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Thema: "Tes yeux, mademoiselle" - fremdartige Gedichte

Baum-Darstellung

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  1. #16
    L'Attente

    C’est la vie au ralenti,
    c’est le cœur à rebours,
    c’est une espérance et demie:
    trop et trop peu à son tour.

    C’est le train qui s’arrête en plein
    chemin sans nulle station
    et on entend le grillon
    et on contemple en vain

    penché à la portière,
    d’un vent que l’on sent, agités
    les prés fleuris, les prés
    que l’arrêt rend imaginaires.


    (Rilke, 1926)



    Innehalten

    Es ist das Leben außer Gange,
    Es ist, was das Herz umgekehrt,
    Es ist der Hoffnung stetig bange:
    Mal gar zu wenig, mal noch mehr.

    Es gleicht dem Zug, der hält
    In der Prärie Nirgendwo
    Und es horcht des Heimchens Liedlein schon
    Und es schaut bedächtig alle Welt

    Vergeblich, in die Tür gestemmt,
    Im duftenden Winde sich wiegen
    Die blühenden Wiesen, die Wiesen,
    Die der Halt zu wildem Schein verschwämmt.




    Ich hab mich nochmal neu dran gemacht, weil mir die zweite Strophe doch noch nich so gefallen hat und ich unbedingt das Enjambement mit drin haben wollte. Unterstützt hab ich das jetzt mit einem verkürzten Metrum, weil ich inzwischen weiß, dass Rilke damit auch gern gearbeitet hat und es mir einfach nicht möglich war, "en plein chemin" wörtlich zu übersetzen.
    Auch hab ich den Titel geändert, der jetzt meiner Meinung nach eine ähnlich reichhaltige Konnotation hat, wie der bei Rilke.

    Ehrlich gesagt geht es mir mit der Version so richtig gut.


    Alter Kommentar:

    Erwarteterweise finde ich Impressionistisches unheimlich schwer zu durchdringen. Gerade bei Rilke ist das eine zweischneidige Sache, denn einerseits macht das die Interpretation viel "süßer" und sich selbst überlassener, andererseits hat der Mann eine unheimliche Genialität, was den Aufbau seiner Lyrik angeht. Bei L'Attente hört man den Zug in jedem Vers ein bisschen mitrattern, dann anhalten, dann den Wind durch das Gras säuseln... Ersteres hab ich mit meinen beschränkten Fähigkeiten nur ansatzweise umgesetzt, zweiteres ging rein idiomatisch nicht(*) und drittes ist mir nur gelungen, weil das Deutsche sich verblüffend leicht verschwerfälligen lässt.

    (*)Um genau diese Genialität wenigstens nicht zu zerstören, wenn ich sie schon binde und knebele, hatte ich voner in der zweiten Strophe auch den Reim etwas gepresst, um das Anhalten wenigstens in der Sprachmelodie statt in einem Enjambement zum Ausdruck zu bringen. Deshalb reimte sich auch "Passagiere" als auf "Prärie" (im Übrigen ist "in der Prärie Niemandsland" die übergeordnete Adverbialbestimmung - nicht, dass man mir vorwirft Satzteile herauszusprengen ... dann verkaufe ich meine Selbstüberschätzung lieber als gewollt beibehaltenen Enjambement).

    Die Kadenzen hab ich beibehalten, aber gerade die Wahl der unreinen Reime so gut es geht auf die männlichen abzuschieben versucht.

    Kurzum, ich habe nicht nur geholfen, die Beatniks zu erdolchen, sondern jetzt auch den armen Rilke gepeinigt.

    Geändert von Mordechaj (02.11.2008 um 20:29 Uhr)

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