Schlaf… Malukhat erinnerte sich wage an eine Zeit, in der er diese Art der Freizeitbeschäftigung genossen hat. Natürlich, man konnte nachts auch andere sehr erholsame Dinge tun, aber denen konnte man auch tagsüber nachkommen, wenn man denn wollte. Klar, schlafen kann man auch tagsüber, aber es ist doch viel schöner, wenn einem dabei kein Vogel die Augen auspickt, nur weil man sich erdreistet, während seiner Premierevorstellung einzuschlafen. Inzwischen aber achtete er auf jedes Geräusch und beim kleinsten Knacken einer Bodendiele richtete er sich auf, schmiss einen Feuerzauber an und rief: „Hab’ ich dich!“. Und zwar in einen leeren Raum. Pro Nacht passierte das zwischen drei und vier Mal, manchmal mehr, manchmal weniger, aber bis jetzt hatte er es kein einziges Mal geschafft, wach zu sein, wenn Draven sich wieder mal in sein Zimmer schlich, sich in eine Ecke setzte und darauf wartete, dass Malukhat aufwachte. Nicht, dass er ihn weckte oder so, nein. Auf die Idee kam der Vampir gar nicht erst. Ihn von selbst aufwachen und sich höllisch erschrecken zu lassen, war mit Sicherheit um Welten amüsanter. Auch eine Art, Malukhat in nächster Zeit unter die Erde zu bringen. Und niemand würde vermuten, dass hinter diesem einfachen Herzinfarkt in Wahrheit vorsätzlicher Mord stand.
Tja, wenigstens für diese Nacht erhoffte Malukhat sich einen ruhigen Schlaf. Erst sehr spät am Abend war er mit der Erklärung der Pflanzen fertig gewesen, und dann hatte Kiara ihm die ein oder andere Frage gestellt, bevor sie sich verabschiedete. Aber dass er diesen nicht bekommen sollte, war abzusehen gewesen. Ein Hüsteln weckte ihn, und zwar aus einem wunderschönen Traum. Der Erzmagier richtete sich kerzengerade auf, presste ein raues „Was? Wo?“ aus der Kehle, als er bemerkte, dass jemand die Kerzen entzündet hatte, und versuchte noch im gleichen Moment, nach seiner Waffe zu greifen. Alles, was er jedoch ergriff, war Luft, und es war zu spät, noch nach einem Halt zu suchen, der das Bevorstehende abwenden würde. Nichts half, er fiel krachend zu Boden und riss dabei das gesamte Bettzeug mit sich. Er fluchte laut, bevor er einen Blick über die Bettkante riskierte und einen Blick in Dravens belustigtes Antlitz erhaschte. Wütend sprang er auf.
„Jetzt weiß ich, wie du das immer machst!“, knurrte er und zeigte mit dem Finger auf Draven. „Von wegen Engelsgeduld und dieser ganze Kram! Du hüstelst mich aus dem Schlaf!“
„Niemals“, entgegnete Draven mit steinerner Miene.
„Jawohl, und wie“, grummelte der Erzmagier, als er sowohl blaue Kuscheldecke als auch Sonnenkopfkissen auf das Bett warf und sich selbst hinterher. „Wie kannst du es nur wagen, mich zu solch inhumanen Zeiten zu wecken!“
„Wie ich schon sagte…“
„Ja, ja, ich weiß.“ Und das wusste er echt ganz genau. Irgendwie bedrückend zu wissen, dass er der einzige spaßige Zeitvertreib eines Vampirs war, mal von der Notwendigkeit des Bluttrinkens abgesehen. Er zuckte mit den Schultern, kroch unter die Decke und schloss die Augen. „Mach’ das Licht aus, wenn du gehst.“
Draven erwiderte nichts. Aber dunkel wurde es auch nicht. Der Bretone wollte noch irgendetwas sagen, das spürte Malukhat, aber er würde bestimmt nicht fragen. Auf gar keinen Fall. Er wollte jetzt schlafen und das würde auch tun, und wenn Draven noch die ganze Nacht da sitzen und Löcher in seinen Rücken gucken würde. Okay, da war dieses Gefühl, beobachtet zu werden, aber damit konnte er leben. Und ganz besonders: Er konnte damit schlafen. Oh ja, das konnte er. Wahrscheinlich besser als es jeder andere vermocht hätte. Er würde sich jetzt einfach die Decke über den Kopf ziehen und einschlummern, um wieder in seinen Traum zurückzukehren…
„Was, zum dreifach verteufelten Oblivion, willst du sagen?! Los, komm’ schon, spuck’s aus, dafür sind wir Lebenden ja da!“
Draven verzog keine Miene ob dieser klaren Abschiebung seiner Person in die Riege der Toten. „Ich war vorhin schon mal da. Du hattest… Damenbesuch.“
Zuerst starrte Malukhat den ehemaligen Erzmagister nur fragend an. „Damen… Damenbesuch?“ Dann erinnerte er sich: „Oh. Ja, natürlich. Sie tut mir morgen einen Gefallen, hat sich ihre Bezahlung dafür aber bereits heute abgeholt.“
Erstaunt, aber auch mit einer gewissen Genugtuung, sah Malukhat mit an, wie dem Vampir die Gesichtszüge entglitten. Er wusste zwar nicht warum, aber diese Reaktion zeigte auf jeden Fall, dass Draven langsam aber sicher seinen Verstand wiedererlangte. Jedenfalls nahm er das an. Der Bretone erholte sich schnell wieder, sagte aber nichts. Das nahm Malukhat als Aufforderung, noch ein paar weitere Details von Kiaras Besuch preiszugeben.
„Sie hat sich in der Halle unten mit irgendwem unterhalten, aber natürlich ist sie sofort mitgekommen, als ich ihr gewunken habe. Nun ja“, sagte Malukhat und grinste überheblich, „sie wollte von mir lernen, und ich war nur zu bereit, ihr beizubringen, was ich ihr darüber nun mal beibringen kann. Und sie lernt wirklich schnell, das muss man ihr lassen! Sie war aber ohnehin nicht schlecht, da steckte eine Menge Eigeninitiative hinter. Auf jeden Fall…“
„Du kannst jetzt aufhören ja?“, ging Draven ihm dazwischen und machte dabei ein Gesicht, als würde er sich gleich die Ohren abschneiden. „Das sind Dinge, die ich einfach nicht wissen will, in Ordnung? Es interessiert mich nicht. Das ist ganz allein deine Sache und ich kann gar nicht glauben…“ Draven beendete den Satz mit einem unverständlichen Laut, den Malukhat nicht zu deuten wusste. Aber das war egal, den Rest des Vortrags hatte er auch nicht verstanden. Der ehemalige Telvanni war immer noch durcheinander und Malukhat gab sich wirklich die größte Mühe, freundlich zu jemandem zu sein, der ihm das Leben gerettet hatte und dabei zum Vampir geworden war.
„Hör’ mal, Draven“, begann er, „klar, ich konnte dir damals mit meinem Wissen nicht helfen, aber deshalb brauchst du ja nicht gleich so auszuticken. Aber falls es dich immer noch interessiert, könnte ich dir auf diesem Gebiet…“ Irgendwas stimmte nicht. Dravens Gesicht nach zu urteilen konnte man meinen, Malukhat hätte ihm gerade das Angebot gemacht, ihm das Gesicht abzulecken. Lag möglicherweise daran, dass er als ehemaliger Telvanni bereits vieles über diese Pflanzen wusste, aber bevor es noch zu einer handfesten Auseinandersetzung kam – die Malukhat zu solch früher Stunde absolut nicht gebrauchen konnte – wechselte er das Thema. „Ich habe dir doch gestern von diesem Octavo und seinem Artefakt erzählt. Ich werde mich mit ein paar anderen Leuten auf die Suche begeben. Wenn du nichts anderes zu tun hast, kannst du uns ja hinterherlaufen. Kannst dich auch gerne an den Leuten bedienen, kein Problem. Und jetzt lass’ mich endlich schlafen.“
Wenige Sekunden, nachdem er sich wieder auf die Seite gelegt hatte, gingen die Lichter aus und Draven war verschwunden.
Vor dem Tor der Kaiserstadt stand bereits eine Person. Mehr aber auch nicht. Einerseits war Malukhat froh darüber, noch ein wenig für sich allein sein zu können, andererseits hatte er gehofft, die Dunmer heute nach ihrem Namen fragen zu können. Außerdem hatte er sich auf dem Weg hierher viele hübsche Sachen für Aurel einfallen lassen, die den Legionär ganz bestimmt nicht fröhlich stimmen, aber zu einer für Malukhat angenehmen Reise führen würden. Die Dunmer war als Ranis Atrys erstmal vergessen, in dem Bretonen hatte er ein sehr viel besseres Opfer gefunden. Mit einem bösen Lächeln auf den Lippen lehnte er sich lässig gegen das Mauerwerk und arbeitete die ersten Pläne zum Fall Aurels aus.