„Vater!“ Malukhat wirbelte herum und ein stolzes Lächeln teilte seine Lippen, als er die dunmerische Schönheit mit den langen schwarzen Locken auf sich zueilen sah. Achtsam zog sie den Rock ihres Kleides ein wenig hoch, so dass der Saum nicht auf dem erdigen Boden des Gartens schleifte. Ein Hauch der Bitterkeit verdunkelte die Züge des Dunmers für einen kurzen Augenblick. Das Kleid war unmenschlich teuer gewesen und sah, wenn Malukhat eine Meinung in dieser Sache erlaubt gewesen wäre, einfach nur hässlich aus. Die ganzen goldenen Tüpfelchen und Verzierungen, eine scheinbar nie endende Anzahl seidener Unterkleider… Imperiale Frauen hatten in seinen Augen mehr was von exotischen Federviechern und es gefiel ihm überhaupt nicht, dass sein eigen Fleisch und Blut sich gerade diese merkwürdigen Gepflogenheit zueigen machte.
„Nun?“, sagte Joplaya, strahlend über das ganze Gesicht, „wie sehe ich aus?“ Sie drehte sich einmal um die eigene Achse, dass der Saum des Kleides sich bauschte.
Malukhat biss die Zähne zusammen. Einerseits wollte er ehrlich sein, wollte er ihr sagen, dass nicht mal Mehrunes Dagon in einem rosa Spitzenrock lächerlicher aussehen könnte, aber der praktisch denkende Teil seines Gehirns gestand sich ein, dass es für diesen Kommentar schlicht zu spät war. „Du siehst einfach…“, begann er, verzerrte sein Gesicht zu einer Grimasse gespielter Fröhlichkeit und – „Tut mir leid, ich kann das nicht. Du bist wunderschön, Joplaya, aber in diesem Kleid wirkst du ausstaffiert wie ein Festtagsbraten. Wenn deine Mutter das sehen könnte, würde sie selbst dann noch in Tränen ausbrechen wenn sie wüsste, dass sie damit zugeben würde mit mir einer Meinung zu sein.“
Mit offenem Mund starrte Joplaya ihren Vater an, dann presste sie die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, kreuzte die Arme vor der Brust und sah betont zur Seite. „Draven sagt, es sieht gut aus.“
„Draven ist ja auch ein Bretone! Bretonen, Kaiserliche… das macht kaum einen Unterschied. Menschen haben alle einen an der Klatsche. Denk nur an Aurel und wie er sich immer in diese formlose Dose gezwängt hat.“
Joplaya rollte mit den Augen und Malukhat tat es ihr gleich. Was musste dieses Kind nur so dermaßen empfindlich sein – hatte er denn nicht eingeräumt, dass sie wirklich schön war, wenn sie sich mal nicht in Gardinenstoff einrollte? Draven schien sie irgendeiner Art von Gehirnwäsche unterzogen zu haben, das war offensichtlich. Sie fügte sich immer mehr in das Leben in Cyrodiil ein und vergaß dabei, dass ihre Haut nicht annähernd so weiß war, wie sie dafür sein musste. Wo war der dunmerische Stolz der Familie Verothan abgeblieben? Malukhats Vater drehte sich in seinem Grab wahrscheinlich vor Scham schon im Kreis und Joplaya arbeitete emsig daran, dass der Erzmagier dies bald synchron zu ihm machte.
„Du bist einfach taktlos“, kommentierte Draven, als Malukhat ihm von seinem Dilemma berichtete. „Allein schon, dass du gerade mit mir darüber redest. Dir ist nicht zufällig aufgefallen, dass alles, was dich an Joplaya stört, meinen Namen trägt?“
„Mit wem soll ich sonst darüber reden?“ Der Dunmer sah Draven über den Tisch hinweg an und für einen Moment erschien ihm die Szene unwirklich, ja geradezu grotesk. Er fragte sich, woran das wohl liegen mochte. Es war ein schöner und warmer Tag gewesen, die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen durch die geöffneten Fenster des Zimmers, während eine sanfte, abendliche Brise leichte Kühlung versprach; alles in allem also sehr angenehm, in keinster Weise bedrohlich oder verwunderlich. Trotzdem konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas nicht so war, wie es hätte sein müssen. Das war in letzter Zeit sehr oft passiert, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen.
„Alles in Ordnung?“ Draven zog eine Augenbraue hoch und sah den Dunmer an.
„Hm?“, machte dieser, „Oh, ja, klar. War nur in Gedanken. Wo waren wir stehen geblieben? Ah, bei meiner so genannten Taktlosigkeit. Ich bin nicht taktlos.“
„Stimmt“, pflichtete Draven ihm bei und nickte übertrieben, „du bist einfach nur ein Mistkerl. Hätte ich fast vergessen.“
„Der Mistkerl, mein lieber Draven“, sagte Malukhat mit Betonung auf jedem Wort, „der bist immer noch du. Du hast nämlich scheinbar ebenfalls fast vergessen, dass du hier der Töchterklauer und Gehirnwäscher bist, nicht ich.“
Draven lachte freudlos und schüttelte den Kopf. „Du bist schlimmer als jede Schwiegermutter. Seit Joplaya und ich verheiratet sind, regst du dich ständig auf.“ Er schob den Stuhl zurück und stand auf. „Also, wenn du dich das nächste Mal hinter meinem Rücken über mich aufregen willst, solltest du nicht mich zum Lästern aussuchen, das ist unklug.“
„Das ist nicht unklug, ich schwimme einfach direkt zur Quelle des Problems.“
„Und hier lebst du?“ Fast hätte Malukhat laut aufgelacht. Er stand vor einer Hütte mitten im Nirgendwo und begutachtete amüsiert, wie ein kleiner Stein sich aus dem Schornstein löste und auf das Strohdach kullerte.
„Wir sind noch am Bauen“, sagte Aurel und ein verträumtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Jetzt, da wir Nachwuchs haben, brauchen wir auch etwas mehr Platz.“
Der Dunmer konnte nicht anders als ob des verklärten Blicks des Bretonen wissend zu grinsen. Obwohl es bereits sehr lange her war, konnte er sich noch gut daran erinnern, wie er sich nach der Geburt seiner Kinder gefühlt hatte. Trotzdem war es erstaunlich, dass Aurel gerade ihn ausgesucht hatte, um ihn als Paten für seinen Sohn einzusetzen. Natürlich, Malukhat war im Prinzip keine schlechte Partie, aber Aurel musste sich doch mindestens Sorgen machen, ob dem Nekromantiker vielleicht eine interessante Anomalie im Körperbau des Jungen auffallen würde und er daraufhin… Wieder kam der Erzmagier sich merkwürdig fehl am Platze vor, als hätte sich über ihm gerade der Himmel gespalten.
Eine Hand legte sich auf seine rechte Schulter. Als er sich umdrehte, sah er direkt in die blauvioletten Augen Arwens. „Wo kommst du auf einmal her?“, fragte er und lächelte, um seine Unsicherheit zu überspielen.
„Wieso, wo komme ich auf einmal her?“, wiederholte sie, die Stirn in Falten gelegt. „Wir sind zusammen hergekommen, Malukhat. Das kannst du doch unmöglich vergessen haben!“
„Ach, sind wir… nun, ich war wohl ein wenig… daneben, gerade. Natürlich sind wir zusammen hergekommen“, log er. Verdammt, er wusste, dass er alt war, aber so alt?
Arwen wandte sich von ihm ab und Kiara begrüßen, die mit einem Baby in den Armen gerade aus der Tür der Hütte kam. Aurel gesellte sich zu ihnen und ließ Malukhat allein zurück, der sich einfach nicht durchringen konnte, ihm zu folgen.
„Ist alles ein bisschen unwirklich, hm?“, sagte Karrod und sah den Dunmer erwartungsvoll an.
„Ja, irgendwie schon“, gestand Malukhat. „Eigentlich müsste ich glücklich sein, glaube ich. Draven ist zwar ein Bretone, aber ehrlich, da hätte mir Joplaya auch Schlimmeres ins Haus holen können. Außerdem bin ich jetzt Pate eines kleinen, äh, Waldonen – wie viele Leute können das schon von sich behaupten?“
Karrod nickte weise. „Vielleicht es ja genau das, was Euch stört: Dass alles so perfekt zu sein scheint.“
„Wie meint Ihr das? Was soll daran verkehrt sein, dass sich alles zum Guten gewendet hat?“
„Nun ja“, sagte Alexius zu Malukhats Rechten. „In deinem Leben hat sich eigentlich nie was zum Guten gewendet.“
„So ist es“, sagte Karrod und zuckte die Schultern. „Ihr habt Euch einfach keine Mühe gegeben und jetzt ist es zu spät. So ein Pech.“
Malukhat versuchte seine Gedanken zu ordnen mit dem Ergebnis, dass er nur noch verwirrter war als vorher. So entschied er sich, die vorerst unwichtigen Teile beiseite zu schieben und zu fragen: „Wieso ist es zu–“
„Pech?“, fiel Alexius ihm ins Wort und lachte grausam. „Malukhat hat doch nie an jemanden gedacht außer an sich selbst. Wollte nie jemanden an sich heran lassen, hat gar nichts geteilt. Sieh doch, wie alt er geworden ist. Dabei wirkt er noch so jung. Ja, dieses Geheimnis hat er auch mit niemandem geteilt.“
„Halt den Mund, Alexius“, knurrte der Erzmagier. „Wie sollte ich dich in das Geheimnis einweihen? Du warst doch tot!“ Als ihm die Bedeutung seiner Worte aufging, stand er still wie vom Donner gerührt, mit weit aufgerissenen Augen. Alexius Varra grinste weiterhin, doch seine Züge, sein Körper, seine Kleidung, alles verwandelte sich langsam in Sand und zerbröselte nach wenigen Momenten direkt vor Malukhats Augen. Karrods Arm zerbarst in tausende kleine Steine, als er dem Dunmer aufmunternd auf die Schulter schlug, und dann folgte er dem Schicksal des Totenbeschwörers.
„Was ist hier nur los?“, rief Malukhat, „bin ich denn im Irrenhaus gelandet?“
Er sah, wie Arwen, Aurel und Kiara die Hütte betraten. Kurz vorher sahen sie alle sich noch einmal zu dem Erzmagier um, lächelten und winkten. Malukhat wollte nicht, dass sie in die Hütte gingen. Er wusste, etwas Schreckliches würde geschehen, wenn sie es taten, doch konnte er sie nicht davon abhalten. Wie aus Stein gemeißelt stand er da, als eine kleine Rauchfahne von dem Strohdach aufstieg und es wenige Momente darauf lichterloh in Flammen stand.
Und da wusste er plötzlich, dass er tot war.