Als Malukhat von zwei Männern in eine Halle geführt wurde, erkannte er, warum der Bretone diesen Ort zu seiner Zuflucht gemacht hatte: In der Mitte des großen Raums stand ein Baum, dessen breiter Stamm bis zur Decke und darüber hinaus aufragte. Umso faszinierender war dieser Anblick, da der Erzmagier sich im unterirdischen Bereich einer alten Fortruine zu befinden schien; zweifelsohne war dieser Ort schon zuvor das Heim des ein oder anderen Mannes mit einer Unmenge Leichen im Keller gewesen.
Um den Stamm herum befand sich ein kreisrunder Tisch mit einem Loch dort, wo der Baum sich durch ihn zog. Auf einem der dazu gehörigen Stühle saß der Bretone und winkte seine Besucher lächelnd heran.
„Schön, Euch gesund und munter zu sehen, Erzmagier“, sagte er. „Ich hatte schon befürchtet, Ihr würdet einen Ausbruch planen.“
„Euren Worten nach zu urteilen wäre mir das nicht sonderlich bekommen.“
„Da habt Ihr Recht.“ Der Bretone lächelte und warf einen Blick auf den Baum. „Faszinierend, nicht wahr?“
„Interessant, durchaus“, entgegnete der Dunmer und ließ sich von einem seiner Wächter auf einen Stuhl niederdrücken. Er hatte keine Lust, Smalltalk zu betreiben, zumal er inzwischen sehr genau wusste, wo er sich befand: In einem Totenbeschwörer-Versteck. Daran hatte die alternative Einrichtung des Gefängnistrakts keinen Zweifel gelassen.
Sein größtes Problem in dieser Hinsicht bestand aber nicht in der Beleidigung innenarchitektonischer Kunstfertigkeiten oder seiner Vorliebe für Luxus, sondern darin, sich selbst als die fleischgewordene antinekromantische Parole zu verkaufen und dabei subtil und verständnisvoll genug vorzugehen, um den Totenbeschwörern nicht als potentieller Haushaltszombie zu erscheinen. Derzeit hatte der Bretone nicht mehr in der Hand als Malukhats Leben und in Anbetracht seines Alters hatte der Erzmagier nicht das Gefühl, dass das sonderlich viel war. Wenn er aber sein Leben aus der Schlinge ziehen wollte, brauchte er nur einzugestehen, dass er selbst auch Totenbeschwörer war – die „Hey, wir sind uns ähnlich!“-Masche mochte ja vielleicht funktionieren, aber wer nicht davor zurückschreckte, seine Ziele durch Mord zu erreichen, der würde Malukhats Hintergrund auch schamlos zur Erpressung ausnutzen. Er hatte keine andere Wahl, als abzuwarten und, wenn nötig, zu sterben.
„Gut, kommen wir zum geschäftlichen Teil dieser Einladung“, sagte der Bretone in einem Tonfall, als wollte er Malukhat ein Packguar verkaufen.
„Einladung?“ Malukhat zog beide Augenbrauen hoch und wies auf seine beiden Wächter. „Wiederholt das bitte für Iachilla und Molag Bal hier.“
Der Mann lachte. Dann machte er eine lockere Handbewegung, als wedelte er ein paar nervige Fliegen davon, und die beiden Aufpasser zogen sich zu der Hallentür zurück, durch die sie gekommen waren.
„Entschuldigt meine Vorsicht, aber Ihr seid ein Erzmagier und ich habe schon einige beunruhigende Geschichten über Euer Temperament vernommen.“
Der Dunmer schnaubte ein Lachen und hob die Hände. Die Ärmel des grauen Gewands, dass man ihm überlassen hatte, rutschten bis zu den Ellenbogen und gaben den Blick auf seine Fesseln frei. Auf den ersten Blick schienen es zwei vollkommen normale Eisenringe zu sein; das einzige, was dieses Bild trübte, war die Tatsache, dass sich nicht durch eine Kette oder eine Eisenstange miteinander verbunden waren. Für einen reinen Krieger hätten sie keine Behinderung dargestellt, doch für einen Mann, der sich hauptsächlich auf die magischen Aspekte des Kampfes bezog, waren sie die Fesseln schlechthin. Es waren originale dunmerische Sklavenfesseln wie man sie aus Morrowind kannte, und sie unterdrückten jede Form des Magicka. Malukhats Temperament hätte schlussendlich also nur dem Zweck dienen können, seinen eigenen Kopf unentwegt gegen die Gitterstäbe seiner Zelle zu schlagen.
Der blondhaarige Bretone ignorierte diesen stummen Einwand und begann mit seinem Vortrag.
„Wie Ihr sicherlich bereits gemerkt habt, Erzmagier, handelt es sich bei dieser meinen Gruppe um Totenbeschwörer. Totenbeschwörer überdies, die keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit Mannimarco haben, noch die Magiergilde zerstört sehen wollen. In diesem Sinne da…“
Malukhat sprang auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Das ist doch wohl nicht Euer Ernst! Wollt Ihr mir wirklich weismachen, Mannimarco sei mal so eben auferstanden und denkt sich jetzt, wo er ja sonst nichts zu tun hat, ach, machen wir mal eben die Magiergilde platt?“ Er lachte. „Bitte, sagt mir, dass das ein Scherz ist.“
Der Mann blickte grimmig. „Das ist kein Scherz. Mir war nicht bewusst, dass man Euch noch nicht über diese Möglichkeit informiert hat.“
Der Dunmer erkannte, dass er soeben einen großen Fehler gemacht hatte. Falls Mannimarco wirklich wieder aufgetaucht war und Malukhat, in seiner Position als Erzmagier von Morrowind, nichts davon wusste, konnte das nur bedeuten, dass Traven den Dunmer nicht als wichtig genug erachtete, ihm eine derart vertrauliche Information zukommen zu lassen. Am Blick des Bretonen war unschwer abzulesen, dass er sich fragte, inwiefern Malukhat ihm in dem Fall nutzen konnte.
Er räusperte sich und ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder. „Ich muss zugeben, ich bin überrascht. Allerdings ist es wenig verwunderlich. Ich würde einem, nun ja… rivalisierendem Erzmagier eines anderen Landes nicht unbedingt meine gildeninternen und gildenübergreifenden Probleme mitteilen. Das könnte als große Schwäche ausgelegt werden.“
Der Bretone faltete die Hände auf dem Tisch und nickte ernst. „Das kann ich mir vorstellen. Wie dem auch sei: Ich möchte, dass Ihr Traven davon überzeugt, dass wir wichtig für die Gilde sind – und dass wir ihm immerhin in dieser Krise tatkräftig zur Seite stehen können. Jemand mit einer solchen Abneigung gegen Totenbeschwörung wird kaum in der Lage sein, das Ausmaß dieser Situation objektiv betrachten zu können.“
„Moment, Moment, mein voreiliger Blondschopf“, wehrte Malukhat ab. „Nekromantie wurde hier erst vor kurzem wirklich offiziell geächtet – ich weiß, das habt Ihr auch gemerkt. Dort, wo ich herkomme, sieht die Sache aber noch etwas anders aus: Totenbeschwörung ist Grund genug für eine Hinrichtung. Wie kommt Ihr auf die Idee, dass ein adeliger dunmerischer Erzmagier Morrowinds auch nur im Entferntesten daran denken könnte, sich vor Hannibal Traven für Totenbeschwörung einzusetzen?“
Der Bretone setzte ein Grinsen auf, dass Malukhat nicht gefiel. „Wenn Ihr Euch weigert, wird Euer Leibwächter, der Nord, sterben.“
Der Dunmer zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“
Das Grinsen wurde diabolischer und Malukhat erkannte, dass der Mann mit seiner Reaktion gerechnet und sich deshalb einen Ausweichplan zurecht gelegt hatte, der auf jeden Fall funktionieren musste.
„Dann töten wir halt Eure Gemahlin. Ich habe bereits ein paar meiner Leute zu ihr geschickt.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt kapiert habe…“, sagte Malukhat betont langsam, um seine starke Verwirrung zum Ausdruck zu bringen. „Wenn Ihr damit Raleiya meint: Die ist schon tot. Und wenn sie doch nicht tot ist“ – abermals zuckte er mit den Schultern – „na ja, meinen Segen habt Ihr.“ Er kam sich vor wie in einem schlechten Theaterstück, dass die Agenten des Kaisers bei der Arbeit zeigte. Diese Bande konnte ihm doch nicht mit etwas drohen, was überhaupt nicht existierte!
„Raleiya?“ Der Bretone schien nun seinerseits verwirrt. „Nein, ich spreche von Eurer jetzigen Ehefrau, Arwen Verothan.“
Der Drang, in einen Lachkrampf auszubrechen, war schier überwältigend doch er hielt sich zurück und bewahrte gerade genug Würde, nicht von seinem Stuhl zu fallen. Erst einige Momente im Anschluss erlaubte er sich, über das Gesagte nachzudenken. Eiswasser gurgelte durch seine Eingeweide, als ihm endlich das Ausmaß dieser ungeheuerlichen Verwechslung in seiner Gänze aufging.
„Sie ist nicht meine Frau“, knurrte er.
Das Lächeln war auf das Gesicht des Bretonen zurückgekehrt. „Ob nun Eure Frau oder nicht, es wirkt. Drei meiner Leute haben sie aufgespürt und sind gerade dabei, sie abzuholen und sie hierher zu bringen. Ich schätze, das wird Euch Beine machen?“
Der Erzmagier sog scharf die Luft ein. „Was ist Euer Plan?“