Warme Sonnenstrahlen, malerische Landschaft, kaum Wolken am Himmel. Untermalt wurde diese friedliche und Ruhe verheißende Idylle vom Kampfeslärm im Hintergrund. Malukhat seufzte, betastete mit der rechten Hand seine eiskalte Rüstung und entschied, dass sie noch zu gefroren war, als dass er sie wieder überziehen konnte. Und er seufzte wieder, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und versuchte der Form einer besonders großen Wolke einen Sinn zu entlocken. Was könnte das wohl sein?, fragte er sich im Stillen und legte den Kopf schief. Der nach Norden gewandte Teil hatte was von Hundeschnauze, ganz klar, und wenn er die Fantasie noch etwas spielen ließ, konnte er in den nach Süden ausgerichteten Teilen zwei Beine erkennen. Ziemlich verkrüppelte Beine, aber Beine. Oder war es doch was vollkommen anderes? Was konnte es nur sein? Ha, dachte er und grinste, Ich weiß es! Es ist… Arwen?!
Was ihn da letztlich als Sprungtuch missbrauchte, war weder so weich noch so leicht wie jene Wolke, und es hatte auch keine verkrüppelten Hinterläufe. Mit kaum merklicher Zerknirschung richtete die Dunmer in der blauen Robe sich wieder auf, nur um sich in ihrer eigenen Kleidung zu verheddern und dem Déjà vu ein weiteres folgen zu lassen. Der Erzmagier biss sich schwer auf die Unterlippe, bevor ein Spruch über seine generelle Anziehungskraft auf Frauen darüber kommen konnte. Stattdessen mimte er den formvollendeten Kavalier und half ihr dabei, sich neben ihn zu setzen. Wenn Draven das jetzt hätte sehen können! Wahrscheinlich hätte er es nie für möglich gehalten.
„Wenigstens habe ich diesmal schon gelegen“, lachte er. „Seid froh, dass ich die Rüstung ausgezogen habe, ansonsten wäret Ihr hart gefallen.“
Sie setzte zu einer Erwiderung an, hielt aber inne, als der Kampfeslärm verebbte und Aurel sich vor den beiden Dunmern aufbaute. Ihr Blick blieb nichts sagend, als sie zu dem Bretonen auf sah, doch Malukhat konnte sich eines amüsierten Gesichtsausdrucks nicht erwehren. Dieses Rundohr hatte es soeben geschafft, gut zehn unterschiedliche Formen der Wut in diesem einen Blick unterzubringen. Der Erzmagier hätte sie gerne analysiert und jede einzelne mit einem Kommentar beehrt – allein schon deshalb, weil es wahrscheinlich das letzte war, woran Aurel denken würde, wenn er starb –, doch hob der Bretone bereits wieder zu Sprechen an.
„Wir sollten jetzt in die Ruine gehen.“ Ein knapper Satz und Malukhat war sicher, dass das nicht mal ein Zehntel dessen war, was Aurel in diesem Moment über die auf dem Boden Sitzenden hätte sagen wollen.
Während der Erzmagier seine Rüstung anlegte, tauchte Kiara aus den Büschen auf. Auch sie hatte gekämpft und Malukhat musste kein Wolf sein, um die Anstrengung an ihr riechen zu können. Als Bogenschützin mochte sie großartig sein, doch wenn es in den Nahkampf ging, hatte sie es schwer. Eine bunt gemischte Gruppe waren sie, und wenn der Dunmer sich überlegte, wie er als Bogenschütze wohl abschneiden würde, war das nicht mal eine schlechte Sache. Der dritte Mann im Bunde, den Malukhat am Vortag böse reingelegt hatte, trat nun auch vor. Er schien nicht viel abbekommen zu haben, ganz im Gegenteil, man konnte fast den Eindruck gewinnen, er sei scharf auf weitere Kämpfe. Alle warteten darauf, dass ’Erzmiel’ endlich wieder voll gerüstet war. Aurel wirkte jeden Moment noch ein wenig ungeduldiger, doch Malukhat ließ sich die Zeit, die schweren Rüstungsteile ordentlich an seinem Körper zu verteilen, sie festzuschnallen, den Sitz zu überprüfen und ein paar Schnallen neu festzuzurren.
„Gut, wir können“, sagte er, als er fertig war, und die fünf Artefaktjäger gingen in Richtung Ruine.
Alles war genauso, wie Malukhat es noch in Erinnerung hatte – die weißen Mauern, die hohen Türme, deren Spitzen abgebrochen waren, und die verzweigten Steinwege, die als solche kaum noch zu erkennen waren. Wenn es sich mit den Innenräumen nicht anders verhielt, konnte der Erzmagier sich ein Bild davon machen, was sie erwartete. Und dieses Bild war im höchsten Maße entmutigend. Ayleiden-Ruinen waren innen sogar noch riesiger, als es äußerlich den Anschein machte, und umso größer sie waren, desto mehr Fallen, Geister und Kreaturen jedweder Art passten hinein. Im nächsten Moment aber argwöhnte Malukhat, dass die Banditen sich diese Festung als Heim auserkoren hatten. Wenn dem so war, dann würde die ganze Angelegenheit doppelt spaßig werden.
An der Spitze des Grüppchens gab Aurel noch den ein oder anderen Tipp und breitete seinen Plan vor den anderen aus. Da Malukhat nicht zuhörte, war es verschwendete Luft und konnte allenfalls unter Lärmbelästigung verbucht werden. Es ging in die Mitte der Ruine, eine gewundene Treppe hinunter und schließlich hinein in die Dunkelkammer. Die Tür krachte hinter Arton zu, der die Nachhut bildete, und die Augen aller benötigten einen Moment, um sich an die plötzliche Finsternis zu gewöhnen. Hatte man dies erstmal geschafft, stellte Malukhat fest, war es gar nicht mehr so düster. Vor ihnen lag eine lange Treppe, und am Ende dieser Treppe eine weitere Tür, die schwach von hellgrünem Licht erleuchtet war. Kein Anzeichen auf Banditen irgendeiner Art. Ob das nun ein gutes Zeichen war oder ein schlechtes, würde sich erst noch herausstellen müssen.
Die Tür am unteren Treppenabsatz führte in einen etwas größeren Raum. Manche hätten ihn als Halle bezeichnen wollen, doch der Erzmagier wusste, dass er – wenn überhaupt – nur zu den kleineren zählen konnte. Interessiert sah er sich um und merkte nicht, wie Aurel anhielt, sich zu der Gruppe umdrehte und noch ein paar Worte sprach. Er war ein Stück weiter nach vorn gegangen, und begutachtete die Lichtkugeln, deren Behälter aus eisernen Stangen bestanden und nach oben hin spitz zuliefen. Rechts an der Wand befand sich ein besonders schönes Exemplar und der Erzmagier beschloss, es genauer in Augenschein zu nehmen. Er war dermaßen abgelenkt, dass er nicht hörte, wie Aurel nach einem Fallensucher fragte, der den Raum unter die Lupe nehmen konnte. Beeindruckend, dachte Malukhat, als er vor dem an der Wand befestigten Lichtbehälter stand. Wie die Ayleid es wohl geschafft hatten, solche Lichtquellen zu erschaffen? Sie mussten große Magier gewesen sein. Der Dunmer hob die rechte Hand, um das Eisen zu berühren.
„Erzmiel!“, brüllte Aurel von hinten. „Lasst das! Das könnte eine Falle sein!“
Zu spät. Die Hand Malukhats lag auf einer der Eisenstangen. Wäre er ein Schauspieler in einem Theaterstück gewesen, hätte er ob dieser Offenbarung wahrscheinlich die Luft angehalten und mit großen Augen auf den potentiellen Gefahrenspender geblickt. Er war aber kein Schauspieler und ihm war schon vorher klar gewesen, dass es eine Falle sein konnte. Es interessierte ihn nur einfach nicht. Und da nichts geschah, war doch alles in bester Ordnung.
„Euer Sinn für Fallen scheint genauso eingerostet zu sein wie Eure Rüstung“, rief der Erzmagier, als er sich zu der Gruppe umwandte. „Oder habt Ihr einfach nur Angst?“
Im Nachhinein betrachtet wäre Angst gar nicht mal so unangebracht gewesen. Hinter dem Dunmer ertönte ein Knirschen. Der Leuchter beugte sich nach unten, um kurze Zeit darauf wieder in seine ursprüngliche Position zu springen. Und diesmal hielt Malukhat für einen kurzen Moment die Luft an, während seine Nackenhaare sich aufstellten und er sich – wie die anderen auch – im Raum umsah. Irgendetwas war im Gange, das spürten sie alle, und ebenso wussten sie, dass sie schon schnell genug herausfinden würden, was es war.
Ein Knacken. Noch ein Knacken. Wie das Brechen von Knochen. In der Mitte des Raumes senkten sich ein paar Steinplatten in den Boden. Einen Meter später hallte ein ohrenbetäubendes Krachen von den Wänden wider und eine Staubwolke erhob sich über dem Geschehen. Die Steinplatten verharrten in ihrer Position, nur um kurze Zeit darauf nach rechts treibend unter dem Boden zu verschwinden. Sie hinterließen ein Loch, dessen Düsternis von einem hellen Lichtschein durchbrochen wurde. Das Licht wurde heller, aber nicht nur das – es drangen Schreie an die Ohren des Erzmagiers. Schreie, wie sie unmenschlicher nicht sein konnten. Das war also eine der berühmtberüchtigten Ayleiden-Fallen. Er hätte es besser wissen müssen.
Die kleine Gruppe machte sich kampfbereit. Während ihnen allerdings gespannte Erwartung auf das Bevorstehende anhaftete, war Malukhat gedanklich schon einen Schritt weiter: Aurel und Loch – das war alles, was in diesem Moment einen Sinn für ihn ergab. Drei Geister tauchten auf, ihre Körper so transparent und grünstichig wie das Licht. Nun ja, drei Geister, das ging ja noch. Er hatte mit einem etwas größeren Aufgebot gerechnet. Hoffentlich würden die Gestalten für genug Ablenkung sorgen, dass er den Bretonen unbemerkt aus dem Weg räumen konnte. Wie erwartet war Aurel der erste, der angriff. Kiara postierte sich etwas weiter abseits und holte ihren Bogen hervor, während Arwen so aussah, als würde sie ein paar Zauber der besonders fiesen Art vorbereiten. Der Dunmer selbst legte einen Eiszauber auf und jagte ihn mit ausgestreckter Hand zwischen die angreifenden Kreaturen. Nicht etwa, dass er helfen wollte oder so; drei Kontrahenten – ob nun tot oder nicht – sollten wohl kein Problem für die geübten Kämpfer darstellen. Er wollte einfach nur erreichen, dass die Geister sich besser im Raum verteilten. Einen von ihnen hatte Malukhat besonders schwer erwischt, und Aurel machte sich allein daran, ihn zu töten, während Kiara und die anderen sich die anderen zwei vornahmen, die in die linke Ecke des Raumes abgedriftet waren. Perfekt. Ein düsteres Grinsen umspielte die Lippen des Dunkelelfen, als er auf sein Ziel zustrebte, welches das Schwert zu einem Schlag erhoben hatte. Er fuhr mit dem seinen dazwischen und erntete einen verständnislosen Blick von Aurel. Letzterer hatte nun keine Chance, nach vorne oder links auszuweichen, und rechts wartete das Loch im Boden auf ihn. Ein Sprung nach hinten war sein verzweifelter Versuch, dem Tod zu entgehen, doch er ging gewaltig in die Hose. Malukhat erwischte ihn mit dem Arm und schleuderte ihn direkt in das Loch. Er hatte gleich noch einen Stille-Zauber oben drauf gelegt, nur für den Fall, dass Aurel auf die Idee kam zu schreien, während er in die Dunkelheit hinabsegelte.
Der Dunmer entging einem wütenden Schlag des Geistes nur knapp, und drei weitere Blitzzauber erledigten den Rest. Der Erzmagier war im Bereich Magie merklich geschwächt, doch würde er einen Teufel tun, sich das auch anmerken zu lassen! Lieber beobachtete er, wie Kiaras Pfeil den letzten hinterbliebenen Geist zu einem formlosen Haufen Ektoplasma zusammen schmolz. Malukhat gesellte sich zu ihnen, als habe er nicht soeben den Gruppenanführer getötet.
Arwen war die erste, die es aussprach: „Wo ist Germain?“ Alle blickten sich suchend um und Malukhat spielte mit. Dann ging er an dem Loch vorbei, wo der Eisenhelm des Bretonen lag, und hob ihn auf.
„Verdammt!“, brüllte er wütend und hielt den Helm hoch, so dass alle ihn sehen konnten. „Er hat sich vom Acker gemacht. Wusste ich doch, dass ihm nicht zu trauen ist!“ Seine Hand fuhr herab und der Helm krachte zu Boden.