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The Big Guns
Erster Teil des neuen Outputs. Nächster Teil folgt morgen abend.
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„Naja, ne. Also ich würde ja die voll so...“, fängt Takko an, zieht an seinem zweiten Joint heute und bläst mir Rauch ins Gesicht. „Verpfeifen, weißte. Das ist ja richtig furchtbar, was da abgeht, ne.“
Ich sitze mit ihm hinterm Tresen von Film24, in meinem besten Gammelzwirn (= Pyjama, Bademantel, Ökolatschen), eine Kippe im Mund und eine halbleere Coladose in der rechten Hand. Ich hab auch schon zwei oder drei Züge von Takkos Tüten intus und mir ist ein bisschen schwindelig. Aber reden geht noch.
„Eeeeeey...“, fange ich an. Kommt's mir nur so vor oder ist meine Stimme jetzt noch tiefer als sonst? Der Gedanke bringt mich zum lachen. Ich grinse über beide Backen und gacker mir den Arsch ab, Takko tut dasselbe ein paar Sekunden später.
„Eeeeeeeey...“, wiederhole ich, diesmal noch tiefer und langgezogener. Jetzt kommen mir Tränen aus den Augen.
„Hör auf, Junge. Hör auf!“, wimmert Takko und versucht, sich nicht in die Hose zu pinkeln vor lauter Gelächter.
Nachdem der Lachflash abgeklungen ist, fange ich noch einmal von vorne an.
„Ja. Voll die Kapitalisten-Nazi-...“, Takko reicht mir den Joint rüber, von dem zwei Züge nehme, bevor ich weiter rede und dabei Dampf aus dem Mund entweichen lasse, „...-Kommunistenschweine.“
„Junge, du musst die Callcenter-Gestapo echt mal richtig fett niederreißen, ne.“
„Ich arbeite dran.“
„Haste 'n Plan oder...?“
„Jo, das wird voll gut. Ich werd' einfach nie wieder arbeiten und nie wieder für irgendwas bezahlen.“
„Geil.“
„Ich weiß.“
„Ach ja, apropos...“, sagt Takko und scheint plötzlich nicht mehr stoned zu sein, „Wann bezahlste eigentlich die Leihgebühren für 'Straßen in Flammen' und 'Hard Boiled Taiwan'?“
Ich gucke verdutzt drein. „Hä, wie?“
„Naja, du hast die immer noch nicht wiedergegeben und Tina wird langsam leicht ungehalten, sag ich mal, ne.“
„Ich hab keine Kohle dabei und bezahle nie wieder für irgendwas.“
Takko hält die Hand auf und schaut mich eindringlich an. „Fünf Euro.“
„Nie wieder. Für irgendwas.“
„Fünf Euro.“
„Bezahle. Ich. Nie wieder.“
„Fünf Eu...“
„OKAY OKAY!“, rufe ich. „Mann, du bist echt unrelaxt beizeiten du Asi.“ Ich krame einen Fünfer aus der Bademanteltasche und reiche ihn Takko, der den Geldschein dankend entgegennimmt.
„Arbeiten musst du ja trotzdem nicht mehr, ne. Und wen du bezahlst oder nicht – is' mir latex.“, sagt Takko, „Hauptsache ich krieg' Kohle, Junge. Sonst sagt's BUTZ!“
„Butz?“
„BUTZ, Junge!“
„Also 'Butz' wie 'Butz, voll in die Fresse'?“
„Ja, ne. Aber eigentlich bin ich friedliebend und so. Krieg ist richtig furchtbar, Junge.“
Ich nehme einen Schluck aus der Coladose. Süßliche Chemie läuft mir die Kehle runter. „Ja, stimmt. Krieg ist die Hölle.“
„..., ne?“
Also bleiben wir in den speckigen, dunkelbraunen und gefühlt 5000 Jahre alten Ledersesseln 'ne Zeit lang sitzen und schweigen uns gegenseitig an. Ab und an lässt Takko die Tüte kreisen, wodurch ich wieder etwas entspannter werde. Ich hab seit Jahren nicht mehr gekifft, merke ich gerade. Fühlt sich auch nicht besonders gut an. Aber ist wohl besser als sich spackig fünf Bier morgens reinzutun und besoffen einkaufen zu gehen. Dann lieber bekifft im Bademantel in einer Hipster-Videothek abhängen und die Kunden verarschen. Obwohl: Was genau ist jetzt schlimmer? Ich muss in dem Aufzug auch wieder zurück nach Hause.
Das Eingangstürsglöckchendings bimmelt. Ein Typ kommt rein und verschwindet direkt in der Ab 18-Abteilung. Takko grinst sich einen. Auf meine Frage hin, warum er grinst wie der Grinch, sagt er nur: „Wart's ab.“
Der Porno-Typ kommt aus der per 70er-Gedächnis-Perlenvorhang vom Rest des Ladens abgeschirmten Ab 18-Abteilung rausgelatscht und nimmt direkten Kurs auf den Tresen, hinter dem Takko nun steht (und nicht mehr sitzt, logischerweise) und Mühe hat, sich ein Grinsen zu verkneifen. Der Porno-Typ hat einen beigefarbenen Porno-Pulli an, trägt eine Porno-Hornbrille (oder sollte ich besser sagen: Pornbrille? Ha ha. Nee, wat ist der Vaddi lustig heute.), seine Porno-Wichsgriffeln hat er in die Porno-Taschen seiner Porno-Cordhose gesteckt und er ist ungefähr 45 Porno-Jahre alt. Er lässt seine Porno-Augen kreisen und ihm steigt jetzt schon die Porno-Schamröte zu Kopf, welcher nun aussieht wie eine Porno-Tomate mit Porno-Schnurrbart.
Ich mach mir gleich in die Hose, so sehr will ich lachen und so sehr habe ich Mühe, es mir zu verkneifen. Der Porno-Typ wirft einen kurzen Blick auf mich, wie ich mit Joint im Maul, Bademantel und Latschen an und einem fetten Grinsen auf dem Gesicht breitbeinig im Sessel lümmel. Ich winke kurz und schmetter ihm ein freundliches, langgezogenes „Moooohoooooooin!“ entgegen.
Er steht nun also mit unruhigem Porno-Blick vorm Tresen und öffnet den Mund.
„Moin.“
„Moin.“, antwortet Takko freundlich.
„Mooooooooohoooooooiiiiin!“, wiederhole ich noch einmal, diesmal lauter und langgezogener. Nachdem der Porno-Typ sich vom zweiten Schrecken erholt hat, sagt er: „Was... was ist denn in der...“, er stockt, „... Abteilung da hinten denn los?“
„Oh, öhm. Is' grad problematisch, ne.“, fängt Takko an. „Also, wir versuchen gerade so, unser Marketingkonzept auch auf andere Zielgruppen auszudehnen, ne? Das ist 'ne voll furchtbare Regulierungsscheiße von DEM MANN. Weißte wer DER MANN ist?“ Er spricht die Worte 'Der' und 'Mann' aus, als würde er von einem Gott sprechen. Porno-Typ kennt den Gott nicht und schüttelt den Kopf. „Alter, Junge.“, Takko stockt und schaut Porno-Typ eindringlich (HA! Eindringlich!) an, „Junge, Alter.“
Ich gebe einen kurzen, gellenden Schrei von mir, weil ich mich und meinen Lachflash nicht mehr unter Kontrolle habe.
„Alter, sie wollen uns voll so vorschreiben, was wir dem Kunden nahebringen dürfen und was nicht, ne? Sie wollen nicht nur uns als Unternehmen regulieren, Junge. Ne?“, er legt eine ehrfürchtige Pause ein und beugt sich ein wenig zu Porno-Typ rüber, „Ey, die wollen dich auch regulieren. Und mich. Selbst den behinderten Penner, der da hinten rumgammelt, kifft und rumschreit.“
Porno-Typ schaut nun mich wieder an und ich reagiere auf seinen Porno-Blick mit einem Geräusch, dass sich wie „Dörp!“ anhört.
„Und jetzt, Junge. Jetzt, Junge!Jetzt regulieren sie noch unsere Pornos!“
„Aha.“, reagiert Porno-Typ und schaut bedröppelt drein. Er hat keine Porno-Ahnung, was Takko da labert.
„Unsere Pornos, Junge! Deshalb sieht's da hinten grad aus wie in einem motherfucking Fetischzirkus, ne! Voll furchtbar!“
„Deshalb steht da hinten alles voll mit...“, fängt Porno-Typ an, aber Takko greift ein und ergänzt:
„... Kacke-Pornos, Junge! Alles voller Kacke-Pornos!“
„Koprophilie, ja richtig.“, murmelt Porno-Typ und bereut im selben Augenblick, dass er weiß, was das ist.
Ich? Ich habe mich wieder unter Kontrolle, habe aber Angst davor, was Takko jetzt noch aus dem Hut zaubert, um Porno-Typ zu verunsichern.
„Sie wollen, dass du's geil findest, wenn Mädels Kacke essen und sich ankacken und angekackt werden und weißt du, ich hab hier einen drin, ne? Der ist voll furchtbar: Da kackt eine Olle der anderen Ollen in den Arsch und die kacken sich gegenseitig die Wurst von Arsch zu Arsch, ne? Das ist richtig ekelhaft, Junge! Alter, hörst du mir zu?!“
„Arsch, kacken, ja.“, wiederholt Porno-Typ die wesentlichen Satzbausteine und nickt dabei.
„Du willst Geficke sehen, ne?“
Porno-Typ nickt.
„Ja, aber das geht heute nicht, hab nur Kacke hier. Es sei denn, du bist neugierig. Das wäre kein Ding.“
„Nein, danke. Ich... ich...“, versucht sich Porno-Typ herauszuwieseln.
Das Eingangsglöckchenbimmelding bimmelt.
Mehr Kundschaft.
Oh nein.
Es sind drei Tussis, allesamt in hautengen Jeans in Washed Up-Optik, Band-T-Shirts und mit dicken Brillen (schwarz, rot und dunkelblau) gekleidet. Hipster-Chicks. Ich stehe also auf und denke mir, dass Takko bestimmt Hilfe braucht. Ich drücke den Joint im Aschenbecher aus, stehe mit Schwung aus dem Sessel auf und latsche langsam zu den Hipster-Chicks rüber, während Takko immer lauter wird. Die Gesprächsvielfalt wird zu einer Melange aus Satzfragmenten, die kein Schwein mehr in einen ordentlichen Zusammenhang bringen kann.
„Ist ja auch nicht schlimm...“
„Was kann ich euch denn gutes tun?“
„Öhm, wir suchen so 'nen Arthouse-Film aus den 80ern für unser Kunstprojekt, ähm, Mensch Kathi wie hieß der noch?“
„Sag' mal haste 'nen Bademantel an als Arbeitsoutfit?“
„Na klar, wo denkst du hin, das ist ein relaxter Laden, min Deern.“
„... wenn du Bock hast zu sehen wie sie sich gegenseitig ankoten. Hier: 'Kaviar-Omas 3' ist ein super Einstieg in das Genre! Der hat sogar 'ne richtig gute Story, ne?“
„Kathi, sag' doch mal, Mensch, wie hieß der? War der nicht dänisch? So'n Dogmafilm oder so?“
„Ja kann sein, ich glaub sowas von Trier-mäßiges. Von Trier kennste, oder?“
„Ja. Der Typ ist eine talentlose ••••••••••.“
„Was?“
„Bitte?“
„Hä?“
„Der Typ kann gar nix, ist schon richtig, dass er sich selbst als Nazi bezeichnet, der Pansen hat keine signifikanten Qualitäten, alle seine behinderten Filme sehen gleich aus, abgesehen von 'Antichrist', mit dem er schamlos versucht hat, auf den Exploitation-Revival-Zug aufzuspringen...“
„... und die hier links auf dem Cover ist Erna. Die hat 'nen Enkel, und der ist eigentlich so inzestmäßig-furchtbar-mäßig in sie verknallt. Also geht sie zu ihm ins Zimmer und alles sieht so voll normal aus, ne? Und fünf Minuten später leckt sie ihm sein Arschloch, er leckt ihr Arschloch und tut da seine halbe Faust rein – kein Gleitgel, Junge! Kein Gleitgel, nur Talent!“
„... mit seinem Artsy-Fartsy-Blödsinn, seinem Dogma-Trash, seiner dänischen...“
„... und ehe du es dich versiehst ist sie voller Scheiße, er voller Scheiße, sein Bett voller Scheiße...!“
„... talentbefreiten, frisch aus einem Ziegendarm herausgepurzelten...“
„... einfach alles ist voller...“
„SCHEISSE!“
Für ein paar Sekunden ist es still. Und ich füge noch leise hinzu: „Alles verkappte Pornos.“
„Das mein Freund, ist ein Kacke-Porno!“, fügt Takko seinerseits den ausschweifenden Ausführungen hinzu und drückt dem Porno-Typen eine komplett schwarze DVD-Box in die Hand als milde Gabe. „Viel Vergnügen.“, sagt er noch und setzt ein fettes Grinsen auf. Die Hipster-Chicks bezeichnen mich als kulturloses Arschloch und ziehen zusammen mit Porno-Typ von dannen. Takko und ich sind wieder alleine.
„Haste ihm wirklich so 'nen Kacke-Porno gegeben?“, frage ich, ohne eine Miene zu verziehen.
„Nö, in der DVD-Box ist 'Happy Feet'.“, antwortet Takko wiederum trocken, was ich mit einem „Cool. Cool.“ quittiere. Kurz darauf verabschiede ich mich und verziehe mich zurück nach Hause. Ich komme an niemanden auf dem Heimweg vorbei, den ich kenne oder der mich kennt. Somit bleibt meine Bademantelaktion halbwegs ungesehen von der Allgemeinheit.
Freitag abend.
„Ex! Ex! Ex!“, schreit Thomas. Er redet nicht von Sandra, was ich ganz gut finde. Ich trinke nur ein Glas Jim Beam/Cola und verrecke fast dabei, weil die Plörre so scheiße schmeckt. Aber ich ringe mich durch und schmetter' förmlich das leergetrunkene Glas auf den Tisch als wäre ich Inspektor Tequila in „Hard Boiled“.
„Fuck ja!“, schreie ich und werfe triumphierend die Hände in die Luft. Wir sitzen wieder in der WG-Küche bei Orla und Kylie. Hund liegt vor meinen Füßen. Lilly und Charly sind nicht dabei.
„Wo sind die beiden eigentlich?“, frage ich in die Runde und stoße kurz auf. Whiskey/Cola Nummer 5 meldet sich aus dem Magen. Er will raus. Ich tue ihm nicht den Gefallen.
„Die sind schon auf Kiez. Wollen wir auch hin später oder is Quatsch?“, fragt Kylie.
Allgemeine Zustimmung folgt. „Joa!“ „Ja klar.“ „Können wir machen.“
„Und wo gehen wir hin?“, wirft sie (es ist eine Sie! Tatsache!) als zweite Frage in den Raum.
„Welchen Club sind die beiden denn gegangen?“, fragt Thomas und vergewaltigt dabei bitterböse die deutsche Grammatik. Ich stecke mir derweil eine Zigarette an und lausche weiter.
„Die sind 36 gegangen, glaub' ich.“, sagt Orla und kratzt sich dabei am Hinterkopf.
„Lass' mal auch 36 gehen, oder Danny?“, beschließt Thomas und wendet sich mir zu. Ich nicke kurz und mach mich daran, Mische Nummer 6 zusammenzubrauen.
Diese scheiß bekackte Große Freiheit 36. Fast jedes verdammte Wochenende dieser Scheißclub, in die dieselben Asis gehen, die ich nicht treffen will. Eine der bekanntesten Discos der Stadt, und ich habe keine Lust hinzugehen. Ich bin glaub' ich mittlerweile ein Hipster-Arschloch geworden, was das angeht. Aber ich lasse mich trotzdem widerwillig mitschleifen – ich weiß nur nicht warum. Wegen Lilly? Ich empfinde nicht wirklich was für sie. Sie ist ganz cool so, aber es war nur ein Fick. Nichts weiter. Man kann's gerne wiederholen, aber auch nicht mehr. Wozu den Stress machen und 'ne Beziehung starten, wenn ich doch gar keinen Bock darauf habe? Zumindest würde ich's nicht zugeben.
Aber trotzdem würde ich sie gerne wiedersehen. Oder Charly?
Keine Ahnung, ich lass mich einfach mitschleifen.
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