Lange ausschlafen war keineswegs etwas, das Revan regelmässig zu tun pflegte. Nicht dass er ungerne schlief, eigentlich tat er es nur, um ausgeruht seiner Arbeit nachgehen zu können. Schlafen zu müssen war eigentlich lästig, aber er nahm es in Kauf, da er an dieser Tatsache nichts ändern konnte. Jedenfalls schlief er nie länger als nötig und schon gar nicht aus Bequemlichkeit oder der Freude am Nichtstun. Letzeres könnte er noch genug tun, wenn er tot war. Und mit seinem Beruf konnte er nicht auf ein übermässig langes Leben hoffen, doch das war ihm im Grunde genommen egal, so wie alles andere. Wie dem auch immer war, Revan wachte auch an diesem Morgen auf, sobald die Sonne ihre ersten Strahlen auf das Kernland des Kaiserreichs schickte und seine Bürger so zu einem freundlichen Tag begrüsste. Anmutig erhob sich der Assassine, schlüpfte in seine leichte, dunkle Lederrüstung und warf sich den Umhang über, der in dermassen unauffälliger Farbe gehalten war, dass noch weniger Leute auf den Dunkelelfen aufmerksam wurden.

Die Gedanken Revans weilten schon seit dem ersten Augenblick, als er die Augen geöffnet hatte, bei seinem Auftrag. Ein Auftrag, der ein wenig Abwechslung in den immer gleichen Mordalltag brachte. Einige Leute verkauften Gemüse, Zauber oder ihre Dienste als Heiler, und einige verdienten ihr Geld eben damit, andere Individuen unter die Erde zu bringen. Viele Angehörige der dunklen Bruderschaft empfanden sogar Freude dabei, ihren Opfern den tödlichen Stich zu verpassen, doch Revan empfand schlicht überhaupt nichts dabei. Er hielt sich auch nicht damit auf, sich über Fragen der Moral den Kopf zu zerbrechen, er würde ja nicht mal wissen, was für einen moralischen Standpunkt er überhaupt einnehmen sollte.
Der Auftrag jedenfalls, war wie bereits erwähnt, durchaus aussergewöhnlich, denn es musste kein Blut vergossen werden. Der Auftraggeber hatte die Bruderschaft angeheuert, um einen gewissen Arcturius Octavos zu beschatten. Eigentlich undenkbar, denn die Bruderschaft beschränkte sich zumeist auf das Töten und nicht auf weitergehende Dienstleistungen. Aber der Befehl war von Mathieu Bellamont, einem Sprecher der schwarzen Hand, erteilt worden, genau wie alle anderen Befehle, denen Revan nachkam. Und er stellte seinen Vorgesetzten nicht in Frage. Er würde auch ohne mit der Wimper zu zucken den Auftrag annehmen, die ganze Führungsriege des Kaiserreichs zu ermorden, ebenso wie er sich ohne zu zögern in den Schlamm werfen würde, wenn ihm das befohlen wurde. Er hatte seinen Platz in der Welt gefunden und er sah nicht ein, wieso er Dinge nicht tun sollte, die von Leute mit höherer Kompetenz angeordnet wurden. Das Beschatten dieses Octavos war allerdings wirklich etwas, das Sithis nicht gutheissen würde, deshalb musste Blut fliessen. Bellamont hatte Revan versichert, dass der Auftraggeber selbst dafür gesorgt hatte. Scheinbar hatte er seiner Mutter einen Dolch in den Rücken gestossen, als diese gerade damit beschäftigt war, Socken für ihren Sohn zu stricken. Bellamont hatte das erheiternd gefunden und kurz darauf angefangen zu lachen und sich an der Skrupellosigkeit des Auftraggebers erfreut.
Revan hatte wie üblich nicht mit der Wimper gezuckt, den Humor war ihm ebenso fremd wie Mitgefühl. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals gelacht zu haben, ausser es war seiner Sache dienlich. In diesem Fall zog er jedoch einfach die Mundwinkel auseinander und stiess ein "Hahahaa" Geräusch aus, das nicht im Geringsten von Heiterkeit zeugte.

Fragte sich jetzt, wo er mit der Suche beginnen sollte. Das Zimmer im Hotel hatte er bereits am Vorabend bezahlt, also konnte er das Etablissement unauffällig verlassen. Er bezahlte sowieso immer, da dies erstens am unauffälligsten war, und ihn zweitens Gold sowieso nicht interessierte. Er hatte genügend davon, ja ganze Truhen lagen in seiner Unterkunft, es interessierte ihn ebenso wenig wie ein Stück Dreck unter seinen Stiefeln. Das heisst, letzteres interessierte ihn sogar noch mehr, da es ihn entweder beim Schleichen behindern, oder verraten konnte. Er hatte alles, was er brauchte. Eine Unterkunft (gut, brauchte er nicht, er konnte genauso gut anderswo schlafen), ein Pferd (das er bei der idiotischen Orkfrau vor der Stadt gelassen hatte), eine Vielzahl an magischen Waffen (zu denen er eine zweckdienliche Zuneigung empfand) und, na ja, seinen Körper eben. Alles in allem war Revan durchaus eine bescheidene Person, jedenfalls würde er als solche bezeichnet werden, gäbe es jemanden, der mit seinen Gewohnheiten vertraut war. Nun gut, in dem Fall wäre die Beurteilung wohl ein wenig anders, aber da es ausser Bellamont niemanden gab, der ihn etwas besser kannte, spielte es keine Rolle. Nicht dass es ihn interessiert hätte, wenn es eine Rolle gespielt hätte.

Der Herr Octavo musste jedenfalls zuerst einmal ausfindig gemacht werden. Ohne genaue Angabe konnte sich das als schwierig herausstellen, denn die einzige Angabe war das Stadtviertel, und im entsprechenden befand sich der Assassine auch schon, bereit sein Ziel zu finden. Sollte ein gewisses Ereignis eintreten, müsste er dennoch zum Schwert greifen und dem Leben Octavos ein Ende setzen. Wenn er den Auftrag erteilte, ein gewisses Ayleiden-Artefakt zu beschaffen. Und denjenigen zu verfolgen, der das Artefakt beschaffen sollte.
Revan war kein Freund, kein Vertrauter, aber seine Arbeit erledigte er mit tödlichlicher Präzision und Sicherheit.