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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

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  1. #1

    Solstheim, nordöstliches Inland

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    Gerade als die Sonne hoch genug stand, um über den Dächern des Dorfes zu schweben, brach die Gemeinschaft der vier Jäger auf. Die Bedingungen konnten nicht besser sein. Nahezu Windstille, fester Schnee unter den Stiefelsohlen und ein aufgezogener Himmel. Sie kamen schnell voran, und das nicht nur wegen des hohen Tempos, das Wulf vorlegte. Das Dorf ließen sie auf ihrem Weg direkt nach Süden bald hinter sich.
    Vesana prägte sich während der Reise die Landschaft ein und beobachtete das Verhalten des Wetters. Die hohen Wolken zogen schnell und über dem Meer brauten sich bereits wieder ausgesprochen dunkel aussehende Sturmformationen zusammen. Hoch standen die gewaltigen, schwarzen Türme und so weit, wie das Auge reichte. Bei der Zugrichtung und -geschwindigkeit würden sie wohl bestenfalls irgendwann zum frühen Morgen über der Insel ankommen. Die Nord schienen das Problem ebenfalls bemerkt zu haben und vor allem Wulf straffte seit der ersten Sichtung der Sturmwolken sein Marschtempo. Sie mussten Meter machen, wollten sie am nächsten Tag in ihrem angestrebten Jagdgebiet ankommen.
    Inzwischen fühlten sich Vesanas müde Glieder weitestgehend abgestumpft und taub an, so dass sie die Strapazen und schlecht verbrachten Nächte zuvor einigermaßen wegsteckte. Zwar hätte sie nichts gegen ein komfortables Bett eingewendet, andererseits räumte die konstante Belastung auch den Kopf frei – ein Umstand, den sie vor allem nach der letzten Übernachtung sehr begrüßte.
    Am Abend schlugen sie in dem zerklüfteten, über zahlreiche Vorsprünge steil zum Meer abfallenden Küstenstreifen zwischen Geistermeer und Fjalding-Plateau ihr Lager auf. Der dichte Wald bot ihnen genug Möglichleiten sich für die Nacht einzugraben und gegen die Kälte, sowie den aufziehenden Sturm zu rüsten. Erste Vorboten des letzteren erreichten sie bereits, der schneidende Wind fuhr durch jede noch so kleine Lücke in der Kleidung und machte unmissverständlich klar, dass es bald noch ungemütlicher werden sollte.
    „Nevara, Ihr übernehmt mit Finna die zweite Nachtwache“, wies sie Wulf an. Kommentarlos nahm sie die Anweisung hin und ließ sich auf ihrer Schlafunterlage nieder. Die Decke ließ sie zunächst noch auf ihrem Tornister. Sie war recht glücklich über die Entscheidung des Einäugigen. Sobald der Sturm sie erreichte, wäre in der Nacht ohnehin kaum noch ein Auge zuzumachen. Wer schlafen wollte, musste es also vorher tun. Wenig später schichtete Vesa ihre Waffen neben sich auf die Unterlage und deckte sich mit ihnen zu. So verhinderte sie, dass das Schwert in der Scheide, die Bolzen im Köcher und die Mechanik der Armbrust einfroren. Die Dolche blieben, wo sie waren. Der Speer hielt die Plane, die ihnen als provisorisches Zelt zwischen einigen Bäumen und Felsen diente.

    Irgendwann mitten in der Nacht riss sich ihre Abdeckung in einer Windböe los. Flocken peitschten der Kaiserlichen ins Gesicht, sie brannten auf der Haut. Erschrocken und aus dem tiefen Schlaf geholt zog sie sich schnellstmöglich die Kapuze und Gjalunds Tuch über den Kopf und vor das Gesicht. „Dreckswetter“, zischte sie leise, niemand außer ihr hörte es. Finna schien ebenso unvermittelt aufgeschreckt worden zu sein und hievte sich gerade erst auf die Knie, um nach der Plane zu fischen, die laut im Wind hin und her schlug. Vesa half ihr schließlich dabei und band sie an einem der Stämme fest.
    „Wo sind Oslaf und Wulf?“, fragte die Nord-Frau schließlich, als sich die beiden wieder einigermaßen geschützt unter die Zeltplane ducken konnten.
    „Keine Ahnung“, entgegnete die Kaiserliche und ließ den Blick aus dem Unterstand heraus über die Dunkelheit gleiten. Nichts. Da sie ohnehin kein Auge mehr zumachen können würde, erhob sie sich und band sich ihre Waffen um. Ihren Speer ersetzte sie, indem sie einen weiteren Strick zum Festbinden nutzte. „Ihr bleibt hier und passt auf das Lager auf. Ich gehe suchen.“
    „Gut. Aber seid vorsichtig und wandert nicht zu weit.“ Vesana wandte sich ab und stapfte in den Sturm hinaus. Die Kapuze zog sie enger, das Tuch höher. Sie zitterte und fror am ganzen Leib. Es war erbärmlich kalt. Wenn den beiden Männern irgendetwas zugestoßen wäre, für sie käme wohl jede Hilfe zu spät. Ihren Speer hielt sie locker in der rechten Hand, während sie durch die umliegenden Büsche und Sträucher des Unterholzes pirschte.
    Der Wind heulte und peitschte die Äste der Bäume und des Buschwerks. Das alte, dicke Holz knackte und ächzte unter der Last. Kleine Zweige rissen ab. Die Jägerin musste schwer kämpfen, um überhaupt voranzukommen und etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Das dichte Schneetreiben erschwerte es zusätzlich. Zu allem Überfluss verhinderte das Unwetter auch noch, dass sie Spuren auf dem Boden ausmachen konnte. Sie irrte also völlig ohne Anhaltspunkte durch das Umland des Lagers und hoffte durch Zufall auf die beiden Männer zu stoßen. Wenigstens vermochte sie einigermaßen gut im Auge zu behalten, wo sie sich eigentlich in Relation zu ihrem Unterstand befand und fühlte sich sicher, im Zweifel dorthin zurückzufinden. Die Monde – sie standen kurz vor Neumond – besaßen nicht einmal annähernd genug Kraft, um ihren Schein durch die dicke Wolkendecke und durch das Astwerk des Waldes zu senden. Als Folge hüllte ewige Dunkelheit die Landschaft wie ein Schleier ein. Nur der Schnee am Boden schimmerte erkennbar im Restlicht und verhinderte, dass Vesa gänzlich die Orientierung verlor.
    Es knackte laut unweit von ihr entfernt. Ruckartig fuhr sie herum und hob den Speer mit beiden Händen über die rechte Schulter zum Stoß bereit. Locker in den Knien verharrte sie so einige Momente. Nichts tat sich. Vorsichtig schlich sie in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Die Nerven gespannt, die Muskeln in Bereitschaft, die Ohren auf die Umgebung fixiert, die Augen gerade aus. Ihre Atemzüge gingen schnell und kurz. Erst als sie einen frisch abgebrochenen Ast in der Größe ihres Armes fand, entspannte sich die Jägerin ein wenig.
    Dafür vernahm sie von ihrer neuen Position so etwas, das entfernt an eine menschliche Stimme erinnerte. Oder zwei? Sie horchte auf. Es mochte ebenso gut ein Säuseln im Wind zwischen den Nadeln an den Ästen der Bäume sein. Nein, es wiederholte sich und klang tiefer, als ein einfaches Heulen der Böen. Es kam aus Richtung Osten, näher an einer Felskante, die sie zuvor auf ihrer Wanderung ausgekundschaftet hatten. Der Kaiserlichen dämmerte eine böse Ahnung. Ein Adrenalinschub trieb sie an und sie hastete los.
    Mit der Linken Äste und Zweige der Bäume und des Unterholzes aus dem Weg schlagend eilte sie so schnell sie sich in der Lage sah, ohne dabei zu nachlässig zu werden, durch den Wald. Ihre schnell fliegenden Schritte fanden auf Steinen, Wurzeln und umgestürzten Bäumen instinktiv Halt. Das Geräusch, das sie zuvor nur schwach vernommen hatte, gewann an Stärke. Sie vermochte nun die zwei unterschiedlichen Stimmen Wulfs und Oslafs auseinanderzuhalten. Zwar verstand sie nicht, was sie riefen, aber immerhin befand sich Vesana ohne Zweifel auf der richtigen Fährte. Wenig später brach sie aus einigen Büschen heraus und kam gerade noch rechtzeitig zum Stehen, bevor das Gelände steil und schroff abfiel. Rechts. Von da vernahm sie die Stimmen.
    Inzwischen identifizierte sie die Rufe der Männer als Hilfeschreie. Was auch immer passiert war, wenigstens lebten die zwei Jäger noch. Mit wild schlagendem Herzen und von der Kälte und den schnellen Atemzügen stechenden Lungen reduzierte Vesa jetzt ihre Geschwindigkeit. Sie musste die Nord orten und gleichzeitig auf der Hut sein. Ob sie von einem Tier angegriffen worden waren? Falls ja, wollte sie lieber nicht genauso enden, wie die Hilfebedürftigen.
    Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis die Kaiserliche eine zum Waldesinneren weisende, schmale Spalte im Fels fand, die – kaum zwei Schritte breit – sehr tief reichte und von der eigentlichen Abbruchkante wegführte. Irgendwo entlang dieser Spalte im Wald mussten sich die Nord befinden. Bedacht setzte sie ihre Schritte und lauschte auf die Umgebung, das Rauschen des Windes so gut es eben ging ausblendend. „Hört uns denn keiner?!“, schrie Wulf. „Finna! Nevara! Beim All-Schöpfer, so kommt!“ Seine Stimme klang erschöpft, er musste schon eine ganze Weile um Hilfe rufen. Oslaf schwieg inzwischen.
    Hinter einem besonders dicken Baum und einigen Felsen fand Vesana schließlich den Einäugigen. „Sind Tiere in der Nähe?“, fragte sie ihn unverzüglich.
    „Nein! Dem Schöpfer sei Dank, Ihr habt uns gefunden!“ Er versuchte sich etwas zu drehen, doch der beindicke Ast, der quer über seinem Unterleib und den Beinen lag, verhinderte größere Bewegungen. Bauchlinks hob er so nur den Kopf. „Schnell, helft mir unter dem Ast hervor.“ Die Kaiserliche eilte zu ihm und legte ihren Speer ab.
    „Seid Ihr verletzt?“ Sie klappte die Fingerstücken ihrer Handschuhe um und tastete am Körper des Nords entlang. Sie fand kein Blut.
    „Nein, nur eingeklemmt.“ Vesana umschlang den Ast mit beiden Armen und stemmte ihn aus den Beinen heraus hoch. Wulf kroch unter dem Holz hervor, als er dessen Last schwinden spürte. „Ich stehe in Eurer Schuld.“
    „Später.“ Sie ließ das schwere Stück Sturmbruch fallen und keuchte. Es schmerzte schon alleine vom Heben im Rücken und sie fand kaum Halt an der überfrorenen Rinde. Dumpf schlug es auf den Boden. „Wo ist Oslaf?“, wollte sie wissen. Der Einäugige hatte sich gerade erst gedreht und schob sich am Stamm des Baumes, von dem der Ast abgebrochen war, in eine sitzende Position hoch. Offenbar hatte ihn der Abbruch vorrübergehend paralysiert und seine Beine mussten durch die Kälte ohne jeden Zweifel auch taub geworden sein.
    „Er ist in die Spalte gestürzt. Nicht tief, glaube ich. Er meinte, er hätte sich …“
    „Verkeilt.“ Die Kaiserliche unterbrach ihn, als sie vorsichtig einen Blick hinab warf. Kniend schaute sie über die Kante. Kopfüber hing der zweite Nord an einem schmalen Vorsprung. Sein Bein hatte sich verklemmt und er Sturz musste ihn soweit geschwächt haben, dass er sich nicht mehr selbst zu befreien vermochte. Das zu Kopf steigende Blut hatte ihn wohl ohnmächtig werden lassen. „Könnt Ihr gehen?“ Sie wandte sich wieder Wulf zu.
    „Ja, ich denke, das sollte ich.“
    „Gut. Das Lager ist in etwa dort drüben.“ Sie zeigte eine Richtung mit der linken Hand. „Finna wartet dort. Weit oben in meinem Reisegepäck ist ein dünnes Seil. Schickt sie, oder bringt es mir selbst. Damit können wir Oslaf aus der Spalte holen.“ Der Nord nickte und setzte einige wackelige Schritte vorwärts. „Seid Ihr sicher, dass Ihr es bis zum Lager schaffen werdet?“, versicherte sich Vesa.
    Das unsichere, vom Schmerz leicht verzerrte Gesicht des Jägers straffte sich und gewann einiges, wenn auch nicht alles, seiner gewöhnlichen Fassung zurück. Das blinde und das gesunde Auge richteten sich auf die Kaiserliche. „Ja.“
    „Gut, dann lauft! Ich klettere zu Oslaf hinab und versuche ihn zu stützen, bevor ihm das Blut zu sehr zu Kopf steigt.“ Wulf verschwand augenblicklich im Dickicht. Vesana spießte ihren Speer als Markierung in den gefrorenen Boden. Dann entledigte sie sich ihrer übrigen größeren Waffen und der Handschuhe. Noch einmal tief durchatmend machte sie sich daran, die drei Mannshöhen hinab zu dem bewusstlosen Nord zu klettern. Es gestaltete sich mit den zugeschneiten und überfrorenen Steinwänden und kleinen Spalten als ein ausgesprochen gefährliches Unterfangen, aber die Kaiserliche schaffte es letztlich dennoch zu Oslaf vorzudringen und sich selbst mit den Beinen und dem Oberkörper in der Felsspalte zu verkeilen. Vorsichtshalber testete sie aber ihren Stand noch einmal mit kurzem Wippen, solange sie noch die Hände frei hatte um sich im Notfall festzuhalten. Es erschien ihr sicher genug.
    Die Jägerin beugte sich vor und fühlte als erstes am Hals des Nords nach dessen Puls. Er lebte noch. Anschließend versuchte sie sich unter seinen Oberkörper zu schieben und ihn langsam, Stück für Stück, hochzustemmen während sie sich selbst in kleinen Stücken nach oben schob. So schaffte sie es unter enormem Kraft- und Konzentrationsaufwand, ihn in der Hüfte soweit zu falten, dass der Kopf in etwa auf Höhe der Gürtellinie hing. So verharrte sie und wartete.
    Von der Kälte spürte sie – mit Ausnahme von der kalten Luft an den freien Stellen der Haut um die Augen herum und den fast völlig taubgefrorenen Händen – nichts mehr. Die Anstrengungen ließen sie im Gegenteil sogar stellenweise schwitzen. Müdigkeit kannte sie in diesen Momenten keine, allerdings würde auch sie nicht ewig so aushalten können. Glücklicherweise musste sie das auch nicht. Es dauerte nicht lange, bis Wulf und Finna gemeinsam eintrafen. „Hier!“, rief die Frau gegen den in der Spalte kanalisierten Wind ankämpfend zu Vesana hinab und warf ein Seilende in die Spalte.
    Die Kaiserliche griff es sich mit der Linken und begann es teilweise über Kopf um Oslafs Brust zu wickeln. Nach Gefühl verknotete sie es. „Probiert, Ihn hochzuziehen!“, gab sie zurück. Die Last auf ihren Schultern nahm ab und der schwere Nord erklomm schubweise die Felswand hinauf in den Wald. Sie harrte aus. Alleine würde sie die Kletterpartie zurück nach oben nicht mehr bewältigen.
    „Jetzt Ihr!“ Wieder folg das Seil hinab. Mit schnellen Handgriffen schlang es sich die Jägerin um die Hüfte und hielt sich mit einer Hand an dem Strick fest. „In Ordnung, ich bin soweit!“ Der Druck auf ihre Beine nahm ab, dafür spürte sie, wie sich das Tau um ihren Leib fester zog und unangenehm drückte. Ruck für Ruck wurde sie nach oben gezogen und zum Schluss packte Wulf ihren Arm, um sie das letzte Stück über die Kante zu ziehen. Gemeinsam fielen sie in den Schnee und schnauften völlig entkräftet. Finna kniete sich über Oslaf und versuchte, ihn mit sachten Klapsen gegen die Wangen aufzuwecken.
    Im Liegen wickelte Vesa das Seil von sich ab und setzte sich auf. Der Einäugige lehnte inzwischen erneut an einem Baum. Die andere Frau hockte noch immer bei dem Vierten im Bunde. „Setzt ihn auf, dann kann das Blut sich wieder besser in seinem Körper verteilen“, wies sie Vesana an und kämpfte sich gleichzeitig auf die Füße. Finna tat, wie ihr geheißen und bekam kurz darauf auch von der Kaiserlichen Unterstützung. Wenig später öffnete Oslaf langsam die Augen und versuchte – merklich durcheinander – sich zu orientieren.
    Erleichtert ließ sich die Jägerin zurückfallen und lehnte sich ihrerseits gegen einen Baum. Sie schloss die Lider, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. „Wir stehen in Eurer Schuld“, griff Wulf das Thema von vorher auf.
    „Im Rudel hilft man sich.“ Für sie war es damit erledigt. Sie schaute auch gar nicht erst hinüber zu dem einäugigen Jäger. „Wir sollten zurück zum Lager und versuchen, unsere Kraft zurückzugewinnen.“
    „Oslaf, kannst Du laufen?“ Wulf schaute auf das eingeklemmte Bein des Nords, dessen Hose an der Stelle entsprechend ramponiert aussah.
    „Es sollte gehen.“ Finna half ihm auf, während der Einäugige und die Kaiserliche ihre Sachen einsammelten. Gemeinsam machten sie sich auf und zurück zu ihrem Unterschlupf. Der kahlköpfige Nord mit dem Kranz aus langen Haaren ließ sich von der Nord-Frau stützen, Wulf humpelte neben der zähneknirschenden Vesa. Es würde sich wohl am nächsten Morgen zeigen, ob die beiden Männer in der Verfassung waren, die Jagd fortzusetzen.



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    Geändert von Bahaar (14.06.2013 um 12:58 Uhr)

  2. #2

    Solstheim, nordöstliches Inland

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    Am Morgen nach dem Zwischenfall entschlossen sich die Jäger ihr Unterfangen fortzusetzen. Wulf erholte sich von dem Schlag durch den Ast vergleichsweise schnell und Oslaf meinte, er würde die Zähne zusammenbeißen, wie es sich für einen anständigen Nord gehörte. Allerdings blieb seine Verletzung am Bein ein merkliches Hindernis für ihre Reise und schien sich auch kontinuierlich zu verschlechtern. Es ließ sich nicht ordentlich belasten, der stämmige Mann humpelte stark und er bremste die Gruppe zusätzlich zum weiterhin tobenden Sturm aus. Um ihn nicht zu überstrapazieren legten sie häufige Pausen ein und teilten einige seiner Sachen untereinander auf, damit er nicht so schwer zu tragen hatte – immerhin hatten Finna, Wulf und Vesa diese Regelung durchsetzen können, denn ursprünglich wollte der sture Nord gar keine größere Hilfe annehmen. Nord und ihr kaum zu bändigender Stolz … die Kaiserliche schüttelte darüber nur mit dem Kopf.
    Wesentlich später als eigentlich angestrebt erreichten die Vier schließlich am späten Nachmittag dann das Gebiet östlich des südlichen Endes des Fjalding-Plateaus, in dem sie die ersten zwei Tage ihres Ausflugs zur Jagd innehalten wollten. Sichtlich entkräftet sank Oslaf gegen einen Baum, sein eigenes Felleisen ließ er einfach in den stumpfen Schnee plumpsen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er atmete schwer, Schmerz zeichnete seine rauen, kreidebleichen Züge und die Augen waren ins Leere gerichtet. Vesana ließ sich auf ihrem Tornister etwas Abseits bei einigen Büschen am Rand der Mulde nieder, die sie als Ort für ihr Jagdlager auserkoren hatten. Sie beobachtete den Nord mit der kahlen Schädelplatte genau, wusste sie doch, wofür die Zeichen auf dem Gesicht des Mannes standen.
    Wulf zu sich winkend wandte sich die Kaiserliche nach einigen Momenten des Verschnaufens an den Führer ihrer Gemeinschaft. Der Einäugige kam zu ihr hinüber und wusste offenbar bereits, was die zweite Jägerin im Bunde von ihm wollte, hockte er sich doch gleich neben sie, ohne ein Wort zu sprechen. Gemeinsam schauten sie zum Sorgenkind der Gruppe. „Wie ist es um Eure medizinischen Mittel bestellt?“, wollte Vesana wissen.
    „Wir haben Verbands- und Nähzeug für offene Verletzungen dabei. Auch ein paar Fettsalben gegen die Kälte“, entgegnete Wulf.
    „Hm.“
    „Was denkt Ihr?“
    „Wenn wir nichts unternehmen, wird er uns in spätestens zwei Tagen wegsterben.“
    „Wenn er sich helfen lassen würde, wäre es nicht das Problem.“ Finna reichte Oslaf inzwischen etwas Proviant und Wasser, während sich die beiden anderen unterhielten.
    „Sein Wille ist mir egal. Eure medizinische Ausstattung für eine Reise wie diese ist, was mich beunruhigt.“ Sie erhob sich von ihrem Gepäck und kniete sich neben es, um anschließend darin herumkramen zu können.
    Der Einäugige schaute zu ihr. „So?“
    Vesa holte eine kleine metallene Box und eine Verbandsrolle aus ihrem Felleisen, die Frage ignorierte sie. Kurzerhand schritt sie hinüber zu Oslaf und Finna. Ersterer wandte ihr träge den Kopf zu, Finna blickte mit sorgenvollem Blick auf.
    „Was wollt Ihr damit?“, der Nord wies auf die Sachen in ihren Händen.
    „Euren sturen Schädel weichklopfen.“ Mit Blick auf die Frau setzte die Kaiserliche fort: „Haltet ihn fest.“ Die kräftige Jägerin nickte und griff nach den Armen des Verletzten. Der konnte seinem beharrlichen Willen aber schon gar nicht mehr Ausdruck verleihen. Mehr schlecht als recht sträubte er sich gegen die angeblich unnötige Hilfe. So hatte sie es vorausgesehen und bereits auf der Wanderung geplant. Es brachte nichts, wenn sie sich bei seiner Gegenwehr auch noch selbst verletzte.
    Vesana setzte sich auf die Oberschenkel des Mannes und begann ihm seinen linken Stiefel auszuziehen. Anschließend krempelte sie noch das Hosenbein hoch. Der Unterschenkel schimmerte in kräftigem Rot, bekam aber bereits einen Schimmer von dunklem, fast schwarzem Blau vom Knöchel bis auf halbem Wege zum Knie hoch. „Dachte ich es mir.“ Die Kaiserliche öffnete die Box, in der sich eine Salbe befand. Es handelte sich dabei im Grunde nur um eine verdickte Variante eines Heiltranks mit krankheitshemmenden Wirkstoffen als Ergänzung. Ideal gegen Entzündungen, Blutergüsse, Quetschungen und anderen nicht offenen Verletzungen, die nur durch indirekte Behandlung geheilt werden konnten. Sie rieb die verletzte Stelle großzügig ein, was bei Oslaf für schmerzgequältes Stöhnen und Zucken sorgte.
    „Runter von mir!“, knurrte er. Vesa ließ sich nicht beirren und verbrauchte ein Drittel der Creme. Anschließend verband sie die Stelle noch mit den in einem Heiltrank getränkten Bandagen. Diese doppelte Einwirkung sollte die Entzündung hemmen und dafür sorgen, dass sich der Körper des Nords selbst regenerieren konnte. Anschließend stand sie auf und überließ das Anziehen dem Sturkopf. „Ich will Eure-“
    „Wenn Ihr in drei Tagen noch lebt, könnt Ihr mir danken. Sofern Ihr dann nicht immer noch den Wunsch haben solltet, zu sterben. Falls ja, tut es, wenn wir von der Jagd zurück sind.“ Sie wandte sich ab, ohne den Jäger anzuschauen und verstaute ihre Sachen wieder. Wulf war inzwischen aufgestanden und hatte das Geschehen beobachtet. Jetzt folgte sein Auge der Kaiserlichen, die sich mit schnellen Handgriffen ihr Schwert und die Armbrust auf den Rücken band und den Speer in die Hand nahm. Der Gruppenführer wusste genau, dass sie Recht hatte und die Nord medizinisch ausgesprochen optimistisch, folglich unterausgestattet, waren. Das sah ihm die Kaiserliche am Dank auf den rauen Zügen an. „Ich kundschafte die Gegend nach Spuren aus. Ich bin sicher, dass Ihr das Lager auch zu zweit aufbauen könnt. Wenn nicht: Ich bin nicht allzu lange unterwegs, es wird immerhin bald dunkel.“ Sie wartete keine Reaktion ab, sondern verschwand zähneknirschend direkt im Unterholz.
    Nach einigen hundert Schritten im Dickicht hielt die Jägerin dann inne und atmete tief durch. Ihre Gedanken waren bis dahin alles andere als fokussiert auf das Kundschaften. Die Zähne mahlten kräftig aufeinander, im Bauch stach die Wut um sich wie ein Berserker und vor Zorn rauschte das Blut durch ihre Adern. Kräftig schlug sie mit den Fäusten mehrere Male gegen einen nahen Baum. Schnee rutschte dabei von den nahen Zweigen. Diese dreimal verfluchten Nord und ihre Sturheit! Lieber starben sie, als Hilfe von Fremden anzunehmen. Selbst von Freunden nahmen sie sie nur im letzten Moment an. „Zum Kotzen!“ Nochmals holte sie aus und hämmerte kräftig auf das überfrorene Holz ein, bis ihr die Knöchel schmerzten. Erst dann vermochte sie durchzuatmen und ihr Gemüt herunter zu kühlen.
    Nun da sie sich abreagiert und ihrem Ärger wenigstens etwas Luft gemacht hatte, setzte Vesana ihre Erkundungsrunde konzentrierter fort. Eigentlich mochte es ihr ja gleichgültig sein können, was mit Oslaf geschah, aber wie sie zu Wulf bereits in der Nacht meinte: Im Rudel wurde sich geholfen. Sie jagten zusammen, folglich übernahmen sie Verantwortung füreinander. Genau diese Verantwortung übernahm Oslaf nicht und brachte sie alle in Gefahr. Das wiederum ließ die Kaiserliche wütend werden. Das Problem sollte sich aber in den nächsten Tagen von selbst lösen. Es war nicht das erste Mal, dass Vesana eine derartige Verletzung behandelte und sie hatte schon weitaus schlimmere Stadien gesehen, die dennoch verheilt waren. Der sture Nord würde also durchkommen.
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte die Kaiserliche zum Lager zurück. Wulf kümmerte sich in der windgeschützten Senke um ein kleines Feuer, Finna richtete noch den Unterstand her. Oslaf lag auf der Seite und schien entweder zu schlafen oder einfach nur zu ruhen. Sein verletztes Bein hatten die anderen beiden in eine Decke eingewickelt, der ausgezogene Stiefel stand neben der Schlafunterlage. Der Einäugige schaute auf, als er die Rückkehrerin bemerkte und nickte ihr zum Dank und Gruß zu. Vesana grüßte zurück, entledigte sich ihrer Waffen und breitete die eigenen Schlafsachen am Rand des Unterstandes aus. Zum Abschluss setzte sie sich auf einen dicken Ast neben die kleine Feuerstelle und schaute gedankenverloren in die Flammen. In Verbindung mit der einkehrenden Ruhe trugen sie sie allmählich fort in andere Zeiten.
    „Habt Ihr etwas entdeckt in der Umgebung?“, wollte Wulf wissen. Er saß ihr gegenüber und schaute über die lodernden, knisternden Lohen zu ihr hinüber. Die leuchtenden Zungen zwischen ihnen formten immer wieder Teile eines vertrauten Gesichtes.
    „Nein. Wenn da draußen jemals Spuren gewesen sind, hat sie der Sturm längst verweht.“ Sie schloss die Augen und beugte sich näher an das Feuer heran, so dass dessen Wärme die ausgetrockneten, kalten Gesichtszüge wärmen konnte. Das Kinn ruhte auf den zusammengefalteten Händen, die es über die Arme auf den Knien abstützten. So verharrte sie.
    „Dann müssen wir wohl auf gut Glück morgen losziehen“, mischte sich Finna ein, die sich dem Klang nach zu urteilen ebenfalls auf einen Ast setzte und die Hände zum Aufwärmen an die Flammen hielt. Sie wandte sich an Vesa: „Habt Dank für Eure Hilfe von vorhin.“
    Die Kaiserliche schaute nicht auf, ihre Gedanken glitten durch die glühenden Flammen hindurch und an andere Orte. Sie registrierte die Worte, aber sie drangen kaum an ihren Geist heran, mehr nur ein leises Flüstern im Hintergrund. Sie musste an einen weiteren Sturkopf denken, der für eine Weile Teil ihres Lebens gewesen war. „Dankt mir nicht“, erwiderte Vesana nach einer lang gedehnten Pause. „Geht mit diesem Starrkopf ins Gericht.“ Erst dann öffnete sie die Augen und erhob sich. „Wir sollten die Nachtwache dreiteilen. Keine unnötigen Expeditionen“, wandte sie sich an Wulf. Dieser schaute auf und gab durch ein Wippen des Kopfes seine Zustimmung kund.
    Danach verschwand die Kaiserliche in den Unterstand und bereitete sich für die Nacht vor. Immer wieder hielt sie in ihren Bewegungen inne und griff mit der Rechten an die Stelle des Hirschkopfamuletts, das unter der Kleidung verborgen lag. Kleine Tränen liefen ihr aus den Augenwinkeln. Zum Stechen in der Brust gesellte sich alsbald Wut auf sie selbst. Fast schon aggressiv wischte sich die Jägerin die Nässe von den Wangen. „Scheiße!“, zischte sie leise, so dass es niemand hörte, und deckte sich zu.



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    Geändert von Bahaar (21.06.2013 um 09:32 Uhr)

  3. #3

    Solstheim, nordöstliches Inland

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    Nach einer unruhigen, stürmischen Nacht hatten sich die drei gesunden Jäger aufgemacht. In den diffusen Lichtverhältnissen zwischen den dichtstehenden, hohen Bäumen suchten sie nach Spuren im Schnee. Allerdings diente ihr Ausflug eher dazu, sich einen koordinierten Überblick über die Umgebung zu verschaffen, denn tatsächlich schon mit Beute zum Lager zurückzukehren. Der Sturm tobte unverändert mit brachialer Härte und verwehte ihre eigenen Spure vor ihren Augen. Sie hatten mehr damit zu kämpfen, überhaupt voranzukommen und die kleinsten Öffnungen in ihrer Kleidung abzudichten, als dass sie sich darauf konzentrieren konnten, Wild zu erspähen. Dieses würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin an geschützten Stellen versteckt halten und abwarten, bis der Wind nachließ. Vesana hielt sich die rechte Hand vor den unteren Teil ihres Gesichtes, hielt Gjalunds Tuch fest und drückte die Linke gegen die rechte Seite. Weit vorgebeugt trat sie in den Spuren Wulfs, der für den Moment die Führungsarbeit in dem tiefen Schnee übernahm.
    An sich bot das Gelände in dieser Region der Insel ideale Jagdbedingungen. Dichtstehende Bäume, dichtes Unterholz, viele Felsen und zahllose Senken und Furchen im Relief. Tiere ließen sich hier gut lenken und in gewünschten Bahnen direkt in eine Falle treiben – Verstecke gab es jedenfalls genug. Wäre da nicht der Sturm. Es hatte noch nicht einmal Sinn irgendetwas vorzubereiten, weil die Gruppe überhaupt nicht wusste, wo und wie viele Beutetiere sich in der Region aufhielten. Ganz zu schweigen davon, dass eventuell errichtete Fallen vermutlich nach einigen Stunden sowieso zugeschneit, unbrauchbar und unauffindbar sein würden. Manchmal konnte eine Jagd sehr frustrierend sein, aber jeder von ihnen wusste aus Erfahrung, dass es eben mal so, mal so kommen konnte. Sie ließen sich davon also nicht beirren oder gar einschüchtern, sondern nutzten die Zeit so gut es ging.
    Wenigstens etwas Feuerholz fanden sie. Durch die Temperaturen war das Holz trotz seines gefrorenen Zustandes einigermaßen brauchbar, wenn man im Besitz des nötigen Werkzeuges war. Glücklicherweise sah sich die Kaiserlicher in der Position genau das behaupten zu können – die glühenden Steinsplitter, die sie noch am ersten Tag ihrer Wanderung durch die Aschewüste im Süden gefunden hatte, entpuppten sich als herausragend für diese Aufgabe. Wulf meinte, es handelte sich bei ihnen um Splitter so genannter Herzsteine, die es seit dem Ausbruch des Roten Berges überall im Süden der Insel zu geben schien. Abgesehen davon trieb die Kälte ohnehin die Nässe aus den Fasern des Holzes, so dass es tatsächlich sehr trocken war und sich – genügend Geduld vorausgesetzt – auch mit normalen Werkzeugen entzünden ließ. Sie luden sich jeder so viel auf, wie sie zu tragen vermochten, und kehrten schließlich am Nachmittag zu ihrem Lager zurück.
    Oslaf wartete bereits und hütete das kleine Lagerfeuer in der windgeschützten Senke. Sie hatten ihm Ruhe auferlegt und so musste er den Tag über im Unterstand verweilen und die häuslichen Pflichten der Lagerwacht übernehmen. Die Kaiserliche setzte sich direkt auf einen der mitgebrachten Äste ans Feuer, zog sich das gefrorene Tuch vom unteren Teil des Gesichtes und hielt die Hände gegen die Flammen. Die Wärme tat gut, fror doch trotz ausgezeichneter Ausrüstung so ziemlich jedes Körperteil, das sie einzeln benennen konnte. Kleine Wölkchen standen vor ihrem Gesicht und verpufften erst, als sie in direkten Kontakt mit den Lohen kamen. Das Zittern in den Gliedern und die Taubheit derselben ließen nur sehr langsam nach. „Irgendwas gefunden?“, wollte Oslaf wissen, der sichtlich Frust schob, weil sie ihm Hausarrest auferlegt hatten.
    „Nichts“, entgegnete Finna.
    „Der Sturm ist einfach zu stark. Da draußen bewegt sich nichts“, ergänzte Wulf. „Du hast also nichts verpasst.“ Der beruhigend gedachte Zusatz sorgte nur für ein verächtliches Schnaufen und anschließendes Schweigen. Vesana verspürte keinerlei Bedürfnis sich in diese Unterhaltungen einzuklinken. Es bestand auch keine Notwendigkeit dafür. Ihr Standpunkt blieb unverändert und alle kannten ihn seit dem vorigen Abend. Mit dem Einbruch der Dunkelheit versammelten sich dann alle Vier um das knisternde Feuer. Das leise Knacken der Glut und Fauchen der Flammen wurde überwiegend vom starken Wind verschluckt. Die Wärme ließ sich bald kaum mehr wahrnehmen, zu gewaltsam erstickte die Kälte alles Leben. Keiner von ihnen würde so noch lange ausharren, wenn er nicht gerade Wachdienst schob. Bevor sie sich jedoch zur Ruhe begab, kramte Vesa noch einmal ihre Heilsalbe aus ihrem Tornister.
    „Hier“, sie warf die Schachtel Oslaf zu, der sie im letzten Moment vor der Brust fing, „ich bin sicher, Ihr wisst, wie Ihr Euch eincremen müsst. Seid großzügig. Den Verband könnt Ihr noch einmal verwenden.“ Er widersprach schon gar nicht mehr, weil drei Augenpaare eindringlich auf ihm ruhten. Murrend und knurrend tat er, wie ihm geheißen. Durch das Feuer vermochte die Kaiserliche zwar nicht zu erkennen, wie die Verletzung des Beines aussah, aber da der kräftige Nord insgesamt schon einen wesentlich besseren Eindruck erweckte – die Haut weniger blass, weniger Schweiß und Talg, reduziertes Zittern und Schütteln – ging sie davon aus, dass die Behandlung anschlug. Finna wollte dem sturen Jäger helfen, doch der scheuchte sie mit hastigen, wild fuchtelnden Bewegungen der Arme weg.
    „Ich kann das selbst!“, blaffte er. „Hier.“ Nach Beenden der Handgriffe reichte er Vesana die Salbe zurück. Sie verstaute sie und verkroch sich nach Einteilung der Nachtwache im Unterstand. Die drei Nord unterhielten sich einige Zeit länger, aber sie hörte nicht hin. Es ging ohnehin nur um Belange des Dorfes, die die Kaiserliche nicht zu interessieren brauchten, also schloss sie die Augen und rollte sich unter ihrer Decke zusammen.

    Über Nacht ließ der Sturm endlich nach und am Morgen schien sogar die Sonne. Die Temperaturen stiegen merklich in die Höhe, blieben aber weiterhin weit unter dem Gefrierpunkt. Dennoch empfanden es alle als Segen verglichen mit den letzten Tagen. Oslaf blieb erneut zurück, während die übrigen sich auf Wanderschaft in der Umgebung begaben. Überall ließ sich beobachten, wie sich die Natur nach dem schweren Unwetter allmählich wieder aufrichtete. Vom Schnee herabgedrückte Äste warfen einen Teil ihrer Last ab, Spuren von Kleintieren zeichneten sich zwischen den Pflanzen ab und führten von Gebüsch zu Gebüsch. Abgerissene Zweige und Äste wurden von Bodenbewohnern davon geschleift und für Reparaturen an ihren Behausungen genutzt. Der Anblick all der Zeichen des Lebens gab Kraft. Und dann verbuchten die Jäger auch endlich den ersten Erfolg seit Tagen.
    Ein hochbeiniges Huftier hatte sich erst vor kurzem einen Weg durch den Wald gebahnt. Der schneefreien Schneise an den unteren Ästen der Nadelhölzer nach zu urteilen musste es sich um einen großen Hirschbullen handeln. Sie nahmen die Verfolgung auf und hielten sich in der Spur des Tieres, um einfacher voranzukommen. Schnell wollten die drei gar nicht so unbedingt sein, barg es doch immer die Gefahr, das Tier durch Laute zu verschrecken. Manchmal mochte der Unvorsichtige auch weitere Spuren verpassen und plötzlich einem Bären in die Fänge laufen, der das eigentliche Beutetier eher erreicht hatte. All das war Vesana – und sicher auch den anderen Jägern – bereits das eine oder andere Mal passiert. Besonders wer über noch wenig Erfahrung verfügte, steigerte sich schnell ekstatisch in das Jagdfieber hinein und beging Fehler. Allerdings sollte es ihrer Einschätzung nach bei ihr und den zwei Nord nicht mehr dazu kommen.
    Immer wieder hielten die drei inne und lauschten auf die Umgebung. Leises Knirschen oder Rauschen im Schnee legte Nagetiere nahe, die sich unter der Schneedecke fortbewegten. Manches Mal gesellten sich auch unter der weißen Last brechende Äste dazu. Leichte Windböen flüsterten zwischen den Zweigen und bliesen den lockeren Schnee von den Nadeln herab. Wie Sternenstaub glitzernd rieselten die Flocken dann zu Boden. Die Spur selbst blieb kaum verändert gut erkennbar und führte im Zick-Zack durch den Wald. Hin und wieder wurde sie von aufgewühlten Arealen unterbrochen, in denen der Hirsch wohl nach Nahrung unter der geschlossenen Decke gesucht hatte. Erkennbare Zeichen von möglichen Räubern in der Nähe fanden die Jäger jedoch nicht. Sie setzten ihre Verfolgung aber dennoch stets mit gebotener Vorsicht fort.
    Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sie schließlich animalisches Schnaufen eines größeren Tieres unweit vor sich vernahmen. Die Quelle verbarg sich noch hinter einigem Geäst, aber dem Klang nach konnte es sich nur um den verfolgten Hirsch handeln. Die Windstille spielte den Jägern in die Hände, ihr Geruch wurde der anvisierten Beute nicht zugetragen und so blieben sie unbemerkt. Auch dann noch, als sie sich leise hinter einer Gruppe von Büschen verbargen und bedacht durch die Zweige spähten. Zur Anspannung gesellte sich nun auch eine größere Brise Aufregung. Das Ziel in Reichweite, die Bedingungen optimal – das ließ das Herz eines jeden Jägers höher schlagen. Die Atmung beschleunigte sich leicht, der Puls schwoll an und vertrieb die Kälte aus den Fingern. „Ihr sollt den Schuss erhalten, Nevara“, flüsterte Wulf. Vesa nickte nur und nahm die Armbrust von ihrem Rücken. „Finna und ich kreisen den Bullen ein und decken die möglichen Fluchtrichtungen.“ Mit diesen Anweisungen trennte sich die Gruppe auf, die andere Frau beschrieb linkerhand eine Kreisbahn, der Einäugige rechterhand. Die Kaiserliche legte inzwischen zwei Bolzen auf und spannte vorsichtig, um den Hirsch nicht durch laute Geräusche zu alarmieren, die Sehne. Zwar würde sie so weniger präzise sein, auf die kurze Entfernung machte das aber keinen Unterschied, und konnte dafür gleichzeitig mit einem Schuss zweifachen Schaden anrichten.
    Den linken Fuß setzte sie auf den Boden, ging auf das rechte knie hinab und hielt die Armbrust schräg nach unten vor sich. Gedanklich ging Vesana in den Momenten des Wartens mögliche Ausgänge der folgenden Geschehnisse durch. Der Bulle – ein wahres Prachtexemplar mit imposantem Geweih, hohen Beinen und einem kräftigen Körper mit gepflegt wirkendem, dunklem Fell – konnte nur leicht verletzt werden und panisch durchgehen. Das wäre der gefährlichste Ausgang, vor allem für die beiden Nord, die dem Tier dann im Weg stehen würden. Die Jägerin mochte ihn aber auch direkt so schwer verletzten, dass er zusammenbrach und sie ihm nur noch einen Gnadenstoß versetzen mussten. Vielleicht verlor er aber auch in der Panik einfach die Orientierung unabhängig der möglichen Verletzungen und wäre weiterhin in Reichweite für nachfolgende Schüsse mit der Armbrust. Was wohl niemand von ihnen hoffte, aber dennoch denkbar schien, war das plötzliche Auftauchen eines Raubtieres, das ihnen die Jagdbeute streitig machen wollte. Allerdings gab es dafür zumindest bislang keine Hinweise.
    Kurz darauf musste sie ihre Überlegungen und Abwägungen aber auch schon einstellen. Wulf tauchte kaum erkennbar in der Nähe eines Baumes auf der anderen Seite der kleinen Lichtung auf, die der Hirsch zum Weiden nutzte, und winkte. Das Zeichen, zu beginnen. Nur angedeutet sah sie, wie er seinen Speer abwehrbereit vor sich hielt. Vesana selbst erhob sich nun leicht und schaute über den Busch, der ihr Deckung geboten hatte. Sie stand im toten Winkel schräg hinter dem Bullen, so dass dieser sie nicht bemerkte und ihr einigermaßen genug Zeit zum Anvisieren blieb. Die Luft hielt sie an und ließ sie erst heraus, als sie abdrückte. Mit einem lauten, mechanischen Klicken löste sie den Mechanismus aus. Ein kräftiger Ruck fuhr durch die Waffe, als die bis aufs Äußerste gespannte Sehne nach vorne schnellte und die Spannung in den Vorwärtstrieb der Bolzen umwandelte. Surrend flogen die Geschosse durch die Luft.
    Keinen Lidschlag später endete das scharfe Schneiden abrupt und mündete in einem gepeinigten Stöhnen des Hirschs. Einer der Bolzen traf ihn in die Schulter und schien das Gelenk direkt durchschlagen zu haben. Das Tier lahmte mit dem rechten Vorderlauf, als es sich panisch versuchte zu Drehen und die verletzte Seite von der Quelle des Angriffs abzuwenden. Der Zweite traf weniger effektiv etwas nach unten versetzt in die Brust. Es kam zum dritten, vorher in Erwägung gezogenen Ausgang. Der Bulle drehte sich orientierungslos im Kreis und zog das verletzte Bein nach. Gleichzeitig sprangen Finna und Wulf mit den Speeren drohend erhoben aus den umliegenden Büschen und vollführten Stiche in die Luft, um das Tier von einer Flucht abzuhalten. Es direkt anzugreifen wäre auch höchst töricht gewesen, denn es hätte schon ein einziger Treffer mit dem Geweih gereicht, um die Jäger schwer zu verletzen.
    In der Zwischenzeit legte Vesana einen weiteren Bolzen auf und spannte die Armbrust neu. Als der Hirsch wieder in ihre Richtung schaute, hatte sie die Waffe bereits im Anschlag und schoss erneut. Der kurze Schaft verschwand vollkommen von vorn in der Brust des Tieres. Dieses wurde augenblicklich träge in seinen Bewegungen. Die Augen verloren an Glanz, glitten langsamer werdend über die Umgebung. Die lange Zunge baumelte schlaff wie ein Lappen aus dem Maul. Mit den Füßen fand es nur noch wenig Halt und konnte sie auch kaum noch heben. Sie schürten mehr nur noch durch die lockere Schneedecke, die sich zunehmend mit dem Blut der Jagdbeute rot einfärbte. Der Todeskampf des Bullen endete, als er kraftlos zusammenbrach und sein massiger Leib zu Boden fiel, wie ein voller Sack Kartoffeln aus einem Regal. Die drei Jäger hielten jedoch noch einige Momente respektvollen Abstand bis sich nicht einmal der Brustkorb hob und senkte, bis auch kein Blut mehr aus den Verletzungen quoll.
    Vesa befestigte die Armbrust auf dem Rücken und kniete sich als erste neben ihren ersten Jagderfolg, während die beiden Nord noch einen prüfenden Blick über die Umgebung schweifen ließen und erst dann die Speere in den Boden rammten. Die Kaiserliche barg die zwei Bolzen in der Flanke des Hirsches, sie ließen sich noch wiederverwenden, den dritten würde sie erst nach Zerlegen der Beute bergen können. „Gut geschossen“, lobte Wulf und half dabei, den gut und gerne fünfhundert Pfund schweren Koloss transportfähig zu machen, damit sie ihn später im Lager ausschlachten konnten. Das Tier würden sie kaum im Ganzen über längere Strecken transportieren können. Sie mussten alles überflüssige Gewicht – vor allem die Knochen – zurücklassen, wenn sie noch etwas mehr Fleisch mit zum Dorf zurückbringen wollten.
    „Kinderspiel“, entgegnete Vesana schließlich, als sie den Bullen soweit hatten, dass sie ihn zu Oslaf und dem Unterstand bringen konnten. Es dauerte sicher noch einmal doppelt so lange wie die eigentliche Jagd, bis sie letztlich am Nachmittag auch dort ankamen. Der sture Nord mit kahler Schädelplatte erwartete sie bereits und wirkte verglichen mit den drei schwer keuchenden Rückkehrern sogar ausgesprochen frisch und ausgeruht. Einen neidischen Blick vermochte er nicht zu unterdrücken, als sie mit dem toten Tier durch die Büsche kamen und es am Rand der Senke ablegten.
    „Du weißt, wie Du Dich beschäftigen kannst, Oslaf.“ Wulf warf dem Langbärtigen ein Lederbündel zu, aus dessen einen Ende mehrere schlanke Messergriffe herausschauten. Der Angesprochene nickte nur und machte sich daran, den Hirsch zu zerlegen. Vesana überlegte kurz, ob sie ihn auf den noch in der Brust steckenden Bolzen hinweisen sollte, unterließ es dann allerdings. Er würde es schon selbst herausfinden. Stattdessen entledigte sie sich ihrer Waffen und legte sie auf ihren Tornister, der sich neben ihrer Schlafstatt im Unterstand befand. Anschließend ließ sie sich rücklings auf die Leder- und Fellunterlage mit der Decke darauf fallen und schloss die Augen. Die Hände platzierte sie flach auf dem Bauch und atmete tief ein und aus. Gedanklich rekapitulierte die Kaiserliche noch einmal das Jagdgeschehen ab dem Zeitpunkt, ab dem sie die Spur des Bullen aufgenommen hatten bis zu seinem letzten Atemzug. Auch nach ihrer Analyse blieb der Tag fehlerfrei, eine perfekt gelungene Jagd. Niemand hatte sich verletzt, das Tier musste nicht unnötig lange leiden und es brachte genug Fleisch für zwei kleinere Beutetiere, so dass sie sich alles in allem sehr zufrieden geben konnten.
    Als sie sich wieder erhob, wühlte Oslaf bis zu den Ellenbogen im Rumpf des Hirsches herum und entnahm ihm die Eingeweide eines nach dem anderen. Der Schnee triefte rot, ebenso seine Hände und Unterarme. Beutel lagen neben dem knienden Nord auf dem Boden, sie beinhalteten die essbaren Organe wie Leber und Herz. Die anderen stapelten sich auf einer Lederunterlage. Sie würden am Ende irgendwo im Wald landen, um als Ablenkung für Räuber zu dienen bis der Rest mit samt dem Blut auf dem hellen Grund gefroren war und sie nicht mehr durch seinen Geruch anlocken konnte. Die knöchernen Rückstände würden sie auch irgendwo im Unterholz entsorgen – zumindest soweit sie nichts davon sofort verwerteten. Finna und Wulf saßen am wie gewohnt klein gehaltenen Feuer, wärmten sich die Hände und sprachen miteinander über die Jagd sowie die nächsten Tage. Vesana gesellte sich dazu.
    „Ah, da seid Ihr ja“, meinte der Einäugige, als er sie bemerkte.
    „Da bin ich“, erwiderte sie nur und setzte sich.
    „Eine gute Jagd, die wir da heute geführt haben“, stellte Finna fest.
    „Zu dem Ergebnis bin ich auch gekommen. Hoffen wir, dass unser Glück so anhält.“ Die Kaiserliche rieb sich mit etwas Schnee das vom Schweiß verklebte Gesicht ab und trocknete es in der wärmenden Aura der Flammen.
    „Wir sind gerade dabei gewesen, die nächsten Tage zu planen. Mit dem frischen Fleisch wäre es wohl am sinnvollsten, wenn weiterhin einer im Lager bleibt und zumindest etwas auf Räuber achtet.“ Wulf legte eine kurze Pause ein, während der er einen neuen Ast ins Feuer legte. „Nicht, dass der sich mit einem ausgewachsenen Bären anlegen soll, aber es gibt auch kleinere Futterdiebe hier.“
    „Sicher nicht Oslaf, er würde uns dafür bestimmt jedem einzelnen die Glieder umdrehen“, entgegnete Vesana. Die beiden Nord lachten.
    „Ganz recht, das würde ich tun!“, brummte der Kahlköpfige aus dem Hintergrund. Die Kaiserliche schmunzelte leicht, die anderen beiden lachten abermals.
    „Finna hat sich bereits freiwillig gemeldet, sofern Ihr nicht um jeden Preis hier bleiben möchtet, würde sie es übernehmen.“
    „Nein, einverstanden“, stimmte Vesa zu. Für den Rest des Abends hielt sich die Jägerin dann wie gewohnt eher aus den Gesprächen zurück. Oslaf gab ihr noch die in zwei Teile zerbrochenen Reste ihres Bolzens zurück, nur die stählerner Spitze behielt sie, ansonsten sah die Kaiserliche kaum Anlass, sich in die Alltagsgespräche der Nord einzumischen. Sie begleitete die drei für die Jagd, nicht um Geschichten zu erzählen.



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    Geändert von Bahaar (28.06.2013 um 10:19 Uhr)

  4. #4

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Der nächste Tag der Jagd verlief trotz der weiterhin optimalen Bedingungen recht erfolglos. Zwar nahmen Oslaf, Wulf und Vesana gelegentlich die Spur eines Huftieres auf, aber die verliefen stets im Leeren, weil sie entweder zu weit vom Lager wegführten, oder andere Fährten kreuzten und sich so kaum noch die eigentliche Laufrichtung des Tieres feststellen ließ. Besonders Oslaf frustrierte das. Zwei Tage hatte er aussetzen müssen und dann, als er endlich wieder teilnehmen durfte, blieben sie ohne Erfolg. Wulf und Vesana nahmen die Situation wesentlich gelassener. Vor allem die Kaiserliche rollte häufiger mit den Augen und schüttelte sacht den Kopf. Wie ein zu groß geratenes Kind, so verhielt sich der Nord. Zumindest manchmal und nach Vesas Einschätzung, der Einäugige ignorierte es einfach.
    Am Nachmittag kehrten die drei ohne Beute zurück zum Lager. „Nichts?“, fragte Finna nach einer kurzen Begrüßung.
    „Nein. Die meisten Spuren führen zu weit vom Lager weg oder sind nicht eindeutig genug“, erklärte Wulf. „Wir sollten daher wohl morgen den Aufstieg zum Fjalding-Plateau machen. Vielleicht sieht’s da oben besser aus. Einige Spuren führten auch in diese Richtung.“
    „Klingt nach einem guten Plan. Dafür gibt es heute wenigstens frischen Fuchs!“ Die Nord barg ein weiß-graues Fellbündel aus dem Unterstand und hielt es am Schwanz hoch. „Der kleine Racker wollte sich an unserem Hirsch vergreifen. Da wir wohl alle mal ein bisschen Abwechslung zum Trockenfleisch und Brot gebrauchen könnten, ohne dass wir gleich die Vorräte für das Dorf antasten, kommt der sicher ganz gelegen.“
    „Ha! Dieses Weib, ist sie nicht großartig?“ Oslaf freute sich. Wulf lächelte, Vesa entledigte sich nur ihrer Waffen. Am Abend saßen sie gemeinsam um das Feuer und genossen das frisch über den Flammen gegrillte Fleisch. Es war zwar nicht viel an dem kleinen Futterdieb, aber immerhin eine gute Ergänzung und Abwechslung, wie es Finna bereits so schön gesagt hatte.

    Mit den ersten Strahlen der Sonne in den Wipfeln der Nadelbäume brachen die vier auf. Der Aufstieg zum Fjalding-Plateau gestaltete sich als langwieriger, anstrengender und nicht ganz ungefährlicher Prozess. Immer wieder trat einer von ihnen lockere Schneewehen auf dem steilen Pfad los, die unterwegs anschwollen und als kleine Lawinen die Hänge hinabdonnerten. Der Sturm und starke Schneefall hatten das Gebiet zu einer wahren Brutstätte für den weißen Tod werden lassen. Wenigstens blieb es sonnig und einigermaßen windstill, da sie in der offenen, steilen Wand wesentlich exponierter waren, als noch zwischen den Bäumen. Immerhin erreichten sie zum frühen Nachmittag schließlich flacheres Terrain, auf dem sich der Wald fortsetzte. Die Tatsache, dass sie schon nach wenigen hundert Schritten zwischen den Bäumen die ersten Spuren von Leben entdeckten, einige davon gehörten zweifelsohne wieder zu Wild, sorgte für Freude. Zwar schienen es keine so großen Exemplare, wie der Hirsch vor zwei Tagen zu sein, aber das mussten sie auch nicht.
    Insgesamt verlief es für die Gruppe ausgesprochen ruhig. Sie suchten eine möglichst geschützte Stelle für ihr Lager und erkundeten nach dem Aufbau noch ein wenig separat die Umgebung, ohne bereits aktiv nach Beute zu suchen. Vielmehr verschafften sie sich einen Überblick, orientierten sich und zählten unterschiedliche Spuren, um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie ergiebig das Gebiet sein mochte. Den Abend nutzten die vier vor allem dazu, sich möglichst gut von der anstrengenden Wanderung zu erholen, um für den nächsten Jagdtag ausgeruht zu sein.
    „Wir sollten morgen vorsichtig sein“, befand Finna, als sie in der früh hereingebrochenen Dunkelheit noch um ihr Feuer saßen. „Ich habe vorhin eine Bärenfährte entdeckt. Zwar führte sie nach Norden, aber sie war noch recht frisch und wenig verschüttet.“
    „Eine Wolfsspur habe ich auch gesehen“, ergänzte Vesana. „Richtung Westen. Aber das Pack war relativ schnell unterwegs. Ich glaube nicht, dass sie uns morgen in die Quere kommen werden.“
    „Was glaubt Ihr, wie viele es waren?“, wollte Wulf wissen.
    „Schwer zu sagen. Die Perlenschnur“, so bezeichnete sie den Pfad des Packs, wo ein Leittier die Vorarbeit leistete und der Rest in der gezogenen Spur folgte, „lässt vermuten, dass sie sich auf Wanderschaft befinden und den Pass im Westen im Visier haben. Einzelne Tiere ließen sich da nicht ausmachen. Ich schätze aber anhand der Tiefe und den hin und wieder nicht perfekt ineinander gesetzten Fußabdrücken, dass das Rudel vier bis fünf, vielleicht auch sechs Mitglieder umfasst.“
    „Hm, stellt sich die Frage, warum sie dorthin ziehen, wenn es hier den Zeichen nach zu urteilen genug Beutetiere gibt“, überlegte Oslaf.
    „Möglicherweise haben sie sich bereits eine Weile hier aufgehalten und patrouillieren nun weiter durch ihr Revier. Vielleicht wurden sie aber auch von einem anderen Räuber“, die Kaiserliche nickte in Richtung Finna, „zum Beispiel unserem Bär hier – aufgeschreckt und verscheucht. Ehe sie sich mit dem um die Beute hier streiten und ein Rudelmitglied im Revierkampf verlieren, gehen sie ihm lieber aus dem Weg. Nicht zuletzt sind Wölfe ausgesprochen intelligent und zu Risikoabwägungen durchaus in der Lage. Der Bär ist nicht für immer hier, auch er zieht weiter. Sie können also auch später zurückkehren.“
    „Würde Sinn machen“, wandte Wulf ein. „In jedem Fall sollten wir morgen auf der Hut sein. Das Fleisch ist inzwischen gefroren, so dass es keine Tiere mehr anlocken kann. Ich würde ungern jemanden allein im Lager zu dessen Bewachung oder für längere Zeit weit abseits davon durch den Wald streifen lassen. Mit Bären- und Wolfsspuren in der Umgebung erscheint es mir zu riskant, länger einzeln unterwegs zu sein.“ Die übrigen Jäger der Runde nickten zustimmend.
    „Auch sollten wir wieder zu zweit Nachtwache halten“, schlug Vesana vor und erntete ebenfalls Zustimmung.

    Im Morgengrauen am darauffolgenden Tag begann das Spiel von vorn. Wulf bereitete als erster den Weg an der Spitze der Gruppe, die anderen folgten in seiner Spur. Sie brachten Unruhe in die Idylle des friedlich daliegenden Waldes, zerrissen das seidige Tuch des kalten Friedens der morgendlichen Stunden. Der Dampf stand ihnen vor den Gesichtern, die kalten Ohren lauschten auf jedes Geräusch, die Augen glitten über das funkelnde Weiß, die Füße versanken im Pulver auf dem Boden. Sie legten Wert auf leise Bewegungen und warfen lieber einen Blick zu viel auf einen Busch, als einen zu wenig. Mit dem Gedanken an die Spuren der Räuber im Hinterkopf wollten sie kein Risiko eingehen. Nicht zuletzt hatten sie sich auch genau deswegen schlussendlich dagegen entschieden, sich in zwei Gruppen à zwei Leuten aufzuteilen, und pirschten stattdessen alle gemeinsam durch das Unterholz.
    Bereits sehr zeitig kündigte sich an, dass es wohl ein erfolgreicher Tag werden würde. Es dauerte nicht lange, bis die vier die Fährte einer Rotte von Rehen aufspürten. „Sieht nach fünf Tieren aus. Vielleicht auch sechs, wenn irgendwo hinter den Büschen noch ein Streuner unterwegs ist“, befand Vesana, die im Schnee neben einem Dunghaufen kniete, mit den freien Fingerspitzen erst eine der markten Paarhufspuren nachfuhr und anschließend einen Kotklumpen zwischen Daumen und Zeigefinger nahm. „Noch nicht gefroren“, meldete sie und schaute auf zu den drei Nord, die sich im direkten Umfeld positioniert hatten.
    „Gut, wir teilen uns auf, bleiben aber in Rufreichweite. Oslaf, Finna, ihr nehmt das Unterholz links der Spuren. Nevara, Ihr übernehmt mit mir die rechte Seite.“ Der wesentlich größere und kräftigere Nord übernahm abermals die Führungsarbeit und bereitete die Schneise für die kleinere, zierlichere Kaiserliche. Zwar fühlte sie sich nicht darauf angewiesen, hinderte ihn aber auch nicht aktiv an seiner Arbeit. Solange er es machen wollte und konnte, sollte er es ruhig. Schon kurze Zeit später stießen die Jäger auf eine Lichtung und die auf ihr nach Nahrung wühlenden Rehe. Ihre Zahl bemaß sich in der Tat auf fünf, eine erkennbar ältere Kuh mit dunklerem Fell, die ansonsten aber noch einen kraftvollen Eindruck erweckte, führte die Gruppe an. Der Einäugige und seine Begleiterin knieten sich in die Deckung zweier dicht stehender Bäume und die sie umgebenden Büsche. „Zwei der jüngeren Tiere?“, fragte der Nord.
    „Ja. Wenn wir die Leitkuh erwischen, zerstreut sich die Rotte möglicherweise und verendet orientierungslos.“ Wulf nickte zustimmend. Die Kaiserliche spähte aus der Deckung heraus und suchte das Geäst auf der gegenüberliegenden Seite der freien Fläche nach ihren beiden Kumpanen ab. Sie fand sie ebenfalls hinter einem Baum hervorschauend. Über Handzeichen und mittels Kopfnicken und -schütteln gab sie Finna zu verstehen, welche der Tiere der Gruppe sie als Ziele ins Visier nehmen würden. Wieder einmal kam ihnen dabei auch die Windstille zugute. Die vier Jäger verhielten sich ruhig und bewegten sich nur wenig, so dass die Rehe weder durch Geräusche noch durch Geruch alarmiert werden konnten. Erst als Wulf seinen Bogen und Vesana ihre Armbrust bereithielt, stieg die Anspannung. Beide visierten unterschiedliche Tiere an. Die Kaiserliche zielte auf die Hüfte eines weiter entfernt stehenden Rehs, Wulf übernahm ein näheres. Fast simultan ließ der eine die Sehne los und löste die andere den Mechanismus aus. Surrend fanden die Geschosse ihr jeweiliges Ziel. Der Bolzen ließ das seine lahmen, der Pfeil brachte mit einem Treffer in die Brust das unausweichliche Todesurteil. Während die Leitkuh und die zwei anderen Tiere geräuschvoll und panisch die Lichtung verließen, blieb das verwundete Reh zurück. Oslaf streckte es mit einem Speerstich in die Brust nieder.
    Wulf und die Kaiserliche hielten sich ebenso wie Finna weiterhin in Deckung und lauschten auf die Umgebung. Erst als sie sich sicher fühlten, dass keine Raubtiere in der Umgebung von den Geräuschen des Todeskampfs der Rehe angelockt worden waren, entspannten sie sich und leistetem dem langbärtigen Nord auf der Lichtung Hilfe beim Verarbeiten der Beute. Sie entschieden sich dazu, diese an Ort und Stelle transportfähig zu machen. Auf diese Weise blieb ein lockender Rest für potenziell doch noch aufkreuzende Räuber zurück, der sich in sicherer Entfernung zum Lager befand. Da der einäugige Nord stets die Führungsarbeit übernahm, erklärte sich Vesana dazu bereit eines der ausgenommenen Rehe zu tragen. Sie legte es sich wie Oslaf quer über die Schultern und packte es an den Vorder- und Hinterläufen, damit es nicht herunterfiel.
    „Wir sollten morgen die Reise zurück zum Dorf antreten. Wir haben genug Beute für einen Jagdausflug“, befand Wulf, als sie bei ihren restlichen Sachen eintrafen. Die Tiere legten sie zum Fleisch des Hirsches, dass sie mit Ausnahme der Schenkelstücken in großen Einzelteilen in lederne Beutel verpackt hatten. An Vesa gewandt, setzte er fort: „Außerdem bin ich sicher, dass Ihr inzwischen darauf brennt, Eure eigene Jagd fortzusetzen.“ Sie schenkte ihm ein schwaches, schiefes Lächeln, setzte sich an die Feuerstelle und beobachtete Oslaf dabei, wie er die Flammen mit den Herzsteinsplittern neu entfachte. „Zumindest habt Ihr Euch diese verdient.“ Der Einäugige setzte sich zu ihr.
    „Es freut mich, dass Ihr das so seht“, erwiderte die Kaiserliche und verlor sich in den schnell emporzüngelnden Lohen.



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    Geändert von Bahaar (05.07.2013 um 10:23 Uhr)

  5. #5

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau, Skaal-Dorf

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    Die Rückreise zum Dorf der Skaal gestaltete sich als anspruchsvolle und kräftezehrende Angelegenheit, die außerdem viel Zeit einnahm. Zwar verlief sie komplikationsfrei, das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sich die vier Jäger in die gut und gerne über zweihundert Pfund schweren Reste des Hirsches und die zwei Rehe reinteilen mussten. Während die Frauen schon mit den beiden kleineren und leichteren Tieren als zusätzliche Last zum Reisegepäck zu kämpfen hatten, keuchten die beiden Männer unter dem Gewicht des Bullen. Zwar trugen auch Vesa und Finna noch kleinere Stücke, aber den Gutteil übernahmen dann doch Wulf und Oslaf. Wenigstens gab es keinen Zwischenfall mit Raubtieren, dafür verschlechtere sich das Wetter zusehends.
    Insgesamt brauchten sie volle drei Tage für den Rückweg zum Skaal-Dorf und am Ende sahen sie im dichten Schneetreiben kaum noch die eigene Hand vor Augen. Es stürmte zwar nicht, stattdessen fielen aber Flocken so groß wie Fingerkuppen in rauen Mengen vom Himmel. Immerhin wurden sie im Dorf nach ihrer neuntägigen Expedition herzlich in Empfang genommen – zumindest von jenen, die sich zum Abend noch draußen im Wetter aufhielten. Das Ergebnis der Jagd konnte sich auch durchaus sehen lassen, so dass es Vesa nicht völlig ungerechtfertigt erschien. Der Trubel war ihr dennoch nicht geheuer, weshalb sie sich möglichst im Hintergrund hielt, wenn gerade einmal wieder jemand dahergelaufen kam, um den Jägern zu danken. „Wulf?“, wandte sich die Kaiserliche in einem ruhigen Moment an den Einäugigen. Er schaute zu ihr auf und hielt mit dem Auspacken des Fleisches inne.
    „Ja?“
    „Ihr meintet, ich könne nun fortsetzen, weshalb ich hier bin?“
    „Das tue ich nach wie vor.“
    „Wäret Ihr so frei Eure Empfehlung an Storn zu übermitteln?“
    „Natürlich. Helft mir nur noch mit den restlichen Arbeiten hier, dann werde ich mit ihm sprechen.“ Sie nickte und hängte mit Finna die Rehe am Unterstand des Nords auf. Das restliche Fleisch verstauten sie in einer mit Holz verkleideten und abschließbaren Grube, wo es gefroren blieb und vor Räubern sicher war. Im Anschluss verabschiedete sie sich von Oslaf und Finna. Der Einäugige machte sich direkt auf zum Haus des Schamanen und Vesa folgte ihm. Er klopfte und trat auch als erster ein.
    „Es ist schön, euch wohlbehalten wiederzusehen“, begrüßte sie der graue Nord im Innern.
    „Das verdanken wir nicht zuletzt unserem Gast hier“, entgegnete Wulf und deutete auf die Kaiserliche an seiner Seite. „Lass‘ uns doch noch einmal über ihr Vorhaben sprechen, ja?“ Der Dorfschamane musterte die Frau und nickte dann.
    „Bitte, setzt euch doch.“ Sie nahmen am Tisch Platz. „Ich vermute, dass Ihr möglichst schnell aufbrechen möchtet?“, fragte er an Vesana gewandt.
    „Sofern sich das Wetter nicht noch weiter verschlechtert, ja.“ Wieder nickte der Nord.
    „Habt Ihr schon einmal von den magischen Steinen auf Solstheim gehört?“
    „Nein.“
    „Es sind Steine an verschiedenen Positionen auf der Insel. Woher sie kommen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Sie sind Teil unseres Glaubens, den Ihr nicht zu teilen braucht“, erklärte Storn. „Es gibt sechs an der Zahl. Jeweils einen für Sonne, Erde, Wasser und Wind, sowie einen für die pflanzliche Natur, den wir schlicht Baumstein nennen, und einen für die tierische Natur, den wir Bieststein nennen“, setzte er fort. Vesana hörte ihm aufmerksam zu. „Jeder dieser Steine verleiht jenen, die sich seiner Macht würdig erweisen, eine magische Fähigkeit.“
    „Verstehe. In wieweit hilft mir das?“
    „Geduld, Geduld!“ Die Kaiserliche beugte den Kopf kurz und knapp nach vorn, um sich zu entschuldigen. „Für Euch spielt der Bieststein eine Rolle, denn in seiner Umgebung wurden zuletzt vermehrt jene Kreaturen gesehen, nach denen Ihr sucht. Werbären. Er befindet sich etwas nördlich des Passes vom Fjalding-Plateau zur südlichen Inselmitte. Ich schätze, dass Ihr diesen Pass bereits auf Eurem Weg zu uns überquer habt.“
    „Das habe ich.“
    „Der Stein ist eher schwieriger zugänglich und steht auf einem sehr kleinen Absatz in der östlichen Bergflanke der Ausläufer des Moesring-Massivs. Im Grunde oberhalb des Fjalding-Sees.“
    „Gut, damit werde ich ihn finden.“
    „Daran habe ich keine Zweifel.“ Er schaute die Frau ihm gegenüber ernster und fester an. „Doch ich möchte Euch nochmals warnen: Weder besteht eine Garantie dafür, dass diese Kreaturen dort noch anzutreffen sind, noch dafür, dass Ihr sie einzeln abpassen könnt. Darüber hinaus müsst Ihr Euch im Klaren sein, dass sie ihren Fluch auf Euch übertragen und Euch in Menschengestalt leicht in eine Falle locken könnten, bevor sie sich in die Gestalt ihrer wahren Natur verwandeln.“ Vesana hätte beinahe mit den Augen gerollt, verkniff es sich aber im letzten Moment, um nicht zu unhöflich zu sein. Stattdessen seufzte sie nur und nickte, bevor sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte und eine der langen Strähnen, die das Gesicht einrahmten, hinter das Ohr strich. Sie mochte es nicht, wenn man ihr auf die Nase band, was sie schon längst wusste.
    „Ich danke Euch, Storn, für Eure gut gemeinten Worte. Seid versichert, dass ich vorsichtig sein werde.“ Das schien den Schamanen zumindest im Ansatz zufrieden zu stellen, wenngleich er sie weiterhin musterte und versuchte, aus der vor ihm sitzenden Kaiserlichen schlau zu werden. Außerdem musste er nicht wissen, dass sie sich nicht vor dem Fluch der Werbären fürchtete und auch nicht fürchten brauchte.
    „Wulf?“, der Schamane wandte sich an den einäugigen Nord, der bislang schweigend mit am Tisch gesessen hatte. „Möchtet Ihr noch etwas sagen?“
    Er atmete tief durch. Vesana schaute ihn an. „Es gibt da etwas, um das ich Euch bitten möchte.“ Er klang schwermütig, als ob ihn etwas belastete. Ein Hauch von Sorge mischte sich in sein noch klares Auge. „Mein … Bruder, Torkild. Wenn Ihr ein Auge nach im offen halten könntet, wäre ich Euch sehr dankbar.“
    „Ihr glaubt, dass er sich in der Nähe des Bieststeins aufhält?“
    „Ich erinnere mich, als ich ihn das letzte Mal vor einigen Jahren gesehen habe, ein unbändiges Feuer in seinen Augen gesehen zu haben, wie es für die Skaal sehr ungewöhnlich ist“, wich er der Frage aus.
    „Ihr glaubt, er ist ein Werbär geworden?“
    „Es wäre möglich.“
    „Verstehe.“ Sie überlegte kurz. Es konnte nicht schaden, dem Nord einen Gefallen zu tun. „Sollte ich ihm begegnen, werde ich Euch berichten“, stimmte Vesana deshalb zu.
    „Habt Dank.“ Der kräftige Nord neigte den Kopf einige Augenblicke lang und lehnte sich erst danach wieder zurück.
    Dann erinnerte sich die Kaiserliche an die Worte des Grauen. „Storn“, wandte sie sich an den Schamanen. „Was für magische Fähigkeiten verleihen diese Steine und wie erweist man sich ihnen als würdig?“
    „Darauf kann ich Euch keine Antwort geben. Was für den einen reichte, war für den anderen nicht genug. Wir Skaal streben auch nicht nach dieser Macht. Es blieb meist an Außenseitern wie Euch, dies herauszufinden. Die meisten überlebten nicht oder kehrten nicht zu uns zurück, um zu berichten. Seid jedoch versichert, dass wenn Ihr Euch würdig erweist, der Stein es Euch zu erkennen gibt.“ Die Erklärung half wahrhaftig wenig, aber Vesana hakte nicht weiter nach.
    „Kann ich die Nacht wieder bei Euch hier verbringen?“, schnitt sie stattdessen ein anderes Thema an.
    „Natürlich. Es ist genug Platz für Euch hier.“
    „Danke.“ Sie rutschte mit dem Stuhl ein Stück zurück, um Platz zum Aufstehen zu haben. „Ich habe noch etwas bei Baldor, das ich holen muss. Wenn es sonst nichts Wichtiges gibt, würde ich das noch erledigen.“ Wulf und Storn nickten beide. Sie überließ die Männer sich selbst und verließ das Heim des Schamanen. Draußen begrüßte sie eisige Luft, die Flocken raubten ihr unverzüglich die Sicht und schmolzen auf der Haut in ihrem Gesicht. Schnell schlug sie die Kapuze über den Kopf und zog die unteren Enden enger zusammen, um das Weiß davon abzuhalten, an ihrem Hals entlang unter die Jacke zu fließen. So schnell es ging stapfte sie mit schweren Schritten durch die hereingebrochene Nacht hinüber zum Haus des Schmieds und klopfte. Es dauerte einen Moment, dann regte sich etwas im Innern und die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet.
    „Ja?“
    „Baldor Eisen-Former?“, fragte Vesana zur Sicherheit, sie erkannte kaum etwas im Gegenlicht aus dem Wohnraum der Hütte.
    „Der bin ich.“
    „Ich habe vor neun Tagen ein geschwungenes Schwert abgegeben, um es mit silbernen Einlagen zu versehen“, erklärte sie sich.
    „Ah ja, richtig. Ihr seid mit der Jagdgruppe zurückgekehrt. Kommt kurz herein, dann hole ich das Schwert.“ Der kräftige Nord mit dem markanten Schnauzpart und der kahlen Schädeldecke trat zur Seite und öffnete seine Eingangstür weit genug, damit die Kaiserliche hindurchschlüpfen konnte. Während sie wartete, schlug sie sich die Flocken von Kopf und Schultern, damit sie sich die Kapuze zurücklegen konnte. Die Wärme im Innern des Hauses tat gut. Die Kälte auf der Haut brannte und zwickte unangenehm – durch das Tauwasser noch wesentlich mehr, als sie es ohnehin schon tat. Wenig später kehrte der Nord aus dem hinteren Teil seines Heims mit der Klinge zurück. Er schlug das Leinentuch zur Seite, in das er sie eingewickelt hatte und zog sie aus der Scheide.
    Das Silber in den Seiten der Waffe, das nun die Riefen der ehemaligen Gravuren ausfüllte, schimmerte in einer Mischung aus seiner typisch milchigen Färbung und schwarzem Kohlenstaub. „Ich habe sie nicht eben mit dem Stahl eingebettet und nur diesen poliert, so dass das Muster der Gravuren weiterhin zur Geltung kommt.“ Er reichte der Kaiserlichen die Waffe. Sie balancierte sie in der Hand. „Sie hat nichts an Stabilität verloren. Ich habe den Stahl gerade so erwärmt, dass sich die Einlagen mit ihm im Ansatz verbinden und nicht einfach wieder herausplatzen, aber nicht genug, um die Festigkeit der Klinge zu beeinträchtigen“, erklärte der Nord nicht ohne erkennbaren Stolz. „Ihr haltet hier eine ausgesprochen gut gelungene Waffe in den Händen. Wo auch immer Ihr sie her habt, schätzt Euch glücklich.“ Vesana konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen und fuhr mit den Fingern der Linken die bearbeiteten Seiten entlang. Ihre Augen musterten sie eingehend. Der Mann, der ihr dieses Schwert eingebracht hatte, war dem Anschein nach in der Tat ausgesprochen ertragreich gewesen.
    „Zweihundertvierzig Septime, sagtet Ihr?“, fragte sie schließlich und richtete ihre Augen wieder auf den Schmied.
    „Das sagte ich, ja. Aber Erzählungen machen hier im Dorf schnell die Runde. Für Eure Hilfe bei der Jagd gebe ich Euch weitere zwanzig Rabatt.“ Die Kaiserliche schob die Waffe zurück in die Scheide und band sich diese auf den Rücken. Anschließend griff sie nach ihrem Geldbeutel und zählte den Betrag ab.
    „Habt Dank.“
    „Ich danke. Viel Erfolg auf Euren weiteren Wegen“, verabschiedete sich Baldor und schloss hinter Vesana die Tür. Diese würde sich alsbald zur Ruhe begeben und am nächsten Morgen so zeitig, wie es möglich war, aufbrechen. Das Ziel nun in greifbarer Nähe, breitete sich auch ein gewisses Gefühl der Aufregung in ihr aus. Ihr Herz schlug etwas höher, nervös spielten die Finger ihrer linken Hand miteinander und vor ihrem geistigen Auge visualisierte sie ihren möglichen Kampf mit einem Werbären. Es sollte bald so weit sein und sie wollte jetzt keine Zeit mehr verlieren.



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    Geändert von Bahaar (12.07.2013 um 11:08 Uhr)

  6. #6

    Solstheim, nordöstliches Inland, Inselmitte

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    Es schien Vesana beinahe so, als ob sich die Insel gegen sie verschworen hatte. Drei volle Tage und einen Teil des Morgens des vierten Tages benötigte sie, um zurück zum Pass zu kommen. Zwar kam es bis dahin nicht zu Zwischenfällen – weder stieß sie mit gefährlichen Tieren zusammen, noch traf sie ein weiteres Mal auf Rieklinge, diese kleinen, blauen Biester, vor denen sie auch noch einmal Storn gewarnt hatte – aber dafür musste sie sich durch teilweise knietiefen Schnee und dichtes Unterholz im zwielichtigen Treiben der Flocken kämpfen. Beinahe wünschte sie sich, lieber einmal mit einem Raubtier zusammenzustoßen, wenn sie dafür schönes Wetter und optimale Reisebedingungen erhielt. Aber es sollte wohl nicht sein. Die Füße taub, die Hände steif, das Gesicht vereist – einem Schneemann gleichend machte sich die Kaiserliche schließlich daran, den völlig zugeschneiten Pass hinaufzusteigen. Ein gefährliches Unterfangen, ohne Frage, und sie bereute in Momenten besonderer Entkräftung, dass sie vor über drei Tagen im schlechten Wetter aufgebrochen war, aber es half nun nichts mehr. Es gab nur noch Vorwärts, kein Zurück.
    Ihre Reise brachte sie an völlig neue Grenzen ihrer körperlichen und geistigen Kräfte – das stellte sie nicht zum ersten Mal fest. Sie lief weiter, obwohl ihre Schenkel längst brannten, als stäche jemand mit nadelfeinen Eiszapfen in sie hinein; sie hielt sich an Felsvorsprüngen fest, obwohl ihre Finger seit Langem nur noch schmerzten und kraftlos waren. Ihre Gedanken fixierten mehr noch als zuvor das Ziel – den Bieststein und Werbären jagen – obwohl die Zweifel an ihrer Fähigkeit erfolgreich sein zu können kaum noch zu verdrängen und zu bändigen waren. Hoffnung wurde zu einem Luxus, den sie sich nicht mehr leisten konnte. Einzig und allein der nächste Schritt zählte, nicht, was sein mochte oder hätte sein können. Ein gleichermaßen beängstigendes, wie befreiendes Gefühl. Trotz der Kälte schlief sie etwas besser – wenngleich immer noch schlecht – und empfand auch weniger, wenn sie in den kurzen Momenten der Rast dann doch einmal dazu kam, zurück zu denken. An die Gefährten, was davor lag. So widersinnig es schien, aber sie ging aus diesen Momenten mit neuer Zuversicht gestärkt hervor.
    Während das Fjalding-Plateau zusehends unter ihr im grauen Schleier des Wetters verschwand, näherte sich die Jägerin immer weiter dem Stein. Sie hielt sich dafür soweit möglich am nördlichen Rand des Passes und suchte nach einem Weg, den beschriebenen Vorsprung in der Felswand zu finden, auf dem er stehen sollte. Zum frühen Nachmittag fand Vesana dann einen schmalen Grad nach Norden, der gerade breit genug war, um darauf gehen zu können. Rechts viel der Fels so tief ab, dass sie das Ende im dichten Schneetreiben nicht mehr sah und links ragten die schroffen, vereisten Formationen der östlichen Moesring-Berge in den Himmel empor, wo sie sich im Grau verloren. In derart exponierter Lage zerrten nun auch die Windböen an ihrer Kleidung, so dass sie sich gezwungen sah ihre Schritte noch bedachter zu setzen, als sie es ohnehin schon stets getan hatte. Ein einziger Ausrutscher und es mochte aus mit ihr sein. Zum ersten Mal seit Langem schien sie jedoch auch einmal wieder Glück zu haben. Es handelte sich nur um eine kurze Passage und nach einer hervorstehenden Kante im Fels, um die sich ihr Pfad herumwand, erreichte sie ein etwas breiteres Plateau, das auch noch weitestgehend windgeschützt lag.
    Tief durchatmend ließ sie sich für einige Augenblicke zwischen mehreren großen Felsen nieder, um Schnee und Eis aus dem Gesicht zu entfernen. Kleine Eiszapfen klimperten an den Enden der Haarsträhnen. Mühsam und ausgesprochen grobmotorisch fischte sie nach den Beuteln mit den Herzsteinsplittern. Das Gestein aus dem Roten Berg verlor einfach nie seine konstante Wärme. Das kam ihr gelegen, so konnte sie sich mit ihnen wenigstens etwas die Finger auftauen. Dennoch blieb ihr nur wenig Zeit zum Verschnaufen vergönnt. Noch befand sie sich nicht direkt am Ziel ihrer Reise. Erst musste sie den Stein finden. Deshalb raffte sich die Kaiserliche auf, bevor sie zu sehr ins Grübeln geraten konnte, und erkundete das Plateau.
    In seinen Abmessungen eher klein, fiel es ihr nicht schwer sich zu orientieren. Die Abbruchkante im Osten wäre von den Felswänden im Westen an einem schönen Tag ohne Probleme zu erkennen. Nur einige hundert Schrittlängen langen zwischen ihnen, schätzte Vesana. Die Länge bemaß sich auf etwas mehr, aber blieb überschaubar. Den Bieststein fand sie im nördlichen Drittel. Eine schiefe Felsnadel, die weder so richtig natürlich, noch künstlich, aber doch irgendwie nach beidem aussah. Umgeben von einem kreisrunden Teich aus seltsamerweise nicht gefrorenem Wasser stach er leicht erkennbar mehrere Mannsgrößen in die Höhe. Es bot einen kuriosen Anblick, dieses Gebilde. Vorsichtig setzte die Kaiserliche den Tornister ab und kniete sich an den Rand der dampfenden Wasserscheibe. Sie war nicht tief, reichte höchstens bis zum Knöchel, und entpuppte sich nach zögerlicher Fingerprobe als ausgesprochen warmer Quell.
    Kurzerhand zog sie die Handschuhe aus und tauchte die Hände flach in die klare Flüssigkeit. Es brannte auf der Haut, als ob ihr jemand geschmolzenes Eisen darüber kippte. Sie stöhnte und zog die Hände reflexartig zurück. Im zweiten Versuch tauchte sie behutsamer, langsamer ein. Sie spürte, wie das Wasser ihre Fasern, ihr Fleisch erwärmte und neue Kraft spendete. Noch immer brannte es höllisch, doch sie gewöhnte sich zusehends daran und am Ende lockerten sich ihre Finger, das Gefühl der Kontrolle über sie kehrte zurück und die Kälteschwellungen klangen ab. Erst dann nahm sie sie zurück, trocknete sie schnellstmöglich ab und schob sie zurück in die Handschuhe. Es wurde Zeit, sich auf die Lauer zu legen.
    In Sichtweite des Bieststeins grub sich Vesana ein. Zwischen einigen größeren Felsen fand sie eine windgeschützte Stelle, an der sie eine kleine Mulde ausheben konnte, um die Lücke hinter sich mit dem ausgehobenen Material einigermaßen als Sichtschutz abzudichten und gleichzeitig von vorn schwerer zu erkennen zu sein. Sie kleidete die Senke mit ihrer Schlafunterlage aus, um sich nach unten gegen die Kälte zu isolieren, verzichtete jedoch auf die Decke, da diese sie sonst nur behindern würde. Den Speer verkeilte sie als zusätzliche Absicherung nach hinten so, dass ein Angereifer in ihn hineinlaufen oder -springen würde. Das Felleisen deponierte sie zwischen ihren Beinen, nahm die Armbrust in die Hände, die Schwerter trug sie überkreuzt auf dem Rücken und legte sich schließlich bäuchlings auf die Unterlage. Ab diesem Zeitpunkt hieß es warten und ausharren. Früher oder später würde sich zeigen, ob die Bemühungen und Strapazen der Jägerin belohnt werden sollten, oder sie umsonst gewesen waren.
    Während sie so dalag und nichts weiter tun konnte, als die Umgebung im Auge zu behalten, ließ es sich nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu einer ähnlichen Situation abdrifteten. Seither waren über vier Jahre vergangen und wenngleich sie damals am Ende nicht gänzlich allein dagestanden hatte, so musste sie auch dann allein warten.

    Ein Überfall mit den Gefährten auf einen Konvoi der Silbernen Hand im Jahr 4Ä 197. Es sollte ihre richtige Bewährungsprobe sein, um den Status eines Frischlings der Gemeinschaft von Jorrvaskr abzulegen und zu einem vollwertigen Mitglied zu werden. Vesana zählte zu einer kleinen Gruppe um Aela, die auf der Straße südlich von Flusswald in den Büschen und Bäumen auf der Lauer lagen. Jeder in seinem eigenen Versteck und in ausreichendem Abstand zueinander. Der Fluss rauschte unweit von ihnen entfernt, der befestigte Weg ging noch nicht in die sich steil windenden Serpentinen nach Helgen über. Die Kaiserliche saß auf einem Ast in der Krone eines großen Laubbaumes und verkeilte sich mit den Beinen so, dass sie sich oberhalb der Hüfte problem- und bedenkenlos frei bewegen konnte, ohne fürchten zu müssen, herunter zu fallen. Ihren Jagdbogen hielt sie in der rechten Hand, der Köcher beherbergte wenige Dutzend Pfeile, das Stahlschwert lag ihr quer über dem Rücken.
    Es war ein kühler, verschneiter Wintertag in den frühen Stunden des Abends. Nur leichte Windböen fuhren durch das kahle Geäst und ließen lockeren Schnee zu Boden rieseln. Die grauen Wolken am Himmel sorgten für schummriges Zwielicht, das den lauernden Jägern zusätzliche Deckung bot. Einer von ihnen hatte zuvor die Straße Richtung Helgen ausgekundschaftet und berichtet, dass der Konvoi in Kürze eintreffen würde. Es war ausgemacht, dass Aela den ersten Schuss abgab und die übrigen einstiegen, die Gefangenen, die die Gruppe der Silbernen Hand mit sich führte, sollten möglichst geschützt und anschließend in die Freiheit entlassen werden. Die kalte Luft knisterte förmlich mit Anspannung, Tiere wagten sich nicht in ihre Nähe.
    Dann war es soweit. Hufklappern hallte durch den sich schnell verdunkelnden Abend. Eine Gruppe von fünf Reitern und sechs Bewaffneten zu Fuß, die ein weiteres halbes Dutzend Gefangene einrahmten, näherte sich aus dem Süden. Einige von ihnen trugen Fackeln. Vermutlich wollten sie es an diesem Tag noch bis zu dem kleinen Ort wenige Meilen weiter nördlich schaffen. Vesanas Atem beschleunigte sich, die Rechte griff fester um den Bogen, die Linke holte vorsichtig und darauf bedacht, möglichst keine Geräusche zu erzeugen, einen Pfeil aus dem Köcher. Die zuvor gelegentlich aufquellenden Dampfwolken vor ihrem Mund wurden zu einem konstanten Nebelschleier, der sich kühl auf ihre Haut niederschlug. Die Kälte wich aus den Fingern. Das alles geschah in nur wenigen Augenblicken, in denen sich die Kämpfer der Silbernen Hand weiter näherten und inzwischen unterhalb von Vesas Baum angelangt waren. Sie spannte den Bogen, leise knarrte die Sehne unter der Last, und visierte einen der Reiter an. Aela saß nur ein kurzes Stück weiter Richtung Flusswald auf der anderen Seite der Straße – es würde also bald beginnen.
    Gerade dachte die Kaiserliche diesen Gedanken zu Ende, da erfüllte ein scharfes Surren die nächtliche Luft. Es folgte ein dumpfer Schlag, den ein schmerzerfülltes Stöhnen begleitete. Daraufhin rutschte der augenscheinliche Anführer der Gruppe vom Rücken seines Pferdes, ein dunkler, dicker Schaft ragte aus seinem Oberkörper. Seine Rüstung schepperte laut. Doch noch bevor er wirklich aufgeschlagen war, entließ Vesana ihren eigenen Pfeil in die Nacht und legte schon den nächsten auf. Auch dieser flog noch im selben Augenblick davon. Überhaupt brach in den folgenden Momenten ein wahrer Sturm über die ahnungslosen Männer auf der Straße herein. Das Surren und Pfeifen von schnell durch die Luft schneidenden Geschossen hielt einige Herzschläge lang ununterbrochen an. Es endete erst, als keiner der Bewaffneten mehr auf den Füßen stand und sich die Gefangenen völlig verstört schützend zusammenkauerten. Die Jägerin hatte in der kurzen Zeit sieben Pfeile davon gesandt und schwang sich nun, da sie zwei ihrer Gefährten aus den Büschen treten sah, von ihrem Ast herunter.
    Die Knie federten den Sprung ab, beschwerten sich jedoch über die rüpelhafte Behandlung nachdem sie so lange starr stehen mussten. Vesana verstaute den Bogen im Köcher und zog stattdessen das Schwert aus der Scheide. Suchend schritt sie zwischen den am Boden liegenden Kämpfern der Silbernen Hand. Nur drei von ihnen hatten es überhaupt geschafft die eigenen Waffen zu ziehen und die Schilde zu heben. Dafür wurden sie aber auch gleich von mehreren der insgesamt fünf Gefährten mit Pfeilen bedacht und so verwunderte es nicht, dass ihnen drei oder vier der todbringenden Geschosse aus dem Rücken ragten. Wer sich jetzt noch bewegte, stöhnte, röchelte, oder anderweitig auf sein Überleben aufmerksam machte, wurde von der Kaiserlichen und Farkas kurzerhand abgestochen. Ein schneller Stich in die Brust oder den Bauch, und das Problem erledigte sich rasch von selbst. Lediglich der Anführer durfte länger leben, er sollte zurück nach Jorrvaskr gebracht und auf Informationen ausgefragt werden. Aela kümmerte sich darum, ihn zu fesseln und transportfähig zu machen. Die übrigen beiden Gefährten blieben noch in ihren Schützenstellungen, um ein wachsames Auge auf die weitere Umgebung zu behalten.
    Während der große, schwer gerüstete Nord mit dem Zweihandschwert zur Leiterin ihres Unterfangens und dem Führer der überfallenen Gruppe schritt, wandte sich Vesana den Gefangenen zu. Das Schwert verstaute sie wieder auf dem Rücken und nahm stattdessen einen Dolch, mit dem sie die Fesseln der vier Männer und zwei Frauen durchtrennte. Mit großen Augen schauten die völlig verdreckten und verstörten Menschen sie an. Sie hatten wohl noch immer nicht begriffen, was genau überhaupt gerade vor sich gegangen war. „Geht“, sagte die Jägerin deshalb jedem einzelnen von ihnen. „Macht schon, verschwindet von hier! Ihr seid frei!“ Lediglich ein Kaiserlicher, wohl nur wenige Jahre älter als Vesa selbst, mit dunklem, vollem Haar und einem aufgrund der Gefangenschaft ungepflegten Bart blieb danach immer noch. Sie hatte ihm kaum Beachtung geschenkt, sich nur auf die Fesseln an Händen und Füßen konzentriert.
    „Habt Dank“, sprach er. Seine Stimme ruhig, fast schon kühl. Ganz anders als sich die übrigen Befreiten verhalten hatten. Vesana schaute ihn an, musterte seine heruntergekommene, in nicht viel mehr als Lumpen gehüllte Gestalt. Er zitterte vor Kälte am ganzen, trotz des abgehungerten Zustandes die Ansätze von Muskeln erkennen lassenden Leib – und dennoch: Er wirkte gefasst.
    „Es war nicht Euretwegen“, entgegnete die Kaiserliche. Seine dunkelbraunen Augen ließen nicht auf etwaige Enttäuschung nach ihrer Aussage schließen.
    „Nein, sondern seinetwegen“, er nickte in die Richtung des gefesselten Anführers. „Dennoch: Habt Dank.“
    „Gern.“ Sie wandte sich ab und wollte zu Farkas und Aela gehen.
    „Bitte“, er hielt sie hastig am Arm fest, so dass sie gezwungen war, sich im wieder zuzuwenden, „ich weiß mit Waffen umzugehen und kann kämpfen. Wenn Ihr nur halb so viel gegen die Silberne Hand habt, wie ich, und Eure Aktionen lassen darauf schließen, möchte ich mich Euch anschließen. Ich weiß Dinge, habe sie belauschen und beobachten können. Lasst mich Euch helfen.“ Vesana riss sich mich einer kurzen Bewegung des Armes los.
    „Das ist nichts, das wir hier entscheiden können. Kommt nach Jorrvaskr in Weißlauf. Kodlak wird darüber entscheiden“, mischte sich Aela in das Gespräch ein und kam näher. Farkas folgte hinter ihr und hielt den Anführer der überfallenen Gruppe an den Gefesselten Händen hinter seinem Rücken. Ein abgebrochener Pfeilschaft ragte aus seiner rechten Schulter. Schmerz zeichnete seine Züge und Blut tropfte vom Holz und aus seiner Nase.
    „Darf ich Euch dorthin begleiten?“
    „Wenn Ihr mithalten könnt“, stelle die hochgewachsene Nord-Frau fest. „Wer seid Ihr überhaupt?“
    „Darius. Darius Gallean.“

    Am Rand des Teiches um den Bieststein, an der ihr gegenüberliegenden Seite, bewegte sich etwas. Augenblicklich schnappte Vesana aus der Erinnerung zurück in die Gegenwart. In flickenartiger Fellkleidung stand dort ein schlanker Mann. Die Kaiserliche beobachtete ihn zunächst aus ihrer Deckung heraus. Offensichtlich fühlte er sich sicher und rechnete nicht damit, dass irgendwo eine potenzielle Gefahr auf ihn lauern könnte. Der Größe und den Gesichtszügen nach zu urteilen mochte es sich durchaus um einen Nord handeln, befand Vesa.
    Nach kurzem Warten am Rand der Wasserfläche, begann der Neuankömmling damit, sich auszuziehen. Zunächst die Felllappen um den Oberkörper, dann die Stiefel und zuletzt die Hose. Nackt stand er im Wetter. Die Kälte der Umgebung schien ihn nicht zu kümmern. Völlig unbedarft setzte er den ersten Fuß ins dampfende Wasser und holte den zweiten gleich darauf nach. Er kniete sich in kurzem Abstand von der feinen Felsnadel nieder und setzte im Anschluss auch noch die Hände in den Teich, der Oberkörper vornüber gebeugt. Der Moment der Ruhe hielt jedoch nur einen Augenblick an. Schlagartig fuhren Krämpfe durch den Leib des Mannes, seine Muskeln spannten sich, verzogen seine Glieder in ungewöhnliche Winkel. Der Nord stöhnte zunächst, dann wandelte es sich zu tiefem, animalischem Grollen. Dichtes, dunkles Fell spross ihm aus der hellen Haut. Sein Gesicht verformte sich zu einer langgezogenen Fratze, die erst nach und nach die Züge eines Bären annahm. Lautes Knacken ging mit den massiven Veränderungen in der Form und Stellung der Knochen einher. Die Brust schwoll an, der Rücken krümmte sich. Seine Arme wuchsen in die Länge, Muskeln prägten sich aus. Es dauerte nur wenige Augenblicke bevor ein gut und gerne sechs Fuß großes Werwesen in seiner vollen Größe im Wasser um den Bieststein stand. Hatte Vesana die Veränderungen der Gestalt mit einer Mischung aus Faszination und Ekel verfolgt, so empfand sie jetzt, da der Prozess abgeschlossen schien, vor allem Bewunderung und Respekt für die Majestät und Perfektion dieses Geschöpfes. Erst nach und nach mischte sich Furcht mit darunter.
    Es sollte nun also ernst werden. Die Jägerin biss die Zähne zusammen, unterdrückte die aufquellende Leichtigkeit in den Eingeweiden und schluckte den sich anbahnenden Kloß im Hals hinunter. Ihre Rechte griff fester um den Kolben der Armbrust, die Linke fischte zum wiederholten Male die Strähnen aus dem Gesicht, bevor auch sie sich an die Schusswaffe legte. Vesa kniff das linke Auge zusammen und schielte mit dem rechten über den Rücken der Waffe, entlang des Bolzens und in verlängerter Linie zu dem Werbären. Dieser stand noch immer ruhig vor dem magischen Stein, als ob er für ihn eine besondere Anziehungskraft ausübte.
    Bevor sich dieses Geschöpf der Jagd entfernen konnte, oder durch seine feine Nase auf die in Deckung liegende Kaiserliche aufmerksam wurde, entschloss sich diese zu handeln. Die freien Fingerkuppen der rechten Hand legten sich auf den schmalen Metallbügel an der Unterseite der Armbrust und drückten dieses an das Holz. Klickend löste der Mechanismus aus, die stählernen Haken, die die straffe Sehne zurückhielten, gaben diese freie und das kurze, dicke Geschoss flog davon. Die Spannung übertrug sich mit einem kräftigen Ruck auf den Bolzen und surrend pfiff er zielfixiert durch die Luft.



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    Geändert von Bahaar (19.07.2013 um 11:13 Uhr)

  7. #7

    Solstheim, Inselmitte

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    Das Geschoss benötigte höchstens die Dauer eines Lidschlages, dann drang es tief in die linke Schulter des Werwesens ein. Tiefes Knurren und Grollen quoll aus der Kehle der Kreatur, die sich nun in ihrem Ritual gestört nach der Quelle des Schusses umschaute. Die feuchte Nase hob es in die Luft und schnüffelte, das kraftvolle Luftholen hörte Vesana bis zu ihrem Versteck. Sie ließ sich nicht beirren und legte einen weiteren Bolzen auf den Rücken der Armbrust. Als der Mechanismus einrastete, fixierten sie die bösartigen, aggressiven Augen der Bestie. Die Lefzen zurückgezogen und die langen Eckzähne entblößend knurrte sie und breitete die Arme herausfordernd aus. Der Schaft in ihrer Schulter schien sie in keiner Weise zu stören, und wenn doch, so vermochte sie es gut zu verbergen.
    Vesana schoss ein weiteres Mal. Das Surren hielt kurz an, dann traf das Geschoss etwas weiter unten und mehr zur Körpermitte hin in die Brust des Werbären. Dessen Grollen gewann anschließend nur an Intensität. Anstatt sich von den Treffern eingeschüchtert zu geben, begann er damit sich der Kaiserlichen zu nähern. Mit der rechten, durch ihre fünf Finger noch halbwegs menschlich wirkenden Hand, zog er sich die kurzen Holzschäfte aus dem Fleisch und warf sie achtlos zur Seite. So langsam dämmerte Vesana, dass es ein Kampf werden würde, der ihre Fähigkeiten als Jägerin und Kämpferin mehr als nur auf die Probe stellte. Während der Bär näher kam und Geschwindigkeit aufnahm, warf die Kaiserliche die Armbrust zur Seite und sprang auf die Füße. Sie griff nach dem Speer und hielt ihn schützend vor sich, das hintere Ende im Schnee versenkend. Mehr vermochte sie auch nicht mehr zu tun, dann war das Werwesen heran. Es rannte aus vollem Lauf brüllend und knurrend in die stählerne Spitze, die sich ihm in den Bauch bohrte und gleich drauf abbrach.
    Wegen seiner enormen Größe und vor allem Breite hielt nicht die lange Waffe die Kreatur davon ab, zu der Kaiserlichen vorzudringen, sondern die Felsen selbst, gegen die sie mit brachialer Gewalt krachte. Der Spalt war zu schmal, so dass sie nicht dazwischen passte. Vesana befand sich gerade so außer Reichweite der mächtigen Arme mit den scharfen Klauen an den Enden der Finger. Ihr Widersacher tobte, brüllte, Speichel flog ihm aus dem nach ihr schnappenden Maul. Immer wieder rammte es mit den Schultern die Felsen. Die Krallen zogen Furchen durch das spröde Gestein. Es half nichts, das Biest kam nicht an sie heran – zumindest nicht von vorn. Unvermittelt hielt es in seinen Bemühungen inne, zog sich die abgebrochene Speerspitze unter dem dichten, langen Fell hervor – Blut tropfte von ihr – und kletterte anschließend auf die großen Steine, um es von oben zu versuchen.
    Erst in diesem Moment überwand die Kaiserliche ihre erste Schockstarre und duckte sich nach unten unter den ersten Schlägen weg, kroch ein Stück zurück und verließ anschließend den Spalt. Im Rennen zog sie ihre Schwerter aus den Scheiden – das Stahlschwert in der linken, die mit Silber verfeinerte Klinge in der rechten Hand. Hinter ihr vernahm sie einen dumpfen Aufschlag und anschließend die schweren Schritte der Bestie, die ihr schnellen Fußes folgte und wohl nicht lange brauchen würde, um sie einzuholen. Genau darauf setzte die Kaiserliche. Sie rannte genau auf einen weiteren großen Gesteinsbrocken zu und trat aus dem Lauf heraus direkt auf eine der zahlreichen hervorstehende Kante. Der andere Fuß setzte noch ein Stück höher an und brachte sie in starke, fast waagerechte Rückenlage. Das nachgeholte Bein sorgte für den nötigen Schwung, um den rückwärtigen Überschlag zu vollenden. Der Werbär rannte unter ihr gegen den Felsen und sie kam hinter ihm zurück auf die Füße. Gleichzeitig zog sie ihm beide Klingenwaffen über den Rücken und drehte sich noch mit derselben Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Das Spiel begann von neuem, als sie genau zurück zu dem Spalt rannte, der ihr zuvor Deckung geboten hatte. Die Bestie tobte, wütete und brüllte ihr hinterher, während es die Benommenheit des Aufpralls schnell abschüttelnd abermals die Verfolgung aufnahm.
    Fieberhaft rasten ihre Gedanken, schlug das Herz bis zum Hals. Sie musste sich etwas einfallen lassen! Die bisherigen Verletzungen, die sie dem Werbären zugefügt hatte, schienen nichts weiter als einfaches Piesacken für diesen zu sein! Er störte sich schlicht nicht an den Schnitten und Stichen. Bevor sie die rettenden Felsen erreichte, wurden ihre Gedanken jedoch jäh unterbrochen. Ein heftiger Schlag in die linke Seite und sie flog mehrere Schrittlängen durch die Luft. Hart schlug die Kaiserliche auf dem gefrorenen Grund auf, verlor das silberveredelte Schwert aus den Fingern und rollte noch etwas weiter. Ihr blieb die Luft aus den Lungen, feurige Stiche und Wogen des Schmerzens, die sich in Ächzen und Stöhnen entluden, fuhren Vesana durch den Leib. Blut troff aus einer Wunde an der Schläfe. Hustend rang sie nach Atem und spuckte gleichzeitig blutigen Speichel. Die Bestie hatte sie mit dem Rücken der rechten Hand einfach zur Seite geschmettert und kam nun erneut schnell näher.
    Sich aufrappelnd schaffte es die Jägerin gerade noch rechtzeitig das Stahlschwert aus der knienden Position schützend über den Kopf zu heben, um einen Schlag abzufangen, bevor er ihr sie zerfetzen konnte. Das Werwesen holte aus und hieb nach der sich im Vergleich winzig vorkommenden Frau. Warme Flüssigkeit spritzte dieser ins Gesicht, während der Angreifer schmerzerfüllt brüllte. Ring- und kleiner Finger der rechten Pranke hatte er sich mit der Wucht seines eigenen Schlages abgetrennt und lagen nun vor der Kaiserlichen noch zuckend im Schnee. Diese wandte sich unter Schmerzen in der zuvor kalt erwischten Körperhälfte und gleichzeitig aufstehend der Bärenkreatur zu, die etwas auf Abstand ging. Aus bitterbös funkelnden Augen schaute es sie an, während es sich die rechte, stark blutende Hand hielt. Eine solche Gelegenheit würde sich nicht noch einmal bieten, also handelte die Jägerin. Mit einem in tausenden Nadelstichen fast erstickenden Kampfschrei auf den Lippen mobilisierte Vesana letzte Kraftreserven, setzte einen schnellen Satz vorwärts und rammte dem Biest die Klinge bis über die Hälfte zwischen die Rippen. Brüllend drehte es sich und schlug die Kaiserliche abermals zur Seite, dieses Mal mit dem linken Unterarm. Es trieb ihr die Luft aus den Lungen und ließ den gesamten Brustkorb aufflammen. Gleichzeitig flog sie zurück und landete rücklings im Schnee neben ihrem zweiten Schwert, das sie schnellstmöglich versuchte in die zittrigen Finger zu bekommen. Sie schmeckte Eisen und den bitteren Geschmack ihres Lebenssaftes auf der Zunge. Sie hatte sich auf die Unterlippe gebissen. Das linke Hüftgelenk beschwerte sich und das Bein wurde steif in seiner Beweglichkeit. Schützend hielt sie die Klinge über sich und wartete einen Moment, um sich zu sammeln.
    Doch der Werbär blieb ihr fern. Zwar behielt er sie im Auge, zeigte jedoch vorübergehend keinerlei Ambitionen sie anzugreifen. Stattdessen fischte er sich mit den Pranken vor der Brust und versuchte den für sie viel zu kleinen Schwertgriff zu fassen zu bekommen, da sie von der scharfen Schneide stets zurückwichen. Währenddessen rappelte sich Vesa abermals hoch. Es fühlte sich bei jeder Bewegung so an, als ob tausend glühende Nadeln in ihre Brust stachen und ihr den Atem rauben wollten. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte sie sich durch die zwei heftigen Schläge die eine oder andere geprellte und angebrochene Rippe zugezogen. Wäre es nicht für ihren gehärteten Lederharnisch, könnte sie möglicherweise schon jetzt nicht einmal mehr atmen und sähe sich dem Tod geweiht.
    Durch den Schmerz leicht vornübergebeugt und wegen des steifen Beins schief stehend, beobachtete die Kaiserliche den Werbären. Seine Hände bekamen in diesem Moment das Schwert zu fassen, verdrehten es allerdings so ungünstig, dass sich die Klinge zwischen zwei Rippenbögen verkeilte und an einer durch das Fell verborgenen Stelle klirrend abbrach. Es entlockte der Bestie ein grauenvolles, ohrenzerreißendes Heulen. Völlig in Rage gebracht tobte sie und bereitete sich darauf vor, ein weiteres Mal auf die Jägerin zuzustürmen. Diese bemerkte jedoch schnell, dass die schwere Verletzung durch das Schwert der Kreatur heftig zusetzte und jede Bewegung das steckengebliebene Fragment wohl weiter durch ihr Fleisch trieb. Ihre Schritte waren unsicherer, sie lahmte rechtsseitig und wirkte aus der Balance gebracht. Alles, das Vesana tun musste, war sich rechtzeitig zur Seite zu werfen, um dem ungezielten Angriff auszuweichen. Über das schwache Bein fiel das auch nicht allzu schwer. Noch in der Bewegung hieb sie nach dem näheren Fuß ihres Kontrahenten und traf ihn an der hohen Ferse. Grollend stolperte das Werwesen und überschlug sich mehrmals, während Vesa versuchte sich auf den Bauch zu rollen und anschließend auf die Knie zu stemmen. Die Kaiserliche hielt sich die Seite und keuchte schwer. Die Bewegungen raubten unglaubliche Mengen ihrer Kraft und sie verlor beinahe das Gleichgewicht, obwohl sie nicht einmal stand.
    Mühsam kam sie auf die Füße und näherte sich anschließend dem Wesen, das es nicht mehr schaffte, zum Stehen zu kommen. Mit den zerschnittenen Sehnen im Fuß ließ sich dieser nicht mehr belasten, weshalb es immer wieder einknickte. Blut tränkte den weißen Grund um es herum, das Knurren und Stöhnen erhielt zunehmend eine verzweifelte Note und trug sich schwanger mit Schmerz. Vesana wischte sich einige Tropfen ihres roten Saftes vom Kinn und unter der ebenfalls blutenden Nase weg, dann war sie heran. Die trägen Schläge der kraftlos gewordenen Bestie verliefen ins Leere, zu ungezielt und langsam hieben sie nach der Kaiserlichen. Diese nahm die Klinge mit beiden Händen und stieß sie, nachdem Vesa einen weiteren Hieb abgewehrt hatte, von oben herab durch die Schulter in den Brustraum. Sämtliches Grollen der Kreatur erstarb zu einem feuchten Gurgeln, flüssiges Rot quoll aus dem Maul, die Zunge hing labbrig heraus und der Kopf sackte stumpf auf den Boden. Die Glieder erschlafften und blieben regungslos. Einzig der Brustkorb deutete darauf hin, dass noch nicht sämtliches Leben aus dem bewundernswert kräftigen Leib gewichen war.
    Den Augen des respektgebietenden Geschöpfes entwich jedweder Zorn, vielmehr wirkten sie nun traurig, etwas angsterfüllt vielleicht, vor allem aber auch müde. Es ging keine Bedrohung mehr von ihm aus, egal wie nahe sie ihm kommen würde. Vesana ließ ihr Schwert los, ohne es herauszuziehen. Ein gewisses Maß an Trauer legte sich auf ihre Eingeweide, Leichtigkeit machte sich breit, dem Gefühl nach verknotete sich ihr Magen mit dem Darm. Ein Lächeln des Trübsinns und des Trostes stahl sich auf die blutbesudelten, teils schon verkrusteten Lippen, während sich die Jägerin neben den massigen Kopf des zotteligen Wesens kniete. Vorsichtig hob sie diesen an und legte ihn sich in den Schoß. Sie schaute direkt in das gelb schimmernde, teils ockerfarbene Auge der oberen Schädelhälfte, während sie mit den schlanken Fingern durch das Fell des Hauptes strich. „Hircine ruft Dich zu sich, mein Freund“, flüsterte sie dem Werbären vorgebeugt ins verhältnismäßig kleine Ohr. „Gute Jagd.“ Eine kleine Träne entrang sich ihrem Augenwinkel und auch sein Auge wurde glasig. Es trennte sie nicht allzu viel voneinander, sie waren von derselben Natur, und diese Nähe spürte Vesana. Der Abschied in Respekt von einem majestätischen Jäger war für sie eine Selbstverständlichkeit.
    Der Todeskampf des Werbären dauerte letztlich nur wenige Minuten. Behutsam erhob sich die Kaiserliche und legte seinen Kopf zurück auf den Boden, nachdem sie ihm die Lider geschlossen hatte. Kurz blieb sie stehen, die Augen streiften unfokussiert über den massigen Leib. „Irgendwann sehen wir uns wieder und dann jagen wir zusammen“, sprach sie nun mehr zu sich selbst. Ein langes Seufzen entlassend wandte sie sich ab und humpelte hinüber zu ihren Sachen. Die Schlafunterlage rollte sie zusammen, verpackte sie auf dem Tornister und schnappte sich anschließend noch ihre Armbrust. Die Reste des Speeres ließ sie im Schnee zurück. Unter der Last des Gepäcks keuchend, Hustenanfälle niederkämpfend, kehrte die Jägerin zu dem Toten zurück und setzte es neben diesem auf den schneebedeckten Grund. Mit einem kräftigen Ruck zog sie das geschwungene Schwert aus dem Körper vor ihr heraus und verlor zunächst das Gleichgewicht. Auf die angeschlagene Seite der Hüpfte fallend, stöhnte sie und rang mit einigen Tränen des Schmerzes. Nachdem sie sich gesammelt hatte, reinigte Vesana die Klinge und schob sie zum Schluss zurück in die Scheide auf ihrem Rücken. Erst danach kniete sie sich wieder in den Schnee und nahm sich einen ihrer Dolche. Ihre geübten Hände wussten genau, wie sie die kurze, scharfe Schneide ansetzen mussten, um den Bauch zu öffnen und damit zu beginnen, die obersten Hautschichten mitsamt dem Fell vom Rest zu trennen. Durch die Schnitte und Öffnungen zum Innenraum drang die Wärme der Organe und des Fleisches nach draußen und schlug sich in Form von kleinen Dunstschwaden nieder. Bevor die Kaiserliche jedoch den massigen Leib drehte, um auch auf der anderen Seite noch die zweite Hälfte des Fells vom Körper zu lösen, hielt sie abermals inne und atmete tief durch.
    Den Dolch legte sie in den Schnee und reinigte mit diesem zunächst ihr blutverschmiertes Gesicht. Das Tropfen der Nase hatte inzwischen aufgehört und auch der Riss in der Lippe war mit Grind verklumpt. Die Wunde an der Schläfe war ohnehin nur sehr oberflächlich gewesen. Es dauerte eine Weile bis sich das Wasser des geschmolzen Schnees nicht mehr rotbraun färbte, sondern schlicht farblos ihre Handflächen benetzte. Erst dann schob Vesana die Finger der linken Hand bis zu den Knöcheln in den blutigen Brustraum des Werbären. Den Daumen sparte sie aus. Tiefrot gefärbt holte sie sie wieder heraus und zog sie sich in einer langsamen Bewegung diagonal über das Gesicht. Sie führte diese Handlung mehrere Male durch, bis sie sich sicher fühlte, das Zeichen der erfolgreichen Jagd für einige Zeit haltbar aufgetragen zu haben. Das Blut trocknete schnell und hinterließ dunkle Streifen, die als Mahl in Ehren des erlegten Tieres für alle erkennbar in ihrem Antlitz prangten. Es war eine der letzten Würdigungen, die sie einem durch ihre Hand verstorbenen Geschöpf der Jagd erbrachte und so ihren ganz eigenen Tribut zollte.
    Die Finger reinigte sie gar nicht erst, sondern langte direkt nach ihrem Felleisen, um anschließend darin herumzukramen. Es brauchte einige Zeit bis Vesa das Totem fand, nach dem sie suchte – ihr ganz persönliches Totem der Jagd. Ein selbstgeschnitzter Wolfskopf mit einem unterproportionierten Leib aus hartem Eichenholz. Es maß kaum mehr als die Handlänge eines erwachsenen Nord in der Größe. Um den zu kurz und dick geratenen Hals baumelte eine lederne Halskette, an der sich verschiedengroße Eckzähne unterschiedlicher Raubtiere aufreihten. Es waren die Zähne von vier Wölfen, drei Eiswölfen, zwei Schwarzbären und einem Höhlenbär. Als Ersatz für den zu großen Zahn eines Säbelzahntigers fügte sich noch eine Kralle dieser majestätischen Raubkatze an der Kette ein. Das Holz der Wolfsform selbst erschien schwarz und leicht gefleckt von unterschiedlichen Mengen Flüssigkeit, die es aufgesaugt hatte. In wenigen Momenten sollte es abermals das Blut des erlegten Jägers aufnehmen, zuvor löste die Kaiserliche jedoch die Lederkette und legte sie zur Seite. Anschließend öffnete sie erneut den Schnitt zum Brust- und Bauchraum und schob die Holzfigur hinein. Behutsam bewegte sie sie hin und her, dann ließ sie los.
    Während sich das Holz vollsog, stand Vesana auf und mühte sich, den Körper des Werbären auf die andere Seite zu drehen. Unter hoher Kraftanstrengung und erneut aufgrund der flammenden Stiche in ihrer Brust aufstöhnend, gelang es ihr im fünften Versuch. Geduldig setzte sie die Arbeit des Häutens fort, kratzte im Anschluss Fleisch- und Blutreste von der Innenseite der abgelösten Haut und rollte das neugewonnene Fell schließlich zusammen. Nur noch an den Armen, Beinen und am Kopf blieben Teile der Behaarung übrig, sonst erschien die Gestalt nackt. Nach einigen weiteren geübten Handgriffen hielt die Jägerin auch noch das Herz des Werbärens in den Händen und verstaute es in einem freien Lederbeutel aus dem Felleisen. Es würde das einzige Körperteil sein, das sie als Proviant mit sich nahm, den kaum genießbaren, zähen Rest sollte sich die Natur zurücknehmen. Letztlich holte die Kaiserliche auch das Totem wieder heraus. Feucht schimmernd erhielt es die Halskette zurück und wurde neben dem Tornister zum Trocknen abgelegt. Erst dann begann Vesa damit, die Krallen von den Fingern und Zehen, sowie die Eckzähne aus dem Maul herauszubrechen. Wenn sie zurück in Rabenfels war, würde sie einen der letzteren mit einem kleinen Loch zum Auffädeln an der Kette versehen. Bis dahin mussten sie in einem Ledersäckel verweilen. Auch die Klauen an den abgeschlagenen Fingern vergaß die Jägerin nicht.
    Ihre Sachen zusammengepackt wandte sie sich nach einem abschließenden Blick auf die kümmerlichen Reste der einst furchtgebietenden Kreatur ab. Sie wollte etwas Abstand zwischen sich und sie bringen, damit sie Aasfressern nicht als lebender Happen im Weg stand. Erst dann kam es, dass sie wieder auf den Bieststein schaute und kurz überrascht den Atem anhielt. Eine leichte Aura aus grün schimmerndem, ja flammendem Licht umgab ihn von der Wasseroberfläche bis hinauf zur Spitze. Vorsichtig und ohnehin noch etwas wackelig auf den Beinen näherte sie sich. Die Augen hielt sie fest auf die Felsnadel gerichtet. War dies das Zeichen, von dem Storn gesprochen hatte, als er sagte, die Steine würden einem erkenntlich machen, wenn man sich als würdig erwiesen hatte? Denkbar, andererseits wollte sich Vesana nicht unbedingt blind darauf verlassen. Mit Magie blieb es immer so eine Sache und ihr traute die Kaiserliche grundsätzlich nicht weiter, als sie spucken konnte. Dennoch mochte sie nicht leugnen, dass dieser kuriose Stein mit seinem warmen Teich eine gewisse Anziehungskraft ausübte und Faszination hervorrief.
    Entgegen ihrer sonstigen Vorsicht entschied sich die Jägerin dem Schamanen etwas mehr Vertrauen zu schenken, als möglicherweise gut sein mochte. Am Rand der Wasserfläche legte sie den Tornister ab und zog ihre Stiefel aus. Langsam gewöhnte sie ihre Füße an die Wärme der Flüssigkeit und schritt anschließend auf den Stein zu, blieb jedoch vorerst mit einem letzten Sicherheitsabstand zu diesem stehen. Argwöhnisch begutachtete sie das dunkle Gestein, fand jedoch nichts Außergewöhnliches, abgesehen von verschlungenen Gravuren im Mittelteil, die ein unbekanntes Muster formten und natürlich auch von dem leicht pulsierenden Schimmer. Erst nach einer Weile des Beobachtens rang sich Vesa dazu durch – nein, gab sie dem tief in ihr aufquellendem Verlangen der Neugier nach – auch noch den letzten Abstand zu schließen und streckte schließlich die Finger aus. Kurz bevor sie in die Aura eintauchten, hielt sie ein weiteres Mal inne, atmete tief durch und schloss die Augen. Dann berührten ihre Finger die kühle Oberfläche des Bieststeines. Sie glitten über die Gravuren und folgten den Linien.
    Erst bemerkte es die Kaiserliche nicht, doch dann spürte sie wie sich die Aura aufheizte und auch der Fels Wärme abzustrahlen begann. Noch bevor sie die Hand zurückziehen konnte, fühlte sie vier heiße Stiche in der Handfläche. Erschrocken riss sie die Augen auf und entfernte sich von dem Stein. Die glühende Hülle um diesen war verschwunden. Das Stechen in der Linken klang schnell ab und da der Bieststein, seiner außerordentlichen, in diesem Moment zunehmend unheimlich erscheinenden Anziehungskraft beraubt, keinerlei Anstalten mehr machte, sich magisch zu betätigen, richtete sie ihre Augen auf die Linke. Vesana erkannte vier rote Punkte, die ein wenig nach frischen Narben aussahen. Zwei Davon lagen dicht beieinander nahe an der Handkante und am -gelenk, die anderen beschrieben einen leichten Bogen in größeren Abständen entlang der Vertiefung, durch die auch die Lebenslinie verlief. Seltsamerweise erweckte es für die Kaiserliche etwas den Eindruck einer stilisierten Klaue. Ähnlich einem Sternzeichen, wo um wenige einzelne Lichtpunkte ein Bild konstruiert wurde. Unbewusst strich sie mit dem Zeigefinger der Rechten über die Punkte, die sich tatsächlich auch anfühlten wie Narbengewebe. Allerdings wirkten sie sich nicht behindernd auf die Beweglichkeit aus, weshalb Vesa vermutete, dass es sich eher nur um oberflächliche Mahle handelte. Inzwischen war von den eingangs empfundenen heißen Stichen nichts mehr zu spüren, stattdessen machte sich leichter Ärger über ihre eigene Neugier breit. Was auch immer der Stein mit ihr gemacht hatte, physisch spürte sie keinerlei Veränderungen.
    Allein schon wegen dem zuletzt Erlebten erschien es der Kaiserlichen als notwendig, noch einmal zu den Skaal zurückzukehren und ein paar Worte mit Storn dem Schamanen zu wechseln. Dass sie wenig später unter den abgelegten Sachen des Werbären am anderen Ufer des Teiches einen verschlossenen Briefumschlag fand, auf dem in einfachen Lettern „Wulf“ als Adressat vermerkt war, führte schließlich zur unumstößlichen Entscheidung, noch einmal das Dorf im Norden zu besuchen. Zwar würde sie das nochmals eine ganze Woche mehr Zeit kosten, aber es bestand eine nicht zu leugnende Notwendigkeit. Sowohl das eigene Interesse, als auch das gegebene Versprechen gegenüber dem einäugigen Nord mussten befriedigt und erfüllt werden.



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    Geändert von Bahaar (26.07.2013 um 10:36 Uhr)

  8. #8

    Solstheim, nordöstliches Inland, Skaal-Dorf

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    Den Weg zum Dorf legte Vesana, trotz ihrer nicht unerheblichen Verletzungen, in drei Tagen zurück. Das Wetter beruhigte sich schon zu Beginn der Rückreise, so dass sich die allgemeinen Bedingungen ihrer Wanderschaft verbesserten. Zwar löste sich erst auf halbem Wege die blockierende Schwellung in ihrem Hüftgelenk, die sie zuvor hatte humpeln lassen, und das Atmen fiel ihr auch zur Ankunft bei den Skaal noch immer schwer. Zu allem Überfluss kamen auch wieder ihre üblichen Kopfschmerzen auf, die dem Vollmond voraus eilten und folgten, seit die Anspannung vor dem Kampf mit dem Werbären verflogen war. Das ewige Stechen und Ziehen in den Schläfen verhinderte zunehmend, dass sie klare Gedanken fassen konnte. Vor allem nachts tobte das Gewitter in ihrem Kopf. Aber wenigstens beschleunigte der Marsch über das flache Fjalding-Plateau und die sonst überwiegend abschüssigen Passagen die Reise. Nicht, dass das in irgendeiner Weise ihr körperliches Wohlbefinden steigerte, aber es half zumindest psychisch dabei, sich voranzutreiben.
    Erst lange nach dem Einbruch der Dunkelheit fand sich die Kaiserliche ein weiteres Mal auf dem Platz des Dorfes im Nordosten Solstheims wieder. In schiefer Körperhaltung stand sie vor der Hütte des einäugigen Nords. Den rechten Arm hatte sie unterhalb der Brust um den Oberkörper geschlungen und hielt sich die Rippenbögen linksseitig auf Höhe des Herzens. Schmerzen zuckten Vesana von ihnen ausgehend jedes Mal durch den Brustraum, wenn sie zu tief Luft holte und sich die Lungen zu stark aufblähten. Ein ungemütlicher Umstand. Letztlich fing sie sich aber, straffte sich ein wenig und klopfte kräftig gegen das alte Holz der Tür. Da noch Licht aus den schmalen Fenstern des Hauses schien, konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass auch jemand öffnen würde. Es dauerte zwar einige Augenblicke, aber letztlich vernahm sie Schritte aus dem Inneren und das Rutschen eines Holzriegels auf der anderen Seite des Durchgangs. Leise quietschend schob jemand die Tür einen Spalt auf.
    „Hallo?“, verlangte die raue Stimme des Einäugigen.
    „Ich bringe Kunde von Eurem Bruder“, entgegnete die Kaiserliche.
    „Beim All-Schöpfer!“ Augenblicklich öffnete sich der Durchgang vollständig und ein überraschter Wulf stand im Gegenlicht. „So kommt herein!“ Vesa ließ sich nicht lumpen und folgte der Aufforderung. Erst jetzt schien der vom Leben gezeichnete Nord zu bemerken, wie sein Gast eigentlich aussah. „Meine Güte, was ist Euch widerfahren? Ihr saht wahrhaftig schon lebendiger aus!“ Die Kaiserliche schenkte dem Mann nur ein schiefes, eher gezwungenes Lächeln und setzte sich schwerfällig an den einzigen Tisch im Haus. Den Tornister neben sich, begann sie darin zu wühlen und holte den Briefumschlag heraus.
    „Das“, sie reichte das Papier weiter, „habe ich bei den Sachen eines Werbären beim Bieststein gefunden. Ich habe ihn nicht gelesen, aber es liegt nahe anzunehmen, dass er von Eurem Bruder ist.“ Wulf schaute zunächst die Frau an, dann auf den gefalteten, ziemlich zerknitterten Brief, und wieder zurück zu Vesa. Erst danach schlug er das Pergament auseinander und begann zu lesen. Sie ließ ihm Zeit und wartete schweigend. Das Sitzen, die Wärme, das Gefühl von häuslicher Sicherheit, all das tat ihr gut und es linderte ihre Leiden zumindest etwas. Der Einäugige verlor während er las für einige Momente die Fassung, Trauer zeichnete seine gegerbten Gesichtszüge und brach sein noch intaktes Auge. Als er seine Gegenüber aber erneut anschaute, schien er seine männliche Selbstbeherrschung wiedergefunden zu haben.
    „Danke“, gab er leise kund. „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen und Jahre dunkler Ungewissheit ins Licht gerückt. Danke.“ Der Nord faltete die Seite zusammen und legte sie zurück auf den Tisch. „Hat er Euch das angetan?“ Er deutete auf die verkrusteten Wunden an Schläfe und Lippe, sowie die Stelle an der Seite, die sich Vesana noch immer hielt, auch wenn sie saß. Einen Augenblick lang musste sie überlegen, was sie darauf erwidern sollte.
    „Ich habe mich für diese Jagd entschieden. Wenn, dann habe ich es mir selbst zuzuschreiben“, erklärte sie letztlich und Wulf nickte verständnisvoll. Ein Jäger schob nie die Schuld auf seine Beute.
    „Ich würde Euch zwar gerne einige Jagdtricks und Kniffe mit auf den Weg geben, als Dank für Euren Dienst“, begann der Nord nach einige Momente anhaltendem Schweigen zwischen den beiden, „aber ich fürchte, dass ich Euch kaum noch etwas mitteilen kann, das Ihr nicht schon längst wisst. Ihr mögt nicht danach aussehen, aber Ihr seid eine verdammt gute Jägerin.“ Er griff sich mit den großen, kraftvollen Händen in den Nacken und löste ein ledernes Band um seinen Hals. Er zog mit ihm vier lange, spitze Eckzähne unter seiner dicken Kleidung hervor. „Stattdessen möchte ich Euch als Erinnerung etwas mitgeben, das für uns Skaal-Jäger besonderen Wert genießt.“ Wulf breitete die Zähne auf der Tischplatte vor der Kaiserlichen aus, die sich von neuerlichen Stichen in der Seite begleitet leicht vorbeugte und mit beiden Händen nach der Kette griff. „Es sind die vier Eckzähne meines ersten eigenhändig erlegten Bären. Sie sollen uns Glück bringen und die Gunst des All-Schöpfers sichern.“
    „Der All-Schöpfer?“, fragte Vesana und legte den Talisman in die flache Hand.
    „Wir Skaal glauben nicht an die großen Acht des Kaiserreichs. Der All-Schöpfer ist der, der unserem Glauben nach das Land, die Pflanzen, die Tiere, ja auch uns Skaal selbst geschaffen hat und zu dem wir zurückkehren werden, wenn wir sterben.“ Erst jetzt schaute die Jägerin auf und direkt zu Wulf. Sie schenkte ihm ein Lächeln und nickte.
    „Habt Dank, es ehrt mich sehr.“ Sie legte sich sein Geschenk demonstrativ um den Hals und stopfte es von oben unter ihre Kleidung. „Ich hoffe, dass Ihr damit nicht zu viel Eures Glücks und der Euch zustehenden Gunst vergebt?“, scherzte sie ein wenig. Wulf lachte kurz auf.
    „Nein, macht Euch keine Sorgen. Ich bin sicher, der All-Schöpfer wird diese Gabe anerkennen. Und unter uns: Meine besten Tage als Jäger liegen schon lange hinter mir. Früher oder später wird mich zweifellos jemand ablösen müssen. Seid also versichert, Ihr habt es Euch redlich verdient.“ Abermals nickte die Kaiserliche.
    „Ob ich wohl Storn noch in seiner Hütte antreffe, oder ihn schon bei der Nachtruhe störe?“, lenkte diese dann auf ein weiteres wichtiges Thema um.
    „Ich bin sicher, dass er noch auf sein wird. Für Euch hat er aber sicher in jedem Fall noch etwas Zeit.“ Mühsam stand Vesana auf und schulterte ihr Gepäck. Gemeinsam gingen die beiden Jäger zur Tür und Wulf öffnete sie für seinen Gast. „Wohin wird Euch Eure Reise noch verschlagen?“, leitete letzterer die Verabschiedung ein.
    „Zunächst zurück nach Rabenfels und von dort nach Windhelm in Himmelsrand. Von da an, wird das Schicksal entscheiden müssen“, erwiderte sie. Wulf nickte und ließ sich nun ebenfalls zu einem grimmigen Lächeln verleiten.
    „Wann auch immer Ihr einmal wieder auf Solstheim sein solltet, vergesst nicht, dass Ihr hier stets willkommen seid.“
    „Danke, das werde ich nicht. Gute Jagd.“
    „Gute Jagd.“
    Die Kaiserliche begann ihren Weg hinüber zur Hütte des Schamanen. Erst nach einigen Schritten in das leichte Schneetreiben und die windstille, absolut ruhige Nacht hinaus vernahm sie das Quietschen der Scharniere und Rumpeln der Tür, wie sie ins Schloss fiel. Es war zweifelhaft, dass sie jemals wieder so hoch in den Norden reiste, aber der Gedanke daran, willkommen zu sein, blieb angenehm. Nicht häufig empfand sie so, und auch jetzt blieb ein fader Beigeschmack, immerhin kannte noch nicht einmal jemand ihren richtigen Namen, aber sie versuchte ihn zu ignorieren. Kurz darauf erreichte sie dann die Behausung des grauen Nords. Auch hier drang Licht aus den Fenstern und so klopfte sie gegen das Holz des Eingangs. Die Tochter des Schamanen öffnete ihr. „Ja?“
    „Ich würde gerne zu Storn und mit ihm über etwas sprechen.“
    „Wisst Ihr, wie spät es ist?“
    „Ja.“
    „Frea, lass sie herein“, klang aus dem Hintergrund Storns Stimme hervor. Die hochgewachsene Nord-Frau trat zur Seite und öffnete die Tür vollständig. Vesana schlüpfte hinein. Hinter ihr schlug Frea die Tür zurück ins Schloss. „Ihr seht furchtbar aus, wenn ich das so sagen darf“, begrüßte sie der Schamane.
    „Das höre ich nicht zum ersten Mal, wenngleich Wulf es etwas weniger direkt zu verstehen gegeben hat“, erwiderte die Kaiserliche und setzte sich nach Bitten des Grauen an den Tisch. Dessen Miene verdunkelte sich auf ihren Teilsatz hin etwas.
    „Seid Ihr deswegen zurückgekehrt? Habt Ihr seinen Bruder gefunden?“
    „Allem Anschein nach, ja.“
    „Da Ihr hier seid und lebt, vermute ich, dass …
    „… er tot ist? Ja.“ Storn nickte nur und schien etwas in Gedanken zu sein. „Aber deswegen bin ich nicht bei Euch“, setzte Vesa fort. Kurzerhand zog sie ihren linken Handschuh aus und hielt die Hand mit der narbenähnlichen Zeichnung über den Tisch. „Sondern deswegen.“
    „Was … Oh.“ Der alte Mann beugte sich vor und nahm ihre Hand mit den seinen hoch. Vorsichtig strich er mit den rauen Fingerkuppen über die Mahle. „Wie habt Ihr dieses Zeichen erhalten?“
    „Nach meinem Kampf mit dem Werbären habe ich mich um die verwertbaren Teile seines Körpers gekümmert. Als ich aufbrechen wollte, umgab den Bieststein eine Art grün schimmernde Aura. Ich berührte den Stein und erhielt dieses Mahl“, erläuterte sie. Einige Zeit schwieg der graue Nord und betrachtete sich die vernarbten Punkte. In der Zwischenzeit rang die Kaiserliche mit sich selbst, um den Frust über ihre elende Neugier und die Anziehungskraft des Steines niederzuringen.
    „Nun“, begann er schließlich, „wie es scheint, hat Euch der Bieststein mit seiner Magie gesegnet, nachdem Ihr Euch im Kampf gegen der Werbären als würdig erwiesen habt.“
    „Soweit vermutete ich bereits.“ Vesana zog ihre Hand zurück und legte sie mit der Rechten zusammen auf die Tischplatte. „Die Frage ist: Was kann ich damit machen und wie kann ich es?“ Abermals verfiel Storn in Schweigen. Die Stirn in Falten gelegt und sich am Bart zupfend dachte er nach.
    „Kind, wenn ich das wüsste, ich würde es Euch sagen. Doch übersteigt die Macht der Steine, die Magie der Insel, bei weitem meine Kenntnisse und Fähigkeiten. Alles, das ich Euch mit auf den Weg geben kann, ist Folgendes: Zu Zeiten der Bedürftigkeit wird sich Euch ein Weg offenbaren, diese Macht zu Euch zu rufen“, sprach er und fixierte seinen Gast mit beiden Augen, „und zwar nur dann. Die Steine mögen großzügig sein, doch verleihen sie keine Allmacht. Welche Begabung Euch der Bieststein auf den Weg gegeben hat, ist einzig und allein an Euch herauszufinden.“ Vesa lehnte sich zurück und musste sich mühen, das Gesicht nicht zu verziehen. Die rechte Hand legte sie wieder an ihre Seite und strich sich mit der linken über das Gesicht. „Es ist nicht das, was Ihr Euch erhofft habt, und seid enttäuscht. Das kann ich nachvollziehen. Niemand der sich Antworten erhofft, gibt sich mit leeren Floskeln und mystischen Prophezeiungen zufrieden. Leider kann ich Euch mit nichts anderem dienen, als solchen.“
    „So, ich bin also gezeichnet und verfüge über irgendeine ominöse Fähigkeit, deren genaue Nützlichkeit und Funktion ich nicht kenne, von der ich nicht weiß, wie ich sie einsetzen kann und von der ich hoffen muss, dass sie zur rechten Zeit von selbst zuschlägt. Richtig?“ Storn nickte. „Klasse“, flüsterte sie mehr zu sich selbst. Ein starkes Ziehen an den Schläfen ließ sie stöhnen, was sie jedoch nach außen versuchte als Schnaufen zu tarnen. Mit den Zeige- und Mittelfingern massierte sie die Stellen und rieb sich anschließend nochmals über das Gesicht. Offenbar merkte Storn nichts weiter von ihren Schmerzen und nahm es eher als – tatsächlich echte – Verärgerung wahr. Warum musste sie auch den Stein anfassen? Sie hätte einfach gehen können, aber nein, sie musste neugierig sein. Und nun? Nun verfügte sie über eine magische Fähigkeit, von der sie nicht einmal in Ansätzen eine Ahnung hatte.
    „Schädlich sollte sie zweifelsohne nicht sein“, tröstete der Schamane. Vesana lachte auf, weniger aus Belustigung denn Verbitterung. Dass ihr diese unbekannte neue Macht nicht so recht schmecken wollte, ließ sich kaum verbergen. „Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr die Nacht wieder hier verbringen, bevor Ihr morgen wohl endgültig abreist.“
    „Danke.“
    „Ihr habt sicher unverändert alles Nötige. Wenn Ihr sonst keine weiteren Fragen an mich habt, würde ich mich gern zur Ruhe betten. Es ist bereits sehr spät.“
    „Natürlich.“ Der Graue nickte nur, stand auf und verschwand in den hinteren Teil des Hauses. Nachdem sie noch kurz grübelnd am Tisch saß, begab sie sich zu ihrem zuvor bereits bemühten Schlafplatz und breitete die Fellunterlage aus. Darauf legte sie ihre Decke. Anstatt sich jedoch einfach hinzulegen, zog sie sich noch aus. Die Stiefel stellte sie an den Rand, die Rüstungsteile legte sie dazu. Jede noch so kleine Bewegung ließ sie das Gesicht verziehen und trieb ihr die Luft aus den Lungen, als würde ihr jemand einen Dolch zwischen die Rippen stoßen. Danach folgte die dicke Jacke. Sofort roch sie ihren eigenen Mief aus Schweiß, Talg, Fett und Dreck. Dass sie sich seit drei Wochen nicht einmal grob hatte waschen können machte sich inzwischen duftstark bemerkbar. Angewidert rümpfte die Jägerin die Nase. Schweißränder und Flecken zeichneten sich überdeutlich auf der eigentlich ohnehin relativ dunklen Tunika ab.
    Keuchend ließ sie sich auf dem Fell nieder und verschnaufte einige Momente lang. Anschließend holte sie Verbandszeug und zwei Schatullen aus ihrem Tornister. Eine davon war bereits fast leer, nachdem sie sie Oslaf gegeben hatte. In der anderen stand die Heilsalbe noch bis zum Rand. Erst als die Schatullen direkt neben ihr lagen, zog sich die Kaiserliche weiter aus. Die Tunika über den Kopf abstreifend entblößte sie den schlanken, femininen Oberkörper. Dunkles Blau, fast schwarz, unterlegte die Haut um die Busen und umspannte den Brustkorb vom Zwerchfell bis unter die Achseln vor allem linksseitig. Nur durch das Fettgewebe der Brüste schimmerte es nicht. „Scheiße“, hauchte sie. Wenigstens standen keine ungewöhnlichen Spitzen hervor, die auf verschobene Rippenbrüche schließen lassen würden. Bevor die Kaiserliche damit begann, sich mit der Salbe einzureiben, streifte sie noch die Halsketten ab. Die von Wulf stopfte sie in ihr Felleisen, sie würde sich diese später nicht mehr umlegen, das Hirschkopfamulett legte sie auf die Decke. Im Anschluss leerte sie beide Metallschatullen als sie sich ausnahmslos alles oberhalb des Bauchraumes bis zum Hals einrieb. Mehr als einmal musste sie innehalten und tief durchatmen, um die Fassung zu bewahren. Besonders Bewegungen mit dem linken Arm schmerzten und zogen lange, feurig brennende Stiche durch die Herzseite.
    Mit dem letzten Rest heilender Salbe verstrichen wartete sie einige Momente lang und ließ sie zumindest etwas einziehen. Danach wickelte sich Vesana ihr Verbandszeug vollständig und so straff, wie es sich aushalten ließ, um Busen und Brustkorb. Einige Schlaufen legte sie für besseren Halt um den Hals. Abschließend hängte sie sich ihr silbernes Amulett um und schlüpfte zurück in die Tunika. So versorgt legte auch sie sich schlafen und hoffte, dass die Arznei möglichst bald damit begann, ihre Arbeit zu verrichten. Aber selbst wenn, die Pein im Kopf würde sie vermutlich ohnehin länger wachhalten.



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    Geändert von Bahaar (02.08.2013 um 10:49 Uhr)

  9. #9

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Während die Kaiserliche es zuvor durch das Wetter weniger stark wahrgenommen hatte, machte sich das konstante Brennen der Augen im Zuge hoher Lichtempfindlichkeit am Tag nach ihrem Aufbruch im Skaal-Dorf durch den auflockernden Wolkenhimmel schlagartig und ungewohnt heftig bemerkbar. Sie zog die Kapuze weit hinab ins Gesicht, um sich zumindest so etwas von oben abzuschirmen. Die Reflexion des grell glitzernden Schnees ließ sich dadurch jedoch nicht abwehren. Es war ihr Glück, dass Vesana noch vor den ersten Sonnenstrahlen aufgebrochen war und sich dadurch einen kleinen Vorsprung hatte erlaufen können. In ihrem jetzigen Zustand kam sie jedenfalls nur noch langsam voran und musste sich das Ganze auch noch selbst zuschreiben. Über der ganzen Jagd-Sache und dem ewig schlechten Wetter blieb ihre Beobachtung des nächtlichen Himmels auf der Strecke, so dass sie ihr Zeitgefühl in Relation zum nächsten Vollmond völlig verloren hatte. Er mochte genauso gut morgen kommen, oder erst in drei Tagen. Mit etwas Pech, hätte er auch gestern sein können. Jedenfalls spürte sie jetzt überdeutlich, dass es nicht mehr lange hin sein würde. Das Augenbrennen und die Lichtempfindlichkeit sprachen eine deutliche Sprache. Von der Migräne ganz zu schweigen und auch ihr Gehör gab sich zunehmend empfindlicher. Jedes noch so kleine Knacken ließ sie zusammenzucken, sich instinktiv umschauen und schmerzte darüber hinaus im Gehör. Hin und wieder ertappte sie sich dabei, wie sie die Nase in die Luft hob und die Gerüche der Umgebung einsog, wie ein Raubtier auf Beutesuche.
    Die Nacht des ersten Tags verbrachte sie rastlos. Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit verschwanden zwar die Lichtempfindlichkeit und das Brennen der Augen, dafür verstärkten sich die Kopfschmerzen bis ins Unerträgliche. Ein konstantes Hämmern im vorderen Schädel und hinter den Augen. Es fiel ihr zunehmend schwerer sich unter Kontrolle zu halten – besonders dann, wenn das silbrige und rote Licht der fast vollen Monde durch die Wolkendecke brachen. Sie verspürte Heißhunger auf Fleisch, sowie die Lust zu töten und die Muskeln im ganzen Körper zuckten willkürlich unter der Haut, wie nervöse Finger, die trippelten. In Verbindung mit dem stark angeschlagenen Brustkorb keine besonders günstige Kombination. Es machte sie aggressiv, das gequälte Stöhnen klang fast schon wie ein Knurren und dennoch wollte sie sich nicht einfach aufgeben. Es mochte in dieser Gegend noch zu viele unabsehbare Folgen haben, wenn sie das tat. Dieser letzte Rest menschlichen Verstandes, irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein, war es auch, der wohl Schlimmeres in dieser Nacht verhinderte.

    Am nächsten Tag blieb ihr Befinden konstant schlecht. Das Gewitter hinter der Stirn flaute zwar mit dem Aufstieg der Sonne wie gewohnt etwas ab, aber der Rest blieb übermäßig empfindlich. Wie sie es dennoch schaffte, bis zum Fuße des Passes zur südlichen Inselmitte vorzudringen, blieb auch ihr selbst ein gewisses Rätsel. Möglicherweise war ihr jemand wohlgesonnen genug, ihr die Kraft zu geben auch ohne einen einzigen klaren Gedanken den Weg zurück zu finden – zurück in die Heimat. Heimat? Wollte sie das wirklich? Das Wort hallte in ihrem Kopf wider, doch war es nicht mehr als ein hohles Echo, das in diesen Stunden kaum noch eine Bedeutung für sie besaß. Das Bild von Fesseln schoss ihr als erstes durch den Kopf bei dem Gedanken. Regeln, die sie banden wie Fesseln, die ihr Vorschriften machten und sie einschränkten – das wollte sie nicht. Sie wollte frei sein, ausbrechen, wild und ungezügelt. Tollen und toben, tagelang nur jagen, ohne Rücksicht, ohne Kontrolle.
    In den immer selteneren Momenten der Klarheit schalte sich Vesana selbst dieser Gedanken, die aus den Untiefen ihrer tierischen Triebhaftigkeit emporstiegen. Nicht, dass sie nicht verlockend waren, oder sie sich nicht damit anfreunden konnte, aber bei klarem Verstand lagen ihre Prioritäten etwas anders. Doch so schnell und unverhofft diese Augenblicke auch kamen, so verschwanden sie auch wieder und nach dem Verschwinden des Tagesgestirns hinter den Bergen im Westen verschlechterte sich ihr Zustand noch weiter. An sich kannte sie diese regelmäßig wiederkehrende Phase nur zu gut, aber es blieb jedes Mal aufs Neue eine unglaubliche Qual. Als schließlich die Wolkendecke ein weiteres Mal aufriss, gab es kein Halten mehr.
    Ihr schmerzerfülltes Stöhnen wandelte sich zu tiefem Grollen, die Hände krallten sich erst in den losen Untergrund als heftige Spasmen durch ihren Körper fuhren, dann zogen sie ihr die Kleidung vom Leib. Der Verband um ihren Brustkorb riss auf und fiel von ihr ab. Die Kette landete im Schnee. Was zuvor für Schmerzen gesorgt hatte, empfand sie alsbald als berauschend. Jeden noch so kleinen Laut nahm sie wahr, ob das Scharren einer Wühlmaus unter dem Schnee oder das Schnaufen eines Hirsches in weiter Ferne. Die Geräusche der Umgebung sog sie gierig auf, während die Augen mit scharfem Blick und im silbrigen Zwielicht jede Kleinigkeit in Sichtweite musterten. Die Schmerzen im Kopf waren verschwunden, die in der Brust schienen verdrängt. Alles um sie herum wurde auf einmal zur Spielwiese und sie fühlte sich wie ein Kind im Wunderland – überall Spielzeug und Süßigkeiten, die es einzusammeln galt. Hinter jedem Busch, jedem Baum oder Stein mochte eine Überraschung lauern, alles weckte ihr Interesse und wollte eingehend gemustert werden. Völlig aufgeregt und mit wild schlagendem Herzen rollte sie sich im Schnee hin und her, wühlte das kalte Weiß auf einem Haufen zusammen, nur um anschließend hineinzuspringen und es wieder zu verteilen. Dabei kamen ihr einige der eisigen Flocken in die Nase. Schnaufend hielt sie inne, kratzte und rieb an ihrer herum, um sie von den unangenehmen Spielverderbern zu befreien.
    Als sich das Brennen etwas gelegt hatte hob sie den Kopf in die Luft und schnüffelte laut. Schnell nahm sie die Duftspur eines nahen Tieres auf. Ruckartig und mit einem Gefühl von Euphorie wandte sie sich in die Richtung um, in der sie es vermutete. Rasend schnell rannte die Jägerin durch den Wald und ignorierte peitschende Zweige des Unterholzes, als wären es kitzelnde Federn. Der Rausch beschleunigte ihren Puls, versetzte das Herz in aufgebrachte Sprünge. Die Anstrengung ließ sie alsbald hecheln, ohne dass sie jedoch müde wurde. Im Gegenteil: Je näher sie ihrer Beute kam, je mehr Indizien sie in Form von Geruch und Geräuschen auf dessen Position aufnahm, desto freudiger wurde sie. Die Füße der Kaiserlichen fanden trotz der Geschwindigkeit stets halt. Steine nutzte sie, um sich zu weiten Sätzen abzudrücken und nahm sogar die Arme und Hände intensiv mit zur Fortbewegung zu Hilfe. Die Lust auf Fleisch, die Süßigkeit ihres Wunderlandes, trieb sie immer weiter. So interessant die passiven Objekte auf der Spielwiese des Waldes auch sein mochten, einzig echtes Spielzeug reizte sie wirklich.
    Ihre scharfen Augen erspähten weit vor ihr zwischen den lichter stehenden Bäumen und über einiges Gebüsch hinweg ein Reh, das dort gerade noch graste, allerdings im nächsten Moment durch das Knacken im Unterholz aufgeschreckt wurde. Wach standen die Ohren ab und es schaute sich aufmerksam um. Dann entdeckte es die herannahende Jägerin und ergriff die Flucht. Allerdings half es nichts, Vesana war zu schnell. Auf Sprungweite heran nutzte sie den nächsten Baum, indem sie ihn ansprang, sich mit einer Hand an einem Ast festhielt und sich tief knurrend mit den Füßen kraftvoll am Stamm abdrückte. Das junge Wild besaß nicht den Hauch einer Chance, als sie auf seinem Rücken landete, die Finger und Zehen Knöcheltief in sein Fleisch schlug und sich in seinem Nacken festbiss.

    Erbärmlich frierend, zitternd und vor allem splitterfasernackt wachte die Kaiserliche inmitten ihrer wild durcheinander liegenden Kleidung auf. Blut besudelte sie von Kopf bis Fuß, verdeckte sogar stellenweise die dunkel unterlaufene Haut des Brustkorbs, und verklumpte ihr Haar. Obwohl die vergangene Jagd ganz offensichtlich ein Erfolg gewesen war, fühlte sie sich nicht gestärkt, eher wie nach einer durchzechten Nacht mit viel zu viel Alkohol und anderen Rauschmitteln. Die Vollmondnächte besaßen diese unangenehme Eigenart, dass sie entgegen ihrer üblichen Disziplin und langjährigen Gewöhnung nur ganz bestimmte, ja ursprüngliche Beute fangen musste, um sich überhaupt zu regenerieren und zu erholen. Sonst half sie zwar in gesteigertem Maße, aber auch andere – kräftige und gesunde – Beutetiere konnten dienlich sein. Alsbald kehrten auch die Plagen der letzten Tage zurück und quälten und lähmten sie von neuem. Das Hämmern in den Schläfen, das Zwicken in den Ohren bei jedem noch so leisen Geräusch und die brennenden Augen, die schmerzhafte Blitze durchzuckten, wenn sie zu lange auf das grelle Weiß des Schnees schaute. Stöhnend stemmte sich Vesa auch, die Schmerzen in der Brust trieben ihr die Luft aus den Lungen. „Scheiße“, fluchte sie leise und versuchte sich so weit unter Kontrolle zu bringen, dass sie ihre Sachen einsammeln und sich anziehen konnte.
    Mühsam und steifbeinig gelang es ihr und kurz nach Sonnenaufgang setzte sie ihre Reise fort. Es dauerte lange, bis die Kälte auch nur ansatzweise aus ihren Gliedern verschwand und die nach dem Rausch, ja dem beinahe-Traum, der letzten Nacht umso härter auf sie einprügelnden Beschwerden machten ihr das Leben nicht viel leichter. Wenn sie in den nächsten zwei Tagen tatsächlich einigermaßen gut vorankommen und ihren Zeitplan halbwegs einhalten wollte, musste sie sich trotz ihrer Klagen zusammennehmen und tagsüber zügig wandern, denn mindestens die nächsten zwei Nächte – zu Vollmond und die Nacht danach – würden ähnlich wild werden, wie die vergangene, egal, ob Vesana es wollte, oder nicht.



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    Geändert von Bahaar (16.08.2013 um 12:26 Uhr)

  10. #10

    Cyrodiil, Kaiserstadt, Hafenviertel: Herberge zum aufgetriebenen Floß

    Das aufgetriebene Floß war zu dieser Tageszeit noch leer, wenn man von dem Wirt, dem Rausschmeißer und ein paar Dauergästen absah, die immer im Schankraum anzutreffen waren. Natürlich könnte immer ein Spitzel darunter sein und selbst wenn nicht, die Aussicht darauf die nächsten Tage ohne Probleme seine Sucht zu finanzieren ließ diese teilweise erbärmlich aussehenden Gestalten sich an Gespräche und alles mögliche erinnern, je nach dem was benötigt wurde. Allerdings war es für sie ein schmaler Grad: Sagten sie zu viel, lebten sie nicht mehr sehr lange und wurden entweder tot in einer Gasse gefunden oder verschwanden im Hafenbecken. Sagten sie zu wenig, blieben sie zwar am Leben, bekamen aber kein Geld und wurden vom Rest gemieden, da ihr loses Mundwerk irgendwann bekannt wurde.
    Diejenigen, die viel sagten und Glück hatten lange genug zu überleben, wurden von den Thalmor rekrutiert und genossen einen gewissen Grad an Schutz, der je nach Nützlichkeit der bisherigen Informationen größer oder kleiner war. Eines war sicher: Die Thalmor konnten ihrer Informanten jederzeit fallen lassen, was zu einer gewissen Konkurrenz unter ihnen führte. Manche sehr fleißige Zeitgenossen, gingen sogar dazu über, aktiv Diebe und Mörder zu jagen, welche den Thalmor schaden zugefügt hatten. Im Gegenzug verbündeten sich viele Unabhängige oder suchten Schutz in der Diebesgilde, gründeten kleinere Banden oder heuerten Attentäter der Dunklen Bruderschaft an. Das Resultat war ein regelrechter Krieg in der Unterwelt der Kaiserstadt. Zeitweise fand man täglich mehr Opfer von Attentaten und Überfällen wie auf natürliche Weise Gestorbene. Nicht zu vergessen diejenigen die einfach verschwanden. In dieser Zeit war es eine Kunst neutral zu bleiben. Den wenigen Individuen, die dieses Kunststück schafften, genossen hohes Ansehen, wurden verehrt und gefürchtet. Diese Verehrung und Furcht galt sowohl für die Unterwelt, die Thalmor, den Penitus Oculatus und die kaiserliche Wache, die in diesem Krieg hoffnungslos unterlegen war. Das einzige, was das totale Chaos scheinbar verhinderte, war die Tatsache das immer noch recht einträgliche Geschäfte gemacht wurden. Ein offener Krieg würde diese ruinieren und so wurden die Kriegstreiber meist schnell zum Schweigen gebracht. Ein Frieden wurde hauptsächlich durch die Thalmor verhindert und so entstand eine sehr angespannte Situation, die irgendwann gelöst werden würde, so viel stand fest. Die einzige Frage war nur: Wie wird sie gelöst?

    Für Revan war dieser Konflikt ein alter Hut. Zwar waren er und sein Mentor keiner Seite verpflichtet, allerdings gehörten sie auch nicht dem fast schon elitären Kreis der Neutralen an, die als graue Eminenzen dafür sorgten das weiterhin viele Waren im Hafen der Kaiserstadt umgesetzt wurden, legale wie illegale. Dies sicherte nach außen hin den Frieden. Wenn das trotzdem nicht genug war, wurden an die betroffenen Personen eindeutige Nachrichten versandt. Bei Missachtung waren die Konsequenzen schwerwiegend, mitunter auch tödlich. Da die Methoden aber nur dem Kreis selbst und wenigen Eingeweihten bekannt war, munkelte man vor allem beim plötzlichen Verschwinden von Personen oder deren plötzlichem Tod, dass der Kreis seine Finger im Spiel hatte. Und niemand war wirklich versessen darauf zu viele Fragen zu stellen. Wer konnte noch zwischen Wahrheit und Gerücht unterscheiden?
    Bisher konnten sie es vermeiden, von einer Partei bedrängt zu werden. Dies war nur möglich, indem sie möglichst unauffällig blieben und nur ganz wenige Einbrüche durchführten. Die wenigen waren dann auch meist nicht sehr lukrativ, aber ohne Geld konnten sie ihren bescheidenen Wohlstand nicht halten. Daher waren Taschendiebstähle oder das plündern von Waren aus einem der unzähligen Lager an der Tagesordnung. Das war fast schon zu leicht, allerdings hielt die Routine die Sinne beisammen und die Finger kamen nicht aus der Übung. Jetzt stand aber wohl wieder ein größerer Einbruch an. Mit etwas Glück war er danach zumindest so weit unabhängig, dass er eigene Raubzüge planen konnte. Die Tatsache dass sein Mentor von den Einnahmen einen Teil bekommen würde, hatte Revan damals akzeptiert. Jedoch würde es nicht immer so weitergehen. Sein Mentor war alt geworden, die Anzahl der Jahre die er noch zu leben hatte, war recht überschaubar geworden. Danach konnte er uneingeschränkt auf die Verbindungen seines Mentors zurückgreifen. Alles in allem schien es endlich bergauf zu gehen, trotz der heiklen Situation in der Kaiserstadt. Das diese Postion immer mehr Neider anzog, war nichts neues. Genauso wenig die Verfahrensweise mit solchen Schmarotzern: An dem oder denen, die einem am gefährlichsten werden konnten, wurde ein Exempel statuiert, danach verschwanden die Mitläufer schneller wie Ratten die von einer Katze gejagt wurden. Das war der beständige Lauf der Dinge in dieser Welt. Sobald man die wichtigste Regel verstanden hatte, nämlich dass nichts bestand hat, außer der Tod, konnte man mit ein wenig Geschick und den richtigen Leuten besser leben als viele Andere. Auch wenn dieser Umstand manchmal nur von kurzer Dauer war, so galt diese Zeit vielen als die Beste die man in seiner erbärmlichen Existenz erreichen kann. Diese Denkweise bestimmte das Leben des Dunkelelfs seit seiner Geburt. Erst während der Ausbildung durch seinen Mentor änderte sich seine Sichtweise langsam und er fing an Vorbereitungen zu treffen, um eines Tages dem Netz aus Intrigen, Verrat und Bestechung zu entkommen. Auch wenn die Chancen groß waren, das Risiko war es auch. Es gab andere Orte an denen man als Dieb leben konnte, ohne ständig ein Messer im Rücken zu erwarten. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

    Der Dunkelf wählte einen Tisch am Rande, damit er den ganzen Schankraum beobachten konnte. Kaum saß er auf dem Stuhl, da erschien auch schon der Wirt, ein älterer Altmer namens Ormil. Hin und wieder unterhielt er die Gäste mit Geschichten aus der Zeit der Oblivion-Krise. Auch wenn sie glaubhaft erzählt wurden, so konnte sich Revan nur schwer vorstellen, das ausgerechnet der Held von Kvatch in dieser Kaschemme genächtigt haben soll. „Ein Dunkelbier“ - „Kommt sofort“ Wortkarg wie immer bestellte der Dunmer, damit er möglichst schnell wieder in Ruhe gelassen wurde. Warum ausgerechnet hier? Das der Besitzer ein Altmer war beunruhigte jeden Besucher, aber wenn sein Mentor ihn hier treffen wollte, dann hatte das sein Gründe. Dadurch das sie Elfen waren, wurden sie nicht ganz so herablassend von den Thalmor behandelt, wie die kurzlebigen Rassen. Dennoch war jedem klar, wer sich für die beste Rasse auf Tamriel hielt. Und zur Zeit waren sie auf dem besten Weg, diesen Anspruch mit allen Mitteln durchzusetzen.
    Kurz darauf stand das Bier vor ihm, ein paar Münzen wechseln den Besitzer und schon hatte der Dunmer wieder seine Ruhe. Bis zum Treffen waren es noch ein paar Stunden, daher war wieder Zeit für ein Karten- oder Würfelspiel. Dabei konnte man schön den anderen Parteien das Geld aus der Tasche ziehen ohne das sie etwas merkten. Dazu war aber auch immer ein wenig Alkohol nötig. Ohne Alkohol waren nur kleine Beträge möglich, wenn die gleichen Leute auf in Zukunft mit einem spielen wollten. Es musste immer so aussehen, als habe man besonders viel Glück oder die Anderen besonders viel Pech. Interessant wurde es, wenn ein zweiter Falschspieler am Tisch saß und gegen einen spielte. Diese Partien waren immer fordernd und man lernte manch neuen Kniff. Auch heute fanden sich schnell wieder ein paar spielfreudige Gesellen zusammen, die Karten wurden ausgepackt, die Einsätze bestimmt und schon ging es munter los.

    Ein paar Stunden später, das Floß war fast schon überfüllt, hatte Revan einen mäßigen Gewinn erzielt und war, nachdem die Runde den Tisch verlassen hatte, wieder alleine. Plötzlich entdeckte Revan eine Gestalt, die sich zwischen 3 eingetroffenen Soldaten der kaiserlichen Armee in den Schankraum zwängte. Er ist spät dran. Die Gestalt ging kurz zum Tresen und bahnte sich danach mit zwei Flaschen Wein und 3 Gläsern ihren Weg durch den Schankraum. Wortlos setzte sie sich an den gleichen Tisch, entkorkte die erste Flasche und füllte 2 Gläser mit Wein.
    „Du bist heute spät dran, Cale“, sagte Revan und nahm das Glas entgegen.
    „Ich musste noch ein paar Sachen regeln, Golion“, erwiderte Faldil
    „Das Übliche?“
    „Das Übliche.....Seit wann sitzt du hier?“
    Der Dunkelf schüttelte den Kopf. „Die geben wohl niemals auf, oder? Seit heute Nachmittag.“
    Der Waldelf lachte kurz und trocken. „Nein, du kennst doch die Regeln. Diese Regeln sind fast so alt wie Götter selbst.
    „Nur das die Regeln von sterblichen gemacht wurden, und alle mischen mit. Egal ob Bettler, Soldat oder König. Den Göttern muss das ziemlich egal sein, sonst hätten sie es längst unterbunden.“
    „Wer weiß, vielleicht ist es auch eine Prüfung um die Würdigen von den Unwürdigen zu trennen.“
    „Hör auf, die klingst wie diese selbstgerechten Priester. Schon vergessen: Angeblich sehen die Götter alles, wozu dann dieses Gerede von Prüfungen?“
    Faldil schüttelte den Kopf. „Lassen wir das. Es ist draußen schon dunkel und der Kontakt sollte jeden Moment auftauchen. Er hat eine Aufgabe für uns, angeblich ein sehr heikler Auftrag. Hast du irgendwas besonderes bemerkt?“
    „Einmal abgesehen von der Tatsache, dass wir uns in einer Kaschemme am Hafen treffen, die von einem Altmer geführt wird, den Dauergästen die bei genügend Gold alles gehört haben, ein paar Soldaten der Armee und dem selben Spion der Thalmor, der am anderen Ende des Raumes sitzt und heute ein zweiter Spion samt Schlägern eingetroffen ist,..... abgesehen davon nichts auffälliges.“
    „Also nur das Übliche. Halte trotzdem Augen und Ohren offen. Wenn der Kontakt eintrifft, verständigen wir uns auf die übliche Art und Weise.“
    „In Ordnung, aber mir bereiten die Spione immer ein wenig Kopfzerbrechen. Man weiß nie ob man einen Übersehen hat. Diese Halunken sind wie die Ratten. Wo du einen siehst, ist der Rest nicht weit entfernt. Und ich habe dieses mal kein gutes Gefühl“, entgegnete Revan.
    „Leidest du unter Verfolgungswahn? Es ist das gleiche Spiel wie in den letzten Jahren auch. Entspann dich ein wenig und........er ist da“, erwiderte Faldil.
    Ein ziemlich blasser, aber gefasst wirkender Kaiserlicher betrat den Schankraum und ließ den Blick kurz schweifen. Ein kurzer Blick auf die Tür hinter ihm, dann bewegte er sich langsam durch den Schankraum. Fast konnte man meinen, er würde im Gedränge ertrinken, doch er kämpfte sich bis zu dem Tisch, an dem Revan und Faldil saßen. Ein kurzes Nicken seitens des Bosmers, genügte dem Kaiserlichen um sich auf den freien Stuhl zu setzen. Mit einem gemurmelten „Danke“ nahm er das Weinglas entgegen und trank einen tiefen Schluck, ehe er die beiden Elfen eingehend musterte. Ehe er ansetzen konnte nahm Revan die Karten aus seiner Manteltasche und begann zu mischen. Der fragende Blick seitens des Kaiserlichen wurde von einem bestimmten Nicken Faldils beantwortet. Seufzend akzeptierte der Kaiserliche, dass der Abend wohl ein wenig länger werden würde.

    Nach der dritten Runde stellte Faldil die erste Frage an den Kaiserlichen, der sich selbst Tiro nannte. „Ich hörte du hättest Neuigkeiten für uns?“
    Tiro nahm einen weiteren Schluck Wein, ehe er mit zittriger Stimme antwortete: „D-du-durchaus, ihr kennt doch den...den reichen Altmer, der sich aufführt als wäre er der Herrscher über diese Stadt? Wie war der Name noch gleich......Eraami, Eraami heißt er.“
    „Ist ja auch schwer diesen dekadenten Mer nicht zu kennen“, grummelte Revan Während er missmutig nach der Bedienung Ausschau hielt, da die letzte Flasche Wein gerade geleert worden war. Mit gespieltem Erstaunen warf Faldil seinem Schüler einen tadelnden Blick zu, was dieser nicht sehen konnte.
    „Ja, wir kennen Eraami. Was ist mit ihm?“
    „Nun, man munkelt das er beabsichtigt auf Reisen zu gehen und eine nicht geringe Anzahl seiner Wächter mitzunehmen.....“
    Derweil hatte Revan die Aufmerksamkeit einer Schankmaid erlangt und gab ihr mit wenigen Handbewegungen zu verstehen, das noch eine Flasche Wein benötigt wurde. Derweil ließ er immer wieder den Blick schweifen. Selbst die beiden Spione waren nicht auffälliger als sonst, auch zeigten sie kaum Interesse an dem Gespräch zwischen dem Kaiserlichen und seinem Mentor. Sie tun so, als wäre ihnen alles egal. Oder haben sie wirklich keine Ahnung? Einer der Spione stand auf und verließ das Floß. Der Andere konnte sich nicht zwischen 2 Sorten Wein entscheiden. Vermutlich leide ich langsam wirklich unter Verfolgungswahn.
    „Und, was sagt ihr?“
    „Durchaus ein wertvoller Tipp. Was willst du für dein Wissen und was haben wir davon?“
    „Ein goldenes Amulett, es ist ein Familienerbstück.....er ist reich, nehmt euch so viel ihr tragen könnt. Ich kann euch kein Geld anbieten.“
    „Gut, wir werden das prüfen. Wenn sich wirklich eine Gelegenheit ergibt, werden wir sie nutzen. Ich gebe dir in spätestens 7 Tagen auf dem bekannten Weg eine Antwort“
    „In Ordnung. Der Wein geht auf uns. Wenn du dich hier so unwohl fühlst, kannst du gehen sobald die Runde zu Ende gespielt wurde.“
    Der Kaiserliche war während des Gesprächs noch blasser geworden, als er es bereits war. Mit sichtlicher Erleichterung verließ er ein paar Minuten später das Floß.
    Schweigend saßen die beiden Elfen am Tisch und tranken den Rest des Weins. Per Handzeichen hatte Revan seinen Mentor auf dem Laufenden gehalten, ob sie beobachtet wurden.
    „Und, irgendetwas verdächtiges bemerkt?“
    „Nein und gerade das bereitet mir ein wenig Sorgen. Die Spione hatten für alles Augen, nur nicht für uns.“
    „Ich sagte doch, du leidest langsam aber sicher unter Verfolgungswahn. Mit etwas Glück können wir diese Arbeit genau so unerkannt vollenden wir damals bei dem Schiff.“
    „Wäre schön mal zur Abwechslung nicht verfolgt zu werden.....Ja das Schiff war ein wahres Kunstwerk.“ Revan trank den Rest seines Glases und stellte fest, das ihm der Wein langsam zu Kopf stieg. „Kam dir der Kaiserliche seltsam vor? Ich meine....“
    „Jetzt hör schon auf die Geister da zu suchen wo keine sind! Geh nach Hause und ruhe dich aus, wir haben in den nächsten Tag viel Arbeit vor uns.“
    Seufzend erhob sich der Dunmer. „In Ordnung, du weißt ja wo du mich findest.“ Revan schwankte die ersten paar Schritte, da das lange Sitzen und der Alkohol nicht förderlich für seine Beine und sein Gleichgewicht waren. Grübelnd verließ er das Floß und atmete zuerst die kalte, stinkende Nachtluft ein, ehe er ein paar Schritte der Kaimauer folgte. Vielleicht haben wir ja wirklich Glück und ich sehe nur wieder Verrat wo keiner ist. Trotzdem, der Vorfall vor 3 Jahren......ich bin zu müde und die letzte Flasche Wein entfaltet ihre Wirkung. Es wird Zeit. Die Zweifel verdrängend wandte er sich von der Kaimauer ab und verließ so schnell wie möglich das Hafenviertel, in dem es seit geraumer Zeit schlimmer stank als in der Kanalisation. Der Dunmer wollte nur noch eins: Schlafen.



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    Geändert von Skyter 21 (04.02.2014 um 16:21 Uhr)

  11. #11

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Vier Tage später durchschritt Vesana etwa um die Mittagszeit das Bollwerk, das die kleine Stadt Rabenfels von der Aschewüste trennte. Beim Anblick der schwarzen Mauer aus Basalt empfand sie ein gewisses Maß an Erleichterung. Ihre nicht ganz ungefährliche Reise über die frostige Insel kam damit zu einem Ende und irgendwie fühlte sie sich befreiter. Zwar würde sie noch einige Zeit mit den körperlichen Nachwehen zu kämpfen haben, aber insgesamt war dieser Ausflug doch positiv – und vor allem erfolgreich – verlaufen. Sie hatte gefunden, weshalb sie gekommen war und konnte sich um einige Erfahrungen reicher fühlen. Wenngleich das Unterfangen erheblich auf ihren Geldbeutel schlug, so fand sie es die Kosten wert. In der letzten Nacht hatte sie auch endlich wieder ein Auge zu machen können und seither ließ auch ihre Licht- und Geräuschempfindlichkeit nach. Wenngleich die Kopfschmerzen vorerst blieben, so wusste sie wenigstens, dass sich auch diese in ein paar Tagen für einige Zeit verflüchtigen würden. Solange musste sie noch aushalten, aber mit den Erfahrungen der letzten Tage noch frisch im Hinterkopf blieben sie das geringste Übel. Auf ihre Stimmung schlugen sie trotzdem.
    Ihrem Gesicht schienen die Leute in der Küstensiedlung wohl anzusehen, dass die Kaiserliche, die immerhin nun schon vier Wochen unterwegs gewesen war, einiges durchgemacht hatte. Die Zeichnung mit dem Blut des Werbären ließ sich zweifelsfrei auf keinen Fall mehr als solche erkennen, aber inwieweit das Blut anderer Opfer der letzten Zeit noch auf ihren Zügen auszumachen war, vermochte Vesana nicht einzuschätzen, immerhin besaß sie keinen Spiegel, in dem sie sich hätte selbst betrachten können. In jedem Fall blieben noch genug Dreck, die Asche der letzten Tage, und die noch verheilenden Reste der zahlreichen Platzwunden als Mahle der Strapazen zurück. Nicht zu vergessen zeichneten sie auch noch die von Kälte, Wind und Wetter spröde Haut auf den Wangen, Lippen und an der Nase. Dass sie sich nach wie vor leicht schief stellen musste, um die Stiche in ihrer linken Flanke einigermaßen einzudämmen, sah man ihr mit Sicherheit ebenfalls mehr als deutlich an, da die Nächte im Rausch in Ermangelung der richtigen Beute kaum zum Heilungsprozess begetragen hatten. Die Jägerin störte sich jedoch nicht an den flüchtigen Blicken der Verwunderung und des Schreckens. Stattdessen lief sie zielstrebig zurück zur Ebenerzmine, um mit Crescius zu sprechen und nach ihrem Karren zu sehen.
    Die kühle, feuchte Luft im Innern des Felsens bot wie damals zu ihrer Ankunft auf der Insel auch jetzt eine mehr als willkommene Abwechslung zur in Augen und Lunge brennenden Luft draußen. Erleichtert zog sich Vesa das Tuch von Mund und Nase und nahm einige tiefe Atemzüge. Erst danach setzte sie ihren Weg den Eingangstunnel hinab fort, vorbei an dem Emblem der ostkaiserlichen Handelsgemeinschaft und in die zentrale Kaverne mit den Verwaltungsunterlagen des alten Kaiserlichen. Dieser saß wie damals im ersten Stock der hölzernen Räumlichkeiten am anderen Ende der Höhle. Kurz schaute sie sich um und fand ihren Wagen genau an der Stelle, an der sie ihn abgestellt hatte. Ein zufriedenes, kaum merkliches Lächeln umspielte ihre geschundenen Lippen. „Guten Tag“, grüßte Vesana, die Stimme laut erhoben, damit sie auch ganz sicher nicht überhört würde. Der alte Mann erhob sich von seinem Tisch und kam zum oberen Ende der Treppe, die ihn nach unten führen würde.
    „Du meine Güte! Ihr seid zurück!“ Ehrliche Überraschung und ein Grundtenor von Freude zeichneten seine alte, rauchige Stimme. Eilig kam er die knarzenden Holzstufen hinab und auf seinen unerwarteten Gast zu.
    „Das bin ich“, entgegnete Vesa und schlug in seine Hand ein, als er sie ihr reichte. „Ich wollte nach dem Rechten sehen und fragen, ob Ihr wisst, wann Gjalund das nächste Mal nach Windhelm übersetzt“, kam sie möglichst schnell zum Geschäftlichen. Trotz der langen Einsamkeit auf ihren Wegen über die Insel verspürte sie nach wie vor wenig Verlangen, sich länger als unbedingt nötig mit anderen zu unterhalten. Das anhaltende Stechen in den Schläfen trug ebenfalls seinen Teil dazu bei. Außerdem lag ihr der alltägliche Plausch ohne ein Ziel, ohne eine konkrete Notwendigkeit nicht. Wenn sie so recht darüber nachdachte, hatte es ihr noch nie wirklich gelegen, seit ihre Familie auseinandergefallen war. Und das lag inzwischen schon lange Jahre genug zurück, um die Erinnerungen an die Zeit davor fast bis zur Unkenntlichkeit verblassen zu lassen. Es gab seither niemanden mehr, der sie zu einem ungezwungenen Gespräche hätte motivieren können. Nun ja, fast niemanden, aber daran wollte sie in diesem Moment lieber nicht ausführlicher denken und Crescius Caerellius half ihr dabei, ob er es nun beabsichtigte, oder nicht.
    „Gjalund wird in drei Tagen nach Windhelm übersetzen“, erwiderte er. „Und Euer Wagen steht unverändert und unangetastet dort drüben.“
    „Danke. Ihr bekommt damit dann noch zweihundertfünfzig Septime für die Zeit seit meinem Aufbruch und die zwei noch folgenden Tage. Richtig?“
    „Richtig. Kommt.“ Der alte Kaiserliche bat sie hinüber zu dem Tisch, an dem sie schon vor vier Wochen gesessen hatten, um dort die Finanzen zu erledigen.
    „Kann man sich hier irgendwo für etwas Geld baden?“, fragte Vesana, während sie in ihrem Tornister nach dem Goldsäckel kramte.
    „In der Taverne dürftet Ihr das können, wenn Ihr Euch dort ein Zimmer mietet. Wo die ist, wisst Ihr ja bereits.“
    Sie schob ihm das abgezählte Geld zu. „Ja, weiß ich.“ Während er grob und dem Anschein nach eher nur unaufmerksam zählte, erhob sich die Jägerin wieder und schritt hinüber zu ihrem abgedeckten Wagen. Sie warf die Plane zurück und suchte sich einige Sachen zusammen, die sie nun in der Siedlung benötigen würde. Die Schlafunterlage, die Decke und das Werbärenfell verstaute sie auf der Ladefläche. Ebenso die Armbrust und übrigen Bolzen. Allgemein legte sie zunächst sämtliche Waffen ab und entledigte sich anschließend sowohl ihrer Rüstung, als auch ihrer dicken Leder- und Felljacke. Während sie auch noch den Inhalt des Felleisens neben ihren übrigen Sachen einsortierte, erhob sich Crescius und näherte sich bis auf ein paar Schritte. In gebührendem Abstand blieb er auf der anderen Seite des Wagens stehen.
    „Es stimmt soweit alles. Ich hoffe, Eure Reise hat sich für Euch gelohnt. Es freut mich jedenfalls, Euch mehr oder weniger wohlbehalten wieder hier zu sehen.“
    Vesana schaute kurz auf und in das faltige Gesicht des alten Mannes. „Das hat sie. Danke.“ Ein kurzes, etwas verunglücktes Lächeln und Nicken des Kaiserlichen später wandte sich dieser von ihr ab und widmete sich seiner Arbeit. Sie selbst war froh darüber, endlich ihre Ruhe zu haben, seufzte kurz und kramte weiter auf ihrem Karren herum. Während sie sich etwas unbeobachtet fühlte, wechselte sie noch die völlig verdreckte und unangenehm riechende Tunika mit einer frischeren aus. Zum Schluss band sie sich ihr verbliebenes Schwert erneut auf den Rücken und einen der Dolche an den Gürtel. Mit einem kaum gefüllten Tornister machte sie sich auf den Weg zur Taverne. Das reduzierte Gewicht auf den Schultern und der mangelnde Druck auf den Brustkorb erleichterten ihr diesen. Leichten Fußes trat die Kaiserliche zurück ins Freie, zog das Tuch vor Mund und Nase und begann damit zu planen, was sie in nächster Zeit tun würde. Vermutlich sollte erst einmal eine Rückkehr zu Jorrvaskr und den Gefährten folgen. Der eine oder andere Auftrag käme sicher ganz gelegen, nicht zuletzt weil sie ihre Goldreserven im Heim der Gilde eigentlich nur ungern antasten wollte, sich ihr Geldsäckel jedoch erheblich verkleinert hatte in den letzten Wochen. Natürlich wäre es wohl auch an der Zeit überhaupt mal wieder ihr Gesicht dort zu zeigen, da sie mittlerweile doch schon lange abwesend war und nicht gänzlich in Vergessenheit geraten wollte. Die einzige Gemeinschaft, in der sie sich einigermaßen sicher und wohl fühlte zu vergraulen, lag keinesfalls in ihrem Interesse. Es wäre wohl das Beste, wenn sie nach ihrer Ankunft in Windhelm möglichst schnell zurück nach Weißlauf kam, und sich erst dann so richtig Gedanken über alle weiteren Schritte machte.
    Zunächst musste sie ohnehin ein Bett und ein Bad organisieren. Im unteren Teil der Taverne grüßte auch gleich der Wirt. „Ihr seid zurück. Was kann ich für Euch tun?“
    „Ich bräuchte ein Bett für die nächsten drei Nächte und ein Bad.“
    „Selbstverständlich. Das Zimmer kostet zehn Septime die Nacht. Das Bad zwanzig“, erwiderte der Dunmer und zupfte sich am Kinn herum, wie ein bedachter Geschäftsmann.
    „Zwanzig?“, fragte die Kaiserliche nach. Eine stattliche Summe für einen Zuber voll mit warmem Wasser.
    „Sauberes Wasser ist hier kostbar. Ihr wisst schon, wegen der vergiftenden Asche des Roten Berges. Dafür bekommt Ihr aber auch noch Seife und ein Tuch zum Trocknen“, erläuterte ihr Gegenüber und stützte sich mit den Händen auf seinem Tresen ab. Wenigstens etwas.
    „Von mir aus.“ Vesa reichte ihm das Geld. Sie verspürte keine Lust, noch großartig zu verhandeln. Sie wollte einfach nur noch ein Bett und ein Bad, um die Anspannung der letzte Wochen abzuwerfen. Mehr nicht.
    „Vielen Dank! Lasst mich Euch zu Eurem Zimmer führen. Bitte“, er wies sie an ihm zu folgen. Gemeinsam schritten sie in den hinteren Teil der Taverne und der Wirt schloss einen kleinen Raum auf, der über das Nötigste an Einrichtung verfügte. Anschließend reichte er ihr den Schlüssel. „Soll ich Drovas anweisen, Euch eine Wanne mit warmem Wasser einzulassen?“
    „Ja, bitte.“
    „Gut, er wird klopfen, sobald das Bad bereit ist.“ Er überließ sie sich selbst. Die Tür hinter sich schließend, legte die Kaiserliche zuerst Gepäck und Waffen ab, dann entledigte sie sich ihrer Stiefel und Hose. Nur noch mit der Tunika bekleidet ließ sie sich auf dem Strohbett nieder und verschränkte die Hände auf dem Bauch. Mit geschlossenen Augen versuchte sie an nichts zu denken, sondern einfach die Seele baumeln zu lassen. Ruhige Atemzüge sorgten für Entspannung, das weiche Fell und die Decke zwischen ihr und dem Stroh sorgten für den nötigen Komfort. Obwohl sie sich vornahm, nicht einmal das zu tun, ließ sie die Tage auf Solstheim Revue passieren und ging gedanklich zurück zu ihrem Kampf mit dem Werbären, dachte an die Tage der Jagd mit Oslaf, Wulf und Finna, ja sogar bis zu ihrem ersten Tag auf der Insel und der Auseinandersetzung mit dem Plünderer in der Aschewüste. Zu ihrem Bedauern kehrten damit aber auch die unbequemeren Erinnerungen zurück. Darius‘ Gesicht schälte sich ein weiteres Mal aus der Dunkelheit vor ihren Augen. Unwillkürlich griff ihre Hand nach dem Amulett um ihren Hals.
    Bevor sie sich jedoch in ihren Erinnerungen gänzlich verlieren konnte, klopfte es an der Tür und die Jägerin riss die Augen auf. Sich mit den Händen über das Gesicht fahrend stand sie auf und öffnete. Ein alter Dunmer mit magerem Gesicht und wulstigen Augenbrauen stand dort vor ihr. „Ja?“
    „Euer Bad ist eingelassen. Wenn Ihr mir folgen würdet?“, entgegnete er und sie nickte. Das Zimmer schloss sie ab und lief barfuß hinter dem schon etwas in die Jahre gekommen wirkenden Elfen her. Er führte sie zu einem größeren Raum, in dem am Rand und hinter einer verschiebbaren Abtrennung ein Holzzuber stand. Auf einem einfachen Ständer hing ein großes Wolltuch und etwas Seife lag auf einer Ablage. „Sagt Bescheid, wenn Ihr fertig seid.“ Abermals nickte die Kaiserliche und wurde sich selbst überlassen.
    Ihre Tunika zog sie über den Kopf und legte die Halskette ab. Den Verband hatte sie nach der ersten rastlosen Nacht nicht wieder anlegen können, zu zerschlissen waren die Wickel gewesen. Ohne Salbe und in dem teils zerrissenen Zustand hätte er ohnehin keinerlei Wirkung mehr gehabt. Ihr Brustkorb schimmerte mittlerweile in kräftigem Gelb und Grün. Immerhin ein Zeichen dafür, dass die inneren Verletzungen verheilten. Letztlich rutschte sie nach kurzer Gewöhnung an das wirklich sehr warme, leicht dampfende Wasser in die ovale Holzform. Zwar vermochte sie nicht, sich darin lang zu machen, aber immerhin passte sie mit angewinkelten Beinen problemlos hinein. Vesana löste nun auch noch das Lederband, das ihren Pferdeschwanz und die dorthin laufenden Zöpfe zusammenhielt, und schüttelte die langen Haare aus. Erst dann schloss sie die Augen und tauchte völlig ab.



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    Geändert von Bahaar (23.08.2013 um 14:19 Uhr)

  12. #12

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Die Zeit bis zur Abreise verbrachte Vesana überwiegend damit, sich zu erholen. Sie blieb lange im Bett liegen, frühstückte spät und spazierte etwas durch das Städtchen. Wenn sie nicht gerade oben auf dem basaltenen Bollwerk zwischen und auf einigen Kisten am hintersten Ende saß und in einem ihrer Bücher las oder einfach die Augen über den grauverhangenen Himmel schweifen ließ, weil ein laues Lüftchen aus dem Norden vorrübergehend die Asche in der Luft vertrieb, so blieb sie meist im Schankraum sitzen oder auf ihrem Zimmer. Einzig zum Abziehen des Fells des Werbären blieb sie schlechteren Luftbedingungen zum Trotz länger draußen. Die Kaiserliche mied soweit möglich die Gesellschaft anderer und hielt sich zurückgezogen. Die Entspannung und Ruhe taten ihrem Körper gut. Die Kopfschmerzen verflogen zusehends, die Schmerzen in der Brust reduzierten sich auf ein Minimum und die Kraft kehrte nach und nach in die müden Glieder zurück. Von den Dunmer der Siedlung erhielt sie kaum noch außerordentliche Beachtung. Die Gegenwart eines länger bleibenden Besuchers verlor schnell an Ungewöhnlichkeit. Nicht, dass es sie großartig kümmerte. Im Gegenteil, dass man sie in Frieden ließ und ihr nicht ständig nachsah, kam Vesa ganz gelegen.
    Am späten Nachmittag des zweiten Wartetages saß die Jägerin gerade wieder auf ihrem angestammten Platz oben auf dem Bollwerk und blickte hinab in die kleine Stadt. Wären da nicht die patrouillierenden Wachen des Hauses Redoran gewesen, sie hätte den Ort für verlassen und der Asche überlassen halten können. Die wenigen Händler auf dem Marktplatz boten ihre Waren den üblichen Verdächtigen feil, die vermutlich schon längst kein Bedürfnis mehr an noch einem neuen Schwert, einer Schaufel oder noch einem leeren Leinensack hatten. Die einzige wirklich potenzielle Kundin saß hoch oben und schaute aus weiter Ferne auf sie hinab, alle anderen hielten nur einen Schwatz mit dem Verkäufer und entfernten sich im Anschluss wieder. Eigentlich eine traurige Situation für die Händler, aber jeder von ihnen hätte genauso gut wieder auf das Festland Morrowinds zurückkehren können, insofern bestand keine Notwendigkeit für Mitgefühl. Vermutlich waren sie ohnehin weitestgehend zufrieden mit ihrem Leben in Frieden und Ruhe, abseits großer Politik und den Problemen des Festlandes.
    Zwei Wachen kamen gerade wieder in Vesanas Richtung. Die Platten ihrer schweren Knochenrüstungen schlugen weithin vernehmbar aufeinander und die harten Stiefelsohlen hämmerten mit markantem Klacken auf den Steinboden ein. Es waren zwei ihr bereits bekannte Gesichter. Einer von ihnen mit weitflächigen Tätowierungen in der linken Gesichtshälfte und feuerrotem Haar bis auf die Schultern, der andere mit fies geschnittenen Zügen und pechschwarzer Mähne. Ein Ziegenbart zierte sein Kinn. Als sie das erste Mal hier vorbei gekommen waren am Tag zuvor, hatten sie noch mit der Kaiserlichen diskutiert, dass sie doch hier oben eigentlich nichts zu suchen hatte und sich doch ein anderes Fleckchen in der Stadt aussuchen sollte. Nach einer kurzen Debatte in der sich die Jägerin uneinsichtig und stur zeigte, ließen sie sich jedoch davon überzeugen, dass von einer einfachen, zierlichen Frau mit einem Buch kaum eine Gefahr für die Festungsanlagen oder die Bewohner der Siedlung ausging und es am Ende nicht schaden konnte, den Gast die Aussicht genießen zu lassen bis er in Kürze ohnehin wieder abreiste. Inzwischen grüßten sie sogar.
    Der Wind hielt glücklicherweise noch etwas an und ließ die sonst trockene, brennende Luft der Gegend etwas milder werden. Die Füße hochgelegt zwischen zwei Zinnen, auf einer Kiste sitzend und gegen eine weitere lehnend, schloss Vesana die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Einige Momente lang verharrte sie so und atmete tief ein und aus. Nur langsam öffnete sie die Lider und griff sich im Anschluss ihr Buch. Ein einfacher Bericht über die Geschichte Himmelsrands mit einem kleinen Exkurs zu den Falmer, diese widerspenstigen, garstigen und blinden Kreaturen in den alten Dwemer-Ruinen, von denen sie schon so einiges gehört hatte, aber zum Glück noch nie selbst einem über den Weg gelaufen war. Derartige sachliche Literatur gab ihr irgendwie mehr, als simple Unterhaltungskunst, die von Barden und jedem Schnösel zusammengekritzelt werden konnte, der wusste, wie er einen Federkiel zu halten hatte. Mancher verkaufte seine grandios zusammengebastelte Geschichte sogar als Wahrheit. Zum Glück ließen sich solche für einen halbwegs gebildeten Leser wie sie schnell von echter Fachliteratur unterscheiden, die dann doch meist auf verschnörkeltes Floskelbeiwerk verzichtete.
    Vesa merkte gar nicht, wie schnell tatsächlich die Zeit verstrich. Die blutrote Sonne neigte sich steil dem Horizont zu und erst als die Zinnen lange Schatten direkt auf die vergilbten Pergamentseiten warfen, schaute sie auf. Einige der Wachen in Rabenfels hatten bereits Fackeln herausgeholt und entzündet, weil Teile der Niederlassung schon in beinahe nächtlicher Dunkelheit lagen. Die Kaiserliche entschied sich noch das Kapitel, das sie begonnen hatte, zu Ende zu lesen und würde dann zur Taverne zurückkehren. Vorfreude auf die bevorstehende Abreise und ein baldiges Wiedersehen mit den Gefährten machten sich merklich in ihr breit. Der Hunger im Bauch wich sachtem Kribbeln und einem Gefühl von Leichtigkeit. „Bald“, flüsterte sie zu sich selbst, ein Lächeln stahl sich auf die schmalen Lippen.
    Leichtfüßig schwang sich die Jägerin über den Stapel Kisten zurück auf den steinernen Boden und spazierte lockeren Schrittes oben auf der dicken Mauer entlang. Einen letzten Blick warf sie hinüber in die Aschewüste vor dem Städtchen. Sie würde das Grau wahrhaftig nicht vermissen. Und als ob ihr jemand dieses Gefühl bestätigen wollte, drehte plötzlich auch der Wind und trug neuerlichen Ascheregen aus dem Südosten über die Insel. Die dicken Flocken verkleisterten augenblicklich ihre Haare und verschmutzten die Haut auf den freien Armen. Das Buch unter den rechten geklemmt beschleunigte sie ihr Schritttempo und zog Gjalunds Tuch vor Mund und Nase. Wenig später kam sie an den beiden Wachen vorbei. Auch sie trugen inzwischen Tücher vor den Gesichtern und grüßten ein letztes Mal als die kleine Frau an ihnen vorbeikam. Diese armen Hunde konnten nicht einfach irgendwo hineingehen, wenn es ihnen zu ungemütlich wurde.
    Eilig trabte Vesana die schwarzen Stufen hinab, bog vor dem Tempeleingang ab und schritt eine weitere Treppe hinunter. Dann fehlte auch nicht mehr viel bis zur Taverne. Unten in der Senke, in der die Siedlung lag, hüllte inzwischen die Nacht alles ein, dass nicht im Schein der Fackeln der Redoranwachen erleuchtet wurde. Einzig am Marktplatz ein Stück vor ihr flackerte es auch ohne die mobilen Leuchter. Abgesehen davon schien sie jedoch die einzige zu sein, die sich tatsächlich noch mehr oder weniger freiwillig draußen aufhielt.
    Sie durchquerte gerade einen besonders dunklen Abschnitt auf ihrem Weg zum Wirtshaus, als sich von hinten ein Arm um ihre rechte Seite legte und jemand von unten ihre Kehle mit festem Griff packte. Die Augen weiteten sich vor Schreck und sie sog scharf die Luft ein, während das Herz einige aufgeregte Sprünge vollführte und ihr das Buch entglitt. „Guten Abend, Nevara“, flüsterte ihr eine messerscharfe Männerstimme ins linke Ohr. „Oder sollte ich sagen: Vesana?“ Eine kalte Spitze drückte sich von hinten gegen ihre linke Körperhälfte, etwa auf Höhe des Herzens. „Ihr hieltet Eure Namenswahl wohl für sehr ausgefuchst, nicht wahr?“ Seine Worte schnitten kühl durch die nächtliche Luft, keine Emotion spiegelte sich in ihnen, außer einer Brise Verachtung vielleicht. „Möglicherweise war sie das auch“, der Sprecher wechselte die Seite und drückte sich nahe ihrem rechten Ohr gegen ihren Kopf, um noch leiser sprechen und sich dennoch sicher sein zu können, dass sie ihn verstand. „Überall, nur nicht hier.“ Nach Überwinden der ersten Schockstarre und der Rückgewinnung einiger klarer Gedanken, griffen die Hände der Kaiserlichen instinktiv nach dem kräftigen Arm des Mannes, der sie von hinten festhielt. Weit und breit war keine Wache zu sehen und zu sprechen vermochte sie nicht mit den kraftvollen Fingern, die ihr die Luft im Hals abschnürten. „Tsts, nicht doch“, kommentierte der Fremde und drückte die Spitze stärker gegen ihren Rücken. Sie spürte einige Blutstropfen über ihre Haut rinnen.
    „Ich vergesse nicht, Vesana“, sprach er weiter, abermals die Seite wechselnd und sich erneut gegen sie drückend, „und ich vergebe nicht.“ Ein Bauchgefühl ließ der Kaiserlichen den kalten Schweiß ausbrechen. Zunehmende Unruhe und ein Anflug von Panik ergriffen von ihr Besitz, während sie zuvor zunächst noch versucht hatte, Geduld zu wahren und auf eine vorbeikommende Wache gehofft hatte. Inzwischen waren sowohl die Hoffnung, als auch ihre Selbstbeherrschung zunichte. Sie wand sich in seinem Arm und versuchte sich trotz des Messers in ihrem Rücken zu befreien. Allerdings schnitt sie sich damit nur selbst und löste den Schraubstock um ihre Brust und den Hals keineswegs. Der Mann hinter ihr, von dem Vesa inzwischen annahm, dass es sich um einen Dunmer handelte, lachte verächtlich. Sie brauchte nur noch einen Hinweis, um sich sicher zu sein und den lieferte ihr der Angreifer kurz darauf freiwillig, wenngleich die Jägerin gerne darauf verzichtet hätte. „Seid so freundlich und grüßt Eure Mutter von mir, ja?“
    Genau in diesem Moment stach der Fremde zu. Unglaubliche Pein durchfuhr ihre linke Körperhälfte. Die Luft blieb jetzt gänzlich weg, das Herz schlug unkontrolliert und sprunghaft. Sie begann zu zittern und griff sich unter die Brust. Feuchtigkeit benetzte ihre Finger. Wie in Trance schaute sie an sich hinab. Im spärlichen Licht der Nacht und dem weit entfernten Flackern blitzte eine stählerne, schlanke Spitze auf, die sich kurz darauf schmatzend aus ihr zurückzog. Der Schraubstock lockerte sich und sie sackte in die Knie, unfähig zu stehen. Entsetzt blieb ihr Mund offen stehen, der Druck der eigenen Hände verhinderte nicht, dass ihr Lebenssaft aus der Verletzung quoll. Qualvoll versuchte sie zu atmen, doch funktionierte es kaum, als ob die Luft an anderer Stelle aus ihr entwich. Mit dem Ausatmen blubberte noch mehr Blut aus der Stichwunde. Auch aus Mund und Nase tropfte das Rot.
    Kraftlos fiel sie zur Seite in die Asche und schaffte es nicht einmal mehr, sich mit den Händen abzufangen. Stattdessen fuhren nur einige weitere Stiche durch die linke Hand, als ob sie in einen Igel gegriffen hatte. Aber auch dieses Gefühl ließ schnell nach und verschwand in den Hintergrund unendlicher gedanklicher Leere. Aus weiter Ferne, als ob es aus einer anderen Zeit und Welt käme, drangen Kampfgeräusche zu ihr. Animalisches Brüllen, schmerzerfüllte Schreie und bald darauf Waffenklingen und Rüstungsklappern. Es spielte keine Rolle.
    Irgendwo zwischen Leben und Tod gefangen versuchte sich die Kaiserliche wegzuschleifen und irgendwie näher an Lichtschein zu gelangen. Langsam wie eine Schnecke, wenn überhaupt, kam sie vorwärts. Schmerzen lähmten sie, wenngleich auch sie allmählich abflauten und zum Einheitsbrei der Ohnmacht verschmolzen. Kaum zwei Schrittlängen weit bewegte sie sich fort, bevor sie völlig entkräftet liegen blieb. Wenige letzte Gedankeblitze schossen ihr vor der hereinbrechenden Finsternis durch den Kopf, doch hatten sie nichts mehr mit ihrem verflogenen Kampfeswillen zu tun, der zuvor noch alles an ein mögliches Überleben gesetzt hatte. Dieser Bastard, dieser räudige Bastard eines Assassinen hatte sie tatsächlich gefunden. Hier, am Hinterteil der Welt. Es war unfassbar. Zu Schrecken, Entsetzen und Schock mischte sich nun auch Fassungslosigkeit. Bald darauf erloschen auch diese letzten Gedanken und selbst die aufkeimende Wut verglühte im Nichts.



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    Geändert von Bahaar (30.08.2013 um 13:11 Uhr)

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