Weiter Himmel. Wolken türmen sich wie riesige Monumente von aus Asche durchdrungener Watte auf, Grau und Schwer. Sie hängen ziemlich tief und ich warte auf den Regen. Direkt über mir ist alles noch blau und eher ereignislos.
Ich atme ein.
Gras, voll gesaugt mit dem morgendlichen Tau, der hier selbst im Sommer fällt. Hier ist immer alles irgendwie Nass.
Eigentlich stand ich nie auf diesen Naturscheiß. Bis ich dann mal wirklich da war. Aber das ist ne andere Geschichte, die hier nichts zu suchen hat. Im Moment geht es um was anderes.
Im Moment sehe ich zu, wie sich der Regen aufbäumt um die großen grauen Schwämme am Himmel zu verlassen. Der Wind geht jetzt stärker und auf meiner Haut ist ein leichtes Prickeln zu verspüren, ausgelöst von Millionen kleinen Partikeln, die von einer mir unbekannten Kraft durch die Welt geschleudert werden, und das auslösen, was man im allgemeinen „Wind“ nennt. Zu klein fürs Auge, aber spürbar. Die meisten Leute denken, dass ein Wind halt einfach da ist und dass sie ihn spüren, aber das ist nicht wahr. Wind ist ein eigenständiges Wesen, eine art Extelligenz, die irgendwo ausgelöst wird, sich mit anderen zusammenschließt und irgendwann unkontrollierbar durch die Welt zieht, um irgendwas zu tun. Wind trägt alles mit sich, was leicht genug ist, um von ihm mitgenommen zu werden, und das ist es, was wir spüren. Unzählige kleine Dinge, die an uns herangetragen werden, um an unserer Haut abzuprallen und Weiterzuziehen. Manche dieser Dinge sind so klein, das sie durch die Molekularstruktur unseres Körpers dringen und auf der anderen Seite wieder austreten. Sie bemerken uns wahrscheinlich nicht einmal, so schnell geht das. Mal davon abgesehen, dass sie keine Sinne haben, um überhaupt etwas bewusst wahrzunehmen.
Trotzdem müssen sie irgendeinen Effekt haben. Die äußeren sind klar, wir spüren sie alle, wenn uns ein Luftzug streift. Aber was ist mit den inneren? Wir werden ständig durchdrungen von diesen kleinen Dingern, die so ziellos umherrasen. Einige sind angeblich sogar außerhalb der Zeit und andere tauchen einfach irgendwo aus dem nichts auf und verschwinden wieder. Ich hab diese Wissenschaftlichen Theorien immer als etwas verstanden, was nur im groben mit mir zu tun hat. Ich hab nie daran gedacht, dass sich ein Partikel in meinem inneren Manifestieren könnte, um dann einfach wieder zu verschwinden. Aber wenn ich hier draußen stehe, meine Augen auf die immer näher kommenden Wolken richte und spüre, wie alles mögliche in mir vorgeht, dann weiß ich, das ich niemals von der so genannten Außenwelt abgeschlossen bin.
Ein Zittern liegt in der Luft. Die Wolken sind fast über mir und ich kann den ersten Tropfen spüren, der wie eine Wasserbombe auf meinem Gesicht aufschlägt, kleine Spritzer über meine Stirn schießen lässt und ein angenehmes Prickeln auslöst, als er sich wieder zu seiner eigenen Form aus Wasser zusammenzieht.
Ich wische ihn weg, als er durch meine Augenbraue rinnt.
Ich warte. Ich weiß nicht, worauf. Vermutlich darauf, das irgendetwas geschieht. Oder habe ich bereits aufgehört zu warten? Ich verspüre kein Verlangen, aber auch keinen Verlust. Die meisten Menschen warten auf irgendetwas. Sie sehen die Wolken, und warten auf den Regen. Wenn der Regen kommt, warten sie darauf, dass er wieder aufhört. Wenn er aufhört, warten sie darauf, dass sich die Wolken verziehen, und die Sonne herauskommt. Wenn die Sonne kommt, warten sie auf die Nacht, um sich schlafen legen zu können.
Der Regen dröhnt über mir, als ich meine Kapuze über meinen Kopf ziehe. Eigentlich schon zu spät, mein Gesicht ist bereits vollkommen nass. Aber die Kapuze hält das Wasser aus meinen Augen, so dass ich weiter beobachten kann. Sehen. Das Licht durchdringt die sich über mir entladenen Wolken kaum noch, und ein leises, unregelmäßiges Dröhnen ist zu hören, als weit über mir kalte auf heiße Luft stößt und Elektrische Ladungen aufeinanderprallen. Das Dröhnen wird zum Donner, und lange violette Blitze zucken durch die Wolken. Ich schließe einen Moment lang die Augen und höre auf die Geräusche, die um mich herum die Welt verschlucken. Ich kann spüren, wie das Wasser meine Schuhe durchdringt, wie meine Hose an meinen Beinen klebt, und wie die Elektrizität jedes Haar auf meiner Haut zum Zittern bringt. Das Wasser steigt und ich kann fühlen wie es sich über mir verdichtet. Einen Moment lang stoppt der Wind und ich öffne meine Augen. Die Welt scheint nicht mehr da zu sein und doch kann ich sie schmecken wenn der Regen meine Lippen trifft und sehen, wenn Blitze grelle Schatten auf den Boden werfen. Jeder einzelne Grashalm scheint dann für sich allein zu stehen. Doch nur einen Augenblick, nichtmal eine Sekunde. Ich schließe meine Lider wieder und breite meine Arme aus. Verstecke mich nicht mehr, ich werd zum Wind, und atme aus.