@ Stille
Derart voluminöse Beiträge sind für mich immer die Festtagseingänge, weil sie mir so viel Futter zum Betrachten und Bedenken geben. Vielen Dank für die Mühe, so ein Text verfasst sich ja nicht mal eben so. Dabei ist das ja "nur" die Ouvertüre, denn mit deinem Let's Play hast du eine noch viel ausgebreitete Beschäftigung mit dem Spiel in die Welt gesetzt. Ich habe gleich mal neugierig in eine der jüngeren Folgen gelinst, doch dazu gleich mehr.

Natürlich freue ich mich nicht nur über den Beitrag an sich, sondern auch über deine Freude am Spiel, an den Figuren, an den Möglichkeiten, Welt und Helden näher zu erkunden, am Inhaltsreichtum und den platzierten Überraschungen. Ein Fazit, das die persönlichen Eindrücke bündelt und losgelöst vom Affekt des Moments noch einmal ordnet und gewichtet, hat gegenüber einem naturbedingt sehr gegenwärtigen Let's Play, das meist den Augenblick kommentiert, eine sehr bereichernde Funktion, denn es teilt mir Zusammenhänge mit, die in bloßen Momentaufnahmen vermutlich gar nicht zur Sprache kämen.

Wie ich lese, wäre dir ein stärker gelenktes Spiel mutmaßlich lieber gewesen. Solche Spiele bastele ich ebenfalls - du führst ja selbst die "Allreise" an - und natürlich haben sie den Vorteil, dass ich als Entwickler wesentlich mehr Kontrolle über das Spielerlebnis des Spielers ausüben kann, weil ich ihn stärker lenke, ihn fokussiert halten kann sowie die Oberaufsicht nicht so leicht aus der Hand gebe. Das ergibt dann ein weniger weitschweifiges Spiel, der Spieler geht nicht selbst auf die Pirsch, vielmehr treibe ich ihm die spielbaren Inhalte in einer vorsortierten Reihenfolge vor die Nase und schließlich wird der Spieler auch nicht in den Status eines Ko-Autoren erhoben, der durch seine Auswahlen, was er wann macht, Mitwirkungsrechte am Geschehen erwirbt.
Beide Richtungen haben ihre Freundeskreise. Je nach persönlichen Präferenzen wird man eine Tendenz oder sogar stark akzentuierte Vorliebe für den einen oder anderen Spielzuschnitt empfinden. Vor einem kompletten Open-World-Spiel scheute ich zurück (auch - wenngleich nicht nur - wegen der handwerklichen Anforderungen), was dir wahrscheinlich entgegenkam. Das aktuelle Projekt "Endzeit" ist auch schon wieder vergleichsweise linearer. Naja, fast. In der ersten Folge nutze ich die Möglichkeiten des Videospiels, die Phase der Orientierung in einer fremden Welt nicht nur erzählerisch zu behaupten, sondern spielerisch erfahrbar zu machen. Da ist man dann schon wieder als Exkursionsleiter in eigener Sache unterwegs, aber ich schweife ab.

Mit großer Neugier habe ich deine Einschätzung zur Handlung gelesen, gerade weil du infolge deiner Spielweise eine ungewöhnliche Perspektive auf das Geschehen mitbringst. Wenn du schon schreibst, etwa ein Jahr immer mal wieder "Wolfenhain" gespielt zu haben, lasse ich eingedenk der notwendig aufgetretenen Pausen jede Hoffnung fahren, das Vierzigstundenspiel hätte seine narrativen Zusammenhänge völlig unbeeinträchtigt bewahren können. Als ich das Spiel verfasste, ging ich von Tagen, besten/schlimmstenfalls mal einer Woche aus, die zwischen den verbundenen Kapiteln liegen könnten. Du hast allerdings für einen Zerdehnungseffekt von ganz anderem Kaliber gesorgt.
Kann das Spiel das ab? Zeigt es denn, wenn man es in Einzelstücke segmentiert, die - wenn ich deinen Let's-Play-Ansatz richtig interpretiere - für 20 Minuten aus der Qualität der unmittelbaren Szene heraus überzeugen müssen, weil die zuvor gespielten 20 Minuten Tage zurückliegen, noch genug Kraft einzig aus der ihrem Kontext nahezu entkleideten Situation? (Diese Frage stelle ich für mich, die schiebe ich dir nicht unter.) Allerdings: So interessant ich diese Frage finde, so wenig lehrreich ist die Antwort zugleich für mich, weil ich das Spiel nie für deine Spielweise konzipierte. Dadurch nehme ich zwar keinen handwerklichen Lerneffekt mit, dafür gewinne ich eine faszinierende Anekdote, auf welche Weise sich Spieler ein Spiel aneignen können. Deine Herangehensweise ist auf jeden Fall überraschend.

Wie eingangs angekündigt, hatte ich bereits einen Blick in dein Let's Play geworfen. Sofern das Teilstück aussagekräftig ist, scheinst du große Teile (fast alles?) des Spiels mit der Komplettlösung zu spielen. Manche der Questen vertragen sich mit diesem Ansatz nicht gut, andere regelrecht schlecht. Sie bauen darauf, dass der Spieler die Bezüge aus den erspielbaren Informationen herstellt. Wer könnte die gesuchte Ansprechperson sein? Wer könnte bei Problem X wohl weiterhelfen können? So was halt. Wenn du dir alles anliest und dann nachspielst, entfernst du dadurch den spielerischen Anteil aus dem Spiel. Heißt das, du spieltest "falsch"? Nein. Wenn dir Rätsel & Co nicht behagen, kürze alles mithilfe der Komplettlösung raus, wie es dir beliebt. Aber das Resultat deines Spielerlebnis' entspringt eben auch deiner Verantwortung. Dann bleibt tatsächlich nur noch die Wegeleistung von A nach B übrig.
Ein mindestens ebenso starker Eindruck blieb mir aus deinem Let's Play ebenfalls haften. Du legst nicht nur eine ansteckende Spielfreude an den Tag, du hast darüber hinaus eine unbeschwert Art und kannst vor allem über dich selbst schmunzeln. Gerade Letzteres stellt einen ungemein angenehmen Kontrast zu vielen anderen Let's Playern dar, die es als regelrechten Affront gegen sich selbst betrachten, wenn ein Spiel es mal wagen sollte, nicht umstandslos vor ihrer Herrlichkeit zu kapitulieren. Ich gucke gerne weiter.

Nochmals vielen Dank für deinen Text, das Lob, die Kritik (vor allem die mitgelieferte Begründung) und lies das bitte alles im Wissen darum, dass durch solche Beiträge meine Erwartungshaltung an künftige Äußerungen zum Spiel immer uneinholbarer ansteigt. Der Nächste lege bitte einen Roman in drei Bänden vor.