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natix
Bei dir wirkt es so als bräuchtest du die Religion, als würdest du nur Freude durch deinen Glauben finden - als wolltest du die Realität nicht sehen. Ich denke aber das ich damit recht gut umgehen kann.
Das hat aber auch keiner gesagt. Ich meinte nur, dass es außerhalb von dem, was du als Realität bezeichnest, noch andere Ebenen gibt, die ebenso entscheidend sind. Der Glaube ist lediglich ein Teil meiner ganz persönlichen Realität.
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Ich kann mich mit dem Glauben absolut nicht identifizieren. Ich will nicht an Dinge glauben, die überwiegend aus Falschinterpretationen bestehen, sondern an das was wirklich wahr ist.
Also glaubst du ja an was, nämlich an das Unumstößliche, das Wahrhaftige. Du erhältst daraus eine Sicherheit. Was ist aber der Unterschied zwischen dem, der mündig mit den "Falschinterpretationen" umgehen kann, ohne seine religiöse Identität zu verlieren, und dem, der aufgrund einer mündigen Entscheidung eine religiöse Identität ablehnt? Glaube ist kein völlig anderer Lebensweg, er ist nur ein Merkmal einer individuellen Identität.
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Warum sollte ich an Gott glauben? Wozu ? Ich sehe ein, das es manchen Menschen hilft in bestimmten Situationen zu glauben, Gott stehe ihnen bei, aber ich brauche das nicht. Ich bin auch ohne irgendeinen Gott stark genug. Ich komme mit sowas allein zurecht.
Und da sind wir beim filmischen Klischee des armen Gläubigen, der ohne seinen Gott so wertlos ist wie die Insekten, die an einer Kuh kleben. Mein Gott hilft mir nicht dabei, Situationen auf die Reihe zu bekommen, ich bin ohne meinen Gott auch nicht aufgeschmissen, wenn mal was passiert und ich bin mit meinem Gott auch nicht "stark genug". Was mein Gott mir verspricht ist eine Form von Transzendenz, von Aufgelöstsein im großen Ganzen, eine Art Übermenschlichkeit, die unter anderem auch Nietzsche nicht fremd war. Leben könnte ich ohne meinen Gott, aber erfüllt ist mein Leben erst ab dem Punkt, ab dem ich an ihn glauben darf. Das heißt nicht, dass Leute, die nicht glauben, kein erfülltes Leben haben können, es heißt nur, dass sie ihr Leben auf andere Weise erfüllen.
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Warum soll ich mich näher mit Religionen befassen, wenn selbst du - und du scheinst Ahnung davon zu haben - es als Geschichte/Märchen auffasst?
Das tue ich ja auch nur auf Grundlage meiner persönlichen Interessen. Ein Gärtner würde es vielleicht durch Blumen erklären. Für dich wirkt mein Vergleich offenbar banalisierend, für mich viel mehr erhöhend. Es gibt eben auch nicht nur den einen Glauben, der für mich aus Poesie und Übernatürlichkeit besteht - du wärst überrascht, wie viele Wahrheiten ein Glaube enthalten kann, wie viele Blumen man darin zu kultivieren vermag und zu welchen künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen er beschwingen kann.
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Ich lese ein Buch, sehe Fern oder spiele Videospiele weil ich Spass daran habe Geschichten zu verfolgen. Aber das heisst doch nicht das wenn ich Star Wars gucke auch an Yoda glaube. Dinge müssen nicht immer realistisch sein, aber dann sollten sie auch nicht als Tatsache abgetan werden.
Das tun ja auch nur noch die Kreationisten und der Papst. Ich sage aber, dass unsere Welt nicht nur aus Tatsachen besteht, und ich behaupte dreisterweise, dass du das auch nicht glaubst.
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Es mag ja sein das der Glauben aus Liebe und Wärme besteht, was wohl aber auch wieder an der Interpretation liegt. Jeder wird seine eigene Sicht auf den Glauben haben, deine ist recht ausgeprägt, meine nichtmal Ansatzweise. Aber das macht nichts, wir kommen beide durch das Leben. Ich sehe deinen Text eigentlich als Bestätigung meiner Ansichten. Ich glaube lieber an rationale Dinge, Dinge die ich mir erklären kann oder vorstellen kann, zumindest abwägen kann. Wie z.B. den Big Bang. Es klingt doch um einiges wahrscheinlicher als das ein Jemand, den noch nie jemand gesehen hat, ein so grosses Etwas wie unsere Erde erschaffen hat. Das eine existiert nachweislich, das andere nicht. Die Theorie existiert und wäre möglich, das Jemand etwas aus dem Nichts aus dem Ärmel schüttelt wohl eher nicht. Einfache Abwägung, Logik. Nichts anderes.
Es ist nur leider so, dass zum Glauben mehr gehört, als das Sechstagewerk anzuerkennen. Außerdem ist auch Glaube rational erfahrbar. Ich halte beispielsweise die Überlegungen von Julien Jaynes für gar nicht so verkehrt, dass der frühe Mensch einfach in seiner Hirnphysiologie anders war und deswegen eine andere Wahrnehmung hatte und sein Denken zeitweise als göttlich induziert wahrgenommen hat. Du kannst aber ein Stück Sahnetorte nicht unter ein Elektronenmikroskop stellen, es einer Reihe chemischer Untersuchungen unterziehen und die Rezeptzutaten analysieren und behaupten, der Geschmack von Sahnetorte wäre widerlegt, weil man herausgefunden hat, welche Stoffe und Reaktionen dafür verantwortlich sind.
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Und wie gesagt, ich brauche keinen Glauben um mir Dinge zurecht zu biegen oder um mich geliebt zu fühlen, um die Realität anders zu sehen. Ich will das nicht und werde das wohl auch nie wollen.
Verlangt ja auch keiner. Tut ja auch keiner. Wer will sich schon Dinge zurecht biegen, die Realität verneinen, wer hat behauptet, Glauben hätte lediglich etwas mit Geliebtwerden zu tun? Wer außer einer Hand voll Fundamentalisten hat überhaupt etwas davon gesagt, dass Glauben etwas mit dem zu tun haben soll, was du als Realität bezeichnest?
Um bei dem Vergleich zu bleiben: Ich anerkenne, dass in meiner Sahnetorte vermutlich 12 verschiedene Geschmacksverstärker sind und mir der Genuss nur vorgegaukelt wird. Ich kann aber trotzdem noch weiter genießen, weil es Momente gibt, in denen ich leben kann, ohne mir über die mikrobiotischen Eigenschaften meines Essens Gedanken zu machen.
Ich finde jedenfalls, dass man als Gläubiger den Nichtgläubigen gegenüber einen klaren Vorteil hat, selbst wenn ich mir nich ganz erklären kann, woher dieser rührt: Es ist viel einfacher sich vorzustellen, nicht zu glauben, als sich das Glauben auszumalen. Bei letzterem kommen nämlich immer derartige Simplifizierungen heraus, die dem Gläubigen zwangsläufig die Mündigkeit und/oder den Realitätssinn aberkennen müssen.