Ergebnis 1 bis 17 von 17

Thema: ...~* Dichter *~...

  1. #1

    ...~* Dichter *~...

    Ich les ab und zu, wenn ich in der richtigen Stimmung bin, ganz gerne Gedichte. Zwar gibts im Sumpf einen ähnlichen Thread, aber der hier soll sich mit euren Lieblingsdichtern beschäftigen, warum mögt ihr sie, welches Gedicht mögt ihr besonders gern, etc...

    Rainer Maria Rilke dürfte jedem ein Begriff sein, oder?
    Er ist eigentlich meine derzeitige Nummer 1 unter den Dichtern
    Meine Lieblingsgedichte:

    Der Panther

    Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe
    so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
    Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
    und hinter tausend Stäben keine Welt.

    Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
    der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
    ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
    in der betäubt ein großer Wille steht.

    Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
    sich lautlos auf. Dann geht ein Bild hinein,
    geht durch der Glieder angespannte Stille –
    und hört im Herzen auf zu sein.


    oder das hier:

    Der Tod der Geliebten

    Er wusste nur vom Tod was alle wissen,
    dass er uns nimmt und ins Stumme stößt.
    Als er aber sie, nicht von ihm fortgerissen,
    nein, leis aus seinen Augen ausgelöst,

    hinüberglitt zu unbekannten Schatten,
    und als er fühlte, dass sie drüben nun
    wie einen Mond ihn Mädchenlächeln hatten
    und ihre Weise wohlzutun:

    da wurden ihm die Toten so bekannt,
    als wäre er durch sie mit einem jeden
    ganz nah verwandt; er ließ die andern reden

    und glaubte nicht und nannte jenes Land
    das gutgelegene, das immersüße.
    Und tastete es ab für ihre Füße.


    Ich mag einfach seine Art, mit den Worten zu spielen und dadurch starke Gefühle auszudrücken. Er baut mit jedem seiner Gedichte eine andere Stimmung auf - und keine gleicht der anderen.

    Und dann fällt mir zusätzlich noch J.R.R. Tolkin ein - gut, der war Autor und kein richtiger Dichter, aber er hat einige tolle Werke in den Herrn der Ringe geschrieben, die ich auch sehr gern mag:

    O! Wanderers in the shadowed land
    despair not! For though dark they stand,
    all woods there be must end at last,
    and see the open sun go past:
    the setting sun, the rising sun,
    the day's end, or the day begun.
    For east or west all woods must fail...



    Ich würd einfach gern noch mehr Dichter kennenlernen, aber so viele kenn ich leider auch noch nicht.
    Also postet mal fleißig, ich freu mich

  2. #2
    rilke mag ich auch sehr. eines meiner lieblingsgedichte (eigentlich eine ballade) ist von ihm:

    Orpheus. Eurydike. Hermes

    Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.
    Wie stille Silbererze gingen sie
    als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln
    entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen,
    und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel.
    Sonst war nichts Rotes.

    Felsen war da
    und wesenlose Wälder, Brücken über Leeres
    und jener große, graue, blinde Teich,
    der über seinem fernen Grunde hing
    wie Regenhimmel über einer Landschaft.
    Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut,
    erschien des einen Weges blasser Streifen
    wie eine lange Bleiche hingelegt.

    Und dieses einen Weges kamen sie.

    Voran der schlanke Mann im blauen Mantel,
    der stumm und ungeduldig vor sich aussah.
    Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg
    in großen Bissen; seine Hände hingen
    schwer und verschlossen aus dem Fall der Falten
    und wußten nicht mehr von der leichten Leier,
    die in die Linke eingewachsen war
    wie Rosenranken in den Ast des Ölbaums.
    Und seine Sinne waren wie entzweit:
    indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief,
    umkehrte, kam und immer wieder weit
    und wartend an der nächsten Wendung stand,
    blieb sein Gehör wie ein Geruch zurück.
    Manchmal erschien es ihm, als reichte es
    bis an das Gehen jener beiden andern,
    die folgen sollten diesen ganzen Aufstieg.
    Dann wieder wars nur seines Steigens Nachklang
    und seines Mantels Wind, was hinter ihm war.

    Er aber sagte sich, sie kämen doch;
    sagte es laut und hörte sich verhallen.
    Sie kämen doch, nur wärens zwei,
    die furchtbar leise gingen. Dürfte er
    sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun
    nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes,
    das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen,
    die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn:

    den Gott des Ganges und der weiten Botschaft,
    die Reisehaube über hellen Augen,
    den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe
    und flügelschlagend an den Fußgelenken;
    und seiner linken Hand gegeben: sie.

    Die So-geliebte, daß aus einer Leier
    mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;
    daß eine Welt aus Klage ward, in der
    alles noch einmal da war: Wald und Tal
    und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;
    und daß um diese Klage-Welt ganz so
    wie um die andre Erde eine Sonne
    und ein gestirnter stiller Himmel ging,
    ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen –
    diese So-geliebte.

    Sie aber ging an jenes Gottes Hand,
    den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
    unsicher, sanft und ohne Ungeduld.
    Sie war in sich wie Eine hoher Hoffnung
    und dachte nicht des Mannes, der voranging,
    und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg.
    Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein
    erfüllte sie wie Fülle.

    Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel
    so war sie voll von ihrem großen Tode,
    der also neu war, daß sie nichts begriff.
    Sie war in einem neuen Mädchentum
    und unberührbar; ihr Geschlecht war zu
    wie eine junge Blume gegen Abend,
    und ihre Hände waren der Vermählung
    so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes
    unendlich leise leitende Berührung
    sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit.

    Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,
    die in des Dichters Liedern manchmal anklang,
    nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland
    und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.

    Sie war schon aufgelöst wie langes Haar
    und hingegeben wir gefallner Regen
    und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.

    Sie war schon Wurzel.
    Und als plötzlich jäh
    der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf
    die Worte sprach: Er hat sich umgewendet –
    begriff sie nichts und sagte leise: Wer?

    Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
    stand irgend jemand, dessen Angesicht
    nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
    wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades
    mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
    sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
    die schon zurückging dieses selben Weges,
    den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
    unsicher, sanft und ohne Ungeduld.

  3. #3
    sorry, für den doppelpost, aber nach einer ballade sollte man imho mal einen größeren absatz schaffen

    einer ziemlich guter -und ziemlich bekannter- dichter ist der ire william butler yeats. seine gedichte klingen vor allem in der originalsprache wunderbar:

    William Butler Yeats

    To his heart, bidding it have no fear

    Be you still, be you still, trembling heart,
    remember the wisdom out of the old days:
    Him who trembles before the flame and the flood,
    and the wind that blows through the starry ways,
    let the starry winds, the flame and the flood
    cover over and hide, for you have no part
    with the lonely, majestical multitude.


    ["provisorische" übersetzung:

    Sei still, sei still, mein zitterndes Herz, / erinnere dich an die Weisheit aus alter Zeit: / Wer zittert vor der Flamme und der Flutwelle, / und den Windenböen durch bestirnte Wege, / soll die bestirnten Winde, die Flamme und die Flut / sich zurückziehen lassen, denn er hat keinen Anteil / an der einsamen, majestätischen Vielheit.]

    auf der suche nach gedichten von yeats im internet bin ich auf einen anderen dichter gestoßen: Matthew Arnold

    Dover beach

    The sea of love
    was once, too, at the full,
    and round earth´s shore
    lay like the folds of a bright girdle furl´d.
    But now I only hear
    Its melancholy,
    long, withdrawing roar
    of the night-wind,
    down the vast edges drear
    and naked shingles of the world.
    Oh love, let us be true to one another,
    for this world which seems
    to lie before us like a land of dreams,
    so various, so beautiful and new,
    hath really neither joy, nor love, nor light,
    nor certitude, nor peace, nor help for pain;
    and we are here as on a darkening plain
    swept with confused alarms of struggle and flight,
    where ignorant armies clash by night.


    ["provisorische" übersetzung:

    Der See des Glaubens / war früher einmal hoch angefüllt, / und die Küste der Erde / lag da wie ein in Falten gelegter heller Gürtel. / Jetzt aber höre ich nur / die Schwermut, / das langgezogene, verebbende Grollen / des Nachtwindes, / und dort unten klafft die Leere / und die nackten Bruchstücke / der Welt. / Oh Geliebte, lass uns ehrlich zueinander sein, / denn diese Welt, die scheinbar / vor uns liegt wie ein traumhaftes Land, / so bunt, so schön und neuerschaffen, / hat in Wahrheit weder Freude, noch Liebe, noch Licht, / noch Sicherheit, noch Frieden oder Hilfe in der Not, / und wir sind hier wie in einer dämmernden Ebene / überschwemmt mit verwirrten Kampf- und Fluchtrufen, / wo unwissende Armeen sich in der Nacht bekriegen.]

  4. #4
    @ Gala
    Schön!

    Ich hab auch noch eines von Joseph von Eichendorff, aber von dem kenn ich eben nur dieses eine (und nähere Infos über den Dichter hab ich auch nicht):

    MONDNACHT

    Es war, als hätt der Himmel
    Die Erde still geküßt,
    Daß sie im Blütenschimmer
    Von ihm nun träumen müßt.

    Die Luft ging durch die Felder,
    Die Ähren wogten sacht,
    Es rauschten leis die Wälder,
    So sternklar war die Nacht.

    Und meine Seele spannte
    Weit ihre Flügel aus,
    Flog durch die stillen Lande,
    Als flöge sie nach Haus.

  5. #5
    Charles Baudelaire, diesen Mann finde ich einfach göttlich. Sein Schreibstil, die verschiedenen Themen die er behandelt, einfach umwerfend. Den meisten wird er wohl aus dieser "blasphemischen" ( )Sheba Werbung bekannt sein, wo sein berühmtes Gedicht "Le Chat" bzw. "Die Katze" verwendet wird. Ich hab mal mein Lieblingsgedicht von ihm rausgepickt. ^^

    Der Mensch und das Meer

    Freier Mensch, immer wird das Meer dir lieb sein! Das Meer ist dein Spielgel; du schaust deine Seele in der unendlichen Entrollung seiner Wogen, und dein Geist ist kein minder bitterer Abgrund.

    Dich vergnügt es, in den Schoß deines Bildes zu tauchen; du umarmst es mit Augen und Armen, und bisweilen vergißt dein Herz seinen eigenen Aufruhr über dem Brausen dieser unbezähmbar wilden Klage.

    Alle beide seid ihr finster und verschwiegen: Mensch, niemand hat je die Tiefe deiner Abgründe erlotet; o Meer, niemand kennt deinen heimlichen Reichtum, so eifersüchtig seid ihr, eure Geheimnisse zu hüten!

    Und doch unzählbare Zeiten schon bekämpft ihr unbarmherzig euch und ohne reue, so heftig liebt ihr das Gemetzel und den Tod, o ewiger Streiter, o Brüder immer unversöhnt!

  6. #6
    @shi
    gefällt mir

    ich habe hier noch ein politisches gedicht, eines meiner persönlichen lieblingsgedichte: (von Paul Celan)

    Todesfuge.

    Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
    wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
    wir trinken und trinken
    wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
    Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
    der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
    er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne und er pfeift seine Rüden herbei
    er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde
    er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

    Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
    wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
    wir trinken und trinken
    Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
    der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
    Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

    Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr anderen singet und spielt
    er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
    stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

    Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
    wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
    wir trinken und trinken
    ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
    dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

    Er ruft spielt süsser den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
    er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
    dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

    Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
    wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
    wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
    der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
    er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
    ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
    er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
    er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

    dein goldenes Haar Margarete
    dein aschenes Haar Sulamith



    außerdem noch was kleines von bertold brecht:


    Der, den ich liebe
    Hat mir gesagt
    Daß er mich braucht.

    Darum
    Gebe ich auf mich acht
    Sehe auf meinen Weg und
    Fürchte von jedem Regentropfen
    Daß er mich erschlagen könnte.

  7. #7
    so, wenn niemand was schönes hinzuzufügen hat, werde ich hier wieder mal doppelposten sollte jemand ABSOLUT dagegen sein, wendet er sich bitte an mich

    "Du hast mir den Osten genommen,
    du hast mir den Westen genommen,
    du hast genommen, was vor mir und was hinter mir ist;
    du hast mir den Mond, du hast mir die Sonne genommen,
    und meine Furcht ist groß, daß du mir Gott genommen hast."

    (W. B. Yeats, "Klage des irischen Mädchens")


    Bewaffneter Friede von Wilhelm Busch

    Ganz unverhofft, an einem Hügel,
    Sind sich begegnet Fuchs und Igel.

    Halt, rief der Fuchs, du Bösewicht!
    Kennst du des Königs Ordre nicht?
    Ist nicht der Friede längst verkündigt,
    und weißt du nicht, daß jeder sündigt,
    Der immer noch gerüstet geht?
    Im Namen seiner Majestät
    Geh her und übergib dein Fell.

    Der Igel sprach: Nur nicht so schnell.
    Laß dir erst deine Zähne brechen,
    Dann wollen wir uns weiter sprechen!

    Und allsogleich macht er sich rund,
    Schließt seinen dichten Stachelbund
    und trotzt getrost der ganzen Welt,
    Bewaffnet, doch als Friedensheld.

  8. #8
    @Gala
    Das Brecht-Gedicht ist wunderschön

    Das von Yeats mit dem "trembling heart" kannte ich schon von irgendwoher... aber wie immer kann ich mich nicht dran erinnern, wo ich das schon gelesen hatte

    Jut, dann schmeiss ich hier auch noch meinen Dylan Thomas rein, der passt für alle Lebenslagen

    Dylan Thomas’ “Do Not Go Gentle into That Good Night”

    Do not go gentle into that good night,
    Old age should burn and rave at close of day;
    Rage, rage against the dying of the light.

    Though wise men at their end know dark is right,
    Because their words had forked no lightning they
    Do not go gentle into that good night.

    Good men, the last wave by, crying how bright
    Their frail deeds might have danced in a green bay,
    Rage, rage against the dying of the light.

    Wild men who caught and sang the sun in flight,
    And learn, too late, they grieved it on its way,
    Do not go gentle into that good night.

    Grave men, near death, who see with blinding sight
    Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
    Rage, rage against the dying of the light.

    And you, my father, there on the sad height,
    Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
    Do not go gentle into that good night.
    Rage, rage against the dying of the light.

  9. #9
    ...nun, dann werde ich die gelegenheit mal nutzen, um meine lieblingsballade zu posten. kleine fehler vorbehalten, hab's aus der erinnerung aufgeschrieben...

    Die Bürgschaft

    Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich,
    Damon, den Dolch im Gewande
    Ihn schlugen die Häscher in Bande
    "Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich!"
    Entgegnet ihm finster der Wüterich
    "Die Stadt vom Tyrannen befrein!"
    "Das sollst du am Kreuze bereun!"

    "Ich bin" , spricht jener, "zu sterben bereit
    Und bitte nicht um mein Leben.
    Doch willst du Gnade mir geben,
    Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit.
    Ich lasse den Freund dir als Bürgen.
    Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."

    Da lächelt der König mit arger List
    Und spricht nach kurzem Bedenken:
    "Drei Tage will ich dir schenken.
    Doch wisse, wenn sie verrinnet, die Frist,
    Eh du zurück mir gegeben bist,
    So muss er statt deiner erblassen,
    Doch dir ist die Strafe erlassen."

    Und sie kommen zum Freunde
    "Der König gebeut, dass ich am Kreuz mit dem Leben
    Bezahle das frevelnde Streben.
    Doch will er mir geben drei Tage Zeit,
    Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit.
    So bleib du dem König zu Pfande,
    Bis ich komme, zu lösen die Bande."

    Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
    Und liefert sich aus dem Tyrannen.
    Der andere ziehet von dannen.
    Und noch ehe das dritte Morgenrot scheint,
    Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
    Eilt Heim mit sorgender Seele,
    Dass er die Frist nicht verfehle.

    Da gießt unendlicher Regen herab,
    Von den Bergen stürzen die Quellen,
    Und die Bäche, die Ströme schwellen.
    Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
    Da reißet die Brücke der Strudel hinab
    Und donnernd sprengen die Wogen
    Des Gewölbes krachenden Bogen.

    Und trostlos irrt er an Ufers Rand.
    Wie weit er auch spähet und blicket
    Und die Stimme, die rufende schicket,
    Da stößt kein Nachen vom sicheren Strand,
    Der ihn setze an das gewünschte Land,
    Kein Schiffer lenket die Fähre
    Und der wilde Strom wird zum Meere

    Und er sinkt ans Ufer und weint und fleht,
    Die Hände zum Zeus erhoben:
    "Oh hemme des Stromes Toben!
    Es eilen die Stunden, im Mittag steht
    Die Sonne und wenn sie niedergeht
    Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
    So muss der Freund mir erbleichen."

    Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut
    Und Welle auf Welle zerrinnet
    Und Stunde an Stunde entrinnet.
    Da packt ihn die Angst, da fasst er sich Mut
    Und wirft sich hinein in die brausende Flut
    Und teilt mit gewaltigen Armen
    Den Strom und ein Gott hat Erbarmen

    Und erreicht das Ufer und eilet fort
    Und danket dem rettenden Gotte.
    Da stürzet die raubende Rotte
    Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort.
    Den Weg ihm sperret und schnaubet "Mord"
    Und hemmet des Wanderers Eile
    Mit drohend geschwungener Keule

    "Was wollt ihr?", ruft er, vor Schrecken bleich,
    "Ich habe nichts als meine Leben.
    Das muss ich dem Könige geben!"
    Und entreißet die Keule dem nächsten gleich.
    "Um des Freundes willen, erbarmet euch!"
    Und drei mit gewaltigen Streichen
    Erlegt er, die andern entweichen.

    Und die Sonne versendet glühenden Brand
    Und von der unendlichen Mühe
    Ermattet sinken die Knie.
    "Oh hast du mich gnädig aus Räubershand,
    Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land
    Und soll hier verschmachtend verderben?
    Und der Freund mir, der liebende, sterben?"

    Doch horch, da sprudelt es silberhell
    Ganz nah, wie rieselndes Rauschen.
    Und stille hält er zu Lauschen.
    Und sieh, aus dem Felsen geschwätzig schnell
    Springt murmelnd hervor ein lebendig Quell
    Und freudig bückt er sich nieder
    Und erfrischet die brennenden Glieder.

    Und die Sonne blickt durch der Zweige grün
    Und malt auf den glänzenden Matten
    Der Bäume gigantische Schatten.
    Und zwei Wanderer sieht er der Straße ziehn,
    Will eilenden Laufes vorüberfliehn,
    Da hört er die Worte sie sagen:
    "Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."

    Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
    Ihn jagen der Sorgen Qualen.
    Da schimmern in Abendrots Strahlen
    Von Ferne die Zinnen von Syrakus
    Und entgegen kommt ihm Philostratus
    Des Hauses redlicher Hüter
    Der erkennt entsetzt den Gebieter

    "Zurück, du rettest den Freund nicht mehr!
    So rette das eigene Leben!
    Den Tod erleidet er eben!
    Von Stunde zu Stunde gewartet er
    Mit hoffender Seele der Wiederkehr.
    Ihm konnt’ den mutigen Glauben
    Der Hohn des Tyrannen nicht rauben."

    "Und ist es zu spät
    und kann ich ihm nicht als Retter willkommen erscheinen,
    So soll mich der Tod ihm vereinen.
    Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
    Dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht!
    Er schlachte der Opfer zweie
    Und glaube an Liebe und Treue."

    Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
    Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
    Das die Menge gaffend umstehet.
    An einem Seile schon zieht man den Freund empor,
    Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
    "Mich, Henker", ruft er, "erwürget!
    Da bin ich, für den er gebürget!"

    Und ein Raunen ergreift das Volk umher.
    In den Armen liegen sich beide
    Und weinen vor Schmerzen und Freude.
    Da sieht man kein Auge tränenleer
    Und zum König bringt man die Wundermär.
    Der fühlt ein menschliches Rühren,
    Lässt schnell vor den Thron sie führen.

    Und blicket sie lange verwundert an.
    Dann spricht er: "Es ist euch gelungen.
    Ihr habt das Herz mir bezwungen.
    Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn.
    So nehmet auch mich zum Genossen an.
    Ich sei, gewährt mir die Bitte,
    In euerm Bunde der dritte."


    (Friedrich von Schiller)

  10. #10
    @Pi Gah das musste ich früher in Deutsch auswendig lernen das Gedicht. Oo Hach ja, dass waren noch Zeiten wo man mit einem gut gelernten Gedicht die SoMi-Note retten konnte.

    Soo, ich hab jetzt mal ein längeres Gedicht von T.S. Eliot rausgesucht, neben Baudelaire, gehört er zu meinen Lieblingsdichtern. Mal wieder schön düster und mystisch angehaucht ... ich hab halt ne Schwäche für solche Texte. ^^''


    The Hollow Men by T.S. Eliot

    I
    We are the hollow men
    We are the stuffed men
    Leaning together
    Headpiece filled with straw. Alas!
    Our dried voices, when
    We whisper together
    Are quiet and meaningless
    As wind in dry grass
    Or rats' feet over broken glass
    In our dry cellar

    Shape without form, shade without colour,
    Paralysed force, gesture without motion;

    Those who have crossed
    With direct eyes, to death's other Kingdom
    Remember us -- if at all -- not as lost
    Violent souls, but only
    As the hollow men
    The stuffed men.


    II
    Eyes I dare not meet in dreams
    In death's dream kingdom
    These do not appear:
    There, the eyes are
    Sunlight on a broken column
    There, is a tree swinging
    And voices are
    In the wind's singing
    More distant and more solemn
    Than a fading star.

    Let me be no nearer
    In death's dream kingdom
    Let me also wear
    Such deliberate disguises
    Rat's coat, crowskin, crossed staves
    In a field
    Behaving as the wind behaves
    No nearer --

    Not that final meeting
    In the twilight kingdom


    III
    This is the dead land
    This is cactus land
    Here the stone images
    Are raised, here they receive
    The supplication of a dead man's hand
    Under the twinkle of a fading star.

    Is it like this
    In death's other kingdom
    Waking alone
    At the hour when we are
    Trembling with tenderness
    Lips that would kiss
    Form prayers to broken stone.


    IV
    The eyes are not here
    There are no eyes here
    In this valley of dying stars
    In this hollow valley
    This broken jaw of our lost kingdoms

    In this last of meeting places
    We grope together
    And avoid speech
    Gathered on this beach of the tumid river

    Sightless, unless
    The eyes reappear
    As the perpetual star
    Multifoliate rose
    Of death's twilight kingdom
    The hope only
    Of empty men.


    V
    Here we go round the prickly pear
    Prickly pear prickly pear
    Here we go round the prickly pear
    At five o'clock in the morning.

    Between the idea
    And the reality
    Between the motion
    And the act
    Falls the Shadow
    For Thine is the Kingdom

    Between the conception
    And the creation
    Between the emotion
    And the response
    Falls the Shadow
    Life is very long

    Between the desire
    And the spasm
    Between the potency
    And the existence
    Between the essence
    And the descent
    Falls the Shadow
    For Thine is the Kingdom

    For Thine is
    Life is
    For Thine is the

    This is the way the world ends
    This is the way the world ends
    This is the way the world ends
    Not with a bang but a whimper.

  11. #11
    okay, hier eine seeeehr lange ballade von rilke. wer mal wirklich viel zeit hat, soll sie sich durchlesen. ist wirklich gut.

    Das Buch von der Pilgerschaft

    Dich wundert nicht des Sturmes Wucht, -
    du hast ihn wachsen sehn; -
    die Bäume flüchten. Ihre Flucht
    schafft schreitende Alleen.
    Da weißt du, der vor dem sie fliehn
    ist der, zu dem du gehst,
    und deine Sinne singen ihn,
    wenn du am Fenster stehst.

    Des Sommers Wochen standen still,
    es stieg der Bäume Blut;
    jetzt fühlst du, daß es fallen will
    in den der Alles tut.
    Du glaubtest schon erkannt die Kraft,
    als du die Frucht erfaßt,
    jetzt wird sie wieder rätselhaft,
    und du bist wieder Gast.

    Der Sommer war so wie dein Haus,
    drin weißt du alles stehn -
    jetzt mußt du in dein Herz hinaus
    wie in die Ebene gehn.
    Die große Einsamkeit beginnt,
    die Tage werden taub,
    aus deinen Sinnen nimmt der Wind
    die Welt wie welkes Laub.

    Durch ihre leeren Zweige sieht
    der Himmel, den du hast;
    sei Erde jetzt und Abendlied
    und Land, darauf er paßt.
    Demütig sei jetzt wie ein Ding,
    zu Wirklichkeit gereift, -
    daß Der, von dem die Kunde ging,
    dich fühlt, wenn er dich greift.


    Ich bete wieder, du Erlauchter,
    du hörst mich wieder durch den Wind,
    weil meine Tiefen niegebrauchter
    rauschender Worte mächtig sind.

    Ich war zerstreut; an Widersacher
    in Stücken war verteilt mein Ich.
    O Gott, mich lachten alle Lacher
    und alle Trinker tranken mich.

    In Höfen hab ich mich gesammelt
    aus Abfall und aus altem Glas,
    mit halbem Mund dich angestammelt,
    dich, Ewiger aus Ebenmaß.
    Wie hob ich meine halben Hände
    zu dir in namenlosem Flehn,
    daß ich die Augen wiederfände,
    mit denen ich dich angesehn.

    Ich war ein Haus nach einem Brand,
    darin nur Mörder manchmal schlafen,
    eh ihre hungerigen Strafen
    sie weiterjagen in das Land;
    ich war wie eine Stadt am Meer,
    wenn eine Seuche sie bedrängte,
    die sich wie eine Leiche schwer
    den Kindern an die Hände hängte.

    Ich war mir fremd wie irgendwer,
    und wußte nur von ihm, daß er
    einst meine junge Mutter kränkte
    als sie mich trug,
    und daß ihr Herz, das eingeengte,
    sehr schmerzhaft an mein Keimen schlug.

    Jetzt bin ich wieder aufgebaut
    aus allen Stücken meiner Schande,
    und sehne mich nach einem Bande,
    nach einem einigen Verstande,
    der mich wie ein Ding überschaut, -
    nach deines Herzens großen Händen -
    (o kämen sie doch auf mich zu).
    Ich zähle mich, mein Gott, und du,
    du hast das Recht, mich zu verschwenden.


    Ich bin derselbe noch, der kniete
    vor dir in mönchischem Gewand:
    der tiefe, dienende Levite,
    den du erfüllt, der dich erfand.
    Die Stimme einer stillen Zelle,
    an der die Welt vorüberweht, -
    und du bist immer noch die Welle
    die über alle Dinge geht.

    Es ist nichts andres. Nur ein Meer,
    aus dem die Länder manchmal steigen.
    Es ist nichts andres denn ein Schweigen
    von schönen Engeln und von Geigen,
    und der Verschwiegene ist der,
    zu dem sich alle Dinge neigen,
    von seiner Stärke Strahlen schwer.

    Bist du denn Alles, - ich der Eine,
    der sich ergiebt und sich empört?
    Bin ich denn nicht das Allgemeine,
    bin ich nicht Alles, wenn ich weine,
    und du der Eine, der es hört?

    Hörst du denn etwas neben mir?
    Sind da noch Stimmen außer meiner?
    Ist da ein Sturm? Auch ich bin einer,
    und meine Wälder winken dir.

    Ist da ein Lied, ein krankes, kleines,
    das dich am Micherhören stört, -
    auch ich bin eines, höre meines,
    das einsam ist und unerhört.

    Ich bin derselbe noch, der bange
    dich manchmal fragte, wer du seist.
    Nach jedem Sonnenuntergange
    bin ich verwundet und verwaist,
    ein blasser Allem Abgelöster
    und ein Verschmähter jeder Schar,
    und alle Dinge stehn wie Klöster,
    in denen ich gefangen war.
    Dann brauch ich dich, du Eingeweihter,
    du sanfter Nachbar jeder Not,
    du meines Leidens leiser Zweiter,
    du Gott, dann brauch ich dich wie Brot.
    Du weißt vielleicht nicht, wie die Nächte
    für Menschen, die nicht schlafen, sind:
    da sind sie alle Ungerechte,
    der Greis, die Jungfrau und das Kind.
    Sie fahren auf wie totgesagt,
    von schwarzen Dingen nah umgeben,
    und ihre weißen Hände beben,
    verwoben in ein wildes Leben
    wie Hunde in ein Bild der Jagd.
    Vergangenes steht noch bevor,
    und in der Zukunft liegen Leichen,
    ein Mann im Mantel pocht am Tor,
    und mit dem Auge und dem Ohr
    ist noch kein erstes Morgenzeichen,
    kein Hahnruf ist noch zu erreichen.
    Die Nacht ist wie ein großes Haus.
    Und mit der Angst der wunden Hände
    reißen sie Türen in die Wände, -
    dann kommen Gänge ohne Ende,
    und nirgends ist ein Tor hinaus.

    Und so, mein Gott, ist jede Nacht;
    immer sind welche aufgewacht,
    die gehn und gehn und dich nicht finden.
    Hörst du sie mit dem Schritt von Blinden
    das Dunkel treten?
    Auf Treppen, die sich niederwinden,
    hörst du sie beten?
    Hörst du sie fallen auf den schwarzen Steinen?
    Du mußt sie weinen hören; denn sie weinen.

    Ich suche dich, weil sie vorübergehn
    an meiner Tür. Ich kann sie beinah sehn.
    Wen soll ich rufen, wenn nicht den,
    der dunkel ist und nächtiger als Nacht.
    Den Einzigen, der ohne Lampe wacht
    und doch nicht bangt; den Tiefen, den das Licht
    noch nicht verwöhnt hat und von dem ich weiß,
    weil er mit Bäumen aus der Erde bricht
    und weil er leis
    als Duft in mein gesenktes Angesicht
    aus Erde steigt.


    Du Ewiger, du hast dich mir gezeigt.
    Ich liebe dich wie einen lieben Sohn,
    der mich einmal verlassen hat als Kind,
    weil ihn das Schicksal rief auf einen Thron,
    vor dem die Länder alle Täler sind.
    Ich bin zurückgeblieben wie ein Greis,
    der seinen großen Sohn nichtmehr versteht
    und wenig von den neuen Dingen weiß,
    zu welchen seines Samens Wille geht.
    Ich bebe manchmal für dein tiefes Glück,
    das auf so vielen fremden Schiffen fährt,
    ich wünsche manchmal dich in mich zurück,
    in dieses Dunkel, das dich großgenährt.
    Ich bange manchmal, daß du nichtmehr bist,
    wenn ich mich sehr verliere an die Zeit.
    Dann les ich von dir: der Euangelist
    schreibt überall von deiner Ewigkeit.

    Ich bin der Vater; doch der Sohn ist mehr,
    ist alles, was der Vater war, und der,
    der er nicht wurde, wird in jenem groß;
    er ist die Zukunft und die Wiederkehr,
    er ist der Schooß, er ist das Meer...


    Dir ist mein Beten keine Blasphemie:
    als schlüge ich in alten Büchern nach,
    daß ich dir sehr verwandt bin - tausendfach.

    Ich will dir Liebe geben. Die und die....

    Liebt man denn einen Vater? Geht man nicht,
    wie du von mir gingst, Härte im Gesicht,
    von seinen hülflos leeren Händen fort?
    Legt man nicht leise sein verwelktes Wort
    in alte Bücher, die man selten liest?
    Fließt man nicht wie von einer Wasserscheide
    von seinem Herzen ab zu Lust und Leide?
    Ist uns der Vater denn nicht das, was war;
    vergangne Jahre, welche fremd gedacht,
    veraltete Gebärde, tote Tracht,
    verblühte Hände und verblichnes Haar?
    Und war er selbst für seine Zeit ein Held,
    er ist das Blatt, das, wenn wir wachsen, fällt.


    Und seine Sorgfalt ist uns wie ein Alb,
    und seine Stimme ist uns wie ein Stein, -
    wir möchten seiner Rede hörig sein,
    aber wir hören seine Worte halb.
    Das große Drama zwischen ihm und uns
    lärmt viel zu laut, einander zu verstehn,
    wir sehen nur die Formen seines Munds,
    aus denen Silben fallen, die vergehn.
    So sind wir noch viel ferner ihm als fern,
    wenn auch die Liebe uns noch weit verwebt,
    erst wenn er sterben muß auf diesem Stern,
    sehn wir, daß er auf diesem Stern gelebt.

    Das ist der Vater uns. Und ich - ich soll
    dich Vater nennen?
    Das hieße tausendmal mich von dir trennen.
    Du bist mein Sohn. Ich werde dich erkennen,
    wie man sein einzigliebes Kind erkennt, auch dann,
    wenn es ein Mann geworden ist, ein alter Mann.


    Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
    wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
    und ohne Füße kann ich zu dir gehn,
    und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
    Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
    mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
    halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
    und wirfst du in mein Hirn den Brand,
    so werd ich dich auf meinem Blute tragen.


    Und meine Seele ist ein Weib vor dir.
    Und ist wie der Naëmi Schnur, wie Ruth.
    Sie geht bei Tag um deiner Garben Hauf
    wie eine Magd, die tiefe Dienste tut.
    Aber am Abend steigt sie in die Flut
    und badet sich und kleidet sich sehr gut
    und kommt zu dir, wenn alles um dich ruht,
    und kommt und deckt zu deinen Füßen auf.

    Und fragst du sie um Mitternacht, sie sagt
    mit tiefer Einfalt: Ich bin Ruth, die Magd.
    Spann deine Flügel über deine Magd.
    Du bist der Erbe...

    Und meine Seele schläft dann bis es tagt
    bei deinen Füßen, warm von deinem Blut.
    Und ist ein Weib vor dir. Und ist wie Ruth.


    Du bist der Erbe.
    Söhne sind die Erben,
    denn Väter sterben.
    Söhne stehn und blühn.
    Du bist der Erbe:


    Und du erbst das Grün
    vergangner Gärten und das stille Blau
    zerfallner Himmel.
    Tau aus tausend Tagen,
    die vielen Sommer, die die Sonnen sagen,
    und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen
    wie viele Briefe einer jungen Frau.
    Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder
    in der Erinnerung von Dichtern liegen,
    und alle Winter, wie verwaiste Länder,
    scheinen sich leise an dich anzuschmiegen.
    Du erbst Venedig und Kasan und Rom,
    Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom,
    die Troïtzka Lawra und das Monastir,
    das unter Kiews Gärten ein Gewirr
    von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, -
    Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, -
    und Klang wird dein sein Geigen, Hörner, Zungen,
    und jedes Lied, das tief genug erklungen,
    wird an dir glänzen wie ein Edelstein.

    Für dich nur schließen sich die Dichter ein
    und sammeln Bilder, rauschende und reiche,
    und gehn hinaus und reifen durch Vergleiche
    und sind ihr ganzes Leben so allein...
    Und Maler malen ihre Bilder nur,
    damit du unvergänglich die Natur,
    die du vergänglich schufst, zurückempfängst:
    alles wird ewig. Sieh, das Weib ist längst
    in der Madonna Lisa reif wie Wein;
    es müßte nie ein Weib mehr sein,
    denn Neues bringt kein neues Weib hinzu.
    Die, welche bilden, sind wie du.
    Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein,
    sei ewig. Und das heißt: sei dein!

    Und auch, die lieben, sammeln für dich ein:
    Sie sind die Dichter einer kurzen Stunde,
    sie küssen einem ausdruckslosen Munde
    ein Lächeln auf, als formten sie ihn schöner,
    und bringen Lust und sind die Angewöhner
    zu Schmerzen, welche erst erwachsen machen.
    Sie bringen Leiden mit in ihrem Lachen,
    Sehnsüchte, welche schlafen, und erwachen,
    um aufzuweinen in der fremden Brust.
    Sie häufen Rätselhaftes an und sterben,
    wie Tiere sterben, ohne zu begreifen, -
    aber sie werden vielleicht Enkel haben,
    in denen ihre grünen Leben reifen;
    durch diese wirst du jene Liebe erben,
    die sie sich blind und wie im Schlafe gaben.

    So fließt der Dinge Überfluß dir zu.
    Und wie die obern Becken von Fontänen
    beständig überströmen, wie von Strähnen
    gelösten Haares, in die tiefste Schale, -
    so fällt die Fülle dir in deine Tale,
    wenn Dinge und Gedanken übergehn.


    Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,
    der in das Leben aus der Zelle sieht
    und der, den Menschen ferner als den Dingen,
    nicht wagt zu wägen, was geschieht.
    Doch willst du mich vor deinem Angesicht,
    aus dem sich dunkel deine Augen heben,
    dann halte es für meine Hoffahrt nicht,
    wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben.
    Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,
    Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,
    verkleidet schon als Kinder, eingemummt,
    als Masken mündig, als Gesicht - verstummt.

    Ich denke oft: Schatzhäuser müssen sein,
    wo alle diese vielen Leben liegen
    wie Panzer oder Sänften oder Wiegen,
    in welche nie ein Wirklicher gestiegen,
    und wie Gewänder, welche ganz allein
    nicht stehen können und sich sinkend schmiegen
    an starke Wände aus gewölbtem Stein.

    Und wenn ich abends immer weiterginge
    aus meinem Garten, drin ich müde bin, -
    ich weiß: dann führen alle Wege hin
    zum Arsenal der ungelebten Dinge.
    Dort ist kein Baum, als legte sich das Land,
    und wie um ein Gefängnis hängt die Wand
    ganz fensterlos in siebenfachem Ringe.
    Und ihre Tore mit den Eisenspangen,
    die denen wehren, welche hinverlangen,
    und ihre Gitter sind von Menschenhand.


    Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt
    wie aus dem Kerker, der ihn haßt und hält, -
    es ist ein großes Wunder in der Welt:
    ich fühle: alles Leben wird gelebt.

    Wer lebt es denn? Sind das die Dinge, die
    wie eine ungespielte Melodie
    im Abend wie in einer Harfe stehn?
    Sind das die Winde, die von Wassern wehn,
    sind das die Zweige, die sich Zeichen geben,
    sind das die Blumen, die die Düfte weben,
    sind das die langen alternden Alleen?
    Sind das die warmen Tiere, welche gehn,
    sind das die Vögel, die sich fremd erheben?

    Wer lebt es denn? Lebst du es, Gott, - das Leben?


    Du bist der Alte, dem die Haare
    von Ruß versengt sind und verbrannt,
    du bist der große Unscheinbare,
    mit deinem Hammer in der Hand.
    Du bist der Schmied, das Lied der Jahre,
    der immer an dem Amboß stand.

    Du bist, der niemals Sonntag hat,
    der in die Arbeit Eingekehrte,
    der sterben könnte überm Schwerte,
    das noch nicht glänzend wird und glatt.
    Wenn bei uns Mühle steht und Säge
    und alle trunken sind und träge,
    dann hört man deine Hammerschläge
    an allen Glocken in der Stadt.

    Du bist der Mündige, der Meister,
    und keiner hat dich lernen sehn;
    ein Unbekannter, Hergereister,
    von dem bald flüsternder, bald dreister
    die Reden und Gerüchte gehn.


    Gerüchte gehn, die dich vermuten,
    und Zweifel gehn, die dich verwischen.
    Die Trägen und die Träumerischen
    mißtrauen ihren eignen Gluten
    und wollen, daß die Berge bluten,
    denn eher glauben sie dich nicht.

    Du aber senkst dein Angesicht.

    Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden
    als Zeichen eines großen Gerichts;
    aber dir liegt nichts
    an den Heiden.

    Du willst nicht streiten mit allen Listen
    und nicht suchen die Liebe des Lichts;
    denn dir liegt nichts
    an den Christen.

    Dir liegt an den Fragenden nichts.
    Sanften Gesichts
    siehst du den Tragenden zu.


    Alle, welche dich suchen, versuchen dich.
    Und die, so dich finden, binden dich
    an Bild und Gebärde.

    Ich aber will dich begreifen
    wie dich die Erde begreift;
    mit meinem Reifen
    reift
    dein Reich.

    Ich will von dir keine Eitelkeit,
    die dich beweist.

    Ich weiß, daß die Zeit
    anders heißt
    als du.

    Tu mir kein Wunder zulieb.
    Gieb deinen Gesetzen recht,
    die von Geschlecht zu Geschlecht
    sichtbarer sind.


    Wenn etwas mir vom Fenster fällt
    (und wenn es auch das Kleinste wäre)
    wie stürzt sich das Gesetz der Schwere
    gewaltig wie ein Wind vom Meere
    auf jeden Ball und jede Beere
    und trägt sie in den Kern der Welt.

    Ein jedes Ding ist überwacht
    von einer flugbereiten Güte
    wie jeder Stein und jede Blüte
    und jedes kleine Kind bei Nacht.
    Nur wir, in unsrer Hoffahrt, drängen
    aus einigen Zusammenhängen
    in einer Freiheit leeren Raum,
    statt, klugen Kräften hingegeben,
    uns aufzuheben wie ein Baum.
    Statt in die weitesten Geleise
    sich still und willig einzureihn,
    verknüpft man sich auf manche Weise, -
    und wer sich ausschließt jedem Kreise,
    ist jetzt so namenlos allein.

    Da muß er lernen von den Dingen,
    anfangen wieder wie ein Kind,
    weil sie, die Gott am Herzen hingen,
    nicht von ihm fortgegangen sind.
    Eins muß er wieder können: fallen,
    geduldig in der Schwere ruhn,
    der sich vermaß, den Vögeln allen
    im Fliegen es zuvorzutun.

    (Denn auch die Engel fliegen nicht mehr.
    Schweren Vögeln gleichen die Seraphim,
    welche um ihn sitzen und sinnen;
    Trümmern von Vögeln, Pinguinen
    gleichen sie, wie sie verkümmern...)


    Du meinst die Demut. Angesichter
    gesenkt in stillem Dichverstehn.
    So gehen abends junge Dichter
    in den entlegenen Alleen.
    So stehn die Bauern um die Leiche,
    wenn sich ein Kind im Tod verlor, -
    und was geschieht, ist doch das Gleiche:
    es geht ein Übergroßes vor.

    Wer dich zum ersten Mal gewahrt,
    den stört der Nachbar und die Uhr,
    der geht, gebeugt zu deiner Spur,
    und wie beladen und bejahrt.
    Erst später naht er der Natur
    und fühlt die Winde und die Fernen,
    hört dich, geflüstert von der Flur,
    sieht dich, gesungen von den Sternen,
    und kann dich nirgends mehr verlernen,
    und alles ist dein Mantel nur.

    Ihm bist du neu und nah und gut
    und wunderschön wie eine Reise,
    die er in stillen Schiffen leise
    auf einem großen Flusse tut.
    Das Land ist weit, in Winden, eben,
    sehr großen Himmeln preisgegeben
    und alten Wäldern untertan.
    Die kleinen Dörfer, die sich nahn,
    vergehen wieder wie Geläute
    und wie ein Gestern und ein Heute
    und so wie alles, was wir sahn.
    Aber an dieses Stromes Lauf
    stehn immer wieder Städte auf
    und kommen wie auf Flügelschlägen
    der feierlichen Fahrt entgegen.

    Und manchmal lenkt das Schiff zu Stellen,
    die einsam, sonder Dorf und Stadt,
    auf etwas warten an den Wellen, -
    auf den, der keine Heimat hat...
    Für solche stehn dort kleine Wagen
    (ein jeder mit drei Pferden vor),
    die atemlos nach Abend jagen
    auf einem Weg, der sich verlor.


    In diesem Dorfe steht das letzte Haus
    so einsam wie das letzte Haus der Welt.

    Die Straße, die das kleine Dorf nicht hält,
    geht langsam weiter in die Nacht hinaus.

    Das kleine Dorf ist nur ein Übergang
    zwischen zwei Weiten, ahnungsvoll und bang,
    ein Weg an Häusern hin statt eines Stegs.

    Und die das Dorf verlassen, wandern lang,
    und viele sterben vielleicht unterwegs.


    Manchmal steht einer auf beim Abendbrot
    und geht hinaus und geht und geht und geht, -
    weil eine Kirche wo im Osten steht.

    Und seine Kinder segnen ihn wie tot.

    Und einer, welcher stirbt in seinem Haus,
    bleibt drinnen wohnen, bleibt in Tisch und Glas,
    so daß die Kinder in die Welt hinaus
    zu jener Kirche ziehn, die er vergaß.


    Nachtwächter ist der Wahnsinn,
    weil er wacht.
    Bei jeder Stunde bleibt er lachend stehn,
    und einen Namen sucht er für die Nacht
    und nennt sie: sieben, achtundzwanzig, zehn...

    Und ein Triangel tragt er in der Hand,
    und weil er zittert, schlägt es an den Rand
    des Horns, das er nicht blasen kann, und singt
    das Lied, das er zu allen Häusern bringt.

    Die Kinder haben eine gute Nacht
    und hören träumend, daß der Wahnsinn wacht.
    Die Hunde aber reißen sich vom Ring
    und gehen in den Häusern groß umher
    und zittern, wenn er schon vorüberging,
    und fürchten sich vor seiner Wiederkehr.


    Weißt du von jenen Heiligen, mein Herr?

    Sie fühlten auch verschloßne Klosterstuben
    zu nahe an Gelächter und Geplärr,
    so daß sie tief sich in die Erde gruben.

    Ein jeder atmete mit seinem Licht
    die kleine Luft in seiner Grube aus,
    vergaß sein Alter und sein Angesicht
    und lebte wie ein fensterloses Haus
    und starb nichtmehr, als wär er lange tot.

    Sie lasen selten; alles war verdorrt,
    als wäre Frost in jedes Buch gekrochen,
    und wie die Kutte hing von ihren Knochen,
    so hing der Sinn herab von jedem Wort.
    Sie redeten einander nichtmehr an,
    wenn sie sich fühlten in den schwarzen Gängen,
    sie ließen ihre langen Haare hängen,
    und keiner wußte, ob sein Nachbarmann
    nicht stehend starb.
    In einem runden Raum,

    wo Silberlampen sich von Balsam nährten,
    versammelten sich manchmal die Gefährten
    vor goldnen Türen wie vor goldnen Gärten
    und schauten voller Mißtraun in den Traum
    und rauschten leise mit den langen Bärten.

    Ihr Leben war wie tausend Jahre groß,
    seit es sich nichtmehr schied in Nacht und Helle;
    sie waren, wie gewälzt von einer Welle,
    zurückgekehrt in ihrer Mutter Schooß.
    Sie saßen rundgekrümmt wie Embryos
    mit großen Köpfen und mit kleinen Händen
    und aßen nicht, als ob sie Nahrung fänden
    aus jener Erde, die sie schwarz umschloß.

    Jetzt zeigt man sie den tausend Pilgern, die
    aus Stadt und Steppe zu dem Kloster wallen.
    Seit dreimal hundert Jahren liegen sie,
    und ihre Leiber können nicht zerfallen.
    Das Dunkel häuft sich wie ein Licht das rußt
    auf ihren langen lagernden Gestalten,
    die unter Tüchern heimlich sich erhalten, -
    und ihrer Hände ungelöstes Falten
    liegt ihnen wie Gebirge auf der Brust.

    Du großer alter Herzog des Erhabnen:
    hast du vergessen, diesen Eingegrabnen
    den Tod zu schicken, der sie ganz verbraucht,
    weil sie sich tief in Erde eingetaucht?
    Sind die, die sich Verstorbenen vergleichen,
    am ähnlichsten der Unvergänglichkeit?
    Ist das das große Leben deiner Leichen,
    das überdauern soll den Tod der Zeit?

    Sind sie dir noch zu deinen Plänen gut?
    Erhältst du unvergängliche Gefäße,
    die du, der allen Maßen Ungemäße,
    einmal erfüllen willst mit deinem Blut?


    Du bist die Zukunft, großes Morgenrot
    über den Ebenen der Ewigkeit.
    Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
    der Tau, die Morgenmette und die Maid,
    der fremde Mann, die Mutter und der Tod.

    Du bist die sich verwandelnde Gestalt,
    die immer einsam aus dem Schicksal ragt,
    die unbejubelt bleibt und unbeklagt
    und unbeschrieben wie ein wilder Wald.

    Du bist der Dinge tiefer Inbegriff,
    der seines Wesens letztes Wort verschweigt
    und sich den Andern immer anders zeigt:
    dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff.


    Du bist das Kloster zu den Wundenmalen.
    Mit zweiunddreißig alten Kathedralen
    und fünfzig Kirchen, welche aus Opalen
    und Stücken Bernstein aufgemauert sind.
    Auf jedem Ding im Klosterhofe
    liegt deines Klanges eine Strophe,
    und das gewaltige Tor beginnt.

    In langen Häusern wohnen Nonnen,
    Schwarzschwestern, siebenhundertzehn.
    Manchmal kommt eine an den Bronnen,
    und eine steht wie eingesponnen,
    und eine, wie in Abendsonnen,
    geht schlank in schweigsamen Alleen.

    Aber die Meisten sieht man nie;
    sie bleiben in der Häuser Schweigen
    wie in der kranken Brust der Geigen
    die Melodie, die keiner kann...

    Und um die Kirchen rings im Kreise,
    von schmachtendem Jasmin umstellt,
    sind Gräberstätten, welche leise
    wie Steine reden von der Welt.
    Von jener Welt, die nichtmehr ist,
    obwohl sie an das Kloster brandet,
    in eitel Tag und Tand gewandet
    und gleichbereit zu Lust und List.

    Sie ist vergangen: denn du bist.
    Sie fließt noch wie ein Spiel von Lichtern
    über das teilnahmslose Jahr;
    doch dir, dem Abend und den Dichtern
    sind, unter rinnenden Gesichtern,
    die dunkeln Dinge offenbar.


    Die Könige der Welt sind alt
    und werden keine Erben haben.
    Die Söhne sterben schon als Knaben,
    und ihre bleichen Töchter gaben
    die kranken Kronen der Gewalt.

    Der Pöbel bricht sie klein zu Geld,
    der zeitgemäße Herr der Welt
    dehnt sie im Feuer zu Maschinen,
    die seinem Wollen grollend dienen;
    aber das Glück ist nicht mit ihnen.

    Das Erz hat Heimweh. Und verlassen
    will es die Münzen und die Räder,
    die es ein kleines Leben lehren.
    Und aus Fabriken und aus Kassen
    wird es zurück in das Geäder
    der aufgetanen Berge kehren,
    die sich verschließen hinter ihm.


    Alles wird wieder groß sein und gewaltig.
    Die Lande einfach und die Wasser faltig,
    die Bäume riesig und sehr klein die Mauern;
    und in den Tälern, stark und vielgestaltig,
    ein Volk von Hirten und von Ackerbauern.

    Und keine Kirchen, welche Gott umklammern
    wie einen Flüchtling und ihn dann bejammern
    wie ein gefangenes und wundes Tier, -
    die Häuser gastlich allen Einlaßklopfern
    und ein Gefühl von unbegrenztem Opfern
    in allem Handeln und in dir und mir.

    Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben,
    nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn
    und dienend sich am Irdischen zu üben,
    um seinen Händen nicht mehr neu zu sein.


    Auch du wirst groß sein. Größer noch als einer,
    der jetzt schon leben muß, dich sagen kann.
    Viel ungewöhnlicher und ungemeiner
    und noch viel älter als ein alter Mann.

    Man wird dich fühlen: daß ein Duften ginge
    aus eines Gartens naher Gegenwart;
    und wie ein Kranker seine liebsten Dinge
    wird man dich lieben ahnungsvoll und zart.

    Es wird kein Beten geben, das die Leute
    zusammenschart. Du bist nicht im Verein;
    und wer dich fühlte und sich an dir freute,
    wird wie der Einzige auf Erden sein:
    Ein Ausgestoßener und ein Vereinter,
    gesammelt und vergeudet doch zugleich;
    ein Lächelnder und doch ein Halbverweinter,
    klein wie ein Haus und mächtig wie ein Reich.


    Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei's
    daß einer stirbt und sie ihn weitertragen,
    sei es daß wer auf heimliches Geheiß
    den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen,
    um in der Fremde nach dem Weg zu fragen,
    auf welchem er dich warten weiß.

    Die Straßen werden derer niemals leer,
    die zu dir wollen wie zu jener Rose,
    die alle tausend Jahre einmal blüht.
    Viel dunkles Volk und beinah Namenlose,
    und wenn sie dich erreichen, sind sie müd.

    Aber ich habe ihren Zug gesehn;
    und glaube seither, daß die Winde wehn
    aus ihren Mänteln, welche sich bewegen,
    und stille sind wenn sie sich niederlegen -:
    so groß war in den Ebenen ihr Gehn.


    So möcht ich zu dir gehn: von fremden Schwellen
    Almosen sammelnd, die mich ungern nähren.
    Und wenn der Wege wirrend viele wären,
    so würd ich mich den Ältesten gesellen.
    Ich würde mich zu kleinen Greisen stellen,
    und wenn sie gingen, schaut ich wie im Traum,
    daß ihre Kniee aus der Bärte Wellen
    wie Inseln tauchen, ohne Strauch und Baum.

    Wir überholten Männer, welche blind
    mit ihren Knaben wie mit Augen schauen,
    und Trinkende am Fluß und müde Frauen
    und viele Frauen, welche schwanger sind.
    Und alle waren mir so seltsam nah, -
    als ob die Männer einen Blutsverwandten,
    die Frauen einen Freund in mir erkannten,
    und auch die Hunde kamen, die ich sah.


    Du Gott, ich möchte viele Pilger sein,
    um so, ein langer Zug, zu dir zu gehn,
    und um ein großes Stück von dir zu sein:
    du Garten mit den lebenden Alleen.
    Wenn ich so gehe wie ich bin, allein, -
    wer merkt es denn? Wer sieht mich zu dir gehn?
    Wen reißt es hin? Wen regt es auf, und wen
    bekehrt es dir?
    Als wäre nichts geschehn,

    - lachen sie weiter. Und da bin ich froh,
    daß ich so gehe wie ich bin; denn so
    kann keiner von den Lachenden mich sehn.


    Bei Tag bist du das Hörensagen,
    das flüsternd um die Vielen fließt;
    die Stille nach dem Stundenschlagen,
    welche sich langsam wieder schließt.

    Jemehr der Tag mit immer schwächern
    Gebärden sich nach Abend neigt,
    jemehr bist du, mein Gott. Es steigt
    dein Reich wie Rauch aus allen Dächern.


    Ein Pilgermorgen. Von den harten Lagern,
    auf das ein jeder wie vergiftet fiel,
    erhebt sich bei dem ersten Glockenspiel
    ein Volk von hagern Morgensegen-Sagern,
    auf das die frühe Sonne niederbrennt:

    Bärtige Männer, welche sich verneigen,
    Kinder, die ernsthaft aus den Pelzen steigen,
    und in den Mänteln, schwer von ihrem Schweigen,
    die braunen Fraun von Tiflis und Taschkent.
    Christen mit den Gebärden des Islam
    sind um die Brunnen, halten ihre Hände
    wie flache Schalen hin, wie Gegenstände,
    in die die Flut wie eine Seele kam.

    Sie neigen das Gesicht hinein und trinken,
    reißen die Kleider auf mit ihrer Linken
    und halten sich das Wasser an die Brust
    als wärs ein kühles weinendes Gesicht,
    das von den Schmerzen auf der Erde spricht.

    Und diese Schmerzen stehen rings umher
    mit welken Augen; und du weißt nicht wer
    sie sind und waren. Knechte oder Bauern,
    vielleicht Kaufleute, welche Wohlstand sahn,
    vielleicht auch laue Mönche, die nicht dauern,
    und Diebe, die auf die Versuchung lauern,
    offene Mädchen, die verkümmert kauern,
    und Irrende in einem Wald von Wahn - :
    alle wie Fürsten, die in tiefem Trauern
    die Überflüsse von sich abgetan.
    Wie Weise alle, welche viel erfahren,
    Erwählte, welche in der Wüste waren,
    wo Gott sie nährte durch ein fremdes Tier;
    Einsame, die durch Ebenen gegangen
    mit vielen Winden an den dunklen Wangen,
    von einer Sehnsucht fürchtig und befangen
    und doch so wundersam erhöht von ihr.
    Gelöste aus dem Alltag, eingeschaltet
    in große Orgeln und in Chorgesang,
    und Knieende, wie Steigende gestaltet;
    Fahnen mit Bildern, welche lang
    verborgen waren und zusammgefaltet:

    Jetzt hängen sie sich langsam wieder aus.

    Und manche stehn und schaun nach einem Haus,
    darin die Pilger, welche krank sind, wohnen;
    denn eben wand sich dort ein Mönch heraus,
    die Haare schlaff und die Sutane kraus,
    das schattige Gesicht voll kranker Blaus
    und ganz verdunkelt von Dämonen.

    Er neigte sich, als bräch er sich entzwei,
    und warf sich in zwei Stücken auf die Erde,
    die jetzt an seinem Munde wie ein Schrei
    zu hängen schien und so als sei
    sie seiner Arme wachsende Gebärde.

    Und langsam ging sein Fall an ihm vorbei.
    Er flog empor, als ob er Flügel spürte,
    und sein erleichtertes Gefühl verführte
    ihn zu dem Glauben seiner Vogelwerdung.
    Er hing in seinen magern Armen schmal,
    wie eine schiefgeschobne Marionette,
    und glaubte, daß er große Schwingen hätte
    und daß die Welt schon lange wie ein Tal
    sich ferne unter seinen Füßen glätte.
    Ungläubig sah er sich mit einem Mal
    herabgelassen auf die fremde Stätte
    und auf den grünen Meergrund seiner Qual.
    Und war ein Fisch und wand sich schlank und schwamm
    durch tiefes Wasser, still und silbergrau,
    sah Quallen hangen am Korallenstamm
    und sah die Haare einer Meerjungfrau,
    durch die das Wasser rauschte wie ein Kamm.
    Und kam zu Land und war ein Bräutigam
    bei einer Toten, wie man ihn erwählt
    damit kein Mädchen fremd und unvermählt
    des Paradieses Wiesenland beschritte.

    Er folgte ihr und ordnete die Tritte
    und tanzte rund, sie immer in der Mitte,
    und seine Arme tanzten rund um ihn.
    Dann horchte er, als wäre eine dritte
    Gestalt ganz sachte in das Spiel getreten,
    die diesem Tanzen nicht zu glauben schien.
    Und da erkannte er: jetzt mußt du beten;
    denn dieser ist es, welcher den Propheten
    wie eine große Krone sich verliehn.
    Wir halten ihn, um den wir täglich flehten,
    wir ernten ihn, den einstens Ausgesäeten,
    und kehren heim mit ruhenden Geräten
    in langen Reihen wie in Melodien.
    Und er verneigte sich ergriffen, tief.

    Aber der Alte war, als ob er schliefe,
    und sah es nicht, obwohl sein Aug nicht schlief.

    Und er verneigte sich in solche Tiefe,
    daß ihm ein Zittern durch die Glieder lief.
    Aber der Alte ward es nicht gewahr.

    Da faßte sich der kranke Mönch am Haar
    und schlug sich wie ein Kleid an einen Baum.
    Aber der Alte stand und sah es kaum.

    Da nahm der kranke Mönch sich in die Hände
    wie man ein Richtschwert in die Hände nimmt,
    und hieb und hieb, verwundete die Wände
    und stieß sich endlich in den Grund ergrimmt.
    Aber der Alte blickte unbestimmt.

    Da riß der Mönch sein Kleid sich ab wie Rinde
    und knieend hielt er es dem Alten hin.

    Und sieh: er kam. Kam wie zu einem Kinde
    und sagte sanft: Weißt du auch wer ich bin?
    Das wußte er. Und legte sich gelinde
    dem Greis wie eine Geige unters Kinn.


    Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,
    alternde Astern atmen schwach im Beet.
    Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
    wird immer warten und sich nie besitzen.

    Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
    gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
    in ihm nur wartet bis die Nacht begann,
    um sich in seinem Dunkel aufzurichten: -
    der ist vergangen wie ein alter Mann.

    Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,
    und alles lügt ihn an, was ihm geschieht;
    auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du,
    welcher ihn täglich in die Tiefe zieht.


    Du mußt nicht bangen, Gott. Sie sagen: mein
    zu allen Dingen, die geduldig sind.
    Sie sind wie Wind, der an die Zweige streift
    und sagt: mein Baum.

    Sie merken kaum,
    wie alles glüht, was ihre Hand ergreift, -
    so daß sie's auch an seinem letzten Saum
    nicht halten könnten ohne zu verbrennen.

    Sie sagen mein, wie manchmal einer gern
    den Fürsten Freund nennt im Gespräch mit Bauern,
    wenn dieser Fürst sehr groß ist und - sehr fern.
    Sie sagen mein von ihren fremden Mauern
    und kennen gar nicht ihres Hauses Herrn.
    Sie sagen mein und nennen das Besitz,
    wenn jedes Ding sich schließt, dem sie sich nahn,
    so wie ein abgeschmackter Charlatan
    vielleicht die Sonne sein nennt und den Blitz.
    So sagen sie: mein Leben, meine Frau,
    mein Hund, mein Kind, und wissen doch genau,
    daß alles: Leben, Frau und Hund und Kind
    fremde Gebilde sind, daran sie blind
    mit ihren ausgestreckten Händen stoßen.
    Gewißheit freilich ist das nur den Großen,
    die sich nach Augen sehnen. Denn die Andern
    wollens nicht hören, daß ihr armes Wandern
    mit keinem Dinge rings zusammenhängt,
    daß sie, von ihrer Habe fortgedrängt,
    nicht anerkannt von ihrem Eigentume
    das Weib so wenig haben wie die Blume,
    die eines fremden Lebens ist für alle.

    Falle nicht, Gott, aus deinem Gleichgewicht.
    Auch der dich liebt und der dein Angesicht
    erkennt im Dunkel, wenn er wie ein Licht
    in deinem Atem schwankt, - besitzt dich nicht.
    Und wenn dich einer in der Nacht erfaßt,
    so daß du kommen mußt in sein Gebet:
    Du bist der Gast,

    der wieder weiter geht.


    Wer kann dich halten, Gott? Denn du bist dein,
    von keines Eigentümers Hand gestört,
    so wie der noch nicht ausgereifte Wein,
    der immer süßer wird, sich selbst gehört.


    In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz.
    Denn alle Überflüsse, die ich sah,
    sind Armut und armsäliger Ersatz
    für deine Schönheit, die noch nie geschah.

    Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit
    und, weil ihn lange keiner ging, verweht.
    O du bist einsam. Du bist Einsamkeit,
    du Herz, das zu entfernten Talen geht.

    Und meine Hände, welche blutig sind
    vom Graben, heb ich offen in den Wind,
    so daß sie sich verzweigen wie ein Baum.
    Ich sauge dich mit ihnen aus dem Raum

    als hättest du dich einmal dort zerschellt
    in einer ungeduldigen Gebärde,
    und fielest jetzt, eine zerstäubte Welt,
    aus fernen Sternen wieder auf die Erde
    sanft wie ein Frühlingsregen fällt.

  12. #12
    Ich mag kurze Gedichte. Deshalb poste ich mal drei zur Liebe. Heine und Goethe mag ich auch sonst sehr gern. Rilke ist ebenfalls nicht schlecht.

    von Heinrich Heine
    Im wunderschönen Monat Mai,
    Als alle Knospen sprangen,
    Da ist in meinem Herzen
    Die Liebe aufgegangen.

    Im wunderschönen Monat Mai,
    Als alle Vögel sangen,
    Da hab ich ihr gestanden
    Mein Sehnen und Verlangen.


    von Johann Wolfgang von Goethe
    Freudvoll und leidvoll,
    Gedankenvoll sein;
    Langen und bangen
    In schwebender Pein;
    Himmelhoch jauchzend,
    Zum tode betrübt:
    "Glücklich allein
    Ist die Seele, die liebt!"


    von Günther Kunert
    Als unnötigen Luxus
    Herzustellen verbot was die Leute
    Lampen nennen
    König Tharsos von Xantos der
    Von Geburt
    Blinde

  13. #13
    Brigit vom Mantel, umgib uns.
    Herrin der Lampe, beschütz uns.
    Hüterin des Herdes, entzünde uns.
    Unter dem Mantel vereine uns
    und gib uns dem Gedächtnis wieder.
    Mütter unserer Mütter, Vormütter stark,
    führt mit eurer Hand die unsrige,
    erinnert uns, das Herdfeuer zu entfachen,
    es leuchtend hell zu halten, die Flamme zu hüten.
    Eure Hände sind unsere, Tag und Nacht.
    Birgids Mantel um uns,
    Birgids Gedächtnis in uns,
    Birgids Schutz, uns vor Schaden zu bewahren,
    vor Unwissenheit, vor Herzlosigkeit,
    diesen Tag und diese Nacht,
    vom Morgengrau bis zum Dunkel,
    vom Dunkel bis zum Morgengrau.

    Ist zwar kein Gedicht, aber ein Gebet, das der keltischen Göttin Birgid gewidmet ist.
    Geschrieben wurde es von Caitlin Matthews, leider hab ich keinerlei Infos über den Dichter. Vielleicht gefällt es euch ja

  14. #14
    @Shi:
    Baudelaire ist großartig, ich habe seinen 'Blumen de Bösen' ebenfalls gelesen, aber mir gefallen die Englischen Übersetzungen besser als die Deutschen.

    Ich liebe leicht depressive, bildreiche Gedichte, wie die 36 Dichterinnen, eine Gruppe japanischer Frauen, die eine ganze Menge Haikus über Liebeskummer verfasst haben. Leider besitze ich sie nur in Deutscher ÜBersetzung.

    Wann lösen wir uns
    füreinander, so schwer
    zu binden und so
    leicht gelockert, wann
    der Gürtel, der noch
    mein Nachtgewand hält?

    Hätt' ich nicht ge-
    wusst, dass dieser Welt
    des Leidens nicht zu
    entfliehen ist, hätte
    ich mir einen Ort
    fern in den Bergen
    gesucht.

    Nur wer allein
    schläft, weiß wie end-
    los die Herbstnacht.
    Sag, wer hat es dir er-
    zählt? Denn du weißt
    doch, wie endlos eine
    Herbstnacht ist.

    Bedeckt den Mond
    mit Wolkendunst,
    denn sein ANblick
    macht mich traurig.
    Aus seinem Glanze
    lächelt das Antlitz des
    Geliebten.

    Ob ich trostlos bin,
    ob ich weine, der Kla-
    gen sind niemals ge-
    nug. Bin halt so kalt
    und hart nicht wie der
    Mond in jener Nacht.


    Zur Abwechslung eine originelle Liebessonette von Friedrich Rückert:

    Amaryllis I

    Amara, bittre, was du tust, ist bitter,
    Wie du deine Füße rührst, die Anrme lenkest,
    Wie du die Augen hebst, wie du sie senkest,
    Die Lippen auftust oder zu, ist's bitter.

    Ein jeder Gruß, den du schenkest, ist bitter,
    Bitter ein jeder Kuss den du nicht schenkest,
    Bitter sit, was du sprichst und was du denkest,
    Und was du hast und was du bist, ist bitter.

    Voraus kommt eine Bitterkeit gegangen,
    Zwo Bitterkeiten gehn dir zu den Seiten,
    Und eine folgt den Spuren deiner Füße.

    O du, mit Bitterkeiten rings umfangen,
    Wer dächte, dass mit all den Bitterkeiten
    Du doch mir bist im inneren Kern so süße.

  15. #15
    Im Sinne der Übersichtlichkeit lasse ich mich zu einem Doppelpost hinreißen, jetzt folgt nämlich meine Lieblingsballade, wieder eine japanische Übersetzung und so lang, dass ich sie in zwei Hälften liefern werde:

    Mensch auf der Brücke

    I
    Den Blick auf das andere Ufer gerichtet
    Stehst du am klaren Himmel, Mensch auf der Brücke.
    Über Gräben von Schmutz und Öl
    Ragt die schmutzige Gesiterstadt empor.
    Von schwerer Angst, Erschöpfung und
    Stein verhärtete Dächerzüge und
    Tief darunter ein träge kriechender Kanal.
    Schau! Wohin der Bootsbug durch die stagnietre 'Zeit',
    Ruder im Leeren schlagend
    Abwärts, abwärts fährt - die Richtung.

    Mensch auf der Brücke, du hast
    Dein geheimniserfülltes Zimmer,
    die Blicke vertrauter Menschen und
    Bücher und FEnster und Schreibzeug verlassen;
    über viele Wege,
    an vielen Städten vorbei,
    bist du irgendwann, weit weg, auf die Brücke gelangt.
    Nun bezwingst du den Ekle
    Du träumst, im Himmel der Welt zerbersten
    Kristalle, Blumen, Muscheln als Feuerwerk am hellichten Tag

    II
    Oh Zeit, warum strömst du?
    Warum stehst du nicht still?
    Sang ein betrunkener Matrose
    In einem schäbigen Cafe.
    Oh, was soll ich nun...
    Wein und Mädchen ade-
    Auf geht's zum Hafen-
    Zukunft und Hoffung, die bleiben mir noch.

    Ach Zeit, warum strömst du?
    Warum stehst du nicht still?
    sang eine Verrückte
    im lärmigen Elendsviertel.
    Ach, was soll ich nun...
    Fort mit dir, du leerer Beutel
    Auf geht's zum Hafen-
    Zukunft und Liebe, die gibt's nicht mehr.

    Ach Zeit, warum strömst du?
    Warum stehst du nicht still?
    sang ein bleicher Angestellter
    In seiner stickigen Wohnung.
    Oh, was soll ich nun...
    Auf geht's zum Hafen-
    Zukunft und Glauben sind zweierlei.

    III
    Mensch auf der Brücke,
    wie der Nachhall von Schritten um die Straßenecke
    wandtest du dich nicht um,
    vom Wind zerfetzte flüchtige Traumgedanken
    waren dein ganzer, im Herzen schwebender Weg.
    Mensch auf der Brücke,
    du warst ein Wanderer, auf Abenteuer aus,
    vom Herbst 1940 bis zum Herbst 1950
    gelangten deine Schritte und Spuren
    überall hin und gingen überall vorbei.
    Mensch auf der Brücke,
    warum bist du zurückgekehrt?
    Ärmer noch, als beim Aufbruch,
    vom Winde getrieben, von Wellen geschlagen,
    warum bist du von deiner Irrfahrt wiedergekehrt?
    ganz wie ein zufälliger Passant
    bist du zrückgekehrt in die graue Stadt,
    in eine "Wirklichkeit", wo das frische Blut der Hoffnung
    deinen Fuß festhält und dir zu warten befielt.
    Mensch auf der Brücke!

    IV
    Neimand sieht,
    wie eine Prozession Ertrunkener vorbeizieht, an den Händen
    und Füßen mit Tang gefesselt,
    den Blick dumpf zum Wasserspiegel gewandt-
    Du hast es gesehen.
    Wie aus Gestank und Schmach
    Unzählige Schaumbläßchen aufsprudeln...
    "Du bist ein leeres Ding
    du bist ein dukles, porpöses Universum
    du bist ein Wesen von eins plus eins
    und minus zwei dazu
    wenn ein plus ein Leben sit
    und minus zwei Tod bedeutet
    dein porpöser Leib
    ist vollgestopft mit Leben
    dein leerer Kopf
    ist vollgestopft mit Tod."

    Niemand hört,
    wie der schwarze Kanal stöhnt,
    der das Rückgrat dieser tosenden Großstadt durchfließt-
    du hast es gehört.
    Wie die Ertrunkenen in Höllenqualen von Eis und Frost
    und Dampf und Sud
    wulstig gedunsene, zahnlose Münder öffnen
    die lautlos zum Himmel schreien...
    "Auch heute scheint die Sonne
    die Straßenbahnen fahren
    die Schornsteine rauchen
    die Hunde schlafen bei den Hunden
    und bald beginnen die Sterne zu funkeln
    doch niemand hat gesagt: Lebe!"

    Niemand weiß,
    daß der Weg der Zukunft in dei Vergangenheit führt,
    und das die Vergangenheit unbeendet in der Zukunft
    enthalten ist-
    Du hast es gewusst.
    Wieviel Schuld in deinem Herzen eingeschlossen ist,
    um deines Daseins Willen.
    "Ist aus allen möglichen Weisen des Tuns
    eine zu wählen
    und wird schließlich die verwerflichste gewählt
    so gibt es dafür immer persönliche Gründe
    darum belastet es uns weniger
    Reinheit zu beflecken
    als ein sauberes Hemd schmutzig zu machen
    was für den Gelehrten tief gründet
    sieht die •••• nicht einmal als Pfütze
    für das einzelne Streichholz in der Tasche
    für das einzelne Loch eines abgerissenen Knopfes
    gibt es immer persönliche Gründe."

    V
    Aus der Höhle eines Herzens
    Aus dem Spiel der Welle
    Klingt gleitendes weiches Wispern
    "Einst gab es eine Quell
    das Wasser kaum aus dem Schlaf geboren
    verströmte Kraft und Köstlichkeit
    grub einen Teich im Felde, überschwemmte das Land
    zog einen Ufersum, durchtränkte das Nichts
    Verdorrtes, hart erstarrtes löste sich auf"
    "Einst gab es eine Quell
    nege dich nieder, küsse
    gespiegelt im klaren Wasser die ideale Gefährtin
    die Eltern, die Schwester und deinen besten Freund"
    "Ich bin das Licht der trüben WElt
    meine Tränen flossen Tag und Nacht, den Seelen zur Speise
    labten Narzissen und Schlangen und alles Lebendige"
    Bezweifgelst du etwa
    daß es vor dem gewaltigen Chaos dort unten
    einst eine Frische Quell
    und also auch Reinwaschung gab?

    VI
    Blasser Mensch auf der Brücke,
    in deine eherne Stirn hängt nasses Haar aus Tang,
    heftig flutet Nebel aus den Tiefen der Kanäle.
    Wie letzter Abendschein
    Schwimmt ein Schwimmer Blutrot auf den Wangen deiner
    verblichenen Erinnerungen.
    Glestalten gehen durch die Stadt im Sonnenuntergang,
    nähern sich langsam, gleiten wortlos vorbei,
    setzen den Fuß auf die gleiche Nebeltreppe
    und entschwinden in weißen Strudeln des gleichen Labyrinths.
    Einsamer Mensch auf dern Brücke,
    warum ahst du vergessen, das du selbst ein verlassener Stern am Himmel bist
    und das vom Hier zum Dort nur sehr wenig Abstand ist?...
    Du hattest die Liebe nicht,
    du hattest die Wahrheit nicht,
    du wolltest alles, was du nicht hattest
    und verlorst alles, was du besaßest.
    Mnsch auf der Brücke,
    der Nebel dicht, die Formen undeutlich,
    die Wirrsal unendlich tief,
    doch wessen Stern bestimmt ist, der blickt nie zurück.
    Auf den nassen Tang und die eherne Stirn
    Legt sich kalt der Ring der Nacht,
    um seinetwillen, dessen Stern bestimmt ist,
    um seines am Himmel funkelnden Lichtes willen.

    VII
    Vater,
    trauriger Vater,
    seit du nicht mehr da bist,
    wartet im Zimmer des verödeten Herzens
    ein leerer Stuhl auf den, der nie mehr zurückkehrt.
    Von Kälte geschüttelt
    Stehe ich, der ich dich bekämpfte,
    vor einem Ofen ohne Glut.
    Vater,
    einsamer Vater,
    ich bin allein.
    Ohne Frau, ohne Kind, in einem Winkel dieser weiten Stadt
    Nage ich am harten Brot.
    Ich bin arm,
    ich bin krank,
    ist das dein ganzes Geschenk?
    Vater,
    mächtiger Vater,
    weil ich unheimlich dumm bin,
    kann ich deine tiefe Güte und Weisheit nicht begreifen.
    Ich irre ziellos durch die Straßen,
    nahe am Zusammenbrechen,
    und blicke zum Himmel empor.
    Wo du weilst,
    ist es immer vom schlechten Atem der Engel bewölkt.
    Vater,
    mächtiger Vater,
    ohne Mantel bleibe ich im Novemberfrost auf der Brücke
    und starre in den dunklen Kanal.
    Vater,
    mächtiger Vater,
    ganügt denn meine Schuld noch nicht?
    Ist mein Elend dein Glanz?

    VIII
    Mensch auf der Brücke,
    am Ende der Schönheit
    ging die Richtung verloren,
    gab es kein Feuerwerk und keinen Traum,
    keine "Zeit" und keine "Erinnerung",
    weder Quell noch ziehende Wolke,
    weder Elend noch Glanz.
    Mensch auf der Brücke,
    in dir und um dich
    brach die Nacht an.
    Die Schatten von Leben und Tod schieben sich übereinander,
    die Nacht brach an, in der lebendige Tote im Leeren wandern.
    In dir und um dich
    flammen Lichter auf.
    Wie Seelen im Vorgefühl von Leben und Tod erschauern,
    flackern sie, ein jedes, ein jedes,
    und wehren dem Einfall der Toten.
    Mensch auf der Brücke,
    Lichter entbrennen am anderen Ufer,
    Lichter entbrennen in der Geisterstadt,
    Lichter entbrennen über den Kanälen.
    Unzählige Lichtfenster flitzen auf Hochbahnen dahin,
    unzählige Lichtfenster steigen hoch im Nachthimmel auf.
    Sie flackern, ein jedes,
    in dir und um dich flammen Lichter auf,
    wie Seelen im Vorgefühl auf Leben und Tod erschauern,
    falckern sie, ein jedes, ein jedes,
    und erlöschen sie, ein jedes ein jedes,
    Mensch auf der Brücke.

    *Genickstarremassieren*

    Geändert von Ianus (04.07.2003 um 03:44 Uhr)

  16. #16
    Wieso hab ich das Forum erst jetzt entdeckt??? Da muss ich einiges nachholen.

    und gleich mit einem meiner Lieblingsgedichte(aber seit kurzem erst)

    dieses Gedicht beinhaltet meiner Meinung nach alles, was im Leben so abläuft...<3 ich liebe es einfach!



    Herman Hesse- Stufen

    Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
    Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
    Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
    Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
    Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
    Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
    Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
    In andre, neue Bindungen zu geben.
    Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
    Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
    Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
    An keinem wie an einer Heimat hängen,
    Der Weltgeist will nicht fesseln und uns engen,
    Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
    Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

    Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
    Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
    Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
    Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!



    Geändert von Blade_ss (27.07.2003 um 20:29 Uhr)

  17. #17
    Es gibt wirklich schöne Gedichte und Balladen. Ja und die Bürgschaft von Friedrich Schiller ist meine Lieblingsballade. Erst hab ich sie gehasst wie die Pest, weil sie in der Schule besprochen haben. (Sammelt mal alle sprachlichen Mittel heraus und erklärt sie, *ächz*.) Und dann mussten die Ballade auswendig lernen. Erst haben alle gestöhnt, aber im Endeffekt war es schön. Ich liebe diese Ballade jetzt wirklich - und ich kann sie immer noch so einigermaßen. (Zu Dionys dem Tyrannen schlich... usw.) Ist ja schon gepostet, also mein Appell an alle, die sie noch nicht gelesen haben. Okay, dann poste ich jetzt halt mal ein anderes Gedicht, über dass ich vor kurzem noch eine Interpretation schreiben musste. *deutscharbeitsheftrauskram*
    Et voilà:

    Soldat Soldat in grauer Norm
    Soldat Soldat in Uniform
    Soldat Soldat, ihr seid so viel
    Soldat Soldat, das ist kein Spiel
    Soldat Soldat, ich finde nicht
    Soldat Soldat, dein Angesicht
    Soldaten sehn sich alle gleich
    Lebendig und als Leich

    Soldat Soldat, wo geht das hin
    Soldat Soldat, wo ist der Sinn
    Soldat Soldat, im nächsten Krieg
    Soldat Soldat, gibt es kein Sieg
    Soldat Soldat, die Welt ist jung
    Soldat Soldat, so jung wie du
    Die Welt hat einen tiefen Sprung
    Soldat, am Rand stehst du

    Soldat Soldat in grauer Norm
    Soldat Soldat in Uniform
    Soldat Soldat, ihr seid so viel
    Soldat Soldat, das ist kein Spiel
    Soldat Soldat, ich finde nicht
    Soldat Soldat, dein Angesicht
    Soldaten sehn sich alle gleich
    Lebendig und als Leich

    Soldaten sehn sich alle gleich
    - lebendig und als Leich

    das Gedicht entstand in den 70ern und ich finde das spürt man auch. Die Welt stand vor einem alles vernichtendem Atomkrieg und die Menschheit hatte Angst. Der Autor heißt übrigens Wolf Biermann und lebt auch noch.

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •