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General
Skingrad / Wildnis
Malukhat hoffte inständig, dass Geister Besseres zu tun hatten als ihre lebenden Nachfahren zu beobachten. Dieser unwürdige Anblick würde der Asche seines Vaters sicherlich als Grund genügen, sich wieder zusammen zu setzen und den Sohn aus dem Sattel des Pferdes zu zerren.
„Ein erstklassiges Zuchttier, das Ihr da habt“, sagte der Stallbursche und klopfte anerkennend den Hals des Tieres.
„Ja, wunderbar…“, murmelte der Dunmer und umfasste die Zügel nur noch fester, als das Pferd einen Schritt nach hinten machte. Nicht, dass er nicht bereits ein wenig geübt hatte, nur war es etwas anderes, ob man dabei leichte Lederkleidung oder eine komplette daedrische Rüstung trug. Drei Männer hatten ihm beim Aufsteigen helfen müssen, und nun saß er steif im Sattel und verbot sich, in Angstschweiß auszubrechen.
Wie ist das nur passiert?
„Stellt Euch nicht so an.“ Eine junge, braunhaarige Frau lenkte ihren Hengst neben den seinen und zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Das Pferd spürt Eure Angst und Nervosität. Umso ruhiger Ihr seid, desto einfacher wird das Reiten.“
„Ich benötige Eure Ratschläge nicht, Corneja“, erwiderte Malukhat säuerlich und warf der Bretonin aus den Augenwinkeln einen rot glühenden Blick zu.
Um der Höflichkeit genüge zu tun hatte der Erzmagier dem Grafen trotz der späten Abendstunde seine Aufwartung gemacht und sich für die Reise verabschiedet. Dass dies ein Fehler gewesen war, merkte er erst, als der Graf ihm den Vorschlag machte, ein paar seiner Wachen als Begleitschutz mitzunehmen. Er hatte sich sogar persönlich um die Auswahl gekümmert und so waren am Ende eine Bretonin namens Corneja Corneille und der Nord Yerg Axtschwinger in die Endauswahl gelangt.
Malukhat hatte die beiden von Anfang an gerne als Einheit betrachtet, da sie sich wunderbar ergänzten: In seiner Vorstellung war Corneja das schöne Hirn dieses Chaosgespanns, während Yerg – ein Burgtor aus Fleisch und Muskeln – den Feind mit seiner Axt runderneuerte.
„Ich möchte ja nicht anmaßend sein“, sagte der blonde Nord und gesellte sich zu den beiden anderen, „aber haltet Ihr es für klug, in der Dunkelheit zu reiten?“
Malukhat rollte mit den Augen. „Sonst wären wir nicht hier.“
Yerg warf Corneja einen für sie scheinbar vielsagenden Blick zu; sie antwortete darauf mit einem Schulterzucken. Die beiden Männer und die Frau nahmen die Fackeln entgegen, die ihnen von dem Burschen gereicht wurden, und machten sich langsam auf den Weg.
Zu seiner eigenen Überraschung wirkte sich die Atmosphäre der angehenden Nacht positiv auf Malukhats Gemüt aus. Der Himmel war frei von Wolken und umso weiter sie sich auf der Goldstraße von Skingrad entfernten, desto klarer konnte der Erzmagier sogar die feineren Sterne am Himmel beobachten. In einer bemerkenswert romantischen Anwandlung – der Schuldige daran musste der angenehm frische Wind sein! – fragte der alte Totenbeschwörer sich, ob Arwen möglicherweise gerade dieselben Sterne betrachtete, wenn auch möglicherweise von einer anderen Provinz aus. Es war faszinierend: Er hatte weder die Möglichkeit gehabt, sich von ihr zu verabschieden, noch wusste er, wie weit sie von ihm entfernt war, und doch hatte er das Gefühl, über diesen Nachthimmel mit ihr verbunden zu sein.
„Was ist?“, riss Corneja ihn aus seinen Gedanken und biss in ihren Apfel. „Ihr guckt so tot.“
„Ach.“ Malukhat winkte ab. „Ich bin einfach viel zu alt für so was.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. „Was meint Ihr?“ Ihr schien einiges einzufallen, wozu er zu alt war, doch war sie klug genug, es für sich zu behalten.
„Die Liebe, junge Frau“, sagte er im O-Ton des Lehrmeisters. „Das ist für mich nicht mehr dasselbe wie für Euch Jungspunde.“
Ein weiterer Kommentar schien ihr auf der Zunge zu liegen, den sie schnell zusammen mit dem abgenagten Apfel in die Büsche warf. „Wie kommt Ihr darauf?“, fragte sie stattdessen und sah ihn interessiert an.
„Bitte?“, brummte der Erzmagier. „Ich war auch mal jung, oder so? Der Unterschied ist klar und deutlich. Ich habe letztens erst in einem Sarg Probe gelegen und das war gar nicht mal so schlecht. Ich schätze, meine Zeit läuft langsam ab.“
Corneja schwieg, doch Malukhat spürte, wie sie ihn von der Seite beobachtete. Er wusste, wie sie von ihm dachte – ihre Meinung über ’selbstverliebte Tischkantenabenteurer’ hatte sie ihm gleich zu Anfang des Ritts mitgeteilt. Doch auch sie schien zu wissen, dass man jemanden erst dann wirklich kennen lernte, wenn man mit ihm ins Gespräch kam.
Wie sie sich doch irrte.
„Ihr seid gar nicht so ein schlechter Kerl, wie ich dachte“, stellte sie fest.
„Doch, das bin ich“, entgegnete Malukhat.
„Nun ja, Ihr seid ein wenig merkwürdig und verschroben“, räumte sie ein und schlug ihm mit der freien Hand auf die Schulter, dass er beinahe seitlich vom Pferd kippte. „Aber sonst wird’s sich mit Euch schon aushalten lassen.“
Malukhat lächelte kühl. „Kommt mir noch einmal zunahe und ich werde es mit Euch aushalten.“
Sie nahm seine Drohung nicht besonders ernst, entschied sich aber doch dazu, sich erstmal von ihm fernzuhalten. Während sie hinten bei Yerg ritt, zockelten Malukhat und sein Hengst Silberblick voran. Liebe und Romantik – das war wirklich das letzte, womit er sich zur Zeit beschäftigen sollte, was bedeutete, dass er Arwen unbedingt aus seinen Gedanken verbannen musste. Wenn er erst einmal in der Kaiserstadt war und mit Hannibal Traven gesprochen hatte, hieß es zurück nach Morrowind, Ranis aus dem Weg räumen und sich konstruktiv am Kriegsgeschehen beteiligen. Zehn seiner besten Kampfmagier hatte er bereits Fürstenhaus Redoran überlassen, um mit ihm gegen die Nord zu kämpfen. Er hätte gerne noch mehr Mitglieder abgestellt, doch war er sich nicht sicher, wem er so viel Macht über die Magiergilde einräumen sollte. Das und vieles weitere gehörte zu den Dingen, die er klären musste, bevor Ranis Athrys die Chance dazu bekam.
So tief in sorgenvolle Gedanken versunken merkte er nicht, wie ein Pfeil zischend hinter seinem Rücken entlang flog und Corneja von ihrem Pferd riss.
„Ein Angriff!“, reagierte Yerg einen Sekundenbruchteil später auf den Tod seiner Kameradin. Er reckte die Axt und sprang von seinem Pferd, als ein Pfeilhagel die nächtliche Ruhe durchbrach. Wiehernd bäumte sich das Pferd des Erzmagiers auf und warf den gerüstete Mann ohne Schwierigkeiten von seinem Rücken. Verwirrt über die Plötzlichkeit der Geschehnisse starrte der Dunmer dem flüchtenden Tier hinterher, da packte ihn jemand an den Schultern und zog ihn hinter einen großen Stein in Deckung.
Als er zur Seite blickte, erkannte er den Nord, der sich neben ihm gegen die provisorische Blockade drückte. Pfeile fegten über sie hinweg und schlugen überall um sie herum in den Boden und die Baumstämme ein. Sie wussten genau, aus welcher Richtung sie angegriffen wurden, aber das war auch das einzig Gute daran.
„Ich sagte Euch, wie dämlich es ist, im Dunkeln einen Ausritt zu machen“, zischte Yerg und ließ die Wut über den Tod seiner Kumpanin in seinen Tonfall einfließen.
„Und ich habe nicht darum gebeten, dass ihr mitkommt“, antwortete der Erzmagier trocken. „Wenn Ihr noch etwas anderes könnt als Euch zu beschweren, sollten wir uns jetzt ausdenken, wie wir hier wieder rauskommen, ohne getötet zu werden.“
Der Dunmer wusste nicht, warum, aber ihn überkam das unbestimmte Gefühl, dass nicht nur Bogenschützen auf sie lauerten. Sie mussten über Nachtsichtzauber oder –tränke verfügen. Es war jedenfalls schwer zu glauben, dass sie auf gut Glück in die etwaige Richtung der Reisenden gezielt und auch noch getroffen hatten. Genauso schwer zu glauben war, dass der Pfeilstrom nicht versiegte, obwohl ihnen klar sein musste, dass sich ihre Opfer versteckt hatten oder inzwischen tot waren. Malukhat und Yerg hatten keine Möglichkeit, zu den Seiten oder nach hinten auszuweichen. Der Zweck der Schützen musste also der sein, sie hinter ihrem Stein festzunageln, bis… ja, was?
Ein letzter Pfeil sauste gefährlich nah über dem Stein hinweg, dann herrschte Stille. Weder der Erzmagier noch der Krieger trauten dem Frieden. Misstrauisch und ratlos blieben sie sitzen, bis Yerg beschloss, es zu riskieren: Er spähte an dem Stein vorbei in der Hoffnung, einen Blick auf irgendetwas Verdächtiges erhaschen zu können. Eine Unmöglichkeit, wenn man die Dunkelheit bedachte.
„Vielleicht sind ihnen die Pfeile ausgegangen“, vermutete er mit gerunzelter Stirn.
„Möglich“, sagte Malukhat, „aber irgendwie glaube ich nicht daran.“
„Gute Idee“, ertönte eine Männerstimme hinter den beiden. Malukhat wirbelte herum und fand seine Nasenspitze am falschen Ende eines Schwertes wieder. Er fuhr mit dem Blick die Klinge entlang und kam schließlich bei dem hämisch grinsenden Gesicht eines Bretonen an, den er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Rechts und links von ihm hatten sich weitere Männer und Frauen mit Bögen und Schwertern aufgebaut, um die beiden Reisenden in Schach halten und notfalls töten zu können.
„Und Ihr seid?“, fragte der Erzmagier ruhig und stand vorsichtig auf. Die auf ihn gerichtete Waffe folgte seinen Bewegungen.
„Das ist nicht von Belang“, sagte der Mann. „Wichtiger ist, wer Ihr seid, Erzmagier Malukhat. Ich habe Euch ein Angebot zu machen. Aber nicht hier.“
Er nickte seinen Leuten zu. Einer hob einen Stein vom Boden auf und schlug Yerg damit auf den Kopf. Kraftlos sackte der Körper des Nord in sich zusammen, aber Malukhat konnte erkennen, dass er noch lebte.
„Prinzipiell sind wir nicht darauf aus, Leute zu töten“, sagte der Bretone, als hatte er die Gedanken des Dunmers gelesen. „Das mit Eurer Leibwächterin tut mir daher außerordentlich leid. Doch seid Euch gewiss, sie hat ihr Leben für eine höhere Sache gegeben.“
„Sagt das ihrer Familie“, knurrte Malukhat. „Sie werden diesen Spruch sicher gerne in den Grabstein meißeln.“
„Aber, aber, Erzmagier.“ Der Bretone tat entrüstet. „Seid mir doch nicht böse! Ihr werdet sehen, mein Angebot hätte sogar Euren Tod gerechtfertigt, wärt Ihr nicht wichtig für die Umsetzung.“
Das Schwert verschwand in der Scheide.
Und Malukhat fühlte sich wie eine Geisel.
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