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General
Cyrodiil, unter der Erde
Ich bin ruhig, dachte Malukhat. Vollkommen ruhig. Ich glaube, so ruhig war noch nie jemand, und ruhiger schon gar nicht, denn das ist nicht möglich. Gut, Kumpel, du liegst hier mehrere Meter unter der Erde in einem Sarg, aber es hat schon schlimmere Situationen gegeben. Vergiss nicht, du warst verheiratet. Wenn du hier wieder raus bist, dann lachst du über die Situation und die Tatsache, dass du gerade auf dem besten Weg bist, dir vor Angst in die Hose zu machen. Großer Gott, bloß nicht in die Hose machen! Wenn’s schon sein muss, dann geh’ kleine Schritte und fang’ erstmal an zu heulen, bevor du die großen Geschütze auffährst.
Malukhat ballte die Hände zu Fäusten, ließ wieder locker, ballte sie abermals, immer so weiter. Seine Finger schmerzten, er war müde, aber er durfte jetzt nicht einschlafen. Irgendjemand würde ihn schon finden und wieder ausgraben, da war er sich vollkommen sicher. Joplaya würde auffallen, dass er nicht in seinem Zimmer war, fragend das Rundohr verständigen, welches wiederum einwandfrei würde bestätigen können, dass der Erzmagier sein Zimmer am Vorabend nicht verlassen hatte. In dem Moment musste ihr einfach klar werden, dass etwas nicht in Ordnung war.
Das größte Problem – ihn dann auch unter der Erde zu suchen – stellte sich erst noch, aber Malukhat verbot sich jeden weiteren Gedanken daran. An Luft mangelte es derweil noch nicht, durch das Loch, das irgendwie – mit einem Rohr? Der Dunmer konnte es nicht genau identifizieren – bis zur Oberfläche reichte, kam genug Sauerstoff zu ihm herab. Jedenfalls für die grundlegendste Versorgung seiner Lungen.
Voller Bitterkeit dachte er an den Dunmer, dem er diese Situation zu verdanken hatte. Wenn Malukhat irgendeine Mitschuld an dieser Sache trug, dann die, dass er dem Kerl nicht sofort den Kopf von den Schultern geschlagen hatte. Schon als er ihn am Stadttor gesehen hatte, wurde dem Erzmagier klar, dass der Mann ihm Probleme machen würde. Nur hatte er nicht einen Moment lang geglaubt, dass es solche Probleme sein würden. So viel Kreativität hatte er dem anderen nicht zugetraut, und – siehe da – schon lag er lebendig begraben unter der Erde und versuchte schon gar nicht mehr, sich einen Weg hieraus auszudenken, der etwa nicht die Mithilfe einer weiteren Person benötigte.
Seine Zauber waren vollkommen wertlos. Natürlich, er hatte ein paar ordentliche Sprüche drauf, aber nach mindestens der Hälfte würde er sich auf dem Mond wieder finden. Und dass er schlussendlich nicht den Versuch machte, sich irgendwie heraus zu graben, lag nicht der Angst zugrunde, er könnte sich einen Fingernagel abbrechen, sondern eher die Möglichkeit, bis dahin erstickt zu sein. Er musste die Luft aufsparen, die ihm zum Atmen blieb.
„Aurel“, sagte Malukhat plötzlich laut zu sich selbst. „Er wird ins Tiber-Septim kommen und mich nach dem Fluch ausfragen. Der wird sich nicht darauf freuen, aber er wird mich suchen müssen. Er hat keine andere Wahl, als mich hier raus zu holen.“
Tolle Idee, meldete sich seine innere Stimme zu Wort. Und was machst du in den zwei Wochen, die der Bretone braucht, um überhaupt zum Hotel zu kommen? Mit Würmern Poker spielen? Verdammt, bis zu zwei Wochen würde er warten müssen – wenn nicht noch mehr! Solange konnte er hier nicht ausharren. Trotzdem wollte ihm keine Alternative einfallen.
„Du hast noch andere Alternativen“, sagte Malukhat in sachlichem Tonfall und studierte die Dokumente, die Alexius vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Einige Zettel wiesen Informationen zu dem Zauber auf, den er sich ausgedacht hatte, andere die mögliche Verwendung in Zusammenhang mit der Krone und den Seelen.
„Und welche wären das?“, fragte Alexius und legte die Arme auf den Tisch. Nervös drehte sein Zeigefinger an einem goldenen Ring. Malukhat wusste, dass dieser Ring von Alexius’ Frau stammte, die vor fünf Jahren gestorben war. Soweit er wusste, hatten die beiden in Skingrad ein recht gutes Leben geführt, bis Marlena einer schweren Lungenentzündung erlag. Wahrscheinlich hätte Alexius darauf verzichtet, sich mit ein paar Verrückten in einer Ayleiden-Ruine zu verschanzen, wäre sein Sohn nur wenige Monate später nicht an derselben Krankheit gestorben. Varra gab allen existierenden Heilern die Schuld an dieser Misere, wünschte ihnen die schlimmsten Flüche auf den Hals und war im Allgemeinen nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen. Es war wohl seine Angst vor dem Tod, die ihn zu diesen merkwürdigen Experimenten bewegte, doch würde selbst ein unendlicher Vorrat an Lebensjahren ihn nicht vor Krankheiten schützen.
Deine Familie im Jenseits verflucht dich für das, was du tust; du weißt das, aber es interessiert dich nicht, dachte der Dunmer. Im starken Kontrast zu diesen Gedanken standen seine Gefühle: Seine eigene Familie würde ihn ebenfalls verfluchen, und auch ihm erschien das nicht weiter wichtig. Er aber hatte seine Eltern kaum gekannt, und seine Mutter war noch am Leben.
Mutter, dachte er nicht ohne Wehmut, wie es ihr wohl geht, so alleine? Wenn ich hier raus bin, muss ich sie unbedingt…
„Ich fragte: Und welche wären das?“, unterbrach Alexius Malukhats Gedanken.
Der Dunmer starrte ihn verständnislos an. „Welche wären was?“
„Die Alternativen, mein Freund.“ Varra grinste. „Du scheinst ganz woanders zu sein. Bei einer Frau vielleicht? Ich weiß, dass du letzte Nacht in der Kaiserstadt warst.“
„Pah“, machte Malukhat, „in den letzten zwei Monaten ist mir nur eine einzige Frau zunahe gekommen, und das war Worschula, als sie versuchte, mir im Schlaf ein Ohr auszureißen.“
Alexius lachte und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Da sieht man’s mal, sie lässt nichts anbrennen.“
„Oh, ich bin mir vollkommen sicher, sie würde mich gerne anbrennen lassen.“
Das ehrlich vergnügte Lächeln des Kaiserlichen ließ ihn zehn Jahre jünger aussehen. Sofort strafften sich die Züge wieder. Er sagte: „Zurück zum Thema. Welche Alternativen schlägst du vor?“
„Du könntest Tierseelen nehmen. Davon bräuchten wir wahrscheinlich ein paar mehr, aber mir wäre das allemal lieber, als diese ganzen Leute abzuschlachten.“
„Tierseelen!“, rief Alexius. „Wie bist du nur wieder auf diesen Schwachsinn gekommen? Malukhat, im Ernst, ich weiß, dass du mit deinen – wie alt bist du gleich noch? Achtundsiebzig Jahre? – mit deinen achtundsiebzig Jahren ein noch recht jungfräulicher Dunkelelf bist, deshalb sehe ich dir deine Weichheiten einmal nach. Aber komm’ mir bitte nicht wieder mit solch einem hirnlosen Unfug.“
Malukhat wollte protestieren, erkannte in Alexius’ Augen allerdings die Nutzlosigkeit guter Argumente und ließ es bleiben.
Er seufzte gedehnt, während er die Aufzeichnungen begutachtete. „Du hast ja wirklich an alles gedacht. Was fehlt noch?“
Alexius lächelte. Diesmal machte es ihn zehn Jahre älter. „Ein Versuchskaninchen.“
„Ein…“ Malukhats Augen weiteten sich. „Oh nein! Du kannst nicht von mir verlangen…“
„Von dir verlange ich gar nichts“, schnitt Varra ihm das Wort ab. „Wie wäre es mit Worschula? Die kannst du doch eh nicht leiden. Oder Algor? Obwohl, nein, den möchte ich gerne noch ein bisschen behalten. Er ist so ein ulkiger kleiner Kerl.“
„Wenn es sein muss“, sagte Malukhat scharf, „aber wirklich nur, wenn es unbedingt sein muss, dann nimm’ Vortius. Den anderen würde sein Verschwinden gar nicht auffallen, weil er sich sowieso nie blicken lässt. Aber: Es wäre mir trotz allem lieber, du nimmst jemanden von außerhalb. Jemanden, den ich – den wir nicht kennen.“
„Hast du denn noch nie einen Freund geopfert?“
Die Männer starrten einander an. Malukhat antwortete nicht. Er konnte nicht in Worte fassen, wie sehr er sich in diesem Moment vor sich selbst ekelte.
„Alexius“, flüsterte Malukhat in seinem Sarg, „du machst mir Angst.“
Geändert von Katan (21.04.2007 um 17:54 Uhr)
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