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Ritter
Die Geschichte von Nora der Rockerin
Ein süsslicher Geruch schlug ihr aus der Wohnung entgegen.
Norbert, ein kleiner, wie ein Geier aussehender Junge mit Pickelgesicht, stand im Türrahmen und machte ein Gesicht als hätte er einen Engel gesehen.
„Nora!“, sagte er und lächelte ein schiefes Lächeln, das allerhand schwarze und verfaulte Zähne entblösste. „Sieht man dich auch wieder einmal? Komm doch herein.“
Sie sagte nichts, musterte ihn nur abschätzig und betrat die Wohnung hinter ihm. Wenn man die drei stinkenden, verdreckten und unordentlich eingerichteten Räume überhaupt Wohnung nennen konnte.
„Machs dir gemütlich.“, meinte Norbert und lächelte immer noch.
Nora hasste Norbert. Sie wusste, das er sie begehrte, wahrscheinlich hatte er seit mehreren Jahren keinen Sex gehabt, oder überhaupt noch nie. Immer wenn sie ihn sah, versuchte er sich an sie heranzumachen, machte Sprüche, die unter die Gürtellinie zielten und lächelte. Ja das Lächeln, von dem er überzeugt war, das es das schönste Lächeln auf Erden war, war das hässlichste Lächeln das Nora je bei einem Menschen gesehen hatte. Sein Körper war ein Wrack, zerstört von einem Gift, vor dem man schon die kleinen Kinder warnte. Heroin.
Und seinen Schwanz. Den hatte sie auch schon gesehen. Als er sich um fünf Uhr morgens einen in der U-Bahn gewichst hatte, dieses Schwein. Seit dem stellte sie sich immer vor, wie dieser kaputte, verkümmerte Schwanz in sie stechen würde und dabei kam ihr die Kotze hoch.
„Was zu trinken?“, fragte Norbert und lächelte natürlich wieder.
„Nein ich hätte lieber ein bisschen Stoff.“, meinte Nora und versuchte, ihn nicht anzusehen.
Sein Lächeln verzog sich ein wenig, aber nur ein wenig.
„Ich hole ihn gleich für dich. Wie viel hättest du den gerne? 20? 40?“, fragte Norbert und seine Hand kam Noras Schenkeln gefährlich nahe.
„Für 20 ist gut“, meinte Nora und tat einen Schritt von ihm weg. Norbert lächelte und verschwand in einem anderen Zimmer. Nora setzte sich auf sein Bett und bemerkte zahlreiche weissliche Flecken auf der Bettwäsche und stand angewidert wieder auf.
Norbert kam mit einem Grinsen zurück und schwenkte ein kleines Beutelchen, in dem ein braunes Pulver steckte. „Hier ist es“, verkündete er und drückte ihr das Tütchen in die Hand.
„Danke“, sagte Nora und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr sogar. Als sie ihm den 20iger-Schein gab, berührte sie seine Finger und verzog das Gesicht. Er jedoch strahlte wie ein Weltmeister.
„Ich geh dann wieder“, sagte sie und wollte sich gerade umdrehen, als Norbert ihr Handgelenk packte. Seine Finger fühlten sich kalt und unangenehm an.
„Du kannst hier bleiben und dir ’nen Schuss setzen wenn du willst“, sagte er und strahlte hoffnungsvoll. „Ich hab genug saubere Spritzen da.“
„Du weißt doch, ich spritze die Scheisse nicht.“, meinte Nora und schaute ihn verächtlich an. „Und ausserdem muss ich gehen.“
Das war natürlich gelogen. Wohin sollte ein Junkie auch gehen? Junkies hatten es jedenfalls nie pressant, ausser sie brauchten neuen Stoff.
„Ach komm“, sagte Norbert und schaute zu Boden. Der Griff um Noras Handgelenk verstärkte sich. „Ich bin sonst immer so allein...“
„So sind wir Junkies nun mal“, flüsterte Nora. Nun kamen ihr fast die Tränen. Sie riss ihr Handgelenk los, murmelte ein „Auf Wiedersehen“ und drehte sich um.
Eine Hand berührte ihren Arsch, streichelte. „Lass den Scheiss, Norbert!“, schrie Nora ihn über die Schulter an und ging schnell auf die Tür zu.
Er folgte ihr, bis sie ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Endlich war sie ihn los, diesen Pisser. Schleunigst verliess sie das Gebäude und machte sich auf den Heimweg. Ihr „Heim“ war eine kleine Hütte am Stadtrand, die sie sich mit einer anderen Heroinsüchtigen teilte. Nora war übrigens lesbisch.
Sie musste auf den Bus, andernfalls hätte sie locker 2 Stunden bis zu ihrer Hütte gebraucht.
Natürlich fuhr sie schwarz. Schon mehrmals hatte man sie aus dem Bus geschmissen, aber das störte sie nicht, konnte man doch einfach den nächsten nehmen oder laufen.
Bei der Haltestelle angekommen, setzte sie sich auf die Wartebank und rauchte eine verknitterte Marlboro Zigarette, die sie unterwegs am Boden gefunden hatte.
Als der Bus kam, stand sie auf und wollte gerade einsteigen, als ihr ein Junge vor die Füsse flog. Ja, er flog regelrecht, ein muskulöser Busfahrer hatte ihn hinausgeschmissen. Wahrscheinlich hatte er kein Ticket gehabt, wie sie.
Kurz darauf schlossen sich die Türen des Busses wieder und er fuhr weiter. Nora und der Junge am Boden blieben allein an der Haltestelle zurück.
Sie beugte sich nach unten. „Alles klar bei dir? Hast du dir weh getan?“, fragte sie.
Er schaute mit trübem Blick zu ihr auf. „Ja geht schon. Wer bist du?“, fragte der Junge und begann, sich zu erheben.
„Ich heisse Nora. Auch genannt Nora die Rockerin. Du?“
„Silly. Silly der Träumer.“
Silly hatte sich die Arme auf dem Beton blutig geschlagen und sah wie ein Haufen elend aus.
Eine Träne lief im einsam die Wange hinab. Nora hob die Hand und wischte sie ihm aus dem Gesicht. „Schon gut Silly“, sagte sie einfühlsam. „Schon gut.“
Sie empfand tiefes Mitleid für diesen Jungen, obwohl sie ihn vorher noch nie gesehen hatte. Und irgendwie fand sie ihn auch süss.
„Ich... ich muss gehen“, stammelte Silly und brach in Tränen aus.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Nora die Rockerin und war plötzlich Nora die Seelsorgerin.
Silly schluchzte und schaute sie mit roten blutunterlaufenen Augen an. Sie legte einen Arm um seine Schulter und sagte: „Du kannst mir alles erzählen.“
Und so setzten sie sich auf die beschissene Wartebank der beschissenen Bushaltestelle in einer beschissenen Stadt und Silly der Träumer erzählte ihr jedes beschissene Detail seines beschissenen Lebens. Nora hörte aufmerksam zu, nickte ab und zu und fühlte den Schmerz, den dieser Junge fühlen musste, innerlich mit.
Als er mit seiner Geschichte zu Ende war, stand sie auf und verschwand in den Büschen, die hinter der Haltestelle in einem Park wucherten, um zu pissen.
Danach nahm sie ihn bei der Hand und Silly der Träumer war das erste Mal seit langer, langer Zeit wieder glücklich. Nora verstand ihn, sie duldete ihn, sie machte ihn nicht fertig, aber das war vielleicht auch nur weil sie selber fertig war.
Hand in Hand gingen sie durch die Stadt, ohne ein richtiges Ziel, ohne viel Worte zu verlieren. Plötzlich bemerkte Silly, wie Nora anfing zu zittern und ihre Haut war irgendwie kälter geworden. Er sprach sie darauf an und sie antwortete ihm, sie müsse nun ihre „Medizin“ nehmen. Auf einem öffentlichen aber schon seit geraumer Zeit stillgelegten Klo, nahm sie eine viereckige, zusammengefaltete Folie aus der Tasche und eine Art Röhrchen.
Silly wusste noch nicht, was sie vorhatte, doch als sie das braune Pulver auf die Folie kippte und das Feuerzeug darunter hielt, wusste er Bescheid.
Nora die Rockerin war eine Heroinsüchtige. Silly fragte, ob er etwas davon haben dürfte, er würde es auch bezahlen. „Das musst du doch nicht“, sagte sie liebevoll und gab ihm die Folie weiter.
Silly inhalierte den Rauch, der irgendwie hässlich schmeckte, aber doch auf eine Art gut. Dann sank er nach hinten, spürte noch, wie ihn zwei Arme packten, damit er nicht umkippte und dann war die Welt um ihn anders geworden.
Als er wieder einigermassen zu sich kam, war Nora verschwunden. Sein Herz verspürte einen Stich und er stand mit wackeligen Beinen auf. „Nora!“, rief er angsterfüllt und sein Ruf hallte von den Wänden wider.
„Ich bin hier“, flüsterte eine schwache Stimme und Silly erblickte sie zusammengesunken und bleich in einer der Toilettenkabinen. Die Folie lag vor ihr auf dem Boden und sie hatte sich selbst angekotzt. Die Kotze klebte grün und gelb und rot vorne auf ihrem Pullover.
Silly fiel auf die Knie, umarmte sie und der Geruch der Kotze stach ihm in die Nase.
„Ich geh nicht mehr weg von dir“, flüsterte er und streichelte ihr rotes Haar.
Sie sagte nichts, sondern lächelte ihn an und erwiderte seine Umarmung. Nora die Rockerin, 19 Jahre alt und ein Junkie, hatte Silly den Träumer, einen 12 jährigen hässlichen Jungen ohne Zukunft lieb gewonnen.
Plötzlich hörte Silly, wie die Tür zu den Toiletten aufgemacht wurde. Jemand kam herein und dann sprach dieser Jemand auch schon hinter ihm: „Fuck ey, was seit den ihr für Penner?“
Silly drehte sich langsam um. Hinter ihnen in der Tür stand ein gross gewachsener, kräftiger Mann, mit dunklen Haaren. Er war ein Neger. Der Joint ihn seiner Fresse glühte auf, als er einen kräftigen Zug nahm. Er war Jaromir der kiffende Nigger und er würde ihnen etwas zeigen. Oh ja, er würde diesen beiden armen Leuten ein neues zu Hause offenbaren. Doch das soll in der nächsten Geschichte erzählt werden.
Geändert von deserted-monkey (09.11.2006 um 15:14 Uhr)
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