Malukhat
Malukhat starrte den Bettler an, als habe dieser ihm soeben mehrere Schläge mit einem Holzbarren in den Magen verpasst. Tatsächlich war er sich nicht mal sicher, ob der zusammen gezogene Klumpen überhaupt noch als Magen gelten konnte. Joplaya, dieses dumme, naive Ding. Für ihre Unschuld und das Vertrauen in diese Welt hatte er sie immer geliebt, aber nun war sie zu weit gegangen: Schnurstracks aus der sicheren Stadt in unsicheres Gebiet. Aber vielleicht, dachte er, ist sie hier irgendwo in der Nähe.
Der Erzmagier klammerte sich an diesem Gedanken fest und ließ ihn dann fallen. Wenn seine Tochter etwas anpackte, dann richtig. Diese Eigenschaft hatte sie zweifelsohne von ihm geerbt. Ach, verdammt.
Malukhat wandte sich um, rannte zurück zum Hotel und legte in aller Eile seine daedrische Rüstung und sein Schwert an. Kurz darauf wanderte ein Gutteil der Fressalien auf dem Tisch im Tiber Septim Hotel in seine Reisetasche. Melian, die ihm stumm gefolgt war, warf er eines der Brote zu und nickte. Sie würde mitkommen, ganz klar. Immerhin trug sie eine Teilschuld an dieser ganzen Misere.
Bevor sie die Stadt verließen, dachte Malukhat darüber nach, wo er seine Tochter wohl finden konnte, und kam zu dem Schluss, dass er keine Ahnung hatte. Joplaya war zum ersten Mal in Cyrodiil und kannte sich nicht aus. Es gab keinen Ort, an dem sie sich besonders gerne aufhielt und auch keinen solchen, den sie mied. Wo sollten sie mit der Suche beginnen? Er entschied, dass sie einfach loslaufen sollten, um Joplaya nicht die Möglichkeit zu lassen, sich noch weiter von der Stadt zu entfernen.
Hastig nickte er einer Wache zu und wollte gerade durch das geöffnete Tor schreiten, als ihn unvermittelt etwas Hartes im Gesicht traf. Der Erzmagier fiel zurück und stieß gegen Melian. Ein stechender Schmerz zuckte bis zur Nasenspitze. Warmes Blut rann über seine Lippen.
„Aurel, du Schwein!“, rief er, denn er war sich sicher, dass dies nur der Bretone gewesen sein konnte. „Ich habe jetzt keine Zeit für deinen…“
Als er sich keinen gegenüber genauer ansah, erkannte er, dass er es keinesfalls mit Aurel zu tun hatte. Nicht mal mit einem Bretonen. Vor ihm stand ein Dunmer, hoch gewachsen wie er selbst. Sein langes schwarzes Haar wurde im Nacken von einem Zopf zusammen gehalten. Hätte es nicht grundlegende Unterschiede im Äußeren gegeben, der Erzmagier hätte darauf geschworen, seinem jüngeren Selbst begegnet zu sein.
Fassungslos blickte er in wütend funkelnde, rote Augen, während er den Blutstrom aus seiner Nase mit einem Tuch zu stoppen versuchte.
„Du bist…“, begann er, brach in Ermangelung an passenden Worten allerdings ab.
„Ja, der bin ich wohl“, sagte der Mann. Widerwillen musste Malukhat schmunzeln. Sogar die Stimme war der seinen ähnlich.
„Und was willst du hier?“ Der Erzmagier schnäuzte, legte das Tuch zusammen und verstaute es wieder in seiner Tasche. Der Junge mochte Malukhat aus der Fassung gebracht haben, weil er den Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt hatte. Nun aber war dieser Moment verstrichen.
„Mit dir reden“, antwortete der junge Mann.
„Ach, mit mir reden will er“, rief er und zog die Augenbrauen hoch. „Melian, sagt mir: Sah das aus, als wolle er mit mir reden?“ Sein Blick wanderte zurück zu dem anderen Dunmer. „Das war wirklich ein äußerst schlagkräftiges Argument. Und jetzt geh’ mir aus dem Weg. Ich habe jetzt keine Zeit für dich.“
Der Dunmer machte keine Anstalten, Malukhat und Melian vorbeizulassen. Dann sah er zu Melian.
„Ich grüße Euch“, sagte er zu ihr. „Falls ihr Joplaya sucht: Sie ist in diese Richtung gelaufen. Schon vor einer Weile. Wenn Ihr sie noch einholen wollt, solltet Ihr die Beine in die Hand nehmen.“
Da der junge Mann ihn ignorierte, tat Malukhat es ihm gleich. Er nahm Melian beim Arm und schob sich an dem Dunmer vorbei. Die ganze Sache versprach interessant zu werden. Und doch konnte der Erzmagier sich nicht darüber freuen.

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Joplaya
„Wie kann man nur so ignorant sein!“, sagte Joplaya laut zu sich selbst und wischte die Tränen von ihren Wangen. „Er hat doch selbst schuld, dass ich gegangen bin. Was denkt er sich eigentlich, wer er ist? Als könnte er mit den Leuten alles machen, was er wollte.“
Wütend stapfte sie durch einen Wald. Dass sie gerade nur um wenige Meter ein paar tote Banditen verpasst hatte, bemerkte sie überhaupt nicht. Hauptsache weg! Sie würde nie, nie, nie wieder zu Vater zurückgehen, und wenn eine ganzes Rudel Höllenhunde ihr auf den Fersen wäre. Sie hatte es einfach satt, ihn immer mit Samthandschuhen anzufassen, nur um ja nichts Falsches zu tun oder zu sagen. Er war so ein schwieriger Dunmer, kaum zu ertragen. Nun ja, wenn er nicht ganz so schlecht gelaunt war, dann ging es eigentlich. Und wenn Joplaya es recht bedachte, hatte sie gar kein so schlechtes Leben bei ihm. Er schien ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen und sich wirklich für ihr Schicksal zu interessieren. Allerdings war er ihr nicht mal gefolgt, als sie gegangen war, also konnte es um seine Vaterliebe zu ihr wohl doch nicht so gut bestellt sein. Wenn alles gut war, wenn sie sein liebes Töchter war, wenn sie brav war, ja, dann konnte er mit ihr um, aber wenn sie ihm einmal die Stirn bot, musste er gleich ausrasten und gemein werden. Als hatte er in seinem Leben nichts Besseres zu tun, als anderen Leuten die Laune zu vermiesen. Das machte er tagtäglich und merkte nicht mal, dass es ihm damit auch nicht gut ging. Joplaya war sich vollkommen sicher: Wenn er endlich aufhören würde, anderen das Leben schwerzumachen, dann würde ihn das seine auch nicht so nerven.
Vor ihr erschien eine Lichtung. Der Ruine, die dort erbaut war, schenkte sie keinerlei Beachtung, dergestalt war sie mit sich selbst beschäftigt.
Wenn er nur endlich auf die Idee käme, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen! Aber sie wusste ja, was ihn zu dem Mann gemacht hatte, der er heute war. Er hatte viel zu viel erlebt, ihm war andauernd langweilig. Das Wissen um einen bevorstehenden Weltuntergang würde er als Erholung betrachten. Mit Katastrophen wurde er fertig. Frieden war ihm zu viel. Wie konnte diese Person nur ihr Vater sein? Da hatte der Storch aber ordentlich gepfuscht.
Plötzlich stolperte Joplaya über etwas. Mit dem Oberkörper voran landete sie unsanft auf dem Boden. Stöhnend richtete sie sich auf und sah sich nach dem Gegenstand um, der sich ihr in den Weg gelegt hatte und – blickte direkt in das Gesicht eines Toten. Joplayas Augen wurden weit und als sie realisierte, was sie da vor sich hatte – worauf sie lag – warf sie sich zurück und rutschte rückwärts von der Leiche weg, bis eine Ruinenmauer sie aufhielt.
Joplayas Gedanken überschlugen sich. Wer war dieser Mann? Warum war er hier? Warum war er tot? Was hatte ihn getötet? Gab es hier noch mehr Tote? War das, was ihn getötet hatte, noch hier? Und würde es sie gleich auch töten?
Als sie Schritte hörte, hielt sie die Luft an. Nach Verstreichen einiger Momente aber war die Neugier zu groß. Sie musste einfach nachsehen, wer oder was diese Geräusche verursacht hatte. Vorsichtig stand sie auf und spähte an der Mauer vorbei. Sie erkannte drei Personen, und sie alle schienen mehr oder minder schwer verletzt zu sein. Die junge Dunmer vergaß die Gefahr und ging geradewegs auf die Leute zu. Sie brauchten einen Heiler und sie war nun mal eine Heilerin. Es war ihre Pflicht, zu tun, was in ihrer Macht stand.
„Entschuldigt…“, begann sie schüchtern, „ich bin Heilerin. Ich meine, könnt ihr vielleicht Hilfe gebrauchen?“