Zitat von Kelven"
Wie stellst du dir das stärkere Abgrenzen von den westlichen RPGs denn vor? Jetzt spielerisch gesehen.
...
Dafür verwende ich ein Prinzip, das ich (seit heute) PIZZA-Prinzip nenne:
Pacing
Inhalt
Ziele
Zubaz Pants
Abwechslung
(Nein, das ist nicht hingewurschtelt.)
Pacing
Gutes Beispiel: Velsarbor, Grandia 2
Unter Pacing verstehe ich eine Gemeinschaftsaufgabe von Handlung und Gameplay. Die Handlung gibt die Situationen vor, in der die Party landet. Das Gameplay ist das Lösen dieser Situationen. Als Motivator spielt die Handlung eine entscheidende Rolle, denn anders als in West-RPGs, erwarte ich in JRPGs, dass meinen Aufgaben Bedeutung innewohnt. Um das mit einer Analogie zum Adventure-Genre zu verdeutlichen: Entwickler sind sich alle einig, dass Rätsel ohne handlungstechnische Bewandnis, schlechte Rätsel sind. Filler. Man muss nicht so radikal sein und alles, was nach Filler stinkt, rauswerfen. Stattdessen kann man sie verstecken bzw. in den Dienst der Handlung stellen. Dort, wo sie keinen Sprung macht, keine Wendung erfährt, ist Platz für Charakterinteraktion. Der typische Gebirgspfad zwischen Handlungsort A und B ist z.B. so ein Filler, der die Profile von Charakteren und Spielwelt stärken sollte. Mittels Dialogen und Aufgaben. Menschen unterscheiden sich nicht nur durch das, was sie sagen, sondern auch durch Taten. Spielerisch wird das selten herausgearbeitet. In Final Fantasy 9 mochte ich, dass Vivi ziemlich am Anfang in der Eishöhle dafür zuständig war, das Eis zu schmelzen, um Wege freizulegen. Eine nette, kleine Verbindung zwischen Handlung und Gameplay. Insgesamt habe ich das Spiel in dem Punkt gut in Erinnerung.
An sich beschreibt Pacing den Gesamtzusammenhang. Eine gute Balance aus Spannung und Entspannung, die nur mit strikter Regie funktioniert. In West-RPGs sucht man sich das Pacing selbst aus, in JRPGs sollte es in bester Weise vorgegeben sein. Survival Horror funktioniert fast ausschließlich mit vorgegebenem Pacing:
Zitat
Ruhiger Moment => dann ein Zombie der durchs Fenster kracht und den Puls hochtreibt => dann Suspense, der in einen Höhepunkt kulminiert => dann wieder ein ruhiger Moment.
...
Ein steter, kalkulierter Wechsel zwischen Spannung und Entspannung. Das stelle ich mir auch für JRPGs vor.
Inhalt
Gutes Beispiel: Beyond Good & Evil
Das West-RPG zentriert sich auf seine Welt, das JRPG auf seine Story. Das heißt nicht, das nicht beides möglich ist. Suikoden schätze ich besonders wegen seiner Story und die gibt sich alle Mühe, mir die Spielwelt als schützenswerten Ort nahezubringen. Aber eben mit ganz anderen Mitteln. Was JRPGs von hier drüben lernen können, ist Subtilität. Ich mag die besinnlichen Momente in Skyrim, wenn ich alleine durch die Prärie stapfe und den Zyklus der Natur beobachten kann. Das ist das "Show, don't tell"-Prinzip. JRPGs sind direkter (Anime übrigens auch). Sie können wunderbar mit Melodramatik glänzen und dafür sorgen, dass ich etwas wirklich tun will. Z.B. den Obermotz vermöbeln.
Das JRPG braucht Regie und was Regie braucht, braucht interessanten Inhalt. Gut geschriebenen, gut gepaceten, manchmal überraschenden, emotional packenden Inhalt. Und das Gameplay braucht dasselbe. Dass ich ein Fan von deinem Ansatz in "Im Herz der Finsternis" bin, sollte dir bekannt sein Kelven. Inhalt bedeutet für mich, abseits von Abwechslung, dass das Gameplay sehr verdichtet ist, nur abstinent, wenn dem Spieler Entspannung gegönnt werden soll. Mit Verdichtung meine ich: Gegner sind Teil ihrer Umgebung, also sollten sie auch so behandelt werden. Alles hängt miteinander zusammen, aber JRPGs missachten das.
Beyond Good & Evil ist zwar kein JRPG, aber es ist französisch und damit irgendwie das gleiche. Die Spielwelt ist ein sehr organischer Ort, weil sich alles wie ein Teil von ihr anfühlt. Gegner sind von ihrer Umgebung abhängig, patroullieren und interagieren mit ihr. Gameplay ist kein Stückwerk, sondern zusammenhängendes Level Design. Level Design in JRPGs sieht im schlechtesten Fall so aus, dass es ein Areal gibt und in dem Areal greifen ein paar Systeme - Kampfsystem, Rätselmechanik, Erkundung - unabhängig voneinander. So bekomme ich weder ein Gefühl für das große Ganze, noch komme ich in den guten Flow (Flow finde ich oft furchtbar, gerade in West-RPGs).
Ziele
Gutes Beispiel: Gemini Rue
In West-RPGs streife ich oft ziellos umher, in JRPGs will ich immer wissen, was zu tun ist. Und ich will oft dran erinnert werden. Ziele sind etwas gutes. Kleine Ziele, mittlere Ziele, große Ziele - es gibt wenig schöneres, als Ziele zu erreichen. Beispiel aus der schmutzigen Arbeitswelt: Als Programmierer mag man viele kleine Tickets lieber als große Sammeltickets. Nicht nur, weil sie übersichtlicher sind. Sie verschaffen auch häufiger Erfolgserlebnisse. Man sagt sich eben gerne, was für ein geiler Typ man ist.
Also: Das Ziel will ich stets vor Augen haben. Wie sieht es mit der Lösung aus? Linearität sehe ich zwar als Merkmal von JRPGs an, aber das sollte nicht von kleinen Abweichungen abhalten. Solange sie nicht die Integrität der Handlung untergraben.
Wieder eine Analogie zum Adventure-Genre: Ein Ansatz, Rätsel zu entwickeln, ist mit der Lösung, dem Ziel anzufangen. Das Top-down-Prinzip. Interessante Ziele erfordern interessante Wege. Das Spiegelschrank-Rätsel in Kill Switch ist so entstanden:
Ziel: Einen Code bekommen.
Ort: Spiegelschrank im Schlafzimmer.
Idee: Code ist unsichtbar und muss sichtbar gemacht werden.
Umsetzung: Code steht spiegelverkehrt auf einem Zettel, muss abgeschrieben und in einen Spiegel gehalten werden.
Diese Vorgehensweise lässt sich auf die meisten Spielsituationen übertragen. Ob Rätsel, Geschicklichkeitseinlagen oder Kämpfe.
Zubaz Pants
Alles wird besser mit Zubaz Pants.

Abwechslung
Gutes Beispiel: Die Reise ins All
Egal wie gut automatisierte Prozesse sind, sie ersetzen nicht den Erfindungsreichtum. Zufallskämpfe sind so ein automatisierter Prozess. Der Entwickler gibt Kontrolle ab und muss sich darauf verlassen, dass seine Algorithmen stark genug sind. Auch im Zusammenspiel. Effektiv werden automatisierte Prozesse in JRPGs aber nur genutzt, um sich als Entwickler Arbeit zu sparen, während sie in West-RPGs dem Simulationsanspruch dienen.
JRPGs sollten nie an falscher Stelle Kontrolle abgeben. Das tun auch die wenigsten, aber an Abwechslung mangelt es ihnen trotzdem. Ich denke, real Troll hat in der Allreise einen guten Weg gewählt, indem er jede Spielsituation als etwas neues behandelt. Sie unterscheiden sich nicht nur optisch voneinander (selbst das ist von einigen Spielen zu viel verlangt, die Dungeons mit Palette Swaps verschandeln), sondern auch hinsichtlich der gestellten Aufgaben und ihrer Lösungswege. Die gemeinsamen Nenner - Kämpfen, Erforschen und Rätseln - sind immer da, um dem Spiel einen uniformen Charakter zu verleihen. Die ersten Aufgaben in der Allreise gestalten sich in etwa wie folgt:
- Das Geheimnis einer Ruine lüften.
- Sich auf einem Militärstützpunkt zurechtfinden.
- Die Weltausstellung besuchen.
- Mit dem Orientexpress fahren und einen Mord aufklären.
- Frankensteins Monster am Mittelpunkt der Erde erwecken.
- Die Schatzinsel.
Die Abwechslung ist von der linearen Handlung vorgegeben. Das Gameplay ist jeweils an die Situation angepasst.
Abwechslung schreibt sich also und berechnet sich nicht (zumindest nicht über logische Grenzen hinaus). Das JRPG lebt sehr gut mit solcher Abwechslung.