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Thema: Gewitter!

  1. #1

    Gewitter!

    [FONT="Impact"]GEWITTER![/FONT]

    [FONT="Times New Roman"]Aus der Reihe „Unterwegs in Squalor City“

    ___________________________________________________________________________

    Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zuviel Zeit, die wir nicht nutzen.
    Lucius Annaeus Seneca - römischer Philosoph, Dramatiker und Staatsmann

    Mein Name ist Cumulonimbus. Was, Sie meinen das ist kein richtiger Name? Nun ja, um ehrlich zu sein heiße ich auch gar nicht so. Ihnen direkt ins Gesicht zu lügen wird sie eventuell glauben lassen, dass die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, nur ein Haufen von Lügen ist, erfunden wie der Name, erfunden um sich über Sie lustig zu machen und Sie an der Nase herumzuführen.

    Aber das ist sie nicht.

    Der Grund für mich, Ihnen einen falschen Namen zu nennen ist ein ganz simpler, wenngleich auch bedeutsamer. Ich will damit klarmachen, dass der Name nichts zur Sache tut, es ist nur ein Name. Und egal welchen Namen uns unsere Eltern geben, die Wolken haben wir alle. Sie wissen nicht wovon ich spreche? Ich spreche von den kleinen Wolken in unseren Köpfen, die wirklich jeder Mensch in seinen Gehirnwindungen versteckt hat.

    Für gewöhnlich hatte ich eine Federwolke. Sie wissen schon, diese kleinen, federleichten Dinger am Himmel, die aussehen ein wie zerrissenes Taschentuch, das niemals den Qualitätstest bestehen würde. Doch seit einigen Wochen ist die Federwolke verschwunden. Sie hat Platz gemacht für etwas viel mächtigeres. Für meine gigantische schwarze Gewitterwolke, die nur für mich regnet. Und nach all den Wochen, die ich bereits in diesem Zustand verweile, frage ich mich langsam, wie lange es noch dauert, bis die ersten Blitze am Rande meines Verstandes den Horizont meines Bewusstseins erhellen und das Donnern mein Gehirn vor die Schädeldecke schmettern wird.

    Meine Wohnung war gut und gerne das, was man umgangssprachlich als „Drecksloch“ bezeichnet. Überall lag ungespültes Geschirr herum, inmitten von Kleidungsfetzen, die sich nicht mal der letzte Penner mehr anziehen würde, selbst wenn er sonst erfrieren müsste. Die Tapete war irgendwann mal wegen Regen nass geworden, was wohl auch der Grund dafür war, dass sie zu einer Art Matsch geworden war, der sich löste und an den Klamotten kleben blieb, sobald man ihn ungünstiger Weise mal berührte. Der Teppich war auf ähnliche Weise versifft, was allerdings nicht am Regen lag, sondern an Faulheit. Ich hatte einfach keine Lust mehr, mich beim fernsehen zur Toilette zu bewegen.

    Wenn die eigene Wohnung anfängt noch schlimmer nach Scheiße zu stinken, als der schlimmste von Ihnen jemals wahrgenommene Geruch, dann sollten Sie echt damit anfangen, sich zu sorgen. Ich tat das jedoch nicht.

    Arbeiten ging ich schon lange nicht mehr. Dabei war ich nicht mal dumm, ich hatte damals mein Abitur mit 1,6 bestanden. Aber das änderte an meiner Situation auch nichts. Ich wollte hier raus, ich wollte weg, noch mal neu anfangen.

    Doch dazu kam es nicht mehr.

    Als das Gewitter in meinem Kopf zu wüten begann, war es sowieso zu spät. Ich saß auf meiner kaputten Ledercouch, die mal so gemütlich gewesen war und rauchte eine Zigarette, die mir von jetzt auf gleich aus dem Mund fiel und ein Loch in meine Jogginghose brannte. Ich saß nur noch so da, Augen und Mund weit aufgerissen. Die Kippe brannte noch ungefähr eine Minute vor sich hin, bis ein Loch in meiner Hose war, danach bildete sich langsam eine kleine Brandblase, direkt auf meinem Oberschenkel. Das merkte ich schon gar nicht mehr.

    Das Donnern im Kopf war nicht auszuhalten, also sprang ich auf, rannte durch das kleine verdreckte Wohnzimmer hindurch, direkt ins Schlafzimmer. Im Nachtschrank lag der Revolver, den mir mein Vater vor Jahren mal geschenkt hatte. „Damit kannst du das Böse abwehren!“ Er sprach immer sehr biblisch, hatte so einen Hang alles dramatisch darzustellen. Na ja. Auch wenn er mit „dem Bösen“ eher so etwas wie einen Einbrecher meinte, dachte ich in diesem Moment nur an die Wolke. Die große schwarze Wolke in meinem Kopf, die für das schreckliche Gewitter verantwortlich war.

    Ohne weiter darüber nachzudenken steckte ich mir den Revolver in den Mund. Jetzt sollte die Wolke in meinem Kopf endlich hinfort geblasen werden. Die Kugel war der Wind, der stark genug war, um das zu bewerkstelligen. Also drückte ich ab, die Augen immer noch weit aufgerissen. An den Gehirnbrocken, die vor die Wand hinter mir geschleudert wurden, blieb noch etwas von der versifften Tapete kleben, die dann mit ihnen zu Boden fiel.

    So verschwand die Wolke.

    Im Nachhinein denke ich oft darüber nach, ob es nicht auch einen anderen Weg gegeben hätte, um die Wolke zu vertreiben. Ob meine Freunde mir nicht hätten helfen können. Ob ich mit meinem guten Abischnitt nicht noch einen neuen Job gefunden hätte und ob jemals die Federwolken zurückgekehrt wären. Ob ich je wieder glücklich gewesen wäre.

    Egal wie oft ich auch darüber nachdenke, ich komme immer zu der gleichen Antwort;

    Nein.

    ENDE
    ___________________________________________________________________________

    (©2006)
    [/FONT]

  2. #2
    Cool.
    Aber wieso kommt plötzlich das Gewitter in den Kopf? Gibt es dafür eine Erklärung? Außerdem wird dieses meiner Meinung nach bei der Erklärung zu positiv dargestellt. "Etwas viel Mächtigeres", "die nur für mich regnet", "bis die Blitze den Horizont meines Bewusstseins erhellen"; das klingt eigentlich wie eine gute Sache und man fragt sich, wieso er die Wolke später so negativ auffasst.

  3. #3
    Zitat Zitat von Lucian Beitrag anzeigen
    Cool.
    Aber wieso kommt plötzlich das Gewitter in den Kopf? Gibt es dafür eine Erklärung? Außerdem wird dieses meiner Meinung nach bei der Erklärung zu positiv dargestellt. "Etwas viel Mächtigeres", "die nur für mich regnet", "bis die Blitze den Horizont meines Bewusstseins erhellen"; das klingt eigentlich wie eine gute Sache und man fragt sich, wieso er die Wolke später so negativ auffasst.
    Nimm die Wolke nicht so wörtlich. Dann versteht man das Bild leichter. Der Erzähler hat eine ganz andere Einstellung zu der "Wolke", als man vermuten mag. Da es aber nicht meine Geschichte ist werde ich sicher nicht erleutern, was ich da rein interpretiere.

    Mich hatte zuerst der Schluss etwas gestört. Die negative Einstellung Am Ende, dass es keine andere Lösung gegeben hätte. Dann fiel mir aber auf, dass es gar nicht anders hätte enden können. Das Ende spricht in gewisser Weise für die Einstellung des Erzählers. (Bitte beachten ich meine nicht den Autor)

  4. #4
    Ok, rein stilistisch erst mal sehr schön.

    Aber inhaltlich kommt sie mir wie metaphorischer Stumpfsinn vor, was eventuell auch einfach dran liegen mag, dass ichs nicht kapiere. Jemand erschießt sich und denkt im Nachhinein darüber nach, ob es auch anders gegangen wäre. Du gehst also davon aus, dass sich die Perspektive nicht ändert. Was Schwachsinn ist. Schließlich ist die Wolke weg, die für alle das zuständig war, er hat sie ja deiner Logik entsprechend rausgeschossen.
    --> Er hat sich ausnahmslos wegen dieser Wolke erschossen, der Rest der Umstände war schon immer gleich.
    --> Wieso zur Hölle kann er dann im Nachhinein denken, es wäre nicht anders gegangen? Das würde heißen, dass die Wolken im Kopf überhaupt keinen Einfluss auf uns haben.

    Eigentlich ist die Geschichte großer, religiöser Quatsch, oder ich kapiers halt nicht. Denn als reine Vorstellung a la "Was wäre wenn?" hält sie einer einfachen Betrachtung imho nicht wirklich stand.

    @Chibi: Da sist ein zweites Paradoxum, auch wenn es mir nicht so aufgefallen ist. Wenn er die Wolke erst als gut empfindet, und sich das erst später ändert, wäre es auch anders gegangen. Wird immer seltsamer. <<

    Zitat Zitat
    Das Ende spricht in gewisser Weise für die Einstellung des Erzählers. (Bitte beachten ich meine nicht den Autor)
    Pfff, immer diese Germanisten...

  5. #5
    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen
    Jemand erschießt sich und denkt im Nachhinein darüber nach, ob es auch anders gegangen wäre. Du gehst also davon aus, dass sich die Perspektive nicht ändert. Was Schwachsinn ist. Schließlich ist die Wolke weg, die für alle das zuständig war, er hat sie ja deiner Logik entsprechend rausgeschossen.
    Hätte ich am Ende ein "Ja" hingeschrieben, wäre die Atmosphäre so wie ich sie haben wollte zerstört worden. Das Ding ist, dass er sich erschossen hat. Er kann keine Perspektiven ändern, nichts mehr verbessern und auch nichts mehr lernen. Er kann nur den Schmerz in form der Wolke loswerden, und das macht er am Ende auch.

    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen
    --> Wieso zur Hölle kann er dann im Nachhinein denken, es wäre nicht anders gegangen? Das würde heißen, dass die Wolken im Kopf überhaupt keinen Einfluss auf uns haben.
    Doch, haben sie. Aber wie ich oben schon erwähnt habe, kannst du wenn du tot bist nichts mehr lernen und auch nichts mehr verändern.

    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen
    Eigentlich ist die Geschichte großer, religiöser Quatsch, oder ich kapiers halt nicht. Denn als reine Vorstellung a la "Was wäre wenn?" hält sie einer einfachen Betrachtung imho nicht wirklich stand.
    Was ist an der Geschichte religiös? Und in der Geschichte geht es auch nicht um die Frage "was wäre wenn?".

    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen
    @Chibi: Da sist ein zweites Paradoxum, auch wenn es mir nicht so aufgefallen ist. Wenn er die Wolke erst als gut empfindet, und sich das erst später ändert, wäre es auch anders gegangen. Wird immer seltsamer. <<
    Er empfindet die Wolke nicht als gut. Das ist eure Interpretation.

  6. #6
    Zitat Zitat
    Doch, haben sie. Aber wie ich oben schon erwähnt habe, kannst du wenn du tot bist nichts mehr lernen und auch nichts mehr verändern.
    Ok. Das ist ein Ansatz, den ich dann wirklich nicht gesehen habe, und wodurch das Ganze auch Sinn ergibt. Aber dadurch gefällt es mir nicht. Denn wenn er nichts mehr ändern kann, kann er ihmo auch nicht so relativ frei (und so hört es sich bei seinen Schilderungen an) darüber nachdenken. Er macht am Anfang ja sogar mehr oder minder philosophische Kommentare, und wenn er sich seit dem Moment seines Todes nicht mehr verändert hat, würde er schätzungsweise gar nicht reden. Außerdem hast du ja gesagt, die Wolke ist zerstört, womit er sich ja definitiv verändert hat (Der Schmerz ist eben weg).

    Ich halte die Idee, einen Toten in diesem Kontext reden zu lassen, inzwischen für schlecht, denn er hat ja praktisch gesehen keinen Grund dazu, dadurch wird die ganze Geschichte irgendwie hintergrundslos. Er kann schließlich eh nichts mehr verändern. Als würde er sinnlos vor sich hinplappern (und dafür ist der Anfang zu emotional).

    Zitat Zitat
    Was ist an der Geschichte religiös? Und in der Geschichte geht es auch nicht um die Frage "was wäre wenn?".
    "Was wäre wenn" war jetzt ein Missverständnis, keine Interpretation. Wenn ein Toter redet, ist das recht eindeutig ein "Was würde er sagen, wenn er könnte." @_q
    Religionen verbreiten für gewöhnlich Lehren vom Leben nach dem Tod, und das tut die Geschichte auch, immerhin redet er, selbst wenns nur ein "Was wäre wenn" ist. ^^'' Durch das, was ich jetzt religiös nennen (Man kanns natürlich auch anders betiteln) kommt glaub ich auch meine Abneigung, er spricht von Dingen, als würde er noch leben, obwohl er es nicht mehr tut.


    Zitat Zitat
    Er empfindet die Wolke nicht als gut. Das ist eure Interpretation.
    k. ._.'' Es kommt durch Lucians Zitate sehr zweischneidig rüber, als würde er erst eine Möglichkeit drin sehen, hat fast schon was von Faust. xD


    Hm... *Grummelgrübel*

  7. #7

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