Dieser Tritt hatte ganz bestimmt geschmerzt! Die Bretonin schien sich durchaus wehren zu können, dass musste Karrod ihr neidlos zugestehen. Umso besser, das würde ihm die ganze Sache erleichtern…
Was jetzt? Die Banditen waren nun aus dem Haus heraus, hier war der Plan zu Ende. Jetzt musste er wohl oder übel improvisieren… und zwar schnell.
Na ja, was soll’s, dachte sich Karrod, während er vom Dach aus das bunte Häufchen musterte, Gewalt war noch immer eine Lösung gewesen! Zumindest bei primitiven Banditen und der einzige, der irgendwo noch den Anschein erweckte, etwas drauf zu haben, der Anführer nämlich, lag nun zusammengekrümmt im Schnee und machte sich innerlich wohl bereits auf eine Tracht Prügel von seinem rothaarigen Entführungs-„Opfer“ gefasst. „Also dann mal schön drauf auf den Haufen!“, murmelte Karrod in einem jähren Anflug von Kampfeslust, zog sein Schwert und sprang erneut vom Dach. Dem Banditen, der ihm den Rücken zukehrte, streichelte er kurzerhand übers Gesicht, woraufhin dieser, einen hohen Bogen beschreibend, besinnungslos im Schnee landete. Die übrigen Banditen wichen zurück. Anführer von einem bretonischen Fräulein ausgeknockt, einer ihrer Kumpel kurz darauf bewusstlos und schon hatten sie Angst, so kannte er das Banditenpack. Karrod eilte schnell zu der Bretonin hin und fasste sie an die Schulter, da sie keinerlei Anstalten machte, sich aus dem Angriffskreis der verbliebenen Banditen zu entfernen – doch er zuckte augenblicklich zurück, als ihr Blick den seinen traf. Aus diesen Augen sprachen ihm Zorn, Hass, ja sogar Mordlust entgegen. Karrod wurde mulmig zumute, als ihn die dunklen Augen, in denen sich der Widerschein des Feuers spiegelte, fixierten. Was sich wohl alles ereignet hatte, in der Zeit ihrer Gefangenschaft? Wollte sie sich nun rächen? Doch dafür war jetzt keine Zeit!
„Hört zu! Verschwinden wir, solange die Banditen noch -“ Da nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Ein Bandit stürzte mit gezücktem Dolch auf sie beide zu. Karrod reagierte prompt, erhob das Schwert und verlagerte sein Gewicht nach vorne – der Bandit stürzte geradewegs in das Schwert, sodass die Klinge durch den Aufprall auf der anderen Seite seines Körpers wieder austrat. Der Bandit starrte Karrod fassungslos an, dann erlosch das Licht in seinen Augen. Das hatte der Bretone eigentlich nicht gewollt, aber es würde die anderen Banditen davon abhalten, sie nochmals anzufallen.
Sie mussten hier weg. Erstens war es unmenschlich kalt – selbst die Flammen des brennenden Hauses konnten seinen geschundenen Körper nur bis zu einem gewissen Punkt erwärmen – und zweitens hatten sie keinen Proviant und Banditen schmeckten nicht sonderlich. Ergo Gründe genug, so schnell wie nur irgendwie möglich nach Chorrol zurück zu kehren! Fragte sich nur, was mit den Banditen geschah. Ein Massaker wollte Karrod verhindern, zumal die übrigen Banditen nicht mehr wirklich eine Bedrohung darstellten und ihnen ihr eigenes Wohl bestimmt wichtiger war als die Loyalität zu ihrem Anführer. Allerdings konnte es natürlich durchaus sein, dass sie die Verfolgung aufnehmen würden, vielleicht, weil sie sich die Beute, die Bretonin, nicht einfach so entgehen lassen wollten. Und ins Haus einsperren konnte er sie nicht, da es ganz offensichtlich brannte. Was er hingegen tun konnte… Karrod grinste innerlich.
„Herhören! Ihr kommt jetzt alle schön mit hinter das Haus! Wer aufmuckt oder versucht, mich hinterrücks anzugreifen, den murks ich ab – ihr habt gesehen, was mit eurem Gefährten passiert ist“, erhob Karrod die Stimme, sich ganz auf die Wirkung seines imposanten Auftritts und dem Prunk seiner dunkelgrünen Glasrüstung verlassend. „Und Ihr“, wendete Karrod sich nochmals kurz zur Bretonin um und tippte ihr mit dem Finger nachdrücklich auf die Brust, „bleibt hier und macht keine Dummheiten! Am Boden liegende Gegner sticht man nicht einfach so ab wie Vieh.“ Als Paladin musste man seine Botschaften natürlich in der Welt verbreiten, missionieren! Ob das was half, war eine andere Frage, ab er es ging ja schliesslich auch ums Prinzip.
Dann trieb er die Banditen um die Ecke des Hauses. Die meisten waren unbewaffnet, da sie das Haus fluchtartig verlassen mussten, aber wer weiss, in welchen Stiefeln noch alles ein kleiner Dolch oder ein Jagdmesser steckte…
„So, und jetzt zieht Ihr euch alle aus!“, sagte Karrod laut. Das rief allgemeine Verwunderung hervor, das war deutlich zu erkennen. „Nun macht schon! Ansonsten heize ich euch ordentlich ein, im wahrsten Sinne des Wortes“, drohte Karrod und benutzte sein Amulett, das ihm heute Abend bereits gute Dienste erwiesen hatte, um eine abgestorbene Wurzel neben ihm in Brand zu stecken.
Das half. Wenige Augenblicke und die Banditen standen in Unterwäsche vor ihm. Er sammelte die Kleider ein und verabschiedete sich, sichtlich um Ernst bemüht. „Frohe Weiterreise wünsche ich euch!“
Dann ging er zurück zu der Bretonin vor dem Haus. Ihren fragenden Blick, als er die Kleider auf einen Haufen warf, beantwortete er wortlos mit einem schelmischen Grinsen und zündete den Haufen an. In diesem Moment fühlte sich Karrod in seine Jugend zurückversetzt - er, Karrod, ein unartiger Schuljunge, dem gerade ein Streich der ganz fiesen Sorte gelungen war und sich nun insgeheim ins Fäustchen lachte. Doch der Ernst der Lage kehrte einen Augenblick später schlagartig zurück.
Karrod war zufrieden. Das Problem war gelöst und noch dazu auf unblutige Weise: Die Banditen würden jetzt andere Sorgen haben, als ihnen nachzujagen… es sei denn, sie wollten es riskieren, sich dabei zu blamieren, wie sie nackt auf ihrem Wagen durch die Gegend rasten und ihnen hinterher jagten. Amüsante Vorstellung.
Ganz abgesehen von der klirrenden Kälte hier. Nein, in dieser Hinsicht machte sich der Bretone keine Sorgen mehr, die Entführer waren den nächsten Tag wohl damit beschäftigt, die nächste Siedlung zu erreichen. Oder einen Textilienhändler zu finden.
„Gut, verschwinden wir! Die Banditen dürften uns zwar keine Umstände mehr bereiten, aber ich finde es dennoch nicht allzu gemütlich, hier im Hochland herumzulungern“, richtete Karrod sich an die Bretonin, deren Blick nun wieder normal geworden schien.
„Wie heisst Ihr eigentlich, werte Dame?“