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Kein Leben
Im Sinne der Übersichtlichkeit lasse ich mich zu einem Doppelpost hinreißen, jetzt folgt nämlich meine Lieblingsballade, wieder eine japanische Übersetzung und so lang, dass ich sie in zwei Hälften liefern werde:
Mensch auf der Brücke
I
Den Blick auf das andere Ufer gerichtet
Stehst du am klaren Himmel, Mensch auf der Brücke.
Über Gräben von Schmutz und Öl
Ragt die schmutzige Gesiterstadt empor.
Von schwerer Angst, Erschöpfung und
Stein verhärtete Dächerzüge und
Tief darunter ein träge kriechender Kanal.
Schau! Wohin der Bootsbug durch die stagnietre 'Zeit',
Ruder im Leeren schlagend
Abwärts, abwärts fährt - die Richtung.
Mensch auf der Brücke, du hast
Dein geheimniserfülltes Zimmer,
die Blicke vertrauter Menschen und
Bücher und FEnster und Schreibzeug verlassen;
über viele Wege,
an vielen Städten vorbei,
bist du irgendwann, weit weg, auf die Brücke gelangt.
Nun bezwingst du den Ekle
Du träumst, im Himmel der Welt zerbersten
Kristalle, Blumen, Muscheln als Feuerwerk am hellichten Tag
II
Oh Zeit, warum strömst du?
Warum stehst du nicht still?
Sang ein betrunkener Matrose
In einem schäbigen Cafe.
Oh, was soll ich nun...
Wein und Mädchen ade-
Auf geht's zum Hafen-
Zukunft und Hoffung, die bleiben mir noch.
Ach Zeit, warum strömst du?
Warum stehst du nicht still?
sang eine Verrückte
im lärmigen Elendsviertel.
Ach, was soll ich nun...
Fort mit dir, du leerer Beutel
Auf geht's zum Hafen-
Zukunft und Liebe, die gibt's nicht mehr.
Ach Zeit, warum strömst du?
Warum stehst du nicht still?
sang ein bleicher Angestellter
In seiner stickigen Wohnung.
Oh, was soll ich nun...
Auf geht's zum Hafen-
Zukunft und Glauben sind zweierlei.
III
Mensch auf der Brücke,
wie der Nachhall von Schritten um die Straßenecke
wandtest du dich nicht um,
vom Wind zerfetzte flüchtige Traumgedanken
waren dein ganzer, im Herzen schwebender Weg.
Mensch auf der Brücke,
du warst ein Wanderer, auf Abenteuer aus,
vom Herbst 1940 bis zum Herbst 1950
gelangten deine Schritte und Spuren
überall hin und gingen überall vorbei.
Mensch auf der Brücke,
warum bist du zurückgekehrt?
Ärmer noch, als beim Aufbruch,
vom Winde getrieben, von Wellen geschlagen,
warum bist du von deiner Irrfahrt wiedergekehrt?
ganz wie ein zufälliger Passant
bist du zrückgekehrt in die graue Stadt,
in eine "Wirklichkeit", wo das frische Blut der Hoffnung
deinen Fuß festhält und dir zu warten befielt.
Mensch auf der Brücke!
IV
Neimand sieht,
wie eine Prozession Ertrunkener vorbeizieht, an den Händen
und Füßen mit Tang gefesselt,
den Blick dumpf zum Wasserspiegel gewandt-
Du hast es gesehen.
Wie aus Gestank und Schmach
Unzählige Schaumbläßchen aufsprudeln...
"Du bist ein leeres Ding
du bist ein dukles, porpöses Universum
du bist ein Wesen von eins plus eins
und minus zwei dazu
wenn ein plus ein Leben sit
und minus zwei Tod bedeutet
dein porpöser Leib
ist vollgestopft mit Leben
dein leerer Kopf
ist vollgestopft mit Tod."
Niemand hört,
wie der schwarze Kanal stöhnt,
der das Rückgrat dieser tosenden Großstadt durchfließt-
du hast es gehört.
Wie die Ertrunkenen in Höllenqualen von Eis und Frost
und Dampf und Sud
wulstig gedunsene, zahnlose Münder öffnen
die lautlos zum Himmel schreien...
"Auch heute scheint die Sonne
die Straßenbahnen fahren
die Schornsteine rauchen
die Hunde schlafen bei den Hunden
und bald beginnen die Sterne zu funkeln
doch niemand hat gesagt: Lebe!"
Niemand weiß,
daß der Weg der Zukunft in dei Vergangenheit führt,
und das die Vergangenheit unbeendet in der Zukunft
enthalten ist-
Du hast es gewusst.
Wieviel Schuld in deinem Herzen eingeschlossen ist,
um deines Daseins Willen.
"Ist aus allen möglichen Weisen des Tuns
eine zu wählen
und wird schließlich die verwerflichste gewählt
so gibt es dafür immer persönliche Gründe
darum belastet es uns weniger
Reinheit zu beflecken
als ein sauberes Hemd schmutzig zu machen
was für den Gelehrten tief gründet
sieht die •••• nicht einmal als Pfütze
für das einzelne Streichholz in der Tasche
für das einzelne Loch eines abgerissenen Knopfes
gibt es immer persönliche Gründe."
V
Aus der Höhle eines Herzens
Aus dem Spiel der Welle
Klingt gleitendes weiches Wispern
"Einst gab es eine Quell
das Wasser kaum aus dem Schlaf geboren
verströmte Kraft und Köstlichkeit
grub einen Teich im Felde, überschwemmte das Land
zog einen Ufersum, durchtränkte das Nichts
Verdorrtes, hart erstarrtes löste sich auf"
"Einst gab es eine Quell
nege dich nieder, küsse
gespiegelt im klaren Wasser die ideale Gefährtin
die Eltern, die Schwester und deinen besten Freund"
"Ich bin das Licht der trüben WElt
meine Tränen flossen Tag und Nacht, den Seelen zur Speise
labten Narzissen und Schlangen und alles Lebendige"
Bezweifgelst du etwa
daß es vor dem gewaltigen Chaos dort unten
einst eine Frische Quell
und also auch Reinwaschung gab?
VI
Blasser Mensch auf der Brücke,
in deine eherne Stirn hängt nasses Haar aus Tang,
heftig flutet Nebel aus den Tiefen der Kanäle.
Wie letzter Abendschein
Schwimmt ein Schwimmer Blutrot auf den Wangen deiner
verblichenen Erinnerungen.
Glestalten gehen durch die Stadt im Sonnenuntergang,
nähern sich langsam, gleiten wortlos vorbei,
setzen den Fuß auf die gleiche Nebeltreppe
und entschwinden in weißen Strudeln des gleichen Labyrinths.
Einsamer Mensch auf dern Brücke,
warum ahst du vergessen, das du selbst ein verlassener Stern am Himmel bist
und das vom Hier zum Dort nur sehr wenig Abstand ist?...
Du hattest die Liebe nicht,
du hattest die Wahrheit nicht,
du wolltest alles, was du nicht hattest
und verlorst alles, was du besaßest.
Mnsch auf der Brücke,
der Nebel dicht, die Formen undeutlich,
die Wirrsal unendlich tief,
doch wessen Stern bestimmt ist, der blickt nie zurück.
Auf den nassen Tang und die eherne Stirn
Legt sich kalt der Ring der Nacht,
um seinetwillen, dessen Stern bestimmt ist,
um seines am Himmel funkelnden Lichtes willen.
VII
Vater,
trauriger Vater,
seit du nicht mehr da bist,
wartet im Zimmer des verödeten Herzens
ein leerer Stuhl auf den, der nie mehr zurückkehrt.
Von Kälte geschüttelt
Stehe ich, der ich dich bekämpfte,
vor einem Ofen ohne Glut.
Vater,
einsamer Vater,
ich bin allein.
Ohne Frau, ohne Kind, in einem Winkel dieser weiten Stadt
Nage ich am harten Brot.
Ich bin arm,
ich bin krank,
ist das dein ganzes Geschenk?
Vater,
mächtiger Vater,
weil ich unheimlich dumm bin,
kann ich deine tiefe Güte und Weisheit nicht begreifen.
Ich irre ziellos durch die Straßen,
nahe am Zusammenbrechen,
und blicke zum Himmel empor.
Wo du weilst,
ist es immer vom schlechten Atem der Engel bewölkt.
Vater,
mächtiger Vater,
ohne Mantel bleibe ich im Novemberfrost auf der Brücke
und starre in den dunklen Kanal.
Vater,
mächtiger Vater,
ganügt denn meine Schuld noch nicht?
Ist mein Elend dein Glanz?
VIII
Mensch auf der Brücke,
am Ende der Schönheit
ging die Richtung verloren,
gab es kein Feuerwerk und keinen Traum,
keine "Zeit" und keine "Erinnerung",
weder Quell noch ziehende Wolke,
weder Elend noch Glanz.
Mensch auf der Brücke,
in dir und um dich
brach die Nacht an.
Die Schatten von Leben und Tod schieben sich übereinander,
die Nacht brach an, in der lebendige Tote im Leeren wandern.
In dir und um dich
flammen Lichter auf.
Wie Seelen im Vorgefühl von Leben und Tod erschauern,
flackern sie, ein jedes, ein jedes,
und wehren dem Einfall der Toten.
Mensch auf der Brücke,
Lichter entbrennen am anderen Ufer,
Lichter entbrennen in der Geisterstadt,
Lichter entbrennen über den Kanälen.
Unzählige Lichtfenster flitzen auf Hochbahnen dahin,
unzählige Lichtfenster steigen hoch im Nachthimmel auf.
Sie flackern, ein jedes,
in dir und um dich flammen Lichter auf,
wie Seelen im Vorgefühl auf Leben und Tod erschauern,
falckern sie, ein jedes, ein jedes,
und erlöschen sie, ein jedes ein jedes,
Mensch auf der Brücke.
*Genickstarremassieren*
Geändert von Ianus (04.07.2003 um 02:44 Uhr)
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