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Thema: Der Protokollant

  1. #1

    Der Protokollant

    der Anfang einer kleinen Geschichte...
    bisher steht ein grobes Gerüst, nur der Prolog ist ausformuliert.
    Scheut nicht mit Kritik und sagt mir wenn ich die Idee lieber verwerfen soll
    Weiterschreiben?


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    Der Protokollant

    Prolog: Am Bahnhof


    Was für ein wunderschöner Novembertag, denkt er sich und bläst heißen Atem in die kalte Luft. Ein Wölkchen, ein Strudel in sich gefangen vor seinem Mund. Steigt in kleinen weißen Schwaden im harten Wind wirbelnd auf, schlängelt sich an der Säule des Bahnhofvordaches hinauf und schwebt von dort aus ungehindert in den grauen Nachmittagshimmel. Er starrt lange dem kleinen weißen Schwaden nach bis sie im Nichts verschwinden. Weiter blickt er auf den Punkt im endlosen Himmel an dem er als letztes die kleinen Wölkchen gesehen hat. Das Grau vor ihm verschwimmt und ein neues Bild taucht auf:
    Er steht an einem kleinen Vorstadt-Bahnhof. Der Bahnsteig ist leer. Zwischen den Vordachsäulen zieht es kalt,. Braune Blätter spielen, tollen in Gruppen umher, rascheln ausgiebig. Manche liegen einfach nur einzeln da, sind nass und kleben am Boden. Er lehnt sich wieder zurück an die schlanke Stütze die das Dach des Bahnhofs trägt. Lässt den Kopf sinken:
    Der Himmel ist in einem grau gestrichen wie es nur jetzt im Herbst vorkommt. Ein herrliches grau. Dicht wie die Mäntel die das Herz wärmen, und doch so kalt wie die Asche in den Urnen.
    Durch die klare Luft muss man nicht zwischen Wolken hindurch das hoffnungsvolle Blau suchen, vielmehr kann man sich auf der Gewissheit ausruhen dass hinter dem schlichten Grau ein schönes Hellblau wartet einen zu beglücken.
    Die Hände sind blau, blau und klamm. Die Fingerspitzen sind kaum mehr zu spüren, nur noch mit einem leisen Kribbeln machen sie auf sich aufmerksam. Ein komisches Gefühl, als ob der Tod an den Fingern saugt, verliebt knabbert und von dort aus sich ausstreckt den ganzen Körper nach und nach in langen Kämpfen einzunehmen. Ohren rot, Nase läuft und Beine zittern ständig um den kalten Feind Widerstand zu leisten.
    Aber die Kälte reinigt, wie die saubere Luft die Lungen, den Verstand. Alles womit man sich gerade unnötiger Weise beschäftigt hat wird vom eisigen Schwamm fortgewischt. Nur noch einige Wörter prangen an der Tafel, aber die sind wichtig. Die muss man abschreiben sagt der Lehrer.
    Eine Erholung von den Strömen die von außen eindringen und sich in den verschieden Gedankenflüssen sammeln, geballt weiter ihrem Weg folgen und ihn auch finden. Das Hirn kann sich nie eine Pause gönnen.
    In einer nicht zu erkennenden Bewegung führt er seine Hand von der bisher wärmenden Tasche zu seinem Gesicht, über den harten Bart, spürt die einzelnen Stoppeln und streicht die Kälte von den geröteten Wangen. Schlägt müde die Augen nieder und sperrt die Welt aus für einen Moment der Ruhe. Er schöpft Kraft. Bis er sie wieder langsam öffnet und die Welt wieder auf ihn einstürzt. Um ihn herum tobt.
    Dabei ist der Steig völlig leer, er steht allein. Nur das rhythmische Ticken der großen analogen Bahnhofsuhr ist zu vernehmen. Es trommelt leise immer wieder auf die Becken im Kopf, gleichmäßig wie eben dieses Uhrwerk gibt der Sekundenzeiger den Takt an für das tragische Drama Welt.
    Dies kann er hören.
    Bald wird auch diese schöne Erinnerung, die Begleitung vieler Generationen Reisender schweigen, wird ersetzt werden von der Moderne. Ein kleiner digitaler Kasten wird dort hängen, unpersönlich mit Zahlenanzeige. Nicht mehr das als Kind gelernte Paar, kein großer oder kleiner Zeiger mehr die sich jagen und doch friedlich ihr Heim teilen. Nur 4 Ziffern die vermeintlich genauer Auskunft darüber geben was die verstummten Zeiger über Jahre taten. Gefühle und Erinnerungen werden wach, lange, lange ist es her...
    Wie werden Kinder der Grundschule die Uhr lernen?
    Solche Nebensächlichkeiten werden für sie aussterben und nie mehr wiederkehren, schießt es ihm dann plötzlich durch den Kopf. Einen Moment noch streunen die Augen über die zerbrochenen Betonplatten auf denen er sicher steht, betrachtet kurz das graue Grün was dort trotzt.
    Einem Einfall folgend lässt er dann eilig seinen Rucksack auf den Boden gleiten. Den Rucksack den er die ganze Zeit ohne Last auf dem Rücken trug. Ungelenkig sinkt er in die Knie, die Kälte hat seine Gelenke gelähmt. Und auch mit ungelenken, grabschend zitternden Fingern öffnet er den Rucksack. Er kniet, wackelt, fällt fast um. Die Füße sind noch taub, waren eingeschlafen und werden von heißen Nadelstichen geweckt. Aber seine Aufmerksamkeit richtet sich auf den schwarzer Schlund des Untiers der sich vor ihm auftut, mutig greift er hinein und findet das einzige Inhaltsstück, ein in Leder gebundenes Buch, früher war es bestimmt mal ein Notizbuch. Hastig schlägt er es auf, immer noch von steifen Fingern behindert sucht er die nächste leere Seite in dem fast vollständig "gefülltem" Buch. Jede Seite zieren nur drei oder vier Wörter, höchstens mal ein ganzer Satz, manchmal nur ein einzelnes kleines Wort. Dann beherrscht er sich, blättert Seite für Seite vorsichtig um.
    Mein Schatz, könnte man ihn nun sagen hören wenn er es nur aussprechen würde.
    "Quelle", "Kassette" und "Fuchs" huschen so vorbei.
    Die nächste weiße Seite, er bleibt stehen.
    Greift den angeklemmten Kugelschreiber und schreibt in krakeligen Buchstaben "großer und kleiner Zeiger" direkt in die Mitte des Blattes. Sein Schreibgerät schwebt immer noch gefährlich nah über das gerade Vollbrachte. Aber es besteht die Zensur. Betrachtet sein Kunstwerk schweigend. Dann hält er inne, legt seinen Kopf kurz in den steifen Nacken und schlägt die Seite um. Blickt noch mal auf, legt die Stirn in Runzeln, er will nichts überhasten. Nun schreibt er "Novembergrau", dies mal sorgfältiger in gewählten Buchstaben. Lehnt sich zurück, erschöpft scheint er.
    Muss ich mir unbedingt merken, formen seine stummen Lippen. Legt sein Buch sorgsam, wie eine Mutter ihr Kind, in den Rucksack zurück, verstaut es sicher. Er schließt den Rucksack und nimmt ihn sacht wieder auf. Befriedigt guckt er nochmals in den Novemberhimmel. "Schönes grau", sagt er leise und lässt sich langsam gegen die Stütze des Bahnhofvordaches sinken. Atmet hörbar aus.

  2. #2
    Langsam (nach "In einer sternenlos klaren Nacht" im Gedankenwelt-Thread und jetzt dem hier) meine ich bei dir eine Tendenz zu erkennen, dass du quasi versuchst, mit Worten ein Bild zu malen. Im Grunde ist rund die Hälfte deines Prologs nur eine Momentaufnahme der Umgebung. (Soll nicht heißen, dass ich das schlecht finde, es ist mir einfach bein Lesen aufgefallen.)
    Zur Geschichte kann ich noch nichts sagen, da bisher kaum Handlung vorkommt. Deine Hauptfigur scheint aber eine interessante (weniger höflich: ziemlich seltsame) Figur zu sein. Mal abwarten, wies weitergeht.

  3. #3
    Dito an Liferipper.
    Schreib auf jeden Fall weiter, ich fürchte mich jetzt schon davor, interpretieren zu müssen, weil es genau wie bei deinen anderen Geschichten ist. Die Lösung scheint extrem nah, aber eigentlich hab ich keinen Schimmer. 8)
    Der Typ mit dem Buch ist sympathisch.

  4. #4
    so, Kapitel 1 ist da...
    hoffe auf viel Resonanz
    und wieder die Frage: Weiterschreiben?

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    Kapitel 1: Die Zugfahrt

    Von weitem schon kann er den Zug hören, die leisen scharrenden Geräusche. Die schnellen Räder, die Bremsen, die Funken vor sich springen sehen. Er muss nicht in den Graben hinuntersteigen, dort wo die Schienen und die großen Steine liegen, um dass zu fühlen. Er muss nicht wie die Indianer den Kopf auf die eisernen Stränge pressen, oder sein Ohr an die Erde legen um die Büffelherden aufzuspüren. Er hört es einfach so.
    Dann, das leise Klappern und Scheppern, das Signal springt um und zeigt an: Ein Zug kommt.
    "Auf Bahnsteig eins fährt ein, der Zug aus...".
    Er hat die Zeichen richtig gedeutet. Der Lautsprecher hat ihn bestätigt, ohne irgendetwas von dem verstanden zu haben was der Ansager den Reisenden ankündigt, weiß er das. Die Ansprachen des Bahnhofvorstehers kennt er schon. Er liebt es ihnen zu lauschen, dem näselnden Lautsprecher zu folgen und die einzelnen verzerrten Laute zu neuen Wörter zusammenzufügen. Der erzählt Geschichten von der Welt, von fremden Ländern, Menschen, Abenteuer, von Reichtum und Krankheiten. Die Geheimsprache kann nur ich verstehen, denkt er sich dann immer und kommt sich vor wie ein kleines Kind. Ein kleines Lächeln spielt für einen Moment um den traurigen Mund. Ich lernte sie jahrelang, Tag für Tag, von meinem eckigen kleinen Lehrer unter dem Vordach des Bahnhofgebäudes.
    In der Ferne tauchen nun die zwei gelben Augen des stummen Tieres auf. Blitzen um die Kurve und kommen dann direkt auf einen zu. Er stellt sich oft vor, dass es die wilden Augen eines Tigers sind, die dort leuchten. Aber dieser wurde gezähmt, das unruhige Feuer in seinen Augen ist erloschen.
    Schade dass es keine Dampflok ist, kommt es ihm in den Kopf, sonst könnte ich das Tier schnaufen und fauchen hören, es atmen sehen. Ich hätte gesehen wie der Drache Feuer speit, so wie früher, wo sie noch lebten die schwarzen Drachen.
    Sentimental ist er. Eine traurige Krähe will ihr Nest verlassen, aber es ist zu hoch gebaut.
    Bis die Ritter in den Kampf zogen und die Drachen dahinrafften.
    "Früher" ist ein dummes Wort, wir leben im Heute.
    Während seine Gedanken mit Drachen und Rittern spielen kommt der Zug neben dem Bahnsteig zum Stillstand. Drinnen kann man auf hellerleuchtenden Sitzen die Insassen sehen. Aber er sieht sie nicht. Ohne sie eines Blickes zu würdigen guckt er gen Himmel. "Dunkel wird’s", sagt er, flüstert leise dem Grau über den Baumwipfeln zu. Er senkt seinen Kopf, versteckt ihn im Aufschlag der Jacke, bahnt sich mit ausholenden Schritten seinen Weg durch die Aus- und Einsteigenden und tritt ein. Fühlt nun die Wärme um sich wogen. Leise kann er dem Verkünder der Geheimsprache lauschen, kaum nimmt er ihn wahr. Auf Wiedersehen, sagt er.
    Seine Augen wandern zwischen Bänken und Menschen, suchen einen Sitzplatz. Ah, da ganz hinten. Wieder schlängelt er sich zwischen den Reisenden durch die auch auf der Suche nach einem Platz sind. Läuft zwischen lebendigen Reihen. Blickt nicht links nicht rechts, ist nur starr auf sein Ziel fixiert. Dabei entgehen ihm die Gesichter von vielen Leuten die da sitzen, schlafen, lesen, Musik hören, träumen, reden, nachdenken. Die Neuankömmlinge lassen sich alle nur erschöpft zwischen ihnen fallen. Sie stören das ruhige Bild der Bahnfahrer, die da alle gelassen warten was kommt.
    Er hat seinen Platz, hat mal wieder den Kampf gewonnen. Lässt sich nieder zwischen den Menschen die in jedem Zug zu dieser Tageszeit sitzen.: Pendler. Ihm gegenüber der Geschäftsmann, fein verkleidet im grauen Anzug und mit der Krawatte als anständiger Mann gekennzeichnet. Sieht aus wie ein Bänker - ein Denker? Vielleicht. Darf man nicht ausschließen, er grinst gehässig bei dem Wortspiel das sich in seinem Kopf bildet. Sein Blick streift das Fenster. Es spiegelt die Leute die hinter ihm sitzen, die er von seinem Platz aus nicht sehen kann. Da kauert die lernende Studentin total vertieft in ihre Bücher neben dem Lehrling mit seinem verschmutzen Blaumann. Ein schönes Paar, denkt er sich. Und da im Eck, das kann er durch das Fenster nur verschwommen erkennen ist einer eingenickt. Sein Kopf liegt auf der Brust, die Zeitung auf seinem Schoß. Was liest der denn da?, fragt er sich. Große Schlagzeilen sind zu erkennen, ein kurzes Wort zu lesen: "tot". Seine Lippen formen das Wort, kein Ton entsteht. Leise echot es in seinem Kopf.
    Schnell wendet er seinen Blick ab. Will nicht mehr dieses schreckliche Wort lesen und an es denken. Die Augen sind auf der Suche nach einem neuen Anhaltspunkt, schweifen mal hier mal da, unstet durch Leben die wie auf der Hühnerstange aufgereiht hocken. Dann findet er diesen Punkt, auf den er sich konzentrieren kann. Erleichterung überkommt ihn.
    Wie in jedem Zug ist auch hier ein riesiger brauner klebriger Fleck auf dem Boden, eine Zierde die jeden guten Zug kennzeichnet. Ein leises zynisches Lächeln umspielt gekünstelt den Mund mit den hängenden Winkeln. Komisch ist das Gefühl, er will sich selber weiß machen dass es ihm gut geht. Vielleicht auch den anderen, aber da kommt es ihm: Die anderen müssen mich für verrückt halten, wenn sie einem dumm grinsenden Fahrgast sehen, ich muss miesepetrig dreinschauen.
    Er lacht auf. Schrill.
    Köpfe werden herumgerissen, Schlafende blicken auf. Böse Blicke halten ihm eine Hand vor den Mund. Schnell beruhigt er sich, schluckt sein Grinsen trocken herunter. Ist wieder ernst. So ernst wie man es erwartet.
    Er ist scheu, will nicht auf sich aufmerksam machen. Taucht gerne in der Masse unter, wie ein kleiner Fisch im großen Meer, versteckt sich zwischen den Tentakeln dieser und jener immergrünen Pflanze. Jetzt war er kurz herausgeschlüpft aus dem schützenden Korallenriff, in die weite See.
    Er nimmt den Rucksack, den er vorher zwischen die Beine gestellt hat auf. Setzt ihn vorsichtig auf seinem Schoß ab, öffnet ihn. Greift suchend herein und findet das Gesuchte. Beruhigend wirkt dass, nach der Unruhe von gerade eben. Kleine Schweißperlen blinken auf seiner Stirn im hässlichen Neonlicht. Die Hände zittern etwas und die Handflächen sind schweißnass.
    Sein Buch, sein Buch mit den kleinen Worten. Sein Heiligtum hat er in den Händen, hält es fest an sich gepresst. Wieder soll etwas zugefügt werden, wieder soll ein kleines Wort, vielleicht sogar zwei, ihn erinnern. Denn dazu sind die kleinen Worte da, die er in sein Buch schreibt. Es sollen kleine Worte sein die Brücken bauen können, kräftige Worte die stützen. Worte die ihm die Möglichkeit geben zu Denken und zu Fühlen. Nachzufühlen was er in diesem Moment gefühlt hat. Es sollen Worte sein die bunte Bilder vor seinem Auge malen können, wenn er in einem weißen Raum sitzt. Liegt. Denn Liegen wird er in einem weißen Raum.
    Er hat eine leere Seite gefunden. Weiße Seite, sagt sein Kopf. Auf andere Gedanken kommen sagt sein Kopf als nächstes. Rasch greift er erneut in den geöffneten Rucksack und zieht nach kurzem Wühlen im Nichts, den der Rucksack ist sonst gänzlich leer, einen Kuli heraus. Seinen Kuli, der ihm hilft sich zu erinnern. Ein Werkzeug, dass die Worte konserviert und einpackt bis man sie wieder öffnet und alles frisch erstrahlt.
    Beschwingt lässt er den Kuli die Worte malen, später soll es "brauner Fleck in Zügen" heißen. Dabei muss er sich zu einem schmalen Grinsen zwingen. Erst dann grinst er richtig. Gute Laune macht der Aufschrieb, er wird sich später gern erinnern und bei der Notiz grinsen. Dazu sind die Worte nämlich auch da. Weinen wird er bei dem Aufschrieb, dass weiß er genau.
    Zufrieden hebt er das Buch etwas weiter weg. Man muss das Kunstwerk auf sich wirken lassen, sagt man doch. Die Augen strahlen gezähmt. Neugierig guckt der Geschäftsmann herüber.
    "Wollen sie's sehen?", fragt er den. "Nein nein", erwidert der Geschäftsmann schnell. "Dachte ich mir doch", antwortet er. Verblüfft schaut ihn der Geschäftsmann an.
    Wohlwollend nickt er dem Staunenden zu. Alles in Ordnung heißt das.

    Geändert von schreiberling (19.11.2004 um 19:37 Uhr)

  5. #5
    wer lesen will soll lesen
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    Kapitel 2: Der Nachhauseweg

    Vor einigen Minuten ist er aus dem Zug ausgestiegen. Mit großen schweren Schritten über den Bahnsteig gegangen. Ist die nächste Straße abgebogen und in Richtung der Stadt, direkt hinein gelaufen.
    Nachhause tragen ihn seine Schritte schneller. Und er muss nicht mal nachdenken wie er laufen muss. Seine Schritte finden ihren Weg allein. Seine Beine sind sicher gelenkt auf ihrem gefährlichen Weg. Wie ein Cowboy fühlt er sich, der mit dem Sattel auf seinem treuen Pferd sitzt. Das Pferd trottet allein nach Hause, denn es kennt den Weg, folgt der Gewohnheit. So reitet er durch die Stadt, galoppiert durch die Wüste, durch die vollkommene Einöde, vorbei an Geschäften und Menschen.
    Als er aus dem Zug stieg war ihm schlecht und jetzt ist ihm immer noch schlecht. Sehr schlecht. Am liebsten möchte er sich ein schönes Plätzchen suchen an dem er sich übergeben kann. Aber das geht nicht, dass weiß er. Er ist nicht in der Lage dazu. Er könnte sich den Finger in den Hals stecken, Würgen, an etwas ekliges Denken, alles würde nichts helfen. Denn es ist mehr ein Gefühl im Bauch. Ein Gefühl als ob jemand da drin sitzt und raus will, ja so fühlt sich das an denkt er sich. Dieses Gefühl wohnt schon so lange in ihm, und ab und zu bricht es aus. Wie ein Vulkan spuckt es dann, Eruptionen fordern Zweifel und Ängste zu Tage. Als ob einer mit knüppelnder Härte direkt in die Magengegend schlägt.
    Es ist Abend und langsam wird es dunkel. Hier und da flackern in den Häusern Kerzen. Die kann man daran erkennen wie ihre Flammen an den Wänden lecken. Wellen von Wärme stranden in die Vorgärten. Aber die Wellen enden spätestens am Bürgersteig. Unter Null Grad haben die Meteorologen angesagt, und gefühlt sind es mindestens noch zehn Grad weniger. Die Hände in den Taschen frieren und Klammern sich mit letzter Kraft in den Stoff der Jacke, wollen nicht ertrinken in eisigen Fluten die von seinen Füßen ausgehen und durch den ganzen Körper schwappen.
    Tief atmet er die kalt beißende Luft ein. Seine Lungen jauchzen und platzen fast. Vielleicht, denkt er sich, wird dann das Gefühl im Bauch fortgeweht.
    Hart klacken immer wieder die Schuhe auf dem Teer. Eintönig, einschläfernd. Dann werden die Schritte leise, nur noch ein zähes Knirschen der Absätze ist zu hören. Erwacht, wie aus einem Traum, schaut er nun seinen Beinen folgend an sich hinunter. Sieht nasse braune Blätter die den Boden bedecken. Sieht seine groben Schuhe rücksichtslos auf sie treten. Blätter wie die die er vorher am Bahnhof gesehen hat. Zerfetzte, Kleine und Große. Baumes Lebenszeichen, die da sich hilflos im Graben sammeln. All diese Blätter sehen gleich aus. Und doch ist jeder einzelne Blatt etwas besonderes, wenn man es in die Hand nimmt. Es hat einen langen Weg hinter sich, so ein Blatt. Hat sein Blätterdasein bestanden. Jedes Blatt, so wie es jetzt da von uns nichtsahnend zertreten wird hat einmal Leben dargestellt. Es erzählt Geschichte. Im Frühling ging es auf, ganz zart in der Krone des Baumes. Erfreute uns mit seinem Hauch von grün im frühen Jahr, brachte Trost nach langen, offenwärmenden Monaten. Fror in den kalten Winden der ersten Tage, um uns dann im Sommer Schatten zu spenden. Später kleideten sie sich in den prächtigsten Farben, sie wollten uns den Abschied nicht allzu schwer machen. Im Herbst wurden sie dann in unaufhörlichen kräftigen Stürmen von den Bäumen gefegt. Groß, grün, vollkommen waren sie. Und jetzt? Jetzt liegen sie alle tot am Boden. Braun ist das Laub, was den Boden einhüllt. Tot, der Teppich über den wir auf unseren Thron zu schreiten. Nur weil sie nicht mehr hoffnungsvoll im Grün erstrahlen werden sie jetzt rücksichtslos von uns getreten, in Bergen zusammengefegt. Wie die leblosen Körper jüdischer Häftlinge, einfach verbrannt. Ihm schaudert bei dem Gedanken. Aber dann empört er sich. Was für ein Schicksal. Welch unrecht!
    Die Bauchschmerzen sind nicht mehr vorhanden, sind wie weggeblasen im feuchten Abendwind. Wut wärmt sein Herz. Er bleibt stehen, dort wo er ist, inmitten eines Meeres von brauner, lebloser Hoffnung. Wild greift er hinter sich, zerrt den Rucksack nach vorn um ihn zu öffnen. Greift hinein und schlägt in der gleichen Bewegung schon sein Notizbuch auf. Atemlos schreibt er "braune Blätter".
    Jetzt ist es besser, der Ärger, der vorher kochend, brühend heiß seine Augen netzte ist verflogen. Hitzewallungen schweben noch ahnungsvoll in dampfenden Schwaden um seinen Körper. Tränen treffen die unschuldigen Blätter hart.
    Aber es ist vorbei. Nicht weiter aufregen, sagt er sich.

  6. #6
    ich poste dies in der Annahme,dass es keiner liest...(leicht resigniert)
    (Achtung Trick:Ich warte nur darauf,dass jemand sagt "Doch ich habs gelesen)
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    3.Kapitel: Zuhause

    Schweigend steht er vor der verschlossenen Tür. Dahinter verbirgt sich sein Zuhause. Sein Zuhause hinter verschlossenen Toren, abgesperrt und verriegelt. Keiner kann dort eindringen wo er wohnt, keiner dem er nicht freudestrahlend die Tür öffnet, um ihn warmherzig zu empfangen in seinem unterkühltem Heim. Heizen tut er seine kleine Wohnung nie. Nicht mal jetzt wenn es so kalt ist. "Ich mag`s kühl", antwortet er immer wenn ihn jemand fragt, wie hoch seine Stromrechnung wäre, und er die niedrige Zahl nennt. Denn die Kälte die in der Wohnung herrscht, hat noch keiner gespürt. Erschrockene Fratzen erntet er oft als Reaktion, denn alle versuchen sich vorzustellen wie man in einer ungeheizten Wohnung sitzt. Aber meistens sieht er diese Gesichter nicht mal. Leute, die sich mit ihm über Stromrechnungen unterhalten wollen, interessieren ihn nicht.
    Langsam wandern die Finger in die Tasche. Krabbeln durch das wilde Durcheinander, finden die Schlüssel. Die Hand schmerzt, schon als sie die Schlüssel umschließt, so kalt ist das Metall. Es gräbt sich ins weiche Fleisch. Zitternd führt er die Hand zum Schlüsselloch. Ein kurzes Kratzen ist zu vernehmen. Die Spitze des Schlüssels ist über das Loch hinaus gerutscht. Erst dann findet der Schlüssel sein Pendant, tut sein Werk. Ein leises Knacken, Erleichterung für jeden Hausbesitzer, die Tür ist aufgeschlossen. Sorgsam steckt er den Schlüssel wieder zurück in die Hose, er wird ihn später an der Wohnungstür noch einmal brauchen. Ein Schritt ins Haus hinein, hinter sich wird die Tür automatisch wieder zugezogen. Das Schloss knackt wieder. Fremde sind ausgeschlossen. Rabenschwarz ist es im Treppenhaus des mehrstöckigen Wohnblocks.
    Hier knipst die Alte aus dem Parterre, immer ängstlich, die grell strahlende Lampe an, wenn sie sein Schritte im Nachten hört. Dabei erschrickt sie, genauso wie er, jedes mal wenn sie sich erblicken.
    Aber Licht macht er nicht, er weiß nicht einmal wo der Lichtschalter ist, er macht nie Licht. So läuft er geradeaus auf die Treppe zu. Nicht tapsend, wie man im Dunkeln geht, sondern bestimmt. Fast, als würde er alles sehn. Er sieht auch alles, aber nicht hier, sondern vor seinem inneren Auge. Ein gutes Gedächtnis hat er. Täglich geht er diesen Weg mehrmals im Dunkeln, kennt jede Unebenheit im Boden die ihn zu Fall bringen könnte. Erfahrung, durch Erfahrungen hat er sie alle kennen gelernt, über jede einzelne ist er schon gefallen.
    Diesmal flammen die Strahler nicht auf, erleuchten nicht die Reihe von Briefkästen. Wenn das Licht jetzt angehen würde, und er den ersten Schreck überwunden hätte, würde sein Blick auf sie fallen. Aber das Licht geht nicht an und so bleibt seine Identität im Dunkeln verborgen. Denn auf einem steht sein Name, oben in der Klappe, auf dem Namensschild: Bernhard Maier. Den Namen mag er.
    Es ist sein eigener. Dieser Name ist so allgemein, dass jeder ihn auf den ersten Blick kennt, aber beim zweiten schon wieder vergessen hat.
    Das gefällt ihm daran, und er muss immer grinsen, wenn er vor dem Briefkasten steht und daran denkt. Aber wenn er dann den Briefkasten öffnet, dann senken sich seine Mundwinkel wieder. Deswegen öffnet er ihn auch nicht oft. Nur wenn ihn die Alte aus dem Parterre darauf hinweist, dass der Briefkasten überquillt. Dies tut sie immer dann, wenn sie das Licht anknipst, ihm für einen Moment tief in die Augen schaut und sich dann selber nuschelnd Mut zuspricht. Ein bisschen Angst hat sie nämlich vor dem Herr Maier.
    Erst wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist, gibt sie leise klagend von sich: "Herr Maier..."ein kurzes Zögern, mit einem Zittern in der Stimme folgt, "...ihr Briefkasten". Anfangs, als er hier neu war, musste er immer wieder über die schrullige Alte lachen. In letzter Zeit ist das immer seltener der Fall.

    Mittlerweile sind seine schweren Schritte auf den Stufen zu hören.
    Im obersten Stock angekommen, schaut er aus dem Fenster, dass das gesamte Treppenhaus erhellen soll. Ein letzter Blick nach draußen. Es ist nur sehr klein, und wirklich viel sehen kann man auch nicht. Laternen, erhellen wie Spotlights das Theaterstück was unten zwischen den Häusern zum wieder- und wiederholten male aufgeführt wird.
    Dann schließt er die Wohnungstür auf. Kalte Luft umströmt ihn, er hat nicht vergessen das Fenster zu öffnen als er ging. Nun geht er mit Mantel und Rucksack durch die Wohnung und zieht die Rollläden runter, schmeißt die Fenster eins nach dem anderen zu. Schmeißt den Mantel in die Ecke, die die Garderobe erahnen lässt. Kleidungsstücke liegen wild verstreut auf dem Boden. Den Rucksack setzt er in der Küche ab.
    Er läuft ins Schlafzimmer, der einzigste Raum abgesehen von dem kleinen unbewohnten Wohnbereich. Die hinuntergelassenen Rollläden sperren den romantischen Sternenhimmel aus. Sterne schaut er nicht gern an, früher hat er sie immer gern angeschaut. Mitten im Raum bleibt er stehen, hält für einen Augenblick inne.
    Dreht sich schlagartig um. Schlägt gewalttätig. Links neben den Türrahmen.
    Leises sirren antwortet seinen Schlag, die 40 Watt Birne springt an. Plötzlich geblendet vom mild gleißenden Licht, kommt er zur Ruhe. Blinzelt, gibt aber schließlich den ausweglosen Kampf auf. In der Tür hängt er, wagt nicht ein Fuß in das wüste Reich vor ihm zu setzen. Unendliches Chaos was brach vor ihm liegt. Bücher und Kleidung übersäen den Boden, bilden einen festen Untergrund. Eine Brücke traut sich über das tobende Meer, sie wird umspielt von rauschenden CDs und Heften. Unterspült, droht sie zu brechen und in unendlichen Tiefen zu versinken. Sie ist der letzte Weg vom Eingang zum Bett. Langsam betritt er sie, schreitet erhaben über sie, in Richtung des Throns der schlaflosen Nächte. Lässt sich fallen, durchwühlte Decken empfangen ihn. Schwer sinkt er in Geruch von Schlafes Bruder.
    Ein spitzer Schrei, weckt alle schlafenden Glieder. Er schnellt nach oben, sitzt aufrecht im Thron. Mit einer Hand greift er hinter sich, ahnend was ihn dort schmerzte. Erfasst einen Bilderrahmen.
    Drei Personen sind auf dem gerahmten Bild zu sehen. Aller guter Dinge sind drei... Drei sind einer zu viel, unausgesprochene Weisheiten knallen wie bunte Luftballons in seinem Hirn. Die Stille, die in der Wohnung herrscht, vermag es nicht die Luftballons einfach steigen zu lassen, ohne sie mit der Nadel zu erstechen.
    Eine glückliche Familie ziert das Bild. Eine vermeintlich glückliche Familie ,verbessert er sich schnell. Und im Foto ist ein zweiter Rahmen zu sehen, die Eltern sind stehend um ihr Kind trapiert. Haben beide die schwer lastenden Hände auf den schmalen Schulter der strahlenden Tochter. Stützen sich auf der zerbrechlichen Tochter. Die Tochter, die das verbindende Glied zwischen Mann und Frau war.
    Zwischen ihm und seinem angetrauten Eheweib, später geschiedenes Weib. Gerichtlich getrennt und entzogen, wurde ihm das Produkt seiner Liebe.
    Sie lachen auf dem Bild. Oder lächeln zumindest, wie in seinem Fall.
    Doch Lachen sie ihn aus ,alle, alle.
    Zucken, Zittern ein Krampf durchläuft seinen Körper.
    Der Schrei, der sich heißer aus seiner Kehle lösen will, wird zurückgeworfen, prallt an die Magenwände. Er krümmt sich, zerbricht an ihm.
    Nun ist endlich das erlösende Schluchzen zu hören. Trauers Außenstände graben tiefe Furchen in seine heißen Wangen, zerfressen in unendlicher Gier sein Gesicht. Marschieren mit schweren Stiefeln, treten in die Eingeweide. Sein Blut pulst in den Adern, rauscht in den Ohren.
    Klirren bestätigt die Tat, zerschmettert liegt die Erinnerung an der nächsten Wand.

  7. #7
    Zitat Zitat
    ich poste dies in der Annahme,dass es keiner liest...(leicht resigniert)
    (Achtung Trick:Ich warte nur darauf,dass jemand sagt "Doch ich habs gelesen)
    Habs nicht gelesen, will nur meinen Postingzähler erhöhen .
    Langsam kriegt man ne Vorstellung von dem Mann. Leider ist immer noch nichts passiert, woraus ich schließen könnte, was aus der Geschichte wird, weswegen ich jetzt auch nicht viel sagen kann.
    Komm schon, auch wenn keiner was schreibt, wirds schon irgendwer lesen .

  8. #8
    Dito.
    Ich werd aber nicht nach jedem Teil posten, es sei denn, du machst die Teile größer. Denn, wer bis hier hin gelesen hat, liest auch größere Teile.
    Ich denke allerdings auch, falls du eine ernsthafte Geschichte einbringen willst (Was ich ein wenig bezweifle), solltest du langsam damit anfangen, sonst wird es zu langwierig. (Wenn auch die bisherigen teile schrecklich gut geschrieben sind.)

  9. #9
    hmm...

    ihr meint also ich erzähle keine Geschichte?
    sondern beschreibe mehr einen Menschen?
    da bin ich anderer Meinung: Der Mensch und sein Leben ist die Geschichte,wird tatsächlich "beschrieben"/erzählt(was eigentlich Geschichte genug ist)
    ist das unspannend?langweilig?für mich nicht,deswegen schreibe ich es auf
    der Ernst?-liegt im Auge des Betrachers,ich schreibe es jeden Falls ernsthaft auf,vielleicht liest es du nicht ernsthaft?

    um es vorweg zu nehmen:mehr als diesen Menschen,seine Gedanken und Gefühle,sein Handeln, sein Sein werde ich nicht behandeln...
    wem das zu langweilig erscheint...

    aber zur Beruhigung, es gibt eine "Handlung", einen "Schluss" der Auflösung geben soll WARUM (darum gehts! WARUM?)dieser Mensch sich gerade so verhält,wie er es tut...
    vielleicht ist der "tiefere Sinn" meiner Geschichte damit deutlicher...

    natürlich bedanke mich aber auch für diese Resonanz...
    werde gerne aufmerksam auf solche Dinge gemacht.

  10. #10
    lange hats gedauert,
    die Muse war dahin...

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    Kapitel 4: Im Bett und davor

    Eingeschlafen ist er. So hat ihn die Erinnerung erschöpft. Ermattet und schwach lag er zusammengekauert unter seinen Decken. Seine Klamotten vom Tage immer noch auf dem Körper tragend.
    Nun ist er wach. Schaut mit halb geöffneten Augen über den Rand der Bettdecke. Das Sirren der schwachen Birne ist wieder zu hören, beziehungsweise immer noch. Ausgemacht hat er die gestern Abend nicht. Nicht weil er zu faul war um sich noch einmal aufzuraffen, seine Klamotten auszuziehen und die Lampe auszuknipsen. Nein, er war müde, todmüde. Ist in einen komatösen Schlaf gefallen, ohne nochmals Aufzuwachen, zu Träumen oder Gefühle zu spüren. War der Wirklichkeit entrückt. Dagegen konnte er nicht ankämpfen. Eine Abwehrreaktion seines Körpers auf die Überbeanspruchung.
    Die blauen Augen schweifen noch ängstlich, noch in der Deckung sicheren Rückhalt ahnend, nahe an der Bettdecke entlang. Wagen mehr, kurze Sicht auf die Dinge um ihn werden gewahr.
    Sehen wie viel Uhr es ist, kann er jedoch trotz des hellen Lichtes nicht. Denn auf dem Nachttisch steht kein Wecker. Den hat er schon lange weggeschmissen. Zeit braucht er nicht zählen. Seine Zeit zählt sich von allein. Läuft allein, Korn für Korn durch die Sanduhr. Im Himmel steht ein großer Wecker, der wird schon zur rechten Zeit klingeln, ihn wecken und zum Gehen rufen.
    Auch wenn dieser seiner Meinung nach zu früh eingestellt wurde. Ändern daran kann er nichts. Die Zeiger ticken unaufhörlich.
    Oder ist es etwa eine digitale Uhr?
    Früher wurde er immer mit monströsen Klingeln geweckt, musste er immer um Punkt sieben Uhr raus aus den Federn. Die Arbeit und die Tochter rief da, laut und eindringlich. Und meistens hüpfte die Kleine zu ihm ins Bett, rüttelte ihn aus seinen friedlichen Träumen, um ihn an ihrem Leben teilhaben zu lassen.
    Bloß nicht dran denken.
    Das Hirn hat jetzt Pause, oder war`s das Herz?
    Er dreht sich auf den Bauch, streckt der Welt seinen Rücken hin. Rekelt sich unter der Decke, warm ist es, sie hüllt ihn vollkommen ein. Das Shirt klebt zerknittert an seinem schmalen Oberkörper, den Pulli den er abends noch trug muss er während der Nacht abgelegt haben. Aber daran erinnern kann er sich nicht. So bleibt er eine Zeitlang liegen, lässt die stumpfsinnigen morgendlichen Überlegungen über sich ergehen, ohne sie zu lenken.
    Dann manifestiert sich einer der vielen wirbelnden Samen. Streckt die Wurzeln zart in die Erde, fühlt, dort wo sie sich schon oft verwurzelt hatten.
    Dort wo sie schon oft in wildem Entsetzen herausgerissen worden sind.
    Die Decke ist ihm zu schwer, sie lastet auf ihm tonnenweise.
    Kaum ist er in der Lage sich von ihr zu befreien. Hastig strampelt er sich frei. Schlägt gegen den fremden Gedankentäter die Unschuldige.
    Atmet hektisch in der neuerkämpften Freiheit. Schweiß tritt auf seine Stirn. Das Herz erhöht die Schlagzahl drastisch, hämmert gegen seine schmächtige Brust.
    Diese ständig verfolgenden Gedanken...Ich will nicht begraben werden unter Laken, Decken... Erde. Mit einem Sprung ist er aus dem Bett. Laufen will ich, solange ich es noch kann.
    Will aus dem Schlafzimmer rennen, stolpert über Bücher. Schlägt hin. Blut läuft ihm in die Augen. Er hat sich eine Platzwunde geholt. Vom Schlag noch benommen, drückt er sich hoch. Muskeln und Seele schmerzen. Am Türrahmen zieht er sich aus dem Sumpf. Die Brücke ist unter seinen schnellen, unbedachten Füßen zerbrochen. Für einen Moment bleibt er wieder im Türrahmen stehen. Zwischen den Zimmern, zwischen den Welten.
    Dunkel ist es im engen Flur. Ruhig ist es. Er kommt wieder zu sich, der Kopf wird nur langsam klarer. Das Blut pulst und der Geschmack von Eisen gerbt seine Zunge. Das Pochen des Lebenssaftes übertönt die neuerlich aufsteigenden Gefühle.
    Komm zur Besinnung, schimpft er sich, du spinnst ja schon. Bleib ruhig, Junge.
    Lachen will er über die dumme Ansprache, sich selbst einen Jungen bezeichnen. Nein, er wird sich jetzt nicht erinnern, wie sein Vater ihn immer wieder als "seinen Jungen" bezeichnete. Daran wird er nicht denken, daran muss er nicht denken.
    Die Beine, die immer noch drohen wegzusacken, treffen das Holz der Türe. Zuckend läuft der Aufprall durch den Oberschenkel ins Hirn. Der Lebensschein will sich aber nicht so schnell beruhigen, die Brust bebt nach, unter schweren Stößen röchelnden Atems.
    "Frische Luft wird gut tun", sagt er halblaut zu sich selbst.
    Er redet oft mit sich selbst, mit wem denn sonst? Dabei geht er durch die nachte Wohnung und packt seine Sachen. Nimmt seine Jacke, setzt seinen Rucksack auf. So jetzt bist du gerichtet, würde jetzt sein Vater zu ihm sagen, wenn er mit seinen acht Jahren, vor dem alten Herren stehen würde.
    Tut er aber nicht. Er steht vor dem Spiegel, der nur ein schmales Bild von ihm wiederspiegelt. Das Licht was aus dem Schlafzimmer in den Flur fällt reicht gerade aus um die groben Umrisse zu erkennen. Das Blut kann er trotzdem sehen, spüren, fühlen. Stumme Leibschmerzenschreie werden immer erkannt. Auch wenn es nur eine ganz kleine Wunde ist, die vor Minuten stark blutete. Aber jetzt ist die Quelle des Todessehnsuchtsaftes versiegt. Schmierig klebt er an Haar und Augenbraue. Mit einer nichtahnenden Handbewegungen verwischt er ihn, unter der Berührung krampft sich seine Hand schmerzhaft zusammen.
    Aus der Jacke nimmt er eine Wollmütze, zieht sie tief ins Gesicht.
    Die Verletzung ist jetzt nicht mehr auszumachen. Fremde werden sie nicht entdecken. Zwei kleine Schritte dann ist er an der Tür. Öffnet sie und tritt ins Treppenhaus.
    Spazierengehen wird er.

  11. #11
    Zitat Zitat
    Laufen will ich, solange ich es noch kann.
    Huch. Hie bin ich aus dem Lesefluss geraten. Wenn du dermaßen plötzlich anfängst, in der ersten Person zu reden, solltest du das irgendwie klarmachen. *_*
    Langsam aber sicher kommt mir die Geschichte wie das Leben eines Fieberkranken vor, der ständig mit irgendwelchen Illusionen kämpft. Und langsam stört auch der Stil mit den kurzen Sätzen, auf Dauer liest sich das irgendwie schlecht. (Besser für kürzere Geschichten)

  12. #12
    Zitat Zitat
    Diese ständig verfolgenden Gedanken...Ich will nicht begraben werden unter Laken, Decken... Erde. Mit einem Sprung ist er aus dem Bett. Laufen will ich, solange ich es noch kann.
    dachte damit wäre das klar,cipo.vonwegen unvorbereiteter Sprung ins ICH

    Fieberkrank ist er nicht aber...
    les doch mal zwischen den Zeilen,oder achte auf Wortgruppen,Sinnverwandtes,oder die andauernden Vergleiche.(-nerven ja langsam schon )

    die kurzen Sätze werden bleiben-stilistisches Mittel,Hektik,Gedankensprünge usw

    außerdem wird in den nächsten Tagen das aufschlussreiche Ende erscheinen,
    dann hast es geschafft

  13. #13
    so, bin zu einem Ende gekommen. Kapitel 5 -jetzt ist entgültig Schluss
    mag etwas abgehackt wirken -hat aber Sinn.




    Kapitel 5: Das Ende des Lebens

    Schnee knirscht unter seinen Schuhen. Stundenlang ist er nun so gegangen, durch die Fußgängerzone, die Innenstadt, die kleine Häuschen am Rande der großen Stadt hat er hinter sich gelassen. An was hat er dabei gedacht, was hat sein krankes Hirn dabei gemacht?
    So würde sich jemand fragen, der nichts von dem verstanden hat, was diesen Menschen ausmacht, was in so quält.
    Aber diesmal war es still. Nichts. Gar nichts hat es von sich gegeben. Geschwiegen hat es, er hat es schweigen lassen, hat es nur im Schritt des Schnees aufgefangen. Immer wieder auf dieses knirschende, knackende, lechzende Geräusch gehört.
    Seine Augen waren währenddessen sehr beschäftigt, haben alles aufgesogen, wie ein großer Schwamm hat er alles um sich herum aufgenommen. Kahle Bäume und Spuren im Schnee haben sich eisig in sein Hirn gebrannt, schmerzvoller wie das glühende Eisen der zum schlachten bestimmten Kälber. Und doch ist er nur ein Kalb.
    Inne gehalten hat er nicht, seine Beine sind einfach gelaufen, manchmal sogar gerannt... weggerannt. Dann ist der Rucksack auf seinem Rücken in Galopp verfallen, ist hin und her geschlagen, hat ihm immer wieder das schwere Buch reingerammt, in Rücken und Seele tief gestoßen, getrocknete Tränen ans Tageslicht bringend mit Schmerzen wieder neugeboren.
    Kalt fließt es in den Adern, als er sich in den Schnee kniet, hinten im Rucksack mit einem Griff sein Buch ins gleißende Grau des Nachmittags hält.
    Lange muss er nicht suchen bis er eine leere Seite findet, nur noch eine Einzige ist frei. Es ist die letzte Seite, die letzte Gelegenheit etwas festzuhalten. Etwas der Nachwelt mitzuteilen, vielleicht seiner Tochter, gewiss nicht seiner Frau.
    Ein abschließendes Wort muss gefunden werden. Ein Wort welches den Menschen, der es ließt dazu veranlasst das Buch ruhig, nicht glücklich oder traurig, sondern befriedigt wegzulegen.
    Solch ein Wort ist schwer zu finden, nahe an der Ziellinie fallen die Schritte immer am schwersten.
    Tun sie das wirklich, eigentlich liegt es auf der Hand, oder? Er muss nur noch den letzten Stein setzen auf dem von ihm aus Erinnerungsbrocken gepflasterten Weg. Aber der Stein ist grob, kantig und wird ihn sicherlich verletzen, sehr roh wirkt er, als er sich wild rotierend in Gedanken aufmacht um die Adern des Lebens zu schlitzen. Trotz alldem muss er ihn setzen.
    Behutsam streicht er über das Buch, liebevoll öffnet er die erste Seite.
    Sieht den panischen Schriftzug, der schludrig, kaum leserlich fast die gesamte Seite umgreift. Alle, die dieses Buch nach ihm lesen werden, müssen an dieser Stelle die Augen weit aufreißen und nah ran gehen um zu sehen, zu begreifen. Sie werden mit den Fingern das Geschriebene nachfahren, nachfühlen was es gespürt hat, als er es schrieb. Wenigstens versuchen es zu verstehen...vielleicht.
    Und doch stehen diese zwei Wörter dort, ganz klar und ruhig, obwohl in ihnen die Flucht wohnt.
    "Diagnose Krebs", flüstert er leise der Sandkorn streuenden Uhr im Himmel zu. Nur noch ein kleiner schmächtiger Berg ist von seinem Leben übrig, der Sekunde für Sekunde hart zerrieben sich durch die vorgegebene Enge der Zeit, des Lebens kämpft.
    Still ist es.
    Dann zückt er den Kuli, blättert geräuschlos auf die letzte Seite seines Buches und hinterlässt dem Leser, in großen Lettern und eindringlich: "LEBT"!

  14. #14
    Naja, abschließend lässt sich sagen, dass die Geschichte nicht sonderlich aufregend war. Hätte ich sie am stück lesen müssen, hätte ich wahrscheinlich nach einer Weile abgebrochen. So hab ich sie trotzdem ganz gelesen. Haut mich aber trotzdem nicht aus den Socken.

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