Wer keine Lust hat noch mehr über das Thema Geschichtenerzählen zu lesen kann den Text gleich überspringen. ^^ Ich führe hier nur das fort, was ich schon in anderen Threads angesprochen habe.
Eines meiner Lieblingsthemen, mit denen ich mich schon länger beschäftige, ist die Wirkung von Geschichten in Spielen und anderen Medien. Losgelöst von der Frage des Geschmacks hab ich darüber nachgedacht, ob es noch einen viel elementareren Unterschied gibt, der auch erklärt, wieso Geschichten so unterschiedlich wahrgenommen werden. Ich denke, das Thema ist für die Makercommunity sehr interessant, da ja viele von uns immer wieder betonen, wie wichtig ihnen eine "gute" Story ist. Doch wie so eine "gute" Story aufgebaut wird, hat noch niemand in einer allgemein anerkannten Form sagen können. Es ist klar, dass die Story bei einem Spiel nicht alles ist, sondern auch die Spielmechanik sehr viel ausmacht, aber mir wird sicherlich niemand widersprechen, wenn ich sage, dass ein Spiel mit guter Story und guter Spielmechanik besser ist als eines mit schlechter Story und guter Spielmechanik. Aber was ist nun eine "gute" Story? Wieso ist das so umstritten? In den Threads, die ich zum Thema aufgemacht habe, haben einige behauptet, dass es objektive Maßstäbe zum Bewerten der Qualität einer Geschichte gibt, was von anderen wieder abgestritten wurde. Allgemein schienen sich beide Seiten nicht zu verstehen.
Meine gewagte These ist, dass sich die Sichtweise auf eine Story einmal in eine eher analytische Sicht und in eine empathische Sicht einteilen lässt. Dies geschieht in Anlehnung an die - zumindest in der Populärwissenschaft - relativ aktuelle Einteilung der Gehirne in diese beiden Grundmuster. Ich lasse die dort übliche Einteilung in Geschlechter mal außen vor, weil ich der nicht unbedingt zustimme. Falls jemand nach einem wissenschaftlichen Beweis für die These fragt - den kann ich nicht liefern, es ist alles nur eine Vermutung.Natürlich gibt es in der Realität nicht so eine klare Trennung, aber ich denke bei jedem Menschen ist eine Tendenz in die eine oder andere Richtung feststellbar und bei vielen ist sogar eine von beiden sehr dominant. Die beiden Sichtweisen würde ich ungefähr so beschreiben:
Die Leute, die eine analytische Sichtweise haben, achten eher auf die Struktur einer Geschichte - den logischen Zusammenhang, während die mit empathischer Sichtweise eher auf die von der Geschichte erzeugten (bzw. in ihr vorhandenen) Gefühle achten.
Logischerweise lassen sich nicht nur die Leser, Zuschauer, oder Spieler einer der Sichtweisen zuordnen, sondern auch die Autoren der Geschichten, wodurch letztendlich auch die Geschichten in die eine oder andere Richtung gehen. Vielleicht gibt es Geschichten, die eine perfekte Mischung zwischen beiden darstellen, aber das ist vermutlich eher Ausnahme als Regel. Wie gesagt, die Realität lässt sich nicht so klar in das eine oder andere einteilen, aber je mehr eine Geschichte in eine der beiden Richtungen drängt, desto auffälliger werden die Abweichungen. Ich bin nun der Auffassung, dass sich diese beiden Arten von Geschichten fundamental voneinander unterscheiden und deswegen auch ganz andere Zielgruppen ansprechen. Das führt wieder dazu, dass die eine Seite die Standpunkte der anderen nur sehr schwer nachvollziehen kann. Man darf das jetzt aber nicht so wortwörtlich nehmen, dass "analytischen Leute" keine Emotionen in der Geschichte brauchen und umgekehrt. Natürlich würde den "analytischen Leuten" eine Handlung voller emotionsloser Figuren genauso stören, wie den "empathischen Leuten" eine Handlung mit so vielen Logikfehlern wie ein schweizer Käse Löcher hat.
Welches Fazit kann man nun daraus ziehen? Ich denke, man sollte sich bei der Spielentwicklung vor allem darüber im Klaren sein, welche Zielgruppe man ansprechen will. Sollen es am Ende sogar beide sein, müßte man die Geschichte in beiden Bereichen sehr ausgewogen gestalten, was mMn aufgrund der unterschiedlichen Denkweisen sehr schwierig wäre. Andererseits müßte man aber auch ein neues Verständnis für das Geschichtenerzählen entwickeln und eher bereit sein, die anderen Standpunkte zu akzeptieren.
Nun könnte man mir vorwerfen, ich hätte das alles nur geschrieben um Storyfehler zu rechtfertigen. Also im Sinn von: "Meine Story soll die Leute auf emotionaler Ebene berühren, also muss sie nicht logisch sein". Das stimmt pauschal aber nicht. Um das zu erklären, muss ich ein wenig vom eigentlichen Thema abschweifen. Als klassisches Beispiel für einen Storyfehler nehme ich mal wieder die berüchtigten plot holes. Am Namen lässt sich schon leicht erkennen, dass ein plot hole die Struktur einer Geschichte "beschädigt". In dem Sinn stimme ich den Kritikern solcher plot holes zu, dass sie für eine Geschichte etwas negatives sind. Man muss dabei aber zunächst differenzieren, wodurch die plot holes entstehen und außerdem beachten, welche Auswirkung sie auf die Handlung haben.
Für die Entstehung von plot holes gibt es mMn folgende Gründe:
- der Autor hat etwas vergessen, oder übersehen (was eindeutig seine Schuld ist).
- das Publikum schreit zu früh plot hole, obwohl es später in der Geschichte geschlossen wird (das ist eindeutig die Schuld des Publikums).
- etwas, das als plot hole angesehen wird, ist gar keines - das Publikum hat nur etwas falsch verstanden. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Wenn die Mehrheit des Publikums einen Handlungsabschnitt nicht versteht, dann hat der Autor es wohl nicht geschafft ihn richtig zu erklären. Ist es aber nur eine Minderheit, die den Handlungsabschnitt nicht versteht, liegt es eher an den Leuten.
Die Auswirkung der plot holes hängt nun einmal mit ihrer Schwere und Anzahl zusammen, aber auch mit der Sichtweise des Publikums, um wieder zum Thema zurückzukommen. Ich denke die meisten werden mir zustimmen wenn ich sage, dass Geschichten vor allem unterhalten sollen. Dies hängt stark mit der Immersion der Geschichte zusammen; dem vielzitierten "suspension of disbelief". Die Frage ist, ob eine Geschichte nun automatisch durch plot holes und andere Storyfehler ihre Immersionskraft verliert. Und hier denke ich, dass das sehr stark von den beiden oben genannten Sichtweisen abhängt. Die "analytischen Leute" nehmen der Geschichte solche Fehler viel übler, als die "empathischen Leute". Wie gesagt, das soll nicht der Entschuldigung von Storyfehlern dienen, sondern nur eine Erklärung anbieten, wieso die einen von einer Geschichte begeistert sind und die anderen sie am liebsten in der Luft zerreissen würden.