Kapitel 1:
Es war angenehm warm im Inneren des Menschen... nur etwas eng, aber sonst perfekt. Nahrung gab es auch mehr als genug, also schon ein ziemliches Paradies. Keine Sorge darüber, was als Nächstes kommen mochte. Keine Angst vor der ungewissen Zukunft. Und nicht einmal eine Ahnung davon, was sie dort draußen erwarten würde. Doch dem kleinen Wesen, das da im Bauch des auserwählten Menschen wuchs, würde nicht ewig so verweilen können. Irgendwann wäre es dann so weit... und es würde sich seinen Weg nach draußen bahnen müssen. Ob der menschliche Brutkasten das überlebte, war eine ganz eigene Geschichte. Aber niemanden würde es interessieren. Und die Menschen waren ja auch Niemande.
Die krallenbewehrte Hand zog sich vom Bauch des zitternden Menschen zurück. "Sie wächst wirklich gut heran. Es dürfte bald so weit sein, meine Liebste." "Meine Güte... und am Anfang hat es noch so ausgesehen, als würde sie den Wirt nicht annehmen. Aber zum Glück... hat sie sich dann doch eingenistet. Meine Kleine..." Ein erleichtertes Zischen kam von den Eltern, die schon ungeduldig ihre erste Tochter erwarteten. So lange hatten sie es versucht, immer wieder die lange Folter des Wartens erdulden müssen, den Neid auf die anderen... Doch jetzt war es so weit. Endlich würden auch sie ein Kind bekommen. Dann würde das Gerede aufhören, mit Sicherheit.
Erst, als die zwei Gestalten wieder aus dem Raum waren, atmete der Mensch erleichtert durch. Einen Moment lang hatte er schon gedacht, dass es ihm an den Kragen gehen würde. Aber jetzt wandte er sich wieder seiner Mahlzeit zu... oder besser gesagt, der Nahrung für das kleine Wesen, dass sich da in ihm eingenistet hatte. Nur... schien er es schon wieder vergessen zu haben. Eine natürliche Reaktion... man wollte nicht daran denken, irgendwann von innen her aufgefressen zu werden. Auch nicht an den übermäßigen Hunger dieses Monsters, dass einem ohnehin irgendwann das Leben kosten würde. Einfach nicht darüber nachdenken... Hirn ausschalten und brav alles in sich hinein schlingen, was einem vorgesetzt wurde. Dann blieb einem eine Menge erspart. Nur war einem dann die Ablehnung der anderen sicher. Der Fraß, den man während des Daseins als Brutkasten bekam, spottete jeder Vorstellung von Essen.
Manchmal fühlte er es, wenn sich dieses Ding in ihm bewegte... so klein, so verletzlich fühlte es sich an. In solchen Momenten legte er die Hand über die Stelle, an der dieses Wesen sitzen musste und strich sich nachdenklich mit dem Daumen über die Haut. Irgendwie... unvorstellbar, dass dieses kleine Ding ihn auffressen sollte. Nein, völlig unmöglich. Er hatte das kleine Ei doch gesehen, dass sie ihm bei vollem Bewusstsein in die Bauchhöhle eingesetzt hatten. Wie konnte daraus ein grausames Wesen werden? Unvorstellbar. "Du kannst doch nicht böse sein... das kann einfach nicht wahr sein, was die immer an Gruselgeschichten erzählen." Bis jetzt hatte der junge Mann immer nur von anderen gehört, die dabei zusehen mussten, wie das war, wenn eines dieser Wesen sich den Weg aus dem menschlichen Brutkasten bahnte. Trotzdem hatte er es bis jetzt nicht glauben können, auch nicht, als sie ihn ausgewählt hatten und die anderen so entsetzt gekeucht hatten. Sie behandelten ihn nun ziemlich gut, versorgten ihn mit tonnenweise Nahrung... Was konnte es besseres geben?
Es fühlte die Berührung, den leichten Druck. Völlig anders als dieses große Ding zuvor, das es fast zerquetscht hätte. Was war das? War es Teil dieser dunklen, warmen Umgebung, in der es schon so lange gefangen war? Irgendwie... fühlte es sich angenehm an... Es war glücklich, gemocht zu werden. Und das spürte der Mensch, eine leichte Bewegung, wie eine aufmunternde Berührung am Arm. Ein Lächeln legte sich auf das sonst immer so ängstliche Gesicht. "Du bist wirklich nicht böse. Das kann gar nicht sein." Er schloss die Augen, noch immer mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Es würde alles gut werden.
Wenn der arme Kerl nur gewusst hätte, was ihm in ein paar Stunden blühte, wäre er nicht so unbekümmert gewesen. Es stand kurz davor, weit genug zu sein, um sich seinen Weg aus dem Körper heraus zu bahnen – mit den Zähnen zuerst.