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Thema: [Sky] Rollenspielthread #1 (Signatur aus)

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  1. #1

    Solstheim, nordöstliches Inland, Fjalding-Plateau

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    Während die Kaiserliche es zuvor durch das Wetter weniger stark wahrgenommen hatte, machte sich das konstante Brennen der Augen im Zuge hoher Lichtempfindlichkeit am Tag nach ihrem Aufbruch im Skaal-Dorf durch den auflockernden Wolkenhimmel schlagartig und ungewohnt heftig bemerkbar. Sie zog die Kapuze weit hinab ins Gesicht, um sich zumindest so etwas von oben abzuschirmen. Die Reflexion des grell glitzernden Schnees ließ sich dadurch jedoch nicht abwehren. Es war ihr Glück, dass Vesana noch vor den ersten Sonnenstrahlen aufgebrochen war und sich dadurch einen kleinen Vorsprung hatte erlaufen können. In ihrem jetzigen Zustand kam sie jedenfalls nur noch langsam voran und musste sich das Ganze auch noch selbst zuschreiben. Über der ganzen Jagd-Sache und dem ewig schlechten Wetter blieb ihre Beobachtung des nächtlichen Himmels auf der Strecke, so dass sie ihr Zeitgefühl in Relation zum nächsten Vollmond völlig verloren hatte. Er mochte genauso gut morgen kommen, oder erst in drei Tagen. Mit etwas Pech, hätte er auch gestern sein können. Jedenfalls spürte sie jetzt überdeutlich, dass es nicht mehr lange hin sein würde. Das Augenbrennen und die Lichtempfindlichkeit sprachen eine deutliche Sprache. Von der Migräne ganz zu schweigen und auch ihr Gehör gab sich zunehmend empfindlicher. Jedes noch so kleine Knacken ließ sie zusammenzucken, sich instinktiv umschauen und schmerzte darüber hinaus im Gehör. Hin und wieder ertappte sie sich dabei, wie sie die Nase in die Luft hob und die Gerüche der Umgebung einsog, wie ein Raubtier auf Beutesuche.
    Die Nacht des ersten Tags verbrachte sie rastlos. Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit verschwanden zwar die Lichtempfindlichkeit und das Brennen der Augen, dafür verstärkten sich die Kopfschmerzen bis ins Unerträgliche. Ein konstantes Hämmern im vorderen Schädel und hinter den Augen. Es fiel ihr zunehmend schwerer sich unter Kontrolle zu halten – besonders dann, wenn das silbrige und rote Licht der fast vollen Monde durch die Wolkendecke brachen. Sie verspürte Heißhunger auf Fleisch, sowie die Lust zu töten und die Muskeln im ganzen Körper zuckten willkürlich unter der Haut, wie nervöse Finger, die trippelten. In Verbindung mit dem stark angeschlagenen Brustkorb keine besonders günstige Kombination. Es machte sie aggressiv, das gequälte Stöhnen klang fast schon wie ein Knurren und dennoch wollte sie sich nicht einfach aufgeben. Es mochte in dieser Gegend noch zu viele unabsehbare Folgen haben, wenn sie das tat. Dieser letzte Rest menschlichen Verstandes, irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein, war es auch, der wohl Schlimmeres in dieser Nacht verhinderte.

    Am nächsten Tag blieb ihr Befinden konstant schlecht. Das Gewitter hinter der Stirn flaute zwar mit dem Aufstieg der Sonne wie gewohnt etwas ab, aber der Rest blieb übermäßig empfindlich. Wie sie es dennoch schaffte, bis zum Fuße des Passes zur südlichen Inselmitte vorzudringen, blieb auch ihr selbst ein gewisses Rätsel. Möglicherweise war ihr jemand wohlgesonnen genug, ihr die Kraft zu geben auch ohne einen einzigen klaren Gedanken den Weg zurück zu finden – zurück in die Heimat. Heimat? Wollte sie das wirklich? Das Wort hallte in ihrem Kopf wider, doch war es nicht mehr als ein hohles Echo, das in diesen Stunden kaum noch eine Bedeutung für sie besaß. Das Bild von Fesseln schoss ihr als erstes durch den Kopf bei dem Gedanken. Regeln, die sie banden wie Fesseln, die ihr Vorschriften machten und sie einschränkten – das wollte sie nicht. Sie wollte frei sein, ausbrechen, wild und ungezügelt. Tollen und toben, tagelang nur jagen, ohne Rücksicht, ohne Kontrolle.
    In den immer selteneren Momenten der Klarheit schalte sich Vesana selbst dieser Gedanken, die aus den Untiefen ihrer tierischen Triebhaftigkeit emporstiegen. Nicht, dass sie nicht verlockend waren, oder sie sich nicht damit anfreunden konnte, aber bei klarem Verstand lagen ihre Prioritäten etwas anders. Doch so schnell und unverhofft diese Augenblicke auch kamen, so verschwanden sie auch wieder und nach dem Verschwinden des Tagesgestirns hinter den Bergen im Westen verschlechterte sich ihr Zustand noch weiter. An sich kannte sie diese regelmäßig wiederkehrende Phase nur zu gut, aber es blieb jedes Mal aufs Neue eine unglaubliche Qual. Als schließlich die Wolkendecke ein weiteres Mal aufriss, gab es kein Halten mehr.
    Ihr schmerzerfülltes Stöhnen wandelte sich zu tiefem Grollen, die Hände krallten sich erst in den losen Untergrund als heftige Spasmen durch ihren Körper fuhren, dann zogen sie ihr die Kleidung vom Leib. Der Verband um ihren Brustkorb riss auf und fiel von ihr ab. Die Kette landete im Schnee. Was zuvor für Schmerzen gesorgt hatte, empfand sie alsbald als berauschend. Jeden noch so kleinen Laut nahm sie wahr, ob das Scharren einer Wühlmaus unter dem Schnee oder das Schnaufen eines Hirsches in weiter Ferne. Die Geräusche der Umgebung sog sie gierig auf, während die Augen mit scharfem Blick und im silbrigen Zwielicht jede Kleinigkeit in Sichtweite musterten. Die Schmerzen im Kopf waren verschwunden, die in der Brust schienen verdrängt. Alles um sie herum wurde auf einmal zur Spielwiese und sie fühlte sich wie ein Kind im Wunderland – überall Spielzeug und Süßigkeiten, die es einzusammeln galt. Hinter jedem Busch, jedem Baum oder Stein mochte eine Überraschung lauern, alles weckte ihr Interesse und wollte eingehend gemustert werden. Völlig aufgeregt und mit wild schlagendem Herzen rollte sie sich im Schnee hin und her, wühlte das kalte Weiß auf einem Haufen zusammen, nur um anschließend hineinzuspringen und es wieder zu verteilen. Dabei kamen ihr einige der eisigen Flocken in die Nase. Schnaufend hielt sie inne, kratzte und rieb an ihrer herum, um sie von den unangenehmen Spielverderbern zu befreien.
    Als sich das Brennen etwas gelegt hatte hob sie den Kopf in die Luft und schnüffelte laut. Schnell nahm sie die Duftspur eines nahen Tieres auf. Ruckartig und mit einem Gefühl von Euphorie wandte sie sich in die Richtung um, in der sie es vermutete. Rasend schnell rannte die Jägerin durch den Wald und ignorierte peitschende Zweige des Unterholzes, als wären es kitzelnde Federn. Der Rausch beschleunigte ihren Puls, versetzte das Herz in aufgebrachte Sprünge. Die Anstrengung ließ sie alsbald hecheln, ohne dass sie jedoch müde wurde. Im Gegenteil: Je näher sie ihrer Beute kam, je mehr Indizien sie in Form von Geruch und Geräuschen auf dessen Position aufnahm, desto freudiger wurde sie. Die Füße der Kaiserlichen fanden trotz der Geschwindigkeit stets halt. Steine nutzte sie, um sich zu weiten Sätzen abzudrücken und nahm sogar die Arme und Hände intensiv mit zur Fortbewegung zu Hilfe. Die Lust auf Fleisch, die Süßigkeit ihres Wunderlandes, trieb sie immer weiter. So interessant die passiven Objekte auf der Spielwiese des Waldes auch sein mochten, einzig echtes Spielzeug reizte sie wirklich.
    Ihre scharfen Augen erspähten weit vor ihr zwischen den lichter stehenden Bäumen und über einiges Gebüsch hinweg ein Reh, das dort gerade noch graste, allerdings im nächsten Moment durch das Knacken im Unterholz aufgeschreckt wurde. Wach standen die Ohren ab und es schaute sich aufmerksam um. Dann entdeckte es die herannahende Jägerin und ergriff die Flucht. Allerdings half es nichts, Vesana war zu schnell. Auf Sprungweite heran nutzte sie den nächsten Baum, indem sie ihn ansprang, sich mit einer Hand an einem Ast festhielt und sich tief knurrend mit den Füßen kraftvoll am Stamm abdrückte. Das junge Wild besaß nicht den Hauch einer Chance, als sie auf seinem Rücken landete, die Finger und Zehen Knöcheltief in sein Fleisch schlug und sich in seinem Nacken festbiss.

    Erbärmlich frierend, zitternd und vor allem splitterfasernackt wachte die Kaiserliche inmitten ihrer wild durcheinander liegenden Kleidung auf. Blut besudelte sie von Kopf bis Fuß, verdeckte sogar stellenweise die dunkel unterlaufene Haut des Brustkorbs, und verklumpte ihr Haar. Obwohl die vergangene Jagd ganz offensichtlich ein Erfolg gewesen war, fühlte sie sich nicht gestärkt, eher wie nach einer durchzechten Nacht mit viel zu viel Alkohol und anderen Rauschmitteln. Die Vollmondnächte besaßen diese unangenehme Eigenart, dass sie entgegen ihrer üblichen Disziplin und langjährigen Gewöhnung nur ganz bestimmte, ja ursprüngliche Beute fangen musste, um sich überhaupt zu regenerieren und zu erholen. Sonst half sie zwar in gesteigertem Maße, aber auch andere – kräftige und gesunde – Beutetiere konnten dienlich sein. Alsbald kehrten auch die Plagen der letzten Tage zurück und quälten und lähmten sie von neuem. Das Hämmern in den Schläfen, das Zwicken in den Ohren bei jedem noch so leisen Geräusch und die brennenden Augen, die schmerzhafte Blitze durchzuckten, wenn sie zu lange auf das grelle Weiß des Schnees schaute. Stöhnend stemmte sich Vesa auch, die Schmerzen in der Brust trieben ihr die Luft aus den Lungen. „Scheiße“, fluchte sie leise und versuchte sich so weit unter Kontrolle zu bringen, dass sie ihre Sachen einsammeln und sich anziehen konnte.
    Mühsam und steifbeinig gelang es ihr und kurz nach Sonnenaufgang setzte sie ihre Reise fort. Es dauerte lange, bis die Kälte auch nur ansatzweise aus ihren Gliedern verschwand und die nach dem Rausch, ja dem beinahe-Traum, der letzten Nacht umso härter auf sie einprügelnden Beschwerden machten ihr das Leben nicht viel leichter. Wenn sie in den nächsten zwei Tagen tatsächlich einigermaßen gut vorankommen und ihren Zeitplan halbwegs einhalten wollte, musste sie sich trotz ihrer Klagen zusammennehmen und tagsüber zügig wandern, denn mindestens die nächsten zwei Nächte – zu Vollmond und die Nacht danach – würden ähnlich wild werden, wie die vergangene, egal, ob Vesana es wollte, oder nicht.



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    Geändert von Bahaar (16.08.2013 um 12:26 Uhr)

  2. #2

    Cyrodiil, Kaiserstadt, Hafenviertel: Herberge zum aufgetriebenen Floß

    Das aufgetriebene Floß war zu dieser Tageszeit noch leer, wenn man von dem Wirt, dem Rausschmeißer und ein paar Dauergästen absah, die immer im Schankraum anzutreffen waren. Natürlich könnte immer ein Spitzel darunter sein und selbst wenn nicht, die Aussicht darauf die nächsten Tage ohne Probleme seine Sucht zu finanzieren ließ diese teilweise erbärmlich aussehenden Gestalten sich an Gespräche und alles mögliche erinnern, je nach dem was benötigt wurde. Allerdings war es für sie ein schmaler Grad: Sagten sie zu viel, lebten sie nicht mehr sehr lange und wurden entweder tot in einer Gasse gefunden oder verschwanden im Hafenbecken. Sagten sie zu wenig, blieben sie zwar am Leben, bekamen aber kein Geld und wurden vom Rest gemieden, da ihr loses Mundwerk irgendwann bekannt wurde.
    Diejenigen, die viel sagten und Glück hatten lange genug zu überleben, wurden von den Thalmor rekrutiert und genossen einen gewissen Grad an Schutz, der je nach Nützlichkeit der bisherigen Informationen größer oder kleiner war. Eines war sicher: Die Thalmor konnten ihrer Informanten jederzeit fallen lassen, was zu einer gewissen Konkurrenz unter ihnen führte. Manche sehr fleißige Zeitgenossen, gingen sogar dazu über, aktiv Diebe und Mörder zu jagen, welche den Thalmor schaden zugefügt hatten. Im Gegenzug verbündeten sich viele Unabhängige oder suchten Schutz in der Diebesgilde, gründeten kleinere Banden oder heuerten Attentäter der Dunklen Bruderschaft an. Das Resultat war ein regelrechter Krieg in der Unterwelt der Kaiserstadt. Zeitweise fand man täglich mehr Opfer von Attentaten und Überfällen wie auf natürliche Weise Gestorbene. Nicht zu vergessen diejenigen die einfach verschwanden. In dieser Zeit war es eine Kunst neutral zu bleiben. Den wenigen Individuen, die dieses Kunststück schafften, genossen hohes Ansehen, wurden verehrt und gefürchtet. Diese Verehrung und Furcht galt sowohl für die Unterwelt, die Thalmor, den Penitus Oculatus und die kaiserliche Wache, die in diesem Krieg hoffnungslos unterlegen war. Das einzige, was das totale Chaos scheinbar verhinderte, war die Tatsache das immer noch recht einträgliche Geschäfte gemacht wurden. Ein offener Krieg würde diese ruinieren und so wurden die Kriegstreiber meist schnell zum Schweigen gebracht. Ein Frieden wurde hauptsächlich durch die Thalmor verhindert und so entstand eine sehr angespannte Situation, die irgendwann gelöst werden würde, so viel stand fest. Die einzige Frage war nur: Wie wird sie gelöst?

    Für Revan war dieser Konflikt ein alter Hut. Zwar waren er und sein Mentor keiner Seite verpflichtet, allerdings gehörten sie auch nicht dem fast schon elitären Kreis der Neutralen an, die als graue Eminenzen dafür sorgten das weiterhin viele Waren im Hafen der Kaiserstadt umgesetzt wurden, legale wie illegale. Dies sicherte nach außen hin den Frieden. Wenn das trotzdem nicht genug war, wurden an die betroffenen Personen eindeutige Nachrichten versandt. Bei Missachtung waren die Konsequenzen schwerwiegend, mitunter auch tödlich. Da die Methoden aber nur dem Kreis selbst und wenigen Eingeweihten bekannt war, munkelte man vor allem beim plötzlichen Verschwinden von Personen oder deren plötzlichem Tod, dass der Kreis seine Finger im Spiel hatte. Und niemand war wirklich versessen darauf zu viele Fragen zu stellen. Wer konnte noch zwischen Wahrheit und Gerücht unterscheiden?
    Bisher konnten sie es vermeiden, von einer Partei bedrängt zu werden. Dies war nur möglich, indem sie möglichst unauffällig blieben und nur ganz wenige Einbrüche durchführten. Die wenigen waren dann auch meist nicht sehr lukrativ, aber ohne Geld konnten sie ihren bescheidenen Wohlstand nicht halten. Daher waren Taschendiebstähle oder das plündern von Waren aus einem der unzähligen Lager an der Tagesordnung. Das war fast schon zu leicht, allerdings hielt die Routine die Sinne beisammen und die Finger kamen nicht aus der Übung. Jetzt stand aber wohl wieder ein größerer Einbruch an. Mit etwas Glück war er danach zumindest so weit unabhängig, dass er eigene Raubzüge planen konnte. Die Tatsache dass sein Mentor von den Einnahmen einen Teil bekommen würde, hatte Revan damals akzeptiert. Jedoch würde es nicht immer so weitergehen. Sein Mentor war alt geworden, die Anzahl der Jahre die er noch zu leben hatte, war recht überschaubar geworden. Danach konnte er uneingeschränkt auf die Verbindungen seines Mentors zurückgreifen. Alles in allem schien es endlich bergauf zu gehen, trotz der heiklen Situation in der Kaiserstadt. Das diese Postion immer mehr Neider anzog, war nichts neues. Genauso wenig die Verfahrensweise mit solchen Schmarotzern: An dem oder denen, die einem am gefährlichsten werden konnten, wurde ein Exempel statuiert, danach verschwanden die Mitläufer schneller wie Ratten die von einer Katze gejagt wurden. Das war der beständige Lauf der Dinge in dieser Welt. Sobald man die wichtigste Regel verstanden hatte, nämlich dass nichts bestand hat, außer der Tod, konnte man mit ein wenig Geschick und den richtigen Leuten besser leben als viele Andere. Auch wenn dieser Umstand manchmal nur von kurzer Dauer war, so galt diese Zeit vielen als die Beste die man in seiner erbärmlichen Existenz erreichen kann. Diese Denkweise bestimmte das Leben des Dunkelelfs seit seiner Geburt. Erst während der Ausbildung durch seinen Mentor änderte sich seine Sichtweise langsam und er fing an Vorbereitungen zu treffen, um eines Tages dem Netz aus Intrigen, Verrat und Bestechung zu entkommen. Auch wenn die Chancen groß waren, das Risiko war es auch. Es gab andere Orte an denen man als Dieb leben konnte, ohne ständig ein Messer im Rücken zu erwarten. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

    Der Dunkelf wählte einen Tisch am Rande, damit er den ganzen Schankraum beobachten konnte. Kaum saß er auf dem Stuhl, da erschien auch schon der Wirt, ein älterer Altmer namens Ormil. Hin und wieder unterhielt er die Gäste mit Geschichten aus der Zeit der Oblivion-Krise. Auch wenn sie glaubhaft erzählt wurden, so konnte sich Revan nur schwer vorstellen, das ausgerechnet der Held von Kvatch in dieser Kaschemme genächtigt haben soll. „Ein Dunkelbier“ - „Kommt sofort“ Wortkarg wie immer bestellte der Dunmer, damit er möglichst schnell wieder in Ruhe gelassen wurde. Warum ausgerechnet hier? Das der Besitzer ein Altmer war beunruhigte jeden Besucher, aber wenn sein Mentor ihn hier treffen wollte, dann hatte das sein Gründe. Dadurch das sie Elfen waren, wurden sie nicht ganz so herablassend von den Thalmor behandelt, wie die kurzlebigen Rassen. Dennoch war jedem klar, wer sich für die beste Rasse auf Tamriel hielt. Und zur Zeit waren sie auf dem besten Weg, diesen Anspruch mit allen Mitteln durchzusetzen.
    Kurz darauf stand das Bier vor ihm, ein paar Münzen wechseln den Besitzer und schon hatte der Dunmer wieder seine Ruhe. Bis zum Treffen waren es noch ein paar Stunden, daher war wieder Zeit für ein Karten- oder Würfelspiel. Dabei konnte man schön den anderen Parteien das Geld aus der Tasche ziehen ohne das sie etwas merkten. Dazu war aber auch immer ein wenig Alkohol nötig. Ohne Alkohol waren nur kleine Beträge möglich, wenn die gleichen Leute auf in Zukunft mit einem spielen wollten. Es musste immer so aussehen, als habe man besonders viel Glück oder die Anderen besonders viel Pech. Interessant wurde es, wenn ein zweiter Falschspieler am Tisch saß und gegen einen spielte. Diese Partien waren immer fordernd und man lernte manch neuen Kniff. Auch heute fanden sich schnell wieder ein paar spielfreudige Gesellen zusammen, die Karten wurden ausgepackt, die Einsätze bestimmt und schon ging es munter los.

    Ein paar Stunden später, das Floß war fast schon überfüllt, hatte Revan einen mäßigen Gewinn erzielt und war, nachdem die Runde den Tisch verlassen hatte, wieder alleine. Plötzlich entdeckte Revan eine Gestalt, die sich zwischen 3 eingetroffenen Soldaten der kaiserlichen Armee in den Schankraum zwängte. Er ist spät dran. Die Gestalt ging kurz zum Tresen und bahnte sich danach mit zwei Flaschen Wein und 3 Gläsern ihren Weg durch den Schankraum. Wortlos setzte sie sich an den gleichen Tisch, entkorkte die erste Flasche und füllte 2 Gläser mit Wein.
    „Du bist heute spät dran, Cale“, sagte Revan und nahm das Glas entgegen.
    „Ich musste noch ein paar Sachen regeln, Golion“, erwiderte Faldil
    „Das Übliche?“
    „Das Übliche.....Seit wann sitzt du hier?“
    Der Dunkelf schüttelte den Kopf. „Die geben wohl niemals auf, oder? Seit heute Nachmittag.“
    Der Waldelf lachte kurz und trocken. „Nein, du kennst doch die Regeln. Diese Regeln sind fast so alt wie Götter selbst.
    „Nur das die Regeln von sterblichen gemacht wurden, und alle mischen mit. Egal ob Bettler, Soldat oder König. Den Göttern muss das ziemlich egal sein, sonst hätten sie es längst unterbunden.“
    „Wer weiß, vielleicht ist es auch eine Prüfung um die Würdigen von den Unwürdigen zu trennen.“
    „Hör auf, die klingst wie diese selbstgerechten Priester. Schon vergessen: Angeblich sehen die Götter alles, wozu dann dieses Gerede von Prüfungen?“
    Faldil schüttelte den Kopf. „Lassen wir das. Es ist draußen schon dunkel und der Kontakt sollte jeden Moment auftauchen. Er hat eine Aufgabe für uns, angeblich ein sehr heikler Auftrag. Hast du irgendwas besonderes bemerkt?“
    „Einmal abgesehen von der Tatsache, dass wir uns in einer Kaschemme am Hafen treffen, die von einem Altmer geführt wird, den Dauergästen die bei genügend Gold alles gehört haben, ein paar Soldaten der Armee und dem selben Spion der Thalmor, der am anderen Ende des Raumes sitzt und heute ein zweiter Spion samt Schlägern eingetroffen ist,..... abgesehen davon nichts auffälliges.“
    „Also nur das Übliche. Halte trotzdem Augen und Ohren offen. Wenn der Kontakt eintrifft, verständigen wir uns auf die übliche Art und Weise.“
    „In Ordnung, aber mir bereiten die Spione immer ein wenig Kopfzerbrechen. Man weiß nie ob man einen Übersehen hat. Diese Halunken sind wie die Ratten. Wo du einen siehst, ist der Rest nicht weit entfernt. Und ich habe dieses mal kein gutes Gefühl“, entgegnete Revan.
    „Leidest du unter Verfolgungswahn? Es ist das gleiche Spiel wie in den letzten Jahren auch. Entspann dich ein wenig und........er ist da“, erwiderte Faldil.
    Ein ziemlich blasser, aber gefasst wirkender Kaiserlicher betrat den Schankraum und ließ den Blick kurz schweifen. Ein kurzer Blick auf die Tür hinter ihm, dann bewegte er sich langsam durch den Schankraum. Fast konnte man meinen, er würde im Gedränge ertrinken, doch er kämpfte sich bis zu dem Tisch, an dem Revan und Faldil saßen. Ein kurzes Nicken seitens des Bosmers, genügte dem Kaiserlichen um sich auf den freien Stuhl zu setzen. Mit einem gemurmelten „Danke“ nahm er das Weinglas entgegen und trank einen tiefen Schluck, ehe er die beiden Elfen eingehend musterte. Ehe er ansetzen konnte nahm Revan die Karten aus seiner Manteltasche und begann zu mischen. Der fragende Blick seitens des Kaiserlichen wurde von einem bestimmten Nicken Faldils beantwortet. Seufzend akzeptierte der Kaiserliche, dass der Abend wohl ein wenig länger werden würde.

    Nach der dritten Runde stellte Faldil die erste Frage an den Kaiserlichen, der sich selbst Tiro nannte. „Ich hörte du hättest Neuigkeiten für uns?“
    Tiro nahm einen weiteren Schluck Wein, ehe er mit zittriger Stimme antwortete: „D-du-durchaus, ihr kennt doch den...den reichen Altmer, der sich aufführt als wäre er der Herrscher über diese Stadt? Wie war der Name noch gleich......Eraami, Eraami heißt er.“
    „Ist ja auch schwer diesen dekadenten Mer nicht zu kennen“, grummelte Revan Während er missmutig nach der Bedienung Ausschau hielt, da die letzte Flasche Wein gerade geleert worden war. Mit gespieltem Erstaunen warf Faldil seinem Schüler einen tadelnden Blick zu, was dieser nicht sehen konnte.
    „Ja, wir kennen Eraami. Was ist mit ihm?“
    „Nun, man munkelt das er beabsichtigt auf Reisen zu gehen und eine nicht geringe Anzahl seiner Wächter mitzunehmen.....“
    Derweil hatte Revan die Aufmerksamkeit einer Schankmaid erlangt und gab ihr mit wenigen Handbewegungen zu verstehen, das noch eine Flasche Wein benötigt wurde. Derweil ließ er immer wieder den Blick schweifen. Selbst die beiden Spione waren nicht auffälliger als sonst, auch zeigten sie kaum Interesse an dem Gespräch zwischen dem Kaiserlichen und seinem Mentor. Sie tun so, als wäre ihnen alles egal. Oder haben sie wirklich keine Ahnung? Einer der Spione stand auf und verließ das Floß. Der Andere konnte sich nicht zwischen 2 Sorten Wein entscheiden. Vermutlich leide ich langsam wirklich unter Verfolgungswahn.
    „Und, was sagt ihr?“
    „Durchaus ein wertvoller Tipp. Was willst du für dein Wissen und was haben wir davon?“
    „Ein goldenes Amulett, es ist ein Familienerbstück.....er ist reich, nehmt euch so viel ihr tragen könnt. Ich kann euch kein Geld anbieten.“
    „Gut, wir werden das prüfen. Wenn sich wirklich eine Gelegenheit ergibt, werden wir sie nutzen. Ich gebe dir in spätestens 7 Tagen auf dem bekannten Weg eine Antwort“
    „In Ordnung. Der Wein geht auf uns. Wenn du dich hier so unwohl fühlst, kannst du gehen sobald die Runde zu Ende gespielt wurde.“
    Der Kaiserliche war während des Gesprächs noch blasser geworden, als er es bereits war. Mit sichtlicher Erleichterung verließ er ein paar Minuten später das Floß.
    Schweigend saßen die beiden Elfen am Tisch und tranken den Rest des Weins. Per Handzeichen hatte Revan seinen Mentor auf dem Laufenden gehalten, ob sie beobachtet wurden.
    „Und, irgendetwas verdächtiges bemerkt?“
    „Nein und gerade das bereitet mir ein wenig Sorgen. Die Spione hatten für alles Augen, nur nicht für uns.“
    „Ich sagte doch, du leidest langsam aber sicher unter Verfolgungswahn. Mit etwas Glück können wir diese Arbeit genau so unerkannt vollenden wir damals bei dem Schiff.“
    „Wäre schön mal zur Abwechslung nicht verfolgt zu werden.....Ja das Schiff war ein wahres Kunstwerk.“ Revan trank den Rest seines Glases und stellte fest, das ihm der Wein langsam zu Kopf stieg. „Kam dir der Kaiserliche seltsam vor? Ich meine....“
    „Jetzt hör schon auf die Geister da zu suchen wo keine sind! Geh nach Hause und ruhe dich aus, wir haben in den nächsten Tag viel Arbeit vor uns.“
    Seufzend erhob sich der Dunmer. „In Ordnung, du weißt ja wo du mich findest.“ Revan schwankte die ersten paar Schritte, da das lange Sitzen und der Alkohol nicht förderlich für seine Beine und sein Gleichgewicht waren. Grübelnd verließ er das Floß und atmete zuerst die kalte, stinkende Nachtluft ein, ehe er ein paar Schritte der Kaimauer folgte. Vielleicht haben wir ja wirklich Glück und ich sehe nur wieder Verrat wo keiner ist. Trotzdem, der Vorfall vor 3 Jahren......ich bin zu müde und die letzte Flasche Wein entfaltet ihre Wirkung. Es wird Zeit. Die Zweifel verdrängend wandte er sich von der Kaimauer ab und verließ so schnell wie möglich das Hafenviertel, in dem es seit geraumer Zeit schlimmer stank als in der Kanalisation. Der Dunmer wollte nur noch eins: Schlafen.



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    Geändert von Skyter 21 (04.02.2014 um 16:21 Uhr)

  3. #3

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Vier Tage später durchschritt Vesana etwa um die Mittagszeit das Bollwerk, das die kleine Stadt Rabenfels von der Aschewüste trennte. Beim Anblick der schwarzen Mauer aus Basalt empfand sie ein gewisses Maß an Erleichterung. Ihre nicht ganz ungefährliche Reise über die frostige Insel kam damit zu einem Ende und irgendwie fühlte sie sich befreiter. Zwar würde sie noch einige Zeit mit den körperlichen Nachwehen zu kämpfen haben, aber insgesamt war dieser Ausflug doch positiv – und vor allem erfolgreich – verlaufen. Sie hatte gefunden, weshalb sie gekommen war und konnte sich um einige Erfahrungen reicher fühlen. Wenngleich das Unterfangen erheblich auf ihren Geldbeutel schlug, so fand sie es die Kosten wert. In der letzten Nacht hatte sie auch endlich wieder ein Auge zu machen können und seither ließ auch ihre Licht- und Geräuschempfindlichkeit nach. Wenngleich die Kopfschmerzen vorerst blieben, so wusste sie wenigstens, dass sich auch diese in ein paar Tagen für einige Zeit verflüchtigen würden. Solange musste sie noch aushalten, aber mit den Erfahrungen der letzten Tage noch frisch im Hinterkopf blieben sie das geringste Übel. Auf ihre Stimmung schlugen sie trotzdem.
    Ihrem Gesicht schienen die Leute in der Küstensiedlung wohl anzusehen, dass die Kaiserliche, die immerhin nun schon vier Wochen unterwegs gewesen war, einiges durchgemacht hatte. Die Zeichnung mit dem Blut des Werbären ließ sich zweifelsfrei auf keinen Fall mehr als solche erkennen, aber inwieweit das Blut anderer Opfer der letzten Zeit noch auf ihren Zügen auszumachen war, vermochte Vesana nicht einzuschätzen, immerhin besaß sie keinen Spiegel, in dem sie sich hätte selbst betrachten können. In jedem Fall blieben noch genug Dreck, die Asche der letzten Tage, und die noch verheilenden Reste der zahlreichen Platzwunden als Mahle der Strapazen zurück. Nicht zu vergessen zeichneten sie auch noch die von Kälte, Wind und Wetter spröde Haut auf den Wangen, Lippen und an der Nase. Dass sie sich nach wie vor leicht schief stellen musste, um die Stiche in ihrer linken Flanke einigermaßen einzudämmen, sah man ihr mit Sicherheit ebenfalls mehr als deutlich an, da die Nächte im Rausch in Ermangelung der richtigen Beute kaum zum Heilungsprozess begetragen hatten. Die Jägerin störte sich jedoch nicht an den flüchtigen Blicken der Verwunderung und des Schreckens. Stattdessen lief sie zielstrebig zurück zur Ebenerzmine, um mit Crescius zu sprechen und nach ihrem Karren zu sehen.
    Die kühle, feuchte Luft im Innern des Felsens bot wie damals zu ihrer Ankunft auf der Insel auch jetzt eine mehr als willkommene Abwechslung zur in Augen und Lunge brennenden Luft draußen. Erleichtert zog sich Vesa das Tuch von Mund und Nase und nahm einige tiefe Atemzüge. Erst danach setzte sie ihren Weg den Eingangstunnel hinab fort, vorbei an dem Emblem der ostkaiserlichen Handelsgemeinschaft und in die zentrale Kaverne mit den Verwaltungsunterlagen des alten Kaiserlichen. Dieser saß wie damals im ersten Stock der hölzernen Räumlichkeiten am anderen Ende der Höhle. Kurz schaute sie sich um und fand ihren Wagen genau an der Stelle, an der sie ihn abgestellt hatte. Ein zufriedenes, kaum merkliches Lächeln umspielte ihre geschundenen Lippen. „Guten Tag“, grüßte Vesana, die Stimme laut erhoben, damit sie auch ganz sicher nicht überhört würde. Der alte Mann erhob sich von seinem Tisch und kam zum oberen Ende der Treppe, die ihn nach unten führen würde.
    „Du meine Güte! Ihr seid zurück!“ Ehrliche Überraschung und ein Grundtenor von Freude zeichneten seine alte, rauchige Stimme. Eilig kam er die knarzenden Holzstufen hinab und auf seinen unerwarteten Gast zu.
    „Das bin ich“, entgegnete Vesa und schlug in seine Hand ein, als er sie ihr reichte. „Ich wollte nach dem Rechten sehen und fragen, ob Ihr wisst, wann Gjalund das nächste Mal nach Windhelm übersetzt“, kam sie möglichst schnell zum Geschäftlichen. Trotz der langen Einsamkeit auf ihren Wegen über die Insel verspürte sie nach wie vor wenig Verlangen, sich länger als unbedingt nötig mit anderen zu unterhalten. Das anhaltende Stechen in den Schläfen trug ebenfalls seinen Teil dazu bei. Außerdem lag ihr der alltägliche Plausch ohne ein Ziel, ohne eine konkrete Notwendigkeit nicht. Wenn sie so recht darüber nachdachte, hatte es ihr noch nie wirklich gelegen, seit ihre Familie auseinandergefallen war. Und das lag inzwischen schon lange Jahre genug zurück, um die Erinnerungen an die Zeit davor fast bis zur Unkenntlichkeit verblassen zu lassen. Es gab seither niemanden mehr, der sie zu einem ungezwungenen Gespräche hätte motivieren können. Nun ja, fast niemanden, aber daran wollte sie in diesem Moment lieber nicht ausführlicher denken und Crescius Caerellius half ihr dabei, ob er es nun beabsichtigte, oder nicht.
    „Gjalund wird in drei Tagen nach Windhelm übersetzen“, erwiderte er. „Und Euer Wagen steht unverändert und unangetastet dort drüben.“
    „Danke. Ihr bekommt damit dann noch zweihundertfünfzig Septime für die Zeit seit meinem Aufbruch und die zwei noch folgenden Tage. Richtig?“
    „Richtig. Kommt.“ Der alte Kaiserliche bat sie hinüber zu dem Tisch, an dem sie schon vor vier Wochen gesessen hatten, um dort die Finanzen zu erledigen.
    „Kann man sich hier irgendwo für etwas Geld baden?“, fragte Vesana, während sie in ihrem Tornister nach dem Goldsäckel kramte.
    „In der Taverne dürftet Ihr das können, wenn Ihr Euch dort ein Zimmer mietet. Wo die ist, wisst Ihr ja bereits.“
    Sie schob ihm das abgezählte Geld zu. „Ja, weiß ich.“ Während er grob und dem Anschein nach eher nur unaufmerksam zählte, erhob sich die Jägerin wieder und schritt hinüber zu ihrem abgedeckten Wagen. Sie warf die Plane zurück und suchte sich einige Sachen zusammen, die sie nun in der Siedlung benötigen würde. Die Schlafunterlage, die Decke und das Werbärenfell verstaute sie auf der Ladefläche. Ebenso die Armbrust und übrigen Bolzen. Allgemein legte sie zunächst sämtliche Waffen ab und entledigte sich anschließend sowohl ihrer Rüstung, als auch ihrer dicken Leder- und Felljacke. Während sie auch noch den Inhalt des Felleisens neben ihren übrigen Sachen einsortierte, erhob sich Crescius und näherte sich bis auf ein paar Schritte. In gebührendem Abstand blieb er auf der anderen Seite des Wagens stehen.
    „Es stimmt soweit alles. Ich hoffe, Eure Reise hat sich für Euch gelohnt. Es freut mich jedenfalls, Euch mehr oder weniger wohlbehalten wieder hier zu sehen.“
    Vesana schaute kurz auf und in das faltige Gesicht des alten Mannes. „Das hat sie. Danke.“ Ein kurzes, etwas verunglücktes Lächeln und Nicken des Kaiserlichen später wandte sich dieser von ihr ab und widmete sich seiner Arbeit. Sie selbst war froh darüber, endlich ihre Ruhe zu haben, seufzte kurz und kramte weiter auf ihrem Karren herum. Während sie sich etwas unbeobachtet fühlte, wechselte sie noch die völlig verdreckte und unangenehm riechende Tunika mit einer frischeren aus. Zum Schluss band sie sich ihr verbliebenes Schwert erneut auf den Rücken und einen der Dolche an den Gürtel. Mit einem kaum gefüllten Tornister machte sie sich auf den Weg zur Taverne. Das reduzierte Gewicht auf den Schultern und der mangelnde Druck auf den Brustkorb erleichterten ihr diesen. Leichten Fußes trat die Kaiserliche zurück ins Freie, zog das Tuch vor Mund und Nase und begann damit zu planen, was sie in nächster Zeit tun würde. Vermutlich sollte erst einmal eine Rückkehr zu Jorrvaskr und den Gefährten folgen. Der eine oder andere Auftrag käme sicher ganz gelegen, nicht zuletzt weil sie ihre Goldreserven im Heim der Gilde eigentlich nur ungern antasten wollte, sich ihr Geldsäckel jedoch erheblich verkleinert hatte in den letzten Wochen. Natürlich wäre es wohl auch an der Zeit überhaupt mal wieder ihr Gesicht dort zu zeigen, da sie mittlerweile doch schon lange abwesend war und nicht gänzlich in Vergessenheit geraten wollte. Die einzige Gemeinschaft, in der sie sich einigermaßen sicher und wohl fühlte zu vergraulen, lag keinesfalls in ihrem Interesse. Es wäre wohl das Beste, wenn sie nach ihrer Ankunft in Windhelm möglichst schnell zurück nach Weißlauf kam, und sich erst dann so richtig Gedanken über alle weiteren Schritte machte.
    Zunächst musste sie ohnehin ein Bett und ein Bad organisieren. Im unteren Teil der Taverne grüßte auch gleich der Wirt. „Ihr seid zurück. Was kann ich für Euch tun?“
    „Ich bräuchte ein Bett für die nächsten drei Nächte und ein Bad.“
    „Selbstverständlich. Das Zimmer kostet zehn Septime die Nacht. Das Bad zwanzig“, erwiderte der Dunmer und zupfte sich am Kinn herum, wie ein bedachter Geschäftsmann.
    „Zwanzig?“, fragte die Kaiserliche nach. Eine stattliche Summe für einen Zuber voll mit warmem Wasser.
    „Sauberes Wasser ist hier kostbar. Ihr wisst schon, wegen der vergiftenden Asche des Roten Berges. Dafür bekommt Ihr aber auch noch Seife und ein Tuch zum Trocknen“, erläuterte ihr Gegenüber und stützte sich mit den Händen auf seinem Tresen ab. Wenigstens etwas.
    „Von mir aus.“ Vesa reichte ihm das Geld. Sie verspürte keine Lust, noch großartig zu verhandeln. Sie wollte einfach nur noch ein Bett und ein Bad, um die Anspannung der letzte Wochen abzuwerfen. Mehr nicht.
    „Vielen Dank! Lasst mich Euch zu Eurem Zimmer führen. Bitte“, er wies sie an ihm zu folgen. Gemeinsam schritten sie in den hinteren Teil der Taverne und der Wirt schloss einen kleinen Raum auf, der über das Nötigste an Einrichtung verfügte. Anschließend reichte er ihr den Schlüssel. „Soll ich Drovas anweisen, Euch eine Wanne mit warmem Wasser einzulassen?“
    „Ja, bitte.“
    „Gut, er wird klopfen, sobald das Bad bereit ist.“ Er überließ sie sich selbst. Die Tür hinter sich schließend, legte die Kaiserliche zuerst Gepäck und Waffen ab, dann entledigte sie sich ihrer Stiefel und Hose. Nur noch mit der Tunika bekleidet ließ sie sich auf dem Strohbett nieder und verschränkte die Hände auf dem Bauch. Mit geschlossenen Augen versuchte sie an nichts zu denken, sondern einfach die Seele baumeln zu lassen. Ruhige Atemzüge sorgten für Entspannung, das weiche Fell und die Decke zwischen ihr und dem Stroh sorgten für den nötigen Komfort. Obwohl sie sich vornahm, nicht einmal das zu tun, ließ sie die Tage auf Solstheim Revue passieren und ging gedanklich zurück zu ihrem Kampf mit dem Werbären, dachte an die Tage der Jagd mit Oslaf, Wulf und Finna, ja sogar bis zu ihrem ersten Tag auf der Insel und der Auseinandersetzung mit dem Plünderer in der Aschewüste. Zu ihrem Bedauern kehrten damit aber auch die unbequemeren Erinnerungen zurück. Darius‘ Gesicht schälte sich ein weiteres Mal aus der Dunkelheit vor ihren Augen. Unwillkürlich griff ihre Hand nach dem Amulett um ihren Hals.
    Bevor sie sich jedoch in ihren Erinnerungen gänzlich verlieren konnte, klopfte es an der Tür und die Jägerin riss die Augen auf. Sich mit den Händen über das Gesicht fahrend stand sie auf und öffnete. Ein alter Dunmer mit magerem Gesicht und wulstigen Augenbrauen stand dort vor ihr. „Ja?“
    „Euer Bad ist eingelassen. Wenn Ihr mir folgen würdet?“, entgegnete er und sie nickte. Das Zimmer schloss sie ab und lief barfuß hinter dem schon etwas in die Jahre gekommen wirkenden Elfen her. Er führte sie zu einem größeren Raum, in dem am Rand und hinter einer verschiebbaren Abtrennung ein Holzzuber stand. Auf einem einfachen Ständer hing ein großes Wolltuch und etwas Seife lag auf einer Ablage. „Sagt Bescheid, wenn Ihr fertig seid.“ Abermals nickte die Kaiserliche und wurde sich selbst überlassen.
    Ihre Tunika zog sie über den Kopf und legte die Halskette ab. Den Verband hatte sie nach der ersten rastlosen Nacht nicht wieder anlegen können, zu zerschlissen waren die Wickel gewesen. Ohne Salbe und in dem teils zerrissenen Zustand hätte er ohnehin keinerlei Wirkung mehr gehabt. Ihr Brustkorb schimmerte mittlerweile in kräftigem Gelb und Grün. Immerhin ein Zeichen dafür, dass die inneren Verletzungen verheilten. Letztlich rutschte sie nach kurzer Gewöhnung an das wirklich sehr warme, leicht dampfende Wasser in die ovale Holzform. Zwar vermochte sie nicht, sich darin lang zu machen, aber immerhin passte sie mit angewinkelten Beinen problemlos hinein. Vesana löste nun auch noch das Lederband, das ihren Pferdeschwanz und die dorthin laufenden Zöpfe zusammenhielt, und schüttelte die langen Haare aus. Erst dann schloss sie die Augen und tauchte völlig ab.



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    Geändert von Bahaar (23.08.2013 um 14:19 Uhr)

  4. #4

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Die Zeit bis zur Abreise verbrachte Vesana überwiegend damit, sich zu erholen. Sie blieb lange im Bett liegen, frühstückte spät und spazierte etwas durch das Städtchen. Wenn sie nicht gerade oben auf dem basaltenen Bollwerk zwischen und auf einigen Kisten am hintersten Ende saß und in einem ihrer Bücher las oder einfach die Augen über den grauverhangenen Himmel schweifen ließ, weil ein laues Lüftchen aus dem Norden vorrübergehend die Asche in der Luft vertrieb, so blieb sie meist im Schankraum sitzen oder auf ihrem Zimmer. Einzig zum Abziehen des Fells des Werbären blieb sie schlechteren Luftbedingungen zum Trotz länger draußen. Die Kaiserliche mied soweit möglich die Gesellschaft anderer und hielt sich zurückgezogen. Die Entspannung und Ruhe taten ihrem Körper gut. Die Kopfschmerzen verflogen zusehends, die Schmerzen in der Brust reduzierten sich auf ein Minimum und die Kraft kehrte nach und nach in die müden Glieder zurück. Von den Dunmer der Siedlung erhielt sie kaum noch außerordentliche Beachtung. Die Gegenwart eines länger bleibenden Besuchers verlor schnell an Ungewöhnlichkeit. Nicht, dass es sie großartig kümmerte. Im Gegenteil, dass man sie in Frieden ließ und ihr nicht ständig nachsah, kam Vesa ganz gelegen.
    Am späten Nachmittag des zweiten Wartetages saß die Jägerin gerade wieder auf ihrem angestammten Platz oben auf dem Bollwerk und blickte hinab in die kleine Stadt. Wären da nicht die patrouillierenden Wachen des Hauses Redoran gewesen, sie hätte den Ort für verlassen und der Asche überlassen halten können. Die wenigen Händler auf dem Marktplatz boten ihre Waren den üblichen Verdächtigen feil, die vermutlich schon längst kein Bedürfnis mehr an noch einem neuen Schwert, einer Schaufel oder noch einem leeren Leinensack hatten. Die einzige wirklich potenzielle Kundin saß hoch oben und schaute aus weiter Ferne auf sie hinab, alle anderen hielten nur einen Schwatz mit dem Verkäufer und entfernten sich im Anschluss wieder. Eigentlich eine traurige Situation für die Händler, aber jeder von ihnen hätte genauso gut wieder auf das Festland Morrowinds zurückkehren können, insofern bestand keine Notwendigkeit für Mitgefühl. Vermutlich waren sie ohnehin weitestgehend zufrieden mit ihrem Leben in Frieden und Ruhe, abseits großer Politik und den Problemen des Festlandes.
    Zwei Wachen kamen gerade wieder in Vesanas Richtung. Die Platten ihrer schweren Knochenrüstungen schlugen weithin vernehmbar aufeinander und die harten Stiefelsohlen hämmerten mit markantem Klacken auf den Steinboden ein. Es waren zwei ihr bereits bekannte Gesichter. Einer von ihnen mit weitflächigen Tätowierungen in der linken Gesichtshälfte und feuerrotem Haar bis auf die Schultern, der andere mit fies geschnittenen Zügen und pechschwarzer Mähne. Ein Ziegenbart zierte sein Kinn. Als sie das erste Mal hier vorbei gekommen waren am Tag zuvor, hatten sie noch mit der Kaiserlichen diskutiert, dass sie doch hier oben eigentlich nichts zu suchen hatte und sich doch ein anderes Fleckchen in der Stadt aussuchen sollte. Nach einer kurzen Debatte in der sich die Jägerin uneinsichtig und stur zeigte, ließen sie sich jedoch davon überzeugen, dass von einer einfachen, zierlichen Frau mit einem Buch kaum eine Gefahr für die Festungsanlagen oder die Bewohner der Siedlung ausging und es am Ende nicht schaden konnte, den Gast die Aussicht genießen zu lassen bis er in Kürze ohnehin wieder abreiste. Inzwischen grüßten sie sogar.
    Der Wind hielt glücklicherweise noch etwas an und ließ die sonst trockene, brennende Luft der Gegend etwas milder werden. Die Füße hochgelegt zwischen zwei Zinnen, auf einer Kiste sitzend und gegen eine weitere lehnend, schloss Vesana die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Einige Momente lang verharrte sie so und atmete tief ein und aus. Nur langsam öffnete sie die Lider und griff sich im Anschluss ihr Buch. Ein einfacher Bericht über die Geschichte Himmelsrands mit einem kleinen Exkurs zu den Falmer, diese widerspenstigen, garstigen und blinden Kreaturen in den alten Dwemer-Ruinen, von denen sie schon so einiges gehört hatte, aber zum Glück noch nie selbst einem über den Weg gelaufen war. Derartige sachliche Literatur gab ihr irgendwie mehr, als simple Unterhaltungskunst, die von Barden und jedem Schnösel zusammengekritzelt werden konnte, der wusste, wie er einen Federkiel zu halten hatte. Mancher verkaufte seine grandios zusammengebastelte Geschichte sogar als Wahrheit. Zum Glück ließen sich solche für einen halbwegs gebildeten Leser wie sie schnell von echter Fachliteratur unterscheiden, die dann doch meist auf verschnörkeltes Floskelbeiwerk verzichtete.
    Vesa merkte gar nicht, wie schnell tatsächlich die Zeit verstrich. Die blutrote Sonne neigte sich steil dem Horizont zu und erst als die Zinnen lange Schatten direkt auf die vergilbten Pergamentseiten warfen, schaute sie auf. Einige der Wachen in Rabenfels hatten bereits Fackeln herausgeholt und entzündet, weil Teile der Niederlassung schon in beinahe nächtlicher Dunkelheit lagen. Die Kaiserliche entschied sich noch das Kapitel, das sie begonnen hatte, zu Ende zu lesen und würde dann zur Taverne zurückkehren. Vorfreude auf die bevorstehende Abreise und ein baldiges Wiedersehen mit den Gefährten machten sich merklich in ihr breit. Der Hunger im Bauch wich sachtem Kribbeln und einem Gefühl von Leichtigkeit. „Bald“, flüsterte sie zu sich selbst, ein Lächeln stahl sich auf die schmalen Lippen.
    Leichtfüßig schwang sich die Jägerin über den Stapel Kisten zurück auf den steinernen Boden und spazierte lockeren Schrittes oben auf der dicken Mauer entlang. Einen letzten Blick warf sie hinüber in die Aschewüste vor dem Städtchen. Sie würde das Grau wahrhaftig nicht vermissen. Und als ob ihr jemand dieses Gefühl bestätigen wollte, drehte plötzlich auch der Wind und trug neuerlichen Ascheregen aus dem Südosten über die Insel. Die dicken Flocken verkleisterten augenblicklich ihre Haare und verschmutzten die Haut auf den freien Armen. Das Buch unter den rechten geklemmt beschleunigte sie ihr Schritttempo und zog Gjalunds Tuch vor Mund und Nase. Wenig später kam sie an den beiden Wachen vorbei. Auch sie trugen inzwischen Tücher vor den Gesichtern und grüßten ein letztes Mal als die kleine Frau an ihnen vorbeikam. Diese armen Hunde konnten nicht einfach irgendwo hineingehen, wenn es ihnen zu ungemütlich wurde.
    Eilig trabte Vesana die schwarzen Stufen hinab, bog vor dem Tempeleingang ab und schritt eine weitere Treppe hinunter. Dann fehlte auch nicht mehr viel bis zur Taverne. Unten in der Senke, in der die Siedlung lag, hüllte inzwischen die Nacht alles ein, dass nicht im Schein der Fackeln der Redoranwachen erleuchtet wurde. Einzig am Marktplatz ein Stück vor ihr flackerte es auch ohne die mobilen Leuchter. Abgesehen davon schien sie jedoch die einzige zu sein, die sich tatsächlich noch mehr oder weniger freiwillig draußen aufhielt.
    Sie durchquerte gerade einen besonders dunklen Abschnitt auf ihrem Weg zum Wirtshaus, als sich von hinten ein Arm um ihre rechte Seite legte und jemand von unten ihre Kehle mit festem Griff packte. Die Augen weiteten sich vor Schreck und sie sog scharf die Luft ein, während das Herz einige aufgeregte Sprünge vollführte und ihr das Buch entglitt. „Guten Abend, Nevara“, flüsterte ihr eine messerscharfe Männerstimme ins linke Ohr. „Oder sollte ich sagen: Vesana?“ Eine kalte Spitze drückte sich von hinten gegen ihre linke Körperhälfte, etwa auf Höhe des Herzens. „Ihr hieltet Eure Namenswahl wohl für sehr ausgefuchst, nicht wahr?“ Seine Worte schnitten kühl durch die nächtliche Luft, keine Emotion spiegelte sich in ihnen, außer einer Brise Verachtung vielleicht. „Möglicherweise war sie das auch“, der Sprecher wechselte die Seite und drückte sich nahe ihrem rechten Ohr gegen ihren Kopf, um noch leiser sprechen und sich dennoch sicher sein zu können, dass sie ihn verstand. „Überall, nur nicht hier.“ Nach Überwinden der ersten Schockstarre und der Rückgewinnung einiger klarer Gedanken, griffen die Hände der Kaiserlichen instinktiv nach dem kräftigen Arm des Mannes, der sie von hinten festhielt. Weit und breit war keine Wache zu sehen und zu sprechen vermochte sie nicht mit den kraftvollen Fingern, die ihr die Luft im Hals abschnürten. „Tsts, nicht doch“, kommentierte der Fremde und drückte die Spitze stärker gegen ihren Rücken. Sie spürte einige Blutstropfen über ihre Haut rinnen.
    „Ich vergesse nicht, Vesana“, sprach er weiter, abermals die Seite wechselnd und sich erneut gegen sie drückend, „und ich vergebe nicht.“ Ein Bauchgefühl ließ der Kaiserlichen den kalten Schweiß ausbrechen. Zunehmende Unruhe und ein Anflug von Panik ergriffen von ihr Besitz, während sie zuvor zunächst noch versucht hatte, Geduld zu wahren und auf eine vorbeikommende Wache gehofft hatte. Inzwischen waren sowohl die Hoffnung, als auch ihre Selbstbeherrschung zunichte. Sie wand sich in seinem Arm und versuchte sich trotz des Messers in ihrem Rücken zu befreien. Allerdings schnitt sie sich damit nur selbst und löste den Schraubstock um ihre Brust und den Hals keineswegs. Der Mann hinter ihr, von dem Vesa inzwischen annahm, dass es sich um einen Dunmer handelte, lachte verächtlich. Sie brauchte nur noch einen Hinweis, um sich sicher zu sein und den lieferte ihr der Angreifer kurz darauf freiwillig, wenngleich die Jägerin gerne darauf verzichtet hätte. „Seid so freundlich und grüßt Eure Mutter von mir, ja?“
    Genau in diesem Moment stach der Fremde zu. Unglaubliche Pein durchfuhr ihre linke Körperhälfte. Die Luft blieb jetzt gänzlich weg, das Herz schlug unkontrolliert und sprunghaft. Sie begann zu zittern und griff sich unter die Brust. Feuchtigkeit benetzte ihre Finger. Wie in Trance schaute sie an sich hinab. Im spärlichen Licht der Nacht und dem weit entfernten Flackern blitzte eine stählerne, schlanke Spitze auf, die sich kurz darauf schmatzend aus ihr zurückzog. Der Schraubstock lockerte sich und sie sackte in die Knie, unfähig zu stehen. Entsetzt blieb ihr Mund offen stehen, der Druck der eigenen Hände verhinderte nicht, dass ihr Lebenssaft aus der Verletzung quoll. Qualvoll versuchte sie zu atmen, doch funktionierte es kaum, als ob die Luft an anderer Stelle aus ihr entwich. Mit dem Ausatmen blubberte noch mehr Blut aus der Stichwunde. Auch aus Mund und Nase tropfte das Rot.
    Kraftlos fiel sie zur Seite in die Asche und schaffte es nicht einmal mehr, sich mit den Händen abzufangen. Stattdessen fuhren nur einige weitere Stiche durch die linke Hand, als ob sie in einen Igel gegriffen hatte. Aber auch dieses Gefühl ließ schnell nach und verschwand in den Hintergrund unendlicher gedanklicher Leere. Aus weiter Ferne, als ob es aus einer anderen Zeit und Welt käme, drangen Kampfgeräusche zu ihr. Animalisches Brüllen, schmerzerfüllte Schreie und bald darauf Waffenklingen und Rüstungsklappern. Es spielte keine Rolle.
    Irgendwo zwischen Leben und Tod gefangen versuchte sich die Kaiserliche wegzuschleifen und irgendwie näher an Lichtschein zu gelangen. Langsam wie eine Schnecke, wenn überhaupt, kam sie vorwärts. Schmerzen lähmten sie, wenngleich auch sie allmählich abflauten und zum Einheitsbrei der Ohnmacht verschmolzen. Kaum zwei Schrittlängen weit bewegte sie sich fort, bevor sie völlig entkräftet liegen blieb. Wenige letzte Gedankeblitze schossen ihr vor der hereinbrechenden Finsternis durch den Kopf, doch hatten sie nichts mehr mit ihrem verflogenen Kampfeswillen zu tun, der zuvor noch alles an ein mögliches Überleben gesetzt hatte. Dieser Bastard, dieser räudige Bastard eines Assassinen hatte sie tatsächlich gefunden. Hier, am Hinterteil der Welt. Es war unfassbar. Zu Schrecken, Entsetzen und Schock mischte sich nun auch Fassungslosigkeit. Bald darauf erloschen auch diese letzten Gedanken und selbst die aufkeimende Wut verglühte im Nichts.



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    Geändert von Bahaar (30.08.2013 um 13:11 Uhr)

  5. #5

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Sie rannte durch die Dunkelheit, ziellos einfach nur gerade aus. „Wie konntest Du nur?!“, schrie sie. Ihre Stimme drohte zu brechen.
    „Wo willst Du hin, Vesa?“, klang es hohl aus weiter Ferne, obgleich schon fast omnipräsent von überall her.
    „Sag‘ Du mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe!“
    „Ich bin Dein Vater, natürlich sage ich Dir das!“ Tränen rannen ihr über die Wangen in den Mund. Die Nase verstopft bekam sie kaum noch Luft.
    „Lass‘ mich in Frieden! Du bist nicht mehr mein Vater!“

    Sie stolperte, strauchelte und fiel. Auf einem Flecken Gras kauerte sie vor etwas, das von Tränen verschwommen beinahe wie ein Grabstein aussah. Regen durchnässte sie bis auf die Knochen. Die zitternden, eiskalten Finger der linken Hand strichen am Stängel einer Todesglockenblume entlang und hoben die schwere Blütenstaude an. Zahllose dieser traurigen Gewächse zierten das Grün um sie herum. Glasklare Perlen, die bei der leichtesten Berührung das Weite suchten und sich gegenseitig verjagten, schmückten jede einzelne. „Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid“, flüsterte sie. Ihre Worte verschluckte der Regen. „Ich werde euch in nächster Zeit nicht mehr besuchen kommen können. Bitte vergebt mir.“ Sie blickte von der Blume auf, der graue, moosbewachsene Stein schien sich von ihr zu entfernen und tauchte zunehmend in Finsternis. „Grüßt Mutter von mir.“ Das Gras zerfiel unter ihr, löste sich in Schwärze auf.

    Wärme, ein flackerndes Feuer in einem molligen Raum. Holzstreben, die die natursteinernen Wände und die Holzdecke stützten. Einige Stühle und ein paar Frauen und Männer der verschiedensten Rassen. Ein paar trugen Waffen. Alle schienen einen ruhigen Abend mit Bier und Essen zu verbringen. Vesa schaute erst zu Boden, anschließend leicht zur Seite in das Gesicht eines Orks. „Es tut mir leid, ich muss fort.“
    „Wohin willst Du?“, fragte er zurück, die wulstigen Lippen standen sich beim Sprechen selbst im Weg.
    „Weiß ich noch nicht.“
    „Warum willst Du fort?“
    „Ich muss. Tut mir leid.“ Sie wandte sich ab, trat auf eine Tür zu und noch bevor der Orsimer sie aufhalten konnte verschwand sie durch den Ausgang in ein Meer aus Pech.

    Ein männliches Gesicht, voller Hingabe und Zuneigung, gleichsam von Sorge und Bedauern gezeichnet. „Geh‘ nicht!“, fehlte Vesana.
    „Ich muss. Aber ich verspreche Dir, dass sie mich nicht kriegen werden und wir uns bald wiedersehen.“ Die Züge des Kaiserlichen mit den schwarzen Haare im Linksscheitel und dem gepflegten Kantenbart verschwammen im Nichts.
    „Nein, bleib!“ Rief sie in die Dunkelheit hinein und blieb allein zurück.

    Die Luft blieb ihr weg. Die Eingeweide wurden leicht, Wind zerrte an ihrer Kleidung und dem Haar. Füße und Hände fanden keinen Halt. Sie fiel. Sie fiel in einen Ozean der Unendlichkeit, unfähig zu denken oder zu sprechen. Hilflos trudelte sie durch die Ewigkeit, kaum in der Lage die eigene Hand vor Augen zu sehen, denn geschweige ihre Umgebung, den Himmel oder den Grund, auf den sie zutrieb. „Vesa“, drang eine sorgenvolle Frauenstimme aus der dunklen Ferne zu ihr vor, „es … es tut mir leid, aber …“
    „Aber, was?“ Ein Kloß formte sich in ihrem Hals, raubte ihr die Fähigkeit zu sprechen.
    „Ich … glaube, er wird … er ist schon so lange fort …“ Sie wollte etwas sagen, widersprechen, schreien. Es ging nicht. Kaum öffnete sie den Mund, fühlte es sich so an als ob Wasser gewaltsam ihren Rachen hinab in Magen und Lunge presste – es fühlte sich wie ertrinken an und erstickte so sogar den eigentlich unbändigen Drang zu fliehen, einfach wegzurennen. Sie bekam keine Luft, musste husten, griff sich an die Kehle, spürte den unbändigen Drang sich zu übergeben. Doch noch vorher schwanden ihre Sinne und sie verlor jedes Empfinden für Zeit. Einzig der Schmerz blieb.

    Vesana sog die Luft ein, als wäre sie ihr viel zu lange weggeblieben, und bäumte sich auf. Ein feuriger Stich in der linken Brust ließ sie qualvoll aufschreien, doch endete es abrupt in heftigem Husten, das einen kleinen Schwall Blut hervorwürgte. Benommen und orientierungslos fiel sie zur Seite um, spuckte das Rot aus, ohne zu wissen wohin, und stürzte aus erhöhter Position auf harten Grund. Instinktiv griff sie sich an die schmerzende Stelle und drückte dagegen, als ob sie so die Pein zerquetschen konnte. Stattdessen schossen nur zusätzliche Blitze durch den Leib, die für Krämpfe, Zuckungen und weiteres Stöhnen, Schreien und blutiges Husten sorgten. Kälte zog ihr in die Glieder, ließ sie zittern, und dennoch stand ihr der Schweiß auf der Stirn.
    Es dauerte lange, bis das Stechen nachließ und sich ihr gequältes Ringen um geistige Fassung in Schluchzen und einfaches Weinen wandelte. Nur in ein weißes, ihr viel zu groß geratenes Hemd aus Leinen gehüllt schlang sie die Arme um sich selbst und zog die Beine an, um die Muskeln um den Brustkorb zu entspannen. Eine einfache Decke aus Wolle hatte die Kaiserliche mit sich gezerrt, als sie aus dem gefallen war, das sich erst nach und nach im deutlicher werdenden Sichtfeld als ein Bett entpuppte. Einige Öllampen sorgten für schummriges Zwielicht. Allmählich gewann ihr Umfeld an Klarheit, verschwamm jedoch bei jeder noch so geringfügigen Bewegung und selbst die Atemzüge, egal wie flach und langsam sie sie hielt, brannten wie flüssiges Feuer. Das Zucken in ihren Gliedern ließ nach, doch die Tränen flossen unaufhörlich. Sie nahm eine ihrer Hände und hielt sich den Kopf, in dem ein Gedanke den anderen jagte und vertrieb. Nichts blieb fassbar, ein ewiges Karussell, das sich hinter ihrer Stirn drehte. Hin und wieder geriet es aus dem Takt und hämmerte von innen gegen die Schläfen bevor es sich fing und weiterdrehte, als wäre nichts gewesen.
    Ihr wurde schwindelig davon und bald drehten sich nicht nur die Gedanken im Kreis, sondern auch ihr Gleichgewicht. Bevor sich jedoch ihr Magen umdrehen und verkrampfen konnte, spürte sie wie jemand je einen Arm unter ihre Kniekehlen und ihre Schultern schob. Kurz darauf verlor Vesa den Bodenkontakt, fand sich jedoch gleich danach auf einer weicheren Unterlage wieder. Die Arme wurden weggenommen und sie sackte in sich zusammen. Jemand deckte sie zu und hob anschließend ihren Kopf. Sie spürte einen sanften Druck an ihrer Unterlippe und erkannte gerade so aus dem Augenwinkel eine grauhäutige Hand, die ein Schälchen hielt. „Trinkt das und schlaft. Ihr braucht Ruhe.“ Die weichen, einfühlsamen Töne weckten Vertrauen. Mühsam öffnete die Kaiserliche ihren Mund einen Spalt weit und ließ die bittere, kühle Flüssigkeit hineinlaufen. Einen Großteil schluckte sie, doch musste sie zum Schluss husten, weil ihr einige Tropfen in die Luftröhre geflossen waren. Was heraus- und ihre Wange hinabrann wurde wenig später mit den Blutreste von zuvor weggetupft. „Schlaft“, flüsterte die Männerstimme erneut. Kurze Zeit später fühlte sie, wie die Schmerzen nachließen, sich der Knoten in ihrem Kopf löste und sich ihre Muskeln entspannten. Sie fand etwas Frieden.

    Weniger gepeinigt schlug Vesana später abermals ihre Augen auf. Sie lag auf dem Rücken, die Wolldecke reichte, trotz des zerwühlten Zustandes, bis zum Halsansatz. Ihre Haut im Gesicht fühlte sich verklebt an, wie am Morgen nach einer langen Fiebernacht. Die Hände befanden sich an ihren Seiten und hielten sich flach unter dem dicken Tuch versteckt. Langsam schärften sich die Konturen der Umgebung. Es schien ihr, als befände sie sich in einem typischen Redoran-Haus. Die gewölbten, beigefarbenen Wände und der Mangel an Fenstern sprachen dafür. Ansonsten verriet nichts in dem kleinen Raum, wo genau sie war. Ein einfacher Schrank, eine Kommode mit einem Tonkrug und dazugehörigem Schälchen, zwei Stühle an einem kleinen Tisch und ein runder, gemusterter Teppich auf dem dunklen Boden aus groben Steinen. Es fiel ihr schwer alles auszumachen, nicht nur, weil Dinge in weiterer Entfernung verschwammen, sondern auch weil sie den Kopf auf dem steifen Hals kaum zu bewegen vermochte.
    Trotz der Schwierigkeiten, die sie bereits damit hatte, wollte sie versuchen aufzustehen. Wo auch immer sie sich aufhielt, es konnte nicht außerhalb von Morrowind sein und das musste sie schnellstmöglich verlassen. Mit etwas Schwung versuchte sie sich auf die Seite zu drehen und drückte sich gleichzeitig mit der linken Hand am Bett ab. Die Beine hingen halb aus ihrer Schlafstatt heraus, als sie stöhnend innehalten musste und beinahe vornüberkippte, weil ihr die ein Schwerttänzer durch die Brust wirbelte. Die Luft blieb ihr weg und trieb Tränen in ihre Augen. So verharrte sie einige Momente, um Kraft und Fassung zu sammeln. Die Rechte zu Hilfe nehmend, stemmte sich die Kaiserliche in eine sitzende Position hoch und rang mit sich, nicht gleich wieder umzufallen, weil ihr der Schwindel zu Kopf stieg und sich die Umgebung zu drehen begann. Vorsichtig übte sie mehr Druck auf die kraftlosen Füße aus und blieb zunächst gebückt, damit sie sich weiter an dem niedrigen Bett abstützen konnte und die Muskeln am Oberkörper nicht auseinander zog. So schaffte es die Jägerin immerhin, einen kleinen Schritt nach dem anderen und mit vielen Sammelpausen, sich bis zur Kommode durchzuschlagen.
    Dort angekommen setzte sie beide Hände an der Kante der Ablagefläche ab und versuchte sich weiter in eine aufrechte Haltung zu hieven. Doch mit hoch erhobenem Kopf übernahm sie sich schließlich. Die Knie wurden weich und gaben nach. Unbeholfen versuchte sich Vesana abzufangen, räumte jedoch nur die Tongefäße ab, die daraufhin lautstark zerberstend auf dem Boden aufschlugen. Sie ging in die Knie und der Kopf fühlte sich so bleiern schwer an, dass er einfach nach vorn auf den Steingrund sackte. Der Schwindel ließ sie zur Seite gegen das dunkle Möbel sinken.
    Eine gefühlte Ewigkeit später vernahm sie, wie eine Tür aufgeschoben wurde und anschließend zurück ins Schloss fiel. Schnelle Schritte näherten sich ihr und ein Schatten tauchte über ihr auf. Jemand in einer hellblauen Robe kniete sich neben die Kaiserliche und nahm ihren linken Arm hoch. „Ihr solltet doch ruhen!“ Es handelte sich um die Stimme, die sie schon zuvor vernommen hatte. Er legte sich ihren Arm um die Schulter und half ihr auf die wackeligen Beine. „Kommt, lasst mich Euch zurück zu Eurem Bett bringen. Da Ihr nun schon wach seid und einfache Anweisungen nicht zu wirken scheinen, erkläre ich Euch, warum es gut für Euch wäre, zu ruhen.“ Der Unbekannte geleitete sie zu ihrer vorherigen Ruhestätte und half ihr dabei, sich zu setzen. Im Anschluss legte er ihr die Decke um die Schultern. Erst jetzt realisierte die Jägerin richtig, dass es sich um einen Dunmer handelte und er seiner aufwändig gearbeiteten Robe nach zu urteilen als Geistlicher diente. Allmählich dämmerte ihr, wo sie sich befand.
    Doch Worte zerflossen ihr auf der schweren Zunge, noch bevor sie überhaupt dazu kam die erste Silbe auszusprechen. Als wäre sie betrunken drehte sich ihr Sichtfeld und wie ein Sack Reis plumpste sie nach hinten gegen die Wand. Glücklicherweise war es bis zu dieser nicht sehr weit und so blieb sie einigermaßen aufrecht, der Kopf im Nacken. Während sie so dasaß und sich kaum zu rühren vermochte, rückte jemand einen Stuhl zurecht. „Trinkt das“, der Dunmer von zuvor setzte ihr wieder etwas an die Lippen. „Es wird Eure Gedanken etwas klären.“ Vesana schluckte die widerlich saure und zugleich ekelhaft bittere Flüssigkeit, musste dann jedoch aufhören, weil ihr der Trunk aufstieß.
    Immerhin, der Mann hielt Wort. Es dauerte zwar einige Zeit, doch stabilisierte sich ihr Gleichgewicht danach etwas und auch Worte zerronnen nicht gleich, wohl aber noch bevor sie sie zu einem Satz zusammensetzen konnte. „Wo?“, brachte sie heraus, zu sprechen brannte in ihrer Lunge. Die Augen streiften weiterhin unruhig, ohne Fokus über die Umgebung und an der Decke entlang.
    „Ihr befindet Euch im Tribunals-Tempel in Rabenfels. Ich bin Ältester Othreloth.“
    „Was?“
    „Ihr wurdet vor fünf Tagen angegriffen. Der Angreifer konnte fliehen und wurde noch nicht gefunden. Ihr überlebtet knapp. Der Stich führte wohl nur um Haaresbreite am Herzen vorbei. Die Verletzung an Eurer Lunge blieb in einem heilbaren Rahmen, weil die Waffe schmal und scharf war, weshalb sich das zerstörte Gewebe in Grenzen hielt. Dennoch, die Heilung braucht Zeit und obwohl die äußeren Wunden verschlossen sind, bleibt das Gewebe im Innern verletzt.“
    Langsam gewann Vesana genügend Selbstbeherrschung zurück, um die Augen auf den Priester zu lenken. Seine alten Züge mit den langen weißen Haaren und dem spitzen Bart verschwammen jedoch häufig. Einen Funken Sorge glaubte sie aber trotzdem zu erkennen. „Ich … weg“, versuchte sie auszudrücken, dass sie schnellstmöglich verschwinden musste.
    „Es tut mir leid, aber Ihr befindet Euch noch lange nicht in einer Verfassung, in der Ihr längere Reisen unternehmen könnt.“
    „Gjalund … Windhelm …“
    „Er kommt erst in einigen Tagen zurück. Ich glaube nicht, dass Ihr dann schon in der Verfassung sein werdet, zu reisen.“ Unbeholfen suchten ihre Hände nach etwas, an dem sie sich festhalten konnten. Sie musste hier weg. Schnell. Sofort. Ihr Magen drehte sich um, als sie ihre eigene Hilflosigkeit realisierte. Wie so oft in Momenten, in denen sie sich einsam und ungeschützt fühlte, griffen ihre Finger an ihre Brust wo sonst das Amulett hing. Sie fanden es nicht. Die Lippen begannen zu beben, Tränen entwanden sich den Augenwinkeln und sie krallte sich in die Decke. Nicht einmal mehr die sonst letzte rettende Insel in den schlimmsten Stürmen blieb ihr noch.
    „Meine … Sachen?“, würgte sie hervor, als ihr ein vereinzelter klarer Gedanke Hoffnung gab.
    „Was Ihr bei Euch getragen habt und in Eurem Zimmer in der Taverne gelegen hat, befindet sich in dem Schrank dort drüben.“ Er deutete mit einer Hand in die Richtung. „Euer Wagen steht unverändert in der Ebenerzmine. Crescius Caerellius wacht über ihn.“ Othreloth stand auf und beugte sich vor. „Bitte, ruht Euch aus. Wenigstens noch ein, zwei Tage.“ Unter sanftem Druck sah sich Vesana gezwungen, wieder in die Waagerechte zu gehen. Der alte Dunmer schien in der Tat sehr um ihr Wohlbefinden besorgt. „Wenn es Euch dann besser geht und das Fieber und der Schwindel von allein nachgelassen haben, habt Ihr meine vollste Unterstützung schnell wieder auf die Beine zu kommen. Solltet Ihr bis zu Gjalunds Abreise nach Windhelm allein stehen und gehen können, so werde ich Euch nicht am Aufbruch hindern.“ Er deckte sie zu und tupfte über ihre Stirn. „Dass Ihr von hier fort möchtet, kann ich gut verstehen, glaubt mir, doch kann ich nicht verantworten, Euch in Eurem jetzigen Zustand ziehen zu lassen.“ Der Geistliche saß inzwischen wieder aufrecht auf seinem Stuhl. „Bis dahin seid Ihr hier sicher. Vor Eurer Tür stehen zwei Wachen, die dazu angehalten sind nur mich hineinzulassen und bei jedem Geräusch aus diesem Raum nachzuschauen und mich zu Hilfe zu holen. Euch kann hier nichts geschehen, wenn Ihr nicht selbst Eure Fähigkeiten überstrapaziert.“ Mit diesen Worten erhob er sich, schob seinen Sitz zurück an die Seite und verschwand aus dem Raum. Vesana blieb in Schmerz und Einsamkeit zurück.



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    Geändert von Bahaar (07.09.2013 um 15:59 Uhr)

  6. #6

    Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels

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    Ein Krug und Schälchen standen inzwischen nicht mehr auf der Kommode, deren Vorgänger Vesana von dieser gefegt hatte, sondern ganz am Rand auf dem kleinen, runden Tischlein mit den zwei Stühlen. Ihr Tornister lehnte von außen am einzigen Schrank im Zimmer. Ansonsten entdeckte sie nichts, dass sie nicht zuvor schon schemenhaft wahrgenommen hatte, während sie auf der Seite lag und zum ersten Mal wieder einigermaßen klar zu denken vermochte. Das Atmen fiel ihr nach wie vor schwer, aber immerhin schmerzte es nicht mehr so sehr, dass es ihr jedes Mal die Sehschärfe raubte. Außerdem schien der Schwindel verschwunden zu sein, zumindest solange sie lag. Aber genauer würde sie es in Kürze wissen. Entschlossen, dieses Mal weiter als bis zum niedrigen Ablageschränkchen zu kommen, streckte die Jägerin die Füße unter der Bettdecke hervor und stützte sich zunächst auf den rechten Ellbogen. Anschließend brachte sie sich in eine sitzende Position und schlang die Wolldecke um die Schultern. Ein wenig fröstelte es ihr noch, aber das mochte gut auch am Hunger, Durst und dem allgemeinen Gefühl von Schwäche liegen und nicht an einer kühlen Umgebung.
    Sich auf jede einzelne Bewegung konzentrierend begann Vesa damit aufzustehen. Anschließend tastete sie sich gebückt erst am Bett und anschließend an der Kommode entlang. Dort hielt sie wie zuvor inne und brachte sich in eine normale Körperhaltung. Das Ziehen in der Brust strafte sie jedoch unverzüglich ab, weil sie zu hastig agierte und so krümmte sie sich erst noch einmal, bevor sie wieder normal Luft bekam. Im Anschluss setzte sie den Weg zur Tür fort und hatte dabei immer eine Hand an der Wand, um sich selbst ein gewisses Sicherheitsempfinden bei ihren Schritten zu vermitteln. An der Tür angekommen, lehnte sie sich mit der Schulter gegen die Wand und drückte die alte Eisenklinke hinunter. Ein Dunmer mit feuerrotem Haar und einem linksseitig umfassend tätowierten Gesicht wandte sich ihr augenblicklich zu. Etwas Überraschung huschte über die sonst steinernen Züge. Vesana brauchte einen Moment, um die bekannte Erscheinung zuzuordnen, aber schenkte der Wache von der Basaltmauer schließlich ein völlig entglittenes, schiefes Lächeln zum Gruß. „Könntet Ihr“, begann sie mit kraftloser Stimme zu sprechen, „den Ältesten Othreloth holen?“ Der Dunmer nickte und verschwand aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen.
    Diese schloss den Durchgang und kämpfte sich zurück zu ihrer Schlafstatt, auf die sie sich schließlich sinken ließ und erschöpft zurück gegen die Wand lehnte. Die Augen geschlossen wartete sie darauf, dass der Priester kam. Erst, als sie vernahm, wie die Tür aufgeschoben wurde, hob sie die Lider. Der alte Dunmer mit den langen, weißen Haaren und in einem Zopf auslaufenden Kinnbart nahm sich einen Stuhl und setzte sich vor die Jägerin. „Wie geht es Euch?“, seine dunkelrot glühenden Augen strahlten zwar eine gewisse Bedrohlichkeit aus, doch die feinen Falten an den Augenwinkeln und die weiche Tonlage ließen diese schnell vergessen werden.
    „Kraftlos“, entgegnete Vesa. „Und hungrig.“ Othreloth lächelte.
    „Dagegen können wir etwas unternehmen. Hunger ist ein gutes Zeichen. Wie geht das Atmen?“
    „Schwer. Aber besser.“ Der Geistliche nickte und zupfte sich am Bart.
    „Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch eine Suppe und etwas Wasser bringe und wir uns versuchen zu unterhalten?“
    „In Ordnung.“ Als ob sie auch eine Wahl hätte. Aber sie wollte nicht klagen, immerhin verdankte sie diesem Mann ihr Leben, da ließ sich ein kleines Gespräch schon verkraften. Im Zweifel konnte sie immer noch abbrechen, weil ihr die Kraft zum Sprechen fehlte.
    „Setzt Euch doch schon an den Tisch, ich komme gleich zurück.“ Damit erhob sich der Priester und schob den Stuhl zurück an seinen vorherigen Platz. Vesana harrte noch einen Moment auf dem Bett aus, dann kämpfte sie sich zum Rundtisch vor und setzte sich. Die Decke hielt sie nach wie vor um die Schultern geschlungen, obgleich es nichts gegen die frierenden Zehen und Füße half. Wenig später kehrte der grauhäutige Weise zurück, stellte eine dampfende, herb duftende Suppenschüssel vor sie, legte etwas Brot dazu und schenkte aus einem Krug Wasser in eine Tasse. Er ließ die Kaiserliche erst einmal einige Löffel voll der kräftigen Kräuter- und Gemüsebrühe schlucken und schwieg.
    Das heiße Mahl weckte frische Lebensgeister in Vesa. Sie spürte förmlich, wie neue Energie durch ihren Körper strömte und das leichte Zittern, das ihren Körper fest umklammert hielt, allmählich zurückdrängte. Ihre leichenblassen Hände und Unterarme erhielten bald darauf eine leichte fleischige Färbung und nach der Hälfte der Schüssel verebbte auch das Beben der Lippen. Geschmack zählte in diesem Moment nicht, die neugewonnene Kraft rechtfertige zu diesem Zeitpunkt so gut wie alles. Zusammen mit dem Brot sättigte die warme Mahlzeit auch noch in völlig ausreichendem Maße. Zufrieden lehnte sich die Kaiserliche zurück, trank noch einen Schluck und fasste anschließend die Enden der Decke, um sie dichter um sich zu schlingen.
    „Besser?“, fragte Othreloth.
    „Ja.“
    „Denkt Ihr, wir können uns etwas über die Geschehnisse von vor einer Woche unterhalten? Was Ihr gesehen habt und was genau eigentlich passiert ist?“
    Sie schaute den Geistlichen an, musterte seine tiefroten Augen und die Regungen auf dem Gesicht, um ihn besser kennenzulernen, doch verrieten die Züge wenig mehr, als ihr schon bekannt war. Es schien, als wollte er zu Schonungszwecken die Befragung der Verletzten übernehmen und sie nicht den Gardisten der örtlichen Behörden überlassen. „Ich werde Euch sicherlich nur wenig erzählen können, aber ja“, stimmte Vesana zu. Einiges wollte sie auch nicht erzählen, aber das musste der Priester nicht wissen.
    „Wisst Ihr, wer Euch angegriffen hat?“
    „Nein.“ Die erste Lüge gleich zu Beginn. Sie kannte nur nicht seinen Namen. „Der Waffenwahl nach zu urteilen aber ein Assassine.“ Einer aus der Morag Tong, um genau zu sein. Allein der Gedanke an diese Organisation ließ gleichermaßen Wut wie Furcht in ihr aufsteigen. Welches genau es war, das sie die Faust unter der Decke ballen ließ, wusste sie nicht. Auf jeden Fall stieß ihr die Suppe im Magen auf und nur mühsam gewann sie die Oberhand über die aufquellenden Gefühle.
    „Ja, das liegt nahe. Auch, da er sich schnell entfernen konnte und unverändert verschwunden bleibt“, dachte der Älteste des Tempels laut darüber nach. Er zupfte sich grübelnd unaufhörlich an Kinn und Bart herum. „Könnt Ihr Euch an irgendetwas genauer erinnern? Hat er etwas gesagt? Wie hat er Euch überfallen? War es ein Mann, oder eine Frau?“
    „Ich vermute, dass es ein Dunmer war. Ein Mann. Er hat mich von hinten festgehalten und niedergestochen. Mehr ist da nicht.“ Die Worte des Meuchlers spielten keine Rolle und waren ohnehin privat. Selbst wenn sie sie kundgab, änderte das nichts. Ihren Angreifer würden die Wachen hier ohnehin nie zu fassen bekommen.
    „Hm, das ist nicht sehr viel.“
    „Tut mir leid, es ging alles so … so verdammt schnell“, sie brach künstlich ab, strich sich mit der Linken über das Gesicht und massierte die Augen. Diese Standardfragen führten zu nichts.
    „Schon in Ordnung, verzeiht“, entschuldigte sich der Priester. „Nur eines noch, zum Abschluss: Habt Ihr etwas von einem Bären mitbekommen, der sich in der Nacht in Rabenfels aufgehalten hat?“
    Jetzt wurde die Kaiserliche hellhörig und schaute auf. „Ein Bär?“ Konnte es das gewesen sein, was sie kurz vor der Ohnmacht noch vernommen hatte? Dieses animalische Grollen begleitet von Kampfgeräuschen?
    „Ja. Es scheint, als hätte er sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf Euch in der Straße aufgehalten und Euren Angreifer attackiert. Die Wachen sind erst durch ihn darauf aufmerksam geworden, dass sich etwas ereignet hat. Als sie eintrafen, rannte er jedoch durch den Tunnel im Bollwerk hinter einer schlanken Gestalt her.“
    Vesana überwand ihre erste Neugier und Überraschung und schüttelte sacht mit dem Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich habe nichts bemerkt.“ Für die Zeit vor und während des Überfalls traf dies auch zu.
    „Schon in Ordnung. Wenigstens habt Ihr es überstanden.“ Freundlichkeit stahl sich auf die Züge des Dunmers und er faltete endlich die Hände im Schoß zusammen. Das Fummeln am Bart hatte mit der Zeit zu stören begonnen.
    „Ich würde mich gerne noch etwas bewegen. Umherlaufen, vielleicht“, wechselte Vesa das Thema. Wenn sie sich jetzt wieder hinlegte oder allein zurückblieb, wären unangenehme Gedanken und Erinnerungen vorprogrammiert. Mit der kalten Wut im Bauch und der Furcht in den Knochen in einem stillen Raum und allein zu ringen erfüllte nicht gerade ihre Vorstellungen von Erholung und Rückgewinnung von Kraft. Sie musste sie herauslaufen und irgendwo vor der Zimmertür abladen.
    „Natürlich. Lasst mich Euch aufhelfen, dann bringen wir die Schüssel weg und gehen etwas durch den Tempel.“ So taten sie es dann auch.

    In den folgenden Tagen erlangte die Jägerin sehr rasch ein Grundmaß ihrer Kräfte zurück und sah sich letztlich in der Lage, auch ganz ohne fremde Hilfe zu gehen. Zwar hatte sich noch längst nicht ihre übliche Verfassung wiederhergestellt, aber immerhin ließen sich einfache Wege erledigen – regelmäßige Pausen zum Luft holen und Sammeln vorausgesetzt. Othreloth befand am Morgen des zehnten Tages nach dem Überfall, dass sie soweit ausreichend genesen war, dass sie die Rückreise nach Himmelsrand antreten konnte. Nicht zuletzt verdankte sie das den Heilkünsten des Priesters und der Unterstützung der örtlichen Alchemistin.
    „Die salzhaltige Seeluft sollte Euch gut tun“, erklärte der Geistliche, als sie sich verabschiedeten. „Und hier habt Ihr noch drei kleine Heiltränke, die Ihr in den nächsten Tagen zusätzlich als Dampfbad einatmen solltet, damit die regenerierende Wirkung ohne Umwege direkt an die verletzten Stellen dringt. Ihr kennt das ja bereits. Danach sollte der Heilungsprozess von alleine rasch voranschreiten und Ihr Eure alte Stärke zurückgewinnen.“ Vesana nickte und nahm den Beutel mit den Fläschchen entgegen. „Es tut mir leid, dass man Euren Angreifer noch immer nicht gefunden hat. Passt auf Euch auf.“
    „Habt Dank für Eure Fürsorge. Das werde ich.“
    „Lebt wohl.“
    „Ihr ebenso.“ Mit diesen Worten wandte sich die Kaiserliche von dem Priester ab und trat vom Anlegesteg auf Gjalunds Kahn. Sie hatte Othreloth noch eine kleine Spende für den Tempel dagelassen, aber das wusste er noch nicht. Vermutlich hätte er sie nicht angenommen. Möglichst schnell verschwand sie unter Deck und legte sich in eine Hängematte. Wenig später ließen sie Rabenfels hinter sich. „Bloß weg von hier“, flüsterte sie zu sich selbst. Weit, weit weg von allem, das auch nur ansatzweise im Zugriffsgebiet der Assassinengilde aus Morrowind lag. Zurück in heimische Gefilde. „Alles nur wegen Dir, Vater, nur wegen Dir. Gut gemacht!“ Der Magen krampfte und die Finger gruben sich in den Stoff ihrer Tunika auf dem Bauch. Hass vergiftete ihren Hunger bis er schließlich daran verstarb und verhinderte überdies, dass sie Schlaf fand.



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    Geändert von Bahaar (13.09.2013 um 18:17 Uhr)

  7. #7

    Geistermeer, Nordmaid

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    Vermutlich war es ohnehin noch zu früh, um sich wirklich wieder zur Ruhe zu begeben. Wenn Vesa so recht darüber nachdachte, erschien es ihr fast schon lächerlich sich noch vor dem Mittag, wenige Stunden nach dem Aufstehen, erneut in die Waagerechte zu begeben und zu glauben, sie könne den brachialen Tumult, der sich durch ihre Eingeweide kämpfte, verschlafen. Fast schon animalisch knurrend und zähneknirschend hievte sich die Kaiserliche aus der im Seegang schwingenden Hängematte. Kurzen Schwindel rang sie nieder indem sie sich an einem der Spanten festhielt. Hin und wieder machte die langsam heilende Lunge auf diese Weise und mit schnellen, heftigen Stichen durch die Brust auf sich aufmerksam. „Danke, Vater, danke. Du elender Hund“, murrte sie, während sie sich die schmerzende Stelle unterhalb des Busens hielt.
    Als sich der Schmerz wieder legte, sie normal Luft bekam und sich nur noch bei besonders großen Wellen festhalten musste, versuchte sie schließlich die kalte Wut im Bauch niederzuringen. Sie musste endlich damit abschließen. Demonstrativ schnappte sie sich ihr Buch über die Geschichte Himmelsrands, sowie einen der kleinen Heiltränke und ein Tuch. Sie würde im Frachtraum der alten Nordmaid nach ihrem Karren sehen und von diesem eine feste Tonschüssel holen, die sich über einer Kerze erhitzen ließ. Da sie ohnehin nichts Besseres zu tun hatte, mochte sie auch gleich mit dem ersten Dampfbad für die Reise beginnen und im Anschluss ihren Geist mit Sachinformationen ablenken. Es brachte nichts, wenn sie in alten Sentimentalitäten verharrte. Sie wusste das, wenngleich es nichts daran änderte, dass sie oft genug daran hängen blieb und sie in vergrabenen Emotionen ertrank.
    Die Balken und Holzstreben des Schiffes knarzten unter der Last, die sie zu halten hatten, hielten aber trotzdem allen Wellen stand, als wollten sie ihnen zeigen, wer hier stärker war. Die Spuren der Sturmschäden von vor einigen Wochen hatte der bärige Nord inzwischen flicken lassen. Neue metallene Platten und Spangen hielten schwach gewordene Stellen zusammen, einige Balkenteile hatte der Kapitän auch ganz austauschen lassen. Es handelte sich um durchaus teure Reparaturen. Ob ihre kleine Spende wenigstens im Ansatz etwas geholfen hatte, wusste die Kaiserliche nicht, aber letztlich bescherte ihr der Gedanke an die Möglichkeit trotzdem ein gutes Gewissen. Ein schmales Lächeln auf den Lippen schlängelte sich die Jägerin zwischen den Kistenstapeln hindurch bis zu ihrem Karren und kramte auf der Ladefläche herum, bis sie letztlich ihren Mörser fand. Dessen Schale eignete sich bestens für das Dampfbad – robust und groß genug für den Inhalt des kleinen Trankfläschchens.
    Im Anschluss suchte sie im Schiffsrumpf ein geeignetes Plätzchen, um sich zu setzen. Der einzige Ort, an dem sie das fand, war im Gemeinschaftsraum im hinteren Teil des Kahns, unweit ihrer Hängematte. Die zwei Matrosen, die Gjalund zur Hand gingen, schienen sich mit diesem an Deck aufzuhalten und Vesa war der einzige Fährgast, also blieb sie allein in dem von schummrigen Laternenlicht erhellten Raum. Sie setzte sich an den langen Tisch in dessen Mitte auf eine der Bänke und stellte ihre Sachen ab. Einen Moment harrte sie so aus, holte Luft und ließ die Augen über das stumpfe Holz der Umgebung schweifen. Das eintönige Braun bot wenig Abwechslung, aber die suchte sie auch nicht. Stattdessen hoffte sie auf eine Art Teekanne, genauer deren Unterkonstruktion, um den Inhalt warm zu halten. Am ehesten würde sie wohl in dem schiefen Schrank am Ende des Esstisches fündig werden, also erhob sich die Kaiserliche wieder und stöberte darin. Tatsächlich fand sie, wonach sie suchte und das sogar mit einer passenden Kerze. Zurück am beanspruchten Platz ging das regelmäßige Ritual der letzten Tage in die nächste Runde. Trank in die Schüssel, Kerze anzünden und darunter stellen, sobald die Flüssigkeit zu dampfen begann Kopf über die Schüssel und mit dem Tuch abdecken.
    Sie hasste dieses Ritual. Der Heiltrank stank erbärmlich nach alten, feuchtgewordenen Kräutern und undefinierbaren anderen Inhalten. Ein wenig erinnerte es sie sogar in ihren eigenen Körpergeruch, den sie erst mit dem Bad in der Taverne hatte ablegen können. Aber es half nichts. Sie musste hier durch und immerhin spürte sie mit jedem tiefen Atemzug, wie die aufgelösten Pflanzen und ihre Wirkstoffe über den Dampf in ihre Lungen drangen und die ihnen zugetragene Aufgabe erfüllten. Vesa fühlte förmlich, wie sich das verletzte Gewebe regenerierte. Ein gutes Gefühl, das endlich auch den Rest ihres Zorns verfliegen ließ. Ersetzt wurde er mit dem wiederauferstehenden Hunger und einer gewissen Regung von Erleichterung. Erleichterung vor allem darüber, dass sie noch lebte und sich endlich auf der Heimreise befand. Die vergangenen Wochen hatten ihr einige neue Erkenntnisse beschert, die sie erst einmal nach und nach verarbeiten musste. Allen voran jedoch vor allem die, dass sie sich freute zu den Gefährten zurückzukehren.
    Freude. War es wirklich Freude? Ein Gefühl, das sie seit Monaten nicht mehr im Stande gewesen war zu empfinden. Nicht nach Darius‘ spurlosem Verschwinden, nicht nach seinem gebrochenen Versprechen und der sich über die verstreichende Zeit immer stärker aufdrängenden Erkenntnis mit anschließender Resignation, dass er wohl auch nie wieder zurückkehren würde – der eigentliche Ausgangspunkt ihrer Reise nach Solstheim, vor dem sie allerdings, wie sie mehrfach hatte schmerzlich feststellen müssen, nicht im Stande war davonzulaufen. Diese Hoffnung enttäuschte ihr Unterfangen am meisten. Und da war sie plötzlich wieder. Die Wut, Enttäuschung und Trauer. Nichts mit Freude. „Scheiße!“, fluchte sie viel lauter, als es ihr lieb sein mochte. Mit spürbarer Zornesröte auf dem Gesicht stand sie auf bis ihre Oberschenkel an die Tischkante stießen, während sie mit der rechten den Stößel derart heftig zur Seite schlug, dass er über das lange Ende der Tafel und an die Wand dahinter flog. Schellend zersprang die Schüssel in viel zu viele Teile, als dass sie sich zählen ließen. Das schnelle Aufstehen und der wutige Ausruf fuhren ihr durch die Brust und zu allem Überfluss riss gerade auch noch eine Welle am Schiffsrumpf, die den Kahn nach oben wuchtete, so dass die Bank unter Vesana kraftvoll gegen ihr Gesäß geschlagen wurde. Die Stauchung des Oberkörpers verleitete sie zu weiterem schmerzerfüllten Schreien. Kraftlos und paralysiert fiel sie zur Seite auf die Sitzgelegenheit, ihre Hände gegen die Brust gepresst. „Verfluchte Kacke“, stöhnte sie unter Tränen und nach Luft ringend, bevor sie seitlich von der Bank rollte und sich gerade noch rechtzeitig genug abfing, um schlimmere Schmerzen zu verhindern.
    Niemand schien sie über das Knarzen der Planken und Spanten, wie auch das Schlagen der Wellen gegen den Kahn, gehört zu haben. Zum Glück, denn Gesellschaft konnte sie in diesen Momenten der Schwäche nicht gebrauchen. Auch nachdem die feurigen Stiche nachließen wollten die salzigen Perlen nicht aufhören zu fließen. Das Zittern in den Händen ließ nicht nach, bis sie die Scherben beseitigt, den verschütteten Trank aufgewischt und alles in einem Eimer entsorgt hatte. Zurück am Tisch pustete sie die Kerze aus, nahm sie sich das Buch, schlug die zuletzt angefangene Seite auf und starrte durch das Pergament. Sollte es denn niemals aufhören, der Verlust und Schmerz? „Scheiß Silberne Hand!“, knurrte sie und krallte sich fester an den Ledereinband. „Soll euch Hircine holen!“ Irgendwann, das wusste und schwor sich Vesana, würde sie an der Seite der Gefährten die letzten dieser räudigen Bastarde jagen, töten und sich so lange an ihren Leibern laben, bis nicht einmal mehr der hungrigste Straßenköter Windhelms noch etwas von ihnen haben wollte. Das war das Ende, das sie verdienten – kein anderes.
    Bei dem Gedanken an ein derartiges Bankett kam ihre Jagdstimmung und ihr heißes Blut erst so richtig in Wallung. Ihr wurde heiß, das Herz begann zu rasen, die Atmung beschleunigte sich. Bilder wie sie durch die Nacht hastete, knurrend und heulend, immer hinter den nach Angst stinkenden ••••n der Silbernen Hand her, und sie einen nach dem anderen zerfetzte, blitzten ihr vor das geistige Auge. Völlig willkürlich zuckten ihre Muskeln im Gesicht und den Schultern, ließen den Kopf herumrucken und sie die Augen immer häufiger schließen. Die Gerüche der Umgebung intensivierten sich und die Geräusche klangen klarer in ihren Ohren wider. Erregt bleckte sie mit der Zunge über die Zähne im halb geöffneten Mund. Die Eckzähne schoben sich bereits in die Länge und wurden zu scharfen Fängen. Die Fingernägel wuchsen weit über die Finger hinaus und kratzten als Krallen über den Rücken des Buches, das sie noch immer in den Händen hielt.
    Erst als Vesana die Augen nach langer Zeit der imaginären Jagd auf die Jäger von Fabelwesen wieder öffnete und ihr Blick auf die allmählich grau-schwarz werdende Haut an den Händen fiel, vermochte ihr völlig in den Hintergrund getretener Verstand erste Ansätze von Selbstbeherrschung durchzusetzen. Unter unheimlicher Anstrengung rang sie mit dem Biest in sich und ihren animalischen Trieben. Der Hunger nach Fleisch und Blut ließ sich zu diesem Zeitpunkt kaum noch bändigen. Abermals sprang sie auf, ein wutiges Grollen auf den Lippen während die Sitzbank nach hinten umfiel und pfefferte dieses Mal den warmhaltenden Ständer der Teekanne zur Seite. Glücklicherweise blieb er ganz. Jetzt war es schon so weit, dass sie die Silberne Hand dazu brachte, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Wo sollte das denn noch hinführen? Seit Jahren hatte sie sich außer in den Nächten um Vollmond soweit unter Kontrolle, dass sie sich nicht willkürlich jede Nacht verwandeln musste, und jetzt auf einmal trieb sie der ihr über Darius zugefügte Schlag dazu, all das zu vergessen? Nein! Soweit durfte es nicht kommen. Soweit würde es nicht kommen. Nie!
    Sie schloss die Augen und atmete langsam und tief. Die geschärften Sinne normalisierten sich, die Zähne und Krallen schrumpften auf ihre menschliche Erscheinungsform zurück und das Herz beruhigte sich. Niemals würde sie dieser Gilde von ehrlosen Hunden eine derartige Kontrolle über sie erlangen lassen.
    Nachdem die Kaiserliche den Teeständer zurück im Schrank verstaut und die Bank hingestellt hatte, sah sie sich endlich in der geistigen Verfassung, tatsächlich in ihrem Buch zu lesen. Gleichzeitig glitten dadurch ihre Gedanken zurück zu jener Nacht des Überfalls und zu dem Assassinen. Sie empfand in diesen Momenten nichts als Gleichgültigkeit diesbezüglich. Der Schock darüber, was Wut und Trauer mit ihr anzustellen vermochten, saß zu tief und eindrücklich, als dass sie sich gleich ein weiteres Mal mitreißen ließ. Immerhin bescherte ihr dieser Umstand auch einen klareren Blick auf die Ereignisse des Abends. Nicht, dass sie sich an besondere neue Einzelheiten erinnerte, die Hinweise auf den Angreifer gaben, die sie noch nicht kannte, aber immerhin streiften die Gedanken der Kaiserlichen unter anderem die Waffe des Meuchlers. Ein Stilett, oder ein schmaler Dolch, es war nicht so wichtig um was es sich für eine Waffe handelte – typisch für jemanden seines Berufes allemal. Viel entscheidender war die Tatsache, aus was diese Waffe bestand. Nämlich nicht aus Silber, sondern aus Stahl. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Obgleich Wunden mit herkömmlichen Materialien im ersten Moment nicht weniger gravierend sein mochten, so brauchte es dann doch wenigstens ein klitzekleines Bisschen mehr, um jemanden von ihrem Schlag totsicher zwar blutend, aber noch atmend zurücklassen zu können. Im Umkehrschluss bedeutete das, dass die Morag Tong keine Ahnung davon hatte, was aus Vesana nach all den Jahren geworden war.
    Selbstzufrieden vergrub sie die Nase wieder zwischen den Seiten des Buches und wischte das Grinsen nach einer Weile ganz bewusst von ihrem Gesicht. Es mochte schon etwas seltsam anmuten, wenn doch noch einer der Schiffsmannschaft unerwartet zu ihr stieß und sie derart seltsam dreinblickend am Tisch vorfand.
    Bis zum frühen Abend tauchte sie schließlich ungestört von unkontrollierten Gedanken und Überlegungen in den Text des Sachbuches ab. Nur selten schaute sie auf, als einer der dreiköpfigen Mannschaft in einer Arbeitspause unter Deck kam und sich ausruhte. Sie wechselten dann kein Wort, was Vesa recht zuvorkam. Nach einem spärlichen Mahl zum Abend empfahl ihr Gjalund einmal an Deck zu gehen, da sie inzwischen den Einflussbereich des Roten Berges hinter sich gelassen hatten. „Die frische Luft sollte Euch gut tun“, meinte der bärtige Kapitän. Sie dankte ihm für die Empfehlung und zog sich in die Dunkelheit der Nacht oben auf dem Kahn zurück.
    Am Bug hockte sich die Kaiserliche wie auch auf ihrer Hinreise zur Insel schon zwischen einige Kisten und starrte in die Finsternis vor dem Schiff. Die See schlug reichlich Wellen, aber der Himmel leuchtete klar von zahllosen hellen Punkten erfüllt. Schimmernd spiegelten sie sich auf den Wipfeln der Wasserberge, die rauschend gegen die Holzwände schlugen. Leichtigkeit breitete sich in ihrem Unterleib aus, keine unangenehme, ein Lächeln stahl sich auf die Lippen und Bilder der Heimat schossen ihr durch den Kopf. Die Freude über die Heimreise kehrte zurück. Diesmal ungestört und ungebrochen.



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    Geändert von Bahaar (20.09.2013 um 14:15 Uhr)

  8. #8

    Geistermeer, Nordmaid, Himmelsrand, Windhelm

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    Der zweite Tag der Reise verlief im Vergleich zu dem vorherigen noch um einiges ruhiger. Keine unschönen emotionalen Ausbrüche, keine Stürme, und auch sonst blieb es weitgehend still auf dem Kahn. Um die Mittagszeit hing Vesana mit dem Kopf über einer Keramikschüssel, die sie sich von Gjalund geliehen hatte und sog die stinkenden Dämpfe des blubbernden Heiltranks ein. Das Stechen und Ziehen in der linken Lunge, das noch im Hintergrund stets Präsens zeigte, legte sich für die Dauer dieser Prozedur völlig. Da es über diese Behandlungen immer weiter zurückgegangen war, hoffte die Kaiserliche nun, dass es nach der letzten schließlich ganz verschwinden würde. Im Anschluss an das Dampfbad kümmerte sie sich im Frachtraum des Schiffes um ihre Sachen und die Vorbereitung der weiteren Reise. Sie zog sich wärmer an, lagerte die Sachen ausbalanciert auf der Ladefläche des Karrens um und zog zum Schluss die Plane fest.
    Bald darauf gesellte sie sich zu Gjalund und seinen Matrosen an Deck. „Hat Eure Behandlung geholfen?“, erkundigte sich der bärtige Nord mit der bärigen Stimme.
    Die Kaiserliche nickte. „Das hat sie.“
    Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Bootsführers. „Sehr schön.“ Er wandte den Blick nach vorn in die Ferne. Vesa folgte ihm dabei und entdeckte blassblau schimmernd die Umrisse der Nordküste Himmelsrands. Nach Westen hin zog es sich bis auf ihren Breitengrad und verschwand schließlich in der weiten Ferne des Geistermeeres. Bei dem Anblick konnte auch sie nichts daran ändern, dass sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. Bald zu Hause, der Gedanke sorgte für Freude. „Der Wind steht günstig. Wir sollten in den nächsten Stunden in den Fjord von Windhelm einfahren. Von da an ist es nicht mehr sehr weit“, berichtete Gjalund. „Ich denke wir erreichen den Hafen noch vor Mitternacht“, fügte er an, als die Jägerin ihm wieder ihr Gesicht zuwandte und bereits zur Frage danach ansetzte. „Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch nach Einbruch der Dunkelheit gerne mit an Deck haben.“
    „Weshalb?“
    „Bei Nacht den Fjord zu manövrieren ist keine leichte Sache. Eisschollen und scharfe Felsen gibt es überall. Ein weiteres Paar wachsamer Augen würde mir sehr helfen.“
    „Ah, natürlich gerne.“
    „Habt Dank.“ Die Kaiserliche schenkte dem Kapitän ein Lächeln und überließ ihn dann seiner Aufgabe. Zielstrebig nahm sie ihren angestammten Platz am Bug des Kahns ein, zog die Stiefel aus und legte die nackten Füße hoch, während ihr die nachmittägliche Sonne ins Gesicht schien. Mit der wohligen Wärme auf der Haut und dem frischen Seewind zum Trotz schloss Vesana die Augen, legte die Hände auf dem Bauch und den Kopf in den Nacken auf einem Fass ab. So positioniert genoss sie das Rauschen der Wellen, die salzige Luft, welche ihren Atemwegen guttat, und das sachte Schaukeln des Schiffes. Auf, und ab. Auf. Und ab. Auf … und ab. Auf … und … ab. Auf …

    Vorsichtig berührte jemand ihre Schulter und holte sie aus ihrem Schlummer. Zunächst orientierungslos, dann erschrocken, zuckte die Kaiserliche zusammen und musste mehrmals blinzeln, bevor sie ihre Umgebung deutlich wahrnahm. Lyrgleid stand über ihr und seine rechte, kraftvolle Hand ruhte auf ihr. „Entschuldigt.“ Er nahm seine Finger zurück. „Es wird bald Dunkel und Gjalund meinte, Ihr wolltet vielleicht noch etwas essen, bevor wir in den Fjord einfahren.“ Erst jetzt bemerkte Vesa den niedrigen Stand der Sonne und die frostigen Böen, die sie zittern und ihre Härchen auf den Armen sich aufstellen ließen. Noch immer etwas schlaftrunken nickte sie einfach nur und begann damit, ihre Stiefel über die eiskalten Füße zu ziehen.
    Nach der kräftigen Suppe, und in ihre dicke Jacke gehüllt, hielt sie vorn Ausschau. Glücklicherweise zogen nur wenige kleine Wolken am Himmel entlang, so dass die funkelnden Sterne die Umgebung ausreichend erhellten. Da die Monde kaum mehr als haarbreite Sicheln abgaben, mussten die übrigen Lichtpunkte ausreichen. Ohne den klaren Himmel wäre es wohl unmöglich gewesen bei Nacht den Fjord zu befahren, was ihre Reise unnötig verzögert hätte. Insofern widmete sich Vesana nach dem nachmittäglichen Nickerchen und der stärkenden Mahlzeit mit gewissem Elan der ihr zugewiesenen Aufgabe. Dass Gjalund die Geschwindigkeit erheblich reduziert hatte, half beim Manövrieren und gab den Ausgucken genug Zeit, Objekte zu erspähen. „Links! Etwa dreißig Meter“, warf sie über die Schulter dem Kapitän zu. Mit der nautischen Sprache von Backbord und Steuerbord kam sie nicht zurecht. Ständig verwechselte sie die beiden, also blieb sie lieber gleich bei den normalen Begriffen. Mit ausreichend Spielraum umschifften sie die Eisscholle.
    Das Spiel setzte sich eine ganze Weile lang fort. Zum Glück zog sich über den Sommer das Eis reichlich zurück, wie ihr Lyrgleid über dem Abendessen erklärt hatte, so dass der Zufahrtsweg nach Windhelm ausreichend breit für bald drei Frachtkähne war. Allerdings trieben in dieser Zeit auch die meisten Schollen umher, weshalb es oftmals nicht weniger tückisch sein mochte. Mit Ausnahme einer einzigen Scholle, die sie aber auch nur sacht tuschierten, kamen sie ohne Komplikationen bis zum Hafen Windhelms durch.
    Die dicken, hohen Mauern der Stadt, die wohl eine der größten Himmelsrands war, wirkten selbst bei Nacht noch imposant und machtvoll. Obwohl ihr der Konflikt zwischen Kaiserreich und Sturmmänteln wenig bedeutete und sie sich auch herzlich wenig darum scherte, wer gewann, musste Vesa dennoch einräumen, dass sich Ulfric mit Windhelm einen eindrucksvollen Sitz seines eigenen kleinen Reiches gesucht hatte. Ähnlich Einsamkeit für die Kaiserreichsympathisanten, nur etwas schmutziger und älter. Sich als jemand des Kaiservolkes in der Hochburg der Sturmmäntelrebellen aufzuhalten blieb zwar immer noch ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, aber auf der anderen Seite reichte es in den meisten Fällen zu sagen, dass sie den Gefährten angehörte. Der härteste rassistische Bodensatz der Rebellion, der diesen Hinweis ignorierte und am liebsten ein Reich nur von Nord schaffen wollte, ließ sich zwar nicht verleugnen und reichte wohl weit höher in der Hierarchie, als der unbedarfte Betrachter vermuten mochte, aber dieser in Grüppchen auftretenden Spezies von Rebellen ließ sich überwiegend aus dem Weg gehen. Im Zweifelsfall besaß der Status als Gefährte aber so viel Beachtung, dass bei einer handfesten Auseinandersetzung die Sympathien der beistehenden Beobachter auf ihrer Seite lagen und diese ihr dann beisprangen. Nicht zuletzt lag das wohl an Ysgramor, dem ersten Menschenherrscher Himmelsrands, dessen Name mehr Gewicht besaß als jeder nach ihm gekommene und kommende Unabhängigkeitskämpfer im Namen der nördlichen Provinz.
    Ein kräftiger Ruck am Schiffsrumpf ließ die Jägerin aus ihren nicht ganz verachtungsfreien Gedanken hochschrecken. Sie hatten angelegt und die Matrosen zogen die Taue am Steg fest. Während sich die Männer abmühten, kehrte die Kaiserliche unter Deck zurück und sah abermals nach ihren Sachen, band sich einen der Dolche an den Gürtel und prüfte den Sitz ihres Geldsäckels. Es wurde Zeit, dass sie heimkehrte. Das Gold ging ihr allmählich aus und von dem spärlichen Rest mussten noch Gjalund, eine Tavernenübernachtung und die Reise nach Weißlauf bezahlt werden. Nur noch das Finanzbuch fehlte und dann suchte sie auch schon wieder nach dem Kapitän. Im Gemeinschaftsraum traf sie ihn. „Wenn Ihr möchtet, können wir Euren Karren noch bis zur örtlichen Taverne bringen“, schlug dieser vor und bot Vesana an, sich mit ihm an den Tisch zu setzen. Sie folgte ohne groß zu zögern.
    „Das würde mir sehr helfen, danke.“
    „Selbstverständlich gern.“ Sie schenkte ihm ein schmales Lächeln. So viel aufrichtige Freundlichkeit begegnete der Kaiserlichen eher selten, weshalb sie ihr manche Reaktionen schon fast aus Reflex und Überraschung abrang. Nach kurzem Schweigen zählte sie sich die Septime ab, die nach ihrem Rechnungsbuch noch für sie selbst übrig bleiben sollten, den Rest des Geldes schob sie dem Nord zu. Die spärliche Summe, mit der sie bis nach Weißlauf kommen musste, verstaute sie im kleinen Säckel am Gürtel. „Danke.“ Gjalund nickte ihr mit hochgezogenen Mundwinkeln zu und erhob sich. „Nun, wollen wir Euch zum Haus Kerzenschein bringen?“
    „Bitte.“ Auch die Jägerin stand auf und ging an Deck. Wenig später hievten die drei Seemänner den Karren aus dem Frachtraum auf den Anlegesteg.
    „Lyrgleid, bring sie bitte zur Taverne.“ Der blonde, jüngere Mann begann damit den Wagen der Kaiserlichen zu ziehen und führte diese vom Hafen durch ein Seitentor ins Innere der Stadtmauern. Kaum noch jemand trieb auf den engen, dunklen Straßen sein Unwesen, auch Lichter brannten nur wenige hinter den Fenstern. Die Stadt schlief tief und fest unter dem Tuch des glitzernden Sternenhimmels. Eisige Kälte hielt es straff, damit niemand unter ihm hervorgekrochen kam. Vesa hauchte in ihre hohlen Hände während sie neben dem Nord herlief.
    „Ziemlich kalt heute Nacht, selbst für Windhelm“, stellte dieser fest und warf einen Blick über die Schulter zur Kaiserlichen hinüber. Sie ging nicht weiter darauf ein. Nach einem reichlich anstrengenden Fußweg durch die schmalen Gassen und über das holprige Pflaster erreichten sie schließlich ein größeres Gebäude mit hohem Spitzdach, direkt an den Toren im Innern der Stadt. Lichtschein drang durch die kleinen Fenster nach draußen, hin und wieder huschten Schatten an den trüben Glasscheiben vorbei. „So, da wären wir. Euren Karren stellen wir am besten dort an der Seite unter“, meinte Lyrgleid und wies auf einen Unterstand aus Holz.
    „Einverstanden.“ Vesa nahm sich noch die wichtigsten Sachen von der Ladefläche, verstaute sie in einem ihrer Tornister und schulterte diesen sehr vorsichtig. Mit den Waffen, dem Geld und einigen verbliebenen Vorräten auf dem Rücken verabschiedete sie sich von dem Nord, der ihren Karren gezogen hatte, und trat auf einen seitlich liegenden Eingang des Wirtshauses zu. Knarzend schob sie die dicke Holztür auf und trat in die wohlige Wärme des schummrigen Innenraumes ein. Fast niemand mehr hielt sich darin auf. Ein ziemlich mitgenommen aussehender Nord in wettergezeichneter Leinenkleidung saß an einem Tisch in der Ecke des langen Gastraumes, ein Barde in farbigen Kleidern saß am Feuer im zentralen Kamin, die Laute neben ihm am Stuhl lehnend, und eine junge Frau des Nordvolkes mit aufreizend tiefem, prallgefülltem Ausschnitt kam gerade eine Treppe am langen Ende des Raumes empor. Sie trug einen Krug, auf dem eine Schaumkrone stand, und reichte ihn dem Barden. Erst danach wandte sie sich dem neuen Gast zu.
    „Kann ich Euch helfen?“, wollte sie mit übertriebener Freundlichkeit wissen.
    „Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erwiderte Vesana.
    „Ah, redet mit Elda. Einfach die Treppe hinab am Tresen.“ Die Kaiserliche folgte der Geste der Nord und stieg die knarrenden Stufen nach unten in den kleinen Eingangsbereich. In einer seitlichen Nische lag eine Theke hinter der eine hochgewachsene, blonde Frau Geschirr trocknete. Sie blickte auf, als sie Vesas Kommen vernahm.
    „Guten Abend“, grüßte sie.
    „Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erklärte sich die Kaiserliche.
    „Zehn Septime. Es liegt am Ende des Ganges links“, erläuterte die Wirtin und deutete auf den Flur zwischen Tresen und Treppe.
    „Danke. Sagt, Ihr wisst nicht zufällig, wo ich jemanden finde, der mich gegen Geld nach Weißlauf bringt?“ Elda begann damit, weiter Geschirr zu trocknen, ohne jedoch die Augen von ihrer Kundin zu nehmen.
    „Doch, Ihr habt Glück.“
    „So?“
    „Direkt bei mir oben im Schrankraum. Hrothluf, der Nord hinten in der Ecke. Rotbraunes, zerzaustes Haar, wilder Bart und zerfurchtes Gesicht – leicht zu erkennen – er hat einen Karren und fährt öfter in die Richtung. Fragt ihn.“
    „Danke“, die Jägerin nickte und ging wieder nach oben. Die Bedienstete räumte gerade einen Teller und Tonkrug vom Tisch des beschriebenen Mannes ab. Er wirkte müde und schon arg angetrunken. Unbeholfen kratzte er sich mit seinen dicken, rauen Fingern im Bart herum, während er mit der Zunge seine spröde wirkenden, wulstigen Lippen benetzte. „Seid Ihr Hrothluf?“, wollte sie wissen und blieb hinter einem freien Stuhl am Tisch des Nords stehen. Ihre Hände ließ sie auf der Lehne des Sitzes ruhen und fixierte ihn mit festem Blick.
    Der reagierte träge. „Der bin ich!“, gab er kund. Erst danach fanden seine braunen Augen die junge Frau, die mit ihm sprach. „Was kann ich für Euch tun?“ Obwohl seine Bewegungen und Reflexe eine andere Sprache sprachen, gaben seine Worte keinen handfesten Anlass dazu zu glauben, dass der Mann schon ein paar Krüge Met zu viel hatte.
    „Ich muss nach Weißlauf weiterreisen und die Wirtin sagte mir, Ihr könntet mir dabei helfen.“
    „Nach Weißlauf sagt Ihr?“
    „Ja, genau.“
    „Hm.“
    „Ich kann Euch selbstverständlich bezahlen. Allerdings habe ich noch einen kleinen Karren bei mir, den wir ebenfalls mitführen müssten.“
    „Hm.“ Hrothluf strich sich scheinbar nachdenklich durch den wüsten Bart. „Könnt Ihr kämpf‘n?“
    „Warum?“
    „Weil auf der Straße nach Weißlauf ein Geschäftspartner von mir verschwund‘n ist und ich mich sorge. Sollte ihm ‘was widerfahr‘n sein, möcht‘ ich nicht, dass mir dasselbe zustößt. Ich sitz‘ schon vier Tage mit einer Lieferung Schmiedeeis‘n und Werkzeug hier in Windhelm fest, weil diese verflucht faul‘n Sturmmäntel keine ihrer Leut‘ als Söldner abstell‘n und alle Söldner anwerb‘n!“, erklärte der Mann und es trat Zorn in seine Augen, die Brauen zog er enger zusammen und die freie Hand ballte er zur Faust. Die Kaiserliche überlegte einen Moment. Obgleich sie sich nicht unbedingt in der Verfassung befand, zu kämpfen, würde sie in jedem Fall demselben Risiko eines Kampfes ausgesetzt sein, egal mit wem sie nach Weißlauf reiste – zumindest wenn der besagte Geschäftspartner überfallen worden war und nicht einfach von einem Steinschlag oder Tier dahingerafft wurde.
    „Ich kann kämpfen, ja“, erwiderte sie schließlich.
    „Gut. Gut!“ Hoffnung spiegelte sich nun auf dem Gesicht des Nords wieder. Er strich sich das kinnlange, fettige Haar nach hinten und stand auf. Mit den Oberschenkeln stieß er unbeholfen gegen den glücklicherweise leeren Tisch, dafür verschüttete er eine beträchtliche Menge seines Getränks, das er noch immer in der Hand hielt. „Ihr sorgt für meine Sicherheit und dafür bring‘ ich Euch nach Weißlauf. Um Proviant und Unterkunft unterwegs braucht Ihr Euch nicht zu kümmern. Eur‘n Karr‘n krieg‘n wir schon mit weg. Einverstand‘n?“ Er reichte Vesana die Hand. Offensichtlich würde sie doch noch mit ihrem wenigen Geld zurechtkommen.
    „Einverstanden.“ Sie schlug ein.



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    Geändert von Bahaar (27.09.2013 um 17:00 Uhr)

  9. #9

    Himmelsrand, Windhelm, Straße nach Weißlauf

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    Festes Klopfen an der Tür. „Guten Morgen“, klang eine tiefe Männerstimme durch das alte Holz. Orientierungslos schlug Vesana die Hände vor das Gesicht und rieb es sich kurz ab. Müde seufzend rollte sie sich unter der Wolldecke auf die Seite und schob die Beine ins kalte Freie. Gänsehaut überzog augenblicklich die nackte Haut bis zu den Knien und biss sich in ihre Zehen wie zig bluthungrige Zecken. Ein kurzer Blick zum kaum erhellten Fenster verriet der Kaiserlichen, dass sie vergessen hatte, dieses nach dem Lüften ganz zu schließen und so hatte es wohl die gesamte Nacht einen Spalt weit offen gestanden. Leichte Luftschübe dehnten den ungefärbten Wollvorhang ins Raumesinnere während sich Vesa auf die Kante des Bettes setze.
    Abermals Klopfen an der Tür. „Seid Ihr wach?“ Sie ordnete die Stimme Hrothluf zu.
    „Das bin ich. Einen Moment“, erwiderte die Jägerin. Sie stand auf, ordnete schnell das Bett und zupfte sich ihre Tunika zurecht, bevor sie in Richtung Tür ging.
    „Ihr müsst Euch nicht beeilen. Ich wollt‘ Euch nur wiss‘n lass‘n, dass ich im Schankraum ob‘n noch ‘was ess‘n werde. Vielleicht möchtet Ihr Euch dazu setzen, um Euch für die Reise zu stärken.“ Sie hielt kurz vor der Tür inne.
    „In Ordnung. Ich komme gleich nach.“ Hoffentlich schwatzte er nicht zu viel, sonst würde das eine sehr – sehr – lange Woche bis nach Weißlauf werden. Noch etwas träge und steifbeinig, die Nacht war eindeutig zu kurz geraten, sammelte die Kaiserliche ihre Sachen zusammen. Sie streifte sich die kurzärmelige Tunika vom Leib, nahm sich stattdessen eine langärmelige, um die Hüfte etwas kürzer geschnittene, und schlüpfte in ihre Hose. Zwischendurch ordnete sie noch ihre Haare und schlug sich einen Schwall kalten Wassers aus einer Waschschüssel ins Gesicht. Das weckte dann auch endlich ihre Lebensgeister, die etwas länger brauchten, um in Fahrt zu kommen. Zum Schluss die Stiefel und den ganzen Rest ließ sie vorerst auf dem Zimmer zurück. Die Dielen knarzten unter ihren eigentlich leichten Tritten während Vesana den langen Flur vor zum Empfangstresen zurücklegte.
    „Guten Morgen“, grüßte die Wirtin des Gasthauses aus ihrer Nische und schaute kurz von dem Buch auf, das vor ihr lag. Vermutlich die Finanzen der Taverne. Die Kaiserliche nickte nur und stieg in den Schankraum hinauf. Es herrschte Leere. Niemand außer Hrothluf hielt sich hier auf. Er saß am selben Tisch, wie am Abend zuvor.
    „Da seid Ihr ja“, bemerkte er die Kaiserliche. Der Nord wirkte geordneter und gepflegter als bei ihrer ersten Begegnung. Die starke Veränderung ließ Vesa kurz stutzen, aber sie überwand die kleine Überraschung ohne, dass ihr Gegenüber etwas von ihr mitbekommen hatte. Es war offensichtlich, dass er mit der Anwerbung einer Leibwächterin für die Reise neuen Lebensmut schöpfte. Die schulterlangen, rotbraunen Haare hielt ein Lederband am Hinterkopf zusammen, den Bart schien er etwas gekämmt zu haben und auch so wirkten die Furchen auf seinem Gesicht weniger tief. Von der sauberen Kleidung ganz zu schweigen. Manchmal täuschte der erste Eindruck scheinbar doch noch, stellte die Jägerin fest, und setzte sich schließlich ihrem Auftraggeber gegenüber mit an den Tisch.
    „Darf ich?“ Sie zeigte auf den leeren Teller, der neben einem Brotkorb, Käse und etwas Fett auf dem Tisch stand.
    „Natürlich, bitte bedient Euch.“ Während sich die Kaiserliche eine Scheibe bestrich, goss der Nord in eine Tontasse Wasser aus einem Krug und schob sie ihr hinüber. „Was genau möchtet Ihr eigentlich in Weißlauf, wenn ich so neugierig sein darf?“ Vesana schloss kurz die Augen, während sie ein Seufzen unterdrückte. Damit es nicht auffiel biss sie gleichzeitig in ihre fettbestrichene Brotscheibe. Mit dem Kauen rang sie die enttäuschte Hoffnung auf eine möglichst gesprächsarme Reise nieder und setzte danach mit viel Verzögerung zu einer Antwort an.
    „Ich kehre Heim“, erklärte sie und schaute den Nord kurz an, bevor sie abermals von der Stulle abbiss.
    „Ah, die Familie ruft?“
    „Sozusagen.“
    „Wart Ihr lange weg?“ Hrothluf trank etwas, während er auf eine Antwort der Kaiserlichen wartete, die sich weiterhin nicht beeilte auf seine Fragen einzugehen.
    „Es sind jetzt ziemlich genau sechs Wochen.“
    „Oh, eine ziemlich lange Reise also. Geschäftlich unterwegs?“
    „Nein.“ Nach kurzem Überlegen erschien Vesa die Antwort für die Freundlichkeit des Nords dann doch etwas unangemessen. Sie trank einen Schluck und setzte dann fort: „Eine private Unternehmung.“
    „Ich bin sicher, dass man sich über Eure Rückkehr freuen wird.“ Die Jägerin setzte ein schmales Lächeln auf und schob den Teller von sich.
    „Meine persönlichen Sachen stehen noch unten. Ich würde sie dann holen und auf meinen Karren legen. Danach können wir jederzeit aufbrechen, wie es Euch beliebt.“ Der Mann nickte.
    „In Ordnung, ich wart‘ solang‘ hier. Bezahlt ist bereits.“ Vesana erhob sich und verschwand nach unten.
    Wenig später, die Sonne zögerte noch immer sich über die Hausdächer der alten, dicht gebauten Stadt und die Zinnen ihrer Schutzmauer zu erheben, durchschritt die Kaiserliche an der Seite des über anderthalb Köpfe größeren Hrothluf die mächtigen Stadttore Windhelms. Die Wachen in ihren dick-gefütterten, fellgesäumten Rüstungen öffneten es ihnen nach kurzem, argwöhnischem Blick in Richtung der Jägerin. Davon, dass ihr einziger Ansatzpunkt für Misstrauen nur die Rasse der Frau war, ließen sie sich vermutlich von selbst eines Besseren besinnen und so kamen sie ihrer Pflicht entsprechend nach.
    Außerhalb der schützenden Wälle pfiff der Wind mit kalter Schärfe. Die steilabfallenden Berghänge, der Fjord und die karge, baumlose Umgebung boten keinerlei Abschirmung gegen die schnell drehenden Böen. Darüber hinaus befanden sie sich auf der Brücke, die den bald nur noch Fluss breiten Fjord vor der Stadt überspannte, in besonders exponierter Lage. Dazu war es fast noch Nacht und weitestgehend wolkenlos. Augenblicklich fröstelnd zog Vesa die Jacke weiter zu, schlug sich die Kapuze über das Haupt und ihr Tuch vor Mund und Nase. Der rothaarige Nord bemerkte es mit einem „Ziemlich ungemütlich, was?“ und obwohl er sich von Natur aus weniger vor derartiger Kälte fürchten musste, schien es auch ihm frisch zu werden.
    „In der Tat“, entgegnete seine Begleiterin kurz angebunden und biss die Zähne fest aufeinander, um ein Zittern der Lippen und des Kiefers zu unterdrücken. Es gelang nur sehr eingeschränkt. Immerhin die Anstrengung vom Ziehen des Karrens sorgte dafür, dass sie nicht noch mehr fror. Im Gegensatz zu den ewig weißen Gebieten Solstheims würde sich die Luft hierzulande allerdings schnell etwas aufwärmen, sobald die Sonne richtig am Himmel stand. Dass die weitläufigen Talbereiche, die die Kaiserliche von der Brücke aus einsehen konnte, nicht im Weiß versanken, sprach eindeutig dafür. Während sie sich so umschaute und versuchte vom Klima abzulenken, erreichten die Beiden auch schon die Stallungen am Ufer gegenüber der Stadt. Etwas mühevoll, da sie sich nach wie vor nicht auf der Höhe ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit befand, bremste sie den Wagen auf dem leicht abschüssigen Weg bis zu dem Bretterverschlag unter dem einige Pferde mit Wolldecken überzogen standen und sich dicht zusammendrängten. Konstante Dampfwolken standen ihnen vor den Mäulern. Im Hintergrund, mit einer Plane abgedeckt, entdeckte die Kaiserliche noch einen größeren, zweiachsigen Karren – der einzige in unmittelbarer Nähe. „Ist das dort Eurer?“ Sie deutete auf das Gefährt.
    „Ja. Bringt Eur‘n Wag‘n schon dort hin. Wir bind’n ihn dann hint’n an.“ Sie tat, wie ihr geheißen und wartete im Anschluss gegen einen der Stützbalken im offenen Teil der Ställe gelehnt. Die Arme schlang sie um den Körper. Es dauerte nicht sehr lange, dann kehrte Hrothluf zu ihr zurück – ein braunes Pferd, mit dichtem, etwas längerem Fell im Schlepptau.
    „Dann woll’n wir mal.“ Nach seinen Worten stieß sich Vesana von dem Balken ab, half dem Nord dabei, das Zugtier vor den Karren zu spannen und schließlich zurrten sie ihren eigenen Wagen auch noch fest. So reisefertig gemacht und mit jeweils einer Decke des Mannes um den Schultern für die ersten Stunden der Reise, half dieser der Kaiserlichen auf die Sitzbank am vorderen Ende des Gespanns hoch. Bevor er selbst aufstieg, ging er noch einmal zu seinem Pferd vor und holte zwei Möhren aus einem kleinen Beutel am Gürtel hervor. Kurz streichelte er es über den Kopf, knutschte es auf die Nase und gab ihm dann mit einem „Gute Berta“ die Leckerbissen. Anschließend schwang er sich neben seine Reisegefährtin auf die Bank und griff nach den Zügeln. „Dann woll’n wir mal.“ Kurz knallte der Lederriemen, als er ihn fast schon peitschend schlug, dann setzten sie sich zuckelnd, ruckelnd und holpernd in Bewegung. Mit Schwert, Bogen und Köcher zwischen die Beine geklemmt, beugte sich die Jägerin vor, stützte sich auf die eigenen Beine und versuchte so wenig offene Stellen, wie möglich, für den Wind zu lassen. „Weißlauf … Lebt Ihr schon lang‘ dort?“ Vesana schloss für einen sehr langen Moment die Augen und atmete tief ein.



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    Geändert von Bahaar (04.10.2013 um 10:30 Uhr)

  10. #10

    Himmelsrand, Straße nach Weißlauf, Südlich von Windhelm

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    Nicht mehr in unmittelbarer Stadtnähe, verschlechterten sich die Straßenverhältnisse zusehends. Aber wenigstens blieben die ausgefahrenen Spurrinnen der zahlreichen Karren, die hier, wenn schon nicht täglich, so doch wöchentlich entlangkamen. Regelmäßig stauchte größeres Holpern Vesanas Oberkörper zusammen und jagte feurige Stiche durch ihre Brust. Aus diesem Grund verlegte sie sich oft genug darauf, neben dem ohnehin langsam zuckelnden Wagen herzulaufen. Auf den unebenen Wegen und den steilen Auf- und Abfahrten in dem bergigen Terrain ging es für das alleinige Zugtier auch einfach nicht schneller. Durch den größeren Abstand, manchmal kundschaftete sie auch voraus oder lief etwas hinterher, entging die Kaiserliche auch regelmäßig diversen Gesprächsversuchen. Ab und an fragte sie sich wirklich, ob die Leute es nicht merken wollten, dass ihrem Gegenüber nicht nach einem Plausch war, oder ob sie schlicht zu unfähig waren es zu erkennen. Am Ende spielte es wohl keine Rolle, denn der Effekt blieb derselbe – und abgesehen davon konnte sie auch schlecht klagen, immerhin kam sie völlig umsonst und sogar noch mit kostenfreier Verpflegung nach Weißlauf. Ein Glücksgriff blieb es also dennoch. Gelegentlich wechselten sie sich auch ab mit dem Führen des Wagens, damit sich Hrothluf ebenfalls die Beine vertreten konnte.
    Mit dem Ansteigen der Temperaturen sah sich Vesa auch bald gezwungen die Decke des Nords abzulegen und ihre Jacke auszuziehen. Es verwunderte immer wieder wie es in diesen kargen Höhenlagen und noch dazu so weit im Norden derart warm wurde. Aber so empfand sie es noch immer besser als wenn sie sich wie am Morgen und auf Solstheim alle möglichen Körperteile abfror. Allein der Gedanke an die Insel sorgte dafür, dass sie mit den Zähnen knirschend schneller stapfte und den Wagen hinter einer Kuppe am zum Fluss zu ihrer Rechten abfallenden Berghang zurückließ. Der Strom rauschte ein ganzes Stück unter ihnen und mündete kurz vor Windhelm mit einem weiteren Zufluss in den Fjord. Er würde ihnen noch lange den Weg weisen, denn trotz eines kleinen Stromes aus dem südlichen Hochland um Rifton, der sich am Rande des niedriger liegenden Moorlandes entlang zog, entsprang der überwiegende Teil der Wassermassen den dichten Hochwäldern im Falkenring-Tal. Sie ergossen sich vorbei an Flusswald und Weißlauf und rauschten durch eine enge Schlucht immer weiter Richtung Norden.
    Weißlauf … jeder Schritt brachte sie näher und verdrängte den Ärger, den sie mit dem Abschluss ihrer Reise zur Insel verband. Bis sie am höchsten Punkt der nächsten Kuppe angekommen war, verspürte sie nichts mehr von der um sich schlagenden Wut in ihrem Bauch und so setzte sie sich auf einen etwas größeren Stein am Wegesrand, ließ die Beine über die Kante baumeln und betrachtete die tosenden Wassermassen weit unter ihr. Hrothluf hörte sie irgendwo auf dem Stück Weg, das hinab in die von ihr schon durchquerte Senke führte. Das Klappern und Holpern des Wagens ließ sich leicht vernehmen – auch über das konstant im Hintergrund stehende Rauschen des Flusses. Wie hieß er denn gleich noch? Sie überlegte angestrengt, um sich die Zeit zu vertreiben. Manchmal kniff sie die Augen zusammen, wenn sich ihr der Name gerade so am Rande der Erinnerung in dichtem Nebel entzog und sie versuchte ihn zu greifen. Darin scheiternd nahm sich die Jägerin schnell einen kleinen Stein aus ihrer Nähe und schleuderte ihn hinab zu der namenlosen Wasserschlange.
    Inzwischen fehlte nicht mehr viel, bis der Nord mit seinem Karren dieselbe Anhöhe erreichte und so stand Vesana auf, um sich zum Weitermarschieren bereit zu machen. Sie blieb am Wegesrand stehen, bis Hrothluf und Berta mit ihr auf einer Höhe waren, dann lief sie neben dem Gespann her. „Irgendwas entdeckt?“, wollte der Reiseführer wissen.
    „Nein, nichts Besonderes.“ Vögel, Pelztiere, Büsche, Steine, Schnee in höheren Lagen auf den Bergen. Mehr nicht. Das Land lag so friedlich da, wie es eben nur daliegen konnte. Fast idyllisch, wäre es nicht so langweilig gewesen. „Sagt Bescheid, wenn Ihr Euch wieder die Beine vertreten wollt, dann kann ich die Zügel nehmen.“
    „Das mach‘ ich, danke. Vielleicht nach der nächst‘n, oder übernächst‘n Anhöhe.“ Vesa nickte nur und schwieg. So reisten sie eine Weile, bis es der Kaiserlichen schließlich wieder zu anstrengend wurde, zu gehen, und sie sich zurück auf die Sitzbank begab. „Sagt, wo habt Ihr eigentlich das Kämpf’n gelernt?“, nahm der Rothaarige prompt das Gespräch auf. Für die Kaiserliche kam die Frage etwas überraschend.
    „Wie kommt Ihr jetzt darauf?“
    „Nun, wenn ich meine Sicherheit schon in Eure Hände geb‘, muss ich doch auch wiss’n, woher Ihr kämpf’n könnt“, erklärte der Nord. Es leuchtete ein, dass er fragte, wenngleich er es reichlich spät wissen wollte.
    „Bei der Kämpfergilde in Bruma“, erwiderte die Jägerin daraufhin.
    „Ah, verstehe. Ein weiter Weg von Bruma bis hierher.“
    „Ja, ist es.“ Sie mahlte leicht mit den Zähnen aufeinander. Oh, wie sie keine Lust hatte, und ihre Bücher lagen auf ihrem eigenen Karren ganz hinten am Gespann – vorerst vollkommen außer Reichweite.
    „Seid Ihr damals direkt nach Weißlauf gekommen?“
    „Nein. Ein Jahr bin ich herumgereist, bevor ich nach Weißlauf kam.“ Sie dachte nicht allzu gerne an diese Zeit zurück. Viel zu wechselhaft und unkontrolliert schritt ihr Leben damals voran. Machtlos, beschrieb ihren Zustand nicht im Entferntesten. Eine Phase geprägt von Gewalt und Tod, wie auch Ekstase und Rausch – nichts, wofür sie übermäßig Stolz empfand, aber sie bereute es im Gegenzug auch kein Bisschen. Immerhin war es die Grundlegungsphase für ihre folgenden Lebensjahre. Es dauerte seine Zeit, bis Vesana diesen ungestümen, ja stürmischen, Abschnitt überwunden hatte, aber die gewonnene Kontrolle über ihr Leben würde sie sich von niemandem mehr nehmen lassen. Niemandem.
    „Vermisst Ihr Eure alte Heimat nicht?“, fragte Hrothluf weiter. Allmählich regte sich Widerstand in ihrem Bauch, weiterzusprechen. Nicht nur, dass es sie störte, ständig reden zu müssen, nein, es kamen auch noch Themen auf, die den Nord schlicht nichts angingen. Tief ausatmend schloss die Kaiserliche die Augen, lehnte sich zurück und faltete die Hände auf dem Bauch zusammen. Die Sonne im Gesicht versuchte sie die sanfte Wärme auf der Haut zu genießen und sich abzulenken, zu beruhigen.
    „Nein“, antwortete sie schließlich. Es gab Dinge, die sie vermisste, aber gewiss nicht in der Kämpfergilde oder aus der Zeit, während sie dieser angehörte. Auch die Tatsache, dass sie sich der Gilde unverändert zu Dank verpflichtet fühlte – immerhin hatte sie dort Grundlagen über den Schwertkämpf, das Bogenschießen und allgemeine Selbstverteidigung, sowie das Jagen erlernt – änderte nichts daran, dass sie um keinen Preis wieder zurückkehren wollte. Aber all das und was sie wirklich vermisste, musste und sollte der Wagenführer nicht wissen. Abgesehen davon wollte sie sich nicht derart weit zurückerinnern, es hätte nur ihre Freude über die Heimkehr getrübt, und das wollte sie nicht.
    „Dann seid Ihr ein beinah‘ echtes Kind Himmelsrands“, witzelte Hrothluf daraufhin. Vesa verleitete es zu einem verhaltenen Schmunzeln.
    „So könnte man es ausdrücken“, kommentierte sie, „auch wenn es wohl mehr als nur eine Hand voll Leute gibt, die Euch widersprechen würden.“
    „Ach, macht Euch nichts aus diesen Leuten.“ Tat sie auch nicht. „Heimat ist, wo Ihr Euch zu Hause fühlt.“ Wange und Augenwinkel in der dem Nord abgewandten Gesichtshälfte zuckten kurz unangenehm. Damit hatte er zwar verdammt Recht, aber es hatte Jahre gedauert, bis sie sich wirklich heimisch gefühlt hatte bei den Gefährten. Und selbst jetzt galt sie eher noch als verschwiegene Einzelgängerin, die überwiegend nur mit den höherrangigen Mitgliedern verkehrte. Nicht weniger loyal zur Gemeinschaft als der Rest, aber eben doch eher einzelnstehend. Zu den neusten Zugängen und vielen anderen, die nicht dem Zirkel angehörten, bestand für sie kaum eine Verbindung. Es hießen sie natürlich trotzdem alle willkommen, immerhin verband sie ihre Gemeinschaftszugehörigkeit, aber es bedeutete der Jägerin eigentlich nur bei einer kleinen Anzahl an Leuten tatsächlich etwas.
    „Das ist wahr“, entgegnete sie mit reichlich Verzögerung auf die Äußerung des Nords. Es wurde Zeit, dass er sich die Beine vertrat – er stimmte sie eindeutig zu nachdenklich, oder zumindest mehr, als sonst und als es ihr lieb war in diesem Moment. „Lasst mich einmal die Zügel übernehmen.“
    „Gute Idee!“ Er reichte ihr den Lederriemen und stieg vom Kutschbock, während sie gerade auf einer Anhöhe des Weges ankamen. Sie setzte sich mittig auf die Bank und atmete erleichtert durch. Wenigstens für die nächsten Meilen oberhalb des Flusses hatte sie erst einmal wieder ihre Ruhe. Fluss. -fluss … Weißfluss! So hieß er, der Strom, dem sie bis ins Fürstentum Weißlauf folgten.



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    Geändert von Bahaar (12.10.2013 um 12:13 Uhr)

  11. #11

    Himmelsrand, Fürstentum Ostmarsch, Straße nach Weißlauf

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    Mit lautem Klacken prallten die hölzernen Klingen aufeinander und sandten eine unangenehme Schockwellte durch Hand, -gelenk und Unterarm, die vorübergehende Taubheit hervorrief. Vesana drehte sich unter den gekreuzten Übungsschwertern mit Eisenkern hindurch, um den in den Arm gelegten Schwung weiter zu nutzen und zog ihre Waffe in einer tiefen Kreisbahn gegen die Hüfte ihres Gegners nach. Dieser wich jedoch zurück, seine Füße wirbelten auf dem trockenen Erdboden Staub auf, und ließ ihren Schlag ins Leere laufen. Wie so oft zuvor umkreisten sich die Kontrahenten, mit erhobenen Schwertern belauerten sie sich, Schweiß rann über die Haut – egal ob frei, oder von leichtem Stoff bedeckt – troff vom Kinn und anderen hervorstehenden Körperecken. Schwer hoben sich ihre Brustkörbe. Ab und an mussten sie die mit Leder umschlagenen Hefte nachgreifen.
    So wie sich die seitlichen Zöpfe der Jägerin allmählich aufzulösen begannen, solange dauerte die Auseinandersetzung zwischen den zwei Kaiserlichen inzwischen, so durcheinander lagen die fingerlangen, schwarzen Haare ihres Widersachers. Sein sauber getrimmter Kantenbart glänzte ebenso feucht wie seine Haut, doch die dunkelbraunen Augen wirkten wach und ließen nicht auf Erschöpfung schließen. Im Gegenteil, sie strahlten Ruhe aus – Wachsamkeit, aber auch Gelassenheit. Mit der freien Linken strich er sich eine Strähne des dunklen Haars aus der Stirn ohne die Augen von Vesana zu nehmen und sich dadurch eine Blöße zu geben. Diese spürte einen einzelnen Schweißtropfen über ihre Stirn rinnen und in ihrer rechten Augenbraue verschwinden, gleich darauf sammelte er sich aber wieder an deren unteren Rand. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er ihr ins Auge tropfte.
    Auf der Terrasse zum hinter Jorrvaskr liegenden Übungsplatz standen die übrigen Mitglieder der Gefährten, die an diesem heißen, wolkenlosen und windstillen Tag im Spätfrühling 4Ä 197 nicht gerade auf Mission waren. Gespannt schweigend und nicht einmal bei knapp ausgehenden Schlagabtauschen mitgerissen stöhnend beobachteten sie den Kampf zwischen Vesa und Darius, der inzwischen mehr als doppelt so lange dauerte wie jeder andere Übungskampf der Jägerin mit den Nicht-Zirkelmitglieder der Gefährten. Sie spürte die vielen Augenpaare auf sich, doch störte sie sich nicht daran. Einzig ihre eigenen Erwartungen lasteten schwer auf ihr. Seit über sechs Monaten ungeschlagen gegen jedes einfache Mitglied der Gemeinschaft. Einzig gegen die Zirkelmitglieder hatte sie regelmäßig verloren. Und jetzt sollte ihr dieser Welpe, kaum drei Monate Mitglied der Gefährten, gefährlich werden? Niemals!
    Bevor der Schweißtropfen an ihrem Auge hinabfallen konnte, führte sie einen Schlag von hoch oben diagonal nach links unten. Während der schwarzhaarige Kaiserliche blockte, drehte sie sich an ihm vorbei um die eigene Achse, schleuderte die salzige Perle davon, und wiederholte den Hieb, diesmal in seinem Rücken. Nur um Haaresbreite entkam er diesem mit einer echten Waffe normalerweise tödlichen Schnitt, taumelte nach vorn, fiel und rollte sich über den staubigen Boden ab. In einigen Schrittlängen Entfernung kam er auf die Füße, Knie gebeugt, das Schwert lauernd an der Seite im Handgelenk kreisend. Sein inzwischen wieder wohlgenährter, trainierter Körper hüllte sich in feines, braunes Pulver, das schnell zu Schlieren verwischte. Beide hatten den Mund dauerhaft offenstehen wie Raubtiere auf der Jagd, so schwer atmeten sie inzwischen. Beinahe glaubte Vesana sogar, sein Herz in der nackten Brust schlagen zu sehen. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung, weil ihr eigenes so schnell schlug. Die Pausen zwischen Phasen des Austauschs von Schlägen zogen sich mittlerweile länger hin, die Erschöpfung zog allmählich in ihre Muskeln ein und keiner wollte deshalb einen Fehler begehen.
    Dann setzte Darius an, rannte auf sie zu und führte einen mächtigen Hieb von der Seite. Mit Mühe lenkte ihn die Kaiserliche ab, doch folgte sofort ein weiterer von schräg oben. Block. Ein abgesetzter Schlag von unten, links, rechts, oben, oben, unten, zum Abschluss ein Stich und wieder standen sie sich gegenüber, hechelnd. Leichtes Zittern setzte ein, als sich die Taubheit im rechten Arm abermals zu legen begann. Vesa musste schnell handeln, wollte sie noch gewinnen. Sie war schneller und wendiger als ihr Widersacher, dafür besaß er mehr Kraft. Ihre einzige Chance bestand in der Flucht nach vorn, einem Hagel von Schlägen, während dem der muskulöse Mann irgendwann einen Fehler begehen musste.
    Eine Finte in seine rechte Flanke, während sie mit einem Nachstellschritt an seine linke Seite kam. Während sie sich an ihm vorbeiwand, zog sie ihm mit der Verse den linken Fuß weg, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und führte die Holzklinge in einem hohen Hieb auf die Schulter seines linken Armes. Wie er diesen noch rechtzeitig ablenkte, sollte ihr ein Rätsel bleiben, aber er schaffte es. Taumelnd kam er vor ihr auf die Füße und versuchte seine Waffe zwischen sich und die Jägerin zu bringen. Diese führte jedoch keinen Schlag, sondern einen Stich gegen seine Brust. Er beugte sich nach hinten, entkam dem Treffer, doch hielt er sein Schwert in der Überraschung lockerer. Das nutzte Vesana, ließ das ihre im Handgelenk kreisen und verkeilte es zwischen Klinge und Parierstange an Darius‘ Waffe. So verkeilt war es ihr ein Leichtes ihn zu entwaffnen. In hohem Bogen flog das Übungsschwert über sie hinweg, landete irgendwo außer Sicht im Dreck, doch das spielte auch keine Rolle mehr – ihre Schwertspitze drückte sich inzwischen gegen die Brust des Schwarzhaarigen. Applaus donnerte von der Terrasse.
    Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ihr Kontrahent die Kaiserliche, atmete unverändert schwer, Schweiß floss ihm in Strömen am Leib hinab und Erschöpfungszittern ergriff von ihm Besitz. Vesa nahm ihre Waffe nun runter und ließ sich anschließend rücklings einfach in den Dreck sinken. Das Schwert neben sich fallen gelassen, legte sie die Hände auf die Stirn und schloss die Augen. Es gab keine Stelle mehr, an der ihre Tunika noch nicht klitschnass an ihrem Körper klebte. Der Beifall endete inzwischen und die meisten der Zuschauer gingen wieder ihrer Wege, wie die Kaiserliche bemerkte, als sie die Augen öffnete. In diesem Moment schob sich ein Schatten über sie und jemand reichte ihr die Hand, um ihr auf die Füße zu helfen. Es war Darius, wie sie wenig später feststellte, als er nicht mehr direkt in der Sonne stand. „Ein guter Kampf“, befand er.
    „In der Tat“, entgegnete sie mit einem Nicken, hob ihre Waffe auf und machte sich daran, zu Aela und Farkas, die noch auf der Terrasse zurückgeblieben waren, hinüberzugehen. Ihr Gegner folgte kurz darauf.
    „Sehr spannend“, lobte die rothaarige, hochgewachsene Nord mit der markanten Kriegsbemalung im Gesicht. Der bärenstarke, aber nicht unbedingt hellste Gefährte an ihrer Seite brummte zustimmend. Vesana nahm sich einen der zwei Wasserkrüge, die auf einem nahen Tisch standen. Erst schüttete sie sich einen Teil des Inhalts über den Kopf, genoss das kühle Nass, wie es von oben ihren Körper hinabfloss und die Hitze, die sie in sich spürte, wenigstens von außen etwas bekämpfte – danach setzte sie das Gefäß mit beiden Händen an die Lippen und trank gierig. Darius tat es ihr gleich, während die beiden Zirkelmitglieder geduldig warteten, dass sie Kontrahenten vom Kampfrausch wieder etwas runterkamen. Erst danach setzte Aela erneut an zu sprechen und fixierte dabei die Kaiserliche. „Der Zirkel hat eine neue Aufgabe für Dich, Vesa.“
    „So? Was soll es sein?“
    „Du wirst einen Welpen ausbilden“, erklärte Farkas und grinste, weil er genau wusste, dass die Jägerin zuvor wenige Ambitionen gezeigt hatte, freiwillig einen zu übernehmen. Nicht zuletzt, weil sie nach ihrer eigenen rasanten Weiterentwicklung derartige – teils utopische Ansprüche – an andere anlegte. Und obwohl hohe Ansprüche durchaus vorteilhaft für einen Schüler sein mochten, konnten sie auch zu dessen Scheitern führen. Abgesehen davon war sie seit gerade einmal einem viertel Jahr selbst ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft.
    Seufzend fragte sie: „Wen?“ Aela nickte leicht an ihr vorbei, sie wandte sich um und blickte in Darius‘ schmutzverklebtes Gesicht. Er schien noch nicht ganz realisiert zu haben, worum es überhaupt ging – Ratlosigkeit zeichnete seine festen Züge.
    „Die übrigen Zirkelmitglieder erkennen Deine Gründe für das Desinteresse an der Ausbildung eines Welpen an, glauben jedoch, dass sie in diesem Fall keine Gültigkeit besitzen“, sprach die erfahrenere Jägerin weiter.
    Skeptisch zog Vesana eine Augenbraue hoch. „Inwiefern?“ Sie nahm noch einen Schluck Wasser, ohne die Augen von ihren Gesprächspartnern zu nehmen.
    „Ihr seid euch vergleichsweise ebenbürtig, so dass auch Du noch etwas lernen kannst.“ Die Kaiserliche lachte kurz auf.
    „Ebenbürtig, so?“ Sie wandte sich Darius zu und nahm sich eines der Holzschwerter, die inzwischen auf dem Tisch lagen. Kurzerhand drückte sie es ihm gegen die Brust, bis er es mit einer Hand selbst festhielt. „Das wollen wir erst noch sehen. Abmarsch.“
    „Das heißt, Du nimmst an?“, hakte Farkas nach und erntete ein grimmig-schiefes Lächeln.

    Rückblickend wusste sie nicht mehr genau, was sie dazu bewegt hatte, die Aufgabe so umstandslos anzunehmen. Vielleicht weil ihr der Kampf gegen Darius Spaß bereit hatte und sie mit ihm auf gleichem Niveau trainieren konnte, ohne sich grämen zu müssen, dass man es ihr leicht machte. Vielleicht auch, weil er nicht weniger ehrgeizig war, als sie und seine eigene Entwicklung nach Eintritt in die Gemeinschaft der Gefährten ähnlich schnell voranschritt, wie die ihre. Die Zirkelmitglieder hatten daher durchaus rechtgehabt, als sie meinten, auch Vesana könne noch etwas dazulernen. Vermutlich wusste sie all das zum Zeitpunkt der Aufgabenverteilung instinktiv schon. Und womöglich gefiel ihr zu allem Überfluss an guten Gründen der Gedanke an diese neue Herausforderung mehr, als die Vorbehalte, die sie bis dahin gehegt hatte, sie zu hemmen vermochten.
    Jetzt nahm sie das Stofftuch von ihrem Kopf, schüttete den stinkenden Heiltrank irgendwo an einen Busch und verstaute den Rest bei ihren Sachen. Nach dem Dampfbad verlor sich ihr Blick im Lagerfeuer am Abend des zweiten Reisetages nahe dem Zufluss aus dem Rifton-Plateau in den Weißfluss. Hrothluf schlief bereits fest. Sie saß also allein den knisternden Flammen gegenüber – Darius war fort, sie Zirkelmitglied, nur noch wenigen unterlegen, den meisten ebenbürtig. Allein in der Dunkelheit der sternenklaren Nacht nützte ihr all das jedoch wenig. Einsamkeit lastete schwer auf ihren Schultern. Nur noch vier, höchstens fünf, Tage, dann wäre sie wieder zu Hause, hätte sie wieder Freunde um sich. Es wurde Zeit, dass sie zu ihrem Alltag zurückkehrte. Egal, wie schwer es ihr auch fiel, sie konnte nicht ständig in Erinnerungen oder Gefühlsausbrüchen hängen bleiben. Wo käme sie da bloß hin, man stelle sich nur einmal vor, jemand würde sie dabei beobachten. Nein, soweit würde sie es nicht kommen lassen. Sie musste schleunigst ihre alte Standfestigkeit zurückgewinnen und diese Schwächephasen überwinden, hinter sich lassen. Und doch … die Einsamkeit würde auch zurück in Jorrvaskr nicht vollends verfliegen, dessen war sie sich sicher.
    Grummelnd legte sie sich auf die Seite, stützte den Kopf auf die Hand und starrte weiter in die Flammen. Die Decke zog sie höher und wartete, bis Hrothluf sie mit der Wache ablöste.



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    Geändert von Bahaar (18.10.2013 um 16:16 Uhr)

  12. #12

    Himmelsrand, Fürstentum Ostmarsch, Straße nach Weißlauf

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    Mehr oder weniger parallel zu den mächtigen Kaskaden des Weißflusses arbeitete sich ihr Gespann die steilen Serpentinen Manneshöhe um Manneshöhe die Felswand hinauf. Der dritte und vierte Tag boten tatsächlich einmal Abwechslung. Kaum hatten sie den Zufluss aus dem Süden überquert, waren sie in dichten Bergwald eingetaucht und würden ihn auch noch an diesem Tag wieder verlassen – nach oben verlassen. Die Straße führte sagenhaft steil ins Tal der Valtheimer Türme hinauf, das das Fürstentum Ostmarsch mit der Tundra um Weißlauf verband. Ein ebenso schöner, wie gefährlicher Reiseabschnitt. Das Gebiet unten vom Wald bis hinauf zu dem verfallenden Turm wurde regelmäßig von plündernden Gruppen heimgesucht, öfter als sie an Händen und Füßen zusammen abzählen konnte wurde Vesana mit den Gefährten entsandt, um dem raubenden Treiben ein Ende zu setzen. Entsprechend wachsam beobachtete sie ihre Umgebung. Zwar glaubte sie nicht an einen Überfall während des Aufstiegs durch die spitzen Serpentinen, aber wer wusste schon, was hinter der Abbruchkante lauerte, die mit jedem Schritt von Berta dem Pferd näher rückte?
    Über das tosende Donnern der Wassermassen des Stromes zu ihrer Rechten würde jedenfalls keiner von ihnen Rufe von Banditen, oder möglicherweise das Pfeifen von Pfeilen vernehmen. Ihre Augen wären die einzige Möglichkeit der frühzeitigen Warnung, also behielt sie die Kaiserliche offen. Ihre persönliche Anspannung spiegelte sich nicht nur in ihrem aufrechten Sitz und den um Schwert und Bogen fester greifenden Händen wider, es färbte auch auf Hrothluf ab. Oder färbte er auf sie ab? Es spielte keine Rolle. Auch er ließ die Augen schweifen und zusätzlich zum im Wald festhängenden Sprühnebel der Kaskaden rannen Schweißperlen über seine freie Haut in Gesicht und Nacken. Er schwieg – und das sprach Bände.
    „Ich kundschafte etwas voraus“, entschied die Jägerin und kletterte einige Kurven unterhalb der Abbruchkante und inzwischen oberhalb der Wipfel der letzten Bäume vom Wagen. Schwert und Bogen band sie sich auf den Rücken und mit schnellen, zielsicheren Schritten ließ sie das Reisegespann hinter sich zurück. Mittlerweile fielen ihr derartige, körperlich stark in Anspruch nehmende Bewegungen immer leichter. Vor allem nach dem letzten Heiltrank und mit dem Auslauf, den sie während der Reise auch zuvor schon hatte, baute sich ihre Ausdauer schnell aus. Zwar wäre sie noch immer nicht im Stande, längere Strecken zu rennen, aber wenigstens schnelles Wandern im unwegsamen Gelände bereitete ihr kaum noch Schwierigkeiten – abgesehen davon, dass es sie dennoch schwer atmen ließ. Ein kurzer Blick zurück verriet der Kaiserlichen außerdem, dass sie durchaus noch sehr flink in solchem Terrain zu Fuß war – der Nord und sein Wagen hatten in der Zeit, in der sie ihr Ziel schon erreichte, kaum zwei Serpentinen zurückgelegt. Zufrieden stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, die sie nun wieder zusammenpresste, um die angestrengte Atmung zu beruhigen und den Puls zu drücken. Hier oben hallte das Rauschen des Wassers weniger stark wider, weshalb sie mehr Geräusche aus der Umgebung vernahm und das wollte sie sich nicht durch rauschendes Blut in den Ohren zunichtemachen lassen.
    Die letzten Schrittlängen schob sich Vesana nun vorsichtig und langsam im Schutz einiger größerer Felsbrocken vorwärts. Das karge Tal wies kaum noch Vegetation auf, die größer als ein kleiner Strauch oder Busch war, weshalb sie besonders auf der Hut sein musste, wollte sie nicht von möglichen Räubern entdeckt werden. Kurzes Kreischen ließ sie zusammenfahren und die Augen weit geöffnet über die steilen Berghänge zu beiden Seiten der Flusskerbe schweifen lassen. Aber am leicht bewölkten Himmel machte die Jägerin alsbald einen Adler aus, der wohl als Quelle des Geräusches zu werten war. Es kam vor, dass Banditen Tiergeräusche imitierten oder gar Falken als Warnsystem einsetzten, um Gefahren zu kommunizieren. Allerdings hatte sie noch keine Gruppe getroffen, die einen Adler einsetzte. Zu stolz und eigensinnig waren die Tiere, als dass sie sich von einem Haufen Halunken zähmen ließen.
    Vorsichtig pirschte sie weiter und behielt dennoch die Hänge mit im Auge. Sicherheitshalber. Außerdem erwachte ihr Jagdfieber. Zähnebleckend drückte sie sich in den Sichtschatten eines Felsens, von dem aus sie leicht bis zu den alten Türmen sehen konnte, die – durch eine schmale Brücke verbunden – an beiden Ufern des Weißflusses standen. Es wirkte friedlich, ruhig. Fast schon zu ruhig. Adrenalin pumpte durch ihre Adern während sie den Bogen vom Rücken nahm und einen Pfeil zog, beinahe hoffend, dass sich doch noch Ziele zeigen würden. Sämtliches Gefühl von Anstrengung durch den zügigen Aufstieg verflog während ihre Sinne die Umgebung abtasteten. Inzwischen vernahm sie auch wieder das Holpern der eisenbeschlagenen Wagenräder, das sich langsam aber stetig weiter nach oben kämpfte. Aber auch als sich das Gespann schließlich über die Kante schob und Vesana dem etwas verwirrt dreinschauenden, verunsicherten Hrothluf per Handzeichen zu verstehen gab, dass er einfach weiterfahren sollte, regte sich nichts. Weder zuckte sich etwas vor dem Turm an ihrem Ufer, noch auf der Brücke oder am steilen Hang auf der anderen Flussseite.
    Ein Anflug ungemütlicher Schwere legte sich auf ihren Magen, als die Kaiserliche nach weiterem Warten enttäuscht schnaufend aufstand. Die einfache Schusswaffe aus Holz in der Rechten, ein Pfeil mit Zeigefinger und Bogensehne fixiert folgte sie letzten Endes dem Nord den leicht abschüssigen Weg hinab zum Turm auf ihrer Seite. „Scheint verlass‘n.“ Der Rothaarige wirkte sehr erleichtert, seine Schultern höher als zuvor, sein Stand aufrechter und die Stimme befreiter.
    „In der Tat“, entgegnete Vesa und verstaute Bogen und Pfeil im Köcher. Sie kniete sich neben eine erloschene Feuerstelle vor dem Eingang in den Turm. Tasten bestätigte die Vermutung: kalt, nass und schon lange nicht mehr in Brand gewesen. Hier hatte sich mindestens eine Woche lang niemand mehr aufgehalten. Die Jägerin schaute zu ihrem Reiseführer hinauf, der gerade Berta am Kopf tätschelte, dann hinauf zum Himmel und wieder zurück. „Die Sonne steht schon tief und einen besseren Rastplatz werden wir auf den nächsten Meilen kaum noch finden.“
    „Da habt Ihr Recht.“ Das Pferd band er kurzerhand vom Wagen los und an einem schweren, nahegelegenen Stein fest. Ohne ihn weiter zu beachten, trat die Kaiserliche auf die modrige, aus den Angeln gerissene Tür zu, die in das Innere des Gemäuers führte und den Eingang weiterhin versperrte. Angestrengt brummend zerrte sie das mit Wasser vollgesogene Holz zur Seite, nur um gleich darauf ihr Schwert zu ziehen. Das markante Schleifen hallte aus der feuchten Dunkelheit im Turm zurück. Nichts regte sich und auch als sich ihre Augen zunehmend an den Lichtmangeln innerhalb der alten Mauern gewöhnten, entdeckte sie nichts im Eingangsbereich oder auf der Steintreppe weiter nach oben, das irgendwie bedrohlich werden mochte. Sie würde später mit Fackellicht noch einmal tiefer in das verlassene Gebäude eindringen, aber dafür mussten die alten Fackeln an den Wänden erst einmal an ihrem Feuer trocknen – vorerst zog sie sich aus dem nach Fäulnis stinkenden Gemäuer zurück. Wie es diese Banditenbanden länger als eine Nacht in solchen Umgebungen aushielten, blieb Vesana nach wie vor ein Rätsel, schon jetzt ließ ihr der Geruch den Appetit vergehen. Aber vermutlich machte einem eine solche Umgebung nicht so viel aus, wenn man selbst schon derart verdorben war, wie die meisten Räuber. Mit Zähnen schwarz wie die Nacht und Mundgeruch so stark, dass er einen Troll neidisch werden ließ, stumpften sie womöglich gegen Umgebungsgerüche ab. Vielleicht ein etwas übertriebenes Bild, gestand sie sich ein, aber irgendwo doch treffend. Auf alle Fälle eines, dass sie verdienten.
    Während Hrothluf das Feuer in Gang setzte, schob sie eine alte Holzbank zurecht, die wohl von den vorherigen Langzeitbewohnern gezimmert worden war. Damit saß es sich weit aus gemütlicher, als auf dem kalten, harten Boden. „Drei Tage noch, dann sollt‘n wir in Weißlauf ankomm‘“, befand der Nord und setzte sich mit auf die Bank. Ächzend und sich durchbiegend nahm sie sein Gewicht mit auf. Skeptisch blickte er an sich hinab auf das Holz und dann wieder in die allmählich in die Höhe schnellenden Flammen. „Wenn das Wetter hält, könn‘ wir sogar ab morg’n Abend schon Weißlauf und die Bauernhöfe seh’n.“ Auch wenn sie sich darüber selbst im Klaren war, so löse die Aussprache der Gedanken doch wieder einen Schwall Vorfreude aus. Leichtigkeit im Magen und ein schmales Lächeln überfielen Vesana. Auch die Erkenntnis, dass sie das Fürstentum Ostmarsch mittlerweile hinter sich gelassen hatten, überkam die Kaiserliche in diesen Moment. Bald, sehr bald schon, war sie wieder unter Freunden.
    Bis dahin musste sie allerdings noch das wachsame Auge ihres Gespanns sein und so schnappte sie sich eine Fackel, entzündete sie im Lagerfeuer und begann damit, den näheren der Valtheimer Türme zu durchkämmen. Nützliches würde sie kaum finden, und Hrothluf hatte sicher auch keine Verwendung für durchgerostete Schwerter, aber so beschäftigte sie sich wenigstens und mochte nach der Wachablöse auch beruhigt schlafen können.



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    Geändert von Bahaar (26.10.2013 um 11:33 Uhr)

  13. #13

    Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths

    Der junge Bretone fluchte als er zu stolpern anfing und ihm die gesammelten Holzscheite aus den Armen purzelten. Sie schlugen mit einem dumpfen Geräusch auf der staubig lockeren Erde auf und stießen auch gegeneinander, wodurch sie noch weiter vom dem jungen Mann wegrollten.
    Um ihn herum lachten einige der Männer und Frauen, während andere nur schwiegen. Doch alle verloren schnell wieder das Interesse und zogen kurz darauf weiter um ihre Erledigungen zu machen. Stephanus schüttelte kurz den Kopf, löste sich aus der sich erneut rührenden Menge und ging dann auf den Bretonen zu, der mit rotem Gesicht in die Knie gegangen war und hektisch versuchte, das verlorengegangene Holz wieder einzusammeln und so wenigstens einen Teil seiner Würde zu erhalten. Es misslang ihm offenkundig, denn immer wieder fiel einer der Scheite nach Freiheit suchend zurück auf den Boden. Zu seinem Glück schien es jedem außer Stephanus egal geworden zu sein, was der Junge tat, denn niemand blickte auch nur in seine Richtung.
    Stephanus kniete sich nun ebenfalls hin und half dem verschreckten und beschämt dreinblickenden Bretonen, welcher kurz vor dem Kaiserlichen zurückschreckte, ihm jedoch ein dankbares Nicken entgegenbrachte als er verstand, dass von Stephanus keine Gefahr für ihn ausging.
    „Bringt man euch Leuten in Hochfels nicht bei wie man Feuerholz trägt?“
    Der Bretone blickte nun wieder gekränkt drein und schwieg für einen Moment, in dem die beiden Männer stumm das Holz zusammentrugen.
    „Es war der verfluchte Nord. Er hat mir ein Beinchen gestellt.“
    Stephanus richtete sich auf, ebenso der Bretone, und er legte einen letzten Holzscheit auf den Stapel in den Armen des jungen Mannes.
    „Du müsstest da ein wenig spezifischer werden, Junge,“ merkte der Kaiserliche an. „Die Kompanie ist voll mit Nords.“
    „Ich habe keine Ahnung wie er heißt,“ antwortete der junge Mann zögerlich. „Der Nord, der sich das Wappen auf den Nacken tätowiert hat.“ Dabei deutete er mit dem Kopf auf einen Mast in ihrer nähe, an dem eine Flagge verspielt im Wind wehte. Sie zeigte einen sitzenden schwarzen Raben im Profil auf dunkelgelbem Grund. Dunkelgelb war auch die Farbe, die die Söldner als eine Art Uniform für die Verzierungen an ihren Rüstungen und Schildern und auch für ihre Kriegsbemalung verwendeten. Auch die meisten Bestandteile aus Stoff an ihren Rüstungen waren dunkelgelb gefärbt.
    Stephanus wusste sofort von wem der Bretone sprach und musste erst nicht in seiner Erinnerung nach einem zur Beschreibung passenden Gesicht kramen.
    „Ja, das müsste wohl Idolg von den Inseln sein.“ Stephanus hatte viele Mitglieder der Kompanie in seinem Kopf in eine Liste sortiert. Mit Ausnahme vom Bretonen vor ihm war jeder in ihr gefährlich, doch verrückte und unberechenbare Schweinehunde wie Idolg verdienten einen besonderen Platz ganz oben.
    „Vergiss am besten, dass es passiert ist, Junge. Sprich ihn erst gar nicht darauf an, sonst hackt er dir in aller Öffentlichkeit den Kopf ab und benutzt ihn als Nachttopf.“
    Der Bretone machte sich auf, das Feuerholz zur Sammelstelle in der Mitte des Söldnerlagers zu bringen, und Stephanus folgte ihm. Als der Bretone dies merkte, blieb er kurz stehen und wandte sich dem Kaiserlichen zu.
    „Ich hatte nicht vor, ihn anzusprechen, oder mich auch nur in seine Nähe zu begeben. Ich danke Euch aber für die Warnung.“
    Stephanus schüttelte leicht den Kopf als er den schwarzhaarigen Bretonen musterte, der nun wieder mit dem Rücken zu ihm weiterging. Einfache Kleidung, Staub und Schmutz von der beschwerlichen Reise, ein leichter Anflug von Bartstoppeln. Doch seine Bewegungsabläufe, seine Stimme und die Art, wie er seine Worte betonte verrieten eine adlige Herkunft. Sie hatten den Jungen aufgegabelt, als sie Evermor in Hochfells passierten. Ganz klar war er wild darauf gewesen, so schnell wie möglich von dort wegzukommen. Und es war sehr offensichtlich, dass er nicht die Art von Mensch war, die sich freiwillig einer kleinen Armee aus gekauften Kriegern anschloss. Außer wenn es sich um eine unbedingte Notwendigkeit handelte. Ein wenig erinnerte der Junge Stephanus an ihn selbst als er noch jünger war. Blind auf der Flucht vor seiner Vergangenheit, auf der Suche nach dem schnellsten Weg fort von Zuhause. Er schlussfolgerte das dies vielleicht der Grund war aus dem er dem Bretonen jetzt half.
    Sie erreichten das Ziel des Bretonen und der junge Mann aus Evermor legte das Brennmaterial auf einem größeren Stapel ab, an dem ab und an ein anderes frisches Mitglied der Kompanie ankam und seinerseits Holz aufschichtete. Jeder Schritt wirbelte ein Stück lockere und trockene Erde auf, das in winzigen Partikeln wieder auf den festeren Grund hinab schwebte.
    Stephanus klopfte dem jungen Mann nach getaner Arbeit beruhigend auf die Schulter.
    „Ich gehe dann jetzt, Junge. Halt dich von Ärger fern.“
    Der Bretone streckte stöhnend den Rücken und drehte sich danach Stephanus zu, der schon im Begriff war zu verschwinden.
    „Vielen dank. Und nennt mich bitte nicht andauernd Junge. Ich habe einen Namen.“
    Stephanus blieb stehen und wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder dem anderen Mann zu.
    „Ach? Und der wäre?“
    „Delstian,“ stammelte der Bretone schnell und verlegen, fast als hätte er das Gefühl, er wäre vorhin bei seinem letzten Satz nicht demütig genug gewesen, und befürchtete jetzt vom Kaiserlichen eine Ohrfeige zu bekommen.
    „Mein Name ist Delstian.“
    Stephanus ging wieder einen Schritt auf ihn zu, was Delstian dazu brachte verängstigt ein wenig zurück zu zucken. Der Kaiserliche ärgerte sich leicht über sich selbst, denn das war keinesfalls seine Absicht gewesen.
    „Nun gut, Delstian,“ sagte er nun in einem ratgeberischen Ton. „Pass auf dich auf, und starr niemanden an, und glotze erst recht niemandem direkt in die Augen. Dann solltest du die nächsten Tage ohne Prügel durchkommen.“ Danach ließ der Kaiserliche Delstian stehen und ging seines Weges.

    Die Kompanie hatte eine einfache Rangordnung: Der Anführer hatte vier Leutnants, die ihrerseits zwei ihnen direkt untergestellte Offiziere hatten. Diese wiederum hatten einige Unteroffiziere unter ihrem Kommando, die für eine verschieden große Anzahl an Kämpfern zuständig waren. Diese Gruppen hatten während eines Marsches die Last ihres in Einzelteile zerlegten Zeltes unter sich aufgeteilt zu tragen, nicht unähnlich dem Verfahren, dass die kaiserlichen Legionen verwendeten. Und genau zu diesem Zelt war Stephanus jetzt unterwegs.
    Es war ein schöner und nur leicht bewölkter Tag, selbst wenn der kühle Wind in den Hochlanden von Reach die wärme der Sonne effektiv verminderte und den Kaiserlichen bei besonders kalten Böen unter seinem Lederharnisch frösteln ließ und sich ihm immer wieder die Nackenhaare aufrichteten. In einiger Ferne konnte Stephanus die Mauern und Dächer der Stadt Markarth sehen. Sie war vor Jahrtausenden in das sie umgebende steile Gebirge gehauen worden, welches sich zu beiden Seiten der Stadt in die Ewigkeit erstreckte und sich zum Himmel hin seine Gipfel immer stärker in zunächst unbeständige, dann jedoch dichter werdende weiche Nebelschwaden hüllte. Stolze grüne Banner mit einem weißen stilisierten Bergziegenbockschädel darauf wehten über Türmen und änderten ihre Richtung mit dem Wind.
    Würden einige der prächtigen goldenen Dächer nicht das Licht der Sonne reflektieren, gäbe es die Banner nicht und würde auch kein Rauch aus den Schornsteinen von Markath aufsteigen so könnte man fast glauben die Stadt sei ein Teil der hellgrauen Felsen. Markath hatte seinen Ruf als „Stadt des Steins“ verdient. Sie sah zeitlos und uralt aus, als hätte es sie schon lange vor ihren Erbauern gegeben. Als wäre sie vor Urzeiten einfach aus dem Berg heraus gewachsen und stumm ihren Platz auf Nirn eingefordert.
    Der Wind drehte sich und trieb den gemischten Geruch und die Klänge der Zivilisation an Stephanus' Nase und Ohren heran: Nahrungsmittel, Duftstoffe, Abfall, schwitzende Menschen und Mer, laute Hammerschläge, das unverständliche Gemurmel tausender Münder und das bellenden von Hunden. Aber der Geruch von Markarth hatte etwas besonderes an sich. Das hölzerne Aroma verbrannter Kohle und der eigentümliche Duft von geschmolzenem Metall lag besonders schwer in der Luft, und beides hebte die Geruchspalette Markarths von der anderer Städte ab. In der Ferne rauschte zudem ein Fluss.
    Stephanus ging über einen breiten Weg, der durch das Lager führte, auf das imposante Torhaus zu, auch wenn es noch weit weg lag. Doch sein Ziel befand sich einfach nur in der selben Richtung. Er kam an vielen Zelten verschiedener Machart und Farbe vorbei, und die Leute, die müßig, gleichgültig oder zielstrebig an ihm vorbeizogen, unterschieden sich ebenso stark voneinander wie ihre zeitweiligen Behausungen, auch wenn viele von ihnen dennoch eines gemeinsam hatten: Man konnte ihnen sofort ansehen, dass sie sich ihr Brot mit dem Schwert in der Hand verdienten und auch keine wirklich angenehmen Zeitgenossen waren. Viele von ihnen gehörten Rassen an, von denen man eine kriegerische Natur erwartete. Gerade jetzt ging eine Gruppe aus fünf Rothwardonen an Stephanus vorbei. Aber eigentlich war jede Rasse mindestens acht mal in der Kompanie vertreten, sei es bei den Nahkämpfern, den Bogenschützen oder den wenigen Kampfmagiern.
    Die Mietklingen der Kompanie hatten ihr Lager in einigem Abstand von den steinernen Mauern der Stadt aufgeschlagen, denn außer den Quartiermeistern durfte keiner von ihnen die Hauptstadt des Fürstentums betreten. Die Stadtwache bestand darauf, dass sie ohne eine kleine randalierende Armee aus zwielichtigen Heuerlingen bereits genug Probleme in der Stadt hätte. Es stellte auch eine Sicherheitsmaßnahme gegenüber Krankheiten dar. Im Krieg fielen die Meisten nicht im Kampf oder fielen schlecht behandelten Verletzungen zum Opfer. Nein, den Großteil der Todesopfer des Krieges forderte die herzlose Pestilenz. Sobald eine Seuche einmal in einem Lager oder einer Stadt ausbrach war sie nur noch schwer wieder einzudämmen. Sie machte keinen Unterschied zwischen Bettlern und Königen, wie man sagte, auch wenn die Letzteren dank der modernen Alchemie mit genügend Gold in Wirklichkeit nicht viel zu befürchten hatten.
    Seltsamerweise hatte Stephanus aber vor einigen Stunden einen Wachmann in Grün sagen hören, es gäbe keinerlei Probleme in Markath. Doch dass hatte er mit einem Achselzucken abgetan und keine weiteren Gedanken daran verschwendet. Was in der Stadt passierte ging ihn nichts an, denn das Söldnerheer würde nur einige Nächte vor der Stadt verbringen, um nach dem langen Marsch über die Bergpässe zwischen Skyrim und Hochfels wieder Energie zu tanken und Vorräte aufzustocken. Stephanus taten jetzt noch die Füße weh. Vielleicht konnten sie auch neue Rekruten anwerben. Ihr eigentliches Ziel aber war Hjaalmarsch, ein versumpftes und sagenumwobenes Gebiet im Nordwesten von Himmelsrand. Dort wollten sie mit ihrem neuen Arbeitgeber aufschließen: Ein Kaiserlicher Feldherr, der seine Ränge auf die Schnelle mit zusätzlichen bereits ausgebildeten Truppen verstärken wollte. Zuvor war die Kompanie in Hochfels aktiv gewesen. Die kleinen Königreiche der Provinz und die sie regierenden Adelsfamilien bekriegten sich am laufenden Band, vor allem in dieser Zeit der Instabilität, so dass es nie an Arbeit für Schwertarme und Bogenschützen gemangelt hatte. Ein kleinerer Teil des Söldnerheeres war auch in der Heimat der Bretonen geblieben um bestimmte vertragliche Voraussetzungen zu erfüllen, doch der Anführer der selbsternannten Militärunternehmer witterte das große Geld im frisch entflammten Bürgerkrieg der Nords. Bei dem besagten Anführer handelte es sich um einen Dunkelelfen namens Ganlydyn Menarven. Stephanus war ihm mehrere Male persönlich begegnet, doch er versuchte, diese Treffen so selten wie möglich zu halten. Wenn Menarven etwas von einem einfachen Fußsoldaten wollte, dann war das nie ein gutes Zeichen. Nach Außen hin wirkte der rotäugige Elf immer ruhig und freundlich, und er sprach auch immer in einer leisen Tonlage, so dass jeder Anwesende die Stimme senkte, um ihn reden zu hören. Aber nur Neulinge und Naivlinge fielen auf diese nur aus Tradition aufrecht erhaltene Illusion herein: Ganlydyn war rücksichtslos und blutrünstig. Stephanus konnte sich noch gut daran erinnern, was mit dem Vorgänger des jetzigen Zahlenmeisters der Kompanie geschehen war, auch wenn er dessen Namen über die Jahre hinweg vergessen hatte.
    Ungefähr zwei Jahre nachdem Stephanus beigetreten war – damals befanden sie sich in Hammerfell - hatte Menarven über seine Offiziere jeden dazu auffordern lassen, sich in der Mitte ihres damaligen Lagers zu versammeln. Dort war auf die Schnelle ein kleines Podium aus Holz errichtet worden, zusammen mit einem Pranger. Ganlydyn Menarven zog höchstpersönlich den ehemaligen Schatz- und Zahlenmeister hinter sich durch die Menge hindurch und zwang den unter Todesangst stehenden Mann anschließend, sich selbst am Pranger festzumachen. Nachdem die klappe zufiel befestigte der Dunmer ein einfaches Schloss am Holzobjekt und für seinen armseligen Gefangenen gab es kein Entkommen mehr. Stephanus fiel auf, dass er sich nicht einmal daran erinnern konnte, welcher Rasse der Zahlenmeister angehört hatte. Er wusste nur noch, dass er ein Mensch gewesen war und sein Gesicht und sein nackter Oberkörper von blauen Flecken übersät worden waren, als ein Raunen durch die schroffe Menge ging und der Anführer der Heuerlinge seine Hand erhob, um Ruhe einzufordern. Das gesamte Lager verstummte sofort. Doch Menarven sagte nichts um die Stille auszufüllen. Stattdessen trat er seinem ehemaligen Angestellten in die Seite und legte dann mit einer schnellen Bewegung eine Hand auf dessen Mund, als dieser ihn aufschlug um einen Seufzer der Pein rauszulassen und verzweifelt die gewaltsam aus seinen Lungen entwichene Luft wieder einzufangen. Wenige Sekunden danach leuchtete es aus dem Inneren des Schatzmeisters, wobei sich seine Rippen dunkel abzeichneten und er wie eine morbide Laterne die abendliche Szenerie erleuchtete. Dann fing auch sein Äußeres an zu brennen. Die magisch verstärkten Flammen hatten den Mann innerhalb von einer Minute mitsamt Knochen vollkommen in Asche verwandelt, den Pranger und das Podium jedoch seltsamerweise von dem tödlichen Tanz ihrer feurigen Zungen verschont gelassen.
    „Das passiert mit jenen, die denken, sie könnten der Kompanie ihr Geld stehlen und damit davon kommen.“
    Ohne ein weiteres Wort verließ der Dunkelelf das Podium wieder, wobei er kein ein einziges Mal in die Menge sah, und ging dann mit erhobenem Haupt auf direktem Wege zu seinem Kommandozelt zurück. Jeder auf seinem Weg wich sofort vor ihm zurück und machte ihm Platz, als wäre er ein pestkranker Bettler. Jedoch war die Angst vor Ganlydyn auch heute noch viel größer und realer als die vor der Pest.

    Stephanus zog sich selbst mit einer leichten Gänsehaut wieder aus der Erinnerung, denn er erreichte nun endlich sein Ziel. Nachdem er einige Male abgebogen war und sich geistesabwesend zwischen etlichen Zelten vorbei schlängelte kam er an der Zeltbaracke an, in der er heute Abend schlafen würde. Innen war es wärmer als draußen, sogar ein bisschen stickig. Die Sonne hatte das vor ungefähr fünf Stunden errichtete Zelt aufgewärmt und der stetige Wind, der durch die zerklüftete Bergregion wehte, hatte hier nicht besonders viel Einfluss. Die eng zusammenstehenden Baracken spendeten sich gegenseitig Windschatten, auch wenn durch die eine oder andere nicht geflickte Lücke im Stoff ein leises freches Pfeifen ertönte, sobald der Wind ein wenig an Geschwindigkeit zunahm. Stephanus zog hinter sich die als Tür dienende Klappe im Stoff zu und schnürte sie wieder fest an ihren Platz, selbst als der Wind leicht daran zerrte, als wolle er seine neu gefundene Geliebte nicht mehr loslassen. Auf der mit Stroh ausgelegten trockenen Erde lagen rund dreißig Bettrollen dicht an dicht. Jeder Meter Platz wurde effektiv genutzt. So gab es außer den einfachen Schlafstätten der Mietklingen und den kleinen Haufen ihrer transportablen Besitztümer nur einen einzigen Tisch und den an ihn ran geschobenen Stuhl in der Mitte des Zeltes, genau dort, wo ein dünner Baumstamm als einsame Säule für die Last des Daches aus Stoff und Seil diente.
    Außer Stephanus waren noch zwei andere Personen im Zelt: Ein auf seinem Bett vor sich hin summender Rothwardon mit einer abgegriffenen Harfe in den Händen, und ein den Vorherigen finster anfunkelnder Ork, der ebenfalls in einiger Entfernung zum Harfenspieler auf seiner eigenen Bettrolle saß.
    „Stephanus, sag dieser vermaledeiten Wüstenratte sie soll endlich die Klappe halten.“
    „Ihr habt einfach keinen Geschmack für Musik, mein Freund Rognag,“ sagte der Rothwardone mit einem fachmännischen und bedauerlichen Tonfall in der Stimme und einem breiten Grinsen im Gesicht, bevor er sein Summen der Klangkulisse der Baracke wieder hinzufügte und sich knapp mit dem hin und wieder zögerlich hereinpfeifenden Wind messte.
    Stephanus schüttelte nur leise lachend den Kopf und begab sich näher an den Orsimer heran, welcher leise in sich hinein fluchte und mit seinen gelben Augen immer noch mit Messern nach dem Rothwardonen warf.
    „Wie geht’s dem Bein, Rognag?“ Der Kaiserliche ließ sich neben seinem Lagergenossen auf den Boden sinken.
    Rognag gro-Golug war der Kompanie vor etwa fünf Jahren beigetreten. Auf den Tag genau war auch der Rothwardone Bodeado unter Vertrag genommen worden, und seit der ersten Stunde, in der sie in Stephanus' Einheit gelandet waren, stritten sich die beiden wie kleine Kinder. Bodeado trieb den Ork durch sein Harfenspiel, seine Sticheleien und sein konstantes Gerede immer wieder zur Weißglut. Rognag hingegen überschüttete den anderen des Nachts manchmal mit seinem Müll, „verlegte“ dessen Sachen oder verbrachte Stunden damit sich besonders kreative Flüche für seinen Mitstreiter aus Hammerfell einfallen zu lassen. Es war ein sehr merkwürdiges und auf jeden Außenstehenden wohl verwirrend wirkendes Verhältnis: Nur ein einziges Mal war es zu einer physikalischen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, nachdem sie nach einer gewonnenen Schlacht die ganze Nacht hindurch getrunken hatten und Beleidigungen zu Faustschlägen wurden. Beide hatten sich gegenseitig windelweich geprügelt und danach sofort zusammen weiter getrunken. Das war einige Wochen nach ihrer Rekrutierung gewesen, und seitdem verband die beiden Männer eine Art von verdrehter Freundschaft. Auch Stephanus sah die beiden als seine Freunde an. Die Freundschaft unter gekauften Schwertern hatte jedoch sehr oberflächliche Eigenschaften: Man half sich gegenseitig im Kampf und bei den täglichen Arbeiten im Lager. Man tauschte Geschichten aus , trank und scherzte miteinander. Manchmal kam es sogar dazu, dass eine ungeschriebene Regel unter Söldnern gebrochen wurde und man sich über die Vergangenheit vor der Kompanie ausfragte. Bis dahin und darüber hinaus ging es jedoch nur selten. Man würde für den anderen niemals sein eigenes Leben riskieren, wenn für einen selbst nichts dabei raussprang.
    Rognag gro-Golug stöhnte leise als er sich schwerfällig vom Rothwardonen abwandte und seinen entnervten Blick nun auf Stephanus fixierte.
    „Dem Bein geht es bestens. Mache mir nur sorgen, dass mir bald die Ohren anfangen zu bluten.“ Beim letzten Teil seines Satzes hob er gereizt die Stimme und nickte ruckartig in Richtung Bodeado, welcher dies mit einem dankbaren Nicken erwiderte, als wäre die Wut des Orks genau die Anerkennung die er brauchte. Der Ork selbst war im liegen groß, im Stehen sogar größer als ein wohlgenährter Durchschnittsnord und damit eine respekteinflößende Gestalt. Seine tiefschwarzen öligen Haare ließen einen großen Teil der Stirn offen und waren am Hinterkopf zu einem sehr kurzen Zopf zusammengebunden, so wie viele Orks ihre Haare arrangierten. Er war mittleren Alters, hatte olivgrüne Haut, ein typisch orkisches und rundes Gesicht und Zähne mit einem leichten Gelbstich. In ihrem Lager für die nächsten Paar Nächte hatte er seine imposante grün-braune Rüstung aus orkischem Stahl mit den dunkelgelben Verzierungen abgelegt und trug stattdessen einfache Kleidung aus brauner und grauer Wolle.
    Bei ihrem letzten Kampf in Hochfels - sie waren von ihrem Arbeitgeber gegen den Söldnertrupp eines rivalisierenden Adligen losgeschickt worden - hatte ein Nord mit einem gigantischen Hammer aus Stahl und einer gigantischen Gier nach Blut Rognags Beinschiene eingedellt und sein Bein mit einem einzigen Schwung gebrochen. Der Ork hatte überlebt, und dank Medizin und der vergangenen Zeit konnte er ab der ungefähren Mitte ihrer Reise nach Himmelsrand wieder aufrecht auf zwei Beinen stehen und sich ohne Hilfe fortbewegen. Dass Orks an sich sehr zähe Schweinehunde sind hatte dabei sicher auch geholfen.
    „Nun gut. Bodeado, wirf mir mal mein Geld zu.“
    „Natürlich doch! Geh und kauf dir eine Flöte damit, dann könnte die Truppe als Musiker durch Tamriel ziehen, eine Spur aus gebrochenen Herzen und gebrochenen Schädeln hinter sich herziehend. Unser grüner Freund Rognag bekommt aber nur eine Trommel. Außer einer Triangel wäre alles andere viel zu kompliziert für ihn!“
    Während der Ork irgendeine erzürnte Erwiderung stammelte, setzte sich der Rothwardone auf und tastete in einem naheliegenden Tornister nach dem gesuchten Säckchen mit Münzen. Nicht lange darauf drehte er sich wieder zum Kaiserlichen um und warf ihm die Septime zu.
    Bodeado trug einen einfachen Lederharnisch und hatte dunkelbraune stoppelige Haare. Seine lebenslustigen Augen waren Haselnussbraun und ein spitzes Bärtchen zierte sein Kinn. Von sich selbst hatte er immer behauptet, dass er einst mal ein Pirat auf dem Abeceanischen Meer gewesen sei, doch glaubte ihm das niemand so wirklich. Jedes Mal, wenn er davon erzählte - und er erzählte sehr oft davon - kamen neue Details hinzu, und alte Details veränderten sich oder verschwanden völlig.
    Stephanus fing den Geldbeutel in der Luft auf. Es war natürlich nicht sein ganzes Geld, denn die meisten seiner Septime existierten nur auf Papier. Die Kompanie hatte eine eigene kleine Bank, die einige Truhen in drei mit stabilen Käfigen versehenen Wagen umfasste. Die Kosten für Nahrung, Wasser und der Gleichen wurden vom Sold abgezogen, und der Rest nur stückweise und auf Nachfrage ausgezahlt. Einerseits konnte man sich seine Münzen so gut einteilen und vertrank oder verzockte nicht alles an einem Tag, andererseits war man finanziell plötzlich von der Kompanie abhängig. Je größer die Summe an abgehobenem Geld, desto mehr Fragen stellten der Schatzmeister und seine Gehilfen, und ohne guten Grund würde man seine Septime auf die Schnelle nicht bekommen. Das Gold wagte niemand zu stehlen, da die Geschichte des verbrannten Schatzmeisters immer noch die Runden machte und Ganlydyn an den wenigen, die es trotzdem versuchten, brutale Exempel statuierte: Ihnen wurden die Zunge und beide Hände entfernt, anschließend wurden sie im Lager vorgeführt und dann setzte man sie in der Wildnis aus.
    Stephanus zählte schnell die Münzen durch - man konnte ja nie wissen - und steckte das Säckchen in eine seiner Gürteltaschen, während seine beiden Zeltgenossen wieder anfingen zu streiten. Mit einem Nicken verabschiedete er sich von ihnen, auch wenn sie es nicht wirklich bemerkten. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Stephanus nahm es einfach so hin, und er konnte nicht anders als zu schmunzeln als er die Baracke wieder verließ und das letzte, das er von den beiden hörte war:
    „Holla holde Herrin von Wegrast-“
    „Halt endlich die Klappe!“

    Einige Minuten später hatte Stephanus zielstrebig das halbe Lager durchmessen, als seine Suche nach einem bestimmten runden Zelt endete, dessen Dach aus Planen ein kreisförmiges Loch hatte aus dem ohne Pause Rauch aufstieg, der den Stoff um die Rundung herum bereits geschwärzt hatte. Diese vom Wind weggetragene und unförmige Säule aus dichtem Qualm war nicht nur schwarz oder grau. Ab und zu war sie auf kurioser Weise grün verfärbt, manchmal sogar violett bis pink. Es war das teilweise mobile Labor des Alchemisten und seiner Gehilfen. Der Kaiserliche betrat den breiten Eingang des Zeltes und wurde sofort von einer Wolke aus den verschiedensten Gerüchen begrüßt: In einem Moment wohlriechend rosig, im anderen Moment eine deftige Ladung an Gewürzen, dann wieder scharf und eigenartig unbeschreiblich. Und diesen an manchen Stellen besonders konzentrierten Dunst konnte man trotz des offenstehenden Ausgangs sogar sehen. Wie leicht durchsichtiger Nebel trieben aus den unterschiedlichsten komplizierten alchemistischen Apparaturen aufsteigende Schwaden durch das Innere der Behausung aus Stoff und trieben Stephanus je nach Konsistenz Tränen in die Augen, während sie zugleich auch das Licht im inneren des Zeltes dämpften. Er kämpfte sich durch die mit Gasen geschwängerte Luft bis zu einem mit Büchern zugepflasterten Tresen nicht weit von der offenen Pforte vor und nickte den dahinterstehenden Mann mit einem einzelnen kaum unterdrückten Huster zum Gruß an. Dieser nickte zurück und Lächelte sanft, während er damit begann seine majestätischen Schnurrhaare abzutasten und die vor alchemischen Gasen wimmelnde Luft tief und genussvoll einzuatmen. Der Alchemist – unverkennbar ein Khajiit – trug eine an den Rändern verzierte Robe aus tiefvioletter Seide. Eine dazugehörende Kapuze lag tief im Gesicht des Tiermenschen, so dass seine licht reflektierenden und bernsteinfarbenen Augen nur knapp darunter hervorlugten. Über den Händen trug er einfache an den Fingerspitzen leicht grünliche Handschuhe aus Leder, so dass sich sein braun, schwarz und weiß geschecktes Fell nur in seinem Gesicht entblößte. Während die Katze noch mehr von der trägen und unsauberen Luft um sie herum einsog begnügte sich Stephanus damit, diese in einem Versuch mit zweifelhaftem Ausgang von seinem Gesicht weg zu fächern. Dies quittierte der Khajiit mit einem belustigten Blick. Mit einem lauten und entzückten „Ahh!“ stieß der Alchemist schließlich die Luft wieder aus und schenkte dem Kaiserlichen nun seine vorerst ungeteilte Aufmerksamkeit. Stephanus konnte mit zusammengekniffenen Augen die Gehilfen des Khajiiten durch den Dunst hindurch im Zelt herumirren sehen, doch er schenkte den schemenhaften Bewegungen im Hintergrund kaum Beachtung.
    „Was führt den Menschen in mein Reich der Kolben, Kalzineröfen und Retorten? Plagt ihn wieder die Schlaflosigkeit, ja?“
    „Richtig. Ich brauche fünf Flaschen.“
    Stephanus dankte den Neun, dass Bodeado nicht ihr Alchemist war. Er hätte, wie es eben seine Art war, nur geredet und geredet, während der Kater vor ihm sehr schnell zum Punkt kam. Der Kaiserliche wollte schnell wieder aus dem Zelt raus, denn das Gemisch aus bunten Dämpfen fing langsam an in seiner Nase und – was noch viel schlimmer war – in seinen Lungen zu brennen. Dem Alchemisten waren wohl schon alle Geruchsnerven vor Ewigkeiten weggeätzt, so dachte sich Stephanus.
    „Kommt sofort. Legt schon das Geld hin. Fünfzig Septime.“
    Ohne weitere Umschweife verzog sich der Khajiit in die Tiefen des künstlichen Nebels. Als eine Art Luxusartikel mussten Stephanus' Nachtschlaftränke separat bezahlt werden, und der Kaiserliche leerte den Beutelinhalt ohne noch einmal die Münzen zu zählen auf eine freie Stelle auf dem Tresen. Er kaufte immer die gleiche Menge, und der Preis veränderte sich nicht, so dass er immer genau wusste, wie viele Septime er bei seinen Besuchen dabei haben musste. Im ersten Moment würde man bei den Preis, den Stephanus jedes mal aufs Neue zahlen musste an Wucher denken. Aber fünf Flaschen reichten durchaus für eineinhalb bis zwei Monate aus. Genug für lange Märsche ohne besondere Zwischenstopps, mit Ausnahme der Nachtruhe. Warum der Preis gleich blieb wusste Stephanus nicht zu beantworten. Wenn es um den Handel ging kannte er außer einigen Tricks beim gelegentlichen Feilschen eigentlich gar nichts. Der Alchemist könnte die Preise diktiert bekommen, oder er wollte von sich aus seinen Kunden entgegen kommen, was der Kaiserliche allerdings anzweifelte. Der Khajiit setzte immer eine freundliche Miene auf und erhob seine Stimme nur selten zum Fluchen oder zum Schreien, was aber eher eine Fassade war.
    Der Alchemist, dessen Namen Stephanus selbst über all die Jahre hinweg nie erfahren hatte, verteilte nun geschickt fünf mittelgroße Flaschen auf der hölzernen Auflagefläche und auf den Einbänden der achtlos darauf gestapelten Bücher.
    „So. Die Zahl der Münzen stimmt. Der Mensch weiß, wie man dosiert. Habt noch einen schönen Tag in der Sonne,“ beendete der Khajiit die Transaktion und verabschiedete sich auch damit.
    Stephanus erwiderte dies mit einem von einem Grunzen begleiteten Nicken, verstaute die röhrenförmigen Glasbehälter und machte sich daraufhin mit fast schon zugekniffenen und tränenden Augen fluchtartig zum Ausgang auf, bei jedem Schritt damit beschäftigt zu husten und ein Würgen zu unterdrücken. Seine letzte Mahlzeit wollte er noch drinnen behalten, aber sie schien nicht einer Meinung mit ihm zu sein.
    Er dankte still den Neun als er schlussendlich aus der Öffnung stolperte und den in der Luft gelösten Chemikalien entkam. Seine selbst unter den Augenlidern brennenden Augäpfel mussten sich erst wieder an das Tageslicht gewöhnen, aber die saubere Luft sog er mit einigem Abstand vom Alchemistenzelt mit den Händen auf die Knie gestützt gierig und tief ein. Ob ihn jemand so sah war ihm im Moment egal. Seine Gedanken klärten sich wieder, als sein Hirn wieder an kostbaren Sauerstoff kam. Die Gase waren ihm wortwörtlich zum Kopf gestiegen.
    „Das wäre schonmal überstanden,“ sagte er zu niemandem besonders als er sich wieder aufrichtete und sich daraufhin schon wieder auf den Weg machte. Im Lager gab es bestimmt noch Arbeit zu verrichten. Und wenn er keine Arbeit fand, konnte er immer noch an Übungskämpfen teilnehmen.
    Geändert von Kampfkatze2 (04.06.2014 um 01:04 Uhr)

  14. #14

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab

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    Es schien, als wären die Wolken in tiefste Traurigkeit und Trübsinn verfallen, derart heftig ließ die graue Masse am Himmel ihren Inhalt hinabgießen. Als dichte Schleier, die im Wind wogten, versperrten sie Vesa die Sicht auf ihre Umgebung, hüllten sie in Verschwommenheit und undeutliche Formen. Der Himmel selbst schien auf die Erde zu stürzen und entsprechend roch es auch. Nicht nur die kalte Feuchtigkeit des Regens, die wie eine Glocke über dem Land hing, nein, auch Fäulnis und Verwesung, als wäre die Welt bereits tot und löse sich auf. Die Kaiserliche schüttelte sich, als ihr der Geruch heftig in die Nase stieß, und bereute es sofort. Jede Faser ihres Leibes schien aufzuflammen als stünde sie in einem großen Feuer. Sie wollte schreien, doch erstarb ihr der Laut im Hals. Mehr als ein raues Krächzen brachte sie nicht hervor.
    Je länger sie völlig durchnässt im Regen lag, grobe, unbequeme Steine im Rücken, ohne dass sie sich zu bewegen vermochte, desto größer schienen die Regentropfen zu werden. Irgendwann dröhnte jeder einzelne Aufschlag durch ihren Kopf wie ein Hieb mit dem Hammer. Paralysiert im Schmerz blieb ihr nichts anderes übrig, als die Beben im Schädel zu ertragen, hoffend es würde aufhören zu regnen. Doch das tat es nicht und so schrumpfte sie in sich zusammen, ohne Kontrolle über ihren Leib, zusammengerollt wie ein Kleinkind. Die Hände auf die Ohren gepresst, als könnten sie so das Donnern aussperren. Es endete in größerer Enttäuschung und Wut darüber, dass es nicht funktionierte. Im Gegenteil, es schien vielmehr so, als hielten sie das Dröhnen davon ab, aus ihrem Haupt zu entweichen und verstärkten es noch mehr.
    Platsch, platsch, platsch. Jeder Tropfen weckte ein heißes Brennen, dass vom Hinterkopf aus um sich griff wie ein Waldbrand. Heiße Bahnen zogen sich von dort ausgehend über ihre Kopfhaut, brannten sich gleich flüssigem Eisen ein. Tiefes Grollen begleitete die brennenden Schmerzen, wurde lauter und umfing sie als Gewittersturm. Vibrierend fraß es sich Vesana hinein, jede noch so kleine Erschütterung ließ heiße Stiche durch ihren Schädel fahren bis sie sich schließlich fest in den Untergrund krallte und vor Schmerz stöhnend in den Boden biss. Krampfend bohrten sich ihre Finger durch die groben Steine unter ihr während sich der bitter-schmierige Geschmack von feuchtem Holz auf ihrer Zunge ausbreitete.
    Erst als sie das widerlich pelzige Gefühl im Mund spuckend versuchte loszuwerden und sowohl ihr eigenes Stöhnen, wie auch das Grollen gleichzeitig erstarben, wurde sie sich bewusst, dass letzteres nicht aus den Wolken zu ihr hinabgerollt kam, sondern sich ihrer eigenen Kehle entwunden hatte. Dem nicht genug, das Sonnenlicht schien zu sterben, wich einem milderen, schwächeren Schimmer, der flackerte und den Himmel in Schwärze verdunkelte. Die kontinuierlichen Regenschauer wichen einzelnen, schweren Tropfen, die ihr auf den brennenden Hinterkopf klatschten und jedes Mal ein Schwert durch ihr Haupt rammten. Unter ihr lag Vesas Bogen auf schwarzem, brüchigem Steinboden. Er schien als hätte jemand mit spitzen Zähnen in ihn hineingebissen.
    Mühsam stemmte sich die Kaiserliche hoch, unendlich kraftlos und zittrig, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Gerade so erkannte sie noch, wie die freigelassenen Finger, die aus ihren Handschuhen herausstanden, ihre Farbe von aschgrau zu einer menschlicheren Farbe änderten und sich die Fingernägel von, eben noch scharfe Klauen, zurückzogen und sich an den Fingerkuppen dunkel unterlaufen verkürzten. Tropfen rannen ihr durch das Haar auf die Wangen bis zu den Mundwinkeln und verbreiteten dort einen matten, bitteren Geschmack von Eisen. Auf allen Vieren hob sie die Rechte, schüttelnd als erfriere sie gerade, dabei besaß sie schlicht keine Kraft um mehr als sich selbst zu halten, und griff sich mit den schmutzverkrusteten Fingern ins Haar am Hinterkopf. Stöhnend und gleichzeitig grollend zog sie sie ruckartig zurück, als ihr ein neuerlicher Hammerschlag für einen Moment die Sehkraft schwinden und sie auf die rechte Schulter hinabsinken ließ. Knackend schoben sich augenblicklich wieder ihre Krallen und scharfen Eckzähne hervor.
    Hunger, Wut und Schmerz schwächten ihre menschliche Form und brachten das Biest zum Toben und doch schaffte es keiner Beiden die Oberhand zu gewinnen. Der Kampf schwächte sie zusätzlich und zwang sie dazu, liegen zu bleiben. Der Wolf spürte die Vollmonde während der Mensch sich nach Ruhe und Erholung sehnte, wissend, dass es hier unten ohnehin keine Beute zu holen gäbe und mit dem angeschlagen Fuß käme auch ihre Tierform nicht aus dem Loch.
    Übel, vom krampfenden Magen, der nach mehr verlangte als Brot und Fett, mit flammender Brust im Kampf zwischen Mensch und Tier und einem Kopf so schwer wie ein Amboss und ähnlich starken Schlägen ausgesetzt, lag die Kaiserliche am unteren Ende des Schutthaufens und krümmte sich. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, während ihr Tropfen von der Tunneldecke auf den Schädel schlugen und ihr Lebenssaft heiß aus einer kleinen Wunde am Hinterkopf auf die Steine sickerte. Salzige Tränen, so voll mit Frust, Wut und Schmerz, dass sie hätten töten können, brannten ihr in den Augen und ergossen sich über ihre schmutzige Haut.
    Wie lange war sie wohl bewusstlos gewesen? Ein paar Stunden? Minuten? Einen Tag? Vermutlich ersteres und doch hätte es ebenso gut Morgen oder Mittag, Abend oder noch dieselbe Nacht sein können.
    Noch immer mit ausgefahrenen Krallen und Eckzähnen nahm Vesa die Hände vom Gesicht und schaute hinauf zum oberen Ende des Steinhaufens. Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Träge, gleich einer Schildkröte, begann sie damit, sich die losen Steine hinaufzuschleifen. Ein mühsames Unterfangen, das sich derart lange hinzog, dass ebenso gut ein Tag vergehen mochte. Dennoch schaffte sie es nach oben und blieb so ausgelaugt wie selten zuvor bäuchlings liegen. Schnaufend hob sich ihr Brustkorb schwer, brannte als wäre er mit heißem Öl ausgegossen und gelegentlich glaubte sie die Rippen knacken zu hören, während das Biest versuchte auszubrechen aber augenscheinlich nicht genug Kraft zu besitzen schien.
    Vorsichtig, darauf bedachte nicht anzuecken, wandte die Kaiserliche nach schier ewigen Momenten den Kopf und versuchte aus dem Augenwinkel heraus in das Loch hinaufzuspähen. Noch immer erfüllte völlige Schwärze den senkrechten Tunnel. Doch an seinem Ende ließ sich etwas erkennen, mehr eine Ahnung denn etwas wirklich greifbares, das aussah wie erstes Tageslicht, das in morgendlicher Schwäche versuchte durch dichtes Astwerk zu dringen. Konnte es wirklich sein? Sollte es tatsächlich schon Morgen sein? Sie musste wirklich Stunden bewusstlos gewesen sein. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder entsetzt sein sollte. Doch der Wolf machte ihr die Entscheidung letztlich leicht, als er sie sich aufbäumen und wütend grollen ließ. Klauen weit ausgefahren und das Gebiss bereits verschoben hob sich ihr Oberkörper auf die Ellbogen gestemmt und der Kopf in den Nacken gelegt. Der Kraftakt erstarb bald, endete in einem kläglichen Wimmern und ließ die Kaiserliche in sich zusammenfallen wie ein Schluck Wasser.
    Dafür fiel ihr Blick nun dorthin, wo sie zuletzt den Waschbären gesehen hatte. Entsetzt weiteten sich ihre Augen und das Herz krampfte derart, dass sie sich mit der Hand gegen die Brust langte und die Finger fest in das Leder ihrer Jacke krallte. Unregelmäßig atmend musste sie sich zusammenreißen, um nicht sofort wieder ohnmächtig zu werden oder laut zu aufzuschreien. Sogar das Biest in ihrer Brust hielt inne. Noch immer zeichneten Fellfetzen und dunkle Blutflecken die Stelle, an der das Tier aufgeschlagen war. Einige der völlig zerschellten, winzigen Knochen lagen auch noch herum. Aber etwas ganz Entscheidendes hatte sich an der Aufschlagstelle verändert und allein der eine Gedanke vertrieb sämtliche Fähigkeit an irgendetwas anderes zu denken, als wäre ihr Kopf mit einem Mal mit Nebel gefüllt.
    Mit unsteten Augen schaute sie in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Trümmerhaufens hinab. Nichts. Zurück zur Stelle, wo der Waschbär gelandet war. Nichts. Vesana schloss die Lider, rieb kurz darüber und öffnete sie erneut. Nichts. Langsam, den rasselnden Atem zu beruhigen versuchend, schob sie sich zu ihrer Nachtstatt hinab und nahm sich ihre Laterne mit, die noch immer oben gestanden hatte und inzwischen gefährlich weit abgebrannt war. Ein letzter Blick, um sicher zu gehen, dass sie nicht völlig verrückt wurde. Nein, wurde sie nicht. Der geschundene Leib des Waschbären fehlte.



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    Geändert von Bahaar (19.07.2014 um 13:46 Uhr)

  15. #15

    Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths

    Sylaen richtete sich auf und warf einen weiteren Scheit ins Feuer. Er landete mit einem knistern auf seinen bereits verkohlten Artgenossen, wobei er ein wenig Asche aufwirbelte. Während der nach Kohle riechende Rauch zusammen mit einigen Funken in den ruhigen nächtlichen Himmel aufstieg, starrte Stephanus in die tanzenden Flammen und wunderte sich, ob es durch die Verworrenheiten des Schicksals dazu gekommen war, dass es sich bei dem frischen Holzscheit um einen von eben jenen handelte, die der Bretone heute Mittag fallen gelassen hatte. Wie war sein Name noch gleich gewesen? Delstian? Elstian? Er wusste es nicht mehr. Er hatte ihn über den Tag hinweg völlig vergessen. Stephanus und seine Gedanken waren durchgehend beschäftigt gewesen. Vom Training und von der Arbeit im Lager wehklagten seine mittlerweile müden Muskeln. Seine Waffen hatte er erneut geschärft, zudem hatte er bei den letzten Arbeiten an der lächerlichen Holzpalisade geholfen, die jetzt das Lager umspannte.
    Das meiste Holz wurde importiert, denn Reach war nicht für seine dichten und tiefen Wälder bekannt. Im Gegenteil. Neben vertrocknet aussehendem Gras und den stellenweise wachsenden Büschen gab es kaum erwähnenswerte Vegetation. Mit Ausnahme der vereinzelten Bäume. Die knorrigen dürren Pflanzen trugen kaum Blätter und schienen aus den unerbittlichen Felsen der Umgebung und allen Widrigkeiten des trockenen Klippenlandes zu trotz stur dem Himmel entgegen zu wachsen. Sie sahen uralt aus, verhärmt und verbogen. Sie waren starrköpfige, trotzige Greise, die es obgleich ihres Alters der erbarmungslosen Natur zeigen wollten, und sich auch noch fest vorgenommen hatten, die Berge selbst zu überdauern.
    Und während die Funken wie rote Glühwürmchen aufstiegen, musste Stephanus plötzlich an lang vergessene Abende denken, bei denen er ebenfalls vor einem Lagerfeuer gesessen hatte. Damals war er aber von anderen Leuten umgeben gewesen. Von vertrauteren Leuten, und vertrauenswürdigen. Unverhofft überrumpelten ihn Melancholie, Sehnsucht und Einsamkeit, als er an die in seinen Erinnerungen bereits verschwimmenden Gesichter seiner verflossenen Mitstreiter dachte und seine Gedanken sich auf Wanderschaft begaben.
    Als er die Augen schloss konnte er sie unter seinen Lidern deutlich am Feuer sitzen sehen, noch lebendig und glücklich miteinander lachend. Die Erinnerung schmerzte, und es fiel ihm schwer sich zusammenzureißen und vor den ihn in der Gegenwart umgebenden Zeitgenossen zu verbergen, was in ihm vorging.
    Ein Schemen an der Feuerstelle in seinem Kopf winkte ihm zu. Elberond, ein Bosmer, an einem Hitzschlag in der Alik'r Wüste gestorben, circa fünf Jahre nachdem Stephanus sich eingeschrieben hatte. Als das Kaiserreich 4Ä 175 Hammerfell als Provinz verstieß, wurden die Rothwardonen sehr misstrauisch allen Ausländern gegenüber, und die Söldner wurden nur für Ziele von sekundärer Bedeutung genutzt. Dies hinderte sie nicht, ihre angekauften Waffenträger wortwörtlich in die Wüste zu schicken. Ein Jahr nach Elberonds Tod hatten es die stolzen Einwohner Hammerfells schließlich fast im Alleingang geschafft, die Armeen des Aldmeri-Bundes vollständig zurückzuschlagen. Der Elf war einer seiner ersten und besten Freunde gewesen. Ungefähr im gleichen Alter, aufgeweckt, und entgegen allen Erwartungen ein miserabler Bogenschütze. Sie hatten sich die Strapazen der Kampfausbildung und der niederen Arbeiten der Rekruten geteilt, ihr Essen, ihre Geschichten, Witze und Philosophien. Er war wie ein Bruder für ihn gewesen. Sie mussten ihn am Ende zurücklassen. Die Sonne hatte gleichgültig und zerschmetternd auf sie herabgebrannt, und auf niemanden wurde während des Marsches Rücksicht genommen.
    Wer hinfiel und nicht mehr die Kraft fand von alleine wieder aufzustehen war tot.
    Neben ihm saß ein weiterer Kamerad aus seinen ersten Jahren: Der Ohrlose Oswald, ein Nord, der noch vor ihrer Begegnung beide Ohren an den Frost verloren hatte. Der trinkfesteste Mann, den Stephanus je gekannt hatte, mit dem Körperbau eines Bären und der geballten Kraft eines Erdrutsches. Für Stephanus war er ein Ersatzvater gewesen. Ein klobiger Prolet, der sich aber auch selbst Grenzen gesetzt hatte, und auch nicht so dumm war, wie er aussah. Der Nord hatte ihm vieles über den Nahkampf mit Schwert und Schild beigebracht. Seine Moral hatte Stephanus geformt. Im Scherz hatte Elberond einst gesagt, man könnte den Ausgang einer bevorstehenden Schlacht voraussagen, wenn man auf Oswalds kahlen Schädel spuckte und alles gut auf voller Fläche verteilte und dann lange genug in sein vom Kahlkopf reflektiertes Gesicht sah. Oswald war an der Grenze zwischen Morrowind und Schwarzmarsch bei einem Scharmützel gefallen, aber nicht bevor er womöglich übertriebenen Berichten zufolge zehn Argonier mit in den Tod gerissen hatte. Der Nord hatte eine Halskette aus Stahl getragen, rief sich Stephanus in Erinnerung. Eine Kette, die er selbst geschmiedet hatte.
    In seinem Kopf hörte er ihn wie damals brummen: „Sie her, Stephanus. Dinge die du selber machst, halten am besten. Wie diese Kette hier. Ich habe sie mit meinen eigenen verdammten Händen gefertigt. Sie ist nicht von weltlichem wert, nicht aus Gold, auch nicht aus Silber, aber bei Ysmir, ich kann dir garantieren, sie wird uns beide überdauern.“
    Trotz seiner Bemühungen war es Stephanus damals nicht vergönnt gewesen dieses Erinnerungsstück zu bergen.
    Dann waren da noch Dan-Za, Madril, Sorink, der grünhändige Malik und Viania Catraso. Aber die Liste der Namen ging immer weiter und verlor sich zum Teil in der trüben Tiefe des Vergessens. Mit Vielen von ihnen hatte Stephanus gute Erinnerungen, mit einigen hatte er sich nur das Zelt, den ein oder anderen Schlauch Wein und die Wärme des Feuers geteilt. Allein das galt unter manchen Umständen schon als Freundschaft. Seit fast schon 30 Jahren kamen und gingen die Gesichter. In seinem Beruf wurde man nur selten alt.
    Er lächelte dann doch gequält, als er sich vor allem an die Zeit mit Viania zurückerinnerte. Beim Gedanken an sie fühlte der Kaiserliche noch stärkere Sehnsucht in sich aufsteigen. Seine erste Liebe außerhalb der Kaiserstadt. Die Zeit mit ihr war unbeschreiblich gewesen, die besten Jahre seines damals jungen Lebens. Deutlich sah er ihre smaragdgrünen Augen und ihre freche, lebensfrohe Art. Diese Eigenschaften waren, neben ihren besonderen gemeinsamen Momenten, die einzigen Erinnerungen die er an sie noch hatte.
    „Du hast echt eine bemerkenswerte Fähigkeit, dich nur an die Augen deiner Mitmenschen zu erinnern,“ stellte der Kaiserliche selbstkritisch fest.
    Stephanus seufzte und fuhr sich durch den Bart. Die Zeit in der Oswald, Viana und Elberond noch lebten... Damals war er ein wahrer Schönling gewesen, doch dass war bevor er aufgehört hatte, sich zu rasieren, bevor er vom Krieg und den beschwerlichsten Umständen gezeichnet wurde (seine Nase tat ihm hin und wieder immer noch weh), und bevor die Spuren der Zeit sich geduldig und unaufhaltsam in sein Antlitz schlichen. Über die Jahre hinweg war er verbittert und zynisch geworden. Wie war es nur so weit mit ihm gekommen?
    „Nein, nicht zynischer,“ dementierte ein Teil von ihm. „Du bist nur weniger Dumm und Naiv als früher.“
    Er wurde jäh aus seinen Gedanken geschreckt, als Sylaen ihn leicht in die Seite stieß.
    „Schlaft nicht ein, alter Mann. Hrard kommt gleich und teilt die Wache ein.“
    Stephanus quittierte die Bemerkung der Elfe mit einem leisen Murren und nickte dann Cocius, dem anderen Kaiserlichen in der Gruppe zu, der ebenfalls unweit von ihm am Feuer saß. Nachdem er sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, sagte er:
    „Cocius, reich mir mal den Wein.“
    Der angesprochene Kaiserliche nahm noch einen letzten Schluck aus dem ledernen Behältnis und streckte seinen Arm dann mitsamt Weinschlauch Stephanus entgegen. Dieser griff sich den Lederbeutel, löste den an einem Seil befestigten Korken und setzte die nun freie Öffnung an seinen Lippen an, nicht ohne dem anderen Kaiserlichen ein dankbares Nicken entgegenzubringen. Er schloss die Augen als die süße Flüssigkeit in seinen Hals ran und ihn mit Wärme erfüllte. Das Feuer hielt zwar einen Teil seiner Vorderseite warm, aber jedes Stück seines Körpers, das Stephanus von den Flammen abwandte oder das zu weit weg lag wurde Opfer der nächtlichen Kälte und ihrer seltsam milden Umarmung. Dieser zwielichtige Zustand hatte einen eigenartigen Reiz. Der Kaiserliche zog es aber vor, sich vollständig in wohlige Wärme zu wiegen, wobei der Wein gut half.
    Grillen zirpten um sie herum und wetteiferten mit Bodeado, der irgendwo in der Nähe gedankenverloren an den Seiten seiner Harfe zupfte.
    Sylaen stellte unvermittelt eine Frage: „Hat jemand 'ne Ahnung, warum wir überhaupt hier sind? Ich meine, was läuft in Himmelsrand ab?“
    Niemand antwortete. Sie stieß Stephanus erneut an und stellte ihre Frage ein zweites Mal.
    Der Kaiserliche seufzte und rückte ein wenig von ihr weg. Er wollte von der Waldelfe wirklich nicht angefasst werden. Besser jetzt reden, dachte er dann, während er ganz diszipliniert seine aufkochende Wut unterdrückte.
    „Einfach,“ erwiderte er dann so gleichgültig, wie er nur konnte, „Ulfric Sturmmantel will den Thron von Himmelsrand und hat dafür den Hochkönig umgelegt. Das Kaiserreich hat das natürlich nicht einfach so hingenommen, und jetzt hat er einen Bürgerkrieg angestachelt.“
    Als Söldner behielt Stephanus seine Meinung für sich, aber das bedeutete nicht, dass er sich keine bildete. In seinen Augen war Ulfric nichts weiter als ein weiterer Adliger, der bei seinen Versuchen Macht zu gewinnen gescheitert war und nun einen zweiten Anlauf startete. Dass Sturmmantel dabei vorgab, allein für die Unabhängigkeit von Himmelsrand zu kämpfen, hielt der Kaiserliche für absolut verdammenswert. Wie viele arme Naivlinge würde er unter seinem Banner vereinen können? Stephanus verabscheute Menschen wie Ulfric, die andere manipulierten und ihre Ängste und Träume ausnutzten um dadurch an ihre eigenen Ziele zu kommen. Wenn es die Situation nicht unbedingt erforderte verbarg Stephanus seine Absichten nicht. Wollte er jemanden töten, dann versteckte er das nicht.
    „Aber wenn du ganz ehrlich bist,“ forschte eine nachdenkliche Stimme in seinem Kopf nach, „würdest du unter den gleichen Umständen nicht das selbe tun?“
    Ja. Ja, das würde er wohl.
    „Verdammter Narr,“ verbesserte er sich selbst im Nachhinein, „du bist keinen Deut besser.“
    Was war heute Abend los mit ihm? Über Dinge wie Moral und die Menschen aus seiner Vergangenheit hatte er lange nicht mehr nachgedacht.
    „Wie viele Leute hat er?“ erkundigte sich die Elfe weiter.
    Stephanus wusste, dass sie keine Angst vor einer Überzahl an Feinden hatte. Das Miststück wollte nur wissen, wie lange sie in der nordischen Provinz bleiben würden.
    „Hrard meint, er hat den ganzen Osten hinter sich.“
    „Den ganzen Osten?“
    „Ja,“ knurrte er.
    „Dann bleiben wir wohl ein Weilchen hier.“
    „Ja.“
    Sie verzog den Mund und blickte finster drein. „Ich mag's hier nicht. Himmelsrand ist zu kalt.“
    „Musst dich wärmer anziehen,“ brachte Cocius sich ins Gespräch ein.
    Stephanus wand sich von seiner Sitznachbarin ab und lehnte sich zurück, während Cocius und Sylaen die Unterhaltung weiterführten. Er wechselte normalerweise keine Worte mit ihr und erwiderte nur selten etwas, wenn sie ihn ansprach. Seine Miene verfinsterte sich, während er am Rande mitbekam, wie Cocius anfing, mit der blonden Waldelfe zu flirten. Dieser Idiot hatte ja keine Ahnung. Aber er wollte sich nicht die Mühe machen ihn vorzuwarnen. Nein, dass war jetzt nicht seine Angelegenheit. Sollte der andere Kaiserliche von alleine darauf kommen, wie psychotisch Sylaen sein konnte. Ihren Beinamen „Jungelfe“ hatte sie dadurch bekommen, dass sie einmal erwähnt hatte, dass sie mit ihren fünfzig Lebensjahren im Vergleich zu anderen Elfen recht Jung war. Im Augenblick hatte sie eine gute Phase, aber ihr Gemütszustand konnte sich drastisch von einen Moment auf den anderen ändern. Er verspürte Ekel bei der Erinnerung an eine ihrer neulichen Episoden. Er hatte sie bei einer Pause auf ihrem beschwerlichen Trip über die Grenze von Hochfels dabei erwischt, wie sie ihre krankhaften Zwänge an einem armen Hasen ausließ. Das Tier war offensichtlich paralysiert gewesen, denn unter normalen Umständen hätte es sich gewehrt und geschrien wie am Spieß, während seine Peinigerin ihm systematisch jeden einzelnen Knochen brach. Dabei hatte Slyaen die ganze Zeit über vor Verzückung gekichert, und Stephanus hatte an den Augen des Tieres gesehen, dass es bei vollem Bewusstsein war. Das stumme Leid und das perverse Gackern der Frau hatten in dem Kaiserlichen eine Mischung aus Wut und Ekel ausgelöst. Bis dahin hatte er zwar gewusst, dass sie geisteskrank war, aber ab diesem Augenblick war ihm bewusst, wie tief der gewalttätige Wahnsinn in ihr steckte. Als sie ihn letztlich doch bemerkte hatte sie ihn böse angefunkelt und ihm gesagt, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern. Er hatte es nicht gebraucht, ihr zu sagen, wie krank sie ihn machte. Sein Gesichtsausdruck allein hatte Bände gesprochen, und sie hatte zu genüge darin gelesen. Zu gerne hätte er sie in diesem Moment umgebracht, doch ein gefolterter Hase war leider keine ausreichende Berechtigung. Solange man der Kompanie Geld einbrachte und seine eigenen Leute nicht wegen jeder beliebigen Belanglosigkeit tötete, konnte man so viele Hasen malträtieren, wie man wollte. Er arbeitete nun mal mit Mördern zusammen. Berüchtigte Ex-Banditen, entlaufene Sträflinge, Vergewaltiger.
    „Wann werden denn jetzt die Wachen eingeteilt?“ fragte jemand unvermittelt.
    Wie auf ein geheimes Zeichen hin schälte sich von einen Moment auf den anderen Hrards Umriss in einigem Abstand auf der anderen Seite der Feuerstelle aus der Dunkelheit. Die knisternden Feuerzungen beleuchteten sein Gesicht, tauchten es in dunkles Orange und Gelb und ließen die Furchen in seinen harten Gesichtszügen noch tiefer als sonst erscheinen. Der kräftig gebaute Nord war frisch rasiert, und seine strohblonden Haare lagen zu dünnen Zöpfen geflochten auf der linken Seite seines Kopfes. Seine dunklen Augen gingen fast im Flimmern der über den Flammen erhitzen Luft und den Schatten in seinem ernsten Gesicht unter, und nur das sich in ihnen spiegelnde Feuer versicherte dem Betrachter, dass sich in Hrards Augenhöhlen tatsächlich Augäpfel befanden und nicht nur dunkle Leere. Stephanus korkte den Weinbeutel wieder zu und begrüßte den Neuankömmling dann mit einem Kopfnicken. Er respektierte den Mann.
    Alle Gesichter, die sich um das Feuer herum versammelt hatten, waren nun auf Hrard gerichtet und alle Gespräche zwischen ihnen waren verstummt.
    Ohne Umschweife erhob der Nord seine tiefe und etwas monoton klingende Stimme, während er seinen gespenstischen Blick über jeden einzelnen von ihnen wandern ließ:
    „Wir bewachen diese Nacht das östliche Ende des Lagers an der Straße. Levinius, Stahlzapfen, gro-Ogdum, Meum-Te. Ihr Vier habt bis Eins Wache. Bodeado, Jungelfe, Spurius, Bärenpelz, bis vier. Fleisch, gro-Golug, Jungeiche und ich bis Morgenappell. Ich stelle gleich die Sanduhren. Der Rest von euch kann heute Nacht ausschlafen.“
    Danach ging der Nord wieder seines Weges und verschwand im Schatten der Umgebung.
    Sofort regte sich die Meute um das Lagerfeuer herum wieder, als währen sie aus einer Kältestarre gebrochen und hätten sich an den Ofen erinnert, den sie zuhause angelassen hatten. Stephanus und die drei anderen Erstschichtler zogen sich auf ihre Beine und machten sich auf, um ihre Ausrüstung zu holen. Zuvor reichte der Kaiserliche aber den sich in seiner Hand leicht verformenden Schlauch an seine Kumpane zurück.
    Sie befanden sich in der Nähe der Stadt und außerhalb eines potenziellen Kriegsgebiets in relativer Sicherheit und konnten sich kurze Wachschichten leisten. Zusätzlich konnte Stephanus unter diesen Umständen auch seine Paranoia überwinden und er hatte für die vorhergegangene Arbeit seine Rüstung und sein Schwert beim Quartiermeister abgegeben. Seinen Dolch behielt er selbstverständlich immer bei sich.
    Reach war selbst im Ausland berüchtigt für seine unsicheren Straßen. Die „Abgeschworenen“, wie sie sich nannten, griffen Gerüchten zufolge jeden an, der das Pech hatte, in ihre nähe zu kommen oder in einen ihrer Hinterhalte zu geraten. Bis jetzt hatte die Kompanie aber keinen einzigen von ihnen zu Gesicht bekommen. Auf der Reise nach Himmelsrand erlitt ihr Trupp auch keine Nennenswerten Verluste, weder durch Banditen oder durch Unfälle. Stephanus konnte also mit weniger Streng verteilten Wachschichten leben. Er bevorzugte es auch in die erste Schicht eingeteilt zu werden, was Hrard bewusst war. Vielleicht wollte der Nord ihn für irgendwas belohnen, oder es war auch nur kompletter Zufall. Für das letztere Sprach, dass eine durchgeschlafene Nacht viel eher eine Belohnung gewesen wäre.

    Man hörte die Zeltgruppe der Schmiede bevor man sie sah: Selbst noch in der Nacht arbeiteten einige Schmiede unter der Leitung eines Meisters an ihren improvisierten Schmelzöfen und hämmerten an Ambossen auf metallene Rohlinge ein.
    Hier und da konnte man auch das quietschen und kratzen eines Schleifsteins hören. Gesellen besserten Rüstungen aus und reparierten Waffen und machten sie wieder kampfbereit. Sie stellten einfache Äxte, Kolben und Schwerter her, Hufeisen, Nägel, eiserne Heringe und dergleichen. Die Herstellung von Rüstungen war allein die Aufgabe des Meisterschmieds. Wie über dem Zelt des Alchemisten stieg hier Rauch auf, dieser blieb im Gegensatz zu der anderen Wolke aus Qualm naturbelassen. Der Geruch von Ruß und verbrannter Kohle erfüllte die Luft, eine rauchige Note, die Stephanus schon immer gefallen hatte, und hier war sie stärker noch als vergleichsweise der Duft, der im Wind von der Stadt bis ins Lager mitschwang. Die gesamte Ausrüstung war schwer zu transportieren, und sie wurde auch erst dann aufgebaut, wenn ein längerer Aufenthalt sicher war.
    Trotz des Lärms und der immer noch aktiven Arbeit schlief der große Teil der Handwerker bereits, in den meisten Öfen brannte die Glut einsam pulsierend vor sich hin und wartete darauf, wieder aufgeheizt zu werden und durch ihre künstlichen Lungen – die Blasebälge - neue Luft und damit neues Leben einzuatmen. Am Rand des kleinen Abschnitts im Lager befand sich eine Reihe von Baracken die als Waffenkammer herhalten mussten. Zwei Männer bewachten den Eingang, und im Innern trieb einer der Quartiermeister sein Unwesen: Ein magerer, kleiner und kahlköpfiger Bretone in einem speckigen, dunkelgelb gefärbten Lederwams. Stephanus kannte ihn beim Namen.
    „Maniel. Meine Sachen.“
    „Nachtwache?“
    „Ja.“
    Der Bretone nickte daraufhin, und ohne weiteren Wortwechsel pfiff der Mann dann nach seinen Assistenten, die faul im Halbschlaf zwischen Waffen- und Rüstungsständern hervorguckten und sofort um einiges wacher wurden, als der Quartiermeister sich vom Kaiserlichen wegdrehte und sie scharf Anschrie und ihnen einen schönen Urlaub in Oblivion selbst versprach, sollten sie sich nicht gefälligst in Bewegung setzten.
    Wie von Molag Bal verfolgt trugen sie in Windeseile Stephanus' Ausrüstung zusammen. Kurze Zeit später steckte er dann auch schon in seiner Rüstung und fühlte sich gleich viel wohler. Es war, als würde man an einem klammen kalten Tag einen Mantel überziehen, um sich vor dem frostigen Wind zu schützen. Oder als würde man bei strömenden Regen eine wasserfeste Kapuze aufsetzen. Doch noch wichtiger war ihm sein Schwert. Erst jetzt gestand er sich ein, wie nackt er sich ohne seine Waffe gefühlt hatte.
    Mit einem kindischen Lächeln hielt er die Klinge gegen eine Fackel in seiner Nähe und beobachtete, wie sich das Feuer darin spiegelte. Es war eine schöne Waffe. Für den größten Teil war die zweischneidige Klinge aus dunklem Stahl auf den ersten Blick schnurgerade und verjüngte sich nur allmählich, lief am Ende aber Ende unvermittelt zu einer dreieckigen Spitze zusammen, dem Ort. Die Hohlkehle des Schwertes hatte eine mattere Beschaffenheit, als zum Beispiel die wie ein Spiegel glänzende Schneide, und endete kurz vor der Fehlschärfe.
    Der Schwertknauf besaß die Form einer großen Münze und war aus Eisen gefertigt. Sein Gewicht gab Stephanus' Waffe mehr Balance, da es das Gewicht der Klinge ausglich. Zudem eine Parierstange aus Stahl. Viele seiner Mitstreiter besaßen Schwerter mit Parierstangen aus Messing, doch war dieses Metall einfacher zu bearbeiten, wies im Ausgleich aber eine geringere Haltbarkeit vor. Eine sich verformende – oder im schlimmsten Fall sogar zerbrechende – Parierstange konnte einem Schwertkämpfer schnell das Leben kosten.
    Und dann war da noch das Heft aus Hartholz, umwickelt mit dunkelbraunem Leder. Es lag gut und stabil in der Hand, und es bot gerade genug platz für zwei Hände. Dadurch konnte Stephanus das Schwert je nach Situation mit einer oder mit zwei Händen führen: Entweder mit einem Schild für zusätzlichen und vor allem beim Kampf gegen Bogenschützen entscheidenden Schutz, oder mit beiden Händen für zusätzliche Schlagkraft. Diese Waffe war geschmiedet, um gerüstete Gegner zu bekämpfen, genau was Stephanus brauchte. Zwar war sie beim Handgemenge in engen Bereichen durch ihre Länge weniger effektiv als kürzere Blankwaffen, aber in solchen Umständen fand der Kaiserliche sich nur selten wieder. Das offene Feld war sein übliches Kampfgebiet.
    Stephanus schob sein Schwert in die mit Fell gefütterte Scheide und befestigte sie auf der linken Seite seines Körpers an seinem Gürtel. Hiernach wünschte er Maniel und seinen faulen Lehrlingen eine gute Nacht und machte sich dann auf.

    Er war auf halben Wege zu seinem Posten, als Jemand Stephanus im gehen auf die Schulter klopfte, und er brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, um wen es sich handelte. Das Gewicht der großen Pranke zu spüren war schon genug, und nun gingen er und Soldin Stahlzapfen nebeneinander her. Unweit hinter sich konnte Stephanus noch die Schritte der anderen Männer hören, die ebenfalls der ersten Wache zugeteilt wurden, als der Wind zunahm und sich in ihren Haaren verfing. Hier und dort klatschten die Zeltplanen dumpf auf, wie Segel, die den Wind einfingen.
    „Na, Levinius? Wie gefällt Euch Himmelsrand?“ Mit einem herzlichen Lachen und einem vor Glück strahlenden Gesicht ließ Soldin von der Schulter des Kaiserlichen ab, und breitete stattdessen die Arme aus und deutete sie auf das das Land umgebende Gebirge. Masser und Secunda vermochten es an diesem Tag kaum die Nacht zu erhellen, so dass sich die Berge als gigantischer Schatten fast schon bedrohlich vor dem Sternenhimmel abzeichneten. Die Augen des Nord funkelten bei seiner Pose wie die eines Diebs, der es nach langen Strapazen endlich geschafft hatte, in ein Goldlager von unschätzbaren Ausmaßen zu gelangen.
    „Könnt Ihr es sehen? Es riechen? Einfach verdammt wunderbar wieder in der Heimat zu sein!“, brüllte er schon fast.
    „Alles was ich sehen kann ist Euer Großkopf, Stahlzapfen,“ erwiderte Stephanus trocken.
    „Wie meinen?“ Der massige Nordmann hielt inne und drehte sich zu ihm um.
    „Ja. Und je mehr ihr über Himmelsrand erzählt, desto mehr wächst er auch an.“
    Der Nord hatte der gesamten Mannschaft schon seit dem Moment an, an dem sie zur Grenze aufgebrochen waren, mit der glorreichen Heimat der Menschen auf Tamriel, Himmelsrand in den Ohren gelegen. Langsam reichte es.
    „Wenn Ihr nicht aufpasst, dann platzt er gleich.“
    „Vielleicht sollte ich Euren Kopf platzen lassen, kaiserlicher Hundesohn.“
    „Ach ja?“
    Stahlzapfen nickte mit einem finsteren Lächeln auf dem Gesicht: „Ja. Und wenn dann mein eigener Kopf platzt, muss ich wenigstens nicht Euren stinkenden Leichnam auf den Abfall schaffen.“
    Er zog sein Schwert. Stephanus ließ sich nicht lumpen und tat es ihm gleich. Eine Weile standen sie sich mit gezogenen Waffen gegenüber und starrten sich gegenseitig an, zwei Wölfe kurz vor dem Angriff. Der Kaiserliche konnte den Wahnsinn und die Mordlust in Soldin's Augen sehen. Eine fast zwei Meter hohe und erzürnte Ansammlung von Muskeln und Hass. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie sich gegenseitig an die Kehle gehen würden. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen, sein gesamter Körper war gespannt, Adrenalin raste durch seine Blutbahnen. Ihre anderen Mitstreiter hatten beide vollkommen aus ihren Gedanken verbannt, da diese nur stehenblieben und teilnahmslos hinsahen, ohne merkliche Absicht in den Konflikt einzugreifen.
    Plötzlich brüllte der Nord vor lachen und steckte sein Schwert weg. Alles war also nur ein neunverdammter Scherz gewesen. Ein kranker Streich.
    „Verrückter Schweinehund,“ fluchte der Kaiserliche mit einem falschen Lächeln auf den Lippen, sein Gesicht immer noch Soldin zugewannt.
    Dieser klopfte sich einmal auf den Oberschenkel und fasste sich dann langsam wieder, und nickte dem anderen Mann belustigt zu.
    „Ach, wenn ich Euch umbringen würde, Stephanus, dann hätte ich niemanden mehr zum töten!“ Damit ließ der Nord die Sache bei sich beruhen, und Levinius war froh über den plötzlichen Sinneswandel des Nords. Für einen Moment blieb er noch verdutzt stehen während Soldin bereits weiterging.
    Stephanus sah ihm im Gehen nach, als Meum-Te an ihm vorbeizog.
    „Sah kurz aus, als würde Nord dich töten,“ bemerkte der Argonier im Vorbeigehen in gebrochenem kaiserlich.
    Der Kaiserliche zuckte die Achseln. „Stahlzapfen ist eben verrückt. So was macht er manchmal.“
    Dadurch, dass er es als verkorkste Gewohnheit des Nords verkaufte, versuchte Stephanus sich nicht von der Echse anmerken zu lassen, dass der Nord ihn zumindest genauso sehr überraschte wie jeden Außenstehenden. Seine Nackenhaare waren immer noch aufgerichtet und sein Herz kehrte nur nach und nach zu seinem gewohnten, langsameren Rhythmus zurück. Er war schon bereit gewesen, vorzuschnellen und zuzustechen, bevor er die plötzliche Veränderung im Verhalten des Nordmannes gemerkt hatte. So leicht es auch gewesen war, ihn zu provozieren, so leicht hatte Stahlzapfen sich auch spontan entschieden, heute kein Blut zu vergießen.

    „Wenn ich's Euch doch sage! Der Typ hat die Wahrheit gesagt!“
    Stephanus stieß ein ungläubiges Lachen hervor und schüttelte den Kopf.
    „Der einzige Drache auf der Welt steht im Tempel des Einen, und ist zudem seit fast zweihundert Jahren versteinert.“
    Stahlzapfen funkelte den Kaiserlichen von der Seite an.
    „Ihr seit ein miesepetriger, skeptischer, verdammter Bastard, wisst Ihr das?“
    „Das ist durchaus begründet. Ihr müsst schon sehr Dämlich sein, wenn Ihr jeden Scheiß glaubt, den irgendein verängstigter Reisender erzählt.“
    Nun war es an Soldin den Kopf zu schütteln.
    „Ich sehe schon seit Jahrzehnten die Furcht in den Gesichtern Anderer. Der Typ hat sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Der hat uns nichts vorgespielt, um sich interessant zu machen.“
    Der Kaiserliche schnaufte.
    „Ich hab ja nicht gesagt, das er gelogen hat. Er hat durchaus geglaubt, er habe einen Drachen gesehen.“
    „Das hat er.“
    „Hat er nicht. Diese verflixten Leute vom Land sind schreckhaft wie sonst was. Da hat ihm wohl eine Wolke für eine Sekunde die Sonne verdunkelt und er ist in Panik verfallen.“
    „Wolken brennen keine Häuser nieder,“ erwiderte der Nord.
    „Der Penner ist wohl verängstigt losgelaufen und hat sich den Rest nur eingebildet. Erinnert Ihr Euch noch an den Werwolf von Wegrast?“
    Soldin nickte.
    „Und was war der am ende gewesen?“
    „Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel.“
    „Sehr wohl. Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel. Und die ganze verdammte Stadt hat mit ihren Gerüchten die Angst an die Spitze getrieben.“
    Stephanus fröstelte. Seit ungefähr einer Stunde Standen sie schon bei der Kontrollstelle am Wegesrand. Ganz in der Nähe hörte er gro-Ogdum husten, und Meum-Te als Rückmeldung darauf wütend auf Argonisch schnattern. Zu ihrem Glück hatte sich der Wind im Laufe der Nacht gelegt, aber während der Tag durch die Wärme der Sonne unglaublich heiß gewesen war, war die Nacht ohne die Sonne umso kälter. Dieser krasse Gegensatz zwischen Heiß und Kalt war Stephanus durchaus bekannt. Dieser Effekt war besonders in Wüsten zu spüren.
    Und der besagte Fremde war vor einigen Minuten an ihrem Posten vorbeigezogen, aber nicht, ohne ihnen hastig von dem angeblichen Drachenangriff auf der Straße vor ein paar Tagen zu erzählen.
    „Diesmal ist es aber anders,“ beharrte der Nord. „Brarek Jungeiche hat mir erzählt, wie er mit einem von der Stadtwache geredet hat, und der hat ihm auch von Drachen erzählt. Kennt Ihr Helgen? Niedergebrannt, von einem einzigen Drachen allein. Ulfric Sturmmantel war da, und General Tullius auch.“
    „Und wahrscheinlich auch noch der Kaiser selbst, während Sheogorath auf der Wiese nebenan Blümchen pflückte.“
    „Ach, halt doch einfach die Klappe. Die gesamte Stadt redet davon. Und auch jeder andere Reisende,“ ereiferte sich der Nord.
    „Gesamte Städte reden von einem Werwolf, der eigentlich nur ein Obdachloser ist.“
    „Ihr seit zu ungläubig.“
    „Ich bin zu vernünftig.“
    Stahlzapfen spuckte verächtlich aus.
    „Vergesst es einfach. Mit Euch zu reden hat keinen Sinn.“
    Einige Minuten später brach der Nord dann wieder die Stille.
    „Wie steht Ihr eigentlich zum Bürgerkrieg, Levinius?“
    Stephanus seufzte leise und zuckte dann die Achseln. „Ein Krieg wie jeder andere auch.“
    „Für welche Seite seit ihr?“
    „Macht doch keinen Unterschied, oder?“
    Eigentlich wollte er die Frage nicht beantworten... Aber, so überlegte er, selbst die unbedeutendste Konversation versicherte, dass er sich nicht allein mit seinen Gedanken an vergangene Zeiten wiederfand.
    Er wog den Kopf hin und her, ließ geschlagen die Schultern sinken und sagte dann: „Legion.“
    „War ja klar. Der Strahl möge dich treffen, Kaiserlicher Hundesohn.“
    „Ach?“ Stephanus drehte sich zu Soldin um. „Und Ihr seit also ein Anhänger des großen Freiheitskämpfers Ulfric?“
    „Himmelsrand sollte frei sein,“ erwiderte Stahlzapfen.
    „Euch ist aber schon bewusst, dass wir auf der Seite der Legion kämpfen, oder? Also gegen die Sturmmäntel.“
    „Ja ja, das weiß ich doch,“ stellte der Nord mit einer Wegwurfgeste klar.
    „Ich will nur sicher stellen, dass die Qualität ihrer Truppen gewahrt wird.“
    „Achso?“, wunderte sich Stephanus.
    „Ja! Und außerdem stelle ich auch sicher, dass jeder Sturmmantel seinen Platz in Sovngarde verdient, bevor ich ihn ins Jenseits befördere.“
    „Bravo,“ lachte der Kaiserliche, „die werden Euch für Euren Dienst bestimmt eine Statue in Windhelm stiften.“
    Soldin lachte nun auch. „Das will ich aber schwer hoffen. Das währ doch das Mindeste.“
    „Wenn Ulfric aber gewinnt,“ sagte Stephanus, nachdem sich das verhaltene Lachen wieder gelegt hatte, „und Himmelsrand unabhängig wird, wird die gesamte Provinz mit Sicherheit den Bach runtergehen.“
    Stahlzapfen warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Glaubt Ihr etwa, Nords können sich nicht selbst regieren?“
    „Darum geht es nicht,“ stellte der Kaiserliche klar, „aber nach dem Bürgerkrieg würden zwei Generationen Nords fast am Stück durch die Kriege gebeutelt sein. Erst der große Krieg, und dann diese Scheiße jetzt.“
    „Worauf wollt Ihr hinaus?“
    „Die verdammten Hochelfen, Stahlzapfen. Die werden danach hierherkommen und einfach alles überrollen. Und das Kaiserreich wird dagegen auch nichts mehr tun können. Und danach...“ Seine Miene verfinsterte sich. „Danach schnappen sich die gelbhäutigen Bastarde eine Provinz nach der anderen.“
    Soldin schwieg daraufhin nachdenklich, redete nach einer Pause aber doch weiter.
    „Nein. Nein, so ist es nicht. Seht, das Kaiserreich ist so gut wie zerschlagen.Ein sterbender Schatten seiner Selbst. Alles, was es für Himmelsrand noch bewirkt, ist, dass die Menschen hier Steuern an den Kaiser zahlen müssen, ob sie wollen oder nicht. Hohe Steuern, um Cyrodiil und Was-weiß-ich wieder fein herzurichten. Im Gegenzug werden unsere Religion und unsere ältesten Bräuche verboten, damit ihr Kaiserlichen diese lächerlichen Forderungen der Hochelfen einhalten könnt. Das Kaiserreich zieht Himmelsrand nur runter. Und sobald es frei ist, können wir Nords eine vernünftige Verteidigung gegen die Aldmer aufbauen. Außerdem...“ Der Nord räusperte sich. Sein Gesicht war gerötet, denn er hatte sich wirklich in das Thema rein gesteigert. So viel an einem Stück hatte Stephanus ihn noch nie reden gehört.
    „Außerdem, der große Krieg ist schon was her. Ja, es gibt hier und da noch einige Kriegsversehrte, aber die gibt es überall auf Tamriel, und sie machen auch keinen Großteil der Bevölkerung aus.“
    „Und wenn der Bürgerkrieg so weitergeht, verkrüppelt Ulfric auch noch die jungen Männer und Frauen seines Landes.“
    „Nicht, wenn das Kaiserreich die Unabhängigkeit akzeptieren würde,“ konterte der Nord.
    Beide Männer schüttelten sacht den Kopf während sie wieder nach Osten schauten und das Thema fürs erste beiseite legten. Dass Soldin desertieren und sich auf die Seite der Sturmmäntel schlagen würde bezweifelte Stephanus aber. Nein, der Nord liebte es zwar zu töten, aber auch er hatte seine Prinzipien.
    Außerdem wusste jeder, was Ganlydyn Menarven mit Deserteuren anstellte.
    Stephanus zog seinen Mantel enger um sich, denn nicht nur seine Gedanken, sondern auch der wieder aufkommende Wind sorgten dafür, dass ihm unangenehm kalt wurde.
    Geändert von Kampfkatze2 (24.06.2016 um 00:04 Uhr)

  16. #16

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab

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    Zusammengerollt wie ein neugeborenes Kind in den Armen seiner Mutter lag Vesana auf ihrer Nachstatt, die Lider fest zusammengekniffen und in jeder Hand einen ihrer Dolche. Die Ohren gespitzt versuchte sie Geräusche aus ihrer Umgebung aufzunehmen, hoffen, dass es nichts zu hören gab. Doch anstatt die Stille als beruhigend zu empfinden, begann ihr Herz nur noch mehr zu springen und die Lungen nur umso heftiger zu brennen. Sie musste einen anderen Weg finden sich abzulenken. Zu liegen und zu warten würde früher oder später wohl ihren nervlichen Tod bedeuten. Wo war nur ihre Stärke hin? Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand, den Tornister als Polster verwendend. War sie mit dem Sturz und ihrer Verletzung verflogen? An sich handelte es sich nicht um eine völlig neue Situation. Verletzungen hatte sie viele erlitten, einige noch weit schwerer als die jetzige. Allein war sie früher auch schon oft gewesen und dennoch machte es ihr gewöhnlich nichts, oder wenigstens nicht viel, aus.
    Die Kaiserliche schob es schließlich auf ihre Umgebung. In einem stinkenden Loch befand sie sich immerhin zum ersten Mal. Keine Erfahrung, die sie zu wiederholen wünschte, sollte sie hier herauskommen. Aber vielleicht belog sie sich auch selbst, wenn sie es so einfach abtat, und das anschwellende Zittern in ihren Fingern und der Unterlippe schien eine direkte Strafe dessen zu sein. Vielleicht handelte es sich um einen Test? Obwohl sie Situation selbst für Hircine ausgesprochen grausam und völlig untypisch schien. Nein, es lag einzig an ihr und die Tatsache, dass sie nicht wusste, warum ihr ihre Lage eine derart große Angst einjagte, verschlimmerte es nur noch.
    Wie Wasser am Bug eines Schiffes zerstoben ihre Gedanken, als die Jägerin kleine Steine rieseln hörte. Kaum mehr als ein Flüstern, aber doch deutlich über das schwache Rauschen des Blutes in ihren Ohren vernehmbar. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und gefror zu Eis. Kaltes Wasser schien ihr den Rücken hinabzurinnen, doch vermochte sich ihr Leib nicht zu schütteln, zu verkrampft spannten sich ihre kraftlosen Muskeln. Kurz brach das Rasseln der Steinchen ab, dann ertönte es erneut und lauter, als schob sich etwas auf allen Vieren die andere Seite des Trümmerhaufens hinauf. Reflexartig deckte Vesa die flackernde Laterne mit dem unteren Ende ihrer Schlafunterlage ab und löschte sie das Licht. Die schlanken, schmutzverkrusteten Finger griffen fester um die Dolche. Mit verschränkten Armen wiesen die langen, scharfen Klingen von ihr wie die Stacheln eines Igels.
    Abermals endete das klickende, rasselnde Rauschen der Steine. Es wich einem leisen, haarsträubend-widerlichen Knacken, als brächen Knochen in einem winzigen Leib. Feucht, schmierig, schmatzend. Scharf sog sie die Luft ein, als ihre Lungen danach zu ächzen begannen. Zu lange hatte sie ihr Atmen zu unterdrücken versucht. Beinahe verschluckte sie sich daran und das glucksende Aufbäumen ihres Überköpers hallte plötzlich derart laut durch den Tunnel, dass ihr das Blut vor Schreck in den Adern gefror. Das Schmatzen auf der anderen Seite der eingestürzten Tunneldecke endete abrupt und die Kaiserliche biss sich in den Ärmel ihrer Jacke um weitere Geräusche ihrerseits zu unterbinden. Doch es war zu spät. Anstatt des feuchten Knackens vernahm Vesana nun wieder das Rauschen kleiner Steine, lediglich weitaus aggressiver und intensiver als zu vor.
    Gebannt und in völliger Starre, hoffend was auch immer dort den Trümmerhaufen erklomm, würde sie im Dunkel nicht erkennen, hielt sie still. Schwaches Licht drang inzwischen bis auf die Kuppe hinab und kleidete sie in gespenstig surreales Grau. Sie fühlte sich beinahe farbenblind, derart tonlos wirkten die Steine und das Erdreich, dass sie von ihrer Position aus zu erkennen vermochte. Wäre es nicht für die zwei plötzlich auftauchenden, eisblau leuchtenden Lichtpunkte gewesen, die in kalter Mordlust funkelten. Abermals hielt die Jägerin die Luft an, doch schien es nutzlos. Die Kreatur, die dort oben über die Trümmer gekrochen kam, musste sie bemerkt haben, denn nur kurz hielt sie inne. Dann setze sie ihren Weg kriechend fort und kam näher.
    Instinkthaft zog Vesa die Schlafunterlage von der Laterne und eben noch an die Dunkelheit gewöhnt, flutete ihr warmes Licht plötzlich durch den Tunnel. Ein Stöhnen, das ein Kreischen hätte sein sollen, entwand sich der Kehle der spindeldürren, grauen Kreatur, die nur Haut, Sehnen und Knochen war, Fleisch und Lebhaftigkeit jedoch vermissen ließ. Das Licht, das nach kurzer Gewöhnung zu seiner gewöhnlichen Schwäche zurückkehrte schien dieses tot aussehende Monstrum zu blenden und es fluchte unaufhörlich. Schleifend wie ein Schwert am Stein klangen seine Laute, als es sich über die groben Felsen der alten Tunneldecke wand. Fellfetzen und blutige Sehnen hingen ihm aus dem unmenschlich weit aufgerissenen Mund und zwischen den schwarzen, verfaulten Zahnstummeln. Die Kaiserliche stemmte sich in die Höhe und nutzte sie die Paralyse des offenkundigen Untoten, dessen Haut die Farbe der Wände besaß.
    Während sie an die Wand gestützt hinter ihre Laterne stolperte, nahm sie sich noch ihren Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Schief, den verletzten Fuß kaum belastend und vom im Bauch wild um sich schlagenden Hunger gekrümmt wartete sie ab. Das Kreischen der Kreatur riss nicht ab, es schmerzte ihr in den Ohren und schien unendlich weit durch den Tunnel hinter ihr zu hallen. Sie schüttelte sich und versuchte das Gefühl loszuwerden, dass es ihr in den Kopf zu kriechen versuchte. Benommen schüttelte sie das Haupt und spannte ihren Bogen. Mühsam beherrschte sie das Zittern, das ein genaues Zielen zu verhindern suchte.
    Der Untote schien mittlerweile weniger vom Licht abgehalten, als noch zu Beginn, und kroch weiter. Erst jetzt fiel Vesana auf, dass er keine Beine mehr besaß. Ab den Knien fehlten die Knochen. Die faulige Haut hing in Fetzen unter einer kurzen, abgerissenen Lederhose hervor. Helle Sehnen verfingen sich hin und wieder zwischen größeren Steinbrocken. Genervt wirkend zerrte dann das Biest daran und versuchte mit widernatürlicher Kraft sich zu befreien. Der Anblick drehte ihr den Magen um und vertrieb die Luft in den Lungen. Ihre schüttelnden Finger wollten nicht mehr wie sie. Notgedrungen musste sie die Waffe in ihren Händen sinken lassen, um den Pfeil nicht zu verschwenden, denn die Köcher befanden sich noch neben ihrem Felleisen. »Scheiße!«, zischte sie leise und strich sich den kalt ausbrechenden Schweiß aus dem Gesicht.
    Von dem von ihr ausgehenden Geräusch angespornt, krabbelte der faulige Torso weiter auf sie zu und erreichte inzwischen den Fuß des Trümmerhaufens. Ohne es beeinflussen zu können wich Vesa weiter ins Dunkel hinter ihr zurück, entfernte sich so von der Laterne und dem Untoten, dessen leuchtende, blaue Augen sie unentwegt anstarrten als könnten sie die Kaiserliche bereits schmecken. Hinter sich zog er eine frisch feuchte, dunkle Spur her, die gelegentlich kleinere Klümpchen und Brocken, manchmal im Kerzenschein rot schimmernde Splitter von Knochen unterbrachen. Die Reste des Waschbären zweifelsohne, die ihm aus den vergammelten Innereien fielen. Der Anblick und der ihn begleitende, süß-saure, ätzende Geruch von jahrhundertealtem Fleisch und Gewebe zwangen Vesana in die Knie. Kraftlos sanken ihre Hände und verkrallten sich im Stoff über dem pumpenden Bauch. Säure stieg ihr von Innen in die Nase, brannte in den Schleimhäuten und setzte sich auf die Zunge wie ein Pelz. Schon im nächsten Moment, noch bevor sie überhaupt zu realisieren vermochte, was ihr widerfuhr, krampfte ihr Magen und trieb ihr seinen blanken Saft durch den Hals zum Mund hinaus. Tränen traten ihr in die Augen und ließen die in Übelkeit ohnehin schon eingeschränkte Sicht weiter zerfließen.
    Blind tastete ihre Rechte nach dem fallen gelassenen Bogen und als sie das Holz mit dem noch immer an der Sehne hängenden Pfeil fand, zog sie sich unaufhörlich würgend weiter zurück, um Abstand zu dem Kriecher zu gewinnen. Mühsam stand sie erneut auf und wischte sich einzelne Tropfen ihres Erbrochenen von der Unterlippe bevor sie ihre Waffe abermals spannte und derart stark zitterte, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste, um wenigstens einen Arm davon abzubringen. Nur noch wenige Schrittlängen trennten sie von der Kreatur. Es musste jetzt oder nie geschehen. Vesa zog noch einmal an und ließ dann das Geschoss surrend von der Sehne schnellen. Es traf die Kreatur in die Schulter nahe dem Hals und provozierte ein ächzendes, gedehntes Zischen mit weitaufgerissenem, schwarzem Mund. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich tonlos als der Untote nochmals aggressiver weiter auf sie zugekrochen kam.
    Im blanken Entsetzen, das sich als eiskalte Faust um ihr Herz schloss und ihr die Eingeweide durcheinanderwirbelte, ließ die Kaiserliche den Bogen fallen und griff nach den zwei Dolchen am Gürtel, die sie zuvor dort hektisch deponiert hatte. Zitternd warf sie den ersten nach dem Monstrum, verfehlte ihn aber als ein neuerlicher Würgeanfall sie zu schütteln begann. Klirrend polterte die Waffe durch den Lichtkegel der Laterne und blieb nahe ihrer Nachtstatt liegen. Mühsam versuchte sie den starken Reflex zu unterdrücken, schaffte es aber nur ansatzweise. Die zweite Klinge surrte in einem besonders ruhigen Moment ebenfalls durch die Luft und traf das beinlose Biest in den Hals. »Verrecke Du Miestvieh!«, schrie sie ihm entgegen, als es noch immer nicht stillhielt und verausgabe so die brennenden Lungen nur noch mehr. Das Herz pochte ihr bis zum Hals und erfolglos versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen.
    Als letztes Resort zog sie ihr Schwert aus der Scheide und hielt die Klinge zitternd mit beiden Händen fest. Der silberveredelte Stahl schimmerte im schwachen Licht, funkelte regelrecht lüstern, und wirkte doch schwach während er vibrierte wie eine angeschlagene Triangel. Der Untote streckte ihr inzwischen die abgemagerten, gammligen Finger seiner Rechten entgegen und versuchte sie mit seinen eingerissenen, zerfurchten Fingernägeln zu kratzen. Gerade noch rechtzeitig wich sie aus und schlug mit dem Schwert zu. Mühelos durchdrang die scharfe Schneide die über die Jahre im Grab brüchig gewordenen Knochen des Unterarms. Stumpf schlug die abgetrennte Hand auf dem feuchten, schmierigen Steinboden auf und entriss der Kreatur abermals ein schleifendes Kreischen.
    Den verstümmelten Arm zurückziehend reckte es ihr nun unbeirrt die andere Hand entgegen. Die zu Klauen gekrümmten Finger hieben überraschend schnell nach Vesa. Mühevoll entging sie dem zweiten Angriff unversehrt. Durch all den Ekel und das Entsetzen, ja sogar vorbei an der Angst, die sie innerlich gefrieren ließ, quoll so etwas wie Wut in ihr auf. Es war nicht ihre, da fühlte sie sich sicher, aber die des Biestes. Zornig grollend schlug sie dem Untoten in dessen dritten Angriff auch die verbliebene Hand vom Leib. Diesmal blieb es aber nicht dabei. Tränenblind folgten weitere Schläge während denen sie sowohl den Torso, als auch die restlichen Armstummel und den Kopf traf. »Verrecke – Du – dreckiges – räudiges – stinkendes – scheiß – Vieh!« Ihr Widersacher kam nicht einmal mehr zum Stöhnen oder Zischen als sie ihn mit der Klinge malträtierte. Irgendwann ging die Jägerin kraftlos auf die Knie und stach auf den matschigen Haufen aus Knochen und Haut ein bis sie schließlich einfach umfiel und ihr der lederummantelte Griff ihrer Waffe aus den Fingern glitt. Auf den Resten der Arme und zwischen einigen haarträchtigen Fetzen der fauligen Kopfhaut blieb sie liegen, würgend, angewidert, und sich noch weitaus dreckiger fühlend als zuvor. Der bittere Duft des Todes zwang ihr neuerlich die Säure aus dem Magen. Hustend, spuckend und nach Luft ringend zuckte sie vor und zurück, blieb jedoch in dem liegen, was von dem Untoten nach ihrer blinden Hackorgie übrig blieb. Die erdbebenhaft zitternden Hände schlug sie vor das Gesicht und begann noch während sie sich erbrach zu weinen.



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    Geändert von Bahaar (26.07.2014 um 11:13 Uhr)

  17. #17

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab

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    Die Augen fest auf den in Stücke gehauenen, grauen Leib einige Schrittlängen von ihr entfernt gerichtet, schien das allmählich ungenießbar fest werdende Brot in ihrer Hand beim Kauen nur mehr und nicht weniger zu werden, egal wie oft sie auch schluckte. In Angst, es könne ihr jeden Augenblick wieder hochkommen, verging ihr jeder Rest an Appetit, ganz gleich wie sehr ihr leerer Magen auch knurrte und danach verlangte, gefüllt zu werden. Dazu hing der widerwärtige Gestank des faulenden Leichnams in der Luft wie dicker Nebel an einem Frühlingsmorgen. Beinahe unerträglich verbiss er sich in Vesas Nase, verspottete sie in ihrer Schwäche und umfing sie als fanatischer Liebender, der sonst nichts an sie heranlassen wollte. Lustlos biss sie in den Brotlaib und anschließend den Hartkäse in der anderen Hand. Kleine Stückchen und doch bröselte es ihr über die Lippen aus dem Mund als sie geistesabwesend kaute.
    Hautreste und gammeliges Sekret klebten ihr überall an den Händen und der Brust, sogar im Gesicht hingen noch einige Fetzen. Für einen Beobachter musste sie zweifelsfrei nicht weniger abstoßend wirken als die Kreatur, die sie erschlagen hatte. Ohne sich von dem Untoten abzuwenden verstaute die Kaiserliche letztlich die Überbleibsel ihrer spärlichen Mahlzeit in einem Lederbeutel und anschließend in ihrem Felleisen. Weder fühlte sie sich gesättigt, noch in irgendeiner Weise gestärkt – im Gegenteil. Das Essen wog schwer wie Blei im Magen, fühlte sich nicht richtig an und nur mühevoll unterdrückte sie den Würgreflex, der sie anhaltend peinigte. Vereinzelte Tränen, ob aus Wut oder Verzweiflung wusste sie nicht zu sagen, rannen über ihre Wangen. Ihre Lippen erreichten sie jedoch nicht, blieben sie doch vorher vom Schmutz aufgesogen einfach unterwegs stecken.
    Träge hievte sich Vesana mit Hilfe der nahen Wand auf die Füße hoch, verstaute den Dolch, der zuvor sein Ziel verfehlt hatte, am Gürtel und näherte sich im Anschluss der zerfledderten Leiche. Widerwillig zwar, ihre Beine wurden mit jedem Schritt wackeliger, aber sie zwang sich dennoch näher an ihn heran. Vom Anblick und dem intensiven, bitter-süßen Geruch abgestoßen hob sie den linken Arm und presste Nase und Mund in die Kehle des Ellbogens. Immerhin im Ansatz milderte der starke Geruch des an dieser Stelle nicht mit dem Sekret und Fetzen des Wiedergängers besudelten Leders den Gestank. Zunächst riss sie ihren zweiten Dolch aus dem Hals. Schmatzend löste er sich heraus, die klebrigen Hautränder der von ihm geschlagenen Wunde wollten ihn nur widerstrebend hergeben. Die Jägerin wiederholte es mit dem in der Schulter steckenden Pfeil und warf ihn kurzerhand zu den am Tornister deponierten Köchern hinüber. Den Bogen legte sie sich um die Schultern und zuletzt riss sie ihr Schwert begleitet von gänsehauterregendem Knacken aus den zertrümmerten Rippen heraus.
    Für einen Moment blieb sie über dem Leib stehen und betrachtete ihn von oben herab. Das kalte, helle Blau seiner Augen war erstorben, dunkle, nachtschwarze Höhlen blieben dort zurück, die nicht minder furchteinflößend wirkten. Ein kalter Schauer lief ihr bei dem Anblick von der Schädelbasis bis hinab zum Steiß. Das folgende, heftige Zittern versuchte sie gar nicht erst zu unterdrücken. In dessen Zuge nahm sie auch den Arm vom Gesicht und bereute es noch im selben Augenblick. Als mächtige Keule prügelte der bestialische Gestank auf sie ein und trieb ihr die Tränen in die Augen. Nur verschwommen fiel Vesas Blick dabei auf etwas am ranzigen Gürtel der Kreatur. Ein kurzer Holzschafft, in etwa passend zu einem Stiehl einer Streitaxt, hing dort. Nur dass ihm das Axtblatt fehlte und an dessen Statt lediglich eine rostige, eiserne Kappe auf dem dunklen, vermoderten Holz saß. Das Gesicht abwendend, kniete sie sich so weit vom Kadaver weg wie möglich neben diesen. Die Finger ausgestreckt tastete sie im toten Winkel ihres Blickfeldes nach dem, das früher vielleicht einmal ein einfacher Streitkolben gewesen sein mochte und bekam es schließlich auch zu fassen. Erst leicht, dann stärker riss sie an ihm herum bis er sich schließlich knirschend und schmatzend aus dem verrosteten Eisenring und dem um ihn geschlungenen Stoff der Hose löste. Mit Feuchtigkeit vollgesogen wog er schwer in den Händen der Kaiserlichen, als sie ihn wendete und betrachtete.
    Unschlüssig drehte sie die alte, stumpfe Waffe hin und her, brach gelegentlich einige dünne Rostplatten vom alten Eisen und ließ ihn folgend weiter rotieren. Von einem Seufzer begleitet, der ebenso gut in einem neuerlichen Brechanfall hätte enden können, wandte Vesa schließlich noch einmal den Blick auf die zerfledderte Leiche. Was früher einmal ein Mann gewesen sein konnte – die übrig gebliebenen Haare im unteren Teil des abgemagerten, knöchernen Gesichtes deuteten darauf hin – sah nun nicht anders aus als fauliges, verschimmeltes Obst, auf dem jemand herumgetrampelt war. Stofffetzen eines alten Hemdes und was aussah wie alte Bandagen umspannten den Oberkörper. Im flackernden Schein der sterbenden Laterne schillerten sie seltsam anmutend in bunten, violettstichigen Farbnuancen über dem allgemeinen Braun ihrer ranzigen, uralten Erscheinung. Das ölige Schimmern des Stoffes mochte so gut von alten Ölen zur Salbung wie von fettigen Ausdünstungen des toten Körpers stammen.
    Mit Ausnahme des Streitkolbens in ihrer Hand, entdeckte Vesana sonst nichts Verwertbares am Leib des Toten. Gerade wollte sie sich abwenden und zu ihren Sachen hinken, da kam ihr aber eine Idee. Kurzerhand riss sie so viele lose Stoffbahnen von der Leiche, wie sie zu fassen bekam ohne mit dem grauen Gewebe von Haut und Knochen in Berührung zu kommen. Schmierig fühlte sich das alte Leinen an. Es roch ebenso bestialisch wie der Wiedergänger, einige seiner Reste hingen am Stoff. Dennoch wickelte sie diesen um das eisenbesetze Ende des Knüppels in ihrer Hand und kehrte im Anschluss zu ihrer Nachtstatt zurück, wo von der dicken Kerze in der Laterne kaum mehr als ein Stummel übrig war. Schnell hielt die Jägerin ihre letzte Hoffnung auf fortwährendes Licht in die kleine Flamme. Rauchend und rußend fing der Stoff Feuer. Fast schon widerwillig züngelten die gelben Lohen um den schlanken Kopf des Streitkolbens, an ihrer Basis schimmerten sie giftig grün. Beißender Qualm ging von den immer greller werdenden Feuerzungen aus und verteilte sich im Tunnel. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Horn übertünchte sogar zeitweilig den des fauligen Kadavers bis schließlich der komplette Stoffummantelte Teil ihrer improvisierten Fackel lichterloh brannte und allmählich nur noch von den aufgesaugten Fetten und Ölen zehrte, die menschlichen Überreste völlig verschlungen.
    Weit heller als es die Kerze selbst zu ihren besten Zeiten nicht vermochte leuchtete die schwere Fackel ihre Umgebung aus, offenbarte jedoch nicht viel mehr. Zu lang reichte der Tunnel unter der Erde gerade aus und so verlor sich auch ihr neues Licht nur allzu früh im ewigen Dunkel. »Verdammte Scheiße«, zischte Vesa. In Anbetracht dessen, dass sie wohl wenigstens noch einen kompletten Tag hier unten ausharren musste, kam ihr die Weitläufigkeit des zugänglichen Teils des Hügelgrabes ausgesprochen ungelegen. Wollte sie sich überhaupt auch nur ansatzweise so etwas wie sicher in ihrem provisorischen Lager fühlen, würde kein Weg daran vorbeiführen dem Tunnel wenigstens ein Stück weit zu folgen, um zu sehen, wo er hinführte. Andererseits mochte es das seit dem Angriff des Wiedergängers anhaltende, beklemmende Gefühl beobachtet zu werden, womöglich sogar noch verstärken. Den Gedanken daran schob sie schnellstens beiseite. Lieber lief sie umher, als noch länger auf dem Präsentierteller zu sitzen und nichts zu tun außer zu warten. Warten und mit sich selbst zu kämpfen schien ihr jedenfalls in Anbetracht der fortwährenden Übelkeit, die sich wie ein Parasit in ihrem Magen festsetzte, und dem Gestank die schlechtere Handlungsoption.
    Bevor sich die Kaiserliche umentscheiden konnte, suchte sie ihre Sachen und humpelte los. Mit Bogen und Köcher auf dem Rücken, zwei Dolchen am Gürtel und dem besudelten Schwert in der Rechten arbeitete sie sich an der Wand entlang. An dem Toten vorbei, nicht über den Trümmerhaufen in die Richtung aus der er gekommen war. Lieber kundschaftete sie einen möglichen Rückzugsweg aus, falls noch ein paar seiner Freunde vorbeikämen. Ihren angeschlagenen Fuß noch immer nicht mehr als unbedingt nötig belastend kam Vesana zwar nur langsam voran, aber wenigstens entfernte sie sich allmählich aus dem nach süßer Fäulnis riechenden Abschnitt des Tunnels.
    Dünne und dicke Wurzeln, manches Mal ein ganzer Vorhang feinsten Wurzelgeflechts, durchbrachen die schwarzen Steinwände, den Boden und sogar die Decke über ihr. Es glich einem Wunder, dass hiervon noch nichts eingestürzt war. Sie begrenzten aber auch die Reichweite des Lichts ihrer Fackel. Zittrig hielt die Jägerin diese umklammert, der kalte Schweiß ließ ihre Hände glitschig werden und sogar um den sonst rutschfesten Griff ihrer Klingenwaffe musste sie nachgreifen. Jeder Schritt, der sie weiter von ihrem Lager fortbrachte, ließ ihr Herz wilder schlagen, als wollte es ihr sagen, dass es Zeit zum Umkehren war. Wohl öfter als nach vorn, schaute sie über die Schulter zurück, stets mit dem unguten Gefühl im Nacken, dass sie verfolgt wurde. Dennoch setzte sie ihren Weg fort, wenngleich ihr die Knie weich zu werden drohten und sie häufiger innehalten musste, um durchzuatmen.
    Irgendwann, es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit, konnte aber ebenso gut lediglich eine halbe Stunde oder weniger gewesen sein, schälte sich vor ihr etwas aus der Finsternis, das ihr gar nicht behagte und der Monotonie des Tunnels ein Ende setzte. Unruhig verkrampfte ihr Magen und die verspannten Muskeln der Schultern sowie im Nacken jagten ihr unangenehme Stiche in den ohnehin dumpf pochenden Kopf. Die Wunde am Hinterkopf blutete zwar nicht mehr, aber Vesa spürte sie noch immer als brennende Erinnerung an ihren Sturz. Unregelmäßig ging ihre Atmung, als sie schließlich an der Weggabelung ankam. Einer gerade aus, ein weiterer führte leicht ansteigend nach links, der andere etwas abschüssig nach rechts. Jeder von ihnen nicht heller als die übrigen. »Scheiße.« Mit dem linken Ärmel wischte sie sich über das schweißgetränkte Gesicht und schloss einen Moment die Augen. Umkehren und die andere Richtung erkunden? Einem der Wege hier weiter folgen? Oder doch in ihrem Lager auf Rettung warten?
    Sie entschied sich dazu, dem ansteigenden Weg zu folgen. Nach oben zu gehen konnte nie falsch sein. Zumindest wenn sie von unter der Erde an die Oberfläche gelangen wollte. Auf unsicheren Schritten arbeitete sich die Kaiserliche vorwärts. Schief mit dem Ellbogen des rechten Armes gegen die von Feuchtigkeit schmierige Wand gestützt entlastete sie so den verletzten Fuß, dem der nur sehr geringfügig steigende Tunnel erhebliche Probleme bereitete. Heißes Brennen und kalte Gefühllosigkeit wechselten einander ab. Tränen standen ihr in den Augen.
    Grobe, schwarze Steine tauchten in ihrem Sichtfeld auf. Sie wirkten, als wären sie direkt aus den Wänden geschlagen und dort liegen gelassen worden, wo sie gelandet waren. Scharfe Abbruchkanten fanden sich an ihnen ebenso wie von der Feuchtigkeit angefressene, runde Seiten. Eine Vorahnung beschlich sie, die ihr den Magen zusammenzog und wenig später wurde sie Wirklichkeit. Vor einem deckenhohen Haufen aus Erde, Wurzeln und Steinen stehenbleibend rannen ihr dicke Tränen der Enttäuschung aus den Augen über die Wangen. Die bebenden Lippen fingen einige von ihnen auf. Eine Sackgasse. Kraft- und hilflos sank sie mit dem Rücken an der Wand hinab. Die Beine angewinkelt, das Schwert klirrend auf dem steinernen, unendlich kalt wirkenden Boden abgelegt und die Fackel auf der anderen Seite neben sich starrte sie gegen den dunklen Fels gegenüber. Es wäre auch zu schön gewesen.
    Sollte sie die anderen Wege doch noch auskundschaften? Nein … Nein, es wäre zwecklos. Sie würde sich nur unnötig verausgaben. Schlimmstenfalls stieß sie womöglich noch auf ein Nest dieser untoten Biester und hätte dann eine ganze Horde von ihnen an den Fersen. Nein, wahrlich, das konnte sie nicht riskieren, denn geschweige gebrauchen. Halb stöhnend, halb knurrend zog sie sich auf die Beine und lief den Weg, den sie gekommen war, zurück.
    Unterwegs hielt die Kaiserliche dennoch kurz an der Wegkreuzung an und lauschte in die undurchdringliche Schwärze außerhalb des Fackelscheins. Schwere Wassertropfen fielen irgendwo hinab und klatschten auf den steinernen Untergrund der Tunnel. Ein leichter Windhauch flüsterte aus einer anderen Richtung ein schauerliches Lied von Tod und Trauer. Ihre Nackenhaare stellten sich dabei unangenehm auf und abermals griff sie fester um ihr Schwert. Dazu gesellten sich das Rauschen und Pochen ihres eigenen Blutes in den Ohren und ihre tiefen Atemzüge bei halb geöffnetem Mund. Am ganzen Leib zitternd schloss sie kurz die Augen und versuchte das leise Schleifen des modrigen Luftzugs, als dieser zwischen Wurzeln und durch Kerben in den Steinen pfiff, zu verdrängen.
    Schneller als zuvor, ein Hauch von panischer Angst im Magen trieb sie an, betrat Vesa den Tunnel zurück zu ihrem Lager. Doch als die ersten Dekorationen dessen Umfelds in das Licht ihrer Fackel traten, hielt sie schlagartig inne. Das Blut in den Adern erstarrt und die Gedanken ins Jenseits befördert starrte sie auf die plumpen, ungelenken Bewegungen am Rand des Lichtkreises. Widerwärtiges Ziehen, Reißen und Knacken schwappte zu ihr hinüber wie das leise Rauschen der Uferwellen eines Sees an einem windstillen Abend. Es kostete sie sämtliche verbliebene Beherrschung, nicht laut zu schreien und auf der Stelle umzudrehen und davonzurennen. Vermutlich hätte sie damit nur auf sich aufmerksam gemacht, denn die zwei neuen Wiedergänger, die über ihrem geschlachteten Kumpan knieten und sich seine Reste in die weit aufgerissenen, mit schwarzen Zähnen bestückten Mäuler schoben, beachteten sie nicht im Geringsten.
    Grotesk und abstoßend mutete die Szenerie an. Die zwei abgemagerten, dürren Gestalten, mit aschgrauer Haut, die direkt auf den Knochen lag, und glühenden Augen in hellem Blau. Dazu ihre abgewetzte Kleidung und die rostigen, stumpfen Schwerter an ihren verfaulten Gürteln. Fetzen ihres inzwischen tatsächlich verstorbenen Kameraden hingen ihnen zwischen den Zähnen und klebten in den Resten von dem, was früher einmal bärtige Männergesichter gewesen sein mochten. Angst, so kalt wie das älteste Gletschereis Solstheims, ließ sie frieren und erstarren. Unfähig, etwas zu tun, starrte sie auf das Bild, das sich ihr bot. Sie schüttelte sich von Kopf bis Fuß und ihre Knie wurden allmählich weich. Während sich ihre Eingeweide verkrampften bekam sie das Gefühl, sie würden vom bloßen Zuschauen derart verfaulen wie die Organe der Wiedergänger vor ihr.
    Nach schier unendlich langen Augenblicken der Starre, schaffte es Vesana sich doch noch zu bewegen. Langsam, zeitlupenhaft und als befände sie sich in einem Alptraum, aus dem sie nicht entkommen sollte. Ein Schritt hinter den anderen. Leise, so penibel darauf bedacht, jeden Laut zu vermeiden, wie sonst nie zuvor. Die Szene verschwand aus ihrem Lichtkreis, wenngleich sie die begleitenden Geräusche, nun da sie sie zuzuordnen wusste, weiterhin hören konnte oder es sich zumindest einbildete. Fast schon irre, begann sie zu grinsen, als schließlich auch noch die hörbaren Hinweise auf das Geschehen verschwanden. Gerade wollte sich die Jägerin umdrehen, da stieß sie mit der Schulter gegen etwas. Keine Wurzel, dafür war es zu schwer und träge, aber auch kein Stein, zu weich kam es ihr vor. Das Herz bis zur Zunge schlagen spürend, drehte Vesa den Kopf und schaute hinter sich. Halb hob sie das Schwert, doch so recht wollte der mit einem Mal kraftlose Arm nicht ihrem Willen folgen.
    Im Augenwinkel tauchte etwas auf, das ihr den Atmen stocken ließ und sogar das Herz zum schmerzhaften Stillhalten verdammte. Sie blickte in das kalte, eingefallene Gesicht eines weiteren Untoten, der gerade das Maul aufriss und ihr seinen gammeligen Mundgeruch entgegenströmen ließ. Für den Bruchteil eines Lidschlages sah es so aus, als grinste er in abstoßender, gehässiger Weise, doch dann fletschte er die Zähne weiter bis der graue Kieferknochen und die schwarzen Reste des Zahnfleischs zum Vorschein kamen. Ihre Knie gaben nach, als er mit seinen spindeldürren Fingern nach ihr langen wollte und noch im Fallen entriss sich ein gellender Schrei des Entsetzens ihrer Kehle.



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    Geändert von Bahaar (02.08.2014 um 16:33 Uhr)

  18. #18

    Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab

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    Zweifelsfrei musste ihr Schrei auch von den anderen beiden Untoten vernommen worden sein und obwohl sie sich der Gefahr, die von ihnen ausging, bewusst war, lag sie einfach nur auf dem Rücken, gelähmt und unfähig, sich zu bewegen. Wie eine Schildkröte. Erst als der Wiedergänger seine knöcherne Hand nach ihr ausstreckte und sie packen wollte, trat sie nach ihm, nicht auf die Idee kommend das Schwert zu benutzen. Noch im selben Augenblick bereute sie es, als heiße Stiche und flammende Qualen von ihrem verletzten Knöchel ausgingen, nachdem er das Schienbein ihres Gegners getroffen hatte. Der bis dahin unterdrückte und kontrollierte Schmerz brach sich nun wieder Bahn. Tränen rannen ihr aus den Augen während sie halb wimmernd, halb knurrend nur noch den unverletzten Fuß nutzte, um den wandelnden Leichnam auf Abstand zu halten.
    Es schien ihr, als würde er allmählich genervt von ihrem Widerstand und griff irgendwann, da er sie mit den bloßen Klauen nicht zu fassen bekam, nach dem rostigen Schwert an seinem Gürtel. Knirschend und rau schabend löste es sich aus dem einfachen Eisenring, der es hielt und eine Scheide ersetzte. Kleine Brocken des verwitterten Metalls fielen zu Boden und Vesana schob sich rücklings mit Ellbogen und dem unverletzten Fuß fort. Der Wiedergänger war jedoch schneller auf seinen klapprigen Beinen und holte sie ein. Überraschend schnell für eine vergammelte Leiche hob er seine Waffe und hieb nach ihr. Die Augen vor Schreck zusammengekniffen hob sie nur im Reflex den Schwertarm. Das folgende, helle Klirren als Metall auf Metall traf schmerzte ihr in den Ohren und ließ sie unkontrolliert zucken.
    Es folgten einige weitere Hiebe, die sie alle eher dürftig parierte – entweder mit dem Schwert oder ihrer improvisierten Fackel. Letztere verlor stets einige glühende Stofffetzen, wenn sie vom rostigen Eisen getroffen wurde. Allein die panische Angst, die zwei übrigen Untoten könnten noch zu ihnen stoßen, welche ihr wie eine faustgroße Zecke im Nacken saß und ihr das Blut aus dem Kopf weichen ließ, trieb Vesa schließlich dazu, ihrerseits nach ihrem abartig stinkenden Kontrahenten zu schlagen. Dank der Waffe des anderen verfehlte sie zwar ihr eigentliches Ziel, dafür wurde ihr Hieb jedoch so weit von der Brust abgelenkt, dass er quer über den Bauch schnitt. Die ausgezehrte, graue Haut platzte auf wie eine Eiterblase, derart unter Spannung stand sie. Graubrauner, übelkeiterregender Brei, der wohl einst die Eingeweide gewesen sein musste, quoll hervor und ergoss sich über die Beine der Jägerin. Es roch nach alter Galle, Magensäure und allerlei anderem verfaultem Bauchinhalt und stieg ihr in die Nase wie ein Speer. Völlig von der Wucht überrumpelt fühlte sie sich erschlagen und erdrückt unter tonnenschwerem Gestank während der Wiedergänger kreischte als gäbe es kein Morgen.
    Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, Brot und Käse der vergangenen Mahlzeit suchten sich einen Weg nach draußen. Erst als sie etwas schweres und hartes in die Seite traf bekam sich die Kaiserliche unter Kontrolle. Auf ihr lag das rostige Metallband, das einmal ein Schwert gewesen war. Perplex suchte sie nach dem Untoten, unstet wanderten ihre Augen durch das dunkler gewordene Zwielicht während die Fackel, ihren Fingern entglitten, in Griffweite auf dem Boden lag. Ihr Widersacher war ein paar Schritte zurückgetaumelt und hielt sich den breiten Schlund in seinem Bauch. Darmreste und anderes Gewebe hingen zwischen seinen Fingern heraus. Die kalt glühenden Augen starrten sie hasserfüllt an und eine frostige Aura des Zorns ging von ihm aus, wie Vesa sie nie zuvor erlebt hatte. Den Mund aufgerissen zischte, fauchte und kreischte er unaufhörlich.
    Vesa rappelte sich auf die Knie hoch, während der Untote noch mit sich selbst beschäftigt war und die augenscheinlich sehr irritierende, wenn sicherlich auch nicht wirklich schmerzvolle, Verletzung mit seinen dürren Händen hielt. Vermutlich war es mehr die Erinnerung an den Schmerz, den eine solche Wunde hervorrief, als diese selbst – zumindest wenn diese stinkende Ausgeburt irgendwelcher kranker Magie so etwas wie Erinnerungen überhaupt noch besaß. Die Kaiserliche griff sich ihre Fackel und stand wankend auf. Ihre Hose klebte, die Stiefelsohlen lösten sich nur schwer vom Untergrund und glitten stets ein Stück in eine willkürliche Richtung, wenn sie sie in dem widerwärtigen Brei versuchte abzusetzen. Dennoch, mit dem Gefühl im Nacken bald weitere Gesellschaft zu bekommen, schaffte sie es erneut nach dem Untoten zu schlagen.
    Dieser wich zunächst zurück und hob schließlich die Arme zur Verteidigung, doch nützte ihm das nichts. Ihre von schwarz gewordenem Körpersekret besudelte Klinge durchtrennte ihm den rechten Arm oberhalb des Ellbogens und die nachgezogene Fackel traf gegen seine Brust. Er taumelte und stürzte, während Funken auf seine zerfledderte Kleidung übersprangen und sie in Brandsteckten wie einst die Kerze die ölgetränkten Stoffbahnen des Beinlosen von zuvor. Kreischend und derart heftig qualmend, dass der Tunnel rasend schnell von schwarzem Dunst ausgefüllt wurde, fiel der Wiedergänger letztlich um und wand sich hin und her. Vesana beschrieb einen Bogen, soweit möglich, und presste sich den Jackenärmel vor das Gesicht, um nicht zu viel von den sicherlich giftigen Dämpfen einzuatmen, als ihr Widersacher in grellen, grüngetünchten Flammen verging.
    Ein Blick über die Schulter folgte. Am Rande des Lichtkreises, den die untote Fackel am Boden warf, machte sie eine Bewegung aus. Bald noch eine und wieder eine, bis sich schlussendlich die zwei anderen Wiedergänger aus der Schwärze schälten und fauchend innehielten. Die Schwerter in den Händen kreischten sie in unmenschlichen Tonlagen, eine Mischung aus Greifvogel, Raubkatze und Schmerzensschreien. Ein furchteinflößendes Geräusch, das Vesa abermals in heftiges Zittern versetzte. Wie angewurzelt blieb sie stehen, die Füße schwer und die Beine schwach.
    Letztlich rührte sich der Untote am Boden nicht mehr und schmorte lediglich vor sich hin. Es schien ein Startsignal gewesen zu sein, denn die beiden verbliebenen setzten sich simultan in Bewegung. Gleichzeitig fiel auch von ihr die Starre ab und im Reflex wandte sie sich um. So schnell sie vermochte, humpelte die Jägerin durch den Tunnel, ignorierte die Wurzeln, die ihr oft ins Gesicht schlugen und versuchte den heiß pochenden Knöchel auszublenden, so gut es ging. Trotz der neu gefassten Entschlossenheit, wenn sie ihren instinktiv aus den animalischen Tiefen ihres Bewusstseins aufsteigenden Fluchtreflex so beschönigen wollte, kam sie nur langsam voran. Viel zu oft knickte sie um, übersah mit tränengelöster Sicht besonders dicke Lebensanker der Bäume und wurde von ihnen umgeworfen, oder benötige schlichtweg einen kurzen Augenblick des Verschnaufens. Ihr unruhiger Magen und die von der Übelkeit verstärkte Atemlosigkeit taten ihr übriges. Abschütteln würde sie ihre zwei Verfolger, deren klapprige Schritte und in die Knochen fahrendes Zischen und Fauchen ihr dicht folgte, sicherlich nicht. Aber ebenso wenig würde sie in einem Kampf mit den beiden als Siegerin hervorgehen. Es glich schon allein einem Wunder, dass sie ihr Schwert und die Fackel noch festhielt, derart kraftlos und zittrig waren ihre Finger.
    Vesana erreichte die Kreuzung von zuvor und bog halsüberkopf links ab. Erst nach und nach verlangsamte sie ihre Schritte und blieb schließlich stehen, als ihr der fatale Fehler, den sie begangen hatte, vollends dämmerte und ambossschwer auf sie niederdrückte. Kalte Schauer des Entsetzens rannen ihr den Rücken hinab, ließen sie frieren als befände sie sich mitten in einem Schneesturm. Dann kehrte sie um, befürchtete jedoch das Schlimmste. Zurück an den abzweigenden Tunneln kamen gerade die beiden übrigen Untoten in steifbeiniger Weise aus dem Korridor gehumpelt, in dem sich ihr Lager befand. Unfähig so kurz vorher noch anzuhalten, noch dazu da sie sonst mit ihrem angeschlagenen Fuß das Gleichgewicht verloren hätte, stieß sie frontal mit einem von ihnen zusammen.
    Taumelnd drehten sie sich umeinander und stolperten anschließend auseinander. Sie schrie im Entsetzen und panischer Angst, die ihr Herz zum Zerspringen brachte, der Wiedergänger krächzte und fauchte. Sein Kumpan benötigte einige Schritte bevor er zum Stehen kam und sich dem Geschehen zuwenden konnte. Die Kaiserliche krachte unterdessen Schulter voran gegen die Wand direkt an der Ecke zwischen zwei Tunneln. Das Schwert entglitt ihren Fingern als auch ihr Haupt ob der Trägheit und Überraschung herumschnappte und gegen den Stein schlug. Es verschwand laut klirrend aus ihrem Sichtfeld. Benommen taumelte sie weiter und ging auf ein Knie hinab, nicht wissend welchen der Korridore sie gerade überhaupt betreten hatte.
    Es spielte jedoch auch keine Rolle mehr. Von tief unten spürte sie Zorn sintflutartig in ihr Aufsteigen. Ein tiefes Grollen, dunkler und bedrohlicher als das jedes Bären und so vibrierend, dass es ihr selbst eine Gänsehaut bereitete, brandete aus ihrer Kehle auf. Wut packte sie mit glühenden Fingern und das flackernde Licht der Fackel wurde dunkler, als die Quelle dumpf zu Boden fiel. Im nächsten Moment drückte sie sich kraftvoll mit dem gesunden Fuß hoch. Dem jedoch nicht genug, der Schwung trieb sie in die Luft bis sie die Bodenhaftung verlor und in direkter Linie auf den näherstehenden der beiden Untoten zuflog. Von der Angst, die sie zuvor in ein Gefängnis aus unsichtbaren Handfesseln gesperrt hatte, spürte sie in diesem Moment nichts mehr. Lediglich der abgrundtiefe, animalische Hass auf diese abstoßenden Kreaturen der Finsternis und schwarzen Magie brodelte in der Wölfin, die sich ob der Schwäche beider ihrer Formen irgendwo auf halbem Wege der Verwandlung befand. Vom Hunger erheblich geschwächt mochte dies das letzte Aufbäumen ihrer Bestie sein, bevor auch sie in eine Starre der Verzweiflung und Resignation verfiel.
    Den Mund weit aufgerissen und die scharfen Eckzähne entblößt streckte Vesa die aschgrauen Hände mit den dunklen Klauen vor. Zu schnell, um darauf reagieren zu können, erreichte sie den Wiedergänger. Schmatzend, als fasste sie ihn Schlamm, und doch auch reißend wie Pergament zersprang die zähe Haut um den Brustkorb der Abscheulichkeit. Diese kreischte, doch erstarb ihr Aufbegehren als seine Angreiferin die Füße nachzog und ihm mit der Wucht des Aufpralls ihres restlichen Körpers die Rippen herzzerreißend knackend bis zur Wirbelsäule eindrückte. Gemeinsam stürzten sie nieder, überschlugen sich und blieben letztlich liegen als der Untote Vesanas Zusammenstoß mit einer Tunnelwand dämpfte und sein spröde gewordener Schädel unter ihrer Schulter zerbarst.
    Schnellstmöglich hievte sich die Jägerin zurück auf die Füße und blieb knurrend, die Zähne gefletscht, vor dem verbliebenen Widersacher stehen. Die Kreatur vor ihr musterte sie einen Moment mit seinen glühenden Augen, die ob ihrer geschärften Sehkraft nun noch stärker aus seinem grauen, eingefallenen Gesicht hervorstachen. Die alten Haare hingen, dem was einst ein Mann gewesen war, in verfilzten Strängen von der Kopfhaut, manches Mal zogen sie diese sogar ein Stück vom Knochen. Die Lippen waren abgefault und so starrte die Wölfin in ein abstoßend schelmisch wirkendes Grinsen schwarzer Zähne und grauer Kieferknochen. Das rostige Schwert hielt er mit beiden Händen und nahm es unvermittelt zur Seite. Während er unbeholfen auf Vesa zugestürzt kam, holte er so zu einem kräftigen Schwung aus. Doch die Jägerin war schneller und sprang auch ihm frontal gegen den Leib. Das Spiel von zuvor wiederholte sich, nur dass sie es nicht dabei beließ, ihn auf dem harten Grund zu zerschlagen. Brüllend und heulend kniete sie über ihm und zerfetzte ihn mit ihren scharfen Klauen. Rippenteile, Haut- und Kleiderfetzen, Reste der Innereien und andere Knochensplitter verteilte sie auf der Kreuzung der Wege, bis ihr letzten Endes die Luft wegblieb und sie sich taumelnd erhob.
    Schwindelig und orientierungslos schwankte sie in einen der Tunnel hinein. Ihre Augen verloren mit jedem Schritt an Schärfe und überließen sie der scheinbar dickflüssigen Dunkelheit. Mit der verklungenen Wut verschwand nun auch ihre Anspannung und so etwas wie zynische Erleichterung ergriff von ihr Besitz. Froh, die Verfolger los zu sein scherte sie sich nicht darum, ob neue kommen könnten. Ihr fehlte schlicht die Kraft zur Sorge. Schließlich versagten ihr auch die Knie den Dienst und nur das sonnengleiche Brennen in ihrem verletzten Fuß, das ihr unaufhörlich neue Tränen in die Augen trieb und ihr das Gesicht bei jeder noch so kleinen Erschütterung verzog, verhinderte, dass Vesana bereits hier und jetzt ins Reich der Träume und weiter weg abdriftete.
    Kriechend wie ein Tier, das sich zum Sterben verkroch, bewegte sie sich fort und es schien, als beschwerte ein zentnerschweres Gewicht ihren ganzen Körper. Immer langsamer kam sie voran, je weiter sie sich zog. Sie befürchtete schon, der Tunnel könne bald so sehr ansteigen, dass sie bäuchlings zurück zu seinem Anfang rutschen könnte. Doch dann erreichte sie etwas, das ein Deckenbruch unter der Last des Erdreichs darüber gewesen sein mochte. Grobe Steine, vermengt mit Erdreich und abgerissenen Wurzeln türmten sich hier bis zur Tunneldecke auf. Erschöpft und müde, hungrig und doch appetitlos, verzog sie sich an den Rand des Korridors, wo einige besonders große Bruchstücke eine kleine Nische formten. Die Kaiserliche winkelte die Beine an, umschlang sie mit den Armen und legte das Haupt mit der Stirn auf ihnen ab, als könne ihr in dieser Position die Welt untertage nichts mehr anhaben. Sacht wippte sie vor und zurück, kaum merklich, als wehte nur ein laues Lüftchen und sie wäre ein Blatt ein einem Baum.



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    Geändert von Bahaar (08.08.2014 um 13:32 Uhr)

  19. #19

    Cyrodiil, Kaiserstadt, Talosplatz-Bezirk; Hafenviertel

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    Das Leben ist ein Spiel und die Würfel können auf jede Seite fallen. Für Revan war das Ergebnis mehr als nur einmal lebensgefährlich. Aber er hatte bisher immer Glück gehabt, so auch jetzt. Zumindest hoffte er, dass er auch dieses mal Glück haben würde. Der Dunmer lag halb bewusstlos unter einem Trümmerhaufen begraben. Wie konnte das nur passieren? Er würde noch genug Zeit haben, diese Frage zu stellen und vielleicht eine Antwort darauf zu finden. Die Ereignisse der letzten Tage holten ihn in seinen Träumen ein, während er nur darauf warten konnte sein Bewusstsein wieder zu erlangen...

    Der Abstecher in seine Stammkneipe war völlig normal abgelaufen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt ab dem der billige Fusel und das Rauschkraut seine Sinne vernebelten und eine Lücke in seiner Erinnerung hinterließen. Völlig verkatert wachte er am nächsten Tag gegen Mittag in seinem Bett auf und leerte zuerst die Flasche mit Schnaps, welche auf seinem Tisch stand, einerseits um die aufkommende Übelkeit zu betäuben, andererseits um durch den starken Geschmack und Geruch nicht sofort wieder die Besinnung zu verlieren.
    „Na, hast du deinen Rausch ausgeschlafen?“, spottete jemand aus Richtung der Tür. Revan brauchte ein paar Sekunden bis er die Worte verarbeitet hatte und ihm dämmerte, das er normalerweise alleine im Zimmer war. Für den Bruchteil eines Augenblicks erstarrte der Dunmer, ehe er hektisch nach seinem Dolch suchte. Eine schallende Ohrfeige, begleitet von „Beruhige dich. Ich bin es, Cale.“, brachte ihn zur Besinnung und zum ersten Mal schaute er der Person ins Gesicht. Zu seiner Überraschung war es tatsächlich der Waldelf. Erleichtert fiel er wieder auf sein Bett. „Ich habe dir oft genug gesagt dass du nicht einfach so in mein Zimmer schleichen sollst.“
    „Und wie oft habe ich dir gesagt das du immer wachsam sein musst? Und du weißt was ich von deiner Sucht halte. Du gefährdest nicht nur dich, sondern auch mich und andere“, erwiderte der Bosmer.
    „Spar dir deine Belehrungen, ich weiß was ich tue“, antwortete Revan in genervtem Tonfall. Der Bosmer seufzte und schüttelte resignierend den Kopf, ehe er das Thema auf ihre Aufgabe lenkte. „Steh auf, wir haben noch viel Arbeit vor uns.“

    Ganz in der Ferne glaubte er Stimmen zu hören. Oder spielen mir meine Sinne einen Streich? Ein Windhauch streichelte wärmend seine Haut, ehe im ein starker Brandgeruch in die Nase stieg. Noch ehe er ob des beißenden Windes husten konnte, umfing ihn wieder die Ohnmacht...

    Der Wagen polterte seid einer gefühlten Ewigkeit über das Pflaster der Straßen der Kaiserstadt. Langsam bekam er davon Rückenschmerzen. Hoffentlich fährt der Kutscher keine Umwege. Die Kanäle hatten auch keinen brauchbaren Einstieg in die Villa offenbart. Natürlich gab es mehrere Zugänge, aber sie alle wurden bewacht oder sehr wahrscheinlich mit Fallen gesichert. Soweit wirkte die Villa einbruchssicher, wovon man auch ausgehen musste, wenn man das Berufsfeld dieses Mannes kannte. Und da der Ausflug des Altmers früher als erhofft stattfand, blieb nur noch die Möglichkeit mit dem Lieferkarren ins Innere der Villa zu gelangen. Zugegeben es war ein sehr alter Trick und die Chance, erwischt zu werden war hoch, aber es war die einzige Möglichkeit die sie hatten.
    Der Wagen hatte angehalten und gedämpfte Stimmen waren zu hören. Der Geruch der Pechfackeln zog durch die Ritzen in die Kisten. Revan verkniff sich das Husten. Kurz darauf rollte der Wagen in den Hof und wurde von den Dienern entladen. Ihre Flüche über die schweren Kisten verstummten, nachdem sie von einer anderen Person scharf angefahren wurden. Wesentlich ruhiger beendeten sie ihre Arbeit. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit in der absolute Stille herrschte, öffneten Revan und sein Meister Faldil mittels kleiner Brecheisen ihre Kisten und sahen sich sofort aufmerksam um. Im Lagerraum herrschte vollständige Finsternis, keine Fackel brannte und abgesehen von der ein oder anderen Ratte waren sie alleine. Erleichtert atmeten beide tief durch, ehe sie aus ihren Kisten stiegen und ihre Ausrüstung anlegten. Es hat tatsächlich funktioniert. Jetzt müssen wir nur noch den Gegenstand beschaffen und nebenbei noch ein wenig für unseren Lebensunterhalt mitnehmen. Die Villa zu verlassen sollte kein Problem darstellen. Das Duo war in schwarze, weite Kleidung gehüllt die genug verborgene Taschen besaß um Beute und Werkzeug darin zu verstecken. Für größere Gegenstände hatte jeder noch einen Leinensack dabei. Ihr Werkzeug bestand aus verschiedenen Dietrichen, einem schmalen Spatel, Horchtrichter, einer Phiole mit Öl und einer kleinen Rolle Teerpapier. Die Gesichter und ihre Hände waren geschwärzt, Waffen hatten sie keine dabei; das Blinken der Klingen könnte sie verraten. Ihre Blicke trafen sich in stummem Einverständnis, danach bewegten sie sich beinahe lautlos durch den Raum.

    Ihre Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, daher sahen sie trotz der Finsternis die Umrisse der Kisten, Fässer und Säcke. Hier werden wohl nur Lebensmittel und andere Gebrauchsgegenstände gelagert. Auch wenn seine Villa gut bewacht wird, ist er deswegen noch lange nicht leichtsinnig. Sein Mentor hatte den gleichen Gedanken und wies ihn mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen.
    Das Duo schlich zum Ende des Raums, welcher von einer schweren, mit Eisenbeschlägen verstärkten, Holztür verschlossen wurde. Kein Licht schimmerte durch die Ritzen, ein gutes Zeichen. Mit dem Horchtrichter gegen die Tür gelehnt, lauschte Faldil in die Stille hinein. Nach kurzer Zeit gab er Entwarnung. Wie zu erwarten war die Tür verschlossen, allerdings nur durch einen Riegel der angehoben werden konnte. Mit dem Spatel dauerte es nur wenige Sekunden, ehe die Tür geöffnet wurde. Da ölt jemand die Scharniere regelmäßig.
    Der Gang hinter der Tür offenbarte vorerst nur Dunkelheit und in einiger Entfernung erste Fackeln an den Wänden. Kein Geräusch durchbrach die Stille. In stummem Einverständnis folgten beide dem Gang bis sie nur noch wenige Schritte von der ersten Fackel trennten. Einzig das Knistern der Fackeln und der Geruch von verbranntem Öl brachten nun ein wenig Abwechslung. Langsam näherten sie sich, jeder an einer anderen Ecke, der Kreuzung und spähten abwechseln in alle Richtungen.

    Der kalte, harte Boden war sehr angenehm, versprach er doch ein wenig Linderung für seine Kopfschmerzen. Revan wollte den Kopf heben, doch eine bleierne Müdigkeit und tausend kleine Lichtpunkte, die vor seinen Augen tanzten, vereitelten dieses Vorhaben sofort. In der Ferne glaubte er Stimmen zu hören. Oder sind sie ganz nah? Plötzlich legte sich ein anderes, beruhigendes Geräusch auf seine Ohren und ließ ihn wieder das Bewusstsein verlieren.

    Langsam wurde es frustrierend. Sie hatten bereits die ganze Villa, mit Ausnahme dieses Raumes der hinter dieser mehr als prächtig verzierten Tür lag, abgesucht. Gold oder wertvolle Gegenstände hatten sie auch nicht gefunden. Mit Ausnahme eines Gemäldes, das sie aber nicht stehlen konnten, da sonst ihre Anwesenheit bekannt würde. Und zu allem Überfluss hatte auch ein leichter Regen eingesetzt. Eine Handbewegung seines Mentors signalisierte Revan, dass er nun an der Reihe sei.
    Nachdem er mit einem letzten prüfenden Blick in den Gang hinter ihnen geschaut hatte und einige Augenblicke in die Stille lauschte, wandte er seine volle Aufmerksamkeit dem Schloss vor ihm zu. Revan wählte einen leicht gebogenen Dietrich mit einer abgerundeten Spitze und ein an beiden Enden gebogener, flacher Metallstab um das Schloss später drehen zu können. Mit der Übung vieler Jahre begann er das Schloss zu untersuchen. Ein sehr gutes Schloss.....mit den üblichen 5 Stiften. Fallen gab es keine. Langsam und gefühlvoll suchte der Dunmer bei dem ersten Stift den „goldenen Punkt“. Wenn man genügend Druck ausübte, blieb der Stift entriegelt und man konnte den Nächsten bearbeiten. Gab man zu viel Druck, riskierte man das der Dietrich beschädigt wurde, sobald man den Druck vom Stift löste. Aber das war für Revan kein Problem, zumindest nicht bei den ersten drei Stiften. Ab dem vierten Stift wurde es schon schwieriger den Punkt zu treffen. Das verzögerte die Öffnung aber nur um wenige Sekunden. Nach dem letzten leisen Klicken, atmete er erleichtert aus und wollte schon zur Öffnung ansetzten, als er sofort einen Widerstand bemerkte. Noch mehr Stifte? Irritiert führte er den Dietrich wieder in das Schloss und tastete noch einmal alle Stifte ab. Es sind nur 5 Stifte....oder?. Einer Ahnung folgend strich er die Seitenwand des Schlosses ab und fand auch genau das, was er vermutet hatte. Für diesen letzten Sicherungsmechanismus war allerdings ein anderes Werkzeug von Nöten. Zuerst nahm der Dunmer einen Dietrich mit einem dreieckigen Bart. Damit konnte er zwar den Bolzen drehen, allerdings nicht weit genug. Zu allem Überfluss sprangen durch den Schlag auch die Stifte wieder in ihre ursprüngliche Position. Revan murmelte einen derben Fluch und atmete ein paar Mal tief ein und aus, um den aufkeimenden Ärger zu unterdrücken. Er brauchte alle Konzentration für dieses Schloss, da waren Emotionen, gleich welcher Art, fehl am Platz. Sein Mentor schwieg die ganze Zeit und beschränkte sich darauf die Umgebung im Auge zu behalten. Trotzdem wusste er, was sein Schüler tat.
    Erneut wählte Revan den Dietrich mit der abgerundeten Spitze und arbeitete sich Stift für Stift vor. Nachdem alle 5 wieder in der gewünschten Position hatte, nahm er für den Bolzen diesmal einen Dietrich mit viereckigem Bart. Zu seiner Überraschung bewegte sich der Bolzen keinen Millimeter. Was zum....? Ein paar Sekunden später dämmerte ihm die Lösung des Problems und mit einem lächeln nahm er wieder den Dreieckigen und drehte den Bolzen soweit er konnte. Anschließend setzte er der Viereckigen an gleicher Stelle an und zog langsam den Ersten wieder raus. Diesmal ließ sich der Bolzen weiter drehen, allerdings auch nur wieder ein kleines Stück. Jetzt sah Revan das Muster klar vor Augen und innerhalb weniger Sekunden war auch der Bolzen an dem Punkt, dass er die Öffnung nicht mehr verhinderte. Mit dem flachen Metallstab drehte er das Schloss und ein leises Klicken bestätige die erfolgreiche Öffnung. Sein Mentor nickte und zusammen drangen sie in den Raum ein.

    Irgendetwas helles stach ihm in die Augen. Reflexartig schloss er sie wieder, noch ehe sie geöffnet waren. Jetzt waren eindeutig Stimmen zu hören. Was sie sagten, vermochte Revan trotzdem nicht zu sagen, sie klangen seltsam verzerrt. Wegen der Helligkeit, welche seine Augen trotz der geschlossenen Lider peinigte, vermutete der Dunmer dass die Stimmen ganz nah sein mussten. Plötzlich gab es einen lauten Knall und das Splittern von Glas war zu hören und da war wieder diese beißende Brandgeruch. Dann umfing ihn wieder Dunkelheit.

    Der Raum war keine und gleichzeitig doch eine Überraschung. Offensichtlich waren sie in den Privatgemächern des Altmers, Eraami, gelandet. Und hier gab es mehr als genug Gegenstände die sie zu Gold machen konnten: Mit Juwelen verzierte Kelche und Pokale, goldene Schalen, ein Krug aus Vulkanglas, Schmuck, unzählige Kisten mit Münzen unterschiedlicher Währung. Revan hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Nach diesem Raubzug konnten sie wieder für eine ganze Zeit untertauchen oder in aller Ruhe den nächsten Einbruch vorbereiten. Aber zuerst brauchen wir das Familienerbstück..., er seufzte. Bei der Menge an Gold suchen wir hier die Nadel im Heuhaufen. Stumm gingen beide ans Werk und suchten das Familienerbstück. Nebenbei legte der Dunmer besonders wertvolle Gegenstände auf die Seite, die er später mitnehmen wollte. Es fiel ihm sehr schwer die Beherrschung nicht zu verlieren. So viel Gold auf einem Haufen hatte er noch nie gesehen. Dieses Zimmer war das reinste Paradies, einen schöneren Ort konnte man sich nicht vorstellen. Davon träumten jede Nacht aber tausende von armen Seelen und doch würde es immer nur ein Traum bleiben. Aber nicht für mich. Langsam arbeitete sich Revan durch das Zimmer und gelangte irgendwann an einen großen Tisch auf dem verschiedene Bücher und Schriftrollen lagen. Mit mangelndem Interesse überflog der Dunmer die Schriftstücke und suchte vielmehr eine kleine Schatulle oder ein verstecktes Schloss. Nach kurzer Suche ertasteten seine Finger eine etwa 2 Hand breite Klappe oder vielmehr die kleine Lücke zwischen Tisch und Klappe. Allerdings fehlte ein Schloss. Eine erneute Begutachtung des Tisches war wenig aufschlussreich. Hier liegen nur Schriften und diese Büste. Das Versteck weckte seine Neugier, aber er fand keinen Weg es zu öffnen. Seine Aufmerksamkeit wurde bald auf ein Schmuckstück gelenkt, welches vermutlich die Nadel war, die sie gesucht hatten. Ein prüfender Blick in der Nähe des Fensters bestätige seine Vermutung. Sehr gut. Jetzt nichts wie raus hier. Einer plötzlichen Ahnung folgend ging er wieder zu dem Tisch und nahm das Schriftstück, welches unter dem Schmuckstück lag. Im trüben Mondlicht begann Revan zu lesen. Es waren nur wenige Zeilen, die aber mehr als ausreichend waren um den Herzschlag des Dunmers schlagartig in die Höhe zu treiben. Noch ehe er etwas sagen konnte, spürte er eine kalte Klinge am Hals.
    „Geh zu deinem Mentor. Aber nicht zu schnell, sonst könnte mir die Hand ausrutschen.“ Die Stimme kam ihm seltsam vertraut vor, aber Revan konnte nicht sagen woher. Er war wie gelähmt. Ohne Widerstand folgte er der Anweisung und bei der Tür standen nicht nur sein Mentor, sondern auch der Altmer mit seiner Leibwache. Dieser klatsche spöttisch und betrachtete ihn abfällig.
    „Schön. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Es war sehr amüsant euren kleinen Einbruch zu beobachten.“ Das anschließende Gelächter ließ Revan die Haare zu Berge stehen. „Aber dachtet ihr wirklich, dass ihr ohne meine Erlaubnis in meine Villa einbrechen könnt?“ Wieder dieses unangenehme, schrille Lachen. „Aber ihr habt den Test bestanden. Daher mache ich euch ein Angebot: Ihr könnt für mich arbeiten. Für Leute wie euch habe ich immer genug Arbeit.“
    „Warum sollten wir auf euer Angebot eingehen?“, erwiderte Revan trotzig.
    Als ob er diese Frage erwartet hätte, geht der Altmer ganz langsam, wissend lächelnd, auf Revan zu. In der Art eines Lehrers, der von seinen Schülern eine dumme Frage gestellt bekam, antwortete er: „Weil wir, die Thalmor, die Zukunft sind. Jeder der uns im Weg steht wird sich fügen, auf die ein oder andere Art. Den Mer gehört ganz Tamriel....“ Ab diesem Punkt ignorierte Revan die Rede des Altmers und versuchte einen Ausweg aus der Situation zu finden. Hinter mir steht Tiro. Das ich diese miese Ratte nicht sofort erkannt habe. Ansonsten sind noch 8 weitere Wachen im Raum. Der Ausgang ist versperrt und vor dem Fenster stehen auch welche. Der Rest verteilt sich auf Faldil und mich. Die Aussicht mit Beute die Villa zu verlassen hatte sich in Luft aufgelöst. Im Moment ging es nur noch darum, seine Haut zu retten. Und der Dunmer sah nur eine Möglichkeit, da er niemals den Thalmor die Treue schwören würde. „Ja, ich werde mich euch anschließen.“ Von diesen Worten aus seinen Überlegungen gerissen, starrte Revan fassungslos seinen Mentor an. „Warum? Was ist aus deinen ganzen Idealen und Lehren geworden? All das, was du mir in den letzten Jahrzehnten beigebracht hast?“
    „Die Zeiten ändern sich, Golion. Ich habe dich damals ausgebildet und es war deine einzige Chance der Gosse zu entkommen. Jetzt hast du die Chance, weiter aufzusteigen. Unsere Position war nie sicher. Mit den Thalmor haben wir diese Sicherheit. Wir können gegen die rivalisierenden Banden bestehen und diesem Moloch endgültig entkommen“, antwortete Faldil.
    „Hörst du dich eigentlich selbst reden? Glaubst du überhaupt deinen eigenen Worten? Warum haben wir uns dann nicht einer anderen Bande oder der Diebesgilde angeschlossen?“
    „Weil die Thalmor die Zukunft sind. Alle anderen werden sich fügen oder sterben. Sei kein Tor und nutze diese Chance.“
    Nur über meine Leiche. In einer fließenden Bewegung packte Revan die Hand mit dem Dolch und warf seinen Kopf schräg nach hinten links. Der Schwung war nicht ausreichend um Tiro die Nase zu brechen, aber es verschaffte ihm die wenigen Sekunden die er brauchte. Der Dunmer sprintete auf das Fenster zu, warf den Wachen davor etwas von der Pulvermischung, die er immer bei sich hatte, in die Augen, so dass auch sie abgelenkt waren. Er preschte durch die Lücke und sprang aus dem Fenster. Der Aufprall wird hart. Zwar hatte die Villa nur 2 Stockwerke, aber es regnete und dementsprechend rutschig war auch das Pflaster des Talosplatz.

    Die anschließende Flucht hatte sich seinen Erinnerungen entzogen. Wie ein Wahnsinniger war er durch die Stadt gerannt und hatte sofort die Kanalisation als Fluchtweg gewählt, da er sonst an den Toren aufgehalten worden wäre. Die Wache war in diesem Fall keine Hilfe. Zum Einen da er ein Verbrechen begangen hatte und zum Anderen weil es die Thalmor waren die ihn jetzt jagen würden. Irgendwie hatte Revan das Hafenviertel erreicht und eilte sofort zu einem Ort wo er noch auf Hilfe hoffen konnte. Doch die entsprechende Taverne ging jäh in Flammen auf und gerade als er abdrehen wollte wurde es plötzlich taghell und ein ohrenbetäubendes Krachen zerriss die Nacht. Danach wurde es schwarz um ihn...


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    Geändert von Skyter 21 (02.10.2016 um 17:46 Uhr) Grund: Verlinkung eingefügt.

  20. #20

    Skyrim, Fürstentum Reach, Straße nach Hjaalmarch >>> Fürstentum Reach, Karthwasten

    „Haltet nach Bewegungen auf den Klippen Ausschau.“
    Stephanus' Blick wanderte auch so bereits die Abhänge der felsigen Steilwände zu ihrer linken entlang. Sie ragten etliche Meter in die Höhe und sorgten durch ihre scheinbare Unüberwindbarkeit dafür, dass ihr Weg zunächst stetig nach Norden verlief, ab einem bestimmten Punkt aber eine Rechtskurve beschrieb. Nun folgten sie dem alten und abgenutzten Pflaster nach Osten. Südlich der Straße fiel das Gelände noch weiter ab, und am Grund dieser nicht allzu tiefen Grube schnellte Wasser in einem vergleichsweise schmalen Strom dem Geistermeer entgegen.
    Der Kaiserliche mochte dieses Gelände nicht. Es verunsicherte ihn. Bis jetzt hatte es nicht die geringste Spur von den Abgeschworenen gegeben – mit Ausnahme einer Stelle, bei der die längst vergessenen und verkohlten Überreste eines Fuhrwerks am Wegesrand standen, umgeben von vereinzelten verbrannten Knochen.
    Aber Stephanus wusste, dass sich die vermeintliche Idylle schnell in eine felsige Hölle verwandeln konnte. Die Abgeschworenen kannten dieses Gebirge, denn Berichten zufolge waren die meisten von ihnen auch hier aufgewachsen. Es war ihre Heimat, und kurz für einen Überfall aufzutauchen und sich daraufhin in den Druadac-Bergen erneut unauffindbar zu machen stellte für sie kein Problem dar. Aber aus irgendeinem Anlass hatten sie sich noch nicht blicken lassen.
    Vielleicht verschreckte sie die schiere Anzahl an bewaffneten Männern und Frauen, obwohl so eine große Gruppe durch erschwerte Organisation durchaus anfällig für schnelle Partisanenangriffe wäre. Einen Gegenangriff zu organisieren dauerte zu lange, und die Ureinwohner des Reach wären wortwörtlich schon längst über alle Berge, bevor es auch nur einer der Söldner schaffte, die felsigen Klippen zu erklimmen. Bodeado hatte herumerzählt, dass es sich bei den Ureinwohnern von Reach um sogenannte Reikmannen handelte, entfernte Verwandte der Bretonen. Der Rothwardone interessierte sich für solche Sachen. Wo immer auch sie ankamen, fragte er herum, welches Volk in der Umgebung wo lebte, und was als ihre auszeichnenden Eigenschaften galt.

    Hrard ging an der ihm unterstellten Gruppe marschierender Heuerlinge auf und ab. „Behaltet das Tempo bei, dann schlafen wir heute noch in Karthwasten.“
    Sein Tonfall war so gleichgültig und monoton wie eh und je. Warum der Nord sich so verhielt? Alle hatten dazu ihre eigene Theorie, aber Stephanus kannte als eines der dienstältesten Mitglieder des Trupps die Wahrheit – oder zumindest eine Version, die der Wahrheit nahe kam.
    Im Laufe der Jahre erfuhr der Kaiserliche von irgendwo, dass Hrard schon von Geburt an verkorkst war. Was auch immer in seinem Körper dafür verantwortlich war, dass er Emotionen wie Aufregung und Freude verspüren konnte, funktionierte nicht. Jedenfalls nicht richtig. Richtige Gefühle empfand er nur in Extremsituationen, und selbst dann fühlte er sich nur wie ein Durchschnittsmensch während einer Ruhephase.
    Stephanus folgerte, dass dies bereits ausreichend Anreiz bot, und dass die Garantie auf Kämpfe auf Leben und Tod überhaupt erst der Grund gewesen war, aus dem der Nord sich in seiner Jugend dazu entschieden hatte, sich als Privatsoldat zu verdingen.
    Die Sonne stand am Morgen noch im Osten, färbte die vereinzelten Wolken am Himmel rot und orange, und schimmerte über die vor ihnen liegenden Berge in ihre Augen. Viele blickten entweder im leichten Winkel nach unten, um nicht geblendet zu werden, oder überwachten, wie Stephanus, ihre Umgebung, und sahen dadurch erst gar nicht nach Osten zur Sonne.
    „Sie dir diese hasenfüßigen Hunde an,“ rief Brarek Jungeiche, der neben Stephanus her marschierte, ganz unvermittelt. Dabei nickte er nach vorne, wo einer der wenigen Bogenschützentrupps einen Fuß vor den anderen setzte. Der hochgewachsene Nord (unter so vielen Nords war der Kaiserliche es bereits gewohnt, bei einer Konversation immer wieder mal nach oben schauen zu müssen, um in das Gesicht des anderen zu blicken,) schien aber mit niemandem außer sich selbst zu sprechen. Dennoch bekam er eine Antwort: Ein belustigtes Schnaufen von Stahlzapfen, ein zustimmendes „Scheiß Bogenschützen“ von Fleisch und ein „Feige Bastarde“ von gro-Golug.

    Die Fernkämpfer genossen unter den Infanteristen nicht gerade ein hohes Ansehen. Die Kommandeure sorgten immerhin dafür, dass die mit Pfeil und Bogen bewaffneten Menschen und Mer einen akzeptablen Abstand zum Feind hatten, weswegen sie im besten Falle nie in den Nahkampf gerieten. In den Augen der übrigen Fußsoldaten besaßen sie also das unverdiente Privileg, im Gegensatz zu ihnen ihr Leben nicht bei jeder Schlacht riskieren zu müssen. Alleine die Anwesenheit auf einem Schlachtfeld konnte eigentlich schon als Lebensgefährlich betrachtet werden, dem Großteil der Infanteristen war das aber egal. Wenn man von Berufswegen her von Angesicht zu Angesicht gegen andere Bewaffnete (manchmal auch Unbewaffnete) auf Leben und Tod kämpfte, verstand man Abstand zum Feind bereits als ein stark vermindertes Risiko, an einer Überdosis Eisen zu sterben.
    Stephanus selbst verabscheute nur Bogenschützen, die nicht auf ihrer Seite kämpften, und auch er selbst benutzte ab und zu einen Bogen. Aber er konnte den Abscheu gegenüber den Fernkämpfern nachvollziehen: Von oben herabstürzende Pfeile waren während eines Gefechts unvorhersehbar. Schon ein Pfeil von minderer Qualität konnte bei einem richtigen Treffer verheerende Folgen haben. Wenn man, wie die meisten Infanteristen in der Kompanie, nur einen leichten Holzschild und minder- oder mittelwertige Schutzbekleidung besaß, war es eine sehr unangenehme Ungewissheit, ob der nächste Pfeil nun nutzlos abprallte oder den Schild oder die Panzerung einfach durchschlug.
    Schwere und wohlhabende Truppen mit hochwertigen und äußerst teuren Plattenpanzern mussten sich nicht um Pfeile sorgen. Dies galt jedoch nur solange, wie die Pfeile nicht aus mindestens ebenbürtigen Materialien gefertigt waren, oder die Bogenschützen nicht auf geringeren Distanzen gezielte Schüsse auf die vergleichsweise ungeschützten Gelenke und Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Rüstungssegmenten abgeben konnten.
    Doch nur sehr wenige konnten sich eine solche Rüstung leisten, selbst wenn sie ihr gesamtes Leben lang sparen und dann ihr kleines Vermögen dafür zusammentrugen. Soweit Stephanus wusste, besaßen in der Kompanie gerade mal fünf Leute einen solche Panzer. Er zählte dabei Rognag gro-Golugs Panzerung noch mit, obwohl sie ein anderer womöglich als mittlere Rüstung eingeordnet hätte.
    Aber gegen ihre eigenen Bogenschützen hatte Stephanus eigentlich nichts, außer vielleicht, wenn sie den Befehl erhielten, selbst dann zu feuern, wenn die eigenen Truppen getroffen werden konnten. Zudem besaß er die Gewissheit, dass Bogenschützen im Kampf vielleicht verheerende Verluste beim Feind erzielen konnten, sie es aber bei weitem nicht mit Kampfmagiern aufnahmen. Vor Zerstörungsmagie schütze selbst der beste Plattenpanzer nichts, wenn er nicht gerade selbst durch Magie verstärkt wurde. Talentierte Magier konnten mit der konzentrierten Wut der Elemente ganze Formationen auslöschen.
    Denn wenn ein Mann erst einmal in Flammen stand, war er bereits außer Gefecht gesetzt.
    Stephanus hatte das mehrere Male beinahe selbst zu spüren bekommen, blieb bisher aber zu seinem Glück vor der mörderischen Umarmung mit dem Feuer verschont.
    Blitze und Feuer machten – erst einmal losgelassen - keinen Unterschied zwischen Mensch und Mer, und kochten jeden in ihrem Wege bei lebendigem Leibe. Magisch geformte Eiszapfen durchbohrten Stahl wie fadenscheiniges Pergament, schockgefrorene Kämpfer zerbrachen einfach so in Stücke, schreienden Männern schmolzen durch unnatürlich heiße Flammen die Augen aus dem Kopf.
    Stephanus richteten sich bei dem Gedanken die Nackenhaare auf, und er versuchte, das alles schnell wieder zu vergessen.

    Jungeiche hob die Hände vors Gesicht und bildete mit ihnen einen Trichter, bevor er dann laut genug schrie, um die Aufmerksamkeit der Bogenschützen auf sich zu ziehen.
    „Hey, Lederkäpchen! Wie ist es eigentlich so, als Sohn einer Hündin aufzuwachsen?“
    Stephanus rollte daraufhin mit den Augen. „Was für ein geistreicher Poet.“
    Einer der Fernkämpfer drehte sich zu dem Nordmann um.
    „Keine Ahnung,“ schrie er zurück, „aber ich bin mir sicher, dass Ihr mir sehr viel darüber erzählen könnt! Und jetzt seit leise, bevor-“
    „Bevor was?“, spöttelte der Nord. „Bevor ihr loslauft, um genügend Distanz von mir zu gewinnen? Hah!“
    Der in Leder gerüstete Elf wollte gerade zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, da tauchte Hrard plötzlich neben Brarek auf und schrie nun seinerseits.
    „Schnauze, Jungeiche, oder willst du den Packeseln bei ihrer Arbeit helfen?“
    Brarek funkelte ihren Unteroffizier finster an. Nach kurzem, unangenehmen und spannungsgeladenen Schweigen, während dem sich die beiden Männer nur stumm gegenseitig anstarrten, wand Jungeiche das Gesicht vom anderen Nord ab und presste zwischen seinen Zähnen hervor: „Nein.“
    „Dann sei gefälligst leise!“
    Der jüngere Nord verstummte und wurde vor mühsam niedergerungener Wut rot im Gesicht, während sowohl die Bogenschützen als auch die Nahkämpfer glucksten, und einige sogar lauthals spöttisch lachten. Hrard verschwand wieder und es kehrte nach einigem verhaltenen Gekicher erneut Stille ein. Der Kaiserliche konnte Brarek fast schon vor Wut brodeln hören.

    Stephanus hob den Kopf gen Himmel und beobachtete einige der majestätischen Bergadler dabei, wie sie von der warmen Luft aufgetrieben über ihnen allen schwebten.
    Wie gleichgültig alles den Vögeln wohl sein musste. Ihnen war es egal, wer gerade über Tamriel herrschte, wer wo Krieg führte, und ob in einer beliebigen Provinz wieder Unruhen aufflammten. Den ganzen Tag glitten sie einfach über alles und jeden hinweg, und niemand konnte ihnen ihren Platz als Könige der Lüfte streitig machen – vorausgesetzt die Gerüchte von der Rückkehr der Drachen blieben so unwahr wie bisher. Der Kaiserliche vermochte es nicht, diesem Unfug Glauben zu schenken. Stahlzapfen glaubte, was er wollte, und Jungeiche war ein dummer Schwätzer.

    Die Bogenschützen blieben plötzlich murmelnd stehen. Stephanus riss den Blick vom Himmel ab und hörte, wie mehrere Offiziere „Halt! Anhalten!“ schrien. Die gesamte Kolonne kam zu einem Stopp.
    Einige der Söldner in den Reihen reckten sich und streckten ihre Köpfe, um über die Anderen hinweg zu sehen und herauszufinden, was vor ihnen vor sich ging.
    „Was ist denn jetzt los?“, fragte Sylaen, und im nächsten Augenblick stand Hrard auch schon vor der Gruppe.
    „Stellt euch auf. Bärenpelz, Spurius, geht nach vorne und findet heraus, was los ist. Ihr Übrigen, Augen auf die Klippen.“
    Ein Murmeln ging durch die Gruppe, und sie kamen den Aufforderungen des Nords nach. Sie setzten ihre Rucksäcke ab, dann zogen sie ihre Waffen und Schilde, und machten sich kampfbereit, während die Spannung stieg. Stephanus schnallte seinen Halbhelm aus grauem Eisen vom Rucksack ab und setzte ihn sich auf den Kopf. Wurden sie jetzt angegriffen?
    Bärenpelz – scheinbar der haarigste Mensch, der je auf Nirn wanderte, und der angebliche Sohn einer Bärin – verschwand, dicht gefolgt vom Kaiserlichen Cocius Spurius, im Laufschritt in der Menge aus Leuten.
    Ohne das Gewicht seiner persönlichen Sachen und seines Anteils am Zelt fühlte Stephanus sich sofort leichter. Die fehlende Last pochte angenehm in seinem Rücken und in seinen Schultern. Aber das nahm er nur am Rande wahr.
    Die aufsteigende Anspannung war nur die Spitze, von dem, was Stephanus schon die ganze Wanderung über verspürt hatte. Seine Augen blitzten wachsam hin und her, Ausschau haltend nach Bewegungen in den Bergen. Er konnte das Gefühl nicht loswerden, dass ihr Marsch allzu friedlich durch die Berge verlief, wo diese doch angeblich nur so vor marodierenden Halbnackten wimmelten.
    Sein Herz schlug schneller, und ein Teil von ihm wünschte sich unbedingt, dass es sich tatsächlich um einen Angriff handelte. Dann nämlich würde sein übles Gefühl Bestätigung finden, er würde endlich diese bedrückende Ruhe vor dem Sturm hinter sich gelassen haben. Ein anderer Teil von ihm nannte ihn einen Idioten dafür, dass er sich einen Kampf erhoffte.
    Jetzt hieß es abwarten.

    „Verflixt, ich bekomme noch Blasen an den Füßen,“ murrte Cocius einige Zeit später vor sich hin.
    Wie es sich herausstellte, war weiter vorne im Konvoi die Achse eines Wagens zerbrochen, was Stephanus bei dem üblen Zustand der Straße nicht im Geringsten überraschte. Es hatte eine Stunde gedauert, bis ein Ersatz für die Achse herangeschafft und verbaut worden war. Anschließend setzte sich die Kompanie wieder schleppend in Bewegung.
    Mittlerweile stand die Sonne schon um einiges höher am Himmel, und es wurde wieder heißer.
    „Du hast immer Blasen an den Füßen, Spurius,“ rief Folms Berend, ein Dunmer, dem Kaiserlichen höhnisch entgegen.
    „Wir sind erst seit gestern unterwegs,“ bemerkte Stahlzapfen zustimmend aus der Menge, „und Ihr heult schon wieder herum. Jedes Mal die gleiche Scheiße mit Euch!“
    „Wisst Ihr, Spurius,“ setzte Stephanus mit sarkastischem Tonfall an, „Wenn Euch das gehen so wenig gefällt, warum fragt Ihr nicht einfach den Schatzmeister, ob Ihr bei ihm auf dem Wagen mitfahren dürft?“
    „Wenn du ganz nett fragst, lässt er dich vielleicht sogar. Ich hab gehört, das ihm weiche Jungs aus Cyrodiil besonders gefallen,“ fügte Berend hinzu.
    Cocius verzog den Mund und machte mit seiner rechten Hand eine Wegwurfgeste. „Ich passe. Eher schlägt mich dieser Typ bewusstlos und verkauft meine Leiche dann an irgendeinen Krecken, damit dieser an mir seine Nekromantenphantasien ausleben kann, bevor er auch nur daran denkt, seinen fetten Arsch ein wenig zur Seite zu schieben, um Platz zu machen.“
    „Krecken? Pah! Was wisst Ihr schon über Krecken?“ fragte Bodeado herausfordernd. „Ihr könntet keinen Dreug von einem Krecken unterscheiden.“
    „Was in Oblivion sind denn Krecken?“, erkundigte sich Sylaen, doch niemand ging direkt auf ihre Frage ein.
    Erneut die verwerfende Handbewegung von Cocius. „Ich weiß genug über Krecken. Sie sind große, widerwärtig aussehende Schnecken mit Beinen, die ihre Kinder zu Seife verarbeiten, und die gerne mit Untoten dingen spielen. Die sind aber noch weit davon entfernt, so hässlich wie Fleisch zu sein!“
    Das erntete einige Lacher. Aber nicht von Fleisch. Fleisch lachte nie. Er lächelte nie. Nicht, wenn er nicht gerade jemandem die Knochen brach.

    Während Hrard in Ruhephasen normalerweise nur wenig Emotion an den Tag legte, verspürte Fleisch durchaus Gefühle. Diese waren jedoch auf ein sehr enges Feld begrenzt: Es gab Momente, in denen Fleisch die Welt hasste. Dann gab es Momente, in denen er die Welt ganz besonders hasste. Dieser grimmige Mensch, so war sich Stephanus sicher, würde jeden einzelnen von ihnen mit Freuden töten, würde es keine Konsequenzen nach sich ziehen.
    Der Kaiserliche konnte Fleisch nur als „Mensch“ einordnen, oder vielleicht als einen Elf mit abgestumpften Ohren. Er war nur etwas kleiner als ein Nord (und könnte sogar ein zu kurz geratenes Kind Skyrims sein) und hatte Haut, die fast schon weiß war. Jedenfalls dort, wo keine Narben seinen Körper verunstalteten, oder sie durch verheilte Spuren von Verbrennungen verfärbt wurde.
    Der Mensch hatte außer einem Paar buschiger Augenbrauen keine Haare, nicht einmal Bartstoppeln, und Stephanus wunderte sich oft, wie dieses zerklüftete Wrack eines Mannes noch aufrecht stand, lebte, und nicht schon längst den unzähligen Verletzungen unterlegen war, deren von diversen Gewalteinwirkungen erzählenden Spuren sein Antlitz immer noch verunstalteten. Das rechte Ohr fehlte ihm, und zudem kannte niemand seinen Namen. Jemand hatte mal spöttelnd erwähnt, dass er wie ein rohes, unförmiges Stück Fleisch aussah, und seitdem blieb der Spitzname an dem Menschen haften.
    Jungeiche erzählte hinter Fleischs Rücken von seiner Vermutung, der Mensch sei eigentlich der letzte Dwemer auf Nirn, der zu den Zeiten der argonischen Invasion nur knapp einer geheimen dunmerischen Folterkammer in Morrowind entwichen war und nun durch die Welt zog, um aus Rache an die Existenz an sich, so viel Schmerz und Verzweiflung wie möglich zu verbreiten.
    Gro-Ogdum behauptete im Scherz, selbst Molag Bal würde vor Fleisch die Flucht ergreifen, würde er seinen Umriss am Horizont auftauchen sehen. Natürlich schenkte Stephanus Brareks Blödsinn keinen Glauben.
    „Aber Gro-Ogdum könnte vielleicht sogar recht haben,“ dachte er bei sich, wobei er es aber nicht ernst meinte.

    „Lenk nicht von deinen Babyfüßen ab,“ beschwerte sich Bärenpelz mit seiner zu seiner Statur passenden tiefen Stimme.
    „Jetzt lasst mich doch endlich in Ruhe,“ verteidigte sich Cocius. „Wir sind davor doch schon mal durch irgendwelche, von den Acht verlassenen Berge gestolpert, und haben vor dem weitermarschieren nur kurz Pause gemacht. Ich habe halt sensible Füße.“
    Das kommentierte Bärenpelz mit einem lauten „Ha!“, und dann beließen sie es auch dabei.
    Hinter ihnen kämpfte sich das Rad eines Wagens lautstark über einen lockeren Pflasterstein, und viele von ihnen drehten im gehen instinktiv ihre Köpfe in der Erwartung, dass sie es mit einer weiteren Panne zu tun bekamen. Der Wagen rollte jedoch völlig intakt weiter, die Achse brach nicht. Erleichtert drehten sie sich wieder nach vorne.

    „Hab ich euch schon von dem einen Mal erzählt,“ begann Bodeado dann von irgendwo aus der Gruppe Marschierender.
    Ein einvernehmliches Stöhnen ging durch die Reihen, und jemand fragte nicht unliebenswert: „Wer hat vergessen, dem Piraten heute morgen das Maul zu stopfen?“, was von vereinzeltem Gelächter begleitet wurde.
    Der Rothwardone fuhr unentwegt fort. „Das eine Mal, da haben meine Jungs und ich, damals auf der „Maid von Rihad, da haben wir ein Schiff gekapert,“ erzählte er.
    Weniger als die Hälfte von ihnen hörte ihm zu, aber er schwätzte wie gewohnt fröhlich weiter.
    „Also, als wir an Bord gegangen sind und alles nach dem Kämpfen ruhiger geworden war, bin ich in die Kapitänskajüte gestolpert. Da hab ich den Kapitän gesehen, wie er vornübergebeugt über seinem Tisch saß.“
    Erneut unterbrach ihn einer der anderen: „Nicht schon wieder die mit dem Papagei!“
    Der Rothwardone räusperte sich nach dieser Unterbrechung kurz. „Ich komme also näher, da bemerke ich, dass der Typ eigentlich Neun-Loch mit einem Papagei spielte.“
    „Du hast uns diesen Müll letztens schon erzählt. Und da warst du auf der „Maid von Hammerfell“, oder wie auch immer,“ warf Folms Berend ein.
    Bodeado überging seine Bemerkung einfach.
    „Also, ich war schon beeindruckt,“ sagte der vermeintliche Pirat a.D., wobei er erzählerisch mit den Händen gestikulierte. „„Das ist ein echt kluger Papagei, den du da hast, dass der Neun-Loch spielen kann,“ hab ich zu ihm gesagt. Der Kapitän ist dann hochgeschreckt, denn er hatte mich bis dahin noch nicht bemerkt, so vertieft war er gewesen“ plapperte er, während Stahlzapfen „Unsinn“ rief.
    „“Ach, der ist eigentlich nicht so klug,“ sagte der Typ dann zu mir. „Ich hab ihn schon in zwei von drei Partien geschlagen.“ Das hat mich stutzig gemacht,“
    „Wirklich?“ Sarkasmus schwang in Meum-Tes zischender Stimme mit.
    „“Also,“ hab ich ihn gefragt, „was macht der Vogel denn, wenn du beim Spiel mal einen Fehler begehst?“ „Purzelbäume,“ hat er dann geantwortet. „Purzelbäume? Das ist ja unfassbar!““
    „Wie diese ganze verdammte Geschichte!“
    „“Wie viele Überschläge macht er denn?“, hab ich ihn danach gefragt.“
    Der Rothwardone legte eine künstliche Pause ein, und kam dann schnell zur eigentlichen Pointe seiner Anekdote:
    „„Das kommt drauf an, wie fest ich ihn Ohrfeige!““
    Bodeado und Rognag gro-Golug lachten laut auf, während einige der anderen leise kicherten, die meisten aber genervt stöhnten, den Kopf schüttelten oder mit den Augen rollten.
    Brarek seufzte. „Jetzt kann man nicht einmal mehr etwas lauter über die feigen Pfeilschießer herziehen, aber dass dieser lästige Herr Hammerfell einen andauernd mit seinen Lügengeschichten quält, da hast du kein Problem mit, Hrard?“ Von dem Truppenleiter gab es keine Antwort. Daraufhin schnaufte Jungeiche, und verstummte nun seinerseits erneut.
    Stephanus lächelte. Zum Guten oder zum Schlechteren, die Geschichten des Rothwardonen boten hin und wieder mal Abwechslung und lenkten einen von der ständig drohenden Gefahr ab. Sie hatten ihren eigenen Charme.
    Doch dann schüttelte der Kaiserliche den Kopf und sein Lächeln verflog wieder. Sich jetzt ablenken zu lassen könnte gefährlich werden. Sie hatten die unsicheren Berge noch nicht hinter sich gelassen, und die Abgeschworenen könnten jeden Moment auftauchen. Und nebenbei, das Gepäck und ihre Rüstungen und Waffen würden durch ein Paar Geschichten auch nicht leichter werden.

    Wie von Hrard prophezeit erreichten sie trotz der Verzögerung durch die Wagenpanne gegen Ende des Tages hin das kleine Minenarbeiterdörfchen Karthwasten.
    Der Strom, der sie auf ihren Weg durch die Berge begleitet hatte, war noch vorher an einer Kreuzung in den Fluss Karth gemündet, das große Fließgewässer, das dem in der Nacht durch Fackellicht erleuchteten Dorf und der großen Felsenstadt Markarth im Südwesten ihre Namen gab.
    Die Klippen hier waren stellenweise immer noch steil, gleichwohl sie weniger unerbittlich in die Höhe ragten, und in vielen Arealen verlief das Gelände doch noch um einiges sanfter. Dies hatte den hier lebenden Menschen es erst ermöglicht, ihre Häuser aufzubauen, ohne ständig in der Gefahr zu schweben, im Schlaf von einem Erdrutsch oder einem Felsensturz erfasst zu werden.

    Viele der Einwohner des Dorfes schliefen bereits in ihren Hütten, als ihre Vorhut die kleine Gemeinde erreichte. Einige Wenige standen jedoch noch wach vor ihren Türen, oder saßen auf verwitterten Bänken neben ihren Hütten. Ihre wettergegerbten Gesichter verrieten, wie niedergeschlagen sie sich fühlen mussten, und wie sehr sie von Gram geplagt wurden.
    Stephanus konnte das ganz gut nachvollziehen: Wie der Kaiserliche von Brarek Jungeiche erfuhr, wurden diese Minenarbeiter nicht nur tagtäglich von den Silberblut-Schlägern unter Druck gesetzt. Nein, jetzt mussten sie seit der Ankunft der Söldner auch noch in der Angst leben, dass einer der ausländischen Heuerlinge aus Spaß in ihre Häuser einbrechen könnte, und sie sich dann seiner Willkür ausgesetzt wiederfinden würden. Oder noch schlimmer, die Söldner könnten sich plötzlich dazu entscheiden, das Dorf zu Plündern und das gesamte Gelände auf der Suche nach verborgenen Schätzen umzugraben. Die einfachen Leute vom Land befanden sich in einer hoffnungslosen Situation, aus der sie, aus ihrer Sicht, wohl nur noch durch die Gnade der Götter in einem Stück wieder herauskommen würden.
    Die Dorfbewohner waren anscheinend nicht die einzigen Anwesenden, die nicht zur Kompanie gehörten. Hier und da erspähte Stephanus einen der misstrauisch und nervös dreinblickenden Männer in Lederharnischen, die von sich selbst behaupteten, für den Schutz der Einwohner hier zu sein. Es musste sich wohl um die Silberblut-Schläger handeln, und ganz offensichtlich hatten sie ganz andere Absichten, als für den Schutz des Dorfes zu sorgen, aber unter diesen Umständen beschützten sie die Einwohner Karthwastens durchaus.
    Hrard hatte an sie alle den ausdrücklichen Befehl weitergeleitet, den Minenarbeitern und ihren Angehörigen kein Haar zu krümmen, und vor allem den Schlägern nichts anzutun. Was sich hier abspielte, war wohl in die Innenpolitik Markarths verstrickt, und ganz klar wollte es sich die Leitung der Kompanie nicht mit der einflussreichsten Familie des Reach verscherzen. Zumindest noch nicht. Der Kaiserliche empfand es als unnötig, weitere Gedanken daran zu verschwenden und nahm den Befehl wortlos hin.
    Die Privatsoldaten schlugen ihr Nachtlager unweit des Dorfzentrums auf, auf einer größeren Fläche mit geringen Unebenheiten. Einige der Söldner in Gelb und die, die schon vorher hier im Dorf gewesen waren, verspotteten sich anfangs noch gegenseitig, doch das verging mit der Zeit, und sie warfen sich nur noch hin und wieder finstere Blicke zu und hielten sich sonst in ihren eigenen Bereichen auf. Sie hatten ein ausdrückliches Verbot, sich mit den angeheuerten Schlägern zu prügeln, und die Silberblut-Söldner befanden sich in der erdrückenden Unterzahl - Stephanus zählte höchstens zehn von ihnen. Dass die von sich aus gewalttätig wurden, war sehr unwahrscheinlich. Es würde also nicht zu einem Konflikt kommen.
    Irgendwie taten Stephanus die Dorfbewohner schon leid, aber er konnte an ihrem Schicksal auch nicht viel Ändern.

    Wie so oft saßen einige von ihnen um eine Feuerstelle versammelt. Ohne ausreichend verwertbarem Holz wurden die Wagen als eine behelfsmäßige Palisade um die Zelte der Wichtigsten unter ihnen abgestellt, und ohne eine schützende Mauer und im Gebiet potenzieller Feinde wurden doppelte Wachposten bezogen, so dass ihnen nicht viel Zeit zum Ausruhen blieb.
    Meum-Te stocherte mit einem krummen Stock im Feuer herum und schob einige mickrige Holzkohlen zur Seite. Um sie herum zirpten Grillen in einem durcheinander geratenen Rhythmus, und die beiden Monde erleuchteten ihnen die Nacht, auch wenn die Himmelsgestirne es nicht vermochten, viel Licht ins dunkle zu bringen. Die Hügel, Felsen und Klippen warfen lange Schatten, und nur an einigen Stellen erreichte das Mondlicht auch den Boden. Dennoch, es tauchte die Strohdächer der Dorfhütten, die Spitzen der wenigen Zelte (der Großteil von ihnen schlief im Freien), und die Köpfe und Schultern aufrecht stehender Leute in ein schimmerndes, silbriges Blau.
    Stephanus bildete sich kurz ein, im Feuer einen brennenden Mann in heiß dampfender Stahlrüstung wiederzuerkennen. Er rieb sich schnell die Augen und verbannte die unangenehme Erinnerung wieder in die Tiefen seines Hinterkopfes. Es gab zu viele Dinge, die er gesehen hatte und an die er sich lieber nicht erinnern wollte, und im Laufe der Jahre wurde die Mauer, die den Horror der Erinnerung zurückhielt, immer baufälliger. Ab und zu schlüpfte ein Bild durch eine Lücke in der mentalen Barriere, wenn er einen bestimmten Geruch vernahm, oder wenn er etwas sah, dass seine Erinnerung weckte. Aber es überraschte ihn selbst, wie vergleichsweise gut er alles wegstecken konnte. Dass er dank der Alchemie nicht träumte half garantiert dabei.
    Neben Stephanus reckte sich Brarek Jungeiche. Unwillkürlich drehte der Kaiserliche seine Augen in die Richtung der Bewegung des Nords. Der fast zwei Meter hohe Mann war selbst im Sitzen eine imposante Erscheinung. Blond, bärtig, blauäugig und mit wilden Gesichtszügen war er das perfekte Beispiel eines Nords. Als Bonus kam da noch seine geringe Intelligenz dazu.
    Mit seinen prankenartigen Händen blätterte er in einem abgegriffenen Buch mit einfachem Einband aus verschlissenem Leder, wobei er die Augen leicht zusammenkniff, und dem Anschein nach jedes geschriebene Wort stumm mit den Lippen nachformte.
    „Wusste gar nicht, dass Ihr lesen könnt“, spaßte Stephanus.
    „Ach, halt doch dein Maul“, knurrte der Nord. Er sah nicht von den beschriebenen Seiten auf, sondern hielt weiterhin seine tonlose Vorlesung, wobei er doch das ein oder andere Wort leise vor sich hin flüsterte.
    Eigentlich wollte sich der Kaiserliche nicht mit Brarek unterhalten (und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit), aber es gab im Moment einfach nichts besseres zu tun. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, bis ihre Wache begann, und er musste sich irgendwie wach halten.
    Stephanus saß für einige Augenblicke gedankenverloren nur so da und ließ seine Glieder ruhen, und dann erhob er erneut die Stimme.
    „Worum geht’s in dem Buch?“, fragte er.
    Jungeiche stöhnte entrüstet und blickte nun von seinem billigen Schmöker auf. „Wenn du dich so sehr dafür interessierst, kannst du's von mir aus selbst lesen.“
    Der Nord legte ein kleines Ästchen als Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor er sein Buch zuklappte und es energisch Stephanus zuwarf.
    Dieser fing es auf und begann nun seinerseits darin zu blättern.

    Stephanus überflog die Seiten des relativ kurzen Taschenbuchromans. Das Papier war bereits abgenutzt und gelbstichig, und sie knisterten bei jedem umblättern. Schnell hatte der Kaiserliche Brareks Lesezeichen passiert. Wie so oft zahlte sich die Bildung aus seiner nur allzu kurzen Jugend mehr als aus, denn im Gegensatz zum Nord hatte er keine Probleme mit dem Lesen.
    Als er das Buch schließlich kurz vor der Mitte wieder zuschlug, fragte sich Stephanus, warum er es eigentlich so unbedingt lesen wollte. Was hatte er erwartet? Was er hier in der Hand hielt, war keineswegs ein Meisterwerk literarischer Kunst. Enttäuscht reichte er das zerfallende Stück Lektüre an Jungeiche zurück.
    Der Nord hob erwartungsvoll die Augenbrauen. Sein Ärger von vorhin schien verflogen, und offenkundig wollte er wirklich wissen, was Stephanus von dem Buch hielt.
    Der Kaiserliche zuckte die Achseln und gab einen unzufriedenen „Ech“-Laut von sich.
    „Was ist?“, erkundigte sich Brarek ein wenig geknickt, denn ihm schien es nicht entgangen zu sein, dass Stephanus wohl nichts gutes über das Heftchen zu sagen hatte.
    „Damit ich das richtig verstehe“, setzte der Mann aus der Kaiserstadt an. „Die Hauptfigur, ein Argonier in der dritten Ära, ist aus einem Sklavenlager in Morrowind ausgebrochen, und hat es als untrainierter Minenarbeiter geschafft, den obersten Aufseher zu töten, und es zudem wie einen Selbstmord aussehen zu lassen? Und dann auch noch aus Morrowind zu entkommen?“
    Er schnaufte kurz und fügte dann sarkastisch hinzu: „Da bekomme ich ja schon Angst vor den Dorfbewohnern hier. Die sind sogar noch wohlgenährter als Sklaven, glaubst du, die könnten die ganze Kompanie im Schlaf ermeucheln und es dann wie einen Unfall aussehen lassen?“
    „Ach, mit euch Kaiserlichen is' es doch immer das Selbe. Ihr wisst immer alles besser, und nichts ist euch gut genug. Bei den Neun, ihr seit fast so schlimm, wie die verwünschten Hochelfen!“
    Zwar hasste Stephanus die gesamte altmerische Rasse wie die Pest, von Brarek auf fast die gleiche Stufe mit ihnen gestellt zu werden ging an ihm aber wirkungslos vorbei. Sich über so etwas aufzuregen wäre in den Augen des Kaiserlichen ziemlich kindisch gewesen, zumal ihm Brareks Meinung recht egal war. Stattdessen fuhr er mit seiner Buchbesprechung fort.
    „Des Weiteren tritt er der Kämpfergilde in Cyrodiil bei und wird von irgendeinem dunmerischen Kerl verraten, den er natürlich irgendwie in den Knast befördert. Dann wird der Name des Typen erst am Ende des Kapitels verraten. Wer zur Hölle ist Valen Dreth?“
    Jungeiche öffnete schnell den Mund für eine Erwiderung, doch blieb er einen Moment nachdenklich und stumm, bevor er schließlich antwortete.
    „Keine Ahnung. Aber das ist doch egal, oder? Vielleicht wird er später noch irgendwo erwähnt.“
    „Dies hier wurde offensichtlich von jemandem geschrieben, der Dunkelelfen hasst, oder Argonier liebt, oder beides. Vielleicht war er selbst sogar Argonier. Du solltest diesen Schund los werden. Der ist höchstens noch als Brennstoff fürs Feuer zu gebrauchen.“
    „Dich hat keiner Gefragt, kaiserliche Drecksau,“ erwiderte der Nord erbost.
    Entnervt schnellte Meum-Te aus seiner Sitzhaltung auf und fuhr sie an. „Können ihr Menschen nicht leise sein? Hätte ich Ohren, würden sie jetzt bestimmt abfallen.“
    „Was auch immer“, sagte Brarek beleidigt und klappte seine abgenutzte Lektüre wieder auf.
    Der Kaiserliche seufzte. Soldin Stahlzapfen konnte ein echter Starrkopf sein, mit einer Anfälligkeit für Provokation, aber mit ihm konnte man wenigstens anständig reden. Jungeiche dagegen war wie ein Kind. Ein großes, gefährliches Kind, das sofort alle Schotten dicht machte, wenn es nicht das hörte, was es wollte.
    Aber was machte das schon? Sich über die Sturheit der Nords zu ärgern war eine verlorene Sache, ein Spiel, bei dem man nicht gewinnen konnte.
    Stephanus schüttelte kurz den Kopf und starrte dann wieder ins Feuer.

    Bald hörte Stephanus Schritte hinter sich, und kurz darauf klopfte ihm jemand auf die Schulter.
    „Steh auf, Levinius. Deine Schicht.“
    Mit einem Grunzen hievte er sich hoch und wandte der Feuerstelle den Rücken zu, und blickte jetzt in das abgehärtete Gesicht von Harun, einem Rothwardonen. Stephanus kannte ihn nicht besonders gut, aber er Respektierte ihn ein wenig, da Harun ihm wie ein vernünftiger Mensch erschien.
    „Wie sieht's heute Nacht aus?“ erkundigte sich der Kaiserliche bei seinem müden Mitstreiter.
    Dieser zuckte die Achseln.
    „Nichts. Einmal ist eine Bergziege aufgetaucht, aber das war's auch schon.“
    „Nun gut. Schlaft Euch aus.“
    Der Kaiserliche ging los, während Harun, nun von Stephanus abgelöst, sich lautstark gähnend in Richtung Baracke aufmachte.

    Ein paar Stunden später befand sich der Kaiserliche in seiner Bettrolle. Es fühlte sich richtig gut an, nach einer langen Reise und stundenlangem Herumstehen mal die gepanzerten Stiefel ausziehen zu können, und sich auch fürs erste von den abgetragenen Socken zu befreien. Dazu fiel ihm ein altes Sprichwort ein: „Feuchte Socken töten ganze Armeen.“
    Cocius konnte davon wohl ein Liedchen singen. Wie sich heraus stellte, hatte er wirklich enorme Blasen an den Füßen bekommen, und Sylaen war so gnädig gewesen, ihm diese Auswüchse mit einem Dolch auf zu stechen und Cocius von dem schmerzhaften Druck, der auf seinen wunden Füßen lastete, zu befreien.
    Stephanus Wachschicht war entgegen seinen Erwartungen ereignislos zu ende gegangen. Für einige Stunden stand er zunächst noch aufmerksam, und später dann gelangweilt an seinem Posten. Das Feuer in seinem Rücken hatte ihn warm gehalten – ein Feuer vor ihm hätte ihm in die Augen geschienen, und es ihm erschwert, sich an die Dunkelheit der Nacht zu gewöhnen. Die Berge warfen lange Schatten, und das Mondlicht reichte kaum aus, wenn es denn mal nicht von Wolken geschluckt wurde. Und egal wie gut er auch hinsah, es gab nichts, das sich dort im Schatten bewegte. Die erbosten Reikmannen waren offenbar nicht so gefährlich, wie von den Einwohnern Markarth behauptet. Es wäre nicht das erste Mal, dass mit solchen Dingen maßlos übertrieben worden war, und sicherlich auch nicht das letzte Mal. Ein Bettler mit schäbigem Wolfsmantel wurde schnell zum Werwolf, und ein paar wütende Bergleute zur größten Bedrohung für die Straßen des Reach.
    „Oder sie meiden gezielt große Gruppen Bewaffneter.“
    Aber im Moment war es ihm einerlei. Nach dem Marsch und der Nachtwache sehnte er sich nach Ruhe und Schlaf. Morgen würden sie den Karth überqueren (den sie bei ihrem Stopp dazu nutzten, um ihre Frischwasservorräte aufzutanken und sich an seinen Ufern mit dem eisig kalten Wasser notdürftig zu waschen), und dann währen sie, nachdem sie den großen verfallenen Festungsturm auf der anderen Uferseite passiert hatten, schon aus dem angeblichen Einflussgebiet der Abgeschworenen heraus.
    Stephanus drehte sich auf die Seite und fischte mit seinen Händen eine der Phiolen flüssigen Traumraubs aus der vordersten Tasche seines Rucksacks. Wie es heute um seinen geistigen Zustand stehen würde, hätte der Alchemist nicht diese Formel entdeckt, konnte Stephanus nur vermuten. Er erinnerte sich noch an seine ersten Nächte als Heuerling.
    Er hatte damals aus Angst vor dem, was er in seinen Träumen sehen konnte, drei Tage nicht geschlafen, bis er dann vor Erschöpfung einfach ohnmächtig wurde und einige Stunden später wieder aufgeschreckt war. Die folgende Nacht hatte er sich vor Verzweiflung bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, und erst am darauf folgenden, von einem enormen Kater begleiteten Tag schlug ihm jemand vor, dem Alchemisten mal einen Besuch abzustatten.
    Bestürzt stellte Stephanus fest, dass ohne den Alchemisten sein Leben ganz anders verlaufen wäre. Womöglich wäre er jetzt bestimmt tot, denn einen traumatisierten, insomnischen Säufer konnte man in einer Privatarmee wohl kaum gebrauchen. Er wäre aus der Kompanie geschmissen worden, und anschließend irgendwo als Bettler in irgendeiner Stadt am Wegesrand verendet.
    Er seufzte, und mit einem lauten „Plop!“ entkorkte er den Glasbehälter und setzte ihn anschließend an seine Lippen.
    „Aufs Wohl.“
    Nach einem tiefen Schluck von der bitteren Substanz verkorkte er das Fläschchen wieder. Wie so oft verzog er das Gesicht bei der Attacke auf seine Geschmacksknospen, während er das Elixier wieder in den Rucksack verfrachtete.
    Wie üblich würden ihm diese Nacht jegliche Träume erspart bleiben, und dafür dankte er den Neun.
    Geändert von Kampfkatze2 (24.06.2016 um 00:06 Uhr)

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