Malukhat hatte ein Problem. Und jetzt, wo er sich diese Tatsache eingestanden hatte, hoffte er, es würde sich von allein lösen. Er wartete einen Moment, sah sich um. Nichts geschah.
Das war schlecht.
Er kratzte sich nachdenklich am blank rasierten Hinterkopf und erwartete eine Erleuchtung. Dabei war ihm bereits klar, dass er diese nicht erhalten würde. Das machte ihn wütend, doch das ließ er sich nicht anmerken. In seinem Leben hatte er schon viele schwerwiegende Entscheidungen treffen müssen, für sich selbst und für andere, und hatte so manches Mal daneben gegriffen.
Wenn es um ihn selbst ging, griff er nicht gerne daneben.
Erwartungsvoll sah die Dunkelelfe ihn an. Wahrscheinlich wollte sie das alles so schnell wie möglich hinter sich bringen, aber Malukhat erwartete Verständnis für seine verzwickte Lage. Lief sie eigentlich die ganze Zeit herum und erschütterte die Lebensgrundfesten fremder Leute? Es war anzunehmen.
Entnervt ließ die Frau die Schultern hängen. „Was jetzt? Wildfleisch oder Lammkeule?“
„Wildfleisch. Ungeduldiges Pack“, murmelte er und verdrehte die Augen. Die Jugend von heute, kein Sinn für Dramatik. Gold, Krieg, Liebe – all dies war wichtig, aber ihre Ernährung kümmerte sie kein Stück. Malukhat fand, dass sie sich ruhig mehr Zeit für solche Dinge nehmen sollten. Er hatte damit auch erst spät angefangen, doch wenn ihm alle Zähne ausfielen, konnte er auch jetzt schon auf eine lange Liste köstlicher und wohl gewählter Speisen zurück blicken.
„Und für Euch?“, wandte sich die junge Dunmer an Malukhats vampirischen Begleiter, offenbar in Erwartung eines weiteren Nervenmarathons. Der aber schüttelte mit dem Kopf und unterstrich die Geste mit einem eleganten Schlenker sein Hand.
„Nichts.“
Misstrauisch starrte sie ihn an. „Nichts?“
„Nichts.“
Sie zuckte mit den Schultern und ging. Malukhat beugte sich über den Tisch und verzog seine Miene zu einem Antlitz gespielter Überraschung. „Nichts? Mein Freund, dass du mir ja nicht vom Fleisch fällst. Nicht mal ein Rotwein? Oder Blutwurst?“
Draven grinste freudlos. „Dein Humor ist so vortrefflich, dass ich wieder einmal an deiner Berufswahl zweifle. Du solltest Clown werden. Dann könntest du jeden Tag ein paar Kinder zum Weinen bringen.“
„Ich habe schon genug damit zu tun, Babysitter für einen Vampir zu spielen. Aber ich komme beizeiten darauf zurück.“
Die zwei unterschiedlichen Männer schnaubten ein Lachen und Draven verschränkte die Arme vor der Brust. Malukhat musste zugeben, dass der frühe Tod des Bretonen in gewisser Weise eine Schande war. Er wusste noch sehr genau, wie sie sich vor vier Jahren in der Magiergilde von Balmora kennen gelernt hatten. Malukhats Zeit als Erzmagier hatte damals gerade erst begonnen und was aus Draven werden würde, war für ihn nicht von Bedeutung gewesen. Arrogant und respektlos hatte der Vampir in der Magiergilde den Herr und Meister heraushängen lassen, dabei die Nase so hoch getragen, als hatte er versucht, mit ihr die Sonne aufzuspießen. Malukhat hatte sich das nicht gefallen lassen. Es war der erste Konflikt sehr vieler Konflikte gewesen.
Während Malukhat auf sein Essen wartete, schwiegen die Männer einander an. Es war kein eisiges, feindseliges oder peinliches Schweigen, sondern eines der nachdenklichen Sorte. Wenn der Dunmer bedachte, dass Draven es war, der ihm den Besuch in dem Gasthaus geradezu aufgenötigt hatte, war nachdenkliches Schweigen bestimmt mehr als angebracht. Aber ein paar erklärende Worte wären ihm lieber gewesen. Nachdem sein Essen serviert worden war, brach er die Stille.
„Draven, rück schon raus, was willst du?“
Der Bretone zog eine Augenbraue hoch. Malukhat war sicher, die Geste sollte Verwirrung ausdrücken, doch in einem aristokratischen Gesicht wirkte fast alles arrogant.
Der Erzmagier rollte mit den Augen. „Wir sind hier, weil du es so wolltest. Nichts für ungut, aber warum sollte ein Vampir in ein Gasthaus gehen?“
„Ich wollte dir etwas Gutes tun?“
„Ja, sicher. Das will Ranis Athrys auch. Also, was ist los?“
Der ehemalige Erzmagister nahm sich Zeit für seine Antwort. Aus seinem Verhalten schloss Malukhat gleich mehrere Dinge, doch wusste er nicht genau, ob er sich hämisch freuen oder doch lieber weglaufen sollte, solange er die Möglichkeit dazu hatte. Er war sich sicher: Hier würde gleich seine Hilfe erbeten. Das war an sich schon ein merkwürdiger Gedanke. Malukhat und Draven halfen einander, das war so; darum zu bitten war unnötig. So etwas machten sie einfach nicht. Und doch schien Draven genau das vorzuhaben.
„Draven… fange bitte endlich an, sonst schlafe ich ein, und ich kann mir ein besseres Kopfkissen vorstellen als Soße.“
„Ungeduldiges Pack“, murmelte der Vampir.

Draven hat gerade seine eigens erwählte Fressmeile in der Kaiserstadt hinter sich gebracht, da taucht ein Schrank von einem Vampir auf. Ziemlich großer Kerl, fast nur bestehend aus Oberkörper und Schultern. Ein Nord. Und er bringt seine untoten Freunde mit.
Draven war ihm bereits einmal über den Weg gelaufen, aber sie hatten nur einen kurzen, prüfenden Blick gewechselt. Dass er jetzt auf den Bretonen zukommt, ist ungewöhnlich, irgendwie beunruhigend. Draven will nichts als in Ruhe gelassen werden. Vampire sind etwas Verdorbenes. Er selbst ist anders. Er will nichts mit ihnen zu tun haben. Aber der Nord hat offenbar beschlossen, diesen Wunsch zu ignorieren.
Seine Freunde bleiben zurück und beobachten. Sie überlassen dem Nord das Reden. Der Nord…


„Wie bitte?!“ Malukhat lachte auf und tippte sich mehrmals mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. „Die lassen einen Nord reden? Ich hab’s ja schon immer gewusst, Vampire sind kaputt hier oben.“
Der Dunmer schüttelte den Kopf und Draven warf ihm einen seiner tief beleidigten Tod-und-Verderben-Blicke zu.

Der Nord macht nicht den Eindruck, als will er sich friedlich mit Draven unterhalten. Aber das macht nichts. Die Nacht ist jung und Draven neugierig genug, einfach abzuwarten. Der blonde Mann spannt auffällig die Muskeln an. Er scheint den Eindruck vermitteln zu wollen, Draven hochheben und einfach entzwei brechen zu können, wenn ihm danach ist. Das kauft der Bretone ihm nicht ab, aber er spielt mit.
Der Nord bietet ihm eine Mitgliedschaft in einer Bruderschaft an. Sehr exklusiv und noch sehr jung. Wie die Clans in Morrowind. Jedenfalls ist das der Plan. Und damit er ihn umsetzen kann, muss er ein Gebiet haben. Er hat entschieden, dass die Kaiserstadt sein Gebiet ist und jeder Vampir, der hier jagt, zur Bruderschaft gehören muss.
Draven findet, dass er seine Bruderschaft behalten kann. Dass er kein Interesse daran hat, das Kagouti-Gesicht seines gegenüber jede Nacht sehen zu müssen und sich einen seelischen Schaden einzufangen. Die Kaiserstadt gehört keinem Vampir. Und schon gar keinem Trottel wie ihm.


„Oh, ich hoffe doch, er hat dir dafür beide Beine gebrochen“, unterbrach Malukhat abermals, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und faltete die Hände über dem Bauch.
„Nein“, entgegnete Draven düster. „Ich ihm. Er und seine beiden Freunde waren einmal. Solche wie den gibt es immer wieder. Wollen eine Hierarchie ins Chaos bringen. So ein Unfug.“
„Nun, das hat in der Vergangenheit oft sogar sehr gut funktioniert. Betrachte sie als gut organisierte Verbrechergruppen, die nur nachts agieren. Und du bist der untote Held, der im Glanze seiner guten Tat ein bisschen heller scheint. Sag mir Bescheid, wenn das alles irgendwann doch noch mit mir zu tun hat.“
Draven griff sich an den Nacken und zog eine Grimasse. Seine Unbehaglichkeit in dieser Situation war überdeutlich und Malukhat genoss, wie der Vampir sich wand.
„Nun, seine Gruppe… oder wie auch immer du das nennen willst… stellte sich als nicht ganz so klein heraus, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Ein paar von ihnen sind nicht besonders glücklich und ich… nun ja, es sind halt ein paar mehr…“
„Was willst du von mir?“
„Du weißt, was ich von dir will“, fauchte Draven angespannt.
„Diese Behauptung weise ich vehement von mir, solange du es mir nicht sagst.“
„Ich… ach, verdammt – ich brauche deine Hilfe! Zufrieden?!“
Malukhat grinste vergnügt.