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Thema: Der höchst offizielle Lyrik-Thread (kein eigener Kram!)

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  1. #1

    Der höchst offizielle Lyrik-Thread (kein eigener Kram!)

    Ein Literaturforum ohne Lyrikthread! Geht denn sowas?
    Dieser Thread soll Raum dafür bieten die Lieblingslyriker vorzustellen, über diese zu sprechen und auch um explizit auf einzelne Gedichte einzugehen und über diese zu diskutieren.

    Ein für mich persönlich sehr wichtiger Dichter ist Heinrich Heine. Seine wichtigsten Themen sind die Politik (Vormärz), die Frauen und der Humor. Ich schätze an ihm, dass er ohne zu große Bilder zu benutzen, die Liebe wundervoll schildern kann. Seine politischen Gedichte, beispielsweise das über die schlesischen Weber zeigen, sind selbst heute noch interessant. Beispielhaft für seine Gedichte sollen folgende hier stehen:

    Das Fräulein stand am Meere

    Das Fräulein stand am Meere
    Und seufzte lang und bang,
    Es rührte sie so sehre
    Der Sonnenuntergang.

    "Mein Fräulein! Sein Sie munter,
    Das ist ein altes Stück;
    Hier vorne geht sie unter
    Und kehrt von hinten zurück."


    Ich halte ihr die Augen zu
    Und küß sie auf den Mund;
    Nun läßt sie mich nicht mehr in Ruh,
    Sie fragt mich um den Grund.

    Von Abend spät bis Morgens fruh,
    Sie fragt zu jeder Stund:
    Was hältst du mir die Augen zu,
    Wenn du mir küßt den Mund?

    Ich sag ihr nicht, weshalb ichs tu,
    Weiß selber nicht den Grund
    Ich halte ihr die Augen zu
    Und küß ihr auf den Mund.


    Ein zweiter Dichter, den ich anführen möchte ist Rainer Maria Rilke. Er schafft es, Gefühle präzise zu vermitteln in dem er sie überschreibt. Seine Metaphern sind genial, weil man sie nicht interpretieren braucht, man sollte es nicht einmal tun, man versteht sie einfach auf einer emotionalen Basis und das ist eine Kunst die nur wenige Autoren verstehen. Beispielhaft für ihn soll folgendes stehen:

    Schlussstück

    Der Tod ist groß,
    Wir sind die Seinen
    lachenden Munds.
    Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
    wagt er zu weinen
    mitten in uns.


    Das Kind


    Unwillkürlich sehn sie seinem Spiel
    lange zu; zuweilen tritt das runde
    seiende Gesicht aus dem Profil,
    klar und ganz wie eine volle Stunde,

    welche anhebt und zu Ende schlägt.
    Doch die anderen zahlen nicht die Schläge,
    trüb von Mühsal und vom Leben träge;
    und sie merken gar nicht, wie es trägt-,

    wie es alles trägt, auch dann, noch immer,
    wenn es müde in dem kleinen Kleid
    neben ihnen wie im Wartezimmer
    sitzt und warten will auf seine Zeit.

    Lehnen im Abendgarten beide,
    lauschen lange nach irgendwo.
    "Du hast Hände wie weiße Seide..."
    Und da staunt sie: "Du sagst das so..."

    Etwas ist in den Garten getreten.
    und das Gitter hat nicht geknarrt,
    und die Rosen in allen Beeten
    beben vor seiner Gegenwart.


    Das soll erst einmal ein allgemeiner Eingangspost sein. Später kann man das ganze noch präzisieren, dann stelle ich auch noch ein paar Texte vor. ^^

  2. #2

    Users Awaiting Email Confirmation

    Wenn schon von Rilke die Rede ist^^:

    Am Kirchhof zu Königssaal
    (Aula regis)

    Auf schloß das Erztor der Kustode.
    Du sahst vor Blüten keine Gruft.
    Der Lenz verschleierte dem Tode
    das Angesicht mit Blust und Duft;
    da stieg wie eine Todesode
    ein Trauermantel in die Luft.

    Wir sahn ihn beide und wir schwiegen...
    Rings feierte Mittsommerlicht,
    in den Syringen summten Fliegen. -
    Da lag ein Schädel vor uns dicht;
    aus seinen leeren Augen stiegen
    verkümmerte Vergißmeinnicht.

    Der Wahnsinn

    Sie muss immer sinnen: Ich bin... ich bin...
    Wer bist du denn, Marie?
    Eine Königin, eine Königin!
    In die Kniee vor mir, in die Knie!

    Sie muss immer weinen: Ich war... ich war...
    Wer warst du denn, Marie?
    Ein Niemandskind, ganz arm und bar,
    und ich kann dir nicht sagen wie.

    Und wurdest aus einem solchen Kind
    eine Fürstin, vor der man kniet?
    Weil die Dinge alle anders sind,
    als man sie beim Betteln sieht.

    So haben die Dinge dich groß gemacht,
    und kannst du noch sagen wann?
    Eine Nacht, eine Nacht, über eine Nacht, -
    und sie sprachen mich anders an.
    Ich trat in die Gasse hinaus und sieh:
    die ist wie mit Saiten bespannt;
    da wurde Marie Melodie, Melodie...
    und tanzte von Rand zu Rand.
    Die Leute schlichen so ängstlich hin,
    wie hart an die Häuser gepflanzt, -
    denn das darf doch nur eine Königin,
    daß sie tanzt in den Gassen: tanzt!...

    Wilhelm Busch hat nicht nur gute Bildergeschichten sondern IMO auch nette Gedichte geschrieben:

    Unfrei

    Ganz richtig, diese Welt ist nichtig.
    Auch du, der in Person erscheint,
    Bist ebenfalls nicht gar so wichtig,
    Wie deine Eitelkeit vermeint.

    Was hilft es dir, damit zu prahlen,
    Daß du ein freies Menschenkind?
    Muß du nicht pünktlich Steuern zahlen,
    Obwohl sie dir zuwider sind?

    Wärst du vielleicht auch, sozusagen,
    Erhaben über Gut und Schlecht,
    Trotzdem behandelt dich dein Magen
    Als ganz gemeinen Futterknecht.

    Lang bleibst du überhaupt nicht munter.
    Das Alter kommt und zieht dich krumm
    Und stößt dich rücksichtslos hinunter
    Ins dunkle Sammelsurium.

    Daselbst umfängt dich das Gewimmel
    Der Unsichtbaren, wie zuerst,
    Eh du erschienst, und nur der Himmel
    Weiß, ob und wann du wiederkehrst.

    Beruhigt

    Zwei mal zwei gleich vier ist Wahrheit.
    Schade, daß sie leicht und leer ist,
    Denn ich wollte lieber Klarheit
    Über das, was voll und schwer ist.

    Emsig sucht ich aufzufinden,
    Was im tiefsten Grunde wurzelt,
    Lief umher nach allen Winden
    Und bin oft dabei gepurzelt.

    Endlich baut ich eine Hütte.
    Still nun zwischen ihren Wänden
    Sitz ich in der Welten Mitte,
    Unbekümmert um die Enden.

    Geändert von cloud2003 (03.12.2006 um 15:00 Uhr)

  3. #3
    Rilke find ich doof zu lesen, Emotion stimmt aber. Heine find ich eigentlich recht langweilig, aber das Liebesgedicht da ist schön. Und Busch ist einfach genial. ^^'' Hab ich früher immer stundenlang mit meiner Oma angehört.
    Was deutsche Autoren angeht, ist er der einzige mir bekannte (es gibt sicher mehr), der in einem angenehmen, sprachlichen und nicht künstlich gehobenen Stil schreibt und trotzdem intelligente Sachen dabei hat. Sein Antisemitismus hat ja glücklicherweise keine großartigen Gedichtfrüchte getragen... Sonst sind die deutschen, vor allem die ganz großen, da imho schrecklich.

    Sonst Edgar Allan Poe. Und den siene Werke muss man in Englisch einsaugen, außerdem kann man sie unmöglich alle in einen Topf werfen.


    Erstmal das Standard-Stück. Bei Poe muss man laut lesen und sich vorstellen, wie sich der gute Mann hineinsteigert. Ist imho eines der ganzen wenigen Gedichte, in denen man ewig ruminterpretieren kann, obwohl sie oberflächlich offensichtlich sind.

    The Raven

    Once upon a midnight dreary, while I pondered weak and weary,
    Over many a quaint and curious volume of forgotten lore,
    While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
    As of some one gently rapping, rapping at my chamber door.
    `'Tis some visitor,' I muttered, `tapping at my chamber door -
    Only this, and nothing more.'

    Ah, distinctly I remember it was in the bleak December,
    And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor.
    Eagerly I wished the morrow; - vainly I had sought to borrow
    From my books surcease of sorrow - sorrow for the lost Lenore -
    For the rare and radiant maiden whom the angels named Lenore -
    Nameless here for evermore.

    And the silken sad uncertain rustling of each purple curtain
    Thrilled me - filled me with fantastic terrors never felt before;
    So that now, to still the beating of my heart, I stood repeating
    `'Tis some visitor entreating entrance at my chamber door -
    Some late visitor entreating entrance at my chamber door; -
    This it is, and nothing more,'

    Presently my soul grew stronger; hesitating then no longer,
    `Sir,' said I, `or Madam, truly your forgiveness I implore;
    But the fact is I was napping, and so gently you came rapping,
    And so faintly you came tapping, tapping at my chamber door,
    That I scarce was sure I heard you' - here I opened wide the door; -
    Darkness there, and nothing more.

    Deep into that darkness peering, long I stood there wondering, fearing,
    Doubting, dreaming dreams no mortal ever dared to dream before
    But the silence was unbroken, and the darkness gave no token,
    And the only word there spoken was the whispered word, `Lenore!'
    This I whispered, and an echo murmured back the word, `Lenore!'
    Merely this and nothing more.

    Back into the chamber turning, all my soul within me burning,
    Soon again I heard a tapping somewhat louder than before.
    `Surely,' said I, `surely that is something at my window lattice;
    Let me see then, what thereat is, and this mystery explore -
    Let my heart be still a moment and this mystery explore; -
    'Tis the wind and nothing more!'

    Open here I flung the shutter, when, with many a flirt and flutter,
    In there stepped a stately raven of the saintly days of yore.
    Not the least obeisance made he; not a minute stopped or stayed he;
    But, with mien of lord or lady, perched above my chamber door -
    Perched upon a bust of Pallas just above my chamber door -
    Perched, and sat, and nothing more.

    Then this ebony bird beguiling my sad fancy into smiling,
    By the grave and stern decorum of the countenance it wore,
    `Though thy crest be shorn and shaven, thou,' I said, `art sure no craven.
    Ghastly grim and ancient raven wandering from the nightly shore -
    Tell me what thy lordly name is on the Night's Plutonian shore!'
    Quoth the raven, `Nevermore.'

    Much I marvelled this ungainly fowl to hear discourse so plainly,
    Though its answer little meaning - little relevancy bore;
    For we cannot help agreeing that no living human being
    Ever yet was blessed with seeing bird above his chamber door -
    Bird or beast above the sculptured bust above his chamber door,
    With such name as `Nevermore.'

    But the raven, sitting lonely on the placid bust, spoke only,
    That one word, as if his soul in that one word he did outpour.
    Nothing further then he uttered - not a feather then he fluttered -
    Till I scarcely more than muttered `Other friends have flown before -
    On the morrow will he leave me, as my hopes have flown before.'
    Then the bird said, `Nevermore.'

    Startled at the stillness broken by reply so aptly spoken,
    `Doubtless,' said I, `what it utters is its only stock and store,
    Caught from some unhappy master whom unmerciful disaster
    Followed fast and followed faster till his songs one burden bore -
    Till the dirges of his hope that melancholy burden bore
    Of "Never-nevermore."'

    But the raven still beguiling all my sad soul into smiling,
    Straight I wheeled a cushioned seat in front of bird and bust and door;
    Then, upon the velvet sinking, I betook myself to linking
    Fancy unto fancy, thinking what this ominous bird of yore -
    What this grim, ungainly, gaunt, and ominous bird of yore
    Meant in croaking `Nevermore.'

    This I sat engaged in guessing, but no syllable expressing
    To the fowl whose fiery eyes now burned into my bosom's core;
    This and more I sat divining, with my head at ease reclining
    On the cushion's velvet lining that the lamp-light gloated o'er,
    But whose velvet violet lining with the lamp-light gloating o'er,
    She shall press, ah, nevermore!

    Then, methought, the air grew denser, perfumed from an unseen censer
    Swung by Seraphim whose foot-falls tinkled on the tufted floor.
    `Wretch,' I cried, `thy God hath lent thee - by these angels he has sent thee
    Respite - respite and nepenthe from thy memories of Lenore!
    Quaff, oh quaff this kind nepenthe, and forget this lost Lenore!'
    Quoth the raven, `Nevermore.'

    `Prophet!' said I, `thing of evil! - prophet still, if bird or devil! -
    Whether tempter sent, or whether tempest tossed thee here ashore,
    Desolate yet all undaunted, on this desert land enchanted -
    On this home by horror haunted - tell me truly, I implore -
    Is there - is there balm in Gilead? - tell me - tell me, I implore!'
    Quoth the raven, `Nevermore.'

    `Prophet!' said I, `thing of evil! - prophet still, if bird or devil!
    By that Heaven that bends above us - by that God we both adore -
    Tell this soul with sorrow laden if, within the distant Aidenn,
    It shall clasp a sainted maiden whom the angels named Lenore -
    Clasp a rare and radiant maiden, whom the angels named Lenore?'
    Quoth the raven, `Nevermore.'

    `Be that word our sign of parting, bird or fiend!' I shrieked upstarting -
    `Get thee back into the tempest and the Night's Plutonian shore!
    Leave no black plume as a token of that lie thy soul hath spoken!
    Leave my loneliness unbroken! - quit the bust above my door!
    Take thy beak from out my heart, and take thy form from off my door!'
    Quoth the raven, `Nevermore.'

    And the raven, never flitting, still is sitting, still is sitting
    On the pallid bust of Pallas just above my chamber door;
    And his eyes have all the seeming of a demon's that is dreaming,
    And the lamp-light o'er him streaming throws his shadow on the floor;
    And my soul from out that shadow that lies floating on the floor
    Shall be lifted - nevermore!



    Dann noch dieses Kleinod, das ich absolut krank und genial finde. Man muss sich auch wieder reinsteigern, sogar nochmehr. Und man kann sich streiten, ob das deutsche "Glocken" nicht besser wirkt.

    The Bells

    I

    Hear the sledges with the bells-
    Silver bells!
    What a world of merriment their melody foretells!
    How they tinkle, tinkle, tinkle,
    In the icy air of night!
    While the stars that oversprinkle
    All the heavens, seem to twinkle
    With a crystalline delight;
    Keeping time, time, time,
    In a sort of Runic rhyme,
    To the tintinnabulation that so musically wells
    From the bells, bells, bells, bells,
    Bells, bells, bells-
    From the jingling and the tinkling of the bells.

    II

    Hear the mellow wedding bells,
    Golden bells!
    What a world of happiness their harmony foretells!
    Through the balmy air of night
    How they ring out their delight!
    From the molten-golden notes,
    And an in tune,
    What a liquid ditty floats
    To the turtle-dove that listens, while she gloats
    On the moon!
    Oh, from out the sounding cells,
    What a gush of euphony voluminously wells!
    How it swells!
    How it dwells
    On the Future! how it tells
    Of the rapture that impels
    To the swinging and the ringing
    Of the bells, bells, bells,
    Of the bells, bells, bells, bells,
    Bells, bells, bells-
    To the rhyming and the chiming of the bells!

    III

    Hear the loud alarum bells-
    Brazen bells!
    What a tale of terror, now, their turbulency tells!
    In the startled ear of night
    How they scream out their affright!
    Too much horrified to speak,
    They can only shriek, shriek,
    Out of tune,
    In a clamorous appealing to the mercy of the fire,
    In a mad expostulation with the deaf and frantic fire,
    Leaping higher, higher, higher,
    With a desperate desire,
    And a resolute endeavor,
    Now- now to sit or never,
    By the side of the pale-faced moon.
    Oh, the bells, bells, bells!
    What a tale their terror tells
    Of Despair!
    How they clang, and clash, and roar!
    What a horror they outpour
    On the bosom of the palpitating air!
    Yet the ear it fully knows,
    By the twanging,
    And the clanging,
    How the danger ebbs and flows:
    Yet the ear distinctly tells,
    In the jangling,
    And the wrangling,
    How the danger sinks and swells,
    By the sinking or the swelling in the anger of the bells-
    Of the bells-
    Of the bells, bells, bells, bells,
    Bells, bells, bells-
    In the clamor and the clangor of the bells!

    IV

    Hear the tolling of the bells-
    Iron Bells!
    What a world of solemn thought their monody compels!
    In the silence of the night,
    How we shiver with affright
    At the melancholy menace of their tone!
    For every sound that floats
    From the rust within their throats
    Is a groan.
    And the people- ah, the people-
    They that dwell up in the steeple,
    All Alone
    And who, tolling, tolling, tolling,
    In that muffled monotone,
    Feel a glory in so rolling
    On the human heart a stone-
    They are neither man nor woman-
    They are neither brute nor human-
    They are Ghouls:
    And their king it is who tolls;
    And he rolls, rolls, rolls,
    Rolls
    A paean from the bells!
    And his merry bosom swells
    With the paean of the bells!
    And he dances, and he yells;
    Keeping time, time, time,
    In a sort of Runic rhyme,
    To the paean of the bells-
    Of the bells:
    Keeping time, time, time,
    In a sort of Runic rhyme,
    To the throbbing of the bells-
    Of the bells, bells, bells-
    To the sobbing of the bells;
    Keeping time, time, time,
    As he knells, knells, knells,
    In a happy Runic rhyme,
    To the rolling of the bells-
    Of the bells, bells, bells:
    To the tolling of the bells,
    Of the bells, bells, bells, bells-
    Bells, bells, bells-
    To the moaning and the groaning of the bells.

    Geändert von La Cipolla (08.12.2006 um 19:57 Uhr)

  4. #4
    nicht, dass es mich überraschte, dass dieser thread schon fast untergegangen ist...und doch will ich ihn noch ein wenig kitzeln...

    zunächst zu heine:
    heine war ein brillianter zyniker und in keinster weise langweilig. was sich der gute henri da aus dem munde gezogen hat, immer die damilige zeit vor augen, ist schon erstaunlich. ich war letztens auf einem heinrich heine abend meines ehemaligen gymansiums und ich muss sagen, heine war ne coole sau.

    und wen ich hier bitte bitte nicht ignoriert lassen möchte sind die deutschen expressionisten!

    allen voran else lasker-schüler, die ich als eine der Herausragendsten unter den deutschen Lyrikern erwähnen will.

    (eines ihrer bekanntesten)

    HÖRE

    Ich raube in den Nächten
    Die Rosen deines Mundes,
    Daß keine Weibin Trinken findet.

    Die dich umarmt,
    Stiehlt mir von meinen Schauern,
    Die ich um deine Glieder malte.

    Ich bin dein Wegrand.
    Die dich streift,
    Stürzt ab.

    Fühlst du mein Lebtum
    Überall
    Wie ferner Saum?

    Dazu kommt selbstredend noch Gottfried Benn, den man gar nicht vergessen kann, wenn man von Else Lasker-Schüler spricht.


    Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke

    Der Mann:
    Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße
    und diese Reihe ist zerfallene Brust.
    Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.

    Komm, hebe ruhig diese Decke auf.
    Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,
    das war einst irgendeinem Mann groß
    und hieß auch Rausch und Heimat.

    Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.
    Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?
    Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.

    Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.
    Kein Mensch hat soviel Blut.
    Hier dieser schnitt man
    erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.

    Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. - Den Neuen
    sagt man: hier schläft man sich gesund. - Nur sonntags
    für den Besuch läßt man sie etwas wacher.

    Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken
    sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal
    wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.

    Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.
    Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort,
    Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.

  5. #5
    ich bin zwar nicht so der gedichtfreund (beispielsweise find ich alle bisher geposteten total kacke, aber unwichtig, gedichte hassen mich und ich hasse gedichte) aber dennoch kenne ich ein paar richtig gute, die über alles erhaben sind, weil sie einfach gut sind.

    von lovecraft zum beispiel
    H.P. Lovecaft - The City

    It was golden and splendid,
    That City of light;
    A vision suspended
    In deeps of the night;
    A region of wonder and glory, whose temples were marble and white.

    I remember the season
    It dawn'd on my gaze;
    The mad time of unreason,
    The brain-numbing days
    When Winter, white-sheeted and ghastly, stalks onward to torture and craze.

    More lovely than Zion
    It shone in the sky
    When the beams of Orion
    Beclouded my eye,
    Bringing sleep that was filled with dim mem'ries of moments obscure and gone by.

    Its mansions were stately,
    With carvings made fair,
    Each rising sedately
    On terraces rare,
    And the gardens were fragrant and bright with strange miracles blossoming there.

    The avenues lur'd me
    With vistas sublime;
    Tall arches assur'd me
    That once on a time
    I had wander'd in rapture beneath them, and bask'd in the Halcyon clime.

    On the plazas were standing
    A sculptur'd array;
    Long bearded, commanding,
    rave men in their day--
    But one stood dismantled and broken, its bearded face battered away.

    In that city effulgent
    No mortal I saw,
    But my fancy, indulgent
    To memory's law,
    Linger'd long on the forms in the plazas, and eyed their stone features with awe.

    I fann'd the faint ember
    That glow'd in my mind,
    And strove to remember
    The aeons behind;
    To rove thro' infinity freely, and visit the past unconfin'd.

    Then the horrible warning
    Upon my soul sped
    Like the ominous morning
    That rises in red,
    And in panic I flew from the knowledge of terrors forgotten and dead.


    _

    okay, und dann denke ich müsste in so einem thread wenigstens noch ein klassiches beatnik gedicht stehen.

    Allen Ginsberg - Five A.M.

    [FONT=Arial]Elan that lifts me above the clouds[/FONT]
    [FONT=Arial]into pure space, timeless, yea eternal[/FONT]
    [FONT=Arial]Breath transmuted into words[/FONT]
    [FONT=Arial]Transmuted back to breath[/FONT]
    [FONT=Arial]in one hundred two hundred years[/FONT]
    [FONT=Arial]nearly Immortal, Sappho's 26 centuries[/FONT]
    [FONT=Arial]of cadenced breathing -- beyond time, clocks, empires, bodies, cars,[/FONT]
    [FONT=Arial]chariots, rocket ships skyscrapers, Nation empires[/FONT]
    [FONT=Arial]brass walls, polished marble, Inca Artwork[/FONT]
    [FONT=Arial]of the mind -- but where's it come from?[/FONT]
    [FONT=Arial]Inspiration? The muses drawing breath for you? God?[/FONT]
    [FONT=Arial]Nah, don't believe it, you'll get entangled in Heaven or Hell --[/FONT]
    [FONT=Arial]Guilt power, that makes the heart beat wake all night[/FONT]
    [FONT=Arial]flooding mind with space, echoing through future cities, Megalopolis or[/FONT]
    [FONT=Arial]Cretan village, Zeus' birth cave Lassithi Plains -- Otsego County[/FONT]
    [FONT=Arial]farmhouse, Kansas front porch?[/FONT]
    [FONT=Arial]Buddha's a help, promises ordinary mind no nirvana --[/FONT]
    [FONT=Arial]coffee, alcohol, cocaine, mushrooms, marijuana, laughing gas?[/FONT]
    [FONT=Arial]Nope, too heavy for this lightness lifts the brain into blue sky[/FONT]
    [FONT=Arial]at May dawn when birds start singing on East 12th street --[/FONT]
    [FONT=Arial]Where does it come from, where does it go forever?[/FONT]

  6. #6
    Folgendes von Annette von Droste-Hülshoff mussten wir im Vorabi interpretieren, leichter gings kaum. Mir gefällt es inzwischen aber gut, weils sich schön liest und so schön simpel ist, und genau auf dem Grad zwischen Kitsch und Lyrik, den ich mag.


    Am Turme (1845)

    Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
    Umstrichen vom schreienden Stare,
    Und lass' gleich einer Mänade den Sturm
    Mir wühlen im flatternden Haare;
    O wilder Geselle, o toller Fant,
    Ich möchte dich kräftig umschlingen,
    Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
    Auf Tod und Leben dann ringen!

    Und drunten seh' ich am Strand, so frisch
    Wie spielende Doggen, die Wellen
    Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch,
    Und glänzende Flocken schnellen.
    O, springen möcht' ich hinein alsbald,
    Recht in die tobende Meute,
    Und jagen durch den korallenen Wald
    Das Walroß, die lustige Beute!

    Und drüben seh ich ein Wimpel wehn
    So keck wie eine Standarte,
    Seh auf und nieder den Kiel sich drehn
    Von meiner luftigen Warte;
    O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
    Das Steuerruder ergreifen,
    Und zischend über das brandende Riff
    Wie eine Seemöve streifen.

    Wär' ich ein Jäger auf freier Flur,
    Ein Stück nur von einem Soldaten,
    Wär' ich ein Mann doch mindestens nur,
    So würde der Himmel mir raten;
    Nun muß ich sitzen so fein und klar,
    Gleich einem artigen Kinde,
    Und darf nur heimlich lösen mein Haar,
    Und lassen es flattern im Winde!

  7. #7
    Hm, dieser Gottfried Benn hat was von Trakl...
    Aber das ist ja ohnehin irgendwie so eine Sache, diese Art von Expressionismus - ich mag ja Trakl wirklich gerne, aber irgendwo ist es dann wirklich immer dasselbe. Man muss dem aber auch zugute halten, dass er ja nicht viel Zeit hatte, zu schreiben... mit 27 ist er, glaube ich, gestorben.
    Und dann war es eben, dass allem, was er schrieb, durch diese Grodek-Schlacht ein "purpurner" Schleier anhing - naja, und das sind dann auch alle Gedichte, purpur. Und dadurch, dass er nicht gerade didaktisch ist, sondern eben meist nur Expressionist. Und Effekte erzielt er, aber wenn man länger Gedichte von ihm liest, dann findet man immer dieselben Themen und immer dieselben Worte...
    Und Gottfried Benn hat da noch einen nüchternere Farbton (so weit ich das ablesen konnte aus dem Gedicht. Ich muss sagen, dass ich ihn vorher nicht kannte).
    Ein kurzes Beispiel zu Trakl, nur mal so zur Veranschaulichung - auch sein bekanntestes, aber enthält im Grunde alles, was ein Trakl-Gedicht braucht:


    Grodek
    Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
    Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
    Und blauen Seen, darüber die Sonne
    Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
    Sterbende Krieger, die wilde Klage
    Ihrer zerbrochenen Münder.
    Doch stille sammelt im Weidengrund
    Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
    Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
    Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
    Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
    Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain1,
    Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
    Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
    O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
    Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
    Die ungebornen Enkel.


    Zugegeben, die Parallele zu Benn ist hier nicht so deutlich wie es vielleicht bei Trakls "Die junge Magd" der Fall gewesen wäre, aber das ist so lang.
    Ich finde lange Gedichte in solchen Threads unangemessen, wenn man eigentlich nur Eindrücke sammeln möchte.

  8. #8
    Ich möchte auch ein Gedicht vorstellen, das mir Stan mal irgendwann vor ewigen Zeiten gezeigt hat, und das mich damals ziemlich schwer beeindruckt hat. Ich finde den Stil sehr interessant und ich glaube es bringt auch diese ganzen Gefühle die man beim Verliebtsein hat auf den Punkt, diese Achterbahnfahrt, Geschwindigkeit, auf und hab, Rasierei. Außerdem ist es sehr unterhaltsam

    An Anna Blume

    Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
    Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir?
    Das gehört beiläufig nicht hierher!
    Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
    Die Leute sagen, Du wärest.
    Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
    Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
    Auf den Händen wanderst Du.
    Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
    Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
    Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, ----- wir?
    Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
    Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?
    Preisfrage:
    1. Anna Blume hat ein Vogel,
    2. Anna Blume ist rot.
    3. Welche Farbe hat der Vogel?
    Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
    Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
    Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
    Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
    Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, ---- wir!
    Das gehört beiläufig in die ---- Glutenkiste.
    Anna Blume, Anna, A----N----N----A!
    Ich träufle Deinen Namen.
    Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
    Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
    Man kann Dich auch von hinten lesen.
    Und Du, Du Herrlichste von allen,
    Du bist von hinten, wie von vorne:
    A------N------N------A.
    Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
    Anna Blume,
    Du tropfes Tier,
    Ich-------liebe-------Dir!

  9. #9
    An Irish Airman Foresees His Death

    I know that I shall meet my fate
    Somewhere among the clouds above;
    Those that I fight I do not hate,
    Those that I guard I do not love;
    My country is Kiltartan Cross,
    My countrymen Kiltartan's poor,
    No likely end could bring them loss
    Or leave them happier than before.
    Nor law, nor duty bade me fight,
    Nor public men, nor cheering crowds,
    A lonely impulse of delight
    Drove to this tumult in the clouds;
    I balanced all, brought all to mind,
    The years to come seemed waste of breath,
    A waste of breath the years behind
    In balance with this life, this death.

    ~ William Butler Yeats

  10. #10
    Und Wenn

    Und wenn ein Zweig ans Fenster schlaegt,
    Und wenn die Pappeln rauschen,
    Ist's dass ich wieder tief bewegt
    Dir nahe, um zu lauschen.

    Und funkeln Sterne aus dem See,
    Erhellend seine Tiefen,
    So lindern Sehensucht sich und Weh,
    Die lang im Herzen schliefen.

    Und wenn der dichten Wolken Ziehn,
    Die Mondesstrahlen traenken,
    Ist's, dass ich neu verzaubert bin
    Von deinem Angedenken.

    Mihai Eminescu



    Der Wanderer

    Es geht ein Wandrer durch die Nacht
    Mit gutem Schritt;
    Und krummes Thal und lange Höhn --
    Er nimmt sie mit.
    Die Nacht ist schön --
    Er schreitet zu und steht nicht still,
    Weiß nicht, wohin sein Weg noch will.
    Da singt ein Vogel durch die Nacht:
    'Ach Vogel, was hast du gemacht!
    Was hemmst du meinen Sinn und Fuß
    Und gießest süßen Herz-Verdruß
    In's Ohr mir, daß ich stehen muß
    Und lauschen muß -- --
    Was lockst du mich mit Ton und Gruß?' --

    Der gute Vogel schweigt und spricht:
    'Nein, Wandrer, nein! Dich lock' ich nicht
    Mit dem Getön --
    Ein Weibchen lock' ich von den Höhn --
    Was geht's dich an?
    Allein ist mir die Nacht nicht schön.
    Was geht's dich an? Denn du sollst gehn
    Und nimmer, nimmer stille stehn!
    Was stehst du noch?
    Was that mein Flötenlied dir an,
    Du Wandersmann?'

    Der gute Vogel schweig und sann:
    'Was that mein Flötenlied ihm an?
    Was steht er noch? --
    Der arme, arme Wandersmann!'

    Friedrich Nietzsche

    Geändert von Suwarin (12.04.2008 um 14:41 Uhr)

  11. #11
    Mein absoluter Liebling (!!!):

    The Genius Of The Crowd - Charles Bukowski (Youtube)

    there is enough treachery, hatred violence absurdity in the average
    human being to supply any given army on any given day

    and the best at murder are those who preach against it
    and the best at hate are those who preach love
    and the best at war finally are those who preach peace

    those who preach god, need god
    those who preach peace do not have peace
    those who preach peace do not have love

    beware the preachers
    beware the knowers
    beware those who are always reading books
    beware those who either detest poverty
    or are proud of it
    beware those quick to praise
    for they need praise in return
    beware those who are quick to censor
    they are afraid of what they do not know
    beware those who seek constant crowds for
    they are nothing alone
    beware the average man the average woman
    beware their love, their love is average
    seeks average

    but there is genius in their hatred
    there is enough genius in their hatred to kill you
    to kill anybody
    not wanting solitude
    not understanding solitude
    they will attempt to destroy anything
    that differs from their own
    not being able to create art
    they will not understand art
    they will consider their failure as creators
    only as a failure of the world
    not being able to love fully
    they will believe your love incomplete
    and then they will hate you
    and their hatred will be perfect

    like a shining diamond
    like a knife
    like a mountain
    like a tiger
    like hemlock

    their finest art

    Dann noch was von Hemingway:

    The Age Demand

    The age demanded that we sing
    And cut away our tongue.

    The age demanded that we flow
    And hammered in the bung.

    The age demanded that we dance
    And jammed us into iron pants.

    And in the end the age was handed
    The sort of shit that it demanded.

  12. #12
    "Dolores" von Algernon Swinburne, das mich alle Jubeljahre mal wieder in seinen Bann schlägt (angespornt durch Sandman und Pages of Pain, zwei Fantasy-Medien, die sich darauf beziehen), obwohl es so ungemein düster und seltsam ist. Im Spoiler unten ist der ganze Text, aber weil es so lang ist, hier erstmal ein Ausschnitt, den ich sehr eingängig finde.

    [...]

    By the hunger of change and emotion
    By the thirst of unbearable things,
    By despair, the twin-born of devotion
    By the pleasure that winces and stings,
    The delight that consumes the desire,
    The desire that outruns the delight,
    By the cruelty deaf as a fire
    And blind as the night,

    By the ravenous teeth that have smitten
    Through the kisses that blossom and bud,
    By the lips intertwisted and bitten
    Till the foam has a savour of blood,
    By the pulse as it rises and falters,
    By the hands as they slacken and strain,
    I adjure thee, respond from thine altars,
    Our Lady of Pain.

    [...]



    Geändert von La Cipolla (12.11.2010 um 13:33 Uhr)

  13. #13
    Ich bin so einer, der sich nich festlegen kann. Das meiste davon lässt sich wunderbar singen, das chinesische ist sogar eigentlich ein Liedtext, dafür aber nicht weniger poetisch als ein Gedicht. Ich habe mir erlaubt, hier und da meine Eigenübersetzungen hinzuzufügen.
















    Im Übrigen hatten wir so einen Thread schonmal, aber den hier find ich legitimer.

    Geändert von Mordechaj (12.11.2010 um 14:10 Uhr)

  14. #14
    Oh, du hast natürlich Recht. Hab ihn nicht gefunden und schiebe mal. >_> (Oder wieso findest du den hier legitimer?)

  15. #15
    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen
    (Oder wieso findest du den hier legitimer?)
    Er ist - bzw. war - neuer und sein Titel ist einleuchtender. ^^"
    Joa, meine Legimitätsvorstellungen sind etwas oberflächlich.

    Wie dem auch sei.

  16. #16
    Meine Lieblinge:


    Georg Trakl
    Sommer

    Am Abend schweigt die Klage
    des Kuckucks im Wald.
    Tiefer neigt sich das Korn,
    der rote Mohn.

    Schwarzes Gewitter droht
    über dem Hügel.
    Das alte Lied der Grille
    erstirbt im Feld.

    Nimmer regt sich das Laub
    der Kastanie.
    Auf der Wendeltreppe
    rauscht dein Kleid.

    Stille leuchtet die Kerze
    im dunklen Zimmer;
    eine silberne Hand
    löschte sie aus;

    windstille, sternlose Nacht.



    Bertolt Brecht
    An die Nachgeborenen

    Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
    Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
    Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
    Hat die furchtbare Nachricht
    Nur noch nicht empfangen.

    Was sind das für Zeiten, wo
    Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
    Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
    Der dort ruhig über die Straße geht
    Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
    Die in Not sind?

    Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
    Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
    Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
    Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)

    Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
    Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
    Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
    Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
    Und doch esse und trinke ich.

    Ich wäre gerne auch weise.
    In den alten Büchern steht, was weise ist:
    Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
    Ohne Furcht verbringen
    Auch ohne Gewalt auskommen
    Böses mit Gutem vergelten
    Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
    Gilt für weise.
    Alles das kann ich nicht:
    Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
    [...]


    Bertolt Brecht
    Die Liebenden

    Sieh jene Kraniche in großem Bogen!
    Die Wolken, welche ihnen beigegeben
    Zogen mit ihnen schon, als sie entflogen
    Aus einem Leben in ein andres Leben
    In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
    Scheinen sie alle beide nur daneben.
    Daß so der Kranich mit der Wolke teile
    Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
    Daß also keines länger hier verweile
    Und keines andres sehe als das Wiegen
    Des andern in dem Wind, den beide spüren
    Die jetzt im Fluge beieinander liegen
    So mag der Wind sie in das Nichts entführen
    Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
    Solange kann sie beide nichts berühren
    Solange kann man sie von jedem Ort vertreiben
    Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
    So unter Sonn und Monds wenig verschiedenen Scheiben
    Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
    Wohin ihr? Nirgendhin. Von wem davon? Von allen.
    Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen? Seit kurzem.
    Und wann werden sie sich trennen? Bald.
    So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.


    Rainer Maria Rilke
    Ob auch die Stunden
    uns wieder entfernen ...
    wir sind immer zusammen
    im Traum,
    wie unter einem
    aufblühendem Baum.
    Wir werden die Worte,
    die laut sind, verlernen
    und von uns reden
    wie Sterne von Sternen.
    Alle lauten Worte verlernen,
    wie unter einem
    aufblühenden Baum.


    - Christian Morgenstern -
    Warum erfüllen uns Gräser, eine Wiese, ein Baum mit so reiner Lust ?
    Weil wir da Lebendiges vor uns sehen, das nur von außen her zerstört werden kann, nicht durch sich selbst.
    Der Baum wird nie an gebrochenem Herzen sterben und das Gras nie seinen Verstand verlieren.
    Von außen droht ihnen jede mögliche Gefahr, von innen her aber sind sie gefeit.
    Sie fallen sich nicht selbst in den Rücken wie der Mensch mit seinem Geist und ersparen uns damit
    das wiederholte Schauspiel unseres eigenen zweideutigen Lebens.


    (Gottfried Benn)
    Restaurant

    Der Herr drüben bestellt sich noch ein Bier,
    das ist mir angenehm, dann brauche ich mir keinen Vorwurf zu machen
    daß ich auch gelegentlich einen zische.
    Man denkt immer gleich, man ist süchtig,
    in einer amerikanischen Zeitschrift las ich sogar,
    jede Zigarette verkürze das Leben um sechsunddreißig Minuten,
    das glaube ich nicht, vermutlich steht die Coca-Cola-Industrie
    oder eine Kaugummifabrik hinter dem Artikel.

    Ein normales Leben, ein normaler Tod
    das ist auch nichts. Auch ein normales Leben
    führt zu einem kranken Tod. Überhaupt hat der Tod
    mit Gesundheit und Krankheit nichts zu tun,
    er bedient sich ihrer zu seinem Zwecke.

    Wie meinen sie das: der Tod hat mit Krankheit nichts zu tun?
    Ich meine das so: viele erkranken, ohne zu sterben,
    also liegt hier noch etwas anderes vor,
    ein Fragwürdigkeitsfragment,
    ein Unsicherheitsfaktor,
    er ist nicht so klar umrissen,
    hat auch keine Hippe,
    beobachtet, sieht um die Ecke, hält sich sogar zurück
    und ist musikalisch in einer anderen Melodie.


    Gottfried Benn
    Nur zwei Dinge

    Durch so viel Form geschritten,
    durch Ich und Wir und Du,
    doch alles blieb erlitten
    durch die ewige Frage: wozu?

    Das ist eine Kinderfrage.
    Dir wurde erst spät bewußt,
    es gibt nur eines: ertrage
    - ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
    dein fernbestimmtes: Du mußt.

    Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
    was alles erblühte, verblich,
    es gibt nur zwei Dinge: die Leere
    und das gezeichnete Ich.


    Ingeborg Bachmann
    Was wahr ist

    Was wahr ist, streut nicht Sand in deine Augen,
    was wahr ist, bitten Schlaf und Tod dir ab
    als eingefleischt, von jedem Schmerz beraten,
    was wahr ist, rückt den Stein von deinem Grab.

    Was wahr ist, so entsunken, so verwaschen
    in Keim und Blatt, im faulen Zungenbett
    ein Jahr und noch ein Jahr und alle Jahre -
    was wahr ist, schafft nicht Zeit, es macht sie wett.

    Was wahr ist, zieht der Erde einen Scheitel,
    kämmt Traum und Kranz und die Bestellung aus,
    es schwillt sein Kamm und voll gerauften Früchten
    schlägt es in dich und trinkt dich gänzlich aus.

    Was wahr ist, unterbleibt nicht bis zum Raubzug,
    bei dem es dir vielleicht ums Ganze geht.
    Du bist sein Raub beim Aufbruch deiner Wunden;
    nichts überfällt dich, was dich nicht verrät.

    Es kommt der Mond mit den vergällten Krügen.
    So trinkt dein Maß. Es sinkt die bittre Nacht.
    Der Abschaum flockt den Tauben ins Gefieder,
    wird nicht ein Zweig in Sicherheit gebracht.

    Du haftest in der Welt, beschwert von Ketten,
    doch treibt, was wahr ist, Sprünge in die Wand.
    Du wachst und siehst im Dunkeln nach dem Rechten,
    dem unbekannten Ausgang zugewandt.


    P. Celan
    Psalm

    Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
    niemand bespricht unseren Staub.
    Niemand.

    Gelobt seist du , Niemand.
    Dir zulieb wollen
    wir blühn.
    Dir
    entgegen.

    Ein Nichts
    waren wir, sind wir, werden
    wir bleiben, blühend:
    die Nichts-, die
    Niemandsrose.

    Mit
    dem Griffel seelenhell
    dem Staubfaden himmelswüst
    der Krone rot
    vom Purpurwort, das wir sangen
    über, o über
    dem Dorn.


    P. Celan
    Corona

    Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
    Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen:
    die Zeit kehrt zurück in die Schale.

    Im Spiegel ist Sonntag,
    im Traum wird geschlafen,
    der Mund redet wahr.

    Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
    wir sehen uns an,
    wir sagen uns Dunkles,
    wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
    wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
    wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

    Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
    es ist Zeit, daß man weiß!
    Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
    daß der Unrast ein Herz schlägt.
    Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

    Es ist Zeit.


    P.Celan
    Auszug aus "Engführung"

    Kam, kam.
    Kam ein Wort, kam,
    kam durch die Nacht,
    wollt leuchten, wollt leuchten.

    Asche.
    Asche, Asche.
    Nacht.
    Nacht-und-Nacht. -- Zum
    Aug geh, zum feuchten.


    * Zum Aug geh, zum feuchten --

    Orkane.
    Orkane, von je,
    Partikelgestöber, das andre,
    du
    weißts ja, wir
    lasens im Buche, war
    Meinung.

    War, war
    Meinung. Wie
    faßten wir uns
    an -- an mit
    diesen
    Händen?

    Es stand auch geschrieben, daß.
    Wo? Wir
    taten ein Schweigen darüber,
    giftgestillt, groß,
    ein
    grünes
    Schweigen, ein Kelchblatt, es
    hing ein Gedanke an Pflanzliches dran --

    grün, ja
    hing, ja
    unter hämischem
    Himmel.

    (gelesen vom Autor selber: http://www.youtube.com/watch?v=Zj1XI...eature=related)


    Samhain
    mondenkind

    .

    Hört ihr
    wie die Tore knarren
    zwischenweltlich
    heute Nacht

    Hört
    das Flüstern
    ihrer Seelen
    frei und leicht
    zerspinstert sacht

    Seht nur
    wie sie fließend eilen
    angelockt
    vom Kerzenlicht

    Seht
    das Leuchten
    ihrer Sphären
    wenn Freude sich
    mit Sehnsucht mischt

    Spürt nur
    wie für den Moment
    das Leben
    sie zurückgewinnt

    um einmal noch
    sanft zu berührn
    bevor man lächelnd
    Abschied nimmt

    .

    Die Autorin findet ihr hier: http://keinverlag.de/texte.php?text=284004


    Georges Bernanos
    "Wir alle müssen das Leben meistern. Aber die einzige Art, es zu meistern, besteht darin, es zu lieben.“


  17. #17
    In sô hôher swebender wunne

    In sô hôher swebender wunne
    Sô gestuont mîn herze ane vröiden nie.
    Ich var, als ich vliegen kunne,
    Mit gedanken iemer umbe sie,
    Sît daz mich ir trôst enpfie,
    Der mir durch die sêle mîn
    Mitten in daz herze gie.

    Swaz ich wunneclîches schouwe,
    Daz spile gegen der wunne, die ich hân.
    Luft und erde, walt und ouwe
    Suln die zît der vröide mîn enpfân.
    Mir ist komen ein hügender wân
    Und ein wunneclîcher trôst,
    Des mîn muot sol hôhe stân.

    Wol dem wunneclîchen maere,
    Daz sô suoze durch mîn ôre erklanc,
    Und der sanfte tuonder swaere,
    Diu mit vröiden in mîn herze sanc,
    Dâ von mir ein wunne entspranc,
    Diu vor liebe alsam ein tou
    Mir ûz von den ougen dranc.

    Saelic sî diu süeze stunde,
    Saelic sî diu zît, der werde tac,
    Dô daz wort gie von ir munde,
    Daz dem herzen mîn sô nâhen lac,
    Daz mîn lîp von vröide erschrac,
    Und enweiz von liebe joch,
    Waz ich von ir sprechen mac.


    (Heinrich von Morungen, um 1225)

  18. #18
    ... از جمادی مُردم و نامی شدم

    از جمادی مُردم و نامی شدم — وز نما مُردم به‌حیوان سرزدم

    مُردم از حیوانی و آدم شدم — پس چه ترسم؟ کی ز مردن کم شدم؟

    حمله دیگر بمیرم از بشر — تا برآرم از ملائک بال و پر

    وز ملک هم بایدم جستن ز جو — کل شیء هالک الا وجهه

    بار دیگر از ملک پران شوم — آنچه اندر وهم ناید آن شوم

    پس عدم گردم عدم چو ارغنون — گویدم کانا الیه راجعون
    ~Rumi
    Als Teil der Erde starb ich...
    Als Teil der Erde starb ich und wurde Pflanze,
    Als Pflanze starb ich und wuchs zum Tiere,
    Ich starb als Tier und ich ward Mensch.
    Warum sei da Furcht? Wann machte mich das Sterben je geringer?
    Noch einmal soll als Mensch ich sterben, um aufzusteigen,
    Himmelwesen gezeiht; doch selbst vom Engelsein
    muss ich hinwegscheiden: Alles außer H' muss sterben.
    Und wenn meine Engelsseele dahingegeben ist,
    Werde ich, was kein Geist je zu erdenken war.
    Oh, heb mein Dasein auf! Denn Nichtsein
    kündet im Orgeltone:
    In H' kehren wir zurück.

    (Übersetzung judaisiert)

    Geändert von Mordechaj (04.02.2011 um 18:00 Uhr)

  19. #19
    Der Duft --- Die Rose

    Im Himmelsrosenhag sprach eine Huri:
    »Ich habe nie, was jenseits ist, erkannt.

    Was ist das: Tag und Nacht, und Morgen, Abend?
    Geburt und Tod, sie kennt nicht mein Verstand.«

    Zum Dufthauch ward sie, sprosst' am Rosenzweige -
    So setzte sie den Fuss in dieses Land.

    Das Auge tat sie auf, ward Knospe, lächelnd,
    Ward Rose - Blatt um Blatt fiel in den Sand,

    Und von der Zarten, die die Fesseln löste
    Blieb nur ein Ach - man hat es Duft genannt.

    ~Iqbal

  20. #20
    Cause And Effect

    the best often die by their own hand
    just to get away,
    and those left behind
    can never quite understand
    why anybody
    would ever want to
    get away
    from
    them

    ~Charles Bukowski

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