Aurel schaffte es an diesem Tag nicht, Malukhat wütend zu machen, nicht mal als er fälschlicherweise als alter Mann tituliert worden war. Er wollte sich die Aussicht auf ein schadenfrohes Grinsen nicht zerstören, indem er dem Kerl vorher zeigte, dass er sich um seine eigenen Gruppenkameraden mehr Sorgen zu machen hatte als um die Gefahren, die in der Ruine lauerten. Trotzdem kam der Erzmagier nicht umhin, Aurel auf gedanklicher Ebene zu widersprechen. Wäre er ein Mensch gewesen, so wäre er noch gut als fünfzig durchgegangen, trotz der über siebenhundert Jahre, die er bereits auf dem Buckel hatte. So ein Totenbeschwörer zu sein hatte nun mal viele Vorteile, und wenn man es geschickt anstellte, konnte man – wie Malukhat – einen Einblick darin gewinnen, wie man sich wenigstens über einen gewissen Zeitraum jung halten konnte. Wenn er in den Spiegel sah, erkannte er natürlich nicht mehr das Bild des jungen Burschen, der er mit hundert oder zweihundert Jahren noch gewesen war. Falten hatten sich in Mund- und Augenwinkeln eingegraben und die Stirn war ob des dauernden Stirnrunzelns zerfurchter, als sie hätte sein müssen. Das lange, schwarze Haar hatte er sich bereits vor vielen Jahren abgeschnitten, als es langsam in Form von grauen Strähnchen die ersten Anzeichen auf ein voranschreitendes Alter gezeigt hatte. Nur der weiße Bartansatz über seinen Lippen und ein Spitzbart auf dem Kinn zeigten, wie alt er wirklich sein musste. Das gefiel ihm zwar nicht, aber ändern würde er daran trotz allem nichts. So ein Mensch, der konnte gar nicht absehen, wie merkwürdig das Gefühl sein musste, sein gesamtes elfisches Leben mit einem Bart zu verbringen und ihn dann abzuschneiden. Wahrscheinlich war es das, was Aurel in Malukhats Augen automatisch zu einem Trampel degradierte – das fehlende Feingefühl. Dieser Gedanke zauberte ein fröhliches Lächeln auf die Lippen des Dunmer, und so zupfte er aus dem Haar Kiaras ein wenig Stroh, während er einen Kommentar über ihre übertrieben vegetarische Einstellung zum Besten gab.
Die kurze Reise verlief recht ereignislos und brachte auch keine Erkenntnisse über seine Teilzeit-Mitstreiter. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich ein wenig mit Arwen zu unterhalten, aber dazu war später auch noch Zeit – ohne Aurel, dem wohl gleich irgendein unfreundlicher Kommentar zum „alten Greis und der jungen Frau“ über die Lippen kommen würde. Schade, aber was sollte Malukhat schon groß daran ändern. Für einen Moment dachte er darüber nach, dem Bretonen einfach von hinten ein Schwert zwischen die Rippen zu setzen, doch bevor er dies in die Tat umsetzen konnte, flog der Mann ihm entgegen. Nach Ansicht Malukhats war dies nicht der beste Zeitpunkt, um eine Kuschelpause einzulegen, doch als Aurel sich wegdrehte, sah er einen Pfeil im Tornister des Mannes stecken. Gut, wie gesagt, er hätte sein Schwert genommen, aber mit einem Pfeil konnte man eigentlich auch nicht viel falsch machen. In diesem Falle aber war ziemlich schlecht gezielt worden. Hätte er das gewusst, er hätte Aurel in eine bessere Zielposition gebracht oder mit roter Farbe eine Zielscheibe auf dessen Hinterkopf gemalt.
So behelligend dieser Gedanke auch war, die Banditen, die aus dem Gebüsch traten, verhießen Ärger. Aurel brüllte einen Befehl, der den Erzmagier komplett aus der Fassung brachte. Was sollte er tun? Den Befehl einfach verweigern – er nahm jedenfalls keine Befehle von diesem arroganten Kindermädchen an! Andererseits wäre eine angemessene Reaktion auch gewesen, Aurel in Richtung Banditen zu schubsen und laut „Ich bin zu alt für so was!“ zu rufen. Die Überlegungen lähmten ihn gerade so lange, dem nordischen Axtschwinger einen Angriff einzuräumen. In letzter Sekunde warf Malukhat sich auf den Rücken und entging nur knapp einem Platz an der Trophäenwand des Nordmannes. Dieser schaltete schnell, riss die Axt hoch und ließ sie auf den Boden herab sausen. Der Erzmagier rollte zur Seite und rappelte sich so schnell, wie es in einer daedrischen Rüstung nun einmal möglich war, auf. Sein Glück war, dass sein Gegner ebenfalls eine schwere Rüstung trug, und eine Axt sich schwerer kontrollieren ließ als ein Schwert.
Während Malukhat Abstand zwischen sich und den Nord brachte, sah er sich um. Die anderen kämpften bereits. Nun, es waren auch genug Banditen, um der gesamten Gruppe gehörig den Tag zu versauen. Und den Bogenschützen hatten sie bisher nicht mal ausmachen können. Er griff an die Seite und zog den silbernen Einhänder aus der Scheide – eine leichte Waffe, die perfekt auf die Bedürfnisse eines Kampfmagiers zugeschnitten war. Sein verzaubertes, daedrisches Dai-Katana hätte er zwar vorgezogen, aber… Der Dunmer riss mit einer Hand die Waffe hoch, als der Nord zu einem weiteren Angriff ansetzte. Die schwere Axt schwang seitlich nach vorne und riss das Silberschwert zur Seite. Darauf hatte Malukhat gewartet. Blitzschnell legte er die linke Hand auf den Fellbrustharnisch seines Widersachers und spürte die Magie in seinen Fingerspitzen prickeln. Der Zauber warf blaue Funken und den nächsten Kampf, den der Nord zu bestreiten hatte, war der gegen die Schwerkraft. Er verlor diesen Kampf, wurde leicht zurückgeschleudert und prallte gegen einen seiner khajiitischen Gefährten. Malukhat biss die Zähne zusammen und knurrte einen Fluch auf sich selbst. Eiszauber! Eiszauber gegen einen Nord! Welcher Daedra hatte ihn denn bitte da geritten? Die Tödlichkeit einer solchen Aktion konnte man in etwa damit vergleichen, einen Höllenhund mit einem Zahnstocher zu bearbeiten.
Der Khajiit hinter dem Nord interessierte nicht, der schien bereits jemandem aus der Gruppe zu gehören. Malukhat hatte nur Augen für den Axtkämpfer, der sich erhob, seine Waffe mit beiden Händen packte und sich dem Erzmagier gegenüberstellte. Der Nord, beschränkt wie eine erschöpfte Silbermine, grinste breit und zeigte mit dem Zeigefinger auf Malukhat. Eine Herausforderung, das war klar, und dennoch verspürte der Dunmer nicht den Wunsch, darauf einzugehen. Wenn er eines wusste, dann, dass er den Nord mit ein oder zwei Zaubersprüchen locker wegputzen konnte. Die Geistergestalten, die womöglich in der Ruine auf die Artefaktjäger warteten, würden sich dafür bedanken. Mit ein paar schwachen Zaubern bewaffnet dort hineinzugehen war schierer Selbstmord, und darauf wollte der Erzmagier gerne verzichten. Also blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, als den Nord mit Schwert und einem kleinen Feuerball zu bearbeiten. Über die Reihenfolge seiner Angriffe war er sich noch nicht klar, als der Bandit letztlich des Wartens müde wurde und mit einem Kriegsschrei, der durch Mark und Bein ging, auf ihn zu rannte. Er holte zu einem Schlag aus, unter dem Malukhat sich wegduckte und seinerseits sein Schwert in den nun ungeschützten Torso zu rammen versuchte. Der Nord war langsam, aber schnell genug, dass die Klinge des Erzmagiers nur einen Gutteil des Brustpanzers aufschlitzte. Als die Axt seitlich gegen den Kopf Malukhts geführt wurde, warf dieser sich abermals auf den Boden, riss das Bein hoch und… nun ja, der wortgewandte Beobachter wäre wohl leicht zusammen gezuckt und hätte den Treffer mit den Worten „unfairer Tiefschlag“ bedacht, aber es funktionierte, und mehr brauchte der Erzmagier nicht zu wissen. Leider war dem Nord wohl bewusst, dass es hier um sein Leben ging, und so konnte er die Hand heben, bevor Malukhat seinen Feuerzauber entfalten konnte. Die Hand berührte den Harnisch und ein Eiszauber verwandelte die Rüstung des Dunmers in ein Gefrierfach. Ein stechender Schmerz jagte durch Malukhats Körper. Er jaulte auf, reagierte aber auf die einzig mögliche Weise: Er warf das Schwert ins Gras, ließ sich hinfallen und entledigte sich der Handschuhe und Stiefel, bevor er die Klinge wieder aufnahm. Im Gegensatz zu den Nord waren Dunkelelfen keinesfalls gefeit vor Angriffen dieser Art, und sie waren furchtbar schmerzhaft. Der Feuerzauber jedoch, den der Erzmagier bereits vorbereitet hatte, traf den sich immer noch auf dem Boden krümmenden Gegner wie ein Blitzschlag und schleuderte ihn von den Füßen. Ausgestreckt blieb er im Gras liegen. Es war nicht genug gewesen, ihn zu töten, aber es reichte, um ihn außer Gefecht zu setzen.
Mit zusammen gebissenen Zähnen und leisen Flüchen legte er auch Harnisch und Beinschienen ab, so dass er schließlich in schlichter schwarzer Kleidung auf dem Boden saß und die Rüstteile zum Aufwärmen in die Sonne legte. Auf den Gedanken, seinen Kumpanen zu helfen, kam er gar nicht erst.