[FONT="Impact"]GEWITTER![/FONT]

[FONT="Times New Roman"]Aus der Reihe „Unterwegs in Squalor City“

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Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zuviel Zeit, die wir nicht nutzen.
Lucius Annaeus Seneca - römischer Philosoph, Dramatiker und Staatsmann

Mein Name ist Cumulonimbus. Was, Sie meinen das ist kein richtiger Name? Nun ja, um ehrlich zu sein heiße ich auch gar nicht so. Ihnen direkt ins Gesicht zu lügen wird sie eventuell glauben lassen, dass die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, nur ein Haufen von Lügen ist, erfunden wie der Name, erfunden um sich über Sie lustig zu machen und Sie an der Nase herumzuführen.

Aber das ist sie nicht.

Der Grund für mich, Ihnen einen falschen Namen zu nennen ist ein ganz simpler, wenngleich auch bedeutsamer. Ich will damit klarmachen, dass der Name nichts zur Sache tut, es ist nur ein Name. Und egal welchen Namen uns unsere Eltern geben, die Wolken haben wir alle. Sie wissen nicht wovon ich spreche? Ich spreche von den kleinen Wolken in unseren Köpfen, die wirklich jeder Mensch in seinen Gehirnwindungen versteckt hat.

Für gewöhnlich hatte ich eine Federwolke. Sie wissen schon, diese kleinen, federleichten Dinger am Himmel, die aussehen ein wie zerrissenes Taschentuch, das niemals den Qualitätstest bestehen würde. Doch seit einigen Wochen ist die Federwolke verschwunden. Sie hat Platz gemacht für etwas viel mächtigeres. Für meine gigantische schwarze Gewitterwolke, die nur für mich regnet. Und nach all den Wochen, die ich bereits in diesem Zustand verweile, frage ich mich langsam, wie lange es noch dauert, bis die ersten Blitze am Rande meines Verstandes den Horizont meines Bewusstseins erhellen und das Donnern mein Gehirn vor die Schädeldecke schmettern wird.

Meine Wohnung war gut und gerne das, was man umgangssprachlich als „Drecksloch“ bezeichnet. Überall lag ungespültes Geschirr herum, inmitten von Kleidungsfetzen, die sich nicht mal der letzte Penner mehr anziehen würde, selbst wenn er sonst erfrieren müsste. Die Tapete war irgendwann mal wegen Regen nass geworden, was wohl auch der Grund dafür war, dass sie zu einer Art Matsch geworden war, der sich löste und an den Klamotten kleben blieb, sobald man ihn ungünstiger Weise mal berührte. Der Teppich war auf ähnliche Weise versifft, was allerdings nicht am Regen lag, sondern an Faulheit. Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich beim fernsehen zur Toilette zu bewegen.

Wenn die eigene Wohnung anfängt noch schlimmer nach Scheiße zu stinken, als der schlimmste von Ihnen jemals wahrgenommene Geruch, dann sollten Sie echt damit anfangen, sich zu sorgen. Ich tat das jedoch nicht.

Arbeiten ging ich schon lange nicht mehr. Dabei war ich nicht mal dumm, ich hatte damals mein Abitur mit 1,6 bestanden. Aber das änderte an meiner Situation auch nichts. Ich wollte hier raus, ich wollte weg, noch mal neu anfangen.

Doch dazu kam es nicht mehr.

Als das Gewitter in meinem Kopf zu wüten begann, war es sowieso zu spät. Ich saß auf meiner kaputten Ledercouch, die mal so gemütlich gewesen war und rauchte eine Zigarette, die mir von jetzt auf gleich aus dem Mund fiel und ein Loch in meine Jogginghose brannte. Ich saß nur noch so da, Augen und Mund weit aufgerissen. Die Kippe brannte noch ungefähr eine Minute vor sich hin, bis ein Loch in meiner Hose war, danach bildete sich langsam eine kleine Brandblase, direkt auf meinem Oberschenkel. Das merkte ich schon gar nicht mehr.

Das Donnern im Kopf war nicht auszuhalten, also sprang ich auf, rannte durch das kleine verdreckte Wohnzimmer hindurch, direkt ins Schlafzimmer. Im Nachtschrank lag der Revolver, den mir mein Vater vor Jahren mal geschenkt hatte. „Damit kannst du das Böse abwehren!“ Er sprach immer sehr biblisch, hatte so einen Hang alles dramatisch darzustellen. Na ja. Auch wenn er mit „dem Bösen“ eher so etwas wie einen Einbrecher meinte, dachte ich in diesem Moment nur an die Wolke. Die große schwarze Wolke in meinem Kopf, die für das schreckliche Gewitter verantwortlich war.

Ohne weiter darüber nachzudenken steckte ich mir den Revolver in den Mund. Jetzt sollte die Wolke in meinem Kopf endlich hinfort geblasen werden. Die Kugel war der Wind, der stark genug war, um das zu bewerkstelligen. Also drückte ich ab, die Augen immer noch weit aufgerissen. An den Gehirnbrocken, die vor die Wand hinter mir geschleudert wurden, blieb noch etwas von der versifften Tapete kleben, die dann mit ihnen zu Boden fiel.

So verschwand die Wolke.

Im Nachhinein denke ich oft darüber nach, ob es nicht auch einen anderen Weg gegeben hätte, um die Wolke zu vertreiben. Ob meine Freunde mir nicht hätten helfen können. Ob ich mit meinem guten Abischnitt nicht noch einen neuen Job gefunden hätte und ob jemals die Federwolken zurückgekehrt wären. Ob ich je wieder glücklich gewesen wäre.

Egal wie oft ich auch darüber nachdenke, ich komme immer zu der gleichen Antwort;

Nein.

ENDE
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(©2006)
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