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Deus
Pocahontas (1995) *rant-mode activated*
Einer der wenigen Disneyfilme, die ich noch nicht (ganz) gesehen hatte. Autsch, war der schlecht. Probleme auf so vielen verschiedenen Ebenen. Habe ja schon grundsätzlich Schwierigkeiten damit, wenn man wahre Geschichten - noch dazu halbwegs gut dokumentierte, mitsamt Personen, die wirklich gelebt haben - so krass frei interpretiert und noch dazu mit Fantasyelementen "aufpeppt", dass sie mit der Wirklichkeit nichts mehr gemein haben. Ich erwarte wahrlich keine historische Exaktheit, nicht von einer romantischen Dramatisierung und schon gar nicht von einem Disneyfilm, aber reale Ereignisse hierfür so krass umzudeuten und zu verzerren und das in einer völlig ernst gemeinten Erzählung (bei einer Parodie oder satirischen Elementen wäre das was anderes), das halte ich für unangemessen und unpassend. Ich weiß echt nicht wer von denen darauf kam, dass das eine gute Idee sei, nachdem sich das Studio zuvor immer und meistens erfolgreich um Adaptionen von populärer Fiktion gekümmert hatte... Lustig, haben sie dem Werk in der deutschen und französischen Version deshalb den Untertitel "Eine indianische Legende" verpasst, um sich jeder Verantwortung zu entziehen?
Ein magischer, sprechender Baum mit Gesicht, yay. Viel übler fand ich die Sache mit der Sprache: Klar, man muss nur mal kurz auf den Wind hören und versteht sofort eine komplett fremde Ausdrucksweise! *cringe* Hier haben es sich die Autoren viel zu einfach gemacht. Peinlich, denn gerade das gegenseitige Verstehen ist eines der Schlüsselelemente in allen Geschichten dieser Art, wenn Kulturen aufeinandertreffen. Das hätte man sehr viel behutsamer und mit mehr Klasse lösen können, ohne dass es für die Handlung zu Problemen kommt. Hätte aber ein wenig mehr Zeit gekostet, und die glaubten die Macher anscheinend nicht zu haben. Pocahontas ist mit nur 75 Minuten Laufzeit (ohne Abspann) mal wieder sehr kurz geraten. Ein Film muss nicht lang sein, um zu funktionieren, aber in diesem Fall ist es unverzeihlich, dass die erste halbe Stunde praktisch nichts von Bedeutung passiert.
Die Story ist langweilig und ereignisarm, beschränkt sich auf die Basics und behandelt obendrein Zeugs, das wir auch vor 1995 schon tausendfach anderswo besser gesehen hatten. Von der Kultur dieses Indianerstammes oder dem harten Alltag der frühen Siedler sehen wir wenig bis gar nichts. Wäre den Machern wohl zu viel Aufwand gewesen, denn da hätten sie sich um Authentizität bemühen müssen. Verpasste Chancen. Die Charaktere? Alle unsympathisch und kaum ausgearbeitet! Schwierig auch, wie sehr der Film Inbegriff von "safe" und kommerziell auf Mainstream ausgerichtet ist. Warum sich überhaupt ein bitteres Thema aussuchen, wenn man damit auf kreativer Ebene nichts anzufangen weiß? Political Correctness wird hier groß geschrieben, und zwar auf eine äußerst herablassende, bevormundende Art, die dem Zuschauer ihre Botschaften mit dem Holzhammer eintrichtert. Ohne moralischen Spielraum, ohne Beweggründe über die aller flachesten Schablonen hinaus.
Das Pacing aus der Hölle ist bei alledem einfach der größte Knackpunkt. Der ganze Film fühlt sich an als wären zwischendrin immer wieder große Batzen von zehn Minuten und mehr herausgeschnitten worden. Die Zeit vergeht unnatürlich. In der Handlungslogik müssten immer wieder Tage, Wochen, vielleicht sogar Monate vergangen sein, aber der Inhalt des ganzen Streifens wirkt so als fände das Geschehen innerhalb von ein paar Stunden statt. Das hätte man leicht mit ein paar Montagen korrigieren können, die verdeutlichen, dass zwischendurch etwas passiert und Zeit vergangen ist. Aber nope. Genau dies bricht auch den beiden Hauptfiguren das Genick. Vom Publikum wird auf einmal erwartet zu glauben, dass Pocahontas und John Smith so mirnichts dirnichts Gefühle füreinander entwickeln, ja nicht mehr ohne den anderen leben können (was in der Form übrigens nie passiert ist). Jedoch gibt es keine einzige Szene im Film, die so eine Darstellung auch nur im Ansatz rechtfertigen würde! Das ganz nebenbei mit einem vagen Traum der Titelheldin erklären zu wollen scheint mir wirklich erbärmlich.
Ein wichtiger Nebencharakter stirbt? Egal! Wir kannten ihn so gut wie gar nicht und der Film tut ohnehin so, als sei das zehn Minuten später bereits vergessen. Ganz genauso gerushed kommt das Love-will-save-us-all-Ende herüber, welches den potentiell spannenden Konflikt halbherzig und unglaubwürdig auflöst. Als der Abspann lief, musste ich mich ernsthaft fragen: "Wie, das war es jetzt schon?" Was wollte dieser Film eigentlich erreichen, was aussagen? 75 Minuten purer Filler-Fluff, der sich irgendwie nach überhaupt gar nichts anfühlt, weil keine der Entwicklungen Gelegenheit bekommt, zu atmen, und absolut nichts dauerhafte Konsequenzen hat. Ein zusammengekürzter erster Akt, ohne Höhepunkte, ohne zufriedenstellendes Ende. Das ist alles.
Was diesen Umstand so tragisch macht ist die Tatsache, dass Pocahontas Leben eigentlich verdammt interessant war, also das komplette Gegenteil vom Film. Ein gutes, dramatisiertes Biopic in animierter Form mit ein paar Zeitsprüngen, und zwar von jungen Jahren (sie war ca. zehn als sie John Smith traf!) bis zu ihrem frühen Tod als verheiratete Christin 1617 in England (oder meinetwegen bis kurz davor, der Aufbruch mit dem Schiff zurück nach Virginia wäre ein toller Schluss, Disney-Hauptcharaktere sterben schließlich nicht) - Mann, das hätte was werden können! Ambitioniert, ja, aber abwechslungsreich und nicht die Hälfte verschoben auf eine drittklassige Direct-to-Video-Fortsetzung, überhaupt tausendmal besser als der unausgegorene und minimalistische Schund, den wir bekommen haben.
Ich bin kein Riesenfan von Musicals und auch bei den Disneyfilmen hatte ich ab und zu meine Probleme mit dem übertriebenen und manchmal unnötigen Gesinge. Aber ich muss zugeben, wenn das gut klappt, dann klappt es so richtig und wird selbst zum Kult, der einem für den Rest des Lebens nicht mehr aus dem Kopf geht. Die Lieder aus Arielle, König der Löwen, Aladdin & Co begleiten uns nicht ohne Grund und erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit, werden überall erkannt. Ferner bringen sie als Teil der Filme den Plot voran, sind also ein zentrales erzählerisches Element, welches uns unter anderem die Charaktere näher bringt oder sogar zentrale Handlungspunkte spielerisch rüberbringt. Nicht so in Pocahontas, dort ist das alles ins Gegenteil verkehrt. Die Songs sind nichtssagend, nicht erinnerungswürdig, weder in Text noch in Melodie, und tauchen an Stellen auf, wo sie nicht viel zur Story beitragen. Jedes Mal wenn wieder jemand damit anfing, schaltete mein Hirn praktisch auf Durchzug, in der Hoffnung, dass es bald endlich weitergehen würde.
Die Disney-Klischees sind alle mit voller Kraft vorhanden, so sehr dass es weh tut. Und ich rede nicht nur davon, dass die Titelfigur mal wieder mindestens einen Elternteil verloren hat. Als Comic-Relief gibt es süße Tierchen, die ihren Schabernack treiben, das war zu erwarten. Dass es gleich drei waren (Waschbär, Kolibri, Mops), die nicht übermäßig amüsant sind, vergleichsweise eine Menge Screentime und stellenweise mehr Aufmerksamkeit bekommen als die oberflächlich bleibenden Protagonisten und Nebenfiguren, das ging mir gegen den Strich. Eine Sache, die diesmal nicht vorhanden war, aber mit der Disney sonst immer super punkten konnte, war ein eindrucksvoll böser Schurke. Der Gouverneur, dessen Name ich schon wieder vergessen habe, war kaum mehr als eine dünkelhafte Witzfigur. Nicht auszudenken, wie viel besser die Geschichte hätte sein können, wenn wenigstens der was getaugt hätte.
Das einzige, was ich Pocahontas zugute halten kann, sind Animation und Design. Das war wie gewohnt auf hohem Niveau. Die realistischeren und geradlinigeren Figuren waren zwar nicht so ganz mein Ding, aber das ist eher eine Geschmacksfrage. Die Hintergründe und Umgebungen hingegen sehen teilweise atemberaubend schön aus! Alles in allem landet der Film als Enttäuschung ganz weit unten auf meiner (noch nicht ernsthaft vorhandenen - aber vielleicht sollt ich das mal machen) Disney-Appreciation-Liste. Gibt nur sehr wenige, die ich noch schwächer fand.
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