„... tja, und da hinten, durch diese riesige Halle nach unten hindurch, scheint unser Weg... den, äh, Angaben unseres Auftraggebers nach... zum Artefakt zu führen“, beendete Aurel seine Schilderungen.
Nach der überraschenden Wiedervereinigung der Gruppe hatte jedes Mitglied den anderen Abenteurern kurz seine Erlebnisse geschildert. Ob dabei immer alles gesagt wurde, konnte Aurel nicht beurteilen, noch kannte er die Anderen dafür zu wenig, aber da er selbst immer noch die Steintafel verschwiegen hatte, war er nicht so närrisch, zu glauben, dass seine Gefährten unvoreingenommen alles erzählt hatten. Vor allem die Dunkelelfe machte ihm Sorgen. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, und die Tatsache, dass Erzmiel, der ihn fast umgebracht hatte, ebenfalls ein Dunmer war, wirkte auf den nicht ganz vorurteilsfreien Exlegionär auch nicht gerade beruhigend.
Erzmiel... Aurel wusste nicht, ob er es bedauern sollte, dass der geheimnisvolle Fremde von der Gruppe getrennt worden war, brannte er doch innerlich auf Rache, oder ob er sich freuen sollte, denn er war sich nicht sicher, ob er Erzmiel in einem offenen Kampf gewachsen wäre.

Die Gruppe beriet noch eine Weile und kam zu dem Schluss, dass es wohl das beste war, den Weg zum Artefakt fortzusetzen, was Aurel behagte, hatte er doch seinem Auftraggeber gegenüber eine Pflicht zu erfüllen, auch wenn er sich betreffs der Motive seiner Begleiter nicht sicher war.
Nachdem die Dunmer Artons äußere Verletzungen mit einem Zauberspruch geheilt hatte, und die Abenteurer sich marschbereit gemacht hatten, brach die Gruppe auf. Aurel übernahm dabei die Führung.
„Bis zur Halle haben wir keine Fallen zu befürchten. Ich bin den Weg ja bereits abgegangen. In der Halle, die Treppe hinunter, wäre es vielleicht ganz gut, wenn jemand, der sich etwas besser als ich mit Fallen auskennt, die Position als Gruppenspitze übernehmen könnte.“
Schweigend setzten die Artefaktjäger ihren Weg fort, und sie kamen bald an der Steintür zu der Seitenhöhle vorbei.
„Hier geht’s zu dem unterirdischen See, der mir das Leben gerettet hat“, meinte Aurel, dabei genau die Dunmer beobachtend, aber er konnte kein Anzeichen einer Gefühlsregung bei ihr feststellen. Ob sie mit Erzmiel zusammenarbeitet? Aurel wusste es nicht.
Er schaute zu Kiara, und wieder kam er sich plötzlich wie ein kleiner Junge vor... und wäre beinahe über einen kleinen Steinhaufen gestolpert, was ihn maßlos ärgerte, mehr, als es dieser kleine Vorfall eigentlich wert war. Was war nur mit ihm los? Innerlich fluchend führte er die Gruppe weiter, die schließlich an dem zu der riesigen Halle führenden Torbogen angelangte.
„Und hier liegt mein toter Freund, dessen Warnung an der Wand mir vielleicht ebenfalls das Leben geret...“
Die Leiche war verschwunden. Es war keine Spur mehr von dem mumifizierten Toten und seiner Ausrüstung zu sehen. Nur an der Wand waren im Fackelschein noch die warnenden, mit Blut geschriebenen Schriftzeichen zu sehen.
„Kehr um“.
Aurel starrte fassungslos in die Nische und dann in die Gesichter seiner Begleiter.
„Ich... keine Ahnung, was hier los ist. Wir sollten wohl sehr vorsichtig sein.“
Aurel war mehr als unbehaglich zumute, und er wünschte sich, lieber einer Horde kampfstarker Nordkrieger auf Solstheim als solch einer unbekannten Gefahr, wie sie in dieser Ruine zu lauern schien, gegenüberzustehen.
„Kiara, könntet Ihr von hier an die Führung übernehmen? Als Bogenschützin verfügt Ihr wahrscheinlich über die besten Augen, um Fallen auszumachen. Ich werde direkt hinter Euch sein. Zieht Euch hinter mich zurück, wenn wir auf Gegner treffen sollten, damit ich diese im Nahkampf abblocken kann. Und... seid bitte vorsichtig.“
Die Bosmer nickte, übernahm die Führungsposition und begann mit sicheren Schritten, dabei genau die Stufen und die Umgebung beobachtend, den Abstieg die an den Wänden der Halle hinabführende Treppe hinunter. Aurel folgte ihr, die Hand am Schwertgriff, und Arton und Arwen übernahmen die Positionen am Ende der kleinen Kolonne.
Stufe um Stufe ging die Gruppe die Treppe hinab, ohne dass etwas passierte. Keine Fallen, keine Feinde, nichts hielt sie auf, während immer mehr Zeit verstrich. Die Halle kam Aurel endlos vor, und seine Beine wurden müde, während langsam die Stunden verstrichen.

Plötzlich verharrte Kiara, und auch die anderen Gruppenmitglieder sahen schnell, warum sie das tat. In ca. 50 Schritten Entfernung war auf einem Treppenabsatz sitzend die Gestalt eines Altmers zu sehen, der den Abenteurern scheinbar anteilslos entgegenblickte. Ein seltsamer Anblick, aber da der Fremde keine Anstalten machte, eine Waffe zu ziehen oder sie sonst in irgendeiner Art und Weise zu bedrohen, setzten die überraschten Gefährten ihren Weg fort und kamen schnell bei dem Hochelfen an, welcher der Kleidung nach wohl ein Magier sein musste.
„Oh, hallo!“, sprach der Altmer die Gruppe an, wobei Aurel sofort die Augen des Mannes auffielen. Sie wirkten nicht normal, der Blick des Hochelfen war der eines Wahnsinnigen.
„Seid Ihr Schatzsucher? Vigor und ich sind auch Schatzsucher, wisst Ihr? Habt Ihr Vigor gesehen? Er liegt da oben am Eingang der Halle.“
Aurel verspürte wieder dieses Gefühl des Grauens, während er langsam zu einer Erwiderung ansetzte.
„Vigor? Meint Ihr etwa den Toten da oben? Das kann nicht euer Kamerad sein. Dieser Mann muss schon seit Jahren, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten tot sein, es kann nicht Euer Freund sein.“
„Oh doch, das ist er“, entgegnete der Altmer. „Der Herr hat ihn bestraft“, meinte er feierlich nickend, als ob das den Zustand des Toten erklären würde. „Er hätte nicht versuchen sollen, dem Herren den Schatz wegzunehmen. Der Herr war sehr böse deswegen.“
Aurel fühlte sich immer unwohler.
„Wer ist der Herr?“, entgegnete er. „Und die Leiche... Euer Freund... sie ist weg. Was geschieht hier?“
Der Hochelf lachte plötzlich fröhlich und klatschte wie ein kleines Kind die Hände zusammen.
„Der Herr hat ihm vergeben! Der Herr will ihn wieder bei sich haben! Der Herr wird auch mir vergeben!“
Noch einmal sprach Aurel den Mann eindringlich an.
„Reißt Euch zusammen, Mann. Und erzählt endlich, wer dieser Herr ist. Ihr seid ja von Sinnen.“
Statt auf Aurels Worte zu reagieren, stand der Altmer ruckartig auf und trat an den Rand der Treppe. In seinen Augen war nun nur noch Irrsinn zu sehen.
„Herr, ich komme. Du hast Vigor vergeben. Vergib auch mir!“
Ohne, dass ein weiterer Laut seine Lippen verließ, trat der Hochelf über den Rand der Treppe und stürzte sich in die Tiefe, wobei sein Körper schnell in der Schwärze des Abgrunds verschwand. Nur das Flattern seiner Robe war noch eine Weile zu hören, dann war es still.
Entsetzt drehte sich Aurel zu seinen Gefährten um.
„Ich weiß nicht, was hier vor sich geht. Und ich weiß nicht, ob wir weitermachen sollen. Bei Talos, ich bin Soldat und kein Gelehrter oder Priester. Ich kann so etwas nicht einordnen.“
Er blickte noch einmal in die Schwärze, in die sich gerade der Elf gestürzt hatte, und drehte sich dann wieder zu der Gruppe um.
„Sollen wir weitergehen?“
...