Dörfer, Dungeons, Ignoranten
Hallo,
eben noch stellte ich mir nebenher, als ich zu einem anderen Thema schrieb, die Frage, wieso klassische Rollenspielelemente eigentlich so sind, wie sie sind. Warum das NPC-Dorf eine Oase der Erholung ist, der Dungeon nur vom Spieler geknackt werden kann, weshalb die Welt ganz offensichtlich nahezu unerkundet ist. Natürlich ist die Antwort simpel: Es ist ein Spiel, nicht die Realität, der Spieler will belohnt werden und nicht permanent auf geplünderte Kisten stoßen - aus spielerischer Sicht ist es also OK. Jeder kennt das Spielprinzip, jeder ist es gewohnt und muss sich nicht umstellen.
Dennoch will sich in mir keine Befriedigung einstellen, wenn ich das Gefühl habe, es handelt sich bei Dörfern und Dungeons um strikt getrennte Spielbestandteile. Mir fehlt die Interaktion zwischen diesen [und ähnlichen] Elementen, was mir ein Gefühl vermittelt als wäre die Welt außerhalb von Siedlungen im Wesentlichen schlichtweg tot. Wo ist der offene Handel? Wo die Wanderer oder andere Krieger, im Sumpfe der Monstervielfalt? Und wieso bemerkt niemand die ungeplünderten Kisten im Wald? Kategorisieren wir mal grob:
Dungeons
Dungeons sind im Allgemeinen unübersehbar, vor allen Dingen für die Einheimischen. Es ist unmöglich, dass sich noch nie jemand in solch ein Gebäude traute oder an den teilweise sehr einfachen Rätseln probierte. Menschen sind neugierig und erforschen absolut alles. Theoretisch müssten bereits wenige Rätsel von wem anders gelöst worden sein und somit einige Türen offen stehen. Und auch Kisten müssten geplündert sein, vielleicht findet sich gar eine Leiche, die eben diesen Fund bei sich trägt. Und da der Abenteurer nicht zurückkehrte, traute sich niemand mehr so recht in diesen Dungeon, geschweige denn in die Nähe. Mit solch einer Erklärung könnte ich absolut leben, denn es zeigt zumindest, dass der Dungeon fürs Menschenauge nicht "unsichtbar" ist, sondern sie sich auch mit ihrer Umgebung auseinandersetzen.
Auch denkbar wäre, dass für den Eintritt in den Dungeon ein Schlüssel oder ein Schlüsselfragment fehlt, das irgendwo ganz woanders verborgen ist, gut versteckt oder noch nie jemand daran dachte es hätte irgendwas mit dem Mechanismus zu tun (zB ein als wertlos abgetanes Schmuckstück). Auch das würde die Ignoranz dem Dungeon gegenüber erklären.
Aber es gäbe noch mehr Möglichkeiten um in solch ein Bollwerk zu gelangen. Räuber und Grabschänder sind sehr kreativ was das angeht. Sie sprengen sich frei oder graben einfach um den Mechanismus herum. Auch so etwas ließe sich ins Spiel einbauen (und es erspart die Erstellung eines Rätsels :P).
Siedlungen und Bewohner
Nun steht aber dem Forscherdrang eventuell das Argument entgegen, dass die Welt von Monstern besiedelt ist und sich daher niemand so recht aus dem Dorf traut. Dazu meine ich nur: Bullcrap. Die Siedlungen entstanden nicht durch Zauberhand, sondern wurden erbaut. Auch zuvor existierten an der Stelle Monster, doch halbwegs mutige Pioniere haben sich hier niedergelassen. Es sind NPCs gewesen. Die Rollenspielwelt ist auch in einer [abgeschotteten] Siedlung kein Zuckerschlecken, es geht um das täglich Brot. Früher oder später müssen sich die Bewohner ins Dickicht wagen und auf Entdeckungstour gehen. Sie müssen mit ihrer Umwelt interagieren und sich auf potentielle Gefahren vorbereiten. Würden sie dazu nicht in der Lage sein, wäre das Dorf schon längst von grauenvollen magisch begabten Schleimen überrannt worden. Statt dessen trifft man in den meisten Fällen auf "Pussies" oder Leute, die scheinbar sonst keine Probleme haben, als welche Socken sie heute tragen werden - woraus dann eine Sidequest wird.
Bewohner und herumliegende Objekte
Die NPCs müssen sich, wie gesagt, zwangsweise mit ihrer Umgebung auseinandersetzen. Und da reicht es nicht wenn EINER von ihnen sagt, dass er hörte, dass es im Wald eine rubinbesetzte goldene Kiste gibt. Solche Floskeln lassen viel zu viele Fragen offen. Von wem hörte er das? Wieso erzählt er es nur dem ihm fremden Helden? Nein, er muss eine solche krasse Sache auch Anderen erzählen, vielleicht im PUB, herrlich im Suff. Womöglich sah auch jemand diese Kiste. Dann muss es eine Handvoll Leute geben, die diese Kiste zu bergen versuchten, sie vielleicht im eigenen Keller bei einer Nacht- und Nebelaktion versteckten (und sie bekommen die Kiste nicht auf). Dann sind sie sich uneins darüber, wer welchen Anteil aus dem potentiellen Inhalt erhält, wer von ihnen die rubinbesetzt goldene Kiste behalten darf, etc. Kneipenschlägereien entstehen, Nachbarn liegen im Streit. Aus solch einer einfachen Sache, wie zu Anfang, lässt sich ein halbwegs realistisches Szenario erstellen, das noch viel interessanter ist als so eine blöde Wald- und Wiesenkiste. Zu wenige Entwickler denken noch einen Schritt weiter, was wirklich schade ist.
Etwas Anderes ist es, wenn ein einzelner - ungekisteter - Gegenstand irgendwo herumliegt. Diesen kann man übersehen, sofern es nicht gerade eine komplette Diamant-Adamantin-Rüstung mit angebrachten fluoreszierenden Warnfarben ist.
Held, Freunde, Limits
NPCs sind einfach furchtbar unselbstständig (Sidequests!) und das macht sie nicht wirklich glaubwürdig, sondern lässt sie wie ein Mittel zum Zweck wirken. All zu oft wird der Protagonist dann wie ein Messiahs behandelt, als könnte nur er sämtliche großen und kleinen Probleme lösen, so als stünde er über jedem anderen Menschen. Ich persönlich kann in eine Welt nur schwer eintauchen, wenn ich mich den NPCs nicht irgendwie gleichgestellt fühle. Die Figur besitzt in ihrem eigenen Universum irgendeine Position; der Kartoffelbauer kann nicht weiser sein als ein alter Magier und stärker als die Elite des Königs, nur weil er speichern kann. Was oft fehlt sind Handlungsgrenzen, also Herausforderungen die über das Können des Helden hinausgehen, sei es nun durch Bildung oder mangelnder Ausbildung. Diese könnten jedoch von einem anderen Partymember nachgeholt werden, welcher über anderes Wissen und Können verfügt, was die Kameraden um so wertvoller und charismatischer macht, ihnen obendrein Kontur verleiht. Auch das fehlt mir in vielen Spielen. Die Freunde sind keine Hüllkörper, um den Damage zu erhöhen.
Interessant wäre vielleicht auch ein NPC, der schlichtweg eine Quest löst, zu dem die Helden nicht imstande waren, wodurch die Belohnung an eben diesen geht. Ein oder gar mehrere NPCs, die das gleiche Ziel wie der Held haben, aber völlig unabhängig voneinander arbeiten. Es kann mehr als nur einen Helden geben (natürlich nur einen, der auch speichern kann).
Natur: Monster und sonst kein Leben
Man kann den Fakt stehen lassen, dass die Welt in Rollenspielen von Monstern oder gefährlichen Tieren besiedelt wird. Das war i.d.R. jedoch schon immer so und die Menschheit musste sich entsprechend darauf einstellen und ihre Lebensweise anpassen. Jeder der in den Wald geht könnte bewaffnet sein, sofern er nicht gerade naiv unvorsichtig ist. Handelskarawannen werden von bewaffneten Einheiten eskortiert. Einzelne starke Kämpfer schwärmen aus, um gezielt Kreaturen zu jagen und die Umgebung sicherer zu machen. Freiwillige oder Rekrutierte könnten Pässe kontrollieren. Weniger gut Bewaffnete schlagen sich dennoch durchs Unterholz, vielleicht um den Arzt des Nachbardorfes um Hilfe zu bitten. Oder auch Wege und Pässe ohne Monsterbegegnungen, da sie gut kontrolliert und geschützt werden, wo sich viel mehr Wanderer vorfinden. Räuber streifen umher, haben sich vielleicht auch ein Lager eingerichtet. Es gibt viele Möglichkeiten mehr Menschenleben in die Umgebung zu bringen, doch worauf der geneigte Spieler häufig trifft, sind tote Gebiete, in denen nur Lootobjekte herumstreunern. Menschen lassen sich nicht freiwillig einpferchen, sie finden immer einen Weg ihre Freiheit zu gewinnen. Abgesehen davon muss zwangsweise irgendeine Form von Handel bestehen, sofern ihre Waren nicht gerade im Dorf hergestellt werden. Der Schmied benötigt ja auch von irgendwoher seine Erze und der Steinmetz seine Steine.
Wie seht Ihr das? Wäre es zu begrüßen wenn sich derart bekannte und anerkannte Elemente zu mehr Realismus entwickeln würden, was [in meinen Augen] die Glaubwürdigkeit der Welt unterstützt? Oder baut Ihr auf die alten Tugenden und ignoriert diese Aspekte, da es für euer Spielprinzip eine untergeordnete Rolle spielt? Oder löst ihr sie gar auf eine andere Weise? Fallen Euch noch mehr selbstverständliche Spielmechaniken ein, die Ihr gerne verändert sehen wollt oder bereits selbst daran arbeitet?
Würde mich über eine angeregte Diskussion freuen.
[MG]