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General
Cyrodiil, unter der Erde & ganz woanders
Eine leise Stimme säuselte in seinem Hinterkopf. Flüsterte Geschichten von Ruhe, Harmonie und Zufriedenheit.
Er schloss die Augen. Wie lange wachte er nun? Seit zwei Tagen… vielleicht auch schon länger. Er wusste, hier unten würde er niemals ausmachen können, wie lange er schon begraben lag. Es kam ihm vor wie Jahre.
Von der schmerzlosen Welt, die er sich seit jeher herbei sehnte.
Er dachte an vieles zurück, was er erlebt hatte. Nein. Er dachte an die Leute zurück, die er gekannt hatte. So viele Namen geisterten durch seinen Kopf, so viele schmerzverzerrte Gesichter. Das Leben bedeutete ihm nichts. Nicht sein eigenes. Auch nicht das anderer. Gar nichts. Wie hatte er nur je so abstumpfen können?
Einfach schlafen.
Er hörte Gesang. Ein Kinderlied. Seine Mutter hatte es ihm früher gesungen, wenn er nicht hatte schlafen können. Seltsam, dass die sanfte Stimme so natürlich in seinem Kopf widerhallte. Er hatte angenommen, sie längst vergessen zu haben. Hand zur Faust, wieder öffnen, Hand zur Faust, wieder öffnen… Wenn ich schon so anfange, dachte er, kann ich auch gleich sterben.
Nichts mehr hören, sehen, nichts mehr verstehen.
Er sah Joplayas Gesicht vor sich, wie sie lächelte. Das schwarze Haar umrahmte ihr Gesicht. Aus halb geschlossenen Augen sah sie ihn an. Liebend, fragend, aufgeschlossen, glücklich. Wie sie nun einmal war. Der junge Daved blinzelte in seine Richtung. Schüchtern und zurückhaltend. Doch sein Gesicht veränderte sich. Nicht zu einem Lächeln, zu einem Ausdruck der Boshaftigkeit und des Hasses. Malukhat hätte es besser wissen müssen.
Nicht mehr diskutieren, kämpfen, verlieren.
Er erinnerte sich an Ranis. An viele Schlachten, die sie in ihrem Kleinkrieg geschlagen hatten. Malukhat hatte sie alle gewonnen. Sie konnte ihm nicht das Wasser reichen. Das hatte ihn gefreut. Jetzt erschien es ihm vollkommen belanglos. Wenn ich hier wieder heraus komme, so schwor er sich, werde ich sie besser behandeln. Er wusste, dass er log.
Keine Fehler mehr machen.
Zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, was für eine Person er jetzt gewesen wäre, hätte er nicht so unendlich viele falschen Entscheidungen getroffen. Wäre er wie Aurel, der krankhaft an seinem Ehrencodex festhielt und sich nicht eingestehen konnte, dass es zwischen Schwarz und Weiß auch noch Grau gibt? Wie Kiara mit ihrer angeborenen und anerzogenen Rechtschaffenheit, die sie zuweilen dazu brachte, sich vor sich selbst zu schämen? Wie Arwen, die manchmal Böses dachte, aber immer Gutes tat? Wie Joplaya, deren Glaube an das Gute in den Herzen aller Lebewesen einen schier zur Verzweiflung treiben konnte?
Er rief bestimmte Erinnerungen wach und stellte sich vor, was für ein Mann er geworden wäre, hätte er andere Entscheidungen getroffen. Doch er schaffte es nicht. Es kam immer auf die eine unverwechselbare Person heraus, die er geworden war. Er schämte sich nicht dafür. Was er getan hatte, mochte in den Augen der Welt fürchterlich sein, doch er war jetzt, wie er hier lag und über all dies nachdachte, davon überzeugt, doch keinen Fehler gemacht zu haben. Er hatte die richtigen Entscheidungen getroffen und für ausnahmslos alle einen Preis bezahlt. Was hätte er noch tun können außer das, was er für richtig hielt?
Sein Tun hatte viele Menschen betroffen. Manchmal direkt, manchmal indirekt, aber alle in irgendeiner Weise schmerzhaft und nachhaltig. Was wäre gewesen, wäre er freundlich zu Aurel gewesen? Wäre er in der Ruine geblieben und hätte Seite an Seite mit seinen Gefährten gekämpft? Hätte er Artons Tod verhindern können? Er bezweifelte es. Und hielt es nicht für eine besondere Erfahrung, sich einen Bretonen zum Freund zu machen, dem er nur für seine Ansichten am Liebsten den Hals umdrehen würde, sobald er nur den Mund aufmachte.
Dann war es soweit. Wieder überkam ihn eine Erinnerung. Es war fast, als durchlebte er die Zeit vor über siebenhundert Jahren ein weiteres Mal. Es war seltsam… immer, wenn er kurz vor dem Tode stand, musste er an Alexius denken. Und, bei den Neun, Malukhat hatte wahrhaft schönere Erlebnisse vorzuweisen. Wer will sich schon gerne daran erinnern, wie man von einem Freund beinahe umgebracht wurde?
Die Stille war vollkommen. Alexius rührte sich nicht, stand wie eine Statue vor einer in die Wand eingelassenen Fackel. Schatten gruben sich in sein Gesicht, zuckten wie unter Folter. Seine Augen waren leer. Er sah aus wie tot.
Varra hatte darauf bestanden, heute viele Fackeln anzubringen. Er mochte das Feuer, und zum ersten Mal in seinem Leben war es Malukhat vergönnt, die hohe Hallendecke zu sehen. Obwohl wenig interessant, heftete er seinen Blick an einen breiten Riss im Gestein. Ihm war zu genau bewusst, was er sehen würde, wenn er die Augen zu Boden richtete. Im Allgemeinen machte der Anblick von Blut und Körperteilen ihm nicht viel aus. Jetzt schon. Er hatte Angst.
Alexius löste sich aus seiner Starre. „Wie entscheidest du dich nun, Malukhat?“, wollte er wissen. „Spann’ mich gefälligst nicht noch länger auf die Folter.“
„Habe ich denn eine Wahl?“, sagte der Dunmer und schloss für einen Moment die Augen. „Du bist nicht mehr ganz richtig im Kopf, Alexius. Das jetzt von mir zu verlangen… aber ich bin wohl nur ein weiterer Freund, den du zu opfern gedenkst.“
„Ich opfere dich nicht“, entgegnete Varra. Malukhat senkte den Blick und suchte in seinen Augen nach der Wahrheit, doch da fand sich nichts. Gar nichts. Nicht einmal der Hauch einer Gefühlsregung.
„Dann habe ich dich wohl wieder falsch verstanden.“ Der Dunmer seufzte mutlos. Wie erwartet war der Boden übersät mit Blut, Knochen und noch mehr Blut. Was hatten sie nur angerichtet? Jetzt war es egal. Varra war es egal und Malukhat merkte, wie auch ihn langsam die Gleichgültigkeit packte. Er war es gewohnt.
Alexius ging auf seinen Freund zu und drückte ihm einen verzauberten Dolch in die Hand.
„Sie ist die letzte“, sagte er. „Die letzte. Versprochen.“
Der Dunmer wandte sich um und starrte auf die Frau, die sich an die hinteren Stäbe eines Käfigs drückte. Aus großen, verängstigten Augen sah sie zurück. Es war ein stummes Flehen, doch gleichzeitig auch das Wissen, keine Gnade zu finden. Langsam ging Malukhat auf sie zu. Es eilte nicht. Er musste nachdenken und sich darüber im Klaren werden, ob er tun wollte, was Aurel von ihm verlangte. Verstohlen musterte er den Bretonen, den er einst für einen Freund gehalten hatte. Lässig stand er da, mit vor der Brust verschränkten Armen an die Wand gelehnt, und verfolgte das Geschehen mit Vergnügen und Wahnsinn in den Augen.
Kurz vor der Frau hielt Malukhat inne. Er musste nur noch in den Käfig gehen, musste sich zu ihr niederknien, sie festhalten und die Schreie ertragen. Und tat es.
Sie lag in seinen Armen, doch sie wehrte sich nicht. Sie hatte aufgegeben. Sie wollte sterben.
„Dummes Ding“, flüsterte er. „Du hast keine Vorstellung davon, wie wenig dieser körperliche Schmerz gegen das sein wird, was dich nach dem Tod erwartet.“
Aber sie wehrte sich noch immer nicht. Was da kam, war unvermeidlich, doch wusste der Dunmer tief in seinem Inneren, dass es nicht durch diesen Dolch geschehen sollte, und schon gar nicht durch seine Hand. Es würde ihn auf ewig zum Leibeigenen machen.
Die Frau, fast noch ein Mädchen, schloss die Lider. Ihre Lippen bewegten sich in einem stummen Gebet. Von Mitleid durchflutet legte er den Dolch an ihre Kehle.
Plötzlich riss sie die Augen auf und starrte ihn hasserfüllt an.
„Was…“ In diesem Moment wurde ihm klar, dass es sich nur um eine Erinnerung handelte. Und dass dies nicht die Erinnerung war, die er kannte. Das irre Kichern der Frau verstörte ihn. Angewidert sprang er auf, warf den Dolch zur Seite und wirbelte zu Aurel herum.
Zu Aurel? Er war sicher, dies vorher schon gedacht zu haben - gesehen zu haben, doch wer nun vor ihm stand, war Alexius, mehr tot als lebendig. Nein, überhaupt nicht lebendig. Vollkommen tot.
Der Mann war zerschunden, seine Haut von Brandblasen übersät. Auf einem Bein humpelte er auf den Erzmagier zu, das andere, nutzlos geworden, hinter sich herziehend.
„Malukhat, mein alter Freund“, rief Alexius aus heiserer Kehle. „Wie lange ist es nun her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Oh, keine Sorge, du brauchst dich nicht daran zu erinnern, ich weiß es selbst. Wir sahen uns das letzte Mal, als du mich im Stich gelassen hast.“
Malukhat musste all seine Willenskraft aufbieten, um sich nicht sofort zu übergeben. Die Bindung zu seinem Körper war noch stark genug um zu wissen, dass er an seinem eigenen Erbrochenen ersticken würde.
„Wovon redest du überhaupt, Alexius?“, fragte er stattdessen. Er war selbst überrascht, wie sicher er die Worte hervor brachte.
Alexius Gesicht zeigte gespielte Überraschung. „Wovon ich rede? Du Narr! Du hast mich damals hängen lassen. Weißt du noch, als wir von den möglichen Gefahren sprachen? Warst du da nicht besorgt um mich und meine Sicherheit?“ Er lachte. Schwarzes Blut rann über seine Lippen. „Du hättest die Krone an dich nehmen und sie zerstören können, dann wäre ALLES in Ordnung gewesen. Aber was tust du? Du stiehlst meine Aufzeichnungen und machst dich davon!“ Die letzten Worte brüllte er.
„Oh, stimmt ja“, erinnerte sich Malukhat.
- Wenn was schief geht, brauche ich nur deinen Namen zu rufen, und bin für einen kurzen Moment klar. Dafür sorgen die Linien in der Krone. Darunter befinden sich einzeln verzauberte Metallstücke, die die Macht der Krone für einen kurzen Moment einzudämmen vermögen. Das funktioniert aber nur ein einziges Mal, ich muss mich auf dich verlassen können. Ich will dir jetzt nicht alles erklären, Malukhat, du würdest es so einfach ohnehin nicht verstehen. Du musst mir dann jedenfalls die Krone abnehmen und sie zerbrechen. Die Seelen sind dann frei und der Zauber gebannt. Soweit klar? -
„Das hatte ich ganz vergessen“, gestand der Erzmagier, womit ihm ein weiteres Rätsel aufgegeben war: Warum hatte er Alexius nicht gerettet?
„Ja, das hast du wohl“, erwiderte Alexius scharf. „Du hast keine Ahnung, wie lange ich schon auf diesen Tag warte. Der Tag der Rache.“
„Ist ja alles schön und gut“, pflichtete der Dunmer ihm bei und zeigte ihm ein breites Malukhat-Lächeln. „Aber der wird sich wohl noch ein bisschen heraus zögern. Mal davon abgesehen, dass ich keine Ahnung habe, wie du das überhaupt anstellen willst. Sieh dich nur an, du bist tot. Ich finde es ja schon bemerkenswert, dass du überhaupt in meine Träume eindringen kannst, aber…“
„In deine Träume?“ Alexius lachte. „Das ist kein Traum, Malukhat. Das hier ist die Wirklichkeit. Du bist hier, bei all den Seelen, die wir in die Krone gebannt haben. Noch bist du nur ein Schatten, aber du stehst kurz vor dem Tod. Du bist am Ersticken, mein Freund. Du wirst bald sterben.“
„Erzähl' mir etwas Neues“, sagte Malukhat trocken. Er wollte sich seine Angst nicht anmerken lassen. Alt war er geworden, aber nicht bereit zu sterben. Und vor allem nicht bereit, sich in die Krone bannen zu lassen. Verdammt, Varra musste ihn mit einem Fluch oder etwas in der Art belegt haben; das war wahrscheinlich eine der Sachen, die Alexius ihm verschwiegen hatte, weil er sie „so einfach ohnehin nicht verstehen würde“. Wenn er jetzt starb, würde es keine Möglichkeit mehr geben, den Zauber der Krone aufzuheben. Aurel würde wahnsinnig werden und morden wie ein Bekloppter, aber was noch wichtiger war: Malukhat würde auf immer und ewig zusammen mit Alexius und all den Toten in einem Stück verzauberten Kopfschmucks festsitzen.
Großartig.
Geändert von Katan (22.04.2007 um 22:28 Uhr)
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