Kapitel 3:


Kein schlechtes Gewissen. Wie auch? Sie war zu jung um zu verstehen, dass sie etwas ganz Schlimmes tat. Dieses seltsame Zeug, das sie umgab, schmeckte echt gut, fast noch besser als das, was sie für gewöhnlich bekam. Das das ihrem Wirt schaden konnte, kam ihr erst gar nicht in den Sinn. Für dieses kleine Wesen zählte nur eines: fressen, fressen und nochmals fressen. Sie hatte solchen Hunger wie noch nie, und das Gefühl mochte sie überhaupt nicht. Also tat sie etwas dagegen, und probierte zum ersten Mal diese spitzen Dinger aus, die ihr im Maul steckten. Die stellten sich als praktisch heraus, sie konnte damit Nahrungsbrocken aus ihrer Umgebung reißen und runterwürgen. Gierig geworden bewegte sie sich wieder, um an etwas anderes heran zu kommen... und erwischte die Leber.
Heiko fing plötzlich an, sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zu krümmen und unverständliche Laute von sich zu geben. Michael erstarrte, doch er wusste ohne groß nachzudenken, was bevorstand. Aber sollte es nicht erst in ein paar Tagen so weit sein? Er hatte eigentlich gehofft, dass Heiko noch ein wenig mehr Zeit hätte. Wie es aussah, würde dem nicht so sein. Und alles wegen diesem verdammten Ding in seinem Körper! Wenn es sterben würde, könnte Heiko vielleicht noch gerettet werden... Die Haut brach auf, und kurz konnte er etwas golden schimmern sehen. Das irritierte ihn ein wenig. Waren die Eltern nicht anders gefärbt...? Verärgert über seine Unaufmerksamkeit sprang er auf und sah sich um, ob nicht irgendwo etwas Spitzes herum lag, um es diesem verfluchten Ding in den widerwärtigen Schuppenleib zu schlagen.
Doch leider konnte er seinen Einfall nicht in die Tat umsetzen, da in diesem Moment die Eltern zurück kamen. Die zwei menschlich anmutenden, blauschuppigen Echsenwesen würden nicht zulassen, dass ihrem wertvollen Nachwuchs etwas geschah. Sie hatten vermutlich gedacht, dass Heiko sich verletzt hätte, aber nun sahen sie mit grimmiger Zufriedenheit zu, wie er von innen her aufgefressen wurde. Michael stürzte sich mit einem wütenden Aufschrei auf die nächststehende Echse, doch sie wischte ihn mit einem wuchtigen Schlag des langen Schuppenschwanzes gegen die Wand. Das war mehr als genug, um ihm die Lichter auszublasen.
Da war plötzlich... Kälte. Ein völlig neues und erschreckend unangenehmes Gefühl, noch schlimmer als dieses Ding das sie ein paar Mal fast zerquetscht hätte. Sie fiepste leise und versuchte, dieser unangenehmen Kühle zu entkommen. Doch dann ergriffen sie zwei riesige Pranken und zogen sie völlig aus ihrem menschlichen Wirt heraus. Das kleine Wesen wehrte sich und quietschte empört. Eine Frechheit war das! Erst war das Essen nicht mehr so sättigend, dann auch noch das! Als ihr auch noch etwas knapp vor das Gesicht gehalten wurde, schnappte sie zu.
Der Vater grinste bloß und schüttelte den Finger leicht, um die Zähne seiner Tochter abzuschütteln. "Eines muss man ihr lassen, zubeißen kann sie." Die Schuppen an seinem Zeigefinger waren merklich beschädigt worden, es tat sogar leicht weh wenn er seine Pranke bewegte. "Und dann auch noch so prächtig... Sie muss gesegnet sein, anders kann ich mir das nicht erklären!" Seine wundervolle Frau lächelte nur leicht und drückte das kleine fiepende Bündel an sich, als wäre es ein Teil von ihr. Um den verblutenden Menschen kümmerte sich keiner der beiden. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrem Töchterchen. Ein Kind zu bekommen war schon etwas Besonderes, aber wenn es dann auch noch goldfarbene Schuppen hatte...
Michael kam erst wieder zu sich, als die Echsenwesen schon längst wieder verschwunden waren. Sein Kopf dröhnte, und er fühlte etwas Nasses an seiner Schläfe. Blut, wie er feststellen musste. Der Schlag mit dem wuchtigen Schwanz hatte ihn genau in der Magengrube erwischt... Die Auswirkung ließ nicht lange auf sich warten, er konnte sich gerade noch vom Boden hochstemmen, als auch schon die Galle hochkam – und so nebenbei auch sein Mittagessen. Erst, als er wirklich nichts mehr hatte, was er auskotzen hätte können, ging es ihm wieder etwas besser. Ein Glück, dass ihn nicht die Stacheln erwischt hatten... dann hätte es nämlich wirklich übel ausgesehen. "Die sind wieder weg, was, Heiko?" Als er keine Antwort erhielt, sah er auf. Das letzte, an das er sich vor der folgenden Wutattacke erinnern konnte, war der Anblick des grausam entstellten Körpers, der einmal sein bester Freund gewesen war.