer kam nicht mehr dazu, ihr eine Antwort zu geben und so verschwand die Kaiserliche um die Ecke der Halle der Gefährten.
Eorlund, der alte Schmied, der die Waffen der Gefährten herstellte, hämmerte oben wohl wie gewohnt auf heißem Stahl. Zumindest klirrte es entsprechend rhythmisch, als die Jägerin unterhalb der Felskante der Schmiede entlangstiefelte und den steilen Pfad hinauf zu dem Podest einschlug. Die erste Vermutung sollte sich alsbald bestätigen. Oberkörperfrei, rußverschmutzt und schweißüberströmt stand der alte Nord am Amboss und drehte einen goldgelb glühenden Rohling hin- und her, während er ihn mit dem Schmiedehammer prügelte. Er bemerkte die Kaiserliche erst gar nicht über seiner Arbeit, erschrak dann jedoch kurz, bevor er wer ihn besuchte. „Kann ich Dir helfen, Vesana?“, wollte er wissen und schob den schnell kühler werdenden Stahl zurück in die Glut.
„Ich würde mich nur gern ein wenig an den Rand setzen, wenn es Dir nichts ausmacht“, erklärte sie und deutete auf ihren angestammten Platz am Rande des kleinen Plateaus, von dem aus sie schon so oft den Blick über das südwestliche Umland der Stadt hatte schweifen lassen.
„Keineswegs, bitte.“ Mit einer einladenden Geste ließ er sie gewähren und widmete sich abermals seinem Handwerk. Für einen kurzen weiteren Moment beobachtete sie den Schmied, dann überließ sie ihn sich selbst.
Vom Rand der Himmelsschmiede aus ließ sich auch der Übungsplatz hinter Jorrvaskr gut einsehen und so entschied sich die Kaiserliche dazu, den weiteren Verlauf der Übungen von Athis und dem Nord zur Ablenkung zu folgen, anstatt sich in den Fernen des Fürstentums zu verlieren. So konnte sie ihre Gedanken wenigstens auf etwas Konkretes lenken und sich überlegen, wie sie ihre erste Ausbildungsaufgabe seit Langem gestalten wollte. Sie würde die Gelegenheit wohl nutzen, um ihre eigene, nach den Verletzungen der letzten Wochen angeschlagene und reduzierte Kondition wieder etwas auf Vordermann zu bringen. Ausdauerüberungen, ein wenig Kraft aufbauen und natürlich ein Teil Geschicklichkeit – erst danach würde sie ihm tatsächlich das Kämpfen beibringen. Es musste alles seine Ordnung haben – und wenn Athis in drei bis vier Tagen die Ausbildung an sie übergab, hätte der Kerl vermutlich ohnehin erst einmal genug vom Schwert, so grün und blau wie in der Dunmer bis dahin wohl geschlagen haben würde.
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Geändert von Bahaar (15.02.2014 um 17:05 Uhr)
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Zum späteren Nachmittag hin verließ Vesana ihren Platz am Rand der Himmelsschmiede wieder und kehrte in die Halle der Gefährten zurück. Athis und der Nord kämpften inzwischen nicht mehr und der Übungsplatz mitsamt Terrasse war verlassen, was wohl nicht zuletzt am zunehmend ungemütlicheren Wetter lag. Steile Böen peitschten hin und wieder auf das Land ein und inzwischen nieselte es staubfeinen Regen. Es waren auch die Gründe, die die Kaiserliche schließlich von ihrem Stammplatz vertrieben. Vielleicht käme sie jetzt dazu, einmal einen Blick in ihr neu auserwähltes Buch zu werfen und sich damit weiter abzulenken.
Es sollte wohl aber nicht sein, denn Vilkas winkte sie zu sich, als sie die Halle betrat. Er saß neben Kodlak in einer etwas abgelegenen Ecke des großen Saales. Die übrigen Zirkelmitglieder und einige der anderen Gefährten verteilten sich in dem weiten, zwielichtigen Raum. Sie folgte der Aufforderung und setzte sich auf einen freien Stuhl zu den beiden älteren Männern. Der Herold der Gefährten musterte die Kaiserliche zunächst etwas, während sie schweigend darauf wartete, dass ihr einer der Männer erklärte, worum es gehen sollte. „Erkläre uns noch einmal, was genau oben in der Drachenfeste vorgefallen ist, Vesa“, bat Vilkas schließlich. Sie knirschte widerwillig mit den Zähnen. Eigentlich verspürte sie gerade wenig Lust darauf, diese Geschichte ein weiteres Mal zu erzählen, aber da sie Kodlak als Anführer ihrer Gilde sehr wohl direkt betraf, führte wohl kein Weg daran vorbei.
„Wie ich sagte: Hrothluf hat sich eine Geschichte zurechtgestrickt, mit Dingen, die ich auf der Reise gesagt habe, die mich als seine Geschäftspartnerin darstellt. Elgryr, der Justiziar des Jarls, scheint ihm zumindest soweit zu glauben, dass er mich heute zum Verhör bestellt hat.“ Der Graue hörte ihr aufmerksam zu und machte keine Anstalten, sie zu unterbrechen, solange sie nicht den Anschein erweckte, mit ihrer Geschichte am Ende zu sein, und Vilkas kannte die Erzählung bereits. „Er meinte, ich hätte ihm eine Nachricht geschrieben, er solle mich in Windhelm treffen und dass wir ab da zusammenreisten, obwohl er keine Ahnung hatte, warum es nach Weißlauf geht“, erklärte sie weiter. „Dass ich ihm unmöglich diese Nachricht geschrieben haben kann, weil ich auf Solstheim gewesen bin, habe ich Elgryr auch gesagt, aber der zweifelte an, dass ich überhaupt dort gewesen bin.“ Die Wut auf diesen arroganten Nord kehrte mit diesen Worten allmählich zurück und sie ballte die Faust im Schoß. „Dabei ist es reiner Zufall, dass die Notiz, die er hatte, mit N. unterzeichnet ist!“ Sie legte eine kurze Pause ein und musterte die aufmerksam lauschenden Männer, deren angestrengte Mienen viel darüber verrieten, was sie von der ganzen Sache hielten. „Letztlich ließ mich Elgryr nur gehen, weil Hrothluf keinen einzigen Zeugen in greifbarer Nähe hat und er den Empfänger des Schmuggelgutes nicht preisgeben will. Wie sagte er es gleich? ‚Hier herrscht das Gesetz und nicht die Willkür‘ oder so in der Art.“
Kodlak schwieg eine Weile. „Das sind … interessante Neuigkeiten“, sprach er dann und fuhr sich durch den Bart.
„Wie sollen wir meine Unschuld belegen, wenn alle Beweise als unglaubwürdig abgetan werden?“ Ihre Fingernägel gruben sich inzwischen schmerzhaft in ihren Handballen.
„Ah!“, der Herold lachte kurz und verhalten in Amüsement auf. Vesana schaute ihn verwirrt an, zog die Augenbraue hoch und warf einen kurzen, hilfesuchenden Blick zu Vilkas. Darin erfolglos verriet er ihr nur, dass dieser ebenfalls verunsichert war ob des Verhaltens des Alten. Dieser beugte sich vor und legte ihr die Rechte gegen die Seite des Kopfes wie ein Großvater seinem Enkel, wenn er ihm eine lehrreiche Anekdote erzählte. Seine Linke ließ er auf ihrer geballten Faust ruhen und nahm so den Druck aus ihren angespannten Muskeln. Als er ihre volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte ließ er schließlich auch die zweite Hand hinab auf die ihre sinken. „Aber genau das ist es, wo Du falsch liegst. Würde Elgryr Dir gar nichts glauben, so säßest Du nicht hier. Nicht jetzt, nicht morgen und auch nimmer mehr“, begann er zu sprechen, wie er es immer tat – als alter Weise, mit viel zu vielen Jahren der Lebenserfahrung und der Geduld eines Mannes, für den Zeit keine Rolle mehr spielte. „Gehe mit Hrothluf um, wie mit jedem anderen Lügner auch, denn eine erste Lüge braucht stets eine weitere, um sie zu decken.“
„Aa-ha.“
„Mit anderen Worten: Hrothluf fühlt sich in seinen Lügen sicher, aber wird ihn die jetzige Situation nicht lange am Leben halten. Warten wir ein wenig und üben uns in Geduld, ist er gezwungen, wieder zu handeln, um eine Exekution – die unweigerlich kommen wird – weiter aufzuschieben. Denn so wie es jetzt ist, wird Elgryr keine andere Wahl haben, als es so zu belassen, wie es ist. Dir kann er nichts nachweisen und die Beweislast geht zu Ungunsten Hrothlufs“, erklärte er. „Wenn Hrothluf weitere Lügen strickt, um sich über Wasser zu halten, gehen ihm, wohl früher als später, die Fakten aus. Es ist dieser Moment, für den wir die Geduld und Ruhe bewahren müssen, um in kommen zu lassen.“
„Weil … wir … ihn dann leicht widerlegen können?“ Vesana war sich nicht sicher, ob sie den Plan des Alten richtig verstand.
„Genau.“
„Und was ist, wenn Elgryr vorher beschließt, Vesa zu inhaftieren, weil Hrothluf ihm glaubhaften Anlass gibt?“, hakte Vilkas ein, der noch nicht völlig überzeugt zu sein schien.
„Ich möchte anzweifeln, dass es dazu kommt. Dazu würde er die Aussage wenigstens eines weiteren benötigen. Da dieser jemand wohl kaum neben Hrothluf am Galgen hängen möchte – was er zwangsläufig tun würde, wenn er mit einer Aussage zu Gunsten Hrothlufs seine Partnerschaft mit ihm zugibt – wird er sich wohl aber in Verleugnung üben.“ Kodlak lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und entließ Vesanas inzwischen völlig aufgelöste Faust aus seiner sanften Berührung. Die Zuversicht des Grauen steckte sie inzwischen ein wenig an und klärte ihre Laune etwas auf.
„Hm. Also Abwarten?“, wollte der jüngere der beiden Nord noch einmal die Bestätigung.
„Ja. Wir sind in der besseren Position – und wenn Hrothluf nur halb so intelligent ist, wie er vorgibt zu sein, weiß er das. Früher oder später wird er sein Leben mit Wahrheiten verlängern müssen, nicht mit Lügen, und dann wirst Du Dir keine Sorgen mehr machen brauchen.“ Er lächelte die Kaiserliche an und die zahllosen Falten, die sich zu den Zeichen des Alters um seine Augen und Mundwinkel gesellten, beruhigten sie weiter.
„Was für Wahrheiten?“ Jetzt war ihr Interesse geweckt.
„Hrothluf ist nützlich. Auch wenn er im Moment noch seine Rachegelüste stillen möchte, wird er sich dessen noch bewusst werden. Er ist die Pforte zu jenen, für welche er das Skooma schmuggelt und als solche kann er sich mit den richtigen Informationen sein Leben, und vielleicht sogar seine Freiheit, erkaufen.“
„Das sind gewagte Vermutungen, Kodlak“, wollte sie seine Mutmaßungen relativieren und seinen prophetischen Abschweifungen möglichst respektvoll ihre Zweifel entgegenstellen. Es sprach wohl aber mehr ihre Verbitterung gegenüber der Idee, Hrothluf könne wieder frei kommen, denn tatsächlicher Glaube an die Irrationalität der These des Alten. Er lachte nur, auch wenn seine alte Kehle nicht mehr die Kraft dazu hatte, es weithin vernehmbar schallen zu lassen.
„Vielleicht. Nenne es das Bauchgefühl eines alten Mannes, oder die Phantasien von jemandem, der den Jungen neue Zuversicht geben möchte, aber wir werden wohl noch öfter von ihm hören.“ Ganz Unrecht hatte er allerdings nicht. Hrothluf wusste definitiv so einige Dinge, die für die Autoritäten des Fürstentums sicherlich von Interesse sein konnten. Aber wenn es nach ihr ginge, könnten sie auf jede weitere Nachricht von diesem räudigen Hund verzichten. „Jetzt kommt, wir haben schon lange genug hier gesessen und uns in verschwörerische Theorien vergraben.“ Er erhob sich etwas steifbeinig und die beiden jüngeren Zirkelmitglieder sprangen gleich auf die Füße, um ihm zu helfen. „So alt bin ich nun auch nicht, dass ich derartige Hilfe benötige!“ Schmunzelnd schob er sich den der Kaiserlichen und dem Nord vorbei. „Lasst uns essen.“
In der Tat hatte Vesana über ihrem Gespräch gar nicht bemerkt, wie sich die Halle allmählich gefüllt hatte und der Geruch von frischem Eintopf in jeden ihrer Winkel vorgedrungen war. Sie setzten sich kurze Zeit später zu Aela und Skjor an das lange Ende des Tisches und es dauerte nicht lange bis Farkas zu ihnen stieß. Sie warteten nun nur darauf, dass Tilma den großen Kessel freigab, in dem sie noch herumrührte. „Ein interessanter Kampf“, eröffnete die rothaarige Nord die Gesprächsrunde im Zirkel.
„Ein wenig ungestüm“, relativierte Skjor.
„Jeder muss mal Dampf ablassen“, beschwichtigte Vilkas den Einäugigen.
„Wahr. Nützt nur nichts in einem richtigen Kampf.“
„Es war ja auch keine Übung, Skjor“, mischte sich Aela wieder ein.
„Wir können das ja morgen austragen“, schlug Vesana vor. Das Gespräch mit dem Grauen und Vilkas hatte ihr einen Teil ihrer herausfordernden Ader zurückverliehen und so schaute sie den wesentlich größeren, grimmigen Nord von der Seite her an und zog einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln nach hinten.
„Mit Vergnügen.“
„Wo ist eigentlich der Frischling?“, wechselte die Kaiserliche das Thema.
„Du meinst den Auszubildenden?“, fragte Farkas nach.
„Ja.“
„Der schläft in der Taverne. Kommt morgen wieder“, erklärte sein Bruder.
„Hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als wir ihm gesagt haben, dass Du in ein paar Tagen seine Ausbildung übernehmen wirst“, grinste Farkas.
„Wieso?“
„Er hat Deinen Kampf mit Vilkas gesehen und der Kommentar von wegen ‚auf die Knie fallen‘ hat ihm gleich nochmal Angst eingejagt. Er glaubt, Du wirst ihn ordentlich schinden.“
„Habe ich auch vor.“ Der einfach gestrickte Nord lachte abermals. „Abgesehen davon: So grün und blau wie er nach der Tracht Prügel von Athis heute aussehen muss, kann ich ihn gar nicht weiter ramponieren.“ Aela und Vilkas stiegen in das Gelächter ein, wenn auch etwas verhaltener.
„Du wirst das schon machen“, sprach ihr nun Kodlak seine Zuversicht zu.
„Aus dem richtigen Material scheint er ja gemacht zu sein.“ Das vergleichsweise große Lob aus dem Munde Skjors kam unerwartet, wenn auch nicht unbegründet, und sorgte für einen Moment des Schweigens.
„Ich würde sagen, es ist eher seine Motivation, die zählt“, warf Vilkas ein.
„Die da wäre?“, wollte Vesa wissen.
„Er meinte, er würde es tun, um in seinem Dorf im Widerstand gegen einige Räuberbanden zu helfen. Die Miliz dort kann ihn nur nicht richtig ausbilden, wie er findet, und es ist so abgelegen in den Bergen hinter Falkenring, dass die Gardisten des dortigen Jarls kaum hinkommen und der Jarl selbst wenig unternimmt. So sucht er uns für die Ausbildung auf.“
„Ah. Na dann brauche ich mit Quälereien ja nicht sparen.“
„Geh’ es trotzdem erst einmal langsam an, bevor Du ihn richtig schikanierst.“
„Ich weiß schon, wie ich mit ihm umspringen muss und werde, keine Sorge.“
„Die mache ich mir sowieso nicht.“
„Aah, Tilma hat den Kessel freigegeben!“, unterbrach sie Farkas und stand direkt mit der Schüssel auf. Sie lachten.
„Wir sollten uns nachher noch um unser Nachtlager kümmern“, hielt Aela die Kaiserliche noch einen Moment lang am Tisch auf.
„Das werden wir. Essen wir in Ruhe und dann richten wir die Tiefenschmiede her.“ Die Rothaarige nickte zustimmend.
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Himmelsrand, Weißlauf, Umland
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Vesana breitete gerade die letzte der Wolldecken aus, die das Strohbett in der Tiefenschmiede abdecken sollten und legte den Rest so an den Rand, dass sie sich einfach über den Körper ziehen ließen. Aela platzierte zwei größere Schüsseln, sowie je einen Krug mit Wasser an der Seite und schaute anschließend nach oben. Die Kaiserliche folgte dem Blick der rothaarigen Nord. Durch die Spalten nahe der Höhlendecke drang inzwischen kein Licht mehr in die Kammer ein, einzig der schwache, flackernde Kerzenschein, der von einer einfachen Laterne ausging, sorgte für schummriges Licht. Die größere der beiden Jägerinnen wandte sich zu Vesa um, die eisgrauen Augen schauten sie fest aus dem Kraft ausstrahlenden, bemalten Gesicht an. „Bereit?“
„Ja.“ Sie nickte.
„Dann los.“ Aela drehte sich um, zog die hohen Lederstiefel von den Füßen und stellte sie anschließend neben den mittleren Altar der Tiefenschmiede. Vesana folgte ihrem Beispiel, während die ältere Jägerin nun auch ihre dunkelbraune Tunika mit Gürtel und Dolch über den Kopf von sich stülpte und auf dem Steinsockel ablegte. Splitterfasernackt zog sie sich anschließend in eine etwas dunklere Ecke zurück. Die Kaiserliche blieb in der Mitte zurück und verfolgte einen Moment gebannt, wie Aela bereits mit der Verwandlung begann. Sie krümmte sich, krampfte, dass es schon beim Zuschauen schmerzte. Während sich ihre Haut zu einem dunklen Aschgrau verfärbte und ihre Glieder an Kraft und Länge gewannen, ging sie auf die Knie und grollte bestialisch. Knackend wuchsen ihre Knochen. Ihr schulterlanges, rotes Haar verschwand und wich einem Fall, das Schwarz, Grau, sehr dunkles Braun und das Rot ihres natürlichen Schopfes miteinander mischte und ihr im schwachen Kerzenschein einen rostigen Schimmer verliehen. Auch der hellgraue Glanz ihrer menschlichen Augen blieb in Werwolfsform ansatzweise zu erkennen und schenkte ihr einen silbergoldenen Blick.
Vesana selbst verwandelte sich etwas zeitversetzt, aber ungestümer. Das Biest in ihr ließ sich nur noch schwer bändigen und drängte auf Blut und Fleisch. Während der Verwandlung taumelte sie durch die Höhe und stützte sich immer wieder am Alter in der Mitte ab. Das andere wölfische Zirkelmitglied schnupperte bereits am Eingang des Tunnels herum, der aus Weißlauf hinausführte, während die Kaiserliche gerade wieder auf die Füße kam. Die Dunkelheit der restlichen Höhlenteile zeichnete sich in gewohnt hellgrauen Farbabstufungen und so blieb vom farblichen Unterschied der Nordfrau in rostigem Rotschimmer zu Vesanas Schwarzbraun mit Überhang zum Schwarz kaum noch etwas übrig. Sie huschte lautlos zu ihrer Jagdgefährtin hinüber, die sich gerade zu ihr umdrehte.
Die zwei Wölfe blieben voreinander stehen und schauten sich einen Moment lang an, bevor sie einander die Hälse seitlich offenlegten und sich zu beschnuppern begannen. Es war ein Ritual, dass immer stattfand, wenn mehrere Wölfe der Gefährten zusammen jagten, die sonst nicht allzu oft auf gemeinsame Jagd gingen. Es gewährleistete, dass sie sich auch in der Wildnis auf größere Distanzen aufspüren konnten und gegenseitig erkannten. In der Hitze der Verfolgung von Beute mochte man sich sonst schnell im Weg stehen oder gar gegenseitig angehen. Die Tiere in ihnen, die sie ausführten und versuchten zu ermüden, handelten oft genug schneller, als sie zu denken imstande waren.
Aela beispielsweise roch für Vesana süßlich und bitter zugleich, fast wie Schweiß, nur nicht so abstoßend, mit einem Hauch von Leder und Eisen, der sicherlich von ihrer bevorzugten Rüstung stammte. Um sich zu signalisieren, dass sie den Geruch verinnerlicht hatten, schleckten sie sich kurz durchs Fell. Gleich darauf ging es auch schon los. Durch den Tunnel und die Turmruine ins Freie führte sie Aela nach Norden, weg von Weißlauf weiter in die Tundraebene hinein und näher an die nördlichen Bergwälder am Rand des Fürstentums. Etwas weiter westlich des nördlichen Wachturms von Weißlauf hasteten sie durch die Wildnis. Es würde eine lange Jagd werden, aber – so wusste Vesana nur zu gut – sie brauchten Sicherheitsabstand zur Stadt. Sie spürte sehr deutlich das Verlangen nach schneller Beute der Bestie in ihr und wenn diese langsamer wurde, weil sie die Fährte eines potenziellen, nahen Opfers aufnahm, schnauzte sie die Nord mit einem drohenden Knurren zusammen.
Erst als nicht einmal mehr die Lichtpunkte des Wachturms und der Drachenfeste in der Ferne zu sehen waren, verlangsamte Aela ihr Tempo und hielt gelegentlich zum Schnuppern inne. Die Kaiserliche folgte ihrem Beispiel und versuchte die verschiedensten Duftnoten in der feucht-kalten Nachtluft auseinanderzuhalten, der anhaltende Nieselregen erschwerte das Aufspüren von Spuren. Ein Hase hier, ein Greifvogel dort. Nichts, dass ihren Hunger auch nur im Ansatz hätte stillen können. Erst als sie auf einem Findling in Sichtweite einer kleinen Baumgruppe abermals eine Pause einlegten, bemerkten sie nahezu gleichzeitig die Spur einiger vielversprechender Opfer. Ihr für Menschen auf diese Entfernung unmöglich wahrzunehmendes Grunzen drang gedämpft bis zu ihnen vor und Vesana reckte ihm zusätzlich die spitzaufgestellten Ohren entgegen. Ein rolliges Knurren zeugte von ihrer Ungeduld, während sie zur Unterstreichung dieser mit den Klauen an den vorderen Pranken gegen den Fels unter ihren Füßen tippte.
Die Nord bemerkte das und rempelte sie mit der Schulter an, knurrte kurz mit der Schnauze auf sie weisend und sprang anschließend nach vorn von ihrem natürlichen Podest. Die Aufforderung ihr zu folgen und keine Mätzchen zu machen saß deutlich und so spurtete Vesa hinterher. Die Baumgruppe kam schnell näher und bald erkannte sie auch das gelegentliche Wackeln einiger Zweige im unteren Teil der Nadelbäume. Kurz bevor sie an ihrem Ziel ankamen verlangsamten die zwei Wölfe ihr Tempo jedoch erneut und teilten sich auf, um die kleine Gruppe an Wildschweinen von zwei Seiten anzugreifen. Sie mochten ausgezeichnete Beute sein, aber sie konnten auch gefährlich werden. Langsam pirschte die Kaiserliche rechts um das Versteck der Rotte herum, behielt aber bei aller Aufmerksamkeit, die sie den hauer-besetzten Fleischbergen schenkte, auch Aelas Duftnote stets in der Nase, während diese links herum pirschte.
Vorsichtig und möglichst geräuschlos schob sich die Jägerin zwischen den unteren Ästen hindurch, immer näher an das Borstenvieh heran bis sie schließlich die ersten von ihnen direkt im Blick hatte. Einige schliefen und lagen am Stamm naher Bäume, andere wühlten sich durch den lockeren Erdboden. Vorsichtig kletterte Vesana an einem der Hölzer hinauf, ihr Herzschlag inzwischen so laut, dass sie fürchten musste, die Schweine würden ihn hören. Nur mühevoll kämpfte sie das aufgeregte Hecheln nieder und brache den Schwanz vom Wedeln ab. Es half jedoch nichts, die Horde unter ihr schien die drohende Gefahr zu spüren. Einige der größeren Tiere hoben ihre massiven Schädel und schnüffelten. Ihre Anspannung ließ sich fast schon greifen.
Genau in diesem Moment gab Aela über ein kurzes Heulen das Kommando zum Angriff und ohne zu zögern drückte sich die Kaiserliche so kraftvoll, wie es ihr nur möglich war, vom Baumstamm ab. Ihre Krallen gruben sich in die Rinde bevor sie völlig frei durch die Luft segelte und nur an kleineren Zweigen hängen blieb. Während sie die Silhouette der anderen Wölfin nur aus dem Augenwinkel sah, wie sie mit vorgestreckten Läufen wie ein Falke auf eines der Schweine niederging, riss sie selbst ein weiteres der Borstenviecher mit sich zu Boden. Die Klauen tief in dessen Rücken versenkt und das warme Blut auf ihrer Haut spürend rollten sie gemeinsam mehrmals übereinander hinweg, bevor sie liegenblieben. Noch ehe Vesana jedoch ihre Fänge in das Genick ihrer Beute schlagen konnte, erwischte sie etwas hart an der Schulter, das sich schmerzhaft durch ihre Haut bohrte und sie von der scheinbar sicheren Beute wegriss.
Einer der größeren Keiler schien in der Panik der Horde nicht ganz so orientierungslos und fluchtorientiert zu sein. Offenbar wollte er zum Schutze der jüngeren Tiere kämpfen. Sie sah das feuchte Glitzern an einem seiner Hauer und spürte gleichzeitig das peinigende Stechen in ihrer linken Schulter. Dieses mistige, an einem Menschen gemessen bauchnabelhohe Borstenvieh hatte sie allen Ernstes verletzt! Wütend und von der Verletzung weniger verunsichert als aufgebracht knurrte sie dem grunzenden Schwein entgegen. Der Blutrausch und Hunger der Bestie milderten ihr Schmerzempfinden und den Fluchtreflex, der normalerweise mit stark blutenden Verletzungen, egal ob bei Tier oder Mensch, einsetzte. Das Quieken der übrigen Tiere entfernte sich schnell und auch das zuvor angefallene rappelte sich in der Zwischenzeit wieder auf.
Vorsichtig testete Vesa die Bewegungsfreiheit ihres Armes aus und stellte mit Erleichterung fest, dass es sich nur um eine Fleischwunde handelte. Kampflustig und mit herausfordernd ausgebreiteten Armen umkreiste sie das Schwein, das ihr stets den massiven Schädel und die langen Hauer entgegenstreckte. Den Geräuschen nach zu urteilen rang Aela noch mit einem anderen Herdenmitglied und so blieb der Kaiserlichen nichts anderes übrig, als sich allein mit dem aggressiven Keiler herumzuschlagen.
Irgendwann verlor sie die Geduld und sprang mit einem kräftigen Satz seitlich an dem Vieh vorbei. Sein Kopf folgte ihr, doch nicht schnell genug um den Hinterleib in gerader Linie dahinter zu verstecken. Mit einem schnellen Folgesprung erwischte sie den hinteren Oberschenkel des Keilers und riss ihn mit den Klauen auf bevor sie landete und sich abrollte. Quiekend spurtete das Schwein jedoch gleich auf sie los, anstatt sich an der Verletzung zu stören und rammte sie frontal in den Bauch. Sie jaulte, als sich einer der Hauer durch ihre Haut bohrte und sie gegen einen nahen Baumstamm warf. Benommen schüttelte sie den Kopf, um wieder klarer zu denken.
Die Kampfgeräusche aus Aelas Richtung klangen inzwischen nur noch schwach, als hätte die Nordfrau ihre Beute mittlerweile niedergerungen, um ihr jetzt den Todesstoß zu geben. Sie musste also nur noch auf Zeit spielen, denn zu zweit würde sich der Keiler wohl schnell erledigen lassen. Vom Angriff des Wildschweins in den Beinen noch geschwächt und trittunsicher, kletterte Vesana in zwei sehr kurzen Sätzen an dem Baumstamm hinauf und ein dritter Sprung brachte sie hinter dem Borstenvieh in Stellung. Während sich dieses drehte, fiel sie es erneut an und riss den anderen Hinterlauf auf. Dadurch verwirrt bemerkte es nicht, wie die zweite der Wölfinnen sich anschlich.
Während die Kaiserliche einem neuerlichen, jedoch zunehmend unbeholfenen Angriff des Schweins auswich, sprang Aela in hohem Bogen auf dessen Rücken und vergrub ihre Klauen und Fänge in seinem Fleisch. Quiekend, grunzend und schmerzhaft in Angst aufschreiend versuchte das bereits geschwächte Tier den Werwolf von sich abzuschütteln, doch gelang es ihm nicht. Die messerscharfen Krallen gruben sich nur noch tiefer in sein Fleisch. Als schließlich auch Vesana noch auf es sprang und das gesamte Gespann auf die Seite umfallen ließ, war es vorbei. Ein schneller Biss in die Kehle und ein durstiges Aufsaugen des heraussprudelnden Lebenssaftes setzten dem Leben des Keilers ein jähes Ende.
Aela zog sich aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen zurück und den Klängen nach zu urteilen machte sie sich über ihr eigenes Borstenvieh her. Vesa ließ derweil von der Kehle des Schweins ab, als für ihren Geschmack zu wenig Blut aus ihr quoll. Haut- und Fleischreste hingen ihr aus dem Maul und zwischen den Zähnen als sie sich daran machte die Brust ihres Opfers aufzureißen. Erst mit den Klauen, dann mit den Fängen wühlte sie sich durch die Muskeln und Sehnen, brach wie ein Hund, der in der Erde wühlte, den Brustkorb auf und grub sich anschließend weiter durch das in der kalten Nacht dampfende Gewebe. Mit jedem Bissen, den sie hinabschlang auf ihrem Weg zum Herzen, spürte sie frische Kraft durch ihre Adern pulsieren, heißes Kribbeln durchzog ihren Bauch und die Schulter, als die Lebenskraft des Keilers über dessen Blut und Fleisch in sie überging. Es stimulierte ihre Regeneration und als sie schließlich die große Lebenspumpe gierig in sich hineinfraß beschleunigte sich der Effekt nochmals. Die Löcher, die die Hauer des Borstenviehs gerissen hatten, schlossen sich in Windeseile bis nur noch das blutige Fell von ihrer ehemaligen Existenz zeugte. Gleichzeitig gab sich das zunehmend gesättigte Biest mit der Beute zufrieden und überließ ihr größere Kontrolle über ihren eigenen Leib. Schweine, ob wilde oder gezüchtete, hatten den angenehmen Effekt, nahe an den stillenden Effekt von Menschenopfern zu kommen und so eine gute alternative Nahrungsquelle zu sein.
Einen Moment vom Festmahl pausierend, von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt und tropfend, erhob sich Vesana und schaute hinüber zu Aela, deren Erscheinung sich in den Graustufen der Umgebung deutlich über ihrem Schwein abhob. Ihr Fell schimmerte feucht. Gerade stieß sie mit der spitzen Schnauze in ein großes Loch in der Flanke ihrer Bache und holte einen Fäden ziehenden Klumpen heraus. Die Kaiserliche erkannte sie als Blutgefäße, die rissen, als die Nordfrau das dunkle Herz im Ganzen hinabschlang und dafür den Kopf in den Nacken legte.
Der Anblick ließ ihr einen wohligen Schauer über den Leib laufen und versetzte sie in wallendes Zittern. Hitze stieg in ihr auf und noch im selben Augenblick stieß sie ein langes, helles Heulen aus. Ihre Jagdgefährtin stieg in den Mondgruß ein. Die Lust, noch weiter zu jagen, und die Erregung des Erfolges schien ihnen beiden gemein zu sein. Noch dazu, wo eines der Schweine auch ausgerechnet schon eine so verlockende Fährte gelegt hatte, immerhin war das verwundete Schwein mit dem Rest der Horde entkommen.
Zunächst genossenen sie beide ihre Beute einige weitere Momente, aber es dauerte nicht lange, bis sie wieder in die noch junge Nacht aufbrachen.
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Schwein war eben trotzdem kein Mensch oder Mer. Es besaß zwar unmittelbar nach dem Verzehr eine ähnliche Wirkung wie diese, der Effekt ließ jedoch schneller nach und fing sich fing sich dann auf einem niedrigeren, längerfristigen Niveau der Beschwichtigung. Entsprechend gerädert drehte sich Vesana auf die Seite und prasste sich stöhnend die Rechte gegen das Gesicht. Das widerliche Stechen und Ziehen von der Schläfe in den Wangenknochen und von dort quer durch den Schädel raubte ihr in den ersten Momenten nach dem Erwachen die Fähigkeit sich zu orientieren und auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
Mühsam stemmte sie sich in eine sitzende Position hoch und rang zunächst mit dem Schwindel, bevor sie sich in der kühlen, feuchten Luft fröstelnd ihre Wolldecke um die Schultern legte. Für einen Moment lang blieb die Kaiserliche so sitzen, atmete tief durch und massierte die Schädelseiten in einem Versuch, die Schmerzen zu mildern. Es half nur sehr bedingt. Aber wenigstens schienen ihre Sinne sich nicht weiter sensibilisiert zu haben. Das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte, war bei jeder Kerzenflamme in ihrem Sichtfeld zusammenzuzucken und die Augen zukneifen zu müssen.
Leise, regelmäßige Atemzüge hinter ihr ließen sie herumfahren. Aela lag dort und schlief ungestört. Ihr roter Schopf verteilte sich über ihr Nachtlager und die nackten, unbedeckten Schultern. Der linke Arm hielt die Decke in Position. Rostbraune Flecken schimmerten überall auf ihrer Haut und dunkle, verkrustete Klumpen klebten Strähnen ihres Haares aneinander fest. Obwohl es in der Nacht noch angefangen hatte heftig zu regnen, so schien es, konnte das kalte Nass die Spuren des Schlachtrausches an der Wildschweinrotte nicht vertuschen. Wenn sich Vesa ihm Eifer nicht verzählt hatte, mussten es für jeden von ihnen am Ende der Jagd drei gewesen sein. Die Fülle des Magens machte sich noch bemerkbar und auch wenn ihre Kopfschmerzen angeschwollen waren, so blieb ihr wenigstens der Heißhunger für den Moment erspart.
Vom Anblick der Nord angestoßen, schaute die Jägerin nun an sich selbst hinab und musste feststellen, dass sie nicht viel besser aussah. Die Fingernägel schwarz untersetzt von getrocknetem Blut, braune Krusten bedeckten die Haut des Oberkörpers und der Arme und die Haare fühlten sich eher steif an, wenn sie sich bewegte. Dazu hing ihr irgendetwas zwischen den Zähnen, das sie mit der Zunge nicht losgelöst bekam. So fummelte sie sich erst einmal mit den dreckigen Fingern im Mund herum. Es entpuppte sich als ein kleiner Hautfetzen mit Borsten, den sie angewidert wegwarf und dem sie hinterherspuckte, um den schleimigen, als Mensch nicht mehr allzu angenehmen Geschmack von Fett und Haut loszuwerden.
Erst danach nahm sich Vesana eine der Schüsseln und einen der Krüge. Mit etwas Abstand zum Nachtlager kniete sie sich über die halbkugelförmige Schale und goss etwas Wasser hinein. Zunächst reinigte sie das dreckverkrustete Gesicht und wusch die Arme soweit möglich. Zum Schluss spülte sie ihr Haar wenigstens ein bisschen aus. Rostrote Flüssigkeit plätscherte in das Gefäß, in dem schon reichlich Schmutzwasser stand.
„Schon so früh wach?“ Die feste Frauenstimme hallte laut durch die Tiefenschmiede. Etwas zu laut für den Geschmack von Vesas Ohren. Sie schrak zusammen und rang das Stechen nieder, das von diesen kurzzeitig ausging.
„Ssch.“ Sie hob abwehrend eine Hand. So viel zu den nicht so überempfindlichen Sinnen.
„So schlimm?“, wollte Aela wissen, nun leiser.
„Geht schon. Ich kenne Schlimmeres.“ Vesas Stimme klang etwas heiser, als hätte sie am Vorabend zu viel getrunken und gesungen. „Ich muss mich nur erst wieder daran gewöhnen.“ Den letzten Rest Wasser im Krug goss sich die Kaiserliche in den Mund und spülte diesen damit aus.
Während sie sich ankleidete, begann auch Aela damit sich zu waschen. „Kommt es mir nur so vor, oder ist Dein Biest stärker geworden?“
Vesana hielt kurz inne und schaute der Nord ins verschmierte Gesicht. „Es ist nur ausgehungert und entsprechend ungehalten. Immerhin hat es fast einen Monat lang nichts zu fressen bekommen.“
„Hm. Mir kommt es so vor, als wäre es schneller und kräftiger verglichen mit dem letzten Mal, das wir zusammen jagen waren. Aber ich kann mich auch täuschen.“
„Gut, das letzte Mal ist auch über ein Jahr her, wenn ich mich nicht täusche.“
„So lange schon?“
„Ich denke, ja.“
„Hm, dann wird es das sein.“
Mit den Decken über den Schultern und den Krügen und Schüsseln in den Händen verließen die beiden Frauen die Tiefenschmiede. Draußen im noch immer regnerischen, nasskalten Wetter kippten sie zunächst den Inhalt der Schüsseln aus und kehrten anschließend in die Halle der Gefährten zurück. Auf dem Übungsplatz trotzten Athis und der neue Auszubildende dem mistigen Wetter, warfen aber einen kurzen Blick in die Richtung der Frauen. Der blonde Nord schien sichtlich irritiert vom sicherlich noch immer reichlich dreckigen Anblick der beiden Jägerinnen, während Athis stets bittere Miene wenig über seine Gedanken verriet. Beiden Männern lief das Regenwasser über die Haut und ihre Kleidung klebte feucht an ihnen.
Ohne auf die Blicke der Übenden einzugehen, traten Aela und Vesana in Jorrvaskr ein. Das warme Innere und das Dämmerlicht kamen der Kaiserlichen etwas entgegen, ähnlich dem grauen Wetter vor der Tür. Es beanspruchte ihre Sinne nicht allzu sehr und beruhigte die Kopfschmerzen, was es ihr generell erleichterte die tief in ihr schlummernden Triebe und Lüste genau dort im Zaum zu halten.
„Es sieht aus, als wärt ihr erfolgreich gewesen.“ Skjor saß mit Vilkas an der großen Tafel in der Mitte der Halle.
„Immer, Skjor“, entgegnete Aela und ging zu den Beiden hinüber. Vesa folgte und setzte sich mit ihr dazu.
Der einäugige Nord musterte die Kaiserliche für einen Moment. „Wie steht’s um unseren Kampf?“
„Nach dem Mittag?“
„Gut.“
„Ich wollte ohnehin noch mit Dir reden, Vesa“, warf Vilkas ein. Sie zog eine Augenbraue hoch und legte den Kopf von der Decke gestützt schief.
„So?“
„Unter vier Augen, wenn Du Zeit hast.“
Leicht irritiert musterte sie den älteren Mann einen Moment, nickte dann aber zaghaft. „Ja, habe ich.“ Sie erhoben sich. Die Tongefäße bei Aela lassend, legte sich die Kaiserliche die Wolldecke flächiger um die Schultern und folgte Vilkas – in eine dunkle, langärmelige Tunika und hohe Stiefel gekleidet – zum Vordereingang hinaus.
„Was für ein Mistwetter.“ Er führte sie hoch zur Himmelsschmiede an Vesanas Stammplatz und setzte sich. Sie ließ sich neben ihm nieder. Um sich gegen die Kälte zu schützen, wickelte sie sich in die Decke ein und zog die Beine an.
„Was gibt’s?“, fragte sie schließlich ohne das andere Zirkelmitglied anzuschauen. Die Augen hielt sie auf die Übenden hinter dem Heim der Gefährten gerichtet. Ihr behagte die Situation nicht allzu sehr und das unangenehm leichte Gefühl in der Magengegend half dem nicht unbedingt weiter.
„Kodlak und ich haben uns unterhalten.“
„Über was?“
„Dich.“
Vesana mahlte mit dem Kiefer. „Warum?“
„Wir sorgen uns ein wenig.“ Sie ging nicht darauf ein. Derartige Gespräche behagten ihr nicht und fielen ihr schwer. Es spielte dabei keine Rolle, dass sie Vilkas vertraute und als Freund sah. Selbst Darius hatte ihr zu Beginn derartiger Unterhaltungen stets die Dinge förmlich aus der Nase ziehen müssen, wenn er bemerkte, dass sie etwas beschäftigte oder mitnahm. „Unter den übrigen Gefährten und Welpen merkt es – noch – niemand, aber der ganze Zirkel sieht, dass Du unter enormem Druck stehst“, setzte der Nord fort. „Sogar Skjor, hat mir Kodlak erzählt, sieht das so und Du weißt ja, wie Skjor für gewöhnlich ist, wenn es um so etwas geht.“
„Hm.“ Ihre Finger krallten sich von innen in die Decke und pressten sie vor ihren angewinkelten Beinen zusammen. „Es geht schon.“
„Vesa …“
„Es geht schon!“ Sie wollte aufstehen, aber Vilkas hielt sie schnell an der Schulter fest und drückte sie zurück auf den Boden.
„Nachdem Du nach unserem Kampf gestern einfach verschwunden warst, habe ich in Deinem Zimmer nach Dir gesucht.“ Vesas Kehle schnürte sich plötzlich zu und ein dicker Kloß blockierte jede Möglichkeit zu sprechen. „Du hast mich nicht einmal ansatzweise wahrgenommen, als Du neben Deinem Bett gesessen hast.“ Ihr Kiefer zitterte unkontrolliert und ihre Glieder verloren rapide an Kraft. An Aufstehen und Fortgehen war nicht mehr zu denken. Die Decke entglitt ihren Fingern und rutschte von ihren Knien, nur noch feucht an den Schultern klebend. Wäre der Regen nicht gewesen, Vilkas hätte die Tränen sehen können, die ihr über die Wangen rannen. Den Blick hielt sie weiter stur auf den Übungsplatz gerichtet, auch wenn sie längst nicht mehr sah, was dort passierte. „Kodlak und ich glauben, dass es Dir helfen könnte, darüber zu sprechen.“
In ihrem eigenen Frust fast schon empört darüber, so in die Ecke getrieben zu werden, stieß sie die Luft aus. „Was soll ich denn schon sagen!“ Ihre Stimme war in der Wut, die sich mehr auf sie selbst und ihr Leben bezog, denn auf Vilkas, überraschend kraftvoll. Wutig schlug sie in die Luft, als könne sie die Gefühle wegschlagen.
„Du könntest damit anfangen, wie es Dir geht.“
„Wie es mir geht?!“ Sie schnaufte. „Beschissen!“ Der Nord senkte das Haupt. „Entschuldige … Ich …“, sprach sie daraufhin so leise, dass sie selbst es kaum verstand. Ihre Finger spielten zur Ablenkung mit dem steinernen Untergrund am Rand der Himmelsschmiede.
„Schon gut. Ich weiß, dass ich unter anderen Umständen nicht erste Wahl für ein solches Gespräch wäre, aber versuch‘ es doch wenigstens einfach.“
Sie benötigte einige Momente, bevor sie den Mut aufbrachte, zu sprechen. „Ich vermisse ihn, Vilkas“, flüsterte sie. Ihre Augen wanderten vom Übungsplatz zu ihren Knien auf denen sie jetzt herumtippte und den aufgeweichten Dreck der Jagd abkratzte. „Ich wollte das auf Solstheim verdrängen und es hat nicht geklappt.“ Sie pausierte und versuchte, neuerliche Kraft zum Weitersprechen zu sammeln. „Ich wär‘ auf dieser scheiß Insel fast krepiert, und es hat nicht geklappt!“, wieder sprach die Wut forscher und lauter, als sie es beabsichtigt hatte. „Schlimmer noch, quält mich die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch lebt.“ Ihre Stimme schlug wieder in Zerbrechlichkeit um. „Und anstatt es in Erfahrung zu bringen, laufe ich weg und unternehme nichts.“ Sie schluckte. „Und gestern … nach der Sache mit Hrothluf und als die Wut über ihn verflogen war … habe ich wieder gemerkt, wie sehr er mir fehlt.“ Vilkas unterbrach sie nicht, es hätte auch nichts gegeben, das er hätte sagen können, ohne ihren Mut zu reden zunichte zu machen. „Diese Ungewissheit macht mich fertig.“
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Geändert von Bahaar (07.03.2014 um 17:25 Uhr)
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Sie saßen einen Moment lang schweigend im strömenden Regen. „Warum musste er auch losziehen? So eine idiotische Idee mit seinem alten Rudel eine Hochburg der Silbernen Hand zu überfallen.“ Vesana ballte die Fäuste. „Und ich bin nicht mit, weil dieser Sturkopf darauf bestanden hat.“
„Darius hat eine Entscheidung getroffen, Vesa, Du kannst dafür keine Verantwortung übernehmen“, versuchte Vilkas ihr das Gefühl der Schuld zu nehmen. Er scheiterte.
„Und ob ich das kann! Von allen Menschen wäre ich am ehesten in der Lage gewesen, ihn umzustimmen und ich habe versagt.“ Wütend schlug sie sich die Faust gegen die Knie.
„Wir alle wussten, wie gefährlich diese Gruppe der Silbernen Hand ist. Er ganz besonders. Aber wäre er nicht gegangen, würde er sich jetzt womöglich so fühlen, wie Du. Es ging ja auch um seinen Bruder, richtig?“
„Ja. Das ist ja das Schlimme. Ich habe ihn im Stich gelassen.“ Dem Nord schien darauf nichts mehr einzufallen, das er hätte sagen können, und schwieg einen Moment. „Wenn wir könnten, würden wir-“
„Nicht, Vilkas“, bat sie leise. „Sein Rudel war mehr als doppelt so groß wie der Zirkel und hat es nicht geschafft.“ Sie ließ die Schultern hängen, dass die Decke gänzlich von ihr abfiel, und kraftlos sanken ihre Hände zu den Füßen, umgriffen ihre Knöchel. Verzweifelt legte sie den Kopf auf den Knien ab. „Es wäre Selbstmord. Das kann ich nicht verlangen und er würde es nicht wollen.“ Wieder schwieg ihr Kumpan. Hin und her gerissen zwischen Schuld, Enttäuschung, Wut und dem Schmerz des Verlustes versuchte die Kaiserliche vergeblich, die Tränen zurückzuhalten. „Ich …“ Sie schluckte den Kloß im Hals hinunter. „Ich wäre jetzt gern etwas allein“, flüsterte sie schließlich.
„Natürlich.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ihr Vilkas ein zurückhaltendes Lächeln schenkte und sich völlig durchnässt hochstemmte. Bevor er ging, legte er ihr die schwer gewordene, kalte Decke um die Schultern. „Bleib‘ nicht zu lang, sonst wirst Du noch krank.“
Vesa stieß Luft aus. Nicht verächtlich, eher ungläubig ob des primitiven Versuchs eines Scherzes. „Weil ich das auch werden kann, genau.“ Immerhin, für einen kurzen Moment funktionierte die Ablenkung. Der Nord wandte sich zum Gehen. „Vilkas“, hielt sie ihn nach wenigen Schritten noch einmal an.
„Ja?“
„Danke.“ Er nickte nur und überließ sie sich selbst.
Vor Kälte zitternd, klitschnass aber wenigstens mit betäubtem Kopfschmerz betrat Vesana eine ganze Weile später erneut die Halle der Gefährten. Die Haare klebten ihr Wild im Gesucht, am Hals und auf den Schultern, die von innen heraus von den aufgeweichten Blutresten verschmutzte, am Körper klebende Tunika verbarg sie unter der durchgeweichten Wolldecke, die schwer auf ihren ohnehin hängenden Schultern lastete. Es herrschte wenig Betrieb in Jorrvaskr, zumindest hier oben. Sie nutzte das und setzte sich an die Feuerstelle, über der sonst Tilmas Eintopfkessel baumelte, reckte ihr die Hände entgegen, wärmte und trocknete sich. Die Decke legte sie neben sich.
„Vilkas hat mit Dir gesprochen.“ Ohne es zu bemerken, hatte sich ihr Kodlak genähert und nahm nun in einem Holzsessel auf der gegenüberliegenden Seite des klein gehaltenen Feuers Platz. Er sprach leise und vorsichtig.
„Das hat er.“ Sie schaute ihn nicht direkt an, merkte aber, wie er sich zurücklehnte und am Bart herumzupfte.
„Du wirkst nicht, als hätte es geholfen“, stellte er das Offensichtliche fest.
„Ein bisschen, aber kaum.“ Kurz hob er den Kopf und schaute sich um, offenbar um sicher zu gehen, dass sie niemand stören konnte.
„Weshalb?“
„Er hat Dir erzählt, worüber wir gesprochen haben?“
„Ja, hat er.“
„Es ändert an der Situation nichts.“
„Du meinst, dass Du Dich schuldig fühlst?“
Die Kaiserliche nickte. „Und hilflos.“
„Weshalb hilflos?“ Er beugte sich vor und musterte sie eingehender.
„Weil ich nichts daran ändern kann, besser gesagt darf, und es nicht funktioniert, es zu verdrängen.“
„Verdrängen funktioniert nie, Vesa. Du musst lernen, es zu akzeptieren.“
Sie stieß in einem verächtlichen, kurzen Auflachen Luft aus. „Akzeptieren?!“ Den Blick erstmals von den Flammen nehmend, blickte sie den alten Führer der Gefährten direkt an. „Akzeptieren?!“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. Zornige Anspannung verzerrte ihr Gesicht. „Wie kann ich es akzeptieren, dass ich den Mann, den ich liebe, derart im Stich gelassen habe?!“ Der Graue verzog keine Miene und schien sich von ihrem Ausbruch auch nicht angegriffen zu fühlen. Stattdessen schenkte er ihr ein beschwichtigendes Lächeln, das viel stärker wirkte, als jedes Wort, das er hätte erwidern können.
„Dieses Gefühl wird Dir niemand nehmen können, Vesa. Du musst lernen, damit umzugehen. Das meine ich mit akzeptieren. Akzeptiere, dass Darius eine Entscheidung getroffen hat. Er wusste, wie gefährlich es war, und wollte genau deshalb nicht, dass Du mit ihm gehst. Genau deshalb würde er auch nicht wollen, dass auch nur einer von uns – das schließt Dich ein – nach ihm suchen kommt, weil er nicht zurückgekehrt ist.“ Vesana senkte das Haupt und spielte mit den Schnürsenkeln ihrer Stiefel. „Akzeptiere das, und das Gefühl der Schuld wird sich leichter tragen lassen.“
„Es ändert nichts an der Ungewissheit.“ Natürlich hatte Kodlak Recht. Logisch betrachtet, zumindest. Aber Logik half bei bestimmten Angelegenheiten nicht weiter.
Der Alte lächelte wieder und die Jägerin strich sich die ungezähmten Haare aus dem Gesicht und in den Rücken. „Es ist gewiss, dass er zurückkehren würde, wenn er es könnte. Reicht das nicht?“ Sein Alter sprach hier nur allzu deutlich, ein Umstand, der es ihr schwer fallen ließ, ihm zuzustimmen. Nein, es reichte nicht aus. Nicht für sie, nicht bei dem, das sie mit Darius verbunden hatte. Im Moment wog ihre Wortschuld dem sturen Kaiserlichen gegenüber mehr, als ihre eigenen Gefühle, zu hoch achtete sie das Vertrauensverhältnis zu ihm – ungeachtet ob er jemals von ihrem Wortbruch erfahren könnte, oder nicht. Aber es mochte der Tag kommen, an dem sie sie brach.
„Ich möchte nicht mehr darüber sprechen“, erwiderte sie schließlich und erhob sich. Die feuchte Decke hängte sie auf einem nahen Stuhl zum weiteren Trocknen auf. Kodlak nickte nur und so verschwand die Kaiserliche in den Keller Jorrvaskrs. Vor der Waffenkammer blieb sie stehen und überlegte kurz. „Skjor!“, rief sie in den langen Korridor an dem alle Räume des Gewölbes lagen. Ihre Stimme klang noch rau, kraftloser als sonst. Brummend kam der Einäugige aus einem Zimmer am hinteren Ende.
„Ja?“
„Bereit?“ Vesa wies über die Schulter.
„Immer.“ Er kam schnellen Schrittes zu ihr hinüber und gemeinsam betraten sie die Waffenkammer der Gefährten. „Wie gestern, ja?“ Sie nickte und nahm sich zwei Übungsschwerter, der Nord wählte ein Schwert und Rundschild. Gemeinsam stapften sie nach oben und auf den Hinterausgang zu. Kodlak saß noch immer in dem Sessel am Feuer und wirkte nachdenklich, verlor sich scheinbar im Anblick des Feuers. Für einen Moment hielt Vesa an der Tür inne, beobachtete den Grauen und rang das nervöse Kribbeln in der Brust nieder, mit dem sich ihr schlechtes Gewissen über den plötzlichen Abbruch des gut gemeinten Gesprächs bemerkbar machte. Es verflog allerdings erst, als der Herold der Gefährten aufschaute und sie am Durchgang bemerkte. Ein kurzes Lächeln und Kopfschütteln verrieten ihr, dass er sehr wohl wusste, was sie gerade gedacht hatte und es unnötig war. Mit einer scheuchenden Handbewegung wies er die Kaiserliche an, Skjor nach draußen zu folgen. So tat sie es dann auch.
Athis und der blonde Nord saßen im Schutz des Vordaches auf der Terrasse. Völlig durchnässt wirkten sie irgendwie erschöpft, aber die wachen Augen der Beiden belehrten sie eines Besseren. Vielmehr hatte sie wohl der noch weiter angeschwollene Regen dazu animiert, vorrübergehend Schutz zu suchen. Skjor stand schon auf dem Platz und schlug herausfordernd das Schwert gegen das Holz des Schildes. Gigantisch wirkende Regentropfen schlugen auf seinem kahlen Kopf auf und zerstoben in feinen Sprühnebel. „In dem Wetter?“, wunderte sich der Auszubildende und zog skeptisch eine der buschigen Augenbrauen hoch.
„Du solltest Dich lieber mit dem Gedanken anfreunden“, gab Vesa ihm zurück und schritt die Stufen von der Terrasse hinab. Binnen weniger Augenblicke war sie wieder so nass wie zuvor auf der Himmelsschmiede. Der anhaltende Wolkenbruch ließ das Vordach schon mit wenigen Schritten Abstand in einem Grauschleier undeutlicher werden. Den aufkommenden Wortwechsel zwischen Athis und dem Auszubildenden verstand sie schon nicht einmal mehr, so stark rauschte das fallende Wasser.
Das linke Schwert führte die Kaiserliche am Unterarm entlang und reckte es zusammen mit dem entsprechenden Fuß nach vorn. Den Körper geschützt dahinter positioniert hob sie die zweite Waffe etwa auf Höhe des Halses waagerecht zum Boden stichbereit. Skjor brachte sich hinter seinen Schild in Deckung und legte die eigene Holzklinge für einen schnellen Stich bereit auf dessen Kante. So umkreisten sie sich einige Zeit und musterten einander. Eine gewisse Nervosität stieg in Vesana auf, während sie sich so belauerten. Sachtes Kitzeln im Bauch und leichte Glieder zeugten von ihrer Anspannung. Kämpfe mit Skjor waren selbst bei Übungen stets heftig und wenig zimperlich. Er war einer derjenigen, die nicht viel davon hielten, deutlich kampfbeendende Schläge kurz vor dem Treffer abzubremsen. Mit Waffen zielte er zwar nicht auf das Haupt, wenn der Schlag etwas anderes als Kopfschmerzen verursachen würde, wie ohnehin üblich in Übungen, aber es endete trotzdem zumeist überdurchschnittlich schmerzhaft und die Kaiserliche hatte nur zu deutlich im Kopf, wie oft sie gegen in gewonnen hatte – nie.
Die gedankliche Ablenkung schien der Nord bemerkt zu haben und ging auch schon zu einem forschen Angriff über. Ein rascher Stich gegen die Brust, dem sie mit einem schnellen Schritt nach hinten entging, dicht gefolgt von einem Hieb mit der Schildkante, vor dem sie sich wegdrehte und neben ihrem Übungspartner zum Stehen kam. Abgesehen von seiner Heftigkeit im Kampf, hielt Skjor nicht viel von Pausen. So kehrte auch nicht einfach wieder brüchige Ruhe ein, nach ihrem ersten Schlagabtausch, sondern setzte der Einäugige direkt nach. Ein langer, teils blind in den toten Blickwinkel hineinreichender waagerechter Hieb, unter dem sich Vesana wegduckte. Es folgte ein Tritt gegen den Bauch, den die Kaiserliche nicht abzuwehren vermochte und der sie stöhnend nach hinten Taumeln ließ. Als Abschluss der Folge wuchtete ihr Skjor den Schild aus der Drehung heraus entgegen. Glücklicherweise befand sie sich außer Reichweite und so verfehlte er sie, wenn auch nur knapp. Unzählige Wassertropfen katapultierte er stattdessen mitten in ihr Gesicht und einige trafen die Augen, so dass sie kurz blinzeln musste, bevor sie wieder richtig sah.
Die Nachlässigkeit auszubessern versuchend, ging nun sie zum Angriff über. Ein schneller hoher Schlag mit dem rechten Schwert, gefolgt von einem Stich mit der linken, noch immer am Arm entlang geführten Klinge, die wirkungslos gegen das Holz des Schildes prallte und ein weiterer Hieb tief gegen die Knie aus der ununterbrochenen Pirouette. Den letzten Schlag blockte der Nord, indem er seine eigene Waffe kurzerhand in den Boden rammte und ihr mit derselben Bewegung den Ellbogen gegen die linke Gesichtshälfte donnerte.
Überrumpelt und benommen sackte die Kaiserliche Gesicht voran in den matschigen Boden des Übungsplatzes, rollte sich aber im letzten Moment weg, bevor ein weiterer Stich des Nords ihr das Ende bereiten konnte. Keuchend, das Herz schlug ihr bis zum Hals, rappelte sich Vesa auf und brachte schnell einige Schritte zwischen sich und ihren Kontrahenten. In der kurzen Pause bewegte sie den dumpf gewordenen Kiefer. Er schmerzte, aber sonst schien alles in Ordnung. Skjor schmunzelte unterdessen wie jemand, der sich am Leid und Fehler seiner Feinde labte, und kam betont langsam näher.
Dann war er auch schon wieder heran und ihr Kampf setzte sich fort. Ein Schlag von oben, dort ein Blocken mit dem Schild, hier ein schneller Tritt und eine Finte. Sie wich einem Schlag mit dem Rundholz durch eine Rolle aus, kam schräg hinter ihrem Widersache auf die Füße und wuchtete ihm einen Fuß in die Kniekehle. Ohne einen Laut knickte Skjor ein, aber noch im Fallen schlug er mit seinem Schild aus und erwischte die Jägerin frontal gegen Brust und Gesicht als sie sich ihm zuwandte. Für den Bruchteil eines Herzschlages lang wurde ihr schwarz vor Augen und ihr entglitt das linke Schwert bevor sie auf ihr Hinterteil in den Schlamm sackte. Deutlich spürte sie die im Kontrast zu dem kalten Regen heiße Flüssigkeit aus ihrer Nase rinnen und hatte gleich darauf den bitterschweren Eisengeschmack von Blut auf ihrer Zunge.
Verschwommen nahm sie wahr, wie der Nord wieder aufstand und sich ihr zuwandte. Er unterdrückte ein sehr seltenes Lachen, das eine ausgesprochen beunruhigende Wirkung entfaltete, während Vesana die Augenbrauen hochzog und sich mit der freien Hand über das Gesicht fuhr. Das Rauschen des Regens schien für einen Moment so fern wie die Monde am Nachthimmel und die Kraft in den Gliedern kehrte nur langsam zurück. Die vorher schon reichlich starken, aber wenigstens vorrübergehend verdrängten Kopfschmerzen kehrten nun unmenschlich verstärkt durch den brachialen Hieb zurück wie ein Vorschlaghammer. Vorsichtig betastete sie ihre Nase und stellte erleichtert fest, dass sie wenigstens nicht gebrochen war. Zumindest glaubte sie das, da keine zusätzlichen Schmerzen von ihrer Berührung ausgingen.
Bevor Skjor zu ihr hinüberkommen konnte, stand die Kaiserliche auf. Wankend zwar, aber sie stand immerhin. „Gut“, brummte er. Es gab für ihn nichts Wichtigeres, als sich auch nach schweren Treffern nicht unterkriegen zu lassen – eine der ersten Lektionen, die sie von ihm gelernt hatte. Der Schlag mit dem Schild wäre zwar auch in einem echten Kampf ziemlich übel gewesen, aber noch längst nicht der Tod und so musste auch der Übungskampf an dieser Stelle weitergehen, bis einer von ihnen einen wirklich guten Treffer landete.
Der Nord stand inzwischen über ihrer zweiten Waffe, die somit vorerst außer Reichweite war, aber das störte sie in diesem Moment nicht. Die verbliebene Klinge hoch über den Kopf erhoben, die Füße in einigem Abstand hintereinander und die freie Linke dem Zirkelmitglied entgegengestreckt wartete die Kaiserliche auf seinen Angriff. Der kam prompt. Dem schnellen Stich wich sie mit einer Drehung auf die Waffenseite des Nords aus, hieb ihrerseits nach ihm, wurde aber unterbrochen als er mit dem Fuß bei einem ihrer Knöchel einhakte und sie in eine Rolle zwang. Dafür befand sich nun ihre zweite Waffe in Vesanas Reichweite. Diese packend stand sie schnell auf, schlug die Klinge des Nords zur Seite und zwang ihn dazu sich unter ihrer rasch nachgezogenen zweiten Waffe weg zu ducken. Ihr Tritt gegen seine nun tiefer liegende Brust ging jedoch nach hinten los, als er den Schild hob und sie ihr eigenes Schienbein gegen dessen Kante knallte.
Stöhnend humpelte sie einige Schritte vor Skjor weg, doch holte er sie schnell ein und die Niederlage kam binnen Bruchteilen eines Augenblicks. Ihre Waffen mit zwei schnell aufeinanderfolgenden Schlägen in Blocks beschäftigend, zog er ihr das schwache Bein weg, auf dass sie rücklings in den Matsch fiel. Die verzweifelt in Abwehr erhobenen Schwerter drängte er mit einem kurzen Schlag gegen eine Waffenhand und dem Rundholz zur Seite. Während ihr die eine Klinge aus der in Schmerz krampfenden Hand entglitt, setzte er ihr die Schwertspitze schnell und stark auf Herzhöhe gegen den Oberkörper. „Gut gekämpft.“
Die Holzklinge unter den Gürtel klemmend reichte er ihr die freie Rechte und half der keuchenden Kaiserlichen auf die Füße. Die Schwerter unter den einen Arm geklemmt hielt sie sich die schmerzende Hand und humpelte neben dem Nord zurück zur Terrasse. Völlig mit Schlamm besudelt, mit noch immer blutender Nase und mit wie ein Igel im Kopf stechenden Schmerzen im Schädel ließ sich Vesana in einem der freien Stühle nieder. Athis mürrischer, aber doch irgendwie beeindruckter Blick ob des kurzen, heftigen Kampfes ließ sie in diesem Moment kalt. Ebenso wie das entsetzte Staunen im Gesicht des blonden Nords. Schwer atmend sank sie in sich zusammen und ohne Anstalten zu machen es verhindern zu wollen sackte sie mit der Stirn auf die Tischplatte. „Willst Du ‘was trinken?“, fragte Skjor während er Schild und Schwert neben Vesanas Klingen auf dem Boden ablegte.
„Hmhmm.“
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Geändert von Bahaar (14.03.2014 um 17:13 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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Für einige, quälend lange anhaltende Momente lag Vesana einfach Gesicht voran auf der Tischplatte. Ihre Nase pochte heiß und sandte schmerzende Stiche in ihren Kopf, als ob dieser nicht schon von sich aus genug von einem Gefühl des Hammers und Meißels geplagt war. Dünne Rinnsale ihres Blutes sickerten noch immer aus den Nasenöffnungen und tränkten das sonnengebleichte Holz des Tisches unter ihr. Zähflüssige Pampe rann ihr an den Seiten des Gesichtes, den Armen und Beinen hinab aus den verkleisterten Haaren und der schlammgetränkten Tunika. Ihr angeschlagenes Bein streckte sie unter dem Tisch aus, um die Muskeln zu entspannen und die heiß stichelnde, entkräftende Pein im Unterschenkel zu reduzieren. Aber es half nur bedingt. Die Hauptarbeit in der Schmerzlinderung übernahm dann doch der kalte, böige Wind – und der jagte ihr einen unangenehmen Schauer nach dem anderen über den Körper, ließ sie Zittern und verschaffte ihr eine waschechte Gänsehaut.
„Wir werden also auch in solchem Wetter üben?“, vernahm sie auf einmal die kräftige, irgendwie leicht vibrierende Stimme des blonden Nords von der Seite. Begleitet von einem müden Stöhnen drückte sich Vesa vom Tisch hoch und strich sich über das dreckstarrende Gesicht, um wenigstens einen Teil des Schmutzes abzustreifen. Inzwischen fiel nur noch aller paar Herzschläge mal ein kleiner Blutstropfen aus der Nase und auf ihre Tunika hinab, die komplett braun verfärbt war. Vom Beige der Wolle ließ sich nichts mehr erkennen.
Langsam wandte sie dem Auszubildenden ihr Gesicht zu. „Oder schlimmerem.“ Er lachte auf. Ein heller, heiterer Ton, der ihr kurz in den überempfindlichen Ohren stach.
„Dann mal viel Spaß“, brummte Athis und kratzte sich an der spitzen, grauen Nase.
„Den werden wir haben“, bestätigte die Kaiserliche und wandte sich ab, zog mit einem Fuß einen der Stühle an ihrem Tisch zurecht und legte schließlich beide Beine darauf ab. Die Augen geschlossen massierte sie ihre Schläfen und versuchte die Kopfschmerzen zu mildern. Aber so wirklich half es nicht, zumal mittlerweile auch das kalte Zittern ihres Körpers zu ihrer Verstärkung beitrug.
„Kopfschmerzen, huh?“, stellte der Nord das Offensichtliche fest.
„Ja“, gab sie zurück, die Gedanken in weiten Umlaufbahnen außerhalb ihrer Reichweite. Wenn er wüsste, was – und wer – ihr alles Kopfschmerzen bereitete, würde er wohl kaum noch mit ihr trainieren wollen.
Hinter ihr öffnete sich die Tür ins Innere Jorrvaskrs und schwere Schritte näherten sich ihr. Sie öffnete die Augen und sah gerade noch, wie Skjor einen Tonkrug und Tassen abstellte. Im Anschluss zog er sich einen Stuhl heran und goss eine dampfende, blassgrüne Flüssigkeit in die Gefäße. „Kräutertee“, erklärte er. „Besser als kaltes Wasser.“ Nickend pflichtete sie ihm bei und griff träge nach ihrem Tonbecher. Kribbelnd trat die Wärme durch die Gefäßwand und taute ihre taub gewordenen Finger auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie ihre Beine kaum noch spürte, weil sie so kalt geworden waren.
„Wie heißt Du eigentlich?“, fragte sie und pustete über ihre Tasse, die sie mit beiden Händen umklammert hielt. Trotz der Kälte in ihrer Nase und obwohl diese wohl ziemlich zugeschwollen war, nahm sie noch immer den kräftigen, würzigen Duft des Tees wahr.
„Ich?“, fragte der blonde Nord nach einem Moment des Zögerns zurück.
„Wer sonst?“ Sie nahm einen Schluck. „Scheiße!“, zischte sie, als sie sich die Zunge verbrannte. Einen Moment atmete Vesa wie ein Hund durch den Mund, um sie zu kühlen.
„Olen Tarik Wolfhammer, das ist mein Name.“
„Willkommen im wunderschönen Herbst von Weißlauf.“ Nach weiterem kontinuierlichen Pusten nahm die Kaiserliche einen neuerlichen Schluck, diesmal ohne sich zu verbrennen, aber sie schmeckte auch nicht mehr sonderlich viel von der Flüssigkeit. Den Ansatz von Bitterkeit nahm sie noch wahr, aber das war es auch schon.
„Wunderschön …“ Sie konnte das Kopfschütteln aus seinem Ton heraushören.
„Athis“, setzte sie an.
„Ja?“
„Was hast Du ihm bis jetzt beigebracht?“
„Ein bisschen Balance, den richtige Haltung des Schwertes. Ein paar einfache Schrittfolgen.“
„Ausdauerübungen?“
„Noch keine.“
Vesana legte den Kopf in den Nacken und schaute den Dunmer über die Schulter hinweg an, die Augenbrauen in Ungläubigkeit unterschiedlich weit angehoben. „Ernsthaft?“ Der Dunmer zog die Schultern hoch und hob abwehrend die Hände. Zwar konnte sie in seinen glutroten Augen im dunkelgrauen, spitzen Gesicht nicht lesen, aber es war offensichtlich, dass er sich keiner Schuld bewusst sein wollte.
„Er sieht kräftig genug aus und in den Kämpfen ist er unermüdlich.“ Die Jägerin hielt die Augen noch einen Moment auf den Elfen, dann wanderten sie langsam weiter zu Olen während sie die Augenbrauen wieder senkte. Der Nord zog ein eher hilfloses und fast schon furchtsames Gesicht, als würde er ahnen, was sie mit ihm vorhatte.
„Kommst Du an den Querbalken des Vordaches da vorne?“ Sie zeigte auf den nach Außen mit einigen Rundschilden verzierten, tragenden Balken oberhalb der Stufen zum Übungsplatz.
„Keine Ahnung.“
„Probier’s aus.“ Er stand auf und schritt langsam, leicht verunsichert vielleicht, auf die Konstruktion zu. Vesa folgte ihm mit den Augen und nahm unterdessen noch einen Schluck Tee. Skjor verfolgte das Geschehen mit ausdruckslosem Gesicht, aber sein intaktes Auge streifte sie kurz und für den Moment glaubte sie einen Anflug von Heiterkeit zu erkennen. Dann sah sie sein Gesicht jedoch nicht mehr. Olen erreichte in dem Moment das Ende der Terrasse und hüpfte reichlich ungelenk hin und her, um an den hoch über ihm schwebenden Balken zu gelangen.
„Ich komm‘ nicht ran“, meinte er nach einigen Versuchen.
„Benutz‘ den stützenden Balken“, gab sie ihm einen Hinweis und deutete auf die mittig platzierte, unterstützende Holzsäule.
„Wie?“ Mit großen, dunklen Augen wandte er sich an sie und hielt die Hände in einer offenen Geste der Hilflosigkeit auf Hüfthöhe.
„Sei kreativ.“ Skjor stützte den Kopf über den Unterarm auf den Tisch ab und rieb sich in Neugier mit dem Zeigefinger über die Kopfseite. Auf Athis Gesicht zeichneten sich die Kiefermuskeln ab, als er rat- und kommentarlos das Schauspiel beobachtete. Olen lief in der Zwischenzeit einige Runden um den senkrechten Balken und schaute immer einmal wieder hinauf zu seinem Ziel. Amüsiert verzog Vesana die Lippen zu einem Schmunzeln und goss sich neuen Tee in die Tasse. Von innen gewärmt, hatte sich zumindest auch das Zittern in ihrem Oberkörper etwas reduziert. Zwar waren die Beine noch immer taub, aber gedanklich nun auf den Nord konzentriert nahm sie das kalte Stechen nicht mehr allzu sehr wahr.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Der Hellste bist Du aber nicht“, spottete die Kaiserliche. Kurzerhand stellte sie ihre Tontasse auf dem Tisch ab und stand auf. Steif schüttelte sie die Beine aus und noch immer leicht humpelnd schritt sie hinüber zu Olen. Sie schob ihn beiseite und brachte sich direkt unter dem Querbalken am Fuße dessen Stütze in Position. Im nächsten Moment hakte sie die Hände an der ihr gegenüberliegenden Seite der quadratischen Holzsäule ein, die etwa den Durchmesser einer halben Unterarmlänge besaß. Schließlich stemmte sie erst den einen Fuß gegen das Holz, drückte ihn flach auf das Holz, schob sich weiter hoch, griff mit den Händen einzeln nach und setzte den nun in der Luft schwebenden zweiten Fuß oberhalb des anderen. Diesen gab sie wieder frei und verstärkte den Druck ihrer Glieder auf die raue Oberfläche. Immer im Wechsel arbeitete sie sich so nach oben bis sie den Querbalken mühelos zu fassen bekam und sich an diesen hängen konnte.
Ihre Füße baumelten nun etwa auf Halshöhe des Nords, der verblüfft von unten zu ihr hinaufblickte, der Mund leicht geöffnet und sich auf die Zunge beißend. Kurz darauf ließ sie sich auch schon wieder fallen und ging mit dem angeschlagenen Bein bis auf das Knie hinab, um den Sturz abzufangen. Zähneknirschend rang sie den entkräftenden Schmerz hinunter und stand träge auf. „So.“ Zugegeben, sie hatte eine derartige Übung selbst lange nicht mehr gemacht und die Fähigkeiten des Biests kamen ihr in Sachen Kraft nun etwas entgegen, aber an sich war es kein Kunststück – vor allem da der Stützbalken mit seinen groben Schnitzereien viel Auflagefläche und Kanten zum Festhalten bot.
Wieder stärker humpelnd kehrte Vesana zu ihrem Stuhl zurück und beobachtete Olen bei seinen neuerlichen Versuchen. Im vierten Anlauf schaffte er es schließlich bis nach oben. „Und nun?“, fragte er, während er dort hing, wie ein nasser Sack Reis.
„Komm erstmal wieder runter“, wies sie ihn an. Der Abstand zum Boden war dank seiner Größe nicht ganz so weit und so fing er sich mit nur leicht gebeugten Knien ab, ruderte jedoch trotzdem mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
„Also?“
„Jetzt rennst Du zehn Runden um Jorrvaskr und machst jedes Mal, wenn Du hier vorbei kommst, jeweils zwanzig Liegestütze und Rumpfbeugen dort auf dem Übungsplatz und fünf Klimmzüge an dem Balken. Da Du jetzt weißt, wie Du dort herankommst, sollte das kein Problem mehr darstellen“, erklärte sie. Das folgende, süffisante Grinsen auf den schmalen Lippen, verbarg sie hinter ihrer Teetasse, als sie trank. Die feinen Falten um ihre Augen würde er auf diese Entfernung nicht bemerken.
Athis fuhr mit dem Kopf zu ihr herum und so schwer sie es für gewöhnlich auch empfand, im Gesicht eines Dunmers zu lesen, das mühsam unterdrückte, seltene Lachen fiel sogar ihr auf. Skjor ballte die Faust vor dem Mund. Der aus ihrer Perspektive sichtbare Mundwinkel zog sich weit nach hinten. Dem blonden Nord am Ende der Terrasse stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. „Jetzt?“
„Ja, jetzt.“ Es dauerte noch einen Moment, bis er sich tatsächlich aufraffte, doch dann setzte sich Olen in Bewegung und legte zunächst einen eher lockeren Trab ein. Bevor er hinter der Ecke des Gildenhauses verschwinden konnte, rief sie ihm noch ein „Das geht schneller!“ hinterher.
„Ich dachte, ich sollte ihn im Moment noch ausbilden“, beklagte sich Athis über den Eingriff in sein Ausbildungskonzept als die Heiterkeit verflogen war.
„Das machst Du auch. Du bereitest ihn eben nur auf meine Ausbildung vor“, wiegelte Vesa ab und hob die Augen nicht einen Herzschlag lang von ihrer dampfenden Tasse. Skjor wandte sich unterdessen wieder ihr zu. Sein heiles Auge musterte sie eingehend. „Schau mich nicht so an! Du weißt genau von wem ich diese Übung habe.“
„Genau deswegen schaue ich Dich ja so an“, konterte er und sie bemerkte nun die feinen Falten in seinen Augenwinkeln.
„Moment“, unterbrach sie Athis von der Seite, „das ist Deine Übung, Skjor?“
„Natürlich.“
In dem Moment schoss Olen um die andere Ecke Jorrvaskars und hielt schließlich auf dem Übungsplatz an. Noch sahen die Liegestütze und Rumpfbeugen leicht und behände aus, aber er sah schnell genauso aus, wie Vesa – von Kopf bis Fuß einheitlich braun. Auch das Erklimmen des Balkens trotz nasser, matschverschmierter Stiefel schaffte er im zweiten Anlauf. Sie beobachtete ihn, während er sich mit dem Gesicht Richtung Platz hoch zog. „Das … ist … Schinderei“, presste er zwischen einzelnen Klimmzügen hervor.
„War das ein Meckern?“, ging Vesa augenblicklich darauf ein.
„N-nein“, entgegnete der Nord.
„Ich glaube schon. Das gibt fünf Runden extra.“
„W-was?!“
„Du hast mich schon verstanden.“
In der Art und Weise, wie er seinen kurzen Sturz abfing und anschließend wieder losrannte, erkannte die Kaiserliche seine Frustration. Regelrecht stampfend wie eines der Mammuts in der Tundra des Fürstentums nahm er die Stufen der Treppe bevor er wieder in einen flüssigeren Laufrhythmus hineinfand.
„Er hat schon Recht“, meinte Skjor.
„Das sagt der Richtige.“
„Ich sage ja nicht, dass es schlecht oder unsinnig ist.“ Sie schmunzelte und griff nach dem Tonkrug, stellte jedoch missmutig fest, dass dieser leer war. Fast augenblicklich schien ihr auch die Kälte wieder in den Leib zu kriechen und sie schüttelte sich unter einem heftigen Schauer, der ihr von den Schultern bis zu den Knien hinabrollte.
Nach der dritten Runde zeichnete sich bereits erste Erschöpfung in Olens Bewegungen ab. Seine Schritte kamen schneller aus dem Takt und er hielt sich ab und an den Brustkorb, als hätte er Seitenstechen. Den Rücken musste er immer wieder erkennbar bewusst durchdrücken bei den Liegestützen und mit den Rumpfbeugen brachte er auch länger zu. Nach den ersten beiden Klimmzügen schaffte er es kaum noch überhaupt einen rechten Winkel in die Ellbogen zu bekommen. Zum Fluchen oder Meckern fehlte ihm die Luft.
Als er wieder hinter dem Gildenhaus verschwand, erhob sich die Kaiserliche. „Zeit für ein Bad. Der Schlamm hatte jetzt genug Zeit einzuwirken.“
„Du gehst?“, fragte Athis nach.
„Natürlich. Du bildest ihn ja noch aus, also kannst Du auch darauf achten, dass er seine Übung richtig zu Ende führt.“ Der Dunmer antwortete nicht mehr, hatte aber zweifelsohne verstanden, dass es sich in keiner Weise um eine Bitte handelte. „Danke für den Tee, Skjor.“ Der Einäugige nickte, blieb aber sitzen. Scheinbar wollte er noch beobachten, wie sich Olen weiter schlug. Sie wandte sich ab, hob noch die Übungswaffen auf und ging zur Tür, hielt dort allerdings noch einmal kurz inne. „Athis.“
„Ja?“
„Schick‘ ihn im Anschluss zu Arcadia ein paar Tränke gegen einfache Krankheiten kaufen. Wir wollen ja nicht, dass er sich erkältet in diesem Wetter. Oh, und lass ihn in den nächsten Tagen noch ein paar Ausdauerübungen machen.“ Damit verschwand sie durch die Tür ins warme Innere der Halle der Gefährten.
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Geändert von Bahaar (21.03.2014 um 15:28 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Weißlauf
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„Wie siehst Du denn aus?“, begrüßte sie Farkas zusammen mit einem Schwall warmer, im Vergleich zu draußen trockener Luft, und lachte gleich darauf lautstark los.
„Amüsiere Dich ruhig, nur zu“, gab Vesa zurück und kratzte sich etwas Dreck unter der Nase weg. Die dunklen, fast Schwarz erscheinenden Krümel unter ihrem Fingernagel verrieten, dass es noch Reste des Blutes waren, das noch kurz zuvor dort herausgetropft war.
„Was ist passiert?“, hakte der große, grauäugige Nord nach und kam ein paar Schritte auf sie zu. Eigentlich wollte er sich wohl gerade an die lange Tafel setzen, um ein spärliches Mittagessen aus Brot und Wurst zu sich zu nehmen, aber der dreckstarrende Anblick der Kaiserlichen musste wohl doch interessanter sein. Ihre leichten, knöchelhohen Lederstiefel waren völlig durchgeweicht und in mattes Braun gehüllt, an ihren Beinen zeichneten sich nur vereinzelt die Bahnen einiger Wassertropfen im Dreck ab, weil dort ihre Haut zum Vorschein kam. Farblich gab es keinen Unterschied mehr zwischen Gürtel und Tunika und die Haare verklumpten zu einer schweren, nassen Decke auf ihren Schultern. Die Blutreste in ihrem Gesicht und dort, wo die Tropfen sie weiter unten getroffen hatten, trugen wohl nicht gerade zu ihrem guten Aussehen bei.
„Skjor hat mich verhauen“, erklärte sie. Farkas lachte schallend, dass einige einfache Mitglieder der Gefährten, die im Halbdunkel auf der anderen Seite der Halle saßen, aufblickten.
„Komm, gib mir die da“, er zeigte auf die drei Holzschwerter und den Rundschild, „und geh zu Tilma. Die kann Dir bestimmt helfen mit Deinem … Aussehen.“
„Danke.“ Sie reichte ihm die Übungswaffen.
„Habe ich meinen Namen gehört?“ Die hagere, alte Nord rührte inzwischen wieder in einem Kessel über dem offenen Feuer am langen Ende der Halle. Vesana ging zu ihr hinüber.
„Ja. Haben wir noch irgendwo einen Bottich?“
„Wieso?“ Erst danach schaute sie wirklich auf, als eine Kanne Fleischbrühe im Topf gelandet war. „Ach herrje.“ Sie nahm eine Hand vor den Mund und stemmte die andere in die Hüfte. „Da wirst Du aber mehr als eine Wanne brauchen!“ Tilma verkniff sich ein Lachen, konnte aber nicht die tiefen Furchen um ihre Augen verbergen, die ihre Belustigung verkündeten. Vesa blieb neben dem Feuer stehen und wärmte ihre Glieder an den gierig um den Kessel züngelnden Flammen.
„Es muss kein heißes Wasser sein, Tilma, Hauptsache ich werde sauber.“
„Wenn Du nicht warten willst, bis alles festgetrocknet ist, bleibt Dir auch nichts anderes übrig, als kalt zu baden“, erwiderte die Alte mit dem faltigen, eingefallenen Gesicht. „Ich lass Dir einen Zuber ein. Der Eintopf braucht jetzt eh erst einmal Ruhe.“
„Danke. Ich hol‘ derweil einige Sachen zum Wechseln.“ Die Kaiserliche wollte sich zum Gehen wenden, aber die gute Hausmutter der Gefährten hielt sie auf.
„Hier oben steht noch Dein Tornister, das wollte ich Dir gestern schon sagen. Deine Kleidung ist gewaschen.“
„Ah, danke.“ Kurzerhand ließ sie sich von der Nord ihr Gepäck zeigen und brachte es im Anschluss nach unten. Dort angekommen hielt sie sich so weit wie möglich von ihrem Bett fern, um es nicht zu verdrecken und kippte den Inhalt des Felleisens auf den Boden. Bevor sie sich jedoch ein frisches Oberteil nehmen konnte, klopfte es an der nicht völlig geschlossenen Tür. Die Kaiserliche drehte sich um und entdeckte Aela. „Ja?“
„Wie wäre es, wenn wir nachher noch aufbrechen und die Tage um Vollmond außerhalb von Weißlauf verbringen?“ Wenn sie sich über den Anblick Vesanas wunderte, so ließ es sich die Nord nicht anmerken.
„Klingt gut. Lass mich nur schnell ein kurzes Bad nehmen und dann packe ich einige Sachen zusammen.“
„In Ordnung, nimm Dir nicht zu viel Zeit, sonst kommen wir heute nicht mehr weit.“
„Ich beeil mich.“ Nickend verschwand Aela wieder und Vesa griff sich kurzerhand eine andere, beige Tunika mit kurzen Ärmeln und stapfte zurück nach oben. In der Kammer hinter der Feuerstelle hatte Tilma bereits Wasser in einen Bottich gekippt. Schnell schloss die Kaiserliche die Tür hinter sich, streifte die starr werdende Kleidung vom Leib und schlüpfte ins kühle Nass. Es war nicht richtig kalt, aber auch nicht gerade warm. Den noch nicht wieder warm gewordenen Füßen und Beinen gefiel dies natürlich nicht gerade, aber es half nichts. Bereits nach wenigen Augenblicken zitternd winkelte Vesana die Beine an und rutschte mit dem Kopf unter die im Licht der nahen Kerzenlaternen glitzernde Oberfläche des Wassers.
Sofort legte es sich schützend auf ihre Ohren, blendete die platschenden Geräusche ihrer Bewegungen aus und überließ sie ihrem eigenen Herzschlag. Die Augen geschlossen massierte sie kurz die Schläfen und entwirrte anschließend ihr Haar. Es dauerte nicht lange, da trieben ihr die lockeren Strähnen wieder um das Gesicht und kitzelten auf der nackten Haut von Brust bis Stirn. Sogar die Kälte schien für einen Moment verflogen und die Gedanken verloren sich in der dunklen Stille. Ab und an entließ sie etwas Luft, um den Druck auf ihren Lungen zu reduzieren und noch einen Moment länger auszuharren.
Letztlich half jedoch auch das nicht mehr und Vesa sah sich gezwungen aufzutauchen. Tief Luft holend entspannte sie sich und streckte die Beine durch. Das kühle Nass schimmerte braun, als sie die Augen öffnete und an sich hinabschaute. Kraftvoll begann sie damit sich die Haut an den Gliedern abzureiben, um wenigstens den gröbsten Dreck loszuwerden. Wenigstens dauerte es nicht sehr lange und sie konnte nicht einmal mehr bis zum Grund des Bottichs sehen. Seufzend ließ sie sich zum Schluss zurücksinken, legte die Arme auf den Rand der Wanne, um nicht weiter unterzugehen und legte den Kopf in den Nacken. Die Haare hingen außerhalb und zogen schwer am Kopf. Leise tropfte das Wasser aus ihnen hinaus und wirkte wie ein Pendel vor den Augen.
Im Dämmerzustand mit nur halb geöffneten Augen, die gegen eine Wand aus groben, alten Holzplanken schauten, drifteten ihre Gedanken schnell ab. Abwesend befreite sie nun auch das Hirschkopfamulett vom Schmutz. Was hatte Kodlak gleich gesagt? „Es ist gewiss, dass er zurückkehren würde, wenn er es könnte. Reicht das nicht?“ Seine matte, raue Stimme hallte als Nebelecho in ihren Ohren wider. Wenn es doch nur so einfach wäre. Für gewöhnlich zweifelte sie nicht an dem Alten, aber es schien ihr nicht, als ob er die Tragweite völlig erfasste. Gut, es wäre ungerecht ihm das vorzuwerfen, immerhin wusste er auch bei Weitem nicht alles über sie, aber dennoch: Weise Sprüche halfen nicht. Darius war nicht nur einfach ihr Freund oder Geliebter gewesen. Für sie war er Familie. Ein Wort, das ihr gleichermaßen einen Stich ins Herz versetzte, wie es dieses zum Rasen brachte. Nach langen Jahren, die sie allein gewesen war – besser sich allein gefühlt hatte, denn daran hatte auch die Kämpfergilde in Bruma nichts ändern können – hatte er ihr das Gefühl gegeben, wieder einen Platz in der Welt zu haben. Natürlich war die Beziehung zu den Gefährten generell besser und intensiver, als zur Kämpfergilde, allerdings handelte es sich eher um enge Freunde. Aber ohne Darius … Ohne ihn war sie ein Niemand. Ein Kiesel in einem reißenden Fluss. Blind und orientierungslos. Wie konnte sie ihn also einfach loslassen? Oder gar vergessen? Was wäre das bloß für ein Verrat an ihm, so etwas zu tun?
Erst jetzt bemerkte sie das heftige Zittern ihres Oberkörpers und das Beben ihrer Lippen. Die Zehen taub und die Finger eiskalt. Das Unwohlsein im Bauch, wie als würde sie fallen, und der leichte Kopf, als hätte sie zu viel Wein getrunken, ließen Vesa jedoch daran zweifeln, ob das kühle Wasser Schuld an ihrem Zustand war. Trotzdem raffte sie sich auf, so schwer es ihr auch fiel. Sie wollte nicht schon wieder anfangen zu weinen, sich nicht wieder in Erinnerungen an Momente verlieren, die wohl nie wieder kommen würden. Mühsam hievte sie sich aus der Wanne und rutschte fast noch auf dem Steinboden aus mit ihren nassen Füßen.
Trotz ihrer Bemühungen mit hängenden Schultern und eingetrübtem Blick durchquerte sie den kleinen Raum und nahm sich das von Tilma zurechtgelegte Wolltuch. Die Bewegungen der Kaiserlichen verliefen wie in Zeitlupe vor ihren Augen, als sie sich nach und nach trockenrieb. Hin und her gerissen zwischen dem zentnerschweren Gefühl der Schuld und der Verantwortung und dem Wunsch es abzustreifen fiel es ihr schwer sich auch nur auf derart banale Handlungen zu konzentrieren. Der Wunsch, Darius nachzuspüren, zehrte immer an ihr. Das Gefühl, er könne noch am Leben sein. Und doch war es wohl nicht viel mehr als reines hoffnungsvolles, vergebliches Denken. Das erste Mal war er nur durch Zufall wieder aus den Fängen der Silbernen Hand freigekommen, noch dazu einer besonders militanten und aggressiven Zelle dieses Haufens räudiger Köter. Sein Glück zweimal herauszufordern musste wohl zwangsläufig in einem Fiasko enden.
Wütend grollend schlug Vesana die Faust gegen die nahe Wand. „Scheiße!“ Ruckartig zog sie die Hand zurück, rieb über die schmerzend pochenden Knöchel und ließ das Wolltuch fallen. Stille Perlen aus salzigem Wasser tropften ihr auf die Lippen. An sich konnte sie es dem sturen Kaiserlichen nicht einmal verübeln, dass er dieses Himmelfahrtskommando auf sich genommen hatte. Es ging schließlich um genau das, was sie verbunden hatte: Familie – oder besser das Nicht-mehr-Vorhandensein ihrer Familien. Sein Bruder, der einzige der von Darius Fleisch und Blut neben ihm selbst übrig war, gefangen von genau denen, die seine Familie in den Abgrund getrieben hatten. Wäre es um ihre Schwester gegangen, sie hätte genau wie Darius gehandelt – nur dass es wohl noch unwahrscheinlicher war, dass sie jemals wieder etwas von ihrer Schwester hören, geschweige denn sie sehen würde, als dass Darius plötzlich doch noch auf der Türschwelle stand. Und von ihrem Vater wollte sie gewiss nichts mehr hören. Er hatte den Rang eines Familienmitglieds vor vielen Jahren verwirkt und mochte von ihr aus in den tiefsten Höllen der daedrischen Ebenen verrotten und vergammeln, bis er schwarz wurde.
Völlig geistesabwesend war die Jägerin inzwischen über ihrem Handtuch zusammengesunken und lehnte an der Wand. Bei dem Gedanken an ihren leiblichen Vater spie sie aber unwillkürlich aus und schlug mit der Faust so kräftig gegen ihr eigenes Knie, dass es sich reflexartig durchstreckte und schmerzhaft knackte, während ihr der Zorn den Magen umdrehte und die Röte spürbar auf ihre Wangen trieb. Animalisch brummend trommelte sie mit den Fäusten gegen die Wand hinter sich bis ihnen jeglichen Gefühl entwich.
Nein, so konnte es nicht weitergehen. Noch von ihrer Wut angetrieben, stand Vesana auf und rieb sich trotzig die Haare trocken, während sie zu ihrer frischen Tunika lief. Sie konnte nicht ständig einen Nervenzusammenbruch erleiden, nur weil sie an Darius dachte. Wo sollte das noch hinführen? Sie konnte sich unmöglich die Blöße geben und aus Versehen von einem der anderen Mitglieder der Gefährten, oder schlimmer: Dem Auszubildenden, bei ihrem Trauerspiel beobachtet werden.
Barfuß, nur in die beige, einfache Tunika gehüllt, und die Haare mit dem Wolltuch verschlungen, verließ sie die Kammer und kehrte in die Haupthalle der Gefährten zurück. Tilma rührte im Topf herum und schaute zu ihr auf. „So siehst Du schon besser aus!“ Auch wenn sie sich nicht entsprechend fühlte, schenkte ihr die Kaiserliche ein zaghaftes Lächeln.
„Ich habe die schmutzige Wäsche direkt mit bei dem Zuber gelassen“, erklärte Vesa und räusperte sich im Anschluss. Ihre Stimme klang rau und etwas brüchig. Die alte Nord nickte und ließ sie nach unten gehen. Es wurde Zeit, sich aufbruchsfertig zu machen.
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Geändert von Bahaar (28.03.2014 um 16:57 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf
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Noch am frühen Nachmittag kletterten Aela und Vesana mit leichtem Reisegepäck und Jagdausrüstung ausgestattet durch die Turmruine am Ende des Tunnels aus der Tiefenschmiede. Sie gelangten auf diesem Wege schneller aus der Stadt, als wenn sie sie durch das Tor verließen und von dort den Weg in die Wildnis einschlugen. Mit der regenfesten, dickgefütterten Wildlederjacke, die sie schon auf Solstheim getragen hatte, zusammen mit einer etwas dickeren, molligen Hose und den hohen Wildlederstiefeln lief es sich selbst in diesem ungemütlichen Wetter vergleichsweise angenehm. Zwar war der Boden ziemlich aufgeweicht, weil es seit der Nacht ununterbrochen regnete, aber Vesa konnte sich Schlimmeres vorstellen. Aela lief neben ihr, ähnlich warm eingekleidet, und zusätzlich zu einem Tornister trug auch sie einen Jagdbogen mit zwei Köchern und einem Schwert auf dem Rücken.
„Ich habe gehört, der Auszubildende hatte heute Grund zum Fluchen?“, fragte Aela.
„Hat Skjor erzählt, ja?“
„Ja, hat er.“
„Er schien heute gut gelaunt zu sein.“
„Ist er auch, immerhin hatte mal wieder jemand den Mut, sich mit ihm anzulegen. Das freut ihn doch immer.“
„Stimmt.“
„Es endete aber scheinbar auch wie immer, richtig?“
„Natürlich endete es wie immer. Wann hast Du denn jemals jemanden gesehen, der Skjor in den Dreck gelegt hat?“ Die Nord lachte. Natürlich hatte sie das noch nicht gesehen. Keiner konnte das behaupten. „Wenigstens lernt man bei ihm was.“
„Das ist wahr.“
Für einige Zeit liefen die beiden Frauen schweigend weiter. Der Regen perlte an ihrer Jacke ab und tropfte von der Kapuze vor ihrem Gesicht hinab. Kein einziger Tropfen durch ihre Kleidung drang, außer ein wenig an den Knien, die nicht direkt von ihrem Oberteil oder den hohen Stiefel bedeckt wurden. Dennoch schien ihr alles irgendwie klamm zu sein. Die hohe Luftfeuchte kroch überall hinein und legte sich auf die Haut unter den Stofflagen. Nicht unbedingt angenehm, aber es ließ sich aushalten. Umso mehr verspürte sie das Bedürfnis sich in das weiche Fellfutter ihrer Kapuze zu kuscheln, allerdings wäre das im Gehen wohl weniger praktikabel.
„Was ich Dich noch fragen wollte“, setzte Aela nach einer Weile an.
„Ja?“
„Wie war es, den Werbären zu töten? Wie sah er aus?“ Vesana hatte in gewisser Weise schon darauf gewartet, dass die Nord fragen würde. Eine so erfahrene Jägerin wie sie, die eine Kreatur noch nicht einmal gesehen hatte, musste sicherlich eine gewisse Neugier verspüren, wie es war. Die Kaiserliche konnte es sich zumindest gut vorstellen, denn ihr selbst erging es nicht viel anders. Leuten von ihrem Schlag wurde regelrecht der Mund wässrig, wenn sie gute Jagdgeschichten hörten.
Vesa überlegte kurz, wie sie es erzählen sollte. „Es war eine atemberaubende Kreatur, Aela. Gut sechs Fuß groß, dreimal so kräftig wie jeder Werwolf, den ich bislang gesehen habe und dunkles, braunes Fell – dicht und fest – mit leuchtenden, gelbschimmernden Augen in tiefen Höhlen. Er besaß keinen Schwanz, aber seine Pranken waren massiv mit langen, scharfen Klauen“, berichtete sie und beobachtete währenddessen, wie Aela die Hände ineinanderschlang, als ob sie sich die Kreatur gut vorstellen konnte und in Ehrfurcht zu erstarren drohte. „Er hat gekämpft wie rohe Naturgewalt.“
„Wie … wie hast Du ihn erlegt?“
„Zufall. Selbst tiefe Schnitte schienen ihn nicht wirklich zu stören. Ich habe es irgendwann geschafft mein Stahlschwert in seiner Brust zu versenken. Als er es herausziehen wollte, hat er es einfach abgebrochen!“
„Abgebrochen?“
„Ja. Als wäre es ein dünner Ast. Die restliche Klinge, die steckengeblieben war, hatte ihn geschwächt, weshalb ich ihn schließlich hiermit“, sie zog ihr neues Schwert aus der Scheide auf dem Rücken, „erlegen konnte.“ Die Rothaarige sprach kein Wort sondern streckte die Hand aus und ließ sich die silberveredelte, geschwungene Waffe geben. Vorsichtig strich sie über das glänzende Metall, wog es hin und her. „Da fällt mir ein, ich habe das Fell noch unten in meinem Zimmer. Ich sollte es bei Gelegenheit noch fertig bearbeiten.“
„Das solltest Du, ja. Woher hast Du das hier?“ Sie reichte der Kaiserlichen ihre Waffe zurück, die diese anschließend wieder auf dem Rücken verstaute.
„Die habe ich einem Banditen auf Solstheim abgenommen.“
„Abgenommen?“
„Ja. Noch am ersten Tag bin ich mit ein paar Räubern zusammengestoßen. Der Anführer dachte, ich wäre leichte Beute, und hat sich etwas verschätzt. Seine Kumpane sind dann geflohen. Ich habe es bei den Skaal noch etwas mit Silber veredeln lassen, aber so grundsätzlich ist es seine Klinge gewesen.“
„Sie hat eine interessante Balance.“
„Ja, das dachte ich mir auch. Jetzt wo ich mein Stahlschwert gegen den Werbären verloren habe, bleibe ich erstmal bei dem hier.“
„Vernünftig.“
„Wo wollen wir eigentlich hin? Zum Jagen, meine ich“, wechselte Vesana das Thema.
„Hier in den Prärien nördlich von Weißlauf, noch in Reichweite für heute, gibt es eine kleine verlassene Hütte, die ich letztens mit Skjor entdeckt habe. Da werden wir heute unsere Sachen unterstellen und später schlafen“, erklärte Aela. „Morgen können wir dann früh los und weiter nach Norden, näher an die Wälder und Berge heran – oder vielleicht schaffen wir es sogar ganz bis zu ihnen. Da sind wir weit genug weg von Dörfern oder großen Städten und auch ungestört.“
„Klingt gut.“
„Die Vollmondnacht und die danach können wir dann noch dort bleiben und uns im Anschluss auf den Rückweg machen.“ Es war in der Tat ein guter Plan. So konnte sich das Biest in ihr austoben und selbst wenn es in der Vollmondnacht nicht auf Aela als Leitwolf hören sollte, mochte wohl nichts Schlimmes passieren. Bis dahin mussten sie aber erst einmal noch eine Weile durch das ungemütliche Wetter stapfen.
Schmatzend lösten sich ihre Stiefel aus dem Boden, der sie scheinbar kaum noch loslassen wollte. Eine zwar weiche, aber dann doch unangenehme Umklammerung, aus der sich die Kaiserliche nur allzu gern wieder zurückzog. „Gibt es eigentlich neue Anwärter, die in den Zirkel aufgenommen werden könnten?“, fragte Vesa nach einiger Zeit, die sie schweigend zurückgelegt hatten.
„Nein. Bislang hat sich niemand hervorgetan, der für das Geschenk des Wolfsblutes bereit wäre.“
„Hm, verstehe. Aber es gab auch keine Zwischenfälle mit anderen Rudeln, so wie vor – wann war das gleich – einem dreiviertel Jahr?“ Sie bezog sich damit auf eine eher umherstreunende Bande von Werwölfen, die für Unruhe gesorgt hatte. Zwar hatten die Unwissenden eher nur von großen Wölfen berichtet, aber der Zirkel wusste es aus Erfahrung natürlich besser und hatte sich zum Eingreifen gezwungen gesehen, um die eigene Tarnung nicht aufs Spiel zu setzen. Es endete mit zwei Toten auf der Seite der kleinen Bande, darunter dessen Leitwolf, und die anderen beiden waren geflohen. Bei dem Gedanken an die Geschichte verknotete sich ihr Magen und die Augenbrauen senkten sich ein Stück. Immer dann, wenn sich ihre Art untereinander bekämpfte, stimmte es sie traurig. Es gab größere Feinde, aber das half meist nichts. Die Streuner – und es gab viel zu viele von ihnen – waren in der Regel nichts anderes als verfilzte Halunken, die mit ihrer Gabe nicht umzugehen vermochten und deshalb den Rest ihrer Gattung in Bedrängnis brachten. Als ob die Territorialität der größeren Rudel nicht schon für genug Ärger zwischen den Wölfen sorgte, nein, es musste auch noch die geben, die alles fraßen, was ihnen vor die Nase lief.
„Nein, zum Glück. So ruhig, wie die Silberne Hand zurzeit ist, verhält es sich auch mit den Rudelrivalitäten. Obwohl wir das Fürstentum inzwischen ohnehin recht gut für uns beansprucht haben. Jetzt wo Du wieder da bist, können wir aber vielleicht etwas offensiver neuen Kontakt mit anderen suchen und womöglich unsererseits der Hand eins auswischen.“ Seit sie Darius kennengelernt hatte, war Vesana mit ihm regelmäßig auf der Suche nach anderen Rudeln gewesen, um Partnerschaften anzustreben und den Werwolfsjägern der Silbernen Hand stärkeren Widerstand entgegenzusetzen. Während Vilkas und Kodlak das in ihrer Zurückhaltung gegenüber dem Geschenk Hircines nicht gerade begrüßt, wenngleich auch nicht unterbunden hatten, fand diese Idee bei Skjor und Aela enormen Zuspruch und starke Unterstützung. Allerdings hatten die größeren Wolfsrudel selten Interesse, eher Skepsis oder gar Geringschätzung gezeigt, und die kleineren verschwanden so schnell, wie sie sie gefunden hatten – entweder weil sie von einem größeren Rudel vertrieben worden waren, oder weil sie die Hand erwischt hatte. Und seit Darius‘ Verschwinden hatte Vesa die Tätigkeit der Bündnissuche niedergelegt.
„Eine gute Idee“, stimmte die Kaiserliche schließlich zu. Nicht zuletzt würde das wohl auch eine Möglichkeit bieten, mehr über den Verbleib ihres Geliebten in Erfahrung zu bringen.
„Schön, dass Du das so siehst. Dann sollten wir uns wohl mit Skjor zusammensetzen, sobald wir wieder zurück sind.“ Vesana nickte, auch wenn die Nord das wohl kaum sah. Den Blick hielten sie beide eher gerade aus, um nicht fehlzutreten auf dem rutschigen Untergrund. Zumal sich die Sicht nicht gerade als herausragend bezeichnen ließ. Der dichte Grauschleier des Regens verschluckte die Umgebung schon im nahen Umkreis nahezu vollständig. Noch dazu wurde es allmählich dunkel. Ganz zu schweigen vom konstanten Rauschen der großen Tropfen, die schwer auf ihren Kopf und die Schultern prasselten, und jeden Laut der Umgebung verschluckten, da mussten sie die Augen eher auf die Umgebung, anstatt aufeinander, halten. „Ah, da vorne ist sie.“ Aela hob die Hand und deutete voraus ins verschwommene Dämmerlicht.
Mühsam, und auch nur aufgrund ihrer verbesserten Sinne, entdeckte Vesana die dunkle Ecke eines Holzverschlags hinter einem etwas größeren Findling. Einen Bogen beschreibend und so den Felsen weiträumig umringend, näherten sie sich der Hütte. „Da regnet es doch rein!“, murrte Vesa, als sie die großen Lücken zwischen den Brettern der Seitenwände und die schiefe, niedrige Eingangstür erkannte. Das Dach mochte kaum anders aussehen.
„Dafür haben wir ja unsere Zeltplanen dabei.“
Das Abdichten der Hütte mit ihren Zeltbahnen gestaltete sich als umständliches Unterfangen. Ständig rutschte der Stoff irgendwo wieder heraus, oder sie glitten ab, oder kamen gar nicht erst dort hin, wo es sinnvoll gewesen wäre ihn zu befestigen. Irgendwann im Dunkeln der hereingebrochenen Nacht schafften die beiden Frauen es schließlich, einen einigermaßen ausreichenden Teil der Hütte regenfest zu machen und dort ihre Schlafunterlagen auszubreiten. Wirklich komfortabel war es zwar nicht, zumal die widerliche Feuchtigkeit des Wetters überall hineinkroch und das Holz, vollkommen vollgesogen mit dem Nass, auch noch recht modrig roch, aber es würde wohl ausreichen, um hier eine Nacht zu verbringen. Wenigstens half die Kälte und das durch die Zeltplanen und den Bretterverschlag gedämpfte Rauschen des Regens durch seine Monotonie Vesanas Kopfschmerzen zu lindern. Mit jedem Moment, den die Nacht weiter über sie hereingebrochen war auf ihrem Weg, hatten sich diese verstärkt, als ob das Biest in ihr immer weiter aufwachte und gegen die Stäbe eines Käfigs schlug, um auszubrechen.
Zuletzt fühlte es sich so an, als würde ihr Schädel förmlich platzen. Es zog und stach, gelegentlich schoben sich die scharfen Reißzähne auch ein Stück heraus, bevor sie mit einem Stöhnen und scheinbar in Wut geballten Fäusten ihre Augen einen Moment schloss und gegen das Bedürfnis ihren Trieben freien Lauf zu lassen, ankämpfte. Jetzt, wo Vesa auf ihrer ledernen und fellbesetzten Schlafunterlage saß, beruhigte sie sich selbst durch gezwungen regelmäßige Atemzüge und seichtes Wippen des Oberkörpers bei angezogenen Beinen, die sie mit den Armen umschlungen hielt. Die feurigen Messerstiche quer durch den Kopf versuchte sie durch Bisse auf die Unterlippe auszublenden. Ihre Begleiterin kümmerte sich gerade noch um die letzten Handgriffe an der Hütte, hatte aber einsehen müssen, dass die Kaiserliche in diesem Zustand keine ernsthafte Hilfe mehr war.
Zusätzlich erinnerte sie die Situation an eine von zahlreichen Jagden mit Darius. Oft hatte sie mit ihm Zeit in den Wäldern an den Ufern des Ilinalta-Sees verbracht. Genau genommen am südlichen Ufer, wo sie ein sehr altes, verlassenes, kleines Blockhaus entdeckt hatten. Über den Verlauf mehrerer Jahre hatten sie dieses zu ihrer Zuflucht in den Sommermonaten ausgebaut und recht wohnlich eingerichtet. Es war dort gewesen, wo sie sich erstmals näher kennengelernt hatten. Es war dort gewesen, wo sie von ihrer gegenseitigen Lykantrophie erfahren hatten. Es war dort in der nahen Umgebung gewesen, auf einer Wiese zwischen Wald und See, dass er ihr bei der Arbeit an ihrem Totem der Jagd geholfen hatte. Und es war dort gewesen, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
Irgendetwas berührte Vesana an der Schulter und sie schreckte zusammen. Für einen kurzen Moment ließ der Kopfschmerz ihr Blickfeld verschwimmen, das ohnehin nur von einer kleinen Sturmlaterne erhellt wurde. Erst Aelas feste Stimme holte sie zurück ins Hier und Jetzt. „Es ist alles fertig. Lass uns aufbrechen, dann legen sich auch Deine Kopfschmerzen.“ Die Kaiserliche nickte nur benommen, als hätte ihr jemand einen Holzknüppel über den Kopf gezogen. Im Anschluss stemmte sie sich steifbeinig hoch und begann wie auch die Nord damit, sich auszuziehen. Jacke und Hose legte sie ans Kopfende des Nachtlagers nahe der Außenwand des kleinen Schuppens, die Stiefel stellte sie ans Fußende in die Nähe ihres Felleisens und ihrer Waffen. Als letztes, bereits vor Kälte heftig zitternd, streifte Vesa ihre Tunika über ihren Kopf, warf sie auf das Nachtlager und befreite die langen Haare aus dem Knoten am Hinterkopf. Noch immer klamm fielen sie ihr auf die Schultern und kitzelten die Haut.
„Dann mal los.“ Aela nickte in Richtung Tür und lief auch direkt los. Ihre nackten Füße hüllten sich schnell in braunes Schmutzwasser auf ihrem Weg dorthin und gleich darauf verschwand ihre sich hell vor den dunklen Wänden abhebende Gestalt durch den Eingang. Die Kaiserliche löschte noch die Laterne. Mit der plötzlich alles verschluckenden Dunkelheit verschwand auch ihre Orientierung im Hier und Jetzt, sie gab sich auf und verlor sich nicht nur im Dunkel der Welt, sondern auch in dem ihrer Gedanken.
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Geändert von Bahaar (04.04.2014 um 19:54 Uhr)
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Himmelsrand
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Leise platschend schwappten die kühlen, kleinen Wellen gegen ihre nackten Knöchel. Das dunkle Wasser des Sees lag ruhig in der Abenddämmerung vor ihr und leichte, frische Frühlingsbrisen spielten mit Vesas offenen Haaren, während sie ihr einen Schauer nach dem anderen über die unbedeckten Arme jagten. Widerspenstig stellten sich die Härchen dort auf und ließen ihre Haut wie die eines gerupften Huhns erscheinen. Sie hatte sie vor der Brust verschränkt und hielt sich nahe den Ellbogen an den Oberarmen fest. Die leichte, helle Tunika, die sie trug, wärmte nicht wirklich, und auch wenn es ein erstaunlich milder Frühling war, der das Jahr 4Ä 201 kennzeichnete, so schien die Sonne in den Abendstunden der Tage der Zweiten Saat schnell an Kraft zu verlieren.
Leichtes Zittern hielt den Körper der Jägerin gefangen, aber nicht nur die kalten Füße unter der ruhigen Wasseroberfläche oder die kühlen Windstöße riefen es hervor. Eine innere Unruhe und Kälte hielt sie in festem Griff. Weder verspürte sie Hunger oder Appetit, noch schaffte sie es, sich vom Anblick des Ilinalta-Sees im Schein der wolkenlosen, glutroten Abenddämmerung und seiner hypnotisierenden Wirkung loszureißen. Ihre Gedanken drehten sich seit Stunden im Kreis wie die Tänzer auf Volksfesten, nur nicht so unterhaltsam, und die Eingeweide verdrehten sich ähnlich wirbelnd ineinander. Es war Sorge, die sie plagte. Sorge, und Furcht.
Verhaltenes Rauschen drang von hinten an ihre Ohren, als ob jemand durch das flache Uferwasser watete. Eine größere Welle brach sich an ihren Waden und schon im nächsten Moment spürte sie einen kräftigen Arm um ihre Taille liegen, der sie gegen die Seite eines kräftigen Körpers und seine Schulter drückte. „An was denkst Du?“ Darius‘ gedämpfte, dunkle Stimme unterbrach ihre Abwesenheit.
„An meinen Vater.“
„An was genau?“ Sie spürte, wie er mit dem Daumen der Hand an ihrer Seite sanft und langsam hin und her strich, als wollte er sie beruhigen. Es half nicht viel, das Zittern ihres Leibes hielt an und es kam ihr auch nicht in den Sinn sich zu ihm umzudrehen, die Arme auszubreiten und ihn festzuhalten.
„Wie er meine Mutter getötet, Emilia vertrieben und unsere Familie zerstört hat.“ Die Bitterkeit in ihren Worten schnitt durch die Abendluft wie ein Messer durch Streichfett. Der Kaiserliche an ihrer Seite wusste es besser, als sie zu korrigieren. Natürlich hatte ihr Vater seine Gattin und ihre Mutter nicht direkt ermordet, das hatten andere wegen ihm getan. Auch Emilia, ihre Schwester, hatte er nicht direkt fortgejagt, sie war einfach weggelaufen. Aber am Ende kam es auf dasselbe hinaus und es blieb seine Schuld. Vesa fühlte sich jetzt in diesem Moment genauso einsam und verlassen wie in den Wochen und Monaten nachdem auch sie ihrem Vater den Rücken zugekehrt hatte – und das obwohl Darius direkt neben ihr stand.
„Warum denkst Du an ihn?“ Ihr Geliebter tastete sich vorsichtig weiter in diesem Themenfeld voll Fallstricke. Es stand außer Frage, dass er wenigstens im Ansatz wusste, wie sie sich fühlte, aber wie so oft versuchte er sie zum Reden zu bringen. Ihr die Last, die ihre Schulten nach unten zog, zu nehmen und mit ihm zu Teilen.
„Weil …“ Ihr blieben die Worte im Hals stecken.
„Weil?“ Er flüsterte in zwischen, ganz nahe an ihrem Ohr und küsste sie seitlich auf den Hinterkopf. Die sonst immer beruhigend wirkende Geste sorgte in diesem Moment nur für ein verstärktes Gefühl, als rührte ihr eine eiskalte Hand im Bauch herum. Vesana senkte den bis dahin starr auf die ebenholzfarbene Wasseroberfläche gehaltenen Blick. Heiße Tränen brannten ihr in den Augen und lösten sich mit dem nächsten Blinzeln, als ihr Kinn auf dem Brustbein ruhte. Vergeblich versuchte sie so das Zittern des Kiefers und der Lippen zu unterdrücken.
„Weil Du mich genauso allein lassen willst“, fand sie schließlich den Mut, es auszusprechen und legte gleich darauf den Kopf in den Nacken. Das salzige Wasser ließ ihre Sicht verschwimmen, aber der feuerrote Himmel strahlte noch immer über ihnen – ein schöner Anblick, für den sie im Moment nichts übrig hatte.
„Vesa …“ Darius klang hilflos, ein wenig verzweifelt vielleicht, als würde ihm ein Ansatz fehlen, mit ihr umzugehen und sie zu beruhigen. Sie merkte aber auch, dass ihn ihre Worte sehr trafen und sich eine Note des Schmerzes in seine Stimme hineingeschlichen hatte. Er trat vorsichtig um sie herum und stellte sich vor sie, doch sie wand das Gesicht ab, schaute an ihm vorbei auf das Wasser und auch als er sie an sich drückte, lösten sich ihre Arme nicht aus ihrer Umklammerung umeinander. Jede Veränderung ihrer Haltung musste er mit sanfter Gewalt herbeiführen. Erst trennte er ihre Arme, dass sie kraftlos an ihren Seiten hingen, dann legte er ihren Kopf gegen seine Schulter und hielt sie mit der einen Hand fest, während die andere durch ihr Haar zu streichen begann. „Das ist nicht … gerecht“, erwehrte er sich ihres Vorwurfs. Natürlich sprach er die Wahrheit und dieser Umstand ließ sie sich noch weiter in sich zurückziehen. Lediglich ein heftiges Zucken, als der erste Schluchzer ihrer Kehle entschwand, verriet dem Kaiserlichen ihren Gefühlszustand. Die Augen fest zusammengekniffen rollten ihr dennoch dicke Tränen aus den Winkeln und über die Wangen hinab. Sie schlugen zweifelsohne schwer auf seiner nur von dünnem Stoff bedeckten Schulter auf.
Ihr Geliebter drückte sie fester an sich und erst in diesem Moment brach Vesas Widerstand. Ihre schlanken Finger krallten sich an Darius‘ Seiten fest wie die Füße eines Adlers in seine Beute. Sie krampften regelrecht, als weiteres Zucken durch ihren Leib fuhr und sie die immer häufiger werdenden Schluchzer kaum noch zu unterdrücken vermochte. Dazu kam das heftigere Zittern, als sich die Kälte des Wassers langsam an ihren Beinen emporarbeitete und die Sonne, den Nachthimmel freigebend, weiter hinter den Bergen und Wäldern verschwand. „Heh.“ Er versuchte, sich etwas von ihr zu lösen und das Gesicht in seine großen Hände zu nehmen, doch sie schlang die Arme fester um ihn und drückte sich an ihn.
Heftiges Pochen in ihrer Brust ließ die Rippen schmerzen und das Luftholen fiel ihr schwerer. Es war, als würde ihr Körper in Ohnmacht fallen und ihr die Kontrolle entziehen, nur dass sie das Bewusstsein behielt. Anstatt zu versuchen, sie anzuschauen, schob ihr Darius nun die kraftvollen Arme unter das Gesäß und hob sie hoch. „Lass uns wenigstens aus dem Wasser gehen. Du erfrierst sonst noch“, erklärte er sich. „Dann reden wir, einverstanden?“ Vesana antwortete nicht, ließ ihn aber auch widerstandslos gewähren.
Wenig später setzte er sich ins Gras am ebenen Ufer und schob seine Beine an ihr vorbei. Wie ein Strauß geknickter Blumen lehnte sie gegen ihn. „Vesa … Ich kann nicht einfach hierbleiben und die Möglichkeit verstreichen lassen, Marius zu befreien“, setzte er schließlich an, als er durch zartes Streicheln ihres Rückens und Kopfes wenigstens das Schluchzen etwas eingedämmt hatte.
„Ich weiß …“ Sie zog den Rotz hoch, als sie merkte wie schwer es ihr fiel zu sprechen.
„Dann weißt Du auch, dass ich Dich nie im Stich lassen würde, wie Dein Vater“, flüsterte er weiter. „Ich lüge Dich nicht an und meine Verpflichtung gilt einzig und allein den Menschen, die mir am nächsten stehen: Meiner Familie – Dir, und meinem Bruder.“ Seine Worte wirkten niederschmetternd. Nicht, weil es die Jägerin nicht berührte, sondern weil es ihr bewusst werden ließ, wie weh sie ihm getan hatte, als sie ihm in ihrem Schmerz vorgeworfen hatte, wie ihr Vater zu sein.
Vesa löste sich vorübergehend aus seiner Umklammerung, drehte sich seitlich und zog die Beine ein. Ihre Schulter unter seinen Arm klemmend, legte er diesen um sie, während sie ihren Kopf an seinem Hals vergrub. „Ich will nicht, dass Du gehst“, entrang es sich ihrer Kehle, rau und fragil wie ein Kartenhaus.
„Ich weiß. Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich kann meinen Bruder nicht einfach in den Fängen der Silbernen Hand lassen.“ Sie schwieg. „Das verstehst Du doch. Für Emilia würdest Du doch dasselbe machen.“
„Ich will mitkommen.“
„Nein.“ Seine sonst weiche, einfühlsame Stimme gewann plötzlich an bestimmender Festigkeit, die sie erschrecken und ihr Herz einige unangenehme Sprünge mit langen Pausen dazwischen vollführen ließ. „Versprich mir, dass Du mir nicht folgen und auch nicht später nachkommen wirst.“
„Warum?“
„Weil ich mich sonst auch noch um Dich sorgen müsste und das würde eher dazu führen, dass keiner von uns zurückkehrt. Wenn Marius noch lebt, muss ich mich auf ihn konzentrieren, um ihn lebend herauszuholen. Bist Du dabei, kann ich das nicht.“ Wieder antwortete die Kaiserliche nicht, spürte aber wie der Griff ihres Freundes sich verfestigte. „Versprich es mir, Vesa. Bitte versprich es mir.“ Sie atmete tief durch, oder versuchte es zumindest. Viel mehr als ein klägliches Rasseln bekam sie nicht zustande. Schwindelgefühle hielten sie gefangen und es fühlte sich so an, als würde Darius unter ihr davonschwimmen wie Treibgut unter einem Ertrinkenden.
„Hm“, bekam sie schließlich heraus.
„Bitte sage mir, dass Du es versprichst.“
„Ich … verspreche es.“ Er küsste sie lange auf den Kopf und strich ihr durchs Haar. Ein nur teilweise angenehmer Schauer rann ihr den Rücken hinab.
„Danke“, flüsterte er nun wieder.
„Es ist Selbstmord.“
„Nicht mit den Resten meines alten Rudels. Wir können das schaffen.“
„Es stinkt nach einer Falle. Nach all der Zeit kommen sie plötzlich wieder und wollen Deine Hilfe. Und erst als Du ablehnst, sagen sie, dass Dein Bruder gefangen gehalten wird …“
„Welchen Grund hätte auch nur irgendein Werwolf einen anderen der Silbernen Hand zu übergeben?“, konterte Darius. „Die Hand geht keinen Handel mit Wandelwesen ein.“ Wieder hatte er Recht, aber das beruhigte Vesana nicht. Sie wollte ihm sagen, dass er ihre Hilfe gebrauchen könnte, dass er nicht auf sie aufpassen musste, sondern das gut selbst konnte. Doch biss sie sich auf die Zunge. Es war zu spät dafür, seine Entscheidung gefällt und ihr Versprechen gegeben.
Zum ersten Mal, seit er ihr von seinem Vorhaben erzählt hatte, schaute die Kaiserliche ihren Geliebten wieder an. Auf wenige Handbreiten Abstand gegangen, blickte sie ihm ins von dunklem Haar eingerahmte Gesicht. Die Sterne und die kurz vor Halbmond stehenden, zunehmenden Monde warfen silbernes Licht auf sein Antlitz. Die lange, dünne Narbe in der linken Gesichtshälfte zeichnete sich als etwas dunklerer Strich ab. Zaghaft und gequält versuchte er ihr ein Lächeln zu schenken. Mit den kraftvollen Händen strich er ihr einige Strähnen hinter die Ohren und wischte mit den Daumen die Tränen unter ihren Augen von den Wangen. „Lass uns einen Moment nicht mehr daran denken. Du weißt, dass ich Dich nicht hier zurücklassen würde, wenn ich es nicht für absolut notwendig befinden würde. Und ich würde mich freuen, wenn Du mir auch dieses Mal das Vertrauen schenkst, das Du auch sonst in mich hast.“ Sein schmales Lächeln gewann an Kraft und Aufrichtigkeit, als würde er sich all ihrer gemeinsamen Momente erinnern während er sprach.
Die Jägerin legte ihre Linke auf seine Rechte, die noch immer an ihrem Gesicht ruhte und schob sie näher an ihren Mund heran. Ohne die Augen von seinen zu nehmen, küsste sie ihn auf den Handballen und legte seine Hand von ihrer Umklammert in ihren Schoß. „Danke“, wisperte er. Unfähig zu sprechen, mit einem dicken Kloß im Hals, und zahllosen Tränen, die ihr über die Haut perlten, schaute sie ihn an. Im zuliebe versuchte sie sich an einem Lächeln, scheiterte aber vorerst. „Noch bin ich hier und ich werde nicht lange fort bleiben“, versuchte er sie aufzumuntern und legte seine Hand auf ihre Hüfte. Kurz warf er einen Blick hinauf zum Himmel und zu den beiden Monden. „Lass uns die Nacht noch ein bisschen genießen und Dich auf andere Gedanken bringen, ja?“ Er schaute sie wieder ein und trug ein schmales Grinsen auf den Lippen, das seinen festen Zügen etwas Raubtierhaftes, Herausforderndes verlieh. Seine Augen durchbrachen dieses Bild jedoch wie Risse ein altes Gemälde. In ihnen spiegelte sich etwas, dass nichts mit der verlangenden Selbstsicherheit seiner Mimik gemeinsam hatte. Sie glitzerten feucht und wirkten auch für die silberne Dunkelheit der Nacht unnatürlich geweitet. Angst schimmerte in ihnen, wie in den Augen eines erlegten Tieres kurz bevor es starb.
„Ich weiß nicht …“ Eigentlich wollte sie lieber noch eine Weile ruhig in seiner Nähe verbringen, seinen Duft, seine Wärme und das Gefühl der Geborgenheit in sich aufsaugen, bevor er aufbrach. Vesana wollte das Gefühl verdrängen, dass sie ihn so schnell nicht wiedersehen würde. Andererseits hatte Darius wieder einmal Recht, dass es verschwendete Zeit war und sie sie lieber noch etwas genießen sollten. Zumal auch er wohl noch etwas Ablenkung gebrauchen mochte.
Ohne ein Wort zu sagen, beugte er sich vor, küsste sie auf den Mund und drängte sie verlangend zu Boden. Während sich ein überraschtes Quieken ihrer Kehle entwand fixierte er ihre Hände an den Handgelenken im kühlen, feuchten Gras neben ihrem Haupt. Er löste sich nicht von ihren Lippen während er sich gänzlich über sie schob und verhinderte, dass sie sich befreien konnte. Jeden der immer schneller werdenden Herzschläge, den die beiden so verbrachten, trockneten die Tränen der Kaiserlichen weiter aus und sie begann die wilde Zärtlichkeit zu erwidern. Die Augen geschlossen spürte sie, wie es ein breites Lächeln auf die groben Lippen ihres Liebsten zauberte und wie es sie mitriss.
In einer schnellen, eleganten Bewegung zog Vesa die Beine an, drückte sie von unten gegen Darius‘ Oberkörper und schob ihn von sich. Überrumpelt keuchend fiel er zur Seite von ihr hinunter. Schnell rollte sie sich hinüber und kniete nun direkt über ihm, auf seinem Bauch sitzend und seine Hände fixierte sie, indem sie ihre Finger mit den seinen verschränkter. „Darius Gallean, Ihr habt gelegentlich höchst kuriose Anwandlungen“, tadelte sie ihn und blickte auf ihn hinab. Noch im selben Augenblick begann er jedoch zu lachen und sie entblößte die Zähne in einem breiten Grinsen.
„Mag sein, Fräulein Calvianus.“ Unvermittelt zog er ihre eine Hand so zurecht, dass er mit den Fingern der anderen Hand trotz deren Verschränkung mit ihren eigenen ihr Handgelenk zu fassen bekam. So fixiert befreite er sich schließlich teilweise und nutzte die nun freie Linke, um hier in den Bauch zu kneifen. Sofort zuckte Vesana und wand sich, um seinen kraftvollen Fingern und ihrer kitzelnden Gefahr zu entgehen.
„Lass das!“, forderte sie, doch anstatt zu gehorchen setzte er sich auf und warf sie auf den Rücken. Zwar befreite die Jäger währenddessen ihre Hände, aber gegen seine viel kräftigeren Arme konnte sie sich nicht erwehren und so rollte sie an den Beinen auf den Boden gepresst von der Hüfte aufwärts hin und her, quiekend und kichernd wie irgendein Kind, das von seinem Bruder ausgekitzelt wurde. „Hör … auf!“, forderte sie in den Momenten, in denen sie einmal kurz Luft holen konnte.
„Nein“, lachte er. „Niemals!“ Während sie sich durch das Gras wälzte, begann irgendwann ihr Bauch zu schmerzen und die Lungen brannten, aber nicht unangenehm. Wäre es nicht Nacht gewesen und hätte Darius ihre Tunika hochgeschoben, ihre Haut hätte wohl feuerrot geschimmert. Aber zum Glück kitzelte er sie noch durch den Stoff, was den Effekt wenigstens geringfügig abmilderte.
Das änderte sich jedoch im nächsten Moment. „Darius, nein!“ Allerdings war es schon zu spät. Seine Hände schob er unter ihre Tunika und zwickte sie auf Höhe des Nabels quer über den Bauch. Durch den Stoff geschützt bekam sie seine Arme nun noch weniger zu fassen und ihre Gegenwehr erstarb zunehmend, während sie immer weniger Luft bekam und sich krümmte und wand wie ein kleiner Regenwurm an der Erdoberfläche. Während ihr Geliebter lachend seine teuflische Folter fortsetzte, glitt Vesanas Blick über den nächtlichen Himmel und blieb an den kaum noch sichelförmigen Monden hängen. Ein tiefes Knurren rollte ihren Hals hinauf und Darius brach für einen Moment ab, bevor er lachend nach hinten umfiel und sich im Gras krümmte.
Unteressen hievte sich die Jägerin auf die Füße und hielt sich den Bauch, während sie in Richtung See flüchtete. „He! Nicht weglaufen! Ich bin noch nicht fertig!“, rief ihr der kräftigere Kaiserliche hinterher, doch sie hörte nicht. Im Laufen zerrte sie sich ihre Tunika über das Haupt vom Leib und eilte platschend in die schwarzen Fluten des Ilinalta-Sees. Als ihr das Wasser bis über die Knie reichte, tauchte Vesa in einem flachen Kopfsprung in die Fluten ab. Die Kälte des Wassers kroch ihr schnell unter die Haut und begann bereits zu zwicken, noch bevor sie überhaupt wieder aufgetaucht war. Sie zögerte dies aber ohnehin noch etwas hinaus und gab sich stattdessen dem silbernen Schein hin, der sich an der Wasseroberfläche über ihr in den zahlreichen kleinen Wellen brach.
Das Knacken der sich verschiebenden, ausdehnenden Knochen klang von den Fluten gedämpft nur wie etwas lauteres Rauschen der Wassermassen. Dafür verschwand die Kälte, als ihre Haut sich verfestigte und dunkles Fell hervorwuchs. Außerdem klarte sich ihre Umgebung allmählich auf und ihr Herzschlag hallte mit einem Mal laut und aufgeregt in ihren Ohren wider, als schließlich auch ihre Sinne an Sensitivität gewannen.
Die Wölfin tauchte einen Moment länger unter der Oberfläche zurück in Richtung Ufer, allerdings etwas abseits der Stelle, wo sie zuvor in den Fluten verschwunden war. Langsam und leise schälte sie sich aus dem Wasser, bis sie Darius entdeckte der ratlos in der Nacht stand. „Vesa?“, rief er. Ein wenig sorgenvoll schien er ihr schon zu sein, was sie dazu veranlasste die Lefzen in einem animalischen Grinsen zurückzuziehen. Leise knurrte sie und verließ das Wasser lautlos. Mit trockenem, festem Boden unter den Füßen beschleunigte die Kaiserliche drastisch. „Vesa, wo bi-“, Darius brach ab, als sie ihn ansprang und zu Boden riss. Es mochte für einen Außenstehenden sicherlich gefährlich und aggressiv wirken, doch es handelte sich vielmehr um eine Geste der Zuneigung, denn kaum lag er im Gras schleckte sie ihm quer über das Gesicht. „So ist das also!“, stieß er aus und versenkte seine Finger im Fell hinter ihren Ohren.
Mit kreisenden Bewegungen massierte er sie dort. Die Augen geschlossen hielt sie regungslos über ihrem Liebsten inne, tropfte ihn nur von Kopf bis Fuß voll, genoss ansonsten aber seine Zärtlichkeit. Ihr Herz raste und sämtliche Kälte schien wie weggeblasen. Stattdessen wurde ihr regelrecht heiß. Doch sehr lange hielt sie nicht aus. Ruckartig sprang sie von ihm hinunter und rollte sich in einigen Schritten Entfernung ab. Dort wandte sie sich Darius zu und wedelte auf allen Vieren mit dem buschigen Schwanz hin und her wie ein Hund der darauf wartete, dass sein Herrchen den Stock ein weiteres Mal warf. Der Kaiserliche lachte, als er sich aufrichtete und sie anschaute. Provozierend knurrte die Wölfin ihn an, ruckte kurz näher an ihn heran, schnappte mit den Kiefern und sprang dann wieder zurück. „Schon gut, ich habe begriffen!“, lachte der ziemlich nass gewordene Mann und begann damit den Gürtel um seine Tunika zu lösen.
Sie beobachtete ihn dabei, wie er sich vollständig entkleidete. Seinen kraftvollen, muskulösen Körper in all seinen hellen Graustufen musternd, glitten ihre wachen Augen von dem bärtigen Gesicht über seine breiten Schultern und die Brust mit der langen Narbe vom rechten Schlüsselbein bis quer hinab zum Herzen. Es schloss sich der stramme Bauch an und bevor ihre Augen mit verlangendem Forscherdrang, begleitet von rolligem Knurren, weiter an ihm hinabgleiten konnten, begann er mit seiner Transformation. Fasziniert blieb ihr Blick auf ihm haften, während sich Darius krümmte und sich seine Proportionen verschoben. Seine Haut dunkelte ab, dunkler noch als ihre eigene, das Fell kohlrabenschwarz und die Augen leuchtendgelb mit einem Schimmer von Nussbraun an den Rändern. Er überragte sie wie auch als Mensch etwa um einen halben Kopf und als die Muskelspasmen schließlich abklangen, kam er langsam zu ihr hinüber.
Vesana überwand ihre Starre im Anblick seiner imposanten Wolfsform und sprang ihn an. Knurrend und sich durchs Fell schleckend rollten die beiden Werwölfe über die Wiese wie ein einziges Knäul als Armen und Beinen. Erst als sie im Wasser des Sees landeten lösten sie sich. Kurz voreinander stehend war es Darius, der sich zuerst wieder in Bewegung setzte und auf den nahen Wald am Rand der freien Wiesenfläche am Ufer zu spurtete. Die Kaiserliche folgte ihm und holte schnell auf.
Kopf an Kopf hasteten sie durch den dichten Wald, sprangen auf größere Felsen, nutzten Bäume um sich weiter vorwärts zu katapultieren und ignorierten niedrige Zweige und kleinere Tiere, die in ihrer Nachtruhe gestört erschrocken das Weite suchten. Erst ein großer Hirsch zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, nachdem sie bereits einige Rehe links liegen gelassen hatten. Darius und Vesana kreisten ihn im Unterholz als lautloser Tod ein und ohne, dass es eines Signals bedurfte, sprangen sie das prächtige Tier gleichzeitig an. Während einer von ihnen ausgereicht hätte, um ihn umzuwerfen, hörte sie wie unter dem doppelten Druck die Rippen des Hirsches nachgaben, als er nicht einfach umfallen konnte.
Ihm fehlte die Kraft zum Heulen oder Schreien, während die Wölfe mit langen, ausgefahrenen Klauen in seinen Flanken hingen wie Zecken. Vesa ließ sich etwas nach unten rutschen, zog dabei tiefe Schnitte hinter sich her, und schnappte gleich darauf nach der Kehle ihrer Beute. Ihr Liebster versuchte diese stattdessen im Genick zu erwischen. Der Kampf dauerte nicht lange. Durch Blutverlust, Schmerz und das zusätzliche Gewicht geschwächt ging ihr Opfer in die Knie und schon im nächsten Moment versanken die scharfen Reißzähne der Wölfe in seinem Hals. Schnell machten sie sich über den noch warmen Kadaver her.
Ab und an schubsten sie sich gegenseitig zur Seite und knurrten sich an, nur um sich gleich darauf durch das Fell zu lecken oder an den spitzen Ohren zu knabbern. Ihre buschigen Schwänze rangen miteinander während sie nebeneinander auf allen Vieren stehend die Haut des Hirsches zerlegten, das Fleisch der Flanken unter sich aufteilen und gemeinsam die Rippen aus dem Weg zerrten. Darius wühlte sich als erster durch die Eingeweide und zog irgendetwas mit seiner blutverschmierten Schnauze aus dem entstellten Körper. Vesa erkannte es als das große, kraftvolle Herz ihrer Beute. Der Kaiserliche ließ es fallen und zog sich einen Schritt zurück, während sie ihn beobachtete. Kurz stupste er den noch zuckenden Muskel mit der Nase an und hielt das Haupt dann gesenkt. Eine regelrecht unterwürfige Geste. Aufgeregt knurrend und sich ihm direkt gegenüber mit einem schnellen Satz in Stellung bringend, schlug die Wölfin dann ihre Fänge in die Lebenspumpe und schlang sie hinab.
Gleich darauf sprang sie Darius an, riss ihn zu Boden und kugelte mit ihm durch das Unterholz, heulend und sich gegeneinander reibend. Sie lösten sich aber bald wieder voneinander und rannten abermals los. Die Nacht war jung, ihr Appetit groß und die Zeit knapp.
Leises Rascheln veranlasste Vesana dazu, die Augen zu öffnen. Von einer molligen Wolldecke bedeckt und die Haare wild über Gesicht und Nachtlager aus zahlreichen neben- und übereinanderliegenden Tierfellen verteilt, holte sie in einem langgezogenen Seufzen Luft. „Entschuldige, ich wollte Dich nicht wecken.“ Darius dämpfte seine Stimme, als wolle er das komfortable Halbdunkel ihres Schlafraumes nicht vertreiben.
Die Kaiserliche ordnete ihr Haar mit einigen Handstrichen soweit, dass es ihr wenigstens nicht mehr ins Gesicht fiel und setzte sich auf. Die Decke legte sie sich um die nackten Schultern und wickelte sie um die angezogenen Beine. „Wie spät ist es?“, fragte Vesa und rieb sich den Schlafsand aus den Augen.
„Früher Morgen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, braucht aber sicher nicht mehr lange.“ Ihre Augen wanderten über den Leib ihres Geliebten, mit dem die Jägerin in der letzten Nacht noch einmal eine intensive und befreiende Zeit verbracht hatte, stellten aber mit stillem Bedauern fest, dass er bereits Hose, Stiefel, Tunika und leichte Lederrüstung trug. Sofort verkrampften sich ihre Eingeweide und es fühlte sich an, als wich ihr sämtliche Farbe aus der Haut.
Darius verstaute gerade noch ein Paar Handschuhe in einem Felleisen, bevor er erneut zu ihr aufschaute und mit gesenkten Augenbrauen ihren wohl entglittenen Gesichtsausdruck bemerkte. Langsam setzte er sich vor sie auf die vielen Lagen Felle, mit denen sie die hintere Hälfte einer Kammer in ihrem beschlagnahmten Blockhaus wadenhoch ausgelegt und so eine echte Spielwiese geschaffen hatten. Im spärlichen Morgenlicht, das durch ein winziges Fenster oberhalb der Nachtstatt ins Innere fiel, wirkte Darius ausgesprochen trübsinnig, seine dunklen Augen nahezu unergründlich. Falten zeichneten seine Stirn, die Kiefermuskulatur wirkte angespannt und die Nasenflügel waren geweitet. Es war unverkennbar, dass ihm der Abschied nicht gefiel, er sich aber gleichzeitig verpflichtet fühlte aufzubrechen und sie hier zu lassen. Die Pflicht seinem Bruder gegenüber trieb ihn an, während jene Vesa gegenüber ihn zum Bleiben zu bewegen suchte.
Er strich ihr eine Strähne hinters Ohr und beugte sich vor sie zu küssen. Zwar erwiderte sie die Geste, doch es fiel ihr schwer, dem nachzugeben. Mit den freien Händen versuchte sie ihn festzuhalten, als er sich von ihr löste und ihr ein trauriges Lächeln schenkte, doch fehlte ihren Fingern die Kraft. Seine Augen wirkten schmerzerfüllt, während sein Mund Zuversicht zu signalisieren versuchte. Im nächsten Moment griff sich der Kaiserliche in den Nacken und streifte eine glitzernde Halskette von sich, an der ein Amulett in der Form eines Hirschkopfes baumelte. In einer fließenden Bewegung beugte er sich abermals vor, seine Lippen streiften ihre Stirn, und legte ihr den Talisman um. Vesanas Lippen bebten unkontrolliert und sie spürte abermals das salzige Brennen von Tränen in ihren Augen. „Den will ich wiederhaben“, flüsterte Darius und schaffte es diesmal ein Lächeln voll Hingabe und Zuneigung zustande zu bringen. Zwar vermochte es nicht seine eigene Sorge und das Bedauern gänzlich zu vertuschen, aber er schien nun wieder gefasster. Die Befürchtung, dass er ihr sein Familienamulett womöglich nur deswegen gab, damit es im Ernstfall nicht in einer Schatztruhe der Hand verstaubte, und nicht als Versprechen wiederzukehren, versuchte sie möglichst tief in eine dunkle Ecke ihres Verstandes zu drängen. Aber die Eiseskälte, die sie mit diesem Gedanken verband, sandte dennoch unangenehme Stiche durch ihren Bauch.
„Geh‘ nicht!“, flehte Vesana mit so stark zitternder Stimme, dass es schien als würde sie jeden Augenblick zerspringen wie Glas.
„Ich muss. Aber ich verspreche Dir, dass sie mich nicht kriegen werden und wir uns bald wiedersehen.“ Damit erhob er sich und schulterte den Tornister, an dem außen je ein Bogen, Köcher und Schwert hingen. Die Züge des Kaiserlichen mit den schwarzen Haaren im Linksscheitel und dem gepflegten Kantenbart verschwammen vor ihren Augen, als die ersten Perlen ihre Wangen hinabrannen.
„Nein, bleib!“, rief sie ihm nach, als er durch die Tür verschwand und sie im Halbdunkel wie eingefroren allein zurückblieb. Er hörte nicht, schloss die Eingangstür des kleinen Hauses und war fort.
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Geändert von Bahaar (19.04.2014 um 17:47 Uhr)
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Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf
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Das Wetter hatte sich am nächsten Morgen nicht gebessert und so kämpften sich die beiden Frauen weiter durch die widrigen Bedingungen Richtung Norden und näher an die Wälder heran. Aufgrund des Mangels an menschlicher Beute schlug sich der Hunger stärker auf Vesanas Befinden nieder und die tobende Bestie in ihr schien sich einen Weg aus ihrem Innern nach außen graben zu wollen – zumindest fühlte sich das Hämmern und Ziehen in ihrem Schädel und das Krampfen des Magens so an. Entsprechend anstrengend empfand es die Kaiserliche mit Aela schrittzuhalten, die augenscheinlich weniger stark unter dem bevorstehenden Vollmond zu leiden schien. Noch dazu hallten die Bilder der letzten Nacht, die wie in Trance die Jagd überlagert hatten, noch immer vor ihrem inneren Auge wider – eine Last, die die Nord sicherlich nicht verspürte.
„Sollen wir eine Pause einlegen?“, fragte die Rohaarige, nachdem sie einen Moment lang gewartet hatte, um Vesana aufschließen zu lassen.
„Lieber nicht“, entgegnete diese zähneknirschend. Obwohl die bloßen Erschütterungen ihrer Schritte immer wieder heftige Stiche durch ihren Kopf jagten, war das immer noch besser als in einem Moment der Ruhe nichts zu haben, um sich zur Ablenkung mit den Gedanken daran festzuhalten – und wenn es nur der nächste Schritt war. Würde sie sich setzen, das Biest in ihr mochte vor Hunger und Fresssucht losbrechen. Der Gedanke behagte Vesa keineswegs.
„Wie Du willst.“ Aela nickte nur und lief weiter. „Bei der Geschwindigkeit schaffen wir es ohnehin nicht mehr bis zu den Wäldern, allenfalls den vorgelagerten Ausläufen, daher würde eine Rast auch keinen Unterschied mehr machen.“
„Danke, aber eine Pause würde mir gerade nicht gut bekommen.“ Aela wandte ihr im Gehen kurz den Blick zu, musterte sie und nickte dann verstehend, bevor sie sich wieder nach vorne wandte. Wenn die Kaiserliche so aussah, wie sie sich fühlte – von Übelkeit und Kopfschmerz verzehrt – dann musste sie kreidebleich sein und rotstarrend-gereizte Augen haben.
„Es sollte nicht mehr sehr weit sein, bis wir die ersten vorgelagerten Wäldchen erreichen. Vielleicht sollten wir doch nicht ganz so weit ziehen und dafür länger jagen. Sicher sind wir hier allemal“, überlegte die Nord laut. An sich keine schlechte Idee und die Vesana merkte, wie die Bestie in ihr freudig tobte. Der die Blitze durch das Haupt ließen vorübergehend geringfügig nach, als ob ihr die Wölfin die Möglichkeit geben wollte, schneller ans Ziel zu gelangen, damit für sie auch mehr Zeit zum Jagen übrig blieb.
„Das entscheidend wir, wenn wir dort sind“, bemühte sich die Kaiserliche um Vernunft und erhielt einen heftigen Stich durch die Schläfe zum Dank. Leise stöhnend verzog sie das Gesicht und presste die Hand an die Kopfseite.
Es dauerte letztlich nicht allzu lange, bis sich eine Baumgruppe unweit vor ihnen aus dem grauen Schleier des anhaltenden Regens schälte. Groß genug, um Schutz vor Wind und Wetter zu bieten, aber dennoch kaum mehr als eine grüne Insel im Braun des herbstlichen Tundragrases. Die beiden Frauen schlugen sich einen Weg ins Innere und fanden sich zwischen den im unteren Bereich kahlen Stämmen der mittig liegenden, hohen Nadelbäume. Zwar tropfte durch den kontinuierlichen Guss noch reichlich Wasser durch das von unten dicht wirkende Dach, aber immerhin waren sie aus dem direkten Regen hinaus und konnten sich etwas entspannen. Für ihre Zelte wäre reichlich Platz auf dem ebenen, von alten Nadeln und Zweigen übersäten Boden. Die Bäume formten regelrecht eine Art Grotte, in der nur gelegentlich ein kleiner Busch oder überhaupt etwas wuchs, erfüllt vom Geruch feuchter Moose und Nadeln, ebenso wie Harz und nassem Holz. Eine bittere Mischung, die sich gut in die nasse Kälte der Luft einfügte, als gehörten sie zusammen. Ein unangenehmer Schauer rann ihr an der Wirbelsäule hinab und sie schüttelte sich kurz, um ihn loszuwerden.
„Wenn Du mich fragst, Vesa, ist das hier perfekt.“
„Hmhmm.“ Sie ließ ihren Tornister von den Schultern rutschen. Sie setzte sich auf das Gepäck, schob die Kapuze nach hinten vom Kopf und nahm das Gesicht in die Hände. Tief Luft holend versuchte sie mit der Dunkelheit der beschattenden Hände die brennenden Augen etwas zu beruhigen.
„Ich sehe mich mal noch etwas um.“
Die Kaiserliche ließ ihre Hände sinken und stemmte sich hoch. „Ich auch.“
„Sehr gut. Du dort drüben“, Aela wies gen Süden und Westen, „ich dort“, und zeigte nach Osten und Norden.
„In Ordnung.“ Damit trennten sich die beiden Frauen. Vesa schulterte noch schnell ihr Schwert und den Bogen, dann machte sie sich daran die pflanzliche Grotte und ihre Randgebiete zu erkunden. Außer reichlich vielen, allerdings ungenießbaren Pilzen in der Nähe einiger umgestürzter, alter Bäume und ein paar Büsche an Stellen, wo das Dach lichter war, schien hier kaum etwas zu wachsen. Tiere schienen sich noch nicht hier her zurückgezogen zu haben, aber es war auch längst noch nicht Abend, so dass sich dieser fast schon unheimlich stille Umstand noch ändern mochte. Einige Efeuranken, allerdings längst verdorrt und abgestorben, hielten noch immer die Stämme einiger hoher Fichten näher am westlichen Rand umschlossen.
Allerdings umschlangen sie nicht nur die kräftigen Säulen der natürlichen Höhle, sondern auch noch einige größere, schwarze Steine, die zum Teil auch vom dichteren Unterholz des Waldrandes verhüllt wurden. Interessiert und zugleich allmählich etwas beunruhigt, wandte sich Vesana diesen zu. Langsam kniete sie sich neben einen der schwarzen, irgendwie deplatzierten Felsen und befreite ihn vom gierigen Griff der Ranken. Grobe, vom Wetter ausgewaschene Muster aus geschwungenen, ineinander verdrehten Gravuren zeichneten sich dort ob. Vorsichtig fuhr die mit dem Finger durch die Furchen, rieb etwas Erde heraus und befreite anschließend eine größere Fläche. Sie kannte die Steine, oder wusste zumindest, was sie bedeuteten und als sie sich erneut umsah, entdeckte sie noch eine ganze Reihe größerer Steine, die sich verteilt wie dunkle Mahnmale als Schatten zwischen den Zweigen des dichten Unterholzes abhoben. Drohend und wie rastlose Geister, denen sie eigentlich Ruhe verschaffen sollten, lauerten sie um undurchsichtigen Dickicht, als wären sie dafür verantwortlich, dass kaum etwas in diesem kleinen Wäldchen lebte.
Beunruhigt und mit unregelmäßig schlagendem Herzen erhob sich Vesa. „Aela“, zischte sie in die feuchtkalte Nachmittagsluft, die mit einem Mal abgestanden zwischen den Bäumen festzuhängen schien, wie ein Leichentuch über dem Grab, auf dem sie stand. „Aela!“, wiederholte sie etwas lauter.
„Vesa!“, kam es vom nördlichen Rand zurück, aber nicht als wäre es eine Antwort. „Vesa, komm her!“ Die Kaiserliche setzte sich in Bewegung und die Aufregung in ihren Adern verdrängte für den Moment die Kopfschmerzen und Magenkrämpfe in eine dunkle Ecke ihres Verstandes. Behände und flink folgte sie dem Ruf ihrer Gefährtin. Die Nord brauch einige Dutzend Schritte vor ihr aus dem Unterholz und hielt an. Der Ausdruck von Besorgnis – weit geöffnete Augen und der leicht offen stehende Mund – verriet Vesana bereits, dass ihre Befürchtung wahr war. „Ich glaube nicht, dass wir hier bleiben sollten. Wir befinden uns auf den Au-“, doch weiter kam sie nicht. Die Kaiserliche verlor plötzlich das Gleichgewicht, als sie auf weichen Grund trat. Sie versank bis zum Knöchel im lockeren Nadelteppich und blieb an einer dünnen Wurzel hängen, die zwar nachgab, aber dennoch wie eine Fußfessel wirkte. Erschrocken vollführte ihr Herz einen hektischen Satz und sandte einen Stich durch ihre Brust, der ihr kurzweilig die Konzentration raubte. Reflexartig hob sie die Hände, doch es nützte nichts. Anstatt brauchlinks auf dem Untergrund zu landen, versanken ihre Arme bis zu dem Schultern im Erdreich und ihr Oberkörper folgte. Die Wurzel zog an ihrem Fuß, doch vermochte sie nicht ihr Gewicht zu halten. Mit einem spitzen Schrei des Schreckens verschwand Vesa in einem tiefen Loch, brach durch feines Wurzelgeflecht und wurde von größeren abgelenkt, schürfte über grobe Steine und wurde nur langsam gebremst.
Erst nach einigen ihr schier endlos erscheinenden Augenblicken des Fallens begann die Wurzel um ihren Fuß sie doch noch zu bremsen, nicht sanft jedoch, sondern schlagartig, dass es ihr Hüftgelenk schmerzhaft knirschen lies und ihr einen weiteren Schrei entriss. Im spärlichen Licht, das von oberhalb zu ihr hinabfiel sah sie nur noch, wie sie auf eine Wand des von dicken Wurzeln gestützten, senkrechten Tunnels zu pendelte. Durchsetzt von groben Steinen gab es nichts, dass ihren Aufprall in seiner Wucht gebremst hätte, und so schloss sie kurz vor dem Aufprall mit die Augen …
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Geändert von Bahaar (02.05.2014 um 19:29 Uhr)
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Provinzheld
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Die Arme hingen taub und steif vom angestauten Blut nach unten. Der Kopf hämmerte, als würde Eorlund gerade ein Schwert darin schmieden und die Umgebung erschien ihr sowohl ton-, als auch formlos. Vesana blinzelte zwar, sah jedoch nichts. Sie glaubte Schemen zu erkennen, lange, drahtige Gebilde in dunklem Braun und mit feuchtem Glanz, doch verflüchtigten sie sich so schnell wieder, wie Schatten im Nebel. Wie ein Hirsch in der Brunft atmete sie schwer durch den Mund, die Nase verstopf ließ keine Luft hindurch. Bitteres Eisen hielt ihre Zunge und den Gaumen umschlungen, ließ ihre Kehle trocken wirken und erstickte jeden Laut noch bevor er entstehen konnte. An einigen Stellen ihres Körpers, von Kopf bis Fuß verteilt, brannte die Haut wie Feuer und einige heiße Tropfen rannen der Kaiserlichen über die Wangen ins Haar. Die kalte Luft, die ihr unter die hochgerutschte Jacke blies, spürte sie kaum und ließ sie nur gelegentlich schaudern. Das linke Bein spürte sie nicht, fühlte nur das unangenehme Ziehen in der Hüfte.
Wieder blinzelte die Kaiserliche und versuche mehr zu erkennen und sich zu erinnern, was passiert war. Während sich allmählich Rauschen auf ihre Ohren schlug, versuchte sie die gefühllosen Hände zu bewegen und sie so aus ihrem Schlummer zu befreien. Erfolglos. Das braune Geflecht um sie herum, aus teils dicken Streben, kam ihr in einem kurzen, klaren Moment, wie Wurzeln vor, doch das konnte unmöglich sein. Wieso sollte sie umgeben von Wurzeln sein? Hatte sie jemand begraben? Zwar fühlte sie sich gerade nicht besonders gut, aber tot war Vesa nun noch lange nicht.
Zorn stieg in ihr auf, ließ Aufregung durch ihre Adern pumpen und brachte etwas Gefühl in die Arme zurück, drängte das Rauschen in ihren Ohren zurück und machte Platz für neue Eindrücke. Während sie versuchte, mit den Händen einen der Lebensanker zu fassen zu bekommen, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie hing, kopfüber. Warum hing sie kopfüber in einem Wurzelloch? Inzwischen entwand sich ein leises, vom zunehmend heftiger werdenden Kopfschmerz gequältes Stöhnen ihrer Kehle. Das mit den Bewegungen der Arme abklingende Rauschen in ihren Ohren stammte somit auch nicht von Regen, wie sie es zunächst angenommen hatte, sondern von ihrem eigenen Blut, das ihr zu Kopf gestiegen war.
Gleichzeitig nahm sie etwas wahr, das entfernt an eine Stimme erinnerte. Weicher als das vergehende Tosen, wärmer als die feuchte Luft um sie herum. Mühsam versuchte Vesana zu erkennen, von wo die Klänge kamen, aber da sie sie nur undeutlich hörte, ließen sie sich nicht platzieren. Allerdings bemerkte sie das von oben einfallende, schummrige Licht. Dämmrig, wie spätnachmittägliche Sonnenstrahlen an einem bewölkten Tag. Vorsichtig versuchte sie den Oberkörper einzuknicken und dort hinauf zu schauen, doch die starke Bewegung schien auf einmal das taube, linke Bein zu wecken – etwas, dass die Jägerin sofort bereute. Ein weinerlich verzerrter, halb erstickter Schmerzensschrei riss sich los, als ihr dem Gefühl nach ein glühender Dolch in die Hüfte gestoßen und dann bis zum Knöchel durch ihr Glied gezogen wurde.
Gleichzeitig sorgte der Schmerz jedoch auch dafür, dass sie zu vollem Bewusstsein zurückkehrte. „Vesa! Hörst Du mich?“, vernahm sie nun die bekannte Stimme einer Frau von oben. Es war Aela, in Sorge. Auch die Erinnerungen kehrten zurück.
„Ja“, gab die Kaiserliche zurück, ihre Stimme rau wie ein Reibeisen.
„Verflucht, das wird aber auch Zeit!“
„Ich hänge fest“, überging Vesa den Tadel.
„Das sehe ich. Kannst Du Dich irgendwo hochziehen oder festhalten und die Wurzel durchschneiden?“ Sie versuchte, den Vorschlag umzusetzen und packte eine dicke Wurzel an. In der Tat half es ihr dabei, den Oberkörper wenigstens in die Waagerechte zu bringen, aber dann verschwand ihre Kletterhilfe im Erdreich.
„So müsste es gehen“, kommentierte Vesana aber dennoch und griff im selben Moment nach dem Schwert auf ihrem Rücken – und fasste ins Leere. Erschrocken machte ihr Herz einen Satz und sie merkte, wie sich ihre Augen weiteten. Etwas hektischer suchte sie auf ihrem Rücken nach der Waffe, fand sie jedoch nicht. Auch ihr Bogen schien zu fehlen. Lediglich drei Pfeile hatten sich im Köcher verkeilt und in dem Moment dämmerte ihr, wo sich der Rest befinden musste.
Vorsichtig schaute sie in den dunklen Abgrund und erblickte einige der langen Geschosse von feinerem Wurzelgeflecht aufgefangen etwa eine Mannshöhe unter sich. Der Bogen baumelte an einem etwas dickeren Lebensanker der Bäume und irgendwo im tiefsten Schwarz weiter unten blitzte etwas Metallisches auf. Ihr Schwert, wie sie nach angestrengtem Blinzeln erkannte. Wenigstens zwei Mannshöhen, vielleicht auch drei, trennten sie vom dem Ort, an dem die Waffe lag, mit der sie mühelos die sie am Fuß festhaltende Klammer hätte durchtrennen können. „Scheiße!“
„Was ist?“
„Ich habe meine Waffen verloren und komme nicht an die Wurzel heran.“ Zwar besaß sie noch einen langen Dolch am Gürtel, aber ihr Arm reichte aus dieser Position nicht bis zu ihrem Fuß und schon gar nicht, um die Wurzel zu durchtrennen.
„Kannst Du Dich nicht noch etwas hinaufziehen?“
Die Kaiserliche versuchte sich durch ruckartiges Anspannen der Bauchmuskulatur noch etwas weiter nach oben zu heben, aber es funktionierte nur kurzweilig und danach fing sie sich gerade so wieder an der dicken Lebensader des Baumes ab, die sie noch immer fest umklammert hielt. „Das könnte böse enden …“, murmelte sie und zog den Dolch. Jedes Mal, das sie sich für einen Moment weiter hob, hieb sie mit der scharfen Klinge auf ihre Fessel ein. Manchmal verfehlte sie die Stelle, auf die sie zuvor eingeschlagen hatte, aber stückchenweise durchtrennte sie das feuchte, flexible Holz. Irgendwann überstieg ihr Körpergewicht die verbleibende Tragkraft und die Wurzel riss.
Überrascht aufschreiend versuchte sich Vesana an ihre Kletterhilfe zu klammern, doch die inzwischen ermüdeten Finger schafften es nicht, sich an der feuchten, rutschigen Oberfläche festzuhalten. Wieder fiel sie, blieb an größeren Baumankern hängen, die ihr die Luft aus den Lungen trieben und ihren Schrei zum Schweigen brachten. Manche wirbelten sie herum, an andere, feinere bremsten ihren Fall. Aber nichts von alledem verhinderte, dass sie heftig auf dem kalten Steinhaufen direkt neben ihrem Schwert landete. Die blutarmen, kraftlosen Beine vermochten nicht, sie zu tragen und so prallte sie seitlich nahezu ungehemmt auf.
Für einen kurzen Moment wurde es abermals schwarz vor ihren Augen, doch die kraftvolle Stimme Aelas, in der eine nicht zu unterschätzende Menge an Sorge mitschwang, half ihr zurück in die Realität – zumindest teilweise. Schwindelig, von den Schlägen gegen ihr Haupt desorientiert und wegen der Kopfschmerzen kaum in der Lage, sich zu konzentrieren, blickte sie hinauf ins Licht des sterbenden Tages.
„Vesa, alles in Ordnung?“
„Ich … ich bin … unten“, gab sie zurück und schaute sich erstmals genauer um. Nicht, dass sie viel erkannte, aber zumindest sah sie, dass der von den Wurzeln gestützte Tunnel oberhalb einer unterirdischen Konstruktion lag. Überhaupt, die Unebenheit des Untergrunds, auf dem sie lag, die sich bewegenden, teils glattbearbeiteten Steine und die Tatsache, dass es an zwei Seiten in pechschwarze Finsternis untertage weiterzuführen schien, bestätigten nur noch, was sie vor ihrem Sturz schon angenommen hatte: Sie befand sich nun in einem teilweise eingestürzten Tunnel eines alten Hügelgrabes. Die gravierten Steine und auch Aelas Rufe, es passte alles zusammen.
„Was siehst Du?“
„Nicht viel. Scheint ein Tunnel zu sein.“ Vorsichtig setzte sie sich auf und lehnte sich gegen die nahe Wand. Ihr Schwert nahm sie auf und steckte den Dolch, den sie noch immer umklammert hielt, zurück in seine Scheide.
„Hör zu, Vesa. Kannst Du hinaufklettern?“ Vorsichtig bewegte die Kaiserliche die Beine, oder versuchte es zumindest. Das Rechte schmerzte und hämmerte, beim Linken war sie sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt noch existierte. Alles unterhalb des Knies fühlte sie nicht mehr und der Oberschenkel brannte, als wäre er mit flüssigem Eisen ausgefüllt.
„Nein.“ Sie hörte nur entfernt etwas, das sich wie ein Fluch anhörte. Während sie darauf wartete, was die Nord erwiderte, sammelte die Kaiserliche sämtliche Pfeile ein, die sie aus dem Sitzen erreichte und die sie nicht bei ihrer Landung zerbrochen hatte. Es waren nicht gerade viele.
„Denkst Du, Du kannst da unten aushalten?“
Vesana schaute sich um, sah jedoch nichts in der Finsternis und vernahm auch keinen Laut, außer dem leichten Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren und ihr tiefes Atmen. Einzig der modrige, abgestandene Geruch bereitete ihr Unbehagen, aber an den mochte sie sich vielleicht zeitweilig gewöhnen können. „Ich denke schon, wenn ich Proviant und eine Decke habe“, gab sie also zurück und bemerkte erst jetzt, wie ihre Stimme unangenehm laut durch die Dunkelheit ihrer Umgebung hallte – in unbestimmte Ferne untertage und zu ihr zurück. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie schüttelte sich.
„Gehe etwas zur Seite, dann versuche ich, Dein Felleisen hinabzuwerfen.“ Sie tat, wie ihr geheißen und schleifte sich an den äußeren Rand des Lochs, das in der Decke des eingefallenen Tunnels klaffte. Irgendwo zwischen acht und zehn Mannsgrößen über ihr mochte nun Aela zu ihrem Gepäck eilen und es in Kürze zu ihr bringen, in der Hoffnung, dass es nicht auch an einigen der Wurzeln hängen blieb.
„Vesa?“
„Ja?“
„Bereit?“
„Ja.“
Im nächsten Moment vernahm sie das stumpfe Ächzen von nassem Holz und hörte das Ziehen, als dünnere Wurzeln unter der Last aus dem Erdreich gerissen wurden. Kaum einen Augenblick später krachte ihr Tornister auf den teilweise mit Erde und Nadeln bedeckten Trümmerhaufen. Der Aufschlag hämmerte laut und unangenehm durch den Tunnel, ließ Vesana in sich zusammenfahren und reflexartig in die Umgebung lauschen. Aber es schien alles gut gegangen zu sein. Die Nord hatte den zweiten Köcher mit der Klappe des Felleisens abgedeckt, um zu verhindern, dass die Pfeile hinaus fallen konnten, und eine der Laternen baumelte außen am Gepäck, allerdings ohne die Glasscheiben, um wenigstens die Halterung intakt zu lassen und einen einfachen Transport der Kerze darin zu ermöglichen, wenn sie brannte.
„Ich werde Hilfe holen“, rief Aela von oben hinab.
„In Ordnung, ich warte hier“, erwiderte die Kaiserliche. „Nicht, dass ich etwas anderes tun könnte“, sprach sie zu sich selbst. „Beeil Dich!“, setzte sie aber noch einmal lauter nach. Aber selbst wenn sie es schafft, die Tage um Vollmond auf Wanderschaft zu verbringen, wenigstens drei Tage musste Vesana in ihrem dunklen Gefängnis ausharren, allein.
„Mache ich. Halt durch.“
„Ich geb‘ mir Mühe“, murmelte sie. Damit blieb die Kaiserliche auf sich gestellt zurück.
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Geändert von Bahaar (10.05.2014 um 15:10 Uhr)
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Nun saß sie also allein in der Dunkelheit, nur spärlich von oben durch das rasch schwindende Licht des regnerischen Tages beschienen. Aela war noch nicht lange fort und dennoch erschien es Vesana in ihrem düsteren Loch bereits wie eine Ewigkeit. Um sich wenigstens etwas von der erdrückenden Stille abzulenken, kratzte sie sich bereits die Reste des geronnenen Blutes in ihrer Nase heraus, die sich während ihres zweiten Sturzes noch nicht gelöst hatten. Aber auch das schaffte nur kurzweilige Abhilfe und machte obendrein den Weg für die abgestandene Luft der Umgebung noch freier, als er schon war. Der Schwall ekelerregender Fäulnis ließ sie einen Moment lang würgen, bevor sie sich von der Stärke des Geruchs überrumpelt wieder unter Kontrolle brachte.
Da es nichts half, sich in den Widrigkeiten ihrer Umgebung zu verlieren, rutschte Vesa stattdessen etwas näher an ihr Felleisen heran. Zunächst Köcher und entglaste, etwas verbogene Laterne beiseitelegend, fing sie kurz darauf an, im Gepäck herumzukramen und nach dem Beutel mit den zwei Steinsplittern von Solstheim zu suchen. Während sie sich durch ihre Sachen wühlte, vorbei an der Schlafunterlage und der Zeltplane, den medizinischen Utensilien, ihren Jagdmessern und dem Proviant, ärgerte sie sich nun erst richtig, dass sie ihr Seil nicht mitgenommen hatte. Wer sich in der Tundra des Fürstentums einigermaßen gut auskannte, wusste, dass es keine gefährlichen Spalten und Klippen gab, wie auch Solstheim. Es wäre also nur Ballast gewesen. Niemand hätte damit rechnen können, plötzlich in ein dunkles, stinkendes Loch zu fallen. Andererseits ärgerte sich die Kaiserliche umso mehr über ihre eigene Trägheit und die fast schon überhebliche Einschätzung ihrer und Aelas Kenntnisse der Gegend, die sie zuvor schon bei den Nord auf der Insel angeprangert hatte, weil sie deshalb nicht optimal für alle Möglichkeiten des Fehlschlags ausgestattet waren. Ihre Sorgfalt musste sich definitiv wieder verbessern – den Mangel nur auf ihr Vollmondleiden zu schieben, ließ sie sich selbst nicht gelten.
Wenigstens dehnte sich durch die geringfügigen Bewegungen ihres Körpers während der Suche im Tornister das Brennen und Pochen in ihrem linken Bein aus. Obwohl es ihr ein mühseliges Stöhnen entriss und sie sich vorübergehend auf die eigene Hand beißen musste, um es zu unterdrücken, sorgte es für freudig-aufgeregtes Springen ihres Herzens und nervöses Kribbeln im Bauch. Wie es schien, kehrte allmählich Gefühl in das zuvor knieabwärts völlig Taube Glied zurück. Es würde sich zwar erst noch zeigen, wie schwer verletzt es war, aber vielleicht klang das Brennen irgendwann auch wieder ab, so wie es im rechten Bein bereits etwas nachzulassen begann. Die überwiegende Ruhe und die nur langsamen, belastungslosen Bewegungen schienen das Trauma zu kurieren.
In dem Moment fand Vesana schließlich auch den kleinen Beutel mit den Steinsplittern und zog ihn heraus. Schon durch das Leder spürte sie die Wärme Felsstücke und das feuerrote Glühen strahlte für ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen fast schon wie der Sonnenaufgang eines wolkenlosen Tages. Die Augen im Schmerz abgewandt, tastete sie blind nach der Laterne und setzte sie sich auf den Schoß. Schnell und kräftig schlug sie anschließend die Steinsplitter gegeneinander und die zahlreich von ihnen fliegenden Funken trafen auch auf den Docht der Kerze. Schnell züngelte die kleine Flamme empor und brachte Licht ins nahe Dunkel.
Wie ein Wall trennte der Trümmer- und Erdhaufen, auf dem sie saß den nach links verschwindenden Teil des Tunnels vom rechtsseitig liegenden. Allerdings mehr wie ein Hindernis, denn eine echte Mauer, immerhin konnte er überwunden werden und machte ein Passieren des Ganges nicht unmöglich. Vesa selbst saß noch ziemlich nahe an der Kuppe des Walls mit dem Kopf auf Höhe der übrigen Tunneldecke. Auf dem glatten schwarz-braunen Stein, aus dem die Wände bestanden, wucherten gelegentlich dicke Moospolster, füllten vom Wasser ausgewaschene Fugen dickwulstig auf und gaben der Architektur eine seltsam vergammelte Optik. Das schwache, feuchte Glitzern der Oberflächen unterstrich diesen Eindruck.
Da inzwischen auch das Rauschen des Blutes in den Ohren der Jägerin abgeklungen war, wurde ihr beim Anblick der tristen Umgebung abermals bewusst, wie ruhig es eigentlich war. Sie hörte jeden einzelnen ihrer ruhigen Atemzüge und glaubte fast schon die Schläge ihres Herzens in der Brust zu vernehmen. Hinzu gesellte sich entferntes Tropfen von Wasser, das durch das Erdreich in das unterirdische Gemäuer sickerte und leise, aber regelmäßig durch die Finsternis außerhalb des Scheins ihrer Laterne hallte. Unruhig drehte sich ihr der Magen, verknoteten sich die Eingeweide in einem Anflug von schwereloser Leichtigkeit. Zwar hatte sie mit den Gefährten schon so manche Festungsruine durchstöbert, war einigen wirklich widerlichen Kreaturen begegnet, aber noch nie in einem antiken Hügelgrab gewesen – und schon gar nicht allein und verletzt. Vesana kannte die Geschichten über die rastlosen Wiedergänger, die in solchen Tunnelsystemen hausten und … Nein, sie sollte nicht darüber nachdenken, was sich der Volksmund so alles erzählte. Schon jetzt lief ihr ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinab und ihre Augen streiften unstet über alles, das von ihrer Kerze aus der Dunkelheit gerissen wurde. Jede weitere Sorge mochte sie wohl irgendwann in den Wahnsinn und die Paranoia treiben. Es waren nur ein paar Tage, die sie aushalten musste, das würde sie wohl schaffen sollen.
Stattdessen widmete sich die Kaiserliche ihren Beinen. Sich vorbeugend zog sie zunächst dem rechten den Stiefel aus und begann damit es von den Zehen bis zur Hüfte abzutasten. Vor allem an der Ferse und im Bereich der Gelenke sandten die Berührungen zwar heftigste Stiche aus, die heiß wie Nadeln durch ihre Muskeln fuhren, aber wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Lediglich der Blutmangel vom Hängen und der anschließende, nicht abgefederte Sturz hatten dem Glied zugesetzt – es würde sich aber erholen. Mit dem Schuhwerk wieder zugeschnürt über Fuß und Unterschenkel gestülpt, wandte sich Vesas Aufmerksamkeit der großen Unbekannten zu: Dem linken Bein.
Allein schon das Ausziehen des Stiefels ließ sie aufstöhnen und trieb ihr die Tränen in die Augen. Es kam ihr so vor, als ob nach der völligen Taubheit nun eine Übersensibilität in den Nerven einkehrte. Jede Erschütterung und Berührung hallte heiß pochend wider. Am Knöchel entdeckte die Jägerin auch schon das erste Übel: Die Druckstelle der dünnen Wurzel, an der sie vorher festhing. Ein dunkler, blau unterlaufener Striemen in der Breite von ein bis zwei Fingern zog sich einmal ringsum das Fußgelenk. Vorsichtig tastete sie zunächst an den Zehen und dem Mittelfuß entlang, um sicherzugehen, dass dort nichts gebrochen war. Danach nahm sie sich einen der übrig gebliebenen Pfeile und klemmte dessen Schaft zwischen ihre Zähne, bevor sie fortfuhr.
Als die erste Fingerkuppe die breite Druckstelle berührte, kniff sie die Augen zusammen und heulte gedämpft auf, bevor ihr die Tränen in die Augen schossen und es in Stöhnen überging. Ihre Kiefermuskulatur entwickelte in diesem Moment ungekannte Kraft und das Holz des Pfeiles knirschte. Aber es half nichts, sie musste fortfahren und tastete mit tränenverschwommener Sicht, ächzend und hin und wieder erneut in Jaulen verfallend weiter um ihren Knöchel herum. Nach einer kompletten Runde schien es ihr jedoch nicht, als ob etwas gebrochen wäre. Einzig und allein die Quetschung sorgte für den Schmerz es schien, als ob die Taubheit zuvor lediglich Produkt des Blutmangels gewesen war. Um das zu bestätigen, musste Vesa allerdings etwas tun, vor dem sie sich wohl nicht zu unrecht fürchtete: Den Fuß bewegen.
Vorsorglich klemmte sie sich einen zweiten Pfeilschafft zwischen die Zähne und packte anschließend an der Ferse und den Zehen an. Langsam begann sie damit, den Fuß hoch und runter zu neigen und schrie im nächsten Moment gellend auf. Die Pfeile fielen ihr aus dem Mund und völlig apathisch vom Schmerz rutschte sie zur Seite, der Kopf landete auf dem Tornister und zahllose kleinere Steinfragmente der Tunneldecke stachen ihr in die Seite. Doch all das war nichts im Vergleich zu der wallenden Woge des Feuers, die sich um ihren Fuß schloss wie das Maul eines hungrigen Wolfes. Tränen flossen ihr in Strömen aus den Augen und ihr ganzer Leib zitterte in der panikartigen Reflexreaktion ihres Leibes, der versuchte die Pein zu verarbeiten.
Der einzig klare Gedanke, der ihr in diesem Moment wenigstens etwas Halt gab, war die Erkenntnis, dass das Gelenk der Bewegung keinen Widerstand entgegengestellt hatte. Die Hoffnung, der Schmerz würde sich mit der Zeit von selbst legen und der Fuß erholen, gab ihr Kraft – wenn auch nur wenig in diesem Augenblick der Hilflosigkeit.
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Geändert von Bahaar (17.05.2014 um 22:52 Uhr)
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Nur sehr langsam gelang es Vesana wieder klarer zu denken. Die Pein im Fuß hinterließ gleichzeitig eine merkwürdige Gefühllosigkeit, die sie alles unterhalb des Knöchels nicht mehr spüren ließ. Ein Umstand, der es ihr erleichterte, das Glied zu Bewegen, solange die Erschütterungen gering blieben. Vorsichtig schob sie sich in eine sitzende Position hoch und lehnte sich gegen die eiskalte, klamme Wand hinter ihr. Mühsam hievte sie ihr Felleisen über die Beine und legte es anschließend unter das linke, um es angewinkelt etwas höher zu lagern. Jede Bewegung kostete sie erhebliche Überwindung. Noch immer von zittriger Panik erfüllt, fürchtete sich ihr Körper vor neuerlichen Schmerzenswogen – es schien, als wolle er ihr nicht völlig gehorchen, ließ sie träge werden.
Tief durchatmend, die Augen geschlossen und die Finger in die Jacke auf dem Bauch gekrallt, ruhte sie sich einen Moment lang aus. Sie zwang sich durch die Nase zu atmen, auch wenn sie noch immer schlechter Luft bekam und versuchte so ihr rasendes Herz und das Zittern in den Griff zu bekommen. Nicht nur der Schmerz machte ihr inzwischen zu schaffen. Je länger sie in diesem dunklen Loch hockte, wissend dass über ihr die Nacht hereinbrach, desto unruhiger wurde sie. Es war nicht, dass sie allein war, als vielmehr wo sie war und dass es keine Möglichkeit gab, sich selbst zu befreien. Auch wenn sie nicht am Fuß verletzt gewesen wäre, Vesa zweifelte an ihrer Fähigkeit hinausklettern zu können. Das rutschige Erdreich und die schmierigen Wurzeln boten kaum Halt und vermutlich würde sie einfach nur wieder hinunterfallen. Ohne Hilfe saß sie fest, einen anderen Weg durch die dunklen Gänge des Grabes zu suchen, kam nicht in Frage.
Bevor sie noch weiter in die Dunkelheit ihrer Lider starren und ihre eigenen Atemzüge vielfach widerhallend als fernes, bedrohliches Echo eines im Dunkeln liegenden Beobachters zu ihr zurückfallen konnte, öffnete sie lieber die Augen. Schnell einen Blick in alle Richtungen werfend musste sie aber feststellen, dass ihr ihre Sinne einfach nur Streiche spielten und das Rasseln in der zunehmend kühler erscheinenden, feuchten Luft einzig und allein ihren Lungen entsprang.
Wütend auf sich selbst, wischte die Kaiserliche ruppig das angetrocknete Salz von ihren Wangen und machte sich anschließend an ihrem Tornister zu schaffen. Nach kurzem, vorsichtigem Kramen zerrte sie einen der Verbände und eine Schatulle mit ihrer Heilsalbe hervor. Immerhin dafür fand sie wieder den Mut, auch wenn sie sich ansonsten am liebsten gar nicht mehr bewegt und zu atmen aufgehört hätte, damit keine Geräusche zu ihr zurückfallen konnten, die ihr Dinge vorgaukelten, die es nicht gab. Aber es half nichts. Sie musste sich erst einmal versorgen, bevor sie zur Ruhe kommen konnte. Wieder einen der Pfeile zwischen die Zähne geklemmt, begann die Jägerin damit ihre Salbe dick auf das fast schwarz unterlaufene Gewebe und darum herum aufzutragen. Ihr Heulen brach sich am Holzschafft und hallte nur als klägliches Wimmern durch den Tunnel, kam aber als finsteres Säuseln und Flüstern mit einiger Verzögerung zu ihr zurück.
Sie versuchte die eiskalten Schauer zu ignorieren, die ihr von der Schädelbasis bis zum Steiß den Rücken hinabrannen, aber das reflexartige Schütteln, das ihren Leib erfasste, machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Mühsam und in kleinen Schritten trug sie mehr von der Creme auf, bis irgendwann die halbe Schatulle auf ihrer Haut klebte und bereits einzuziehen begann. Für einen Moment ließ sie dies an der Luft geschehen, während sie die kleine Metallkiste zurück in ihr Felleisen packte. Danach begann sie damit den Verband abzurollen und ihn abwechselnd für besseren Halt um Knöchel und Mittelfuß zu wickeln. Es dauerte nicht lange, bis die schmerzlindernde Wirkung der Salbe eintrat und sich Vesana tatsächlich endlich etwas zu entspannen begann. Zwar fühlte sie sich noch immer wie eine Bogensehne, aber immerhin nicht mehr wie eine zum Schuss gespannte. Auch die panische Unruhe ließ wenigstens zeitweilig nach, während sie vorerst die Gedanken an ihre Umgebung verdrängte und die angenehme, heilende Wärme an ihrem Fuß genoss. Solange sie diesen still hielt, mochte das Gefühl vielleicht anhalten, aber erst einmal musste sie noch ihren Stiefel wieder darüber stülpen, sonst wären am nächsten Morgen auch die Zehen blau, obwohl sie sie nicht verletzt hatte.
Als auch das geschafft war, rutschte die Kaiserliche an den Fuß des Trümmerhaufens zum glatt gehauenen Steinboden hinunter und breitete im Sitzen ihre Schlafunterlage aus. So gegen den kalten, feuchten Boden abgeschirmt mochte sie zwar dennoch nicht gleich Schlaf finden, aber wenigstens etwas komfortabler sitzen oder liegen. Bequem platziert ließ es sich besser heilen. Ihre Anspannung wollte jedoch trotz dessen nicht weichen. Das tropfende Wasser halte lauter durch den Tunnel, der widerwärtig feuchte Modergeruch, der wie ein schweres Leichentuch zwischen den moosbewachsenen Steinen hing, schien stärker zu werden und zu allem Überfluss mischte sich noch die süße Note von Verwesung hinzu, die schon seit Jahrhunderten gefangen vom Fels hier festzustecken schien.
Zeit schien hier ohnehin keine Rolle mehr zu spielen. Die Dunkelheit begrüßte sie trotz der Laterne wie ein alter Freund in langer Umarmung, hielt sie fest und wollte sie nicht wieder freigeben. Wäre es doch wenigstens wirklich ein alter Freund gewesen. Das unangenehme Gefühl der Einsamkeit, das von dieser Umarmung ausging, ließ sie sich schütteln. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf und während sich ihr Magen in Schwerelosigkeit umdrehte, lauschte sie erneut in ihre Umgebung.
Nichts. Nur das seichte Säuseln eines schwachen Luftzuges, der von oben durch das Loch in den Gang hinabzuzog, die Fäulnis aufwirbelte und ihr penetranter in die Nase trieb. Von der plötzlichen Intensität des Geruchs, der ihr schwungvoll zugetragen wurde, überrumpelt, musste sie einen Moment lang würgen bis der Kloß in ihrem Hals wieder verschwand. „Verfluchte Scheiße“, zischte sie in die Finsternis und bereute es, als ihre Worte verzerrt zu einem leisen Krächzen zu ihr zurückkehrten.
Wie sollte sie ganze drei Tage hier ausharren, wenn sie schon jetzt begann, den Verstand zu verlieren? Jeder ihrer Atemzüge kam mit vielfachem Echo zurück, vom Grab und den hier hausenden Geistern zu einem kränklichen Ton des Todes verfälscht. Sie fühlte sich beobachtet und war doch allein mit sich selbst, als würden ihre eigenen Gedanken frei in der Luft schweben, bereit wie hungrige Wölfe sie anzufallen.
„Aela, beeil Dich“, flüsterte Vesa zu sich selbst. Mehr als zuvor ohnehin schon stellte die rothaarige Nord in diesem Moment das einzige Fünkchen Hoffnung dar, an das sich die Kaiserliche zu klammern vermochte. Klein und rutschig wie ein Stück Treibgut bot sie nur in Momenten der Ruhe Halt, in denen Vesana mit sich selbst beschäftigt war. Lenkte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich, rutschte sie ab und trieb haltlos umher. Wenn sie sich doch wenigstens bewegen und ihre Umgebung ein Stück weiter erkunden könnte, vielleicht würde sie dann feststellten, dass der Korridor nach wenigen Schritten an beiden Enden weiter eingestürzt war, aber so an ihren Platz gefesselt, blieb eine solche Vorstellung eine Insel im Nebel. Möglicherweise da, aber unauffindbar und nicht zu erreichen.
Leises Fiepen riss sie aus ihren düsteren Gedanken und trieb ihren Puls in die Höhe. Mittlerweile schmerzte die Brust von den vielen unregelmäßigen Schlägen und die Adern am Hals pulsierten unangenehm. Es klang wie eine Ratte, hallte durch den Gang und kehrte leiser und bösartiger zurück. Der Widerhall ließ es wie ein halbes Dutzend dieser Tiere klingen – hungrig und gierig. Es wurde lauter, aber kam es von oben oder aus dem Gang? Vesas Atmung ging stoßweise und sie zog den Dolch an ihrem Gürtel, hielt ihn mit der Klinge am Unterarm geführt vor die Brust und schaute sich um. Nichts rührte sich im Lichtkegel der Laterne.
Rieseln gesellte sich zum Fiepen, das beinahe mehr wie ein Quietschen klang, als würde Staub oder Dreck zu Boden fallen. Es drang von überall auf sie ein. Es hätte so gut links von ihr im Korridor sein können, wie auf der anderen Seite des Trümmerhaufens oder … das Loch! Das Quietschen schwoll in dem Moment zu einem vom Echo bestialisch verzerrten Kreischen an, als ihr dieser Gedanke kam. Aggressiv und schnell näherte es sich. Die Kaiserliche hielt den Dolch höher, wandte sich mehr zu dem Haufen zu ihrer Rechten um und lauerte zum Stoß bereit regungslos. Das flackernde Licht der Kerze warf bedrohlich tanzende Schatten, reichte kaum bis zum höchsten Punkt der Trümmer hinauf und hüllte ihre Umgebung in jenseitiges Zwielicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und Schweiß brach ihr an der Hand aus, die den Dolch hielt, ließ ihren Griff unstet und rutschig werden und zwang sie dazu, die Waffe mit beiden Händen zu packen.
Dann huschte etwas am Rand des Lichtscheins durch ihr Blickfeld. Irgendetwas landete mit feuchtem Knacken auf den Resten der Tunneldecke und das anhaltende, dröhnende Kreischen verstummte so plötzlich wie es begonnen hatte. Stille kehrte ein und Vesana wagte es nicht, sich auch nur eine Haaresbreite zu bewegen.
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Geändert von Bahaar (30.05.2014 um 22:54 Uhr)
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Herzschlag um Herzschlag, Atemzug um Atemzug. Vesana saß wie eingefroren. Die Klinge des Dolches zitterte phasenweise heftig, bis sie wieder fester Griff und sich noch weiter anspannte, um Ruhe in ihren Körper zu bringen. Es half nichts, jeder dieser Versuche endete lediglich damit, dass sie noch stärker vibrierte, als zuvor schon. Noch immer sah sie keine Regung auf der Kuppe des Trümmerhaufens. Manchmal glaubte sie nur, schleifendes Atmen zu vernehmen – kaum mehr als ein Nebelecho. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es nicht sogar von ihren eigenen Atemzügen stammte und ihr ihre Sinne einfach nur einen Streich spielten. »Reiß Dich zusammen«, flüsterte sie sich zu und wischte dickte, eiskalte Schweißperlen aus ihrer Stirn als sie drohten aus den Brauen in die Augen zu tropfen.
Was sollte sie tun? Nachsehen, was da durch das Loch gekommen war? Oder einfach ausharren und warten, bis es sich selbst zeigte – wenn es sich überhaupt zeigte? Was mochte es auch sein können?
Letztlich entschied sie sich dazu, erst einmal die Laterne näher an die Spitze des Haufens zu bringen, um so vielleicht mehr sehen zu können. Vorsichtig schob sie sich etwas hoch, legte sich dann auf die Seite und drückte ihre Lichtquelle so weit von sich, wie es nur ging, bis sie schließlich sogar noch den Dolch zu Hilfe nahm, um das Metallgestell mit der Kerze weiter von sich zu schieben. Und also sie in die Richtung spähte, fast schon widerwillig aus Furcht, was sie möglicherweise entdecken mochte, sah sie, was sie auch zuvor schon gesehen hatte: Nichts. Frustriert, resigniert und erschöpft sackte Vesa Stirn voran in sich zusammen auf die groben Trümmerstücke. In einer Mischung aus Heulen und Seufzen stieß sie die Luft aus und entschloss sich, weiter hinaufzukriechen.
Haaresbreite um Haaresbreite schob sie sich hinauf, den Dolch immer stoßbereit vor den teils auf bäuchlings, teils seitlich liegenden Körper gehalten. Das Rasseln des Schmutzes, den sie loslöste, hallte widerlich als krabble ein großer Tausendfüßler irgendwo durch das Dunkel. Gänsehaut und unzählige Schauer hielten sie gefangen und doch fand sie einen letzten Rest an Mut, sich weiterzubewegen. Letzten Endes schaffte sie es bis nach oben und sah, noch immer, nichts. »Verfluchte Scheiße!«, zischte sie und schlug mit der Faust auf die Bruchstücke, bereute es aber und zuckte in sich zusammen. Dabei sah sie etwas im Licht der Laterne schimmern. Vorsichtig und langsam hob sie das Gestell, um den Lichtkegel zu vergrößern. Da lag irgendetwas am Rand, nahe der Wand. Es glänzte und funkelte im Licht, bewegte sich aber nicht. Behutsam kroch sie näher heran, zu undeutlich sah sie es selbst auf die geringe Entfernung, als verdichtete sich die Finsternis.
Während sich die Kaiserliche näher an das, was dort lag, heranbahnte, spürte sie wieder einen Schwall eisiger, innerlicher Kälte über sich hineinbrechen. Die Eingeweide krampften und verknoteten sich, die Finger zitterten und fühlten sich feucht an. Halt, die Feuchtigkeit stammte nicht von ihr. Der Schweiß drang ihr zwar noch aus den Poren, aber nicht so stark, dass es sich anfühlen konnte, als tauchte sie die Finger in einen Eimer Wasser. Augenblicklich gefror sie und ging in sich, ob sie sich vielleicht doch noch irgendwo verletzt hatte. Nein. Nein, das hatte sie nicht. Der Fuß pochte zwar heftig, aber sonst war sie sich keiner Verletzungen bewusst. Schon gar keiner offenen. Zeitlupenhaft wandte sie den Blick nach unten und holte die Laterne näher heran.
Ihre Finger schimmerten feucht und dunkel. Dunkel von Blut. Aber nicht das ihre. Einen Moment irritiert und den panischen Anfall von völliger Gedankenleere niederringend, blickte sie anschließend auf, dort hin, wo sie das Glitzern zuvor gesehen hatte. Ein unförmiger Leib lag dort. Geschunden und zerbrochen. Kleine Knochen spießten aus blutüberströmtem Fleisch. Einst graues Fell zeigte sich nun schwarz vom Lebenssaft. Der schwere Geruch von Eisen hing in der Luft wie der Dunst über einem See am Morgen. Irgendein Tier lag dort, völlig zerstört vom Aufprall. Klein, aber größer als eine Ratte. Ein … Waschbär? Ja, das mochte es sein. Der kleine Racker war durch das Loch gefallen und hier unten zerschellt. »Meine Güte«, stieß Vesana aus und sank in sich zusammen, das Gesicht zu Teilen in die klebrige Blutlache, die sie schon wieder vergessen hatte. Schnell schob sie sich aus ihr heraus und blieb liegen. Das konnte ja noch etwas werden.
Eine schier endlos scheine Zeit, es mochten nur Minuten sein, vielleicht ein paar Stunden, es spielte ohnehin keine Rolle, stand Vesa auf dem rechten Fuß, das linke Bein angewinkelt, und mit beiden Händen gegen die Wand gestützt im Tunnel. Ihr erster Versuch sich aufzurichten, seit sie in ihr Loch gefallen war. Nach dem Zwischenfall mit dem Waschbären, der noch immer oben auf dem Trümmerhaufen lag, hatte sie keinen weiteren Zwischenfall erlebt, aber es mochte auch noch nicht so lange her sein. Das nachlassende Pochen im linken Knöchel bewegte sie schließlich dazu, ihre Mobilität auf die Probe zu stellen. Ein Unterfangen, das ihr erst im fünften Anlauf wirklich gelungen war und viel Schmerz mit sich brachte. Nun aber aufrecht stehend, fühlte sie sich gleich etwas besser und sicherer. Zu wissen, dass sie sich im Notfall schneller als im Schneckentempo zurückziehen konnte, was auch immer ihr das Grab noch für Sinnestäuschungen und Proben auferlegen mochte, gab ihr halt und ließ die Insel der Hoffnung, Aela, schemenhaft im Nebel auftauchen.
Vorsichtig und langsam humpelte Vesana mit einer Hand an der Wand, die andere mit der Laterne, an der Wand entlang und machte sich daran, den Trümmerhaufen zu erklimmen. Als erstes musste sie ihren Bogen zurückholen, der noch irgendwo in den Wurzeln hing. Nicht unbedingt, weil er ihr etwas nützen würde in den engen Verhältnissen des Grabes, sondern eher aus Prinzip und für ein gestärktes Gefühl der Sicherheit. Ihr kam jede Waffe recht gelegen. Auch wenn sie nicht so wirklich wusste, gegen was sie sich eigentlich verteidigen wollte. Ihre Gedanken, die sich in Kreisen um immer dasselbe, die Enge und das Unbekannte drehten? Den aufkommenden Hunger, der mehr als nur ein Knurren im Magen war und beim Bild des zerfledderten Waschbären vor ihrem inneren Auge den Speichel im Munde zusammenzog? Den Durst, der ihr beim Anblick des dunkel geronnenen Blutes an den Händen und der Kleidung – ungeachtet ob das ihre oder jenes des kleinen Tieres – im Schein der Laterne die Kehle austrocknen ließ? Oder vielleicht doch gegen die Gespenster ihrer Einbildung, die Schemen und Umrisse in die Finsternis des Tunnels zeichneten?
»Reiß. Dich. Zusammen!« Wütend knurrend schlug die Kaiserliche mit der Faust gegen die nahe Wand, dass es schmerzend stach, und sie beinahe aus dem Gleichgewicht geriet. Nur mit Mühe krallte sie sich in einer groben Fuge fest und verhinderte ihr Umfallen. Trotzig, mit extra kräftig tretendem, unverletzten Bein, erklomm sie den Rest des Haufens und stand schließlich wieder am unteren Ende des Lochs. Schwärze, so dunkel wie selbst die Tunnelverläufe zu beiden Seiten nicht, füllte den oberen Teil aus. Wie drahtige, kranke Finger eines an Hunger sterbenden Alten zogen sich die Wurzeln am Rand des Lichtkegels der Laterne dahin. Sie schauderte bei dem Anblick. Wenn sie sich das geöffnete Maul irgendeiner Ausgeburt der Höllen des Vergessens vorstellte, zukünftig mochte sie diesen Anblick als Vergleich heranziehen.
Immerhin entdeckte Vesa ihren Bogen im Schlund der Finsternis. Er hing so an einer Wurzel fest, dass sie mit ausgestrecktem Arm gerade so an das untere Ende hinanreichte. »Scheiße!« Egal wie sie sich auch streckte und reckte, sie war zu klein, ihr Arm zu kurz. Es half nichts. Müde und in Frustration brummend sackte sie nach vorn gegen die schmierige Wand des Lochs, die Stirn gegen den rechten Unterarm gepresst und die Brust mit Hohlkreuz in den Matsch zwischen einigen Wurzeln gedrückt.
Wütend knurrend fasste die Kaiserliche einen Entschluss. Ruppig stellte sie die Laterne ab, dass das Metall klirrte und die kleine Flamme flackerte. Im Anschluss packte sie mit der Linken eine dicke Wurzel und reduzierte anschließend das Gewicht auf ihrem gesunden Fuß. Sofort jaulend wie ein Schlosshund machte sie es kurz rückgängig, dann versuchte sie es erneut und schaffte es, sich an der Wurzel soweit festzuhalten, dass die Last auf dem angeschlagenen Knöchel minimal war. Die Zehenspitzen des anderen drückte sie auf das obere Ende der Mauerreste des Tunnels, ungefähr auf Kniehöhe, und packte im Anschluss mit der anderen Hand eine freie Wurzel. Ihre Fernwaffe gab ihr wenigstens ein Ziel und immerhin dieses wollte sie erreichen, wenn sie sonst schon nichts weiter tun konnte, außer zu warten. Vorsichtig drückte sie ihr Bein durch und hob so vom Trümmerhaufen ab.
»Geht doch«, flüsterte sie und hielt den oberen Arm lang, um den Kraftaufwand zu minimieren. Leicht rücklings hängend und gleichzeitig auf der schmalen Steinkante stehend versuchte sie nun die Linke freizubekommen, um anschließend nach dem Bogen zu greifen. Es funktionierte, auch wenn es sie enorme Anstrengung und Konzentration kostete. Die Finger schlossen sich um das untere Ende der Waffe und bekamen sie zu greifen. Möglichst behutsam bewegte Vesana sie. Der Bogen hin am oberen Ende fest und sie musste ihn von der Wurzel ziehen, ohne aus ihrem Gleichgewicht zu geraten.
Ihre Waffe wollte nicht. Sie zog, schob und drehte, aber sie hatte sich so merkwürdig auf die Wurzel gefädelt, dass Vesa sie nicht herunterbekam. Nicht einmal dieses einfache Ziel sollte sie erreichen können! Was sollte das noch werden? Was auch immer sie hier unten tat, kaum etwas schien zu funktionieren, nichts ihr wohlgesonnen. Gerade wollte sie sich frustriert wieder nach unten lassen, da war es auch schon zu spät. Etwas Erde hatte sich weiter oben gelöst und fiel ihr mitten ins Gesicht. Als sie reflexartig dorthin lange, spuckend und prustend ob der Krümel in ihrer Nase, dem Mund und den Augen, verlor sie die Balance und rutschte mit der Rechten von der Wurzel ab. Zwar bekam sie mit der Linken noch etwas zu fassen, doch gab es nach und sie glitt davon ab. Spitz aufschreiend fiel sie hinab und schlug mit dem flachen Rücken auf dem Trümmerhaufen auf, dass es ihr die Luft aus den Lungen trieb und den Schrei erstickte noch bevor ihr Kopf auf einer verwitterten Steinkante aufschlagen konnte.
Der glühend heiße Stich im Hinterkopf, der folgte, hielt nur kurz vor, setzte ihre Wahrnehmung außer Gefecht und ihre Glieder erschlaffen. Scheinbar siedende Flüssigkeit, dem Gefühl nach brennendes Öl, ergoss sich über ihre Schädelseite als sie das Haupt in einem Anflug von fiebrigem Wahn zur Seite wandte. Das letzte, dass sie wahrnahm, war etwas vergleichsweise leichtes, dass ihr auf den Kopf fiel, bevor sie seitlich von den Resten der eingestürzten Decke rutschte, sich überschlug und von Dunkelheit umfangen liegen blieb.
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Geändert von Bahaar (07.06.2014 um 14:01 Uhr)
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Waldläufer
Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths
Der junge Bretone fluchte als er zu stolpern anfing und ihm die gesammelten Holzscheite aus den Armen purzelten. Sie schlugen mit einem dumpfen Geräusch auf der staubig lockeren Erde auf und stießen auch gegeneinander, wodurch sie noch weiter vom dem jungen Mann wegrollten.
Um ihn herum lachten einige der Männer und Frauen, während andere nur schwiegen. Doch alle verloren schnell wieder das Interesse und zogen kurz darauf weiter um ihre Erledigungen zu machen. Stephanus schüttelte kurz den Kopf, löste sich aus der sich erneut rührenden Menge und ging dann auf den Bretonen zu, der mit rotem Gesicht in die Knie gegangen war und hektisch versuchte, das verlorengegangene Holz wieder einzusammeln und so wenigstens einen Teil seiner Würde zu erhalten. Es misslang ihm offenkundig, denn immer wieder fiel einer der Scheite nach Freiheit suchend zurück auf den Boden. Zu seinem Glück schien es jedem außer Stephanus egal geworden zu sein, was der Junge tat, denn niemand blickte auch nur in seine Richtung.
Stephanus kniete sich nun ebenfalls hin und half dem verschreckten und beschämt dreinblickenden Bretonen, welcher kurz vor dem Kaiserlichen zurückschreckte, ihm jedoch ein dankbares Nicken entgegenbrachte als er verstand, dass von Stephanus keine Gefahr für ihn ausging.
„Bringt man euch Leuten in Hochfels nicht bei wie man Feuerholz trägt?“
Der Bretone blickte nun wieder gekränkt drein und schwieg für einen Moment, in dem die beiden Männer stumm das Holz zusammentrugen.
„Es war der verfluchte Nord. Er hat mir ein Beinchen gestellt.“
Stephanus richtete sich auf, ebenso der Bretone, und er legte einen letzten Holzscheit auf den Stapel in den Armen des jungen Mannes.
„Du müsstest da ein wenig spezifischer werden, Junge,“ merkte der Kaiserliche an. „Die Kompanie ist voll mit Nords.“
„Ich habe keine Ahnung wie er heißt,“ antwortete der junge Mann zögerlich. „Der Nord, der sich das Wappen auf den Nacken tätowiert hat.“ Dabei deutete er mit dem Kopf auf einen Mast in ihrer nähe, an dem eine Flagge verspielt im Wind wehte. Sie zeigte einen sitzenden schwarzen Raben im Profil auf dunkelgelbem Grund. Dunkelgelb war auch die Farbe, die die Söldner als eine Art Uniform für die Verzierungen an ihren Rüstungen und Schildern und auch für ihre Kriegsbemalung verwendeten. Auch die meisten Bestandteile aus Stoff an ihren Rüstungen waren dunkelgelb gefärbt.
Stephanus wusste sofort von wem der Bretone sprach und musste erst nicht in seiner Erinnerung nach einem zur Beschreibung passenden Gesicht kramen.
„Ja, das müsste wohl Idolg von den Inseln sein.“ Stephanus hatte viele Mitglieder der Kompanie in seinem Kopf in eine Liste sortiert. Mit Ausnahme vom Bretonen vor ihm war jeder in ihr gefährlich, doch verrückte und unberechenbare Schweinehunde wie Idolg verdienten einen besonderen Platz ganz oben.
„Vergiss am besten, dass es passiert ist, Junge. Sprich ihn erst gar nicht darauf an, sonst hackt er dir in aller Öffentlichkeit den Kopf ab und benutzt ihn als Nachttopf.“
Der Bretone machte sich auf, das Feuerholz zur Sammelstelle in der Mitte des Söldnerlagers zu bringen, und Stephanus folgte ihm. Als der Bretone dies merkte, blieb er kurz stehen und wandte sich dem Kaiserlichen zu.
„Ich hatte nicht vor, ihn anzusprechen, oder mich auch nur in seine Nähe zu begeben. Ich danke Euch aber für die Warnung.“
Stephanus schüttelte leicht den Kopf als er den schwarzhaarigen Bretonen musterte, der nun wieder mit dem Rücken zu ihm weiterging. Einfache Kleidung, Staub und Schmutz von der beschwerlichen Reise, ein leichter Anflug von Bartstoppeln. Doch seine Bewegungsabläufe, seine Stimme und die Art, wie er seine Worte betonte verrieten eine adlige Herkunft. Sie hatten den Jungen aufgegabelt, als sie Evermor in Hochfells passierten. Ganz klar war er wild darauf gewesen, so schnell wie möglich von dort wegzukommen. Und es war sehr offensichtlich, dass er nicht die Art von Mensch war, die sich freiwillig einer kleinen Armee aus gekauften Kriegern anschloss. Außer wenn es sich um eine unbedingte Notwendigkeit handelte. Ein wenig erinnerte der Junge Stephanus an ihn selbst als er noch jünger war. Blind auf der Flucht vor seiner Vergangenheit, auf der Suche nach dem schnellsten Weg fort von Zuhause. Er schlussfolgerte das dies vielleicht der Grund war aus dem er dem Bretonen jetzt half.
Sie erreichten das Ziel des Bretonen und der junge Mann aus Evermor legte das Brennmaterial auf einem größeren Stapel ab, an dem ab und an ein anderes frisches Mitglied der Kompanie ankam und seinerseits Holz aufschichtete. Jeder Schritt wirbelte ein Stück lockere und trockene Erde auf, das in winzigen Partikeln wieder auf den festeren Grund hinab schwebte.
Stephanus klopfte dem jungen Mann nach getaner Arbeit beruhigend auf die Schulter.
„Ich gehe dann jetzt, Junge. Halt dich von Ärger fern.“
Der Bretone streckte stöhnend den Rücken und drehte sich danach Stephanus zu, der schon im Begriff war zu verschwinden.
„Vielen dank. Und nennt mich bitte nicht andauernd Junge. Ich habe einen Namen.“
Stephanus blieb stehen und wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder dem anderen Mann zu.
„Ach? Und der wäre?“
„Delstian,“ stammelte der Bretone schnell und verlegen, fast als hätte er das Gefühl, er wäre vorhin bei seinem letzten Satz nicht demütig genug gewesen, und befürchtete jetzt vom Kaiserlichen eine Ohrfeige zu bekommen.
„Mein Name ist Delstian.“
Stephanus ging wieder einen Schritt auf ihn zu, was Delstian dazu brachte verängstigt ein wenig zurück zu zucken. Der Kaiserliche ärgerte sich leicht über sich selbst, denn das war keinesfalls seine Absicht gewesen.
„Nun gut, Delstian,“ sagte er nun in einem ratgeberischen Ton. „Pass auf dich auf, und starr niemanden an, und glotze erst recht niemandem direkt in die Augen. Dann solltest du die nächsten Tage ohne Prügel durchkommen.“ Danach ließ der Kaiserliche Delstian stehen und ging seines Weges.
Die Kompanie hatte eine einfache Rangordnung: Der Anführer hatte vier Leutnants, die ihrerseits zwei ihnen direkt untergestellte Offiziere hatten. Diese wiederum hatten einige Unteroffiziere unter ihrem Kommando, die für eine verschieden große Anzahl an Kämpfern zuständig waren. Diese Gruppen hatten während eines Marsches die Last ihres in Einzelteile zerlegten Zeltes unter sich aufgeteilt zu tragen, nicht unähnlich dem Verfahren, dass die kaiserlichen Legionen verwendeten. Und genau zu diesem Zelt war Stephanus jetzt unterwegs.
Es war ein schöner und nur leicht bewölkter Tag, selbst wenn der kühle Wind in den Hochlanden von Reach die wärme der Sonne effektiv verminderte und den Kaiserlichen bei besonders kalten Böen unter seinem Lederharnisch frösteln ließ und sich ihm immer wieder die Nackenhaare aufrichteten. In einiger Ferne konnte Stephanus die Mauern und Dächer der Stadt Markarth sehen. Sie war vor Jahrtausenden in das sie umgebende steile Gebirge gehauen worden, welches sich zu beiden Seiten der Stadt in die Ewigkeit erstreckte und sich zum Himmel hin seine Gipfel immer stärker in zunächst unbeständige, dann jedoch dichter werdende weiche Nebelschwaden hüllte. Stolze grüne Banner mit einem weißen stilisierten Bergziegenbockschädel darauf wehten über Türmen und änderten ihre Richtung mit dem Wind.
Würden einige der prächtigen goldenen Dächer nicht das Licht der Sonne reflektieren, gäbe es die Banner nicht und würde auch kein Rauch aus den Schornsteinen von Markath aufsteigen so könnte man fast glauben die Stadt sei ein Teil der hellgrauen Felsen. Markath hatte seinen Ruf als „Stadt des Steins“ verdient. Sie sah zeitlos und uralt aus, als hätte es sie schon lange vor ihren Erbauern gegeben. Als wäre sie vor Urzeiten einfach aus dem Berg heraus gewachsen und stumm ihren Platz auf Nirn eingefordert.
Der Wind drehte sich und trieb den gemischten Geruch und die Klänge der Zivilisation an Stephanus' Nase und Ohren heran: Nahrungsmittel, Duftstoffe, Abfall, schwitzende Menschen und Mer, laute Hammerschläge, das unverständliche Gemurmel tausender Münder und das bellenden von Hunden. Aber der Geruch von Markarth hatte etwas besonderes an sich. Das hölzerne Aroma verbrannter Kohle und der eigentümliche Duft von geschmolzenem Metall lag besonders schwer in der Luft, und beides hebte die Geruchspalette Markarths von der anderer Städte ab. In der Ferne rauschte zudem ein Fluss.
Stephanus ging über einen breiten Weg, der durch das Lager führte, auf das imposante Torhaus zu, auch wenn es noch weit weg lag. Doch sein Ziel befand sich einfach nur in der selben Richtung. Er kam an vielen Zelten verschiedener Machart und Farbe vorbei, und die Leute, die müßig, gleichgültig oder zielstrebig an ihm vorbeizogen, unterschieden sich ebenso stark voneinander wie ihre zeitweiligen Behausungen, auch wenn viele von ihnen dennoch eines gemeinsam hatten: Man konnte ihnen sofort ansehen, dass sie sich ihr Brot mit dem Schwert in der Hand verdienten und auch keine wirklich angenehmen Zeitgenossen waren. Viele von ihnen gehörten Rassen an, von denen man eine kriegerische Natur erwartete. Gerade jetzt ging eine Gruppe aus fünf Rothwardonen an Stephanus vorbei. Aber eigentlich war jede Rasse mindestens acht mal in der Kompanie vertreten, sei es bei den Nahkämpfern, den Bogenschützen oder den wenigen Kampfmagiern.
Die Mietklingen der Kompanie hatten ihr Lager in einigem Abstand von den steinernen Mauern der Stadt aufgeschlagen, denn außer den Quartiermeistern durfte keiner von ihnen die Hauptstadt des Fürstentums betreten. Die Stadtwache bestand darauf, dass sie ohne eine kleine randalierende Armee aus zwielichtigen Heuerlingen bereits genug Probleme in der Stadt hätte. Es stellte auch eine Sicherheitsmaßnahme gegenüber Krankheiten dar. Im Krieg fielen die Meisten nicht im Kampf oder fielen schlecht behandelten Verletzungen zum Opfer. Nein, den Großteil der Todesopfer des Krieges forderte die herzlose Pestilenz. Sobald eine Seuche einmal in einem Lager oder einer Stadt ausbrach war sie nur noch schwer wieder einzudämmen. Sie machte keinen Unterschied zwischen Bettlern und Königen, wie man sagte, auch wenn die Letzteren dank der modernen Alchemie mit genügend Gold in Wirklichkeit nicht viel zu befürchten hatten.
Seltsamerweise hatte Stephanus aber vor einigen Stunden einen Wachmann in Grün sagen hören, es gäbe keinerlei Probleme in Markath. Doch dass hatte er mit einem Achselzucken abgetan und keine weiteren Gedanken daran verschwendet. Was in der Stadt passierte ging ihn nichts an, denn das Söldnerheer würde nur einige Nächte vor der Stadt verbringen, um nach dem langen Marsch über die Bergpässe zwischen Skyrim und Hochfels wieder Energie zu tanken und Vorräte aufzustocken. Stephanus taten jetzt noch die Füße weh. Vielleicht konnten sie auch neue Rekruten anwerben. Ihr eigentliches Ziel aber war Hjaalmarsch, ein versumpftes und sagenumwobenes Gebiet im Nordwesten von Himmelsrand. Dort wollten sie mit ihrem neuen Arbeitgeber aufschließen: Ein Kaiserlicher Feldherr, der seine Ränge auf die Schnelle mit zusätzlichen bereits ausgebildeten Truppen verstärken wollte. Zuvor war die Kompanie in Hochfels aktiv gewesen. Die kleinen Königreiche der Provinz und die sie regierenden Adelsfamilien bekriegten sich am laufenden Band, vor allem in dieser Zeit der Instabilität, so dass es nie an Arbeit für Schwertarme und Bogenschützen gemangelt hatte. Ein kleinerer Teil des Söldnerheeres war auch in der Heimat der Bretonen geblieben um bestimmte vertragliche Voraussetzungen zu erfüllen, doch der Anführer der selbsternannten Militärunternehmer witterte das große Geld im frisch entflammten Bürgerkrieg der Nords. Bei dem besagten Anführer handelte es sich um einen Dunkelelfen namens Ganlydyn Menarven. Stephanus war ihm mehrere Male persönlich begegnet, doch er versuchte, diese Treffen so selten wie möglich zu halten. Wenn Menarven etwas von einem einfachen Fußsoldaten wollte, dann war das nie ein gutes Zeichen. Nach Außen hin wirkte der rotäugige Elf immer ruhig und freundlich, und er sprach auch immer in einer leisen Tonlage, so dass jeder Anwesende die Stimme senkte, um ihn reden zu hören. Aber nur Neulinge und Naivlinge fielen auf diese nur aus Tradition aufrecht erhaltene Illusion herein: Ganlydyn war rücksichtslos und blutrünstig. Stephanus konnte sich noch gut daran erinnern, was mit dem Vorgänger des jetzigen Zahlenmeisters der Kompanie geschehen war, auch wenn er dessen Namen über die Jahre hinweg vergessen hatte.
Ungefähr zwei Jahre nachdem Stephanus beigetreten war – damals befanden sie sich in Hammerfell - hatte Menarven über seine Offiziere jeden dazu auffordern lassen, sich in der Mitte ihres damaligen Lagers zu versammeln. Dort war auf die Schnelle ein kleines Podium aus Holz errichtet worden, zusammen mit einem Pranger. Ganlydyn Menarven zog höchstpersönlich den ehemaligen Schatz- und Zahlenmeister hinter sich durch die Menge hindurch und zwang den unter Todesangst stehenden Mann anschließend, sich selbst am Pranger festzumachen. Nachdem die klappe zufiel befestigte der Dunmer ein einfaches Schloss am Holzobjekt und für seinen armseligen Gefangenen gab es kein Entkommen mehr. Stephanus fiel auf, dass er sich nicht einmal daran erinnern konnte, welcher Rasse der Zahlenmeister angehört hatte. Er wusste nur noch, dass er ein Mensch gewesen war und sein Gesicht und sein nackter Oberkörper von blauen Flecken übersät worden waren, als ein Raunen durch die schroffe Menge ging und der Anführer der Heuerlinge seine Hand erhob, um Ruhe einzufordern. Das gesamte Lager verstummte sofort. Doch Menarven sagte nichts um die Stille auszufüllen. Stattdessen trat er seinem ehemaligen Angestellten in die Seite und legte dann mit einer schnellen Bewegung eine Hand auf dessen Mund, als dieser ihn aufschlug um einen Seufzer der Pein rauszulassen und verzweifelt die gewaltsam aus seinen Lungen entwichene Luft wieder einzufangen. Wenige Sekunden danach leuchtete es aus dem Inneren des Schatzmeisters, wobei sich seine Rippen dunkel abzeichneten und er wie eine morbide Laterne die abendliche Szenerie erleuchtete. Dann fing auch sein Äußeres an zu brennen. Die magisch verstärkten Flammen hatten den Mann innerhalb von einer Minute mitsamt Knochen vollkommen in Asche verwandelt, den Pranger und das Podium jedoch seltsamerweise von dem tödlichen Tanz ihrer feurigen Zungen verschont gelassen.
„Das passiert mit jenen, die denken, sie könnten der Kompanie ihr Geld stehlen und damit davon kommen.“
Ohne ein weiteres Wort verließ der Dunkelelf das Podium wieder, wobei er kein ein einziges Mal in die Menge sah, und ging dann mit erhobenem Haupt auf direktem Wege zu seinem Kommandozelt zurück. Jeder auf seinem Weg wich sofort vor ihm zurück und machte ihm Platz, als wäre er ein pestkranker Bettler. Jedoch war die Angst vor Ganlydyn auch heute noch viel größer und realer als die vor der Pest.
Stephanus zog sich selbst mit einer leichten Gänsehaut wieder aus der Erinnerung, denn er erreichte nun endlich sein Ziel. Nachdem er einige Male abgebogen war und sich geistesabwesend zwischen etlichen Zelten vorbei schlängelte kam er an der Zeltbaracke an, in der er heute Abend schlafen würde. Innen war es wärmer als draußen, sogar ein bisschen stickig. Die Sonne hatte das vor ungefähr fünf Stunden errichtete Zelt aufgewärmt und der stetige Wind, der durch die zerklüftete Bergregion wehte, hatte hier nicht besonders viel Einfluss. Die eng zusammenstehenden Baracken spendeten sich gegenseitig Windschatten, auch wenn durch die eine oder andere nicht geflickte Lücke im Stoff ein leises freches Pfeifen ertönte, sobald der Wind ein wenig an Geschwindigkeit zunahm. Stephanus zog hinter sich die als Tür dienende Klappe im Stoff zu und schnürte sie wieder fest an ihren Platz, selbst als der Wind leicht daran zerrte, als wolle er seine neu gefundene Geliebte nicht mehr loslassen. Auf der mit Stroh ausgelegten trockenen Erde lagen rund dreißig Bettrollen dicht an dicht. Jeder Meter Platz wurde effektiv genutzt. So gab es außer den einfachen Schlafstätten der Mietklingen und den kleinen Haufen ihrer transportablen Besitztümer nur einen einzigen Tisch und den an ihn ran geschobenen Stuhl in der Mitte des Zeltes, genau dort, wo ein dünner Baumstamm als einsame Säule für die Last des Daches aus Stoff und Seil diente.
Außer Stephanus waren noch zwei andere Personen im Zelt: Ein auf seinem Bett vor sich hin summender Rothwardon mit einer abgegriffenen Harfe in den Händen, und ein den Vorherigen finster anfunkelnder Ork, der ebenfalls in einiger Entfernung zum Harfenspieler auf seiner eigenen Bettrolle saß.
„Stephanus, sag dieser vermaledeiten Wüstenratte sie soll endlich die Klappe halten.“
„Ihr habt einfach keinen Geschmack für Musik, mein Freund Rognag,“ sagte der Rothwardone mit einem fachmännischen und bedauerlichen Tonfall in der Stimme und einem breiten Grinsen im Gesicht, bevor er sein Summen der Klangkulisse der Baracke wieder hinzufügte und sich knapp mit dem hin und wieder zögerlich hereinpfeifenden Wind messte.
Stephanus schüttelte nur leise lachend den Kopf und begab sich näher an den Orsimer heran, welcher leise in sich hinein fluchte und mit seinen gelben Augen immer noch mit Messern nach dem Rothwardonen warf.
„Wie geht’s dem Bein, Rognag?“ Der Kaiserliche ließ sich neben seinem Lagergenossen auf den Boden sinken.
Rognag gro-Golug war der Kompanie vor etwa fünf Jahren beigetreten. Auf den Tag genau war auch der Rothwardone Bodeado unter Vertrag genommen worden, und seit der ersten Stunde, in der sie in Stephanus' Einheit gelandet waren, stritten sich die beiden wie kleine Kinder. Bodeado trieb den Ork durch sein Harfenspiel, seine Sticheleien und sein konstantes Gerede immer wieder zur Weißglut. Rognag hingegen überschüttete den anderen des Nachts manchmal mit seinem Müll, „verlegte“ dessen Sachen oder verbrachte Stunden damit sich besonders kreative Flüche für seinen Mitstreiter aus Hammerfell einfallen zu lassen. Es war ein sehr merkwürdiges und auf jeden Außenstehenden wohl verwirrend wirkendes Verhältnis: Nur ein einziges Mal war es zu einer physikalischen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, nachdem sie nach einer gewonnenen Schlacht die ganze Nacht hindurch getrunken hatten und Beleidigungen zu Faustschlägen wurden. Beide hatten sich gegenseitig windelweich geprügelt und danach sofort zusammen weiter getrunken. Das war einige Wochen nach ihrer Rekrutierung gewesen, und seitdem verband die beiden Männer eine Art von verdrehter Freundschaft. Auch Stephanus sah die beiden als seine Freunde an. Die Freundschaft unter gekauften Schwertern hatte jedoch sehr oberflächliche Eigenschaften: Man half sich gegenseitig im Kampf und bei den täglichen Arbeiten im Lager. Man tauschte Geschichten aus , trank und scherzte miteinander. Manchmal kam es sogar dazu, dass eine ungeschriebene Regel unter Söldnern gebrochen wurde und man sich über die Vergangenheit vor der Kompanie ausfragte. Bis dahin und darüber hinaus ging es jedoch nur selten. Man würde für den anderen niemals sein eigenes Leben riskieren, wenn für einen selbst nichts dabei raussprang.
Rognag gro-Golug stöhnte leise als er sich schwerfällig vom Rothwardonen abwandte und seinen entnervten Blick nun auf Stephanus fixierte.
„Dem Bein geht es bestens. Mache mir nur sorgen, dass mir bald die Ohren anfangen zu bluten.“ Beim letzten Teil seines Satzes hob er gereizt die Stimme und nickte ruckartig in Richtung Bodeado, welcher dies mit einem dankbaren Nicken erwiderte, als wäre die Wut des Orks genau die Anerkennung die er brauchte. Der Ork selbst war im liegen groß, im Stehen sogar größer als ein wohlgenährter Durchschnittsnord und damit eine respekteinflößende Gestalt. Seine tiefschwarzen öligen Haare ließen einen großen Teil der Stirn offen und waren am Hinterkopf zu einem sehr kurzen Zopf zusammengebunden, so wie viele Orks ihre Haare arrangierten. Er war mittleren Alters, hatte olivgrüne Haut, ein typisch orkisches und rundes Gesicht und Zähne mit einem leichten Gelbstich. In ihrem Lager für die nächsten Paar Nächte hatte er seine imposante grün-braune Rüstung aus orkischem Stahl mit den dunkelgelben Verzierungen abgelegt und trug stattdessen einfache Kleidung aus brauner und grauer Wolle.
Bei ihrem letzten Kampf in Hochfels - sie waren von ihrem Arbeitgeber gegen den Söldnertrupp eines rivalisierenden Adligen losgeschickt worden - hatte ein Nord mit einem gigantischen Hammer aus Stahl und einer gigantischen Gier nach Blut Rognags Beinschiene eingedellt und sein Bein mit einem einzigen Schwung gebrochen. Der Ork hatte überlebt, und dank Medizin und der vergangenen Zeit konnte er ab der ungefähren Mitte ihrer Reise nach Himmelsrand wieder aufrecht auf zwei Beinen stehen und sich ohne Hilfe fortbewegen. Dass Orks an sich sehr zähe Schweinehunde sind hatte dabei sicher auch geholfen.
„Nun gut. Bodeado, wirf mir mal mein Geld zu.“
„Natürlich doch! Geh und kauf dir eine Flöte damit, dann könnte die Truppe als Musiker durch Tamriel ziehen, eine Spur aus gebrochenen Herzen und gebrochenen Schädeln hinter sich herziehend. Unser grüner Freund Rognag bekommt aber nur eine Trommel. Außer einer Triangel wäre alles andere viel zu kompliziert für ihn!“
Während der Ork irgendeine erzürnte Erwiderung stammelte, setzte sich der Rothwardone auf und tastete in einem naheliegenden Tornister nach dem gesuchten Säckchen mit Münzen. Nicht lange darauf drehte er sich wieder zum Kaiserlichen um und warf ihm die Septime zu.
Bodeado trug einen einfachen Lederharnisch und hatte dunkelbraune stoppelige Haare. Seine lebenslustigen Augen waren Haselnussbraun und ein spitzes Bärtchen zierte sein Kinn. Von sich selbst hatte er immer behauptet, dass er einst mal ein Pirat auf dem Abeceanischen Meer gewesen sei, doch glaubte ihm das niemand so wirklich. Jedes Mal, wenn er davon erzählte - und er erzählte sehr oft davon - kamen neue Details hinzu, und alte Details veränderten sich oder verschwanden völlig.
Stephanus fing den Geldbeutel in der Luft auf. Es war natürlich nicht sein ganzes Geld, denn die meisten seiner Septime existierten nur auf Papier. Die Kompanie hatte eine eigene kleine Bank, die einige Truhen in drei mit stabilen Käfigen versehenen Wagen umfasste. Die Kosten für Nahrung, Wasser und der Gleichen wurden vom Sold abgezogen, und der Rest nur stückweise und auf Nachfrage ausgezahlt. Einerseits konnte man sich seine Münzen so gut einteilen und vertrank oder verzockte nicht alles an einem Tag, andererseits war man finanziell plötzlich von der Kompanie abhängig. Je größer die Summe an abgehobenem Geld, desto mehr Fragen stellten der Schatzmeister und seine Gehilfen, und ohne guten Grund würde man seine Septime auf die Schnelle nicht bekommen. Das Gold wagte niemand zu stehlen, da die Geschichte des verbrannten Schatzmeisters immer noch die Runden machte und Ganlydyn an den wenigen, die es trotzdem versuchten, brutale Exempel statuierte: Ihnen wurden die Zunge und beide Hände entfernt, anschließend wurden sie im Lager vorgeführt und dann setzte man sie in der Wildnis aus.
Stephanus zählte schnell die Münzen durch - man konnte ja nie wissen - und steckte das Säckchen in eine seiner Gürteltaschen, während seine beiden Zeltgenossen wieder anfingen zu streiten. Mit einem Nicken verabschiedete er sich von ihnen, auch wenn sie es nicht wirklich bemerkten. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Stephanus nahm es einfach so hin, und er konnte nicht anders als zu schmunzeln als er die Baracke wieder verließ und das letzte, das er von den beiden hörte war:
„Holla holde Herrin von Wegrast-“
„Halt endlich die Klappe!“
Einige Minuten später hatte Stephanus zielstrebig das halbe Lager durchmessen, als seine Suche nach einem bestimmten runden Zelt endete, dessen Dach aus Planen ein kreisförmiges Loch hatte aus dem ohne Pause Rauch aufstieg, der den Stoff um die Rundung herum bereits geschwärzt hatte. Diese vom Wind weggetragene und unförmige Säule aus dichtem Qualm war nicht nur schwarz oder grau. Ab und zu war sie auf kurioser Weise grün verfärbt, manchmal sogar violett bis pink. Es war das teilweise mobile Labor des Alchemisten und seiner Gehilfen. Der Kaiserliche betrat den breiten Eingang des Zeltes und wurde sofort von einer Wolke aus den verschiedensten Gerüchen begrüßt: In einem Moment wohlriechend rosig, im anderen Moment eine deftige Ladung an Gewürzen, dann wieder scharf und eigenartig unbeschreiblich. Und diesen an manchen Stellen besonders konzentrierten Dunst konnte man trotz des offenstehenden Ausgangs sogar sehen. Wie leicht durchsichtiger Nebel trieben aus den unterschiedlichsten komplizierten alchemistischen Apparaturen aufsteigende Schwaden durch das Innere der Behausung aus Stoff und trieben Stephanus je nach Konsistenz Tränen in die Augen, während sie zugleich auch das Licht im inneren des Zeltes dämpften. Er kämpfte sich durch die mit Gasen geschwängerte Luft bis zu einem mit Büchern zugepflasterten Tresen nicht weit von der offenen Pforte vor und nickte den dahinterstehenden Mann mit einem einzelnen kaum unterdrückten Huster zum Gruß an. Dieser nickte zurück und Lächelte sanft, während er damit begann seine majestätischen Schnurrhaare abzutasten und die vor alchemischen Gasen wimmelnde Luft tief und genussvoll einzuatmen. Der Alchemist – unverkennbar ein Khajiit – trug eine an den Rändern verzierte Robe aus tiefvioletter Seide. Eine dazugehörende Kapuze lag tief im Gesicht des Tiermenschen, so dass seine licht reflektierenden und bernsteinfarbenen Augen nur knapp darunter hervorlugten. Über den Händen trug er einfache an den Fingerspitzen leicht grünliche Handschuhe aus Leder, so dass sich sein braun, schwarz und weiß geschecktes Fell nur in seinem Gesicht entblößte. Während die Katze noch mehr von der trägen und unsauberen Luft um sie herum einsog begnügte sich Stephanus damit, diese in einem Versuch mit zweifelhaftem Ausgang von seinem Gesicht weg zu fächern. Dies quittierte der Khajiit mit einem belustigten Blick. Mit einem lauten und entzückten „Ahh!“ stieß der Alchemist schließlich die Luft wieder aus und schenkte dem Kaiserlichen nun seine vorerst ungeteilte Aufmerksamkeit. Stephanus konnte mit zusammengekniffenen Augen die Gehilfen des Khajiiten durch den Dunst hindurch im Zelt herumirren sehen, doch er schenkte den schemenhaften Bewegungen im Hintergrund kaum Beachtung.
„Was führt den Menschen in mein Reich der Kolben, Kalzineröfen und Retorten? Plagt ihn wieder die Schlaflosigkeit, ja?“
„Richtig. Ich brauche fünf Flaschen.“
Stephanus dankte den Neun, dass Bodeado nicht ihr Alchemist war. Er hätte, wie es eben seine Art war, nur geredet und geredet, während der Kater vor ihm sehr schnell zum Punkt kam. Der Kaiserliche wollte schnell wieder aus dem Zelt raus, denn das Gemisch aus bunten Dämpfen fing langsam an in seiner Nase und – was noch viel schlimmer war – in seinen Lungen zu brennen. Dem Alchemisten waren wohl schon alle Geruchsnerven vor Ewigkeiten weggeätzt, so dachte sich Stephanus.
„Kommt sofort. Legt schon das Geld hin. Fünfzig Septime.“
Ohne weitere Umschweife verzog sich der Khajiit in die Tiefen des künstlichen Nebels. Als eine Art Luxusartikel mussten Stephanus' Nachtschlaftränke separat bezahlt werden, und der Kaiserliche leerte den Beutelinhalt ohne noch einmal die Münzen zu zählen auf eine freie Stelle auf dem Tresen. Er kaufte immer die gleiche Menge, und der Preis veränderte sich nicht, so dass er immer genau wusste, wie viele Septime er bei seinen Besuchen dabei haben musste. Im ersten Moment würde man bei den Preis, den Stephanus jedes mal aufs Neue zahlen musste an Wucher denken. Aber fünf Flaschen reichten durchaus für eineinhalb bis zwei Monate aus. Genug für lange Märsche ohne besondere Zwischenstopps, mit Ausnahme der Nachtruhe. Warum der Preis gleich blieb wusste Stephanus nicht zu beantworten. Wenn es um den Handel ging kannte er außer einigen Tricks beim gelegentlichen Feilschen eigentlich gar nichts. Der Alchemist könnte die Preise diktiert bekommen, oder er wollte von sich aus seinen Kunden entgegen kommen, was der Kaiserliche allerdings anzweifelte. Der Khajiit setzte immer eine freundliche Miene auf und erhob seine Stimme nur selten zum Fluchen oder zum Schreien, was aber eher eine Fassade war.
Der Alchemist, dessen Namen Stephanus selbst über all die Jahre hinweg nie erfahren hatte, verteilte nun geschickt fünf mittelgroße Flaschen auf der hölzernen Auflagefläche und auf den Einbänden der achtlos darauf gestapelten Bücher.
„So. Die Zahl der Münzen stimmt. Der Mensch weiß, wie man dosiert. Habt noch einen schönen Tag in der Sonne,“ beendete der Khajiit die Transaktion und verabschiedete sich auch damit.
Stephanus erwiderte dies mit einem von einem Grunzen begleiteten Nicken, verstaute die röhrenförmigen Glasbehälter und machte sich daraufhin mit fast schon zugekniffenen und tränenden Augen fluchtartig zum Ausgang auf, bei jedem Schritt damit beschäftigt zu husten und ein Würgen zu unterdrücken. Seine letzte Mahlzeit wollte er noch drinnen behalten, aber sie schien nicht einer Meinung mit ihm zu sein.
Er dankte still den Neun als er schlussendlich aus der Öffnung stolperte und den in der Luft gelösten Chemikalien entkam. Seine selbst unter den Augenlidern brennenden Augäpfel mussten sich erst wieder an das Tageslicht gewöhnen, aber die saubere Luft sog er mit einigem Abstand vom Alchemistenzelt mit den Händen auf die Knie gestützt gierig und tief ein. Ob ihn jemand so sah war ihm im Moment egal. Seine Gedanken klärten sich wieder, als sein Hirn wieder an kostbaren Sauerstoff kam. Die Gase waren ihm wortwörtlich zum Kopf gestiegen.
„Das wäre schonmal überstanden,“ sagte er zu niemandem besonders als er sich wieder aufrichtete und sich daraufhin schon wieder auf den Weg machte. Im Lager gab es bestimmt noch Arbeit zu verrichten. Und wenn er keine Arbeit fand, konnte er immer noch an Übungskämpfen teilnehmen.
Geändert von Kampfkatze2 (04.06.2014 um 02:04 Uhr)
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Provinzheld
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Es schien, als wären die Wolken in tiefste Traurigkeit und Trübsinn verfallen, derart heftig ließ die graue Masse am Himmel ihren Inhalt hinabgießen. Als dichte Schleier, die im Wind wogten, versperrten sie Vesa die Sicht auf ihre Umgebung, hüllten sie in Verschwommenheit und undeutliche Formen. Der Himmel selbst schien auf die Erde zu stürzen und entsprechend roch es auch. Nicht nur die kalte Feuchtigkeit des Regens, die wie eine Glocke über dem Land hing, nein, auch Fäulnis und Verwesung, als wäre die Welt bereits tot und löse sich auf. Die Kaiserliche schüttelte sich, als ihr der Geruch heftig in die Nase stieß, und bereute es sofort. Jede Faser ihres Leibes schien aufzuflammen als stünde sie in einem großen Feuer. Sie wollte schreien, doch erstarb ihr der Laut im Hals. Mehr als ein raues Krächzen brachte sie nicht hervor.
Je länger sie völlig durchnässt im Regen lag, grobe, unbequeme Steine im Rücken, ohne dass sie sich zu bewegen vermochte, desto größer schienen die Regentropfen zu werden. Irgendwann dröhnte jeder einzelne Aufschlag durch ihren Kopf wie ein Hieb mit dem Hammer. Paralysiert im Schmerz blieb ihr nichts anderes übrig, als die Beben im Schädel zu ertragen, hoffend es würde aufhören zu regnen. Doch das tat es nicht und so schrumpfte sie in sich zusammen, ohne Kontrolle über ihren Leib, zusammengerollt wie ein Kleinkind. Die Hände auf die Ohren gepresst, als könnten sie so das Donnern aussperren. Es endete in größerer Enttäuschung und Wut darüber, dass es nicht funktionierte. Im Gegenteil, es schien vielmehr so, als hielten sie das Dröhnen davon ab, aus ihrem Haupt zu entweichen und verstärkten es noch mehr.
Platsch, platsch, platsch. Jeder Tropfen weckte ein heißes Brennen, dass vom Hinterkopf aus um sich griff wie ein Waldbrand. Heiße Bahnen zogen sich von dort ausgehend über ihre Kopfhaut, brannten sich gleich flüssigem Eisen ein. Tiefes Grollen begleitete die brennenden Schmerzen, wurde lauter und umfing sie als Gewittersturm. Vibrierend fraß es sich Vesana hinein, jede noch so kleine Erschütterung ließ heiße Stiche durch ihren Schädel fahren bis sie sich schließlich fest in den Untergrund krallte und vor Schmerz stöhnend in den Boden biss. Krampfend bohrten sich ihre Finger durch die groben Steine unter ihr während sich der bitter-schmierige Geschmack von feuchtem Holz auf ihrer Zunge ausbreitete.
Erst als sie das widerlich pelzige Gefühl im Mund spuckend versuchte loszuwerden und sowohl ihr eigenes Stöhnen, wie auch das Grollen gleichzeitig erstarben, wurde sie sich bewusst, dass letzteres nicht aus den Wolken zu ihr hinabgerollt kam, sondern sich ihrer eigenen Kehle entwunden hatte. Dem nicht genug, das Sonnenlicht schien zu sterben, wich einem milderen, schwächeren Schimmer, der flackerte und den Himmel in Schwärze verdunkelte. Die kontinuierlichen Regenschauer wichen einzelnen, schweren Tropfen, die ihr auf den brennenden Hinterkopf klatschten und jedes Mal ein Schwert durch ihr Haupt rammten. Unter ihr lag Vesas Bogen auf schwarzem, brüchigem Steinboden. Er schien als hätte jemand mit spitzen Zähnen in ihn hineingebissen.
Mühsam stemmte sich die Kaiserliche hoch, unendlich kraftlos und zittrig, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Gerade so erkannte sie noch, wie die freigelassenen Finger, die aus ihren Handschuhen herausstanden, ihre Farbe von aschgrau zu einer menschlicheren Farbe änderten und sich die Fingernägel von, eben noch scharfe Klauen, zurückzogen und sich an den Fingerkuppen dunkel unterlaufen verkürzten. Tropfen rannen ihr durch das Haar auf die Wangen bis zu den Mundwinkeln und verbreiteten dort einen matten, bitteren Geschmack von Eisen. Auf allen Vieren hob sie die Rechte, schüttelnd als erfriere sie gerade, dabei besaß sie schlicht keine Kraft um mehr als sich selbst zu halten, und griff sich mit den schmutzverkrusteten Fingern ins Haar am Hinterkopf. Stöhnend und gleichzeitig grollend zog sie sie ruckartig zurück, als ihr ein neuerlicher Hammerschlag für einen Moment die Sehkraft schwinden und sie auf die rechte Schulter hinabsinken ließ. Knackend schoben sich augenblicklich wieder ihre Krallen und scharfen Eckzähne hervor.
Hunger, Wut und Schmerz schwächten ihre menschliche Form und brachten das Biest zum Toben und doch schaffte es keiner Beiden die Oberhand zu gewinnen. Der Kampf schwächte sie zusätzlich und zwang sie dazu, liegen zu bleiben. Der Wolf spürte die Vollmonde während der Mensch sich nach Ruhe und Erholung sehnte, wissend, dass es hier unten ohnehin keine Beute zu holen gäbe und mit dem angeschlagen Fuß käme auch ihre Tierform nicht aus dem Loch.
Übel, vom krampfenden Magen, der nach mehr verlangte als Brot und Fett, mit flammender Brust im Kampf zwischen Mensch und Tier und einem Kopf so schwer wie ein Amboss und ähnlich starken Schlägen ausgesetzt, lag die Kaiserliche am unteren Ende des Schutthaufens und krümmte sich. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, während ihr Tropfen von der Tunneldecke auf den Schädel schlugen und ihr Lebenssaft heiß aus einer kleinen Wunde am Hinterkopf auf die Steine sickerte. Salzige Tränen, so voll mit Frust, Wut und Schmerz, dass sie hätten töten können, brannten ihr in den Augen und ergossen sich über ihre schmutzige Haut.
Wie lange war sie wohl bewusstlos gewesen? Ein paar Stunden? Minuten? Einen Tag? Vermutlich ersteres und doch hätte es ebenso gut Morgen oder Mittag, Abend oder noch dieselbe Nacht sein können.
Noch immer mit ausgefahrenen Krallen und Eckzähnen nahm Vesa die Hände vom Gesicht und schaute hinauf zum oberen Ende des Steinhaufens. Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Träge, gleich einer Schildkröte, begann sie damit, sich die losen Steine hinaufzuschleifen. Ein mühsames Unterfangen, das sich derart lange hinzog, dass ebenso gut ein Tag vergehen mochte. Dennoch schaffte sie es nach oben und blieb so ausgelaugt wie selten zuvor bäuchlings liegen. Schnaufend hob sich ihr Brustkorb schwer, brannte als wäre er mit heißem Öl ausgegossen und gelegentlich glaubte sie die Rippen knacken zu hören, während das Biest versuchte auszubrechen aber augenscheinlich nicht genug Kraft zu besitzen schien.
Vorsichtig, darauf bedachte nicht anzuecken, wandte die Kaiserliche nach schier ewigen Momenten den Kopf und versuchte aus dem Augenwinkel heraus in das Loch hinaufzuspähen. Noch immer erfüllte völlige Schwärze den senkrechten Tunnel. Doch an seinem Ende ließ sich etwas erkennen, mehr eine Ahnung denn etwas wirklich greifbares, das aussah wie erstes Tageslicht, das in morgendlicher Schwäche versuchte durch dichtes Astwerk zu dringen. Konnte es wirklich sein? Sollte es tatsächlich schon Morgen sein? Sie musste wirklich Stunden bewusstlos gewesen sein. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder entsetzt sein sollte. Doch der Wolf machte ihr die Entscheidung letztlich leicht, als er sie sich aufbäumen und wütend grollen ließ. Klauen weit ausgefahren und das Gebiss bereits verschoben hob sich ihr Oberkörper auf die Ellbogen gestemmt und der Kopf in den Nacken gelegt. Der Kraftakt erstarb bald, endete in einem kläglichen Wimmern und ließ die Kaiserliche in sich zusammenfallen wie ein Schluck Wasser.
Dafür fiel ihr Blick nun dorthin, wo sie zuletzt den Waschbären gesehen hatte. Entsetzt weiteten sich ihre Augen und das Herz krampfte derart, dass sie sich mit der Hand gegen die Brust langte und die Finger fest in das Leder ihrer Jacke krallte. Unregelmäßig atmend musste sie sich zusammenreißen, um nicht sofort wieder ohnmächtig zu werden oder laut zu aufzuschreien. Sogar das Biest in ihrer Brust hielt inne. Noch immer zeichneten Fellfetzen und dunkle Blutflecken die Stelle, an der das Tier aufgeschlagen war. Einige der völlig zerschellten, winzigen Knochen lagen auch noch herum. Aber etwas ganz Entscheidendes hatte sich an der Aufschlagstelle verändert und allein der eine Gedanke vertrieb sämtliche Fähigkeit an irgendetwas anderes zu denken, als wäre ihr Kopf mit einem Mal mit Nebel gefüllt.
Mit unsteten Augen schaute sie in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Trümmerhaufens hinab. Nichts. Zurück zur Stelle, wo der Waschbär gelandet war. Nichts. Vesana schloss die Lider, rieb kurz darüber und öffnete sie erneut. Nichts. Langsam, den rasselnden Atem zu beruhigen versuchend, schob sie sich zu ihrer Nachtstatt hinab und nahm sich ihre Laterne mit, die noch immer oben gestanden hatte und inzwischen gefährlich weit abgebrannt war. Ein letzter Blick, um sicher zu gehen, dass sie nicht völlig verrückt wurde. Nein, wurde sie nicht. Der geschundene Leib des Waschbären fehlte.
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Geändert von Bahaar (19.07.2014 um 14:46 Uhr)
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