Sie schlugen ihr Lager auf einer winzigen Lichtung nahe der Kaiserstadt auf. Sie hätten noch weitergehen können, doch Malukhats Arme schmerzten von der Anstrengung. Nicht, dass Arwen so sonderlich schwer war, keinesfalls, doch sah er sich nicht mal mehr in der Lage, eine Feder vom Boden zu stemmen.
„Na toll“, maulte Joplaya. „Jetzt haben wir natürlich keine Ausrüstung mitgenommen. Kein Zelt, kein gar nichts.“ Mürrisch stampfte sie mit dem Fuß auf, während der Erzmagier die ohnmächtige Dunkelelfe vorsichtig in das weiche Laub sinken ließ. Er wollte sie nicht wecken, denn Schlaf würde ihr sehr gut tun.
„Ich gehe Feuerholz sammeln“, sagte er knapp. „Du, Joplaya, kümmere dich derweil um Arwen.“ Dann wandte er sich an die junge Bosmer. „Und Ihr geht die Umgebung ab, ob sich vielleicht ungebetener Besuch dort befindet.“ Er ging in nördlicher Richtung davon und zauberte Nachtsicht auf sich selbst. Die Umgebung erschien ihm in einem leuchtenden Blau, jede Kontur zeichnete sich scharf vor seinen Augen ab. Statt aber Feuerholz zu sammeln, wie er es vorgehabt hatte, ließ er sich in einiger Entfernung vom Lager gegen einen Baum sinken, verschränkte die Arme vor der Brust und rief sich die damalige Zeit in Erinnerung.

“Ich halte das für keine gute Idee“, sagte Malukhat und blickte in zwei Augen, deren Ausdruck er vorher nur von Verrückten oder Lotteriegewinnern gekannt hatte. Er konnte einwandfrei darauf schließen, dass es sich hierbei um ersteres handelt.
Der Kaiserliche verdrehte die Augen und setzte sich vor ihm auf einen Stein. Er war einen Kopf kleiner als sein dunmerischer Gefährte, hatte langes, schwarzes Haar und ein blasses, ausgemergeltes Gesicht. Malukhat wusste, wie lange der andere das Tageslicht nicht mehr erblickt hatte.
„Hör mal, Malukhat“, sagte Alexius, lehnte sich vor und stützte die Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. „Ich suche schon seit einer Ewigkeit nach einer Lösung meines Problems und ich glaube, ihr immer näher zu kommen. Du selbst kannst davon doch auch nur profitieren.“
„Das ist verrückt!“, rief Malukhat. „Merkst du gar nicht, was für einen Schwachsinn du dir da zusammen gereimt hast?“
„Sprich leiser“, flüsterte Alexius energisch in das Halbdunkel der Ruine. „Die anderen müssen nicht wissen, was ich vorhabe.“
Nun war es an Malukhat mit den Augen zu rollen. „Als wenn es
die interessieren würde.“
Tatsächlich war davon auszugehen, dass ihre Gefährten nicht sehr viel mehr im Kopf hatten als ihre eigene Existenz. Oder die Beendigung selbiger. Worschula, die nordische Kampfemanze, die keinen Moment ausließ, Malukhat zu zeigen, was sie von Elfen – besonders von
männlichen Elfen hielt, sprach seit drei Tagen kein Wort mehr mit ihnen, und immer, wenn der Dunmer an ihr vorbeiging oder das Wort an sie richtete, grunzte sie verächtlich und starrte ihn an, als fragte sie sich, wie sein Kopf wohl über einem Kamin aussah. Der Bosmer Algor war ähnlich kommunikativ, allerdings ging von ihm keine Aggression, sondern eine starke Aura des Wahnsinns aus. Auch jetzt kicherte er am anderen Ende der Halle, während er auf dem Tisch stehend ein Bein umher schwenkte und so tat, als hielt er eine Rede vor großem Publikum. Und wo war Vortius? Der Kaiserliche hatte sich vor zwei Wochen in seine Kammer eingesperrt und sich nicht mehr blicken lassen; Malukhat wusste nicht mal, ob er überhaupt noch lebte.
Seltsam, dachte er, wie der Aufenthalt hier unten die Leute verändert hat. Er meinte sich zu erinnern, dass sie vor nicht allzu lange Zeit normaler gewesen waren, und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass Alexius etwas damit zu tun hatte. Alexius! In ihm hatte der Dunmer bisher gedacht, einen Seelenverwandten gefunden zu haben, und das einfach nur aufgrund der Tatsache, dass sie beide noch richtig im Kopf waren. Und jetzt? Jetzt kam ihm dieser Imperiale mit einer Idee, wie sie dümmer, einfältiger und verrückter nicht hätte sein können.
„Interessiert es dich etwa, ob diese Leute leben oder sterben?“, lächelte Alexius Varra müde.
„Nein“, gestand Malukhat, „aber das ist reine Ressourcen-Verschwendung.“
Varra schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Ich erkläre es dir noch einmal. Die Sache mit der Unsterblichkeit ist bisher nicht gut gelaufen und bevor das einschläft – oder ich
einschlafe, möchte ich zu einem zufrieden stellenden Ergebnis kommen.“
Ruckartig erhob der Dunmer sich. „Du spielst hier mit dem Leben vieler Leute Pingpong, mein Guter“, zischte er. „Wir haben ein gutes Auskommen mit dem, was wir im Monat hierher schaffen. Das hält uns die Gesetzeshüter vom Leib. Aber du redest jetzt von mehreren
hundert Seelen. Mal davon abgesehen, dass wir anschließend ziemlich schnell hochgenommen werden: Wie hast du dir das gedacht? Es gibt keinen Seelenstein, der groß genug wäre, eine derartige Menge aufzunehmen. Also bitte, was daran habe ich jetzt nicht verstanden?“
Alexius starrte ihn an, als war
er es, der sich in einer alternativen Realität bewegte.
„Schau her“, sagte er knapp und zog eine Krone aus seiner Tasche, die stark an die der einst lebenden Ayleiden erinnerte. Aber irgendwas störte Malukhat an ihr und sagte ihm, dass es nicht nur eine einfache Ayleiden-Krone war.
Alexius schien seine Gedanken gelesen zu haben und quittierte es mit einem Lächeln. „Ich habe die Krone aus dem Metall einer echten und einigen Seelensteinen nachgebaut. Ich weiß nicht genau, wie viele Seelen sie aufnehmen kann, aber es wird eine Unmenge sein, vielleicht sogar unbegrenzt.“ Er beugte sich zu dem Freund vor. „Malukhat, wenn das hier funktioniert, haben wir einen Durchbruch erreicht. Nicht mal Mannimarco könnte uns da das Wasser reichen.“
Das kann der Wurmkopf sowieso nicht, dachte Malukhat, behielt es aber für sich. Varra, dieser verrückte Schwachkopf. Er begab sich auf unsicheres Terrain und benutzte auch noch sich selbst als Versuchsobjekt, weil sich ein anderes nicht dafür anbot. Tausend Seelen in kürzester Zeit einzufangen, das hatte er sich vorgenommen, und der Dunmer hielt dies für das aberwitzigste Unternehmen seit der Entstehung des Kaiserreichs. Um genau zu sein, wollte er besonders junge Leute töten in der Hoffnung, ihre restlichen Lebensjahre zu erhalten, nachdem er sie in die Krone gebannt hatte. Dabei wollte Varra einen Zauber benutzen, den er selbst geschaffen und noch nie ausprobiert hatte. Wie auch? Der war ja für diesen einen Zweck und ließ sich vorher nicht erproben.
„Ich habe kein gutes Gefühl dabei“, sagte Malukhat. „Wenn es nicht klappt, wer weiß, was dann passiert.“ Im Hintergrund hatte Algor das Bein durch einen Arm ersetzt und schwang ihn inbrünstig hin und her wie ein Dirigent in der Oper, ständig begleitet von den mürrischen Blicken Worschulas, die den Anschein machte, sie würde ihn gleich von seinem Tisch herunter prügeln. Aus irgendeiner Ecke kam Vortius gekrochen, fing sich ebenfalls einen hasserfüllten Blick der Nord ein und machte sofort wieder kehrt.
Großartige Leistung, Worschi, dachte Malukhat, jetzt kriegen wir ihn wieder zwei Wochen nicht zu Gesicht.
„Wenn es nicht klappt, wenn es nicht klappt!“, rief Alexius genervt. „Aber wenn es
doch klappt?“
„Du hast sie nicht mehr alle“, entgegnete der Dunmer.
„Gut möglich. Aber ich habe mir einen Ausweg offen gelassen, falls es, wie du ja befürchtest, wirklich nicht klappen sollte. Sieh her“ – er wies auf ein paar Linien, die rund um die Krone herum in das Metall gekerbt worden waren. „Wenn was schief geht, brauche ich nur…“


Brauche ich nur… Brauche ich nur… Die Worte hallten im Kopf des Erzmagiers wieder. Angestrengt versuchte er, den Satz zu Ende zu führen und auf die Lösung des Rätsels zu kommen, doch blieb diese Erkenntnis ihm verwehrt. Verdammt, es lag ihm auf der Zunge und er kam einfach nicht darauf! Der Nachtsicht-Zauber hatte nachgelassen, die Dunkelheit umarmte den Wald wie ein schwarzes Tuch. Obwohl auch der Dunmer in der Schwärze unterging, fühlte er sich abgestoßen von ihr. Ein Gefühl, das er bisher nicht gekannt hatte.
Seufzend erhob sich der Mann, klaubte trockenes Holz zusammen und trug es zurück zu ihrem Lager, in dem bereits ein Feuer brannte.
„Du hast zu lange gebraucht“, sagte Joplaya und zuckte mit den Schultern. Sie saß neben Arwen auf dem Boden, die noch immer schlief. Es wäre gut für sie, die Nacht durchzuschlafen, aber ihre Augenlider flatterten. Wahrscheinlich träumte sie.
Der Dunmer ließ das Holz neben der Feuerstelle fallen, legte ein paar Zweige nach und setzte sich neben seine Tochter auf den Boden. Die junge Frau gähnte.
„Schlaf ruhig, Joplaya“, sagte Malukhat liebevoll, „ich werde Wache halten.“
Sie lächelte und legte sich neben ihm auf den Boden.
Von Melian war nichts zu sehen.