Zusammen mit einem Freund geschrieben:


Abendmahl


Es war Abend.
Gerade war das letzte Zucken der Schwanzflosse vollendet, da öffnete sich mit dem Entfließen des Lebens das nasse Maul des Fisches ein letztes Mal, als wolle er sagen: „Sieh nur, was ich in meinem Leben geleistet habe!“
Den dicken, bärtigen Mann, dem die Vorfreude auf das üppige Mahl schon in den gierigen Bauch geschrieben stand, beeindruckte dies freilich wenig.
So stach er auch gleichgültig, aber kraftvoll, in das kalte, rohe Fleisch und fing an, wie besessen im Innern zu bohren, bis er das feuchte Stückchen Fisch, nach dem ihm offenbar verlangt hatte, aufgespürt und in sein Maul gezwängt hatte.
Sofort starrte der Dickbauch mit grauenvollem Blick ans geschlossene Fenster und verzog das Gesicht zu einer entsetzlichen Fratze, sodass sich durch seinen Schädel Risse zu ziehen schienen wie durch einen brüchigen, alten Felsen.
Speichelspeiend spuckte er den widerwärtigen, von sich windenden Würmern zersetzten Fischfetzen in hohem Bogen quer durchs Zimmer ins offene Kaminfeuer, in dem er zischend verbrannte und riss im selben Moment den Fisch mit einem Ruck an die nächtliche Decke, an der er mit einem abscheulichen Geräusch, ähnlich dem eines aufschlagenden, fauligen Apfels, kleben blieb.
Schleichend bildete sich nun an der Unterseite des Fisches ein Tropfen aus gelblichem, zähflüssigem Schleim, der durch sein eigenes Gewicht langsam ins Feuer hinunter gezogen wurde. Doch bevor er allerdings die leckenden Flammenzungen erreichen konnte, hatte sich bereits ein zweiter Tropfen gebildet, der sich vom Bauch aus zur gleichen Reise aufmachte.
Im selben Augenblick wurden die Gräten, die sich dem herausdrängenden Schleim nicht länger widersetzen konnten, knirschend nach außen gedrückt – einige Herzschläge hielt die Haut der wachsenden Spannung noch stand, bevor sie hilflos in Stücke gerissen wurde, und mitsamt der sich an ihr festklammernden Schuppen in den feurigen Kamin stürzte.
Das entstandene Loch starrte gähnend in die Tiefe, während die Eingeweide, nun haltlos, rasch und immer rascher ihrem Verderben entgegen quollen, sich wanden, ihre Arme verzweifelt zu ihrer Rettung zurück streckten, doch konnten sie dem Sog ihres Schicksals letztendlich nicht entrinnen.
Einer nach dem anderen gingen sie in der teuflisch heißen Glut unter und als sie alle vergingen, konnte man meinen, ein leises Stöhnen zu hören, das vom lauten Prasseln des auflodernden Feuers nicht gänzlich verhüllt werden konnte.
Nachdem endlich die Arbeit verrichtet war, zeichnete sich ein zufriedenes Grinsen auf dem faltigen Gesicht des Greises ab, dieser ergriff zitternd die Krücken, die zu seinen beiden Seiten schon bereitstanden, erhob sich langsam und wankte unsicher in Richtung des vergilbten Familienfotos, das dem Aussehen nach zu urteilen dort schon seit Äonen hängen musste.
Lange betrachtete er das Bild und drehte nachdenklich den Stift zwischen den Fingern.
Er selbst in jüngeren Jahren, der Fisch, alles was auf dem Bild zu sehen war, all das würde jetzt anders werden.
Und so strich er, trotz seiner schwindenden Kräfte, die Abbildung des Fisches entschlossen durch.
Es war Nacht.