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Thema: Mid-Twen-Crisis - Ein semi-autobiografischer Slacker-Roman

Baum-Darstellung

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  1. #30
    Wir liegen zwei Stunden nackt bei ihr zuhause im Bett. Sie pennt neben mir schon und schnarcht leise. Ich finde das irgendwie niedlich. Was ich nicht niedlich finde, das bin ich. Ich bin doch echt zu dämlich. Erst große Töne spucken von wegen „Nee ich will ihr nicht wehtun!“ und „Nee ich will nix von ihr!“ und dann tue ich es schon wieder. Langsam ziehe ich die Decke herunter, kurz nach rechts zu ihr schauend, ob sie schon wach ist. Ich hebe langsam mein linkes Bein von unter der Decke hervor und will gerade mit dem Fuß den Boden berühren, als ich eine Hand an meinem Arm spüre. Langsam werde ich nach hinten gezogen, Lillys Arm legt sich um mich. Flucht missglückt. Scheiße. Gut, dann bleibe ich hier, kein Ding. Ich drehe mich zu ihr. Ihr Augen sind offen.
    „Wollt'ste abhauen?“
    „Nee, ich musste nur aufs Klo.“, lüge ich.
    „Lüg doch nicht.“, ertappt sie mich und grinst.
    „Was haste denn so Frühstücks-mäßig hier?“, lenke ich ab und frage die essentielle Frage.
    „Brot, Wurst, Ei – alles da.“
    „Cool, wann das so ist – dann bleibe ich hier.“
    Sanft wie eine Katzenpfote patscht sie mir ins Gesicht mit der flachen Hand. Dann dreht sie sich um, ich lege den Arm um sie.
    Jupp, ich bleibe heute Nacht hier.

    Das bin ich ihr schuldig.
    Währenddessen geht draußen die Sonne auf.
    Und ich hab kein einziges Mal Sandra angerufen.
    Sowas nennt man glaub ich „Fortschritt“.

    „Du hast so komische Geräusche im Schlaf gemacht.“, sagt Lilly. Wir liegen nebeneinander im Bett, ihr Kopf ruht immer noch auf meinem linken Arm, auf meinem Bauch steht ein weißer Aschenbecher mit dem Logo der Zigarettenmarke „Union“ drauf, in meiner rechten Hand brennt eine Kippe. Die erste nach meinem Erwachen. Ich war vor ihr wach, einige Male sogar. Hab beschissen geschlafen, das Klo gesucht, bin auf der Suche über das Telefonkabel gestolpert, das einmal quer im Flur verlegt ist, und hab mich brutal aufs Fressbrett gelegt bei völliger Dunkelheit.
    „Ja, ich hab manchmal Albträume.“, antworte ich.
    „Ach ja?“, hakt sie nach und kuschelt sich an mich heran. Fast fällt der Aschenbecher herunter, aber ich kann ihn noch gerade so mit der rechten Hand auffangen, wobei ich mir fast die Finger an der Glut verbrenne.
    „Jupp.“, antworte ich knapp, ganz cool ob meiner körperlichen Anstrengung die ich aufbringe um den Aschenbecher zurück auf seinen Platz – meinen Bauch – zu stellen. Sie schaut mich an, als ob sie per Blickkontakt fragen wollen würde, was ich geträumt habe, also führe ich weiter aus: „Ich falle immer. Und alles zieht an mir vorbei, was ich so verbockt habe bis jetzt.“
    „'ne Menge?“, bohrt sie nach.
    „Jupp.“, antworte ich abermals und drücke die Kippe im Aschenbecher aus, welchen ich danach auf den mit Zigarettenasche, geöffneten Kondompackungen und ausgebrannten Kippen zugepflasterten Nachttisch neben dem Bett stell. Ich bleibe erst einmal flach auf dem Rücken liegen, meinen um Lilly gelegten linken Arm spüre ich schon gar nicht mehr. Er ist wohl eingeschlafen.
    „Und deshalb fängst du an, so rumzustöhnen?“, fragt Lilly und schaut mich dabei ungläubig an. Ich dreh' den Kopf zu ihr, schaue sie an und weiß nicht, was ich sagen soll.
    „Ich... stöhne im Schlaf?“
    „Ja, total laut. Wenn du nicht quer die Wohnung gelatscht und laut geflucht hast, haste neben mir gelegen, mich derbe fest gedrückt und die ganze Zeit gestöhnt, als würd'ste nicht mehr atmen können. Hatte richtig Angst, wenn ich nicht gerade über dein Gefalle und Gefluche gelacht habe.“ Sie schließt die Beweisaufnahme mit einem fetten, schadenfreudigen Grinsen.
    „Du hast das gehört?“
    „Hör ma', der Flur ist keine drei Meter Luftlinie vom Kopfende des Betts entfernt, natürlich hab' ich das gehört.“
    „Scheiße. Wie peinlich.“
    „Du bist nicht der erste, der über das Kabel gestolpert ist.“
    „Das macht die Sache nicht besser.“
    Sie krault mir über die Brust. Ich mag es, dass sie echte Fingernägel hat und nicht so 'ne Plastikdinger. Fühlt sich irgendwie besser an. Fühlt sich an wie... naja, gut einfach.
    „Soll ich mal Frühstück machen?“, fragt sie. Ich nicke stumm und kriege 'nen fetten Schmatzer auf die linke Wange verpasst. Sie springt auf und rennt in Richtung Küche, obwohl ich noch gar nicht „Ja.“ oder „Nein.“ gesagt habe. Osteuropäische Mädels sind einfach Fressmaschinen. Kaum reden die von Essen und darüber, wie „übertrieben hungrig“ sie sind, haben sie schon ein Sandwich zwischen den Zähnen. Und trotz – oder aufgrund?– dieser Mentalität so perfekte Ärsche wie der, dem ich gerade dabei zusehen darf, wie er mitsamt der Frau die an ihm dranhängt in die Küche verschwindet. Absolut faszinierend, immer wieder. Sandra hatte auch so einen Hintern zum reinbeißen, auch wenn sie – wie drückt man das aus ohne wie ein chauvinistisches Arschloch zu klingen? – in anderen Bereichen etwas unterproportioniert war, fand ich sie immer sexy aufgrund ihres gottverdammten Hinterns. Und solange man merkt, dass da zwei Erhöhungen im Brustbereich sind, ist doch alles fein, oder? Kein Grund, so einen Aufriss darum zu machen. Aber Lilly hat zumindest zum Arsch passende Titten und... Moment, ich hab' den Faden verloren.

    Ich bin in sie verknallt, glaube ich. Oder nur in ihren Hintern? Ich...

    Ein Klirren und Scheppern hallt von zwei Räumen weiter, gefolgt von einem markerschütternden Schrei. Was zum-? Ich springe auf, merke allerdings noch einen schweren Kopf (scheiß Kater), wodurch ich leicht ins Wanken komme für ein paar Sekunden. Die Küche ist etwas größer als bei mir zuhause, weiße Fliesen mit grauen Nahten am Boden, die Wände scheinen erst vor kurzem tapeziert worden zu sein, denn es riecht nach Tapetenkleister und frischer Farbe, vielleicht das Weiß an den Wänden? Neben einem umgefallenen, ergonomisch geformten roten IKEA-Stuhl liegt eine halbnackte Lilly auf dem Rücken, das Gesicht verzerrt vor Schmerz, die Arme verkrampft vor der Brust, den linken Fuß nach innen gedreht und das linke Bein angewinkelt. Ich schaue planlos im Schock auf sie herunter, Mund geöffnet und Augen weit aufgerissen.
    „Verfickte Scheiße!“, schreie ich und knie im nächsten Augenblick neben mir. Ich knalle mit den Knien auf die Fliesen, ein gewisser Schmerz zuckt durch beide Knie. Als ich eines hochhebe, merke ich, dass ich an beiden Knien blute. Aufgeschlagen. Egal.
    „Es tut weh.“, schreiflüstert Lilly und krallt sich mit einer Hand an meinem Arm fest.
    „Was soll ich tun? Krankenwagen? Soll ich 'nen Krank-?“, fange ich an doch werde jäh unterbrochen.
    „Nein! Nein, kein Krankenwagen!“, schreit Lilly und krallt sich noch tiefer in meinen Arm. „Sie werden herkommen, mich für drei Wochen festsetzen in ihrem Kack-Krankenhaus und mich dann ohne was zu tun entlassen. Ich bitte dich: Kein Krankenwagen!“ Während sie spricht, hat sie extreme Schnappatmung. Sie simuliert nicht, was auch immer sie hat.
    Ich nicke also, sage „Nicht bewegen!“ und humpel zurück ins Schlafzimmer. Hier rupfe ich eine der Bettdecken vom Bett und klemme sie unter den Arm während Lilly auf meine Anweisung mit „Wo soll ich denn hin du Ficker?!“ antwortet. Zurück in der Küche des Todes wickel ich die Decke um Lillys Oberkörper, um sie zumindest nicht komplett nackt auf dem arschkalten Fliesenboden liegen zu lassen.
    „Danke.“, sagt sie und krallt sich wieder in meinem Arm fest. „Es hört... es hört bestimmt gleich auf.“
    Ich nicke stumm und lege mich nach einer kurzen Denkpause langsam neben sie, umringt von Scherben eines zerdepperten Tellers, einer Pfanne die mit der Bratzone nach unten auf dem Boden liegt, diversen Besteckteilen und Zigarettenstummeln aus einem ebenfalls in Mitleidenschaft gezogenen Aschenbecher. Ich starre an die Decke, während sie links neben mir liegt und zunächst extrem schnell und schwer, nach einigen Sekunden etwas langsamer, dann wieder halbwegs normal atmet. Ich schaue nach unten. Der linke Fuß scheint entkrampft zu sein. Und erst jetzt fällt mir auch auf, dass er kleiner ist als der rechte Fuß. Oder sieht es von hier aus nur so aus? Ich verdränge den Gedanken kurz und schaue wieder an die Decke. Ebenfalls weiß gestrichen, an ihr hängt eine kugelförmige IKEA-Lampe, die wohl weniger Lichtquelle ist als reine Deko. Ich kenne die Scheißdinger doch selber.

    Ich wende mich kurz Lilly zu, die ebenfalls mit weit geöffneten Augen an die Decke starrt und immer noch ihre Fingernägel in meinem Oberarm vergraben hat.
    „Bist du okay?“, frage ich vorsichtig.
    Sie nickt.
    „Wollen wir versuchen aufzustehen?“
    Sie nickt wieder. Ihre Augen sind rot angelaufen vor lauter Tränen. Langsam helfe ich ihr hoch, gebückt vor ihr stehend, hebe sie an und verfrachte sie sachte – mitsamt Decke – auf einen der Stühle am Esstisch (nein, nicht auf den umgekippten...). Den umgekippten stelle ich gerade hin, nachdem ich kurz im Schlafzimemr verschwunden bin, um Kippen, Feuerzeug und Aschenbecher zu holen. Über diese Zeitspanne – circa zwei oder drei Minuten – wechseln wir kein Wort. Erst als wir beide eine Zigarette angesteckt haben, breche ich das Eis.
    „Was...“, fange ich an. Aber wie drückt man das aus? Ich hab Schiss, dass sich alles was folgt anhört wie „Sag' mal, biste behindert oder was?!“
    „Mein linkes Sprunggelenk ist wie das Sprunggelenk einer 80-jährigen.“, unterbricht sie mich, „Ich habe Arthritis seitdem ich 12 bin. Und seit ich 12 bin ist mein linker Fuß nicht wirklich gewachsen.“
    Ich schlucke laut. „Scheiße.“, entfleucht es mir leise.
    „Ach nein, weißt du – man arrangiert sich damit irgendwann. Ich bin offiziell zu 50% gehbehindert, eigentlich dürfte ich nicht mal ohne Krücken durch die Gegend rennen, geschweige denn überhaupt mich zu Fuß irgendwohin bewegen. Ich hab Tabletten genommen, aber die haben nicht geholfen. Dann hab ich 'ne Therapie gemacht, aber hab nach ein paar Wochen schon damit aufgehört. Und dann, als es richtig schlimm wurde, wurde mir eröffnet dass es für 'ne Komplettheilung oder sowas in der Art zu spät sei.“
    „Und deshalb kriegst du diese... Anfälle?“
    „Ja. Es ist als ob jemand ein Messer nimmt und es dir in die Verse stößt, weißte?“, führt sie aus, „Und dabei ist das nur mein Sprunggelenk, das 'Verdammte Scheiße ich kann nicht mehr' schreit.“
    Kurz ist es still, dann spricht sie weiter, kühl und fast schon monoton: „Mit 35 werd' ich im Rollstuhl sitzen, weißt du? Und solange will ich alles mitnehmen, überallhin mitgehen, überall mittanzen, soweit die Füße tragen. Oder eher der eine Fuß. Ich will saufen, tanzen, ficken, das ganze Programm, um dann in 10, 20 Jahren in meinem Rollie abzuchillen. Ich kapitulier' nicht, das könnte denen so passen. Wenn's nach denen ginge wäre ich schon mit 15 an die Krücken gekommen. Aber das... das...“, sie hält inne. Ich halte ihre Hand und schaue betroffen auf den Tisch. Nichts was ich sage, würde zur Situation irgendwas beitragen. Sie schaut mich an, ich spüre es.
    „Hilfst du mir, hier aufzuräumen?“, fragt sie mit einem fast traurigen Tonfall. Sie weiß genau, dass...
    „Nee, du machst keinen Finger krumm. Ich mach' das hier schon.“, … ich das sagen würde. Und ich weiß genau, dass...
    „Aber das geht nicht, nein. Ich hab's dreckig gemacht, geh' du...“, … sie dass sagen würde. Und sie müsste wissen, dass...
    „Nein, ich trage dich zurück ins Bett, dann mach' ich sauber und brate lecker Rührei. Ist das was?“, … von mir das hier kommen würde. Bevor sie noch irgendwas sagen kann, hebe ich sie vom Stuhl, den einen Arm unter ihren Knien und mit dem anderen ihren Rücken umschlingend, und trage sie ins Schlafzimmer, wo ich sie vorsichtig aufs Bett lege und die Decke auf ihr drapiere. Sie lächelt von einer Backe zur nächsten, während ich in der Küche verschwinde um dort den Besen zu schwingen.

    Geändert von T.U.F.K.A.S. (09.06.2012 um 00:45 Uhr)

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