Zitat
Das letzte Licht des Tages fiel in roten und goldenen Strahlen durch die Gipfel der Berge und brach sich in den Regentropfen, die auf den Blättern der Bäume. Es hatte den ganzen Tag geregnet, der Himmel als einziges Wolkenungetüm mit bleierner Färbung, aus dem sich unerbittlich Regengüsse, begleitet von Blitz und Donner entluden. Doch seit wenigen Stunden hatte die helle Scheibe am Himmel mit ihren anfangs noch rein goldenen Strahlen die Hoheit über die himmlischen Gefilde erobert und spendete so noch ein wenig Wärme und half, die Tristesse des verregneten Tages zu vertreiben.
Die tief stehende Sonne zwang ihn, seine Sonnebrille aufzusetzen, wenn er nicht geblendet werden oder durch die beeinträchtigte Sicht von der schmalen Waldstraße abkommen und gegen einen Baum prallen wollte. Er war bereits seit Tagesanbruch unterwegs, der ihn bereits mit drohenden, schweren Wolkenkonstrukten begrüßt hatte. Während seiner Fahrt hatte er sich wenig Pausen gegönnt und die, die notwendig waren, galten zumeist dem Auffüllen des Tanks seines alten Ford. Es war eine dreckschleudernde, spritfressende und vor allem klapprige Kiste, doch sie hatte ihn bisher immer gute Dienste geleistet. Der ursprünglich rote Lack war an einigen Stellen bereits abgeblättert und die ungeschützten Stellen bereits von der Korrosion rostbraun verfärbt. Die Blicke der Leute, die sein Auto betrachteten, sprachen meist die Frage aus, wie das Fahrzeug überhaupt noch zusammengehalten wurde. Und auch, wenn der Innenraum eher schäbig wirkte, mit seinen abgegrabbelten Armaturen, dem kaputten Autoradio, der vollgemüllten Rückbank, aus der an einigen Stellen bereits die Füllung austrat und nicht zu vergessen dem Boden, der sich unter den Schuhen anfühlte, als würde man bei jedem Schritt in ein frisch ausgespucktes Kaugummi treten. Es war wirklich nicht das schönste, sauberste und funktionstüchtigste Auto - die Anzeigen spielten einem so manches Mal einen Streich, wenn man nicht wusste, worauf man zu achten hatte -, doch es war "sein" Auto und das allein genügte ihm, um an dem Gefährt festzuhalten.
Die Achsen gaben bei jeder Unebenheit der reichlich spartanisch anmutenden Straße gequälte Geräusche von sich, die einen Bruch beim nächsten Stein oder der nächsten kleinen Erhebung ankündigten. Doch die Achsen hielten, auch wenn die Stoßdämpfer ihre Halbwertszeit bereits deutlich überschritten hatten. Die frische und würzig nach nassem Gras und Bäumen riechende Luft piff durch das halb geöffnete Fenster in den Innenraum des Wagens und ließ seinen Fahrer seine Jack ein Stück weiter schließen. Eine Konsequenz, die er eher in Kauf nahm, als an seinen eigenen Abgasen zu ersticken, die auf noch ungeklärte Weise ihren Weg in den Fahrerraum fanden. Ein Problem, dessen er sich schon einige Male annehmen wollte, es jedoch immer zu Gunsten anderer Dinge verschoben hatte. "Etwas frische Luft hat noch nie jemanden umgebracht.", hatte er sich immer wieder gesagt, wenn er zum wiederholten Male die Behebung dieses offensichtlichen Lecks weiter herauszögerte. Vielleicht würde er es endlich nach diesem Wochenende mal in Angriff nehmen. Doch bevor er sich darum kümmerte, galt es erst einmal jene 3 Tage und 2 Nächte zu überstehen, von denen er wusste, dass so einiges auf ihn zukommen würde; viel Arbeit würde vor allem auf ihn zukommen und irgendwie war die Aussicht, sich erstmal mit dem Abgasproblem in der Fahrerkabine zu beschäftigen weitaus verlockender. Doch dann dachte er an das Päckchen, das er im Kofferraum hatte, an die Umstände, die es ihn bereitet hatte, es zu beschaffen und an die Bedingung, die daran geknüpft waren. Sollte er es sich jetzt, wo er sich prinzipiell gesehen schon auf der Zielgrade befand, anders überlegen und umdrehen, wäre alles verwirkt und der erbärmliche Zustand seines klapprigen, aber dennoch zuverlässigen Vehikels wäre dann alles andere als noch relevant für ihn.
Ein tiefer Seufzer der Frustration schlich sich aus seiner Kehle, während er etwas langsamer fuhr, mit der Hand in die Mittelkonsole griff und eine Schachtel Zigaretten hervorholte. Mit dem Daumen drückte er den Zigarettenanzünder rein - eines der wenigen Teile an den Armaturen, die noch einwandfrei zu funktionieren schienen, sah man von den Funken ab, die beim rausziehen sprühten und so schon kleinere Brandlöcher in den Beifahrersitz und seine Kleidung geschlagen hatten - und fischte mit zwei Fingern einen Glimmstängel aus der Packung. Die Schachtel ließ er wieder in die Mittelkonsole fallen und ein "Klick" sagte ihm, dass der Anzünder nun einsatzbereit war. Vorsichtig zog er den Knopf heraus, wobei sich ihm wieder ein paar Funken neckisch entgegen warfen und ein kleines Loch in seiner schwarzen Jacke hinterließen. Die Kippe im Mund führte er die heiße Glut an das Ende, aus dem einige Fransen von Tabak rausschauten und sah zu, wie sie unter der Hitze versengten, bis schließlich der würzige blaue Dunst am Ende seiner Zigarette aufstieg. Er steckte den Anzünder wieder in seine Vertiefung zurück und gab sich genüsslich der oralen Befriedigung hin, die ihm das Rauchen jedes Mal verschaffte. Er wusste, er würde sich damit sicherlich eines Tages umbringen, spätestens, wenn er schwarze Klumpen husten würde, aber das interessierte ihn im Hier und Jetzt reichlich wenig. Beinahe rituell sog er den Rauch durch den gelb ummantelten Filter in seine Lungen, ließ ihm dort einige Sekunden Zeit, seinen tödlichen Schaden anzurichten, bevor er ihn langsam und beinahe wollüstig durch die Nase in die Freiheit entließ.
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